Maiandachten XI.
Ein Häuschen, rosenumrankt
Maibetrachtungen
von
Leopold Klima
1933
Inhalt
1. Mai: Die Rosen
2. Mai: Das Häuschen
3. Mai: Aveglocken
4. Mai: Aus Gottes Mund
5. Mai: Die Jahrhunderte zeugen
6. Mai: Die lebende Monstranz
7. Mai: Magnificat
8. Mai: Das "Haus des Brotes"
9. Mai: Anbeter im Hirtenkleid und Königspurpur
10. Mai: Der erste Kirchgang
11. Mai: Der Lichtertag
12. Mai: In der Sonne sitzen
13. Mai: Osterfahrt
14. Mai: Großstadtstraßen
15. Mai: Todesangst und Engelstrost
16. Mai: Verratene Liebe
17. Mai: Angebunden
18. Mai: Bindet ihn los!
19. Mai: Ecce rex noster
20. Mai: Der schwerste Weg
21. Mai: Bittere Stationen
22. Mai: Worte von der Höhe
23. Mai: Respha
24. Mai: Vertauschte Rollen
25. Mai: Unter der Frühlingssonne
26. Mai: Fortgehen und doch dableiben
27. Mai: Drachenköpfe
28. Mai: Der unbekannte Gott
29. Mai: Eine Mutter wartet
30. Mai: Per Mariam ad Jesum
31. Mai: Die Krone
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1. Mai
Die Rosen
In einem alten, schönen Volkslied heißt es:
Als ich den Wandrer fragte: "Wo gehst du hin?" -
"Nach Hause, nach Hause!" sprach er mit frohem Sinn.
Der Wanderer kann freilich mit "frohem Sinn" antworten, denn nach Hause geht jeder gern. Überall ist es schön, doch zu Hause am schönsten, weil wir die dort finden, die wir lieben.
Und wenn wir heute die zahlreichen Menschen, Männer und Frauen, Kinder, Greise, ärmlich Angezogene und vornehm Bekleidete, die in dieser Abendstunde alle einem Ziel zustreben, fragen würden: "Wo geht ihr hin?", sie könnten alle mit dem Wanderer antworten: "Nach Hause, nach Hause!", denn das Gotteshaus ist die Heimat der christlichen Seele und hier findet der Christ jemanden, den er lieb hat aus ganzem Herzen: die Mutter. Weil die Christen zur Mutter gehen, darum sind die Maiandachten gar so beliebt. Es zieht uns ja das Herz herein in die Kirche. Weil wir die Mutter preisen, weil wir von der Mutter etwas hören, weil wir der Mutter uns anvertrauen können, weil wir an ihrem mütterlichen Herzen alles niederlegen können, was uns drückt und schmerzt, darum ist die Maiandacht den Christen gar so lieb.
Es ist die Maiandacht für jeden von uns auch eine recht segensreiche Andacht. Schaut, ein Mutterherz ist schier unerschöpflich. Wenn die Kinder zur Mutter kommen, für jedes hat sie etwas: für das eine ein Lob, für das andere eine Ermahnung, für dieses Hilfe in seiner Not, für jenes wenigstens ein tröstendes Wort. Und so ist es auch bei der Himmelsmutter. Für jeden von uns hat sie etwas bereit: Belehrung, Ermahnung, Warnung, Trost, Hilfe, den Segen des göttlichen Heilands.
Seien wir daher versichert, dass wir niemals vergebens den Weg hierher zum Besuch der Mutter gemacht haben, und darum werden wir mit um so freudigerem Herzen unsere Lieder und Gebete emporschicken zu ihrem Gnadenthron.
Eines dieser Gebete ist ein besonders kräftiges und wirksames, ein Gebet, das zusammengesetzt ist aus den schönsten Gebeten der Kirche, und in das verflochten sind die wundersamen Geheimnisse aus dem Leben des göttlichen Heilands und seiner lieben Mutter. Ihr wisst es schon, welches Gebet ich meine: den heiligen Rosenkranz. Wir werden in diesem Monat noch vieles von diesem Gebet hören, es soll der Hauptgegenstand unserer Maibetrachtung sein.
Als im 13. Jahrhundert - so berichtet das Römische Brevier - in der Gegend von Toulouse die Irrlehre der Albigenser furchtbar wütete, da machte der heilige Dominikus aus dem Predigerorden, dem diese Glaubensverwüstung in der Seele weh tat, es sich zur Lebensaufgabe, diese Irrlehre zu bekämpfen. In heißen Gebeten wandte er sich an die seligste Jungfrau, sie möge ihm eingeben, wie er am besten diese Aufgabe erfüllen könne. Von ihr wurde er nun - wie überliefert wird - ermahnt, dem Volk den Rosenkranz zu predigen als ganz besonderes Schutzmittel gegen Irrlehre und Laster. Er tat es und erfreute sich bald eines wunderbaren Erfolgs und das mächtige Gebet breitete sich aus über den ganzen katholischen Erdkreis.
Liebe Marienverehrer! Die heutigen Zeiten scheinen schlimmer zu sein als die des heiligen Dominikus. Breitet sich nicht auch heute mit unheimlicher Schnelligkeit die Giftflut nicht einer bloßen Irrlehre, nein, die Giftflut der Gottlosigkeit aus? Ist nicht die Giftflut von Sünde und Laster immer mehr im Steigen begriffen? O nehmen wir zu dem wunderbaren Hilfsmittel des heiligen Dominikus, zum heiligen Rosenkranzgebet, unsere Zuflucht, und beten wir es an diesen Tagen mit Andacht und Vertrauen, seid versichert, es hat nicht eingebüßt an Kraft und Wirksamkeit auch in unseren Tagen.
Wir können dieses Gebet mit um so größerem Vertrauen beten, weil es ja, ich möchte sagen, eine Sammlung der schönsten Gebete unserer heiligen Kirche ist. Beginnt es nicht mit einem kräftigen Bekenntnis des Glaubens? Heute, wo alles geleugnet wird, was uns Katholiken heilig ist: das Dasein Gottes, die Gottheit Jesu Christi, die göttliche Stiftung der Kirche, die Sündenvergebung, die Ewigkeit, da soll von unseren Lippen voll heiliger Überzeugung das Bekenntnis strömen: Ich glaube an den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde . . . und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn . . . und an die heilige katholische Kirche . . . an den Nachlass der Sünden . . . et vitam aeternam ~ und an ein ewiges Leben!
Wie wohlgefällig mag Gott in unseren Tagen der Leugnung alles Übernatürlichen von unseren Lippen das Bekenntnis des Übernatürlichen entgegennehmen!
Und heute, wo vieltausendstimmige Flüche und Lästerungen wie drohende Fäuste sich gegen den Himmel erheben, suchen wir im heiligen Rosenkranz der beleidigten Gottheit Sühne und Huldigung zu leisten durch den Lobspruch Gloria patri . . . Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie im Anfang so auch jetzt und alle Zeit und in Ewigkeit.
Die Menschen schreiben in ihrem Hochmut alles sich selber zu: ihrer Wissenschaft, ihrer Klugheit, dem Fleiß ihrer Hände, und darum ruht oft kein Segen auf all den Errungenschaften der modernen Kultur. Wir aber erwarten alles von der Güte und Liebe dessen, von dem der Heiland uns lehrte, dass er unser Vater ist: Vater unser! Das wichtigste ist, dass nicht das Reich der Gottlosigkeit sich ausbreite, sondern das Reich Gottes: zu uns komme dein Reich. Dein Wille soll die Richtschnur all unserer Handlungen sein, dann erst wird es wieder schön auf Erden. Du allein gibst den Segen, dass wir täglich unser Brot essen können; wenn du deinen Segen entziehst, so geht trotz der Fruchtbarkeit der Erde Hunger und Not über die Welt. Du bist allein mächtig, uns von allem Unheil zu erlösen und zu bewahren, besonders von dem Unglück aller Unglücke, von der Sünde. O Christ, hast du schon manchmal nachgedacht, wie schön, wie wunderschön das Gebet des Herrn ist, das wir im Rosenkranz immer wieder eingeflochten finden, wie kostbare Diamanten in einer goldenen Kette?
Und dann grüßen wir sie, die Eine, die Reine, die Mutter. Zuerst erklang der Gruß von Engelslippen. Wie glücklich sind wir, dass wir diesen Gruß im Rosenkranz immer und immer wieder wiederholen dürfen. Wird denn der lieben Gottesmutter dieses ewige Wiederholen nicht zuwider werden? Fragt eine Erdenmutter, die ihr Kindlein auf dem Schoß trägt, das noch nicht recht sprechen kann, und das nur immer wieder wiederholt: liebe Mutter, liebe Mutter, liebe Mutter! Wird der Mutter dieses Lallen des Kindes nicht lieblicher sein als die herrlichste Musik? Ja, wenn wir im Rosenkranz dreiundfünfzigmal "Gegrüßet seist du, Maria" beten, ist das nicht auch, als wenn wir immer wieder riefen: liebe Mutter, liebe Mutter, liebe Mutter?
Und dann sind gar köstliche Rosen eingestreut in diese Gebete, Rosen, verschiedenfarbig und mannigfaltig. Die einen schimmern im reinsten Weiß der Freude, die anderen leuchten rot wie Blut, die dritten glänzen goldig wie Himmelskronen. Diese Rosen erzählen uns: mehr wie deine Mutter gab dir die heiligste Mutter Maria Freuden, sie schenkte dir die größte und heiligste Freude: Jesus, den sie vom Heiligen Geist empfangen, zu Elisabeth getragen, in Bethlehem geboren, in Jerusalem aufgeopfert und gefunden hat. Mehr wie deine Mutter hat eine um dich gelitten, die Schmerzensmutter, als sie erleben musste, wie ihr Sohn Blut schwitzte, gegeißelt und mit Dornen gekrönt wurde, das Kreuz auf Golgotha trug. Und diese Mutter verspricht dir eine Glorie, die kein Erdenauge gesehen und kein irdisches Ohr gehört hat, in dem Reich, in das ihr auferstandener Sohn aufgefahren ist, von wo er seinen Heiligen Geist entsandte und wo sie nun thront als Königin der Barmherzigkeit.
Wer den Rosenkranz in diesem Sinn betet, dem ist der Rosenkranz kein langweiliges Gebet, nein, er wird ihm lieb und traut, der Rosenkranz wird ihm zum beständigen Begleiter. Der Rosenkranz wird zum Ehrenzeichen in der Menschenhand. O wie schön wäre es, wenn alle Katholikenhände sich regen würden im Winden solcher Kränze: welke Greisenhände und starke Männerhände, weiche Kinderhände und Hände, die gewohnt sind, die Zügel der Herrschaft zu halten, Hände, die den Degen führen, Hände, die mit Schwielen bedeckt sind, Hände, die Kunstwerke zu schaffen verstehen, Hände, die im Dienst der Wissenschaft stehen. Der Rosenkranz in der Hand des Katholiken ist das schönste Ehrenzeichen, bis er einmal auch in die im Tod erstarrte Hand gelegt wird.
Die heiligsten und ehrwürdigsten Männer und Frauen der katholischen Kirche und nebenbei die größten Gelehrten ihrer Zeit, ein heiliger Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Karl Borromäus, Pius V., Franz von Sales, Theresia von Avila, Katharina von Siena, Theresia von Lisieux, Hildegard von Bingen, Edith Stein haben den Rosenkranz geliebt und geschätzt. Ja der Rosenkranz ist gleich dem Kreuz ein unterscheidendes Merkmal des katholischen Christen geworden. Die Ordensleute tragen ihn im Gürtel, und wie träge auch ein katholischer Christ sein Lebtag im Beten des Rosenkranzes gewesen sein mag, wenn er stirbt, greifen seine Angehörigen dennoch nach diesem Zeichen, um mit ihm ebenso wie mit dem Kreuz die Hände des Verstorbenen zu schmücken, und öffnet man nach Jahren ein unbekanntes Grab, so gibt der Rosenkranz, den man oft allein noch aus dem Moder herausfindet, davon Kunde, dass man bei der Ruhestätte eines katholischen Christen steht.
Ein älterer Priester erzählt: Als ich noch ein junger Hilfsgeistlicher in der Diaspora war, d.h. in einer protestantischen Gegend, wo die Katholiken nur vereinzelt eingestreut sind, da wurde ich einmal in der Nacht durch die Hausglocke aufgeschreckt. Unten stand ein Mann, der dringend einen katholischen Priester verlangte. Auf der Bahnstation war ein Reisender vom Zug überfahren worden. Ich kleidete mich eilends an und eilte mit dem Allerheiligsten zum Bahnhof. In einem Wartesaal lag blutend und bewusstlos ein junger Mann, über beide Füße war der Zug gefahren. Ich kniete nieder neben ihm und bemühte mich lange, ihn zum Bewusstsein zu bringen. Endlich schlug er die Augen auf. "Meine arme Mutter!" das war sein erstes Wort. Dann erkannte er den Priester, er beichtete andächtig, kommunizierte und empfing die heilige Ölung. Dann verfiel er sofort in die Bewusstlosigkeit und starb kurz danach. Ich fragte nun die Frau des Stationsvorstandes, wieso sie gewusst habe, dass der Verunglückte ein Katholik sei. Und sie erzählte: "Wir suchten nach dem Unfall in seinen Taschen nach, ob wir nicht etwas fänden, was uns über seine Person Aufschluss geben könnte, und da fanden wir dies. Nennen Sie das nicht einen Rosenkranz? Ich dachte gleich, der Arme muss Katholik sein und schickte nach Ihnen." Nachdenklich ging ich heim und pries Gottes Vorsehung. Hätte der junge Mensch keinen Rosenkranz bei sich gehabt, hätte niemand in der protestantischen Gegend geahnt, dass er Katholik sei, und er wäre hinübergegangen ohne die heiligen Sakramente und Tröstungen unserer heiligen Religion.
Liebe Marienverehrer! Von heute an werden wir den heiligen Rosenkranz lieben, ihn stets bei uns tragen und ihn gern und oft beten! Und die Mutter wird für uns fürbitten vor dem Thron ihres Sohnes, denn dieser wird dann einst wie Salomo zu seiner Mutter sagen: "Sprich, Mutter, denn es geziemt sich nicht, dass du umsonst bittest.
Amen.
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2. Mai
Das Häuschen
In der Lauretanischen Litanei wird Maria, die Gottesmutter, die "Arche des Bundes" genannt. Und mit vollem Recht, denn wie die Bundeslade der Israeliten einen gar köstlichen Schatz in sich barg, das wunderbare Manna, so war auch Maria die Trägerin eines noch köstlicheren Schatzes, die Trägerin dessen, der genannt wird Christus. Die Bundeslade der Israeliten galt als nationales Palladium des Volkes. Mit welcher Sorgfalt wurde sie hergestellt aus Zedernholz und überzogen mit purem Gold. Sie war das Zeichen, das das ganze Volk vereinte. Wohin immer das Volk zog, die Bundeslade ging mit ihnen. Vierzig Jahre spielten sich in der Wüste die Geschicke des Volkes Gottes um die Bundeslade herum ab. Zur Bundeslade drangen die Rufe der Empörung, die ausging von der Rotte Korah, die Bundeslade sah auch die Strafe der Empörer. Im heiligen Zelt, wo die Bundeslade ruhte, da lag Mose auf den Knien und holte sich Kraft, dies irdisch gesinnte Volk recht zu führen. Von hier kam ihm die Kraft, große Zeichen und Wunder zu tun, um das Volk so im Glauben an den einen wahren Gott zu bestärken. Mit der Bundeslade überschritt das Volk Gottes den Jordanfluss und setzte seinen Fuß in das Gelobte Land. Mit der Bundeslade zogen sie in feierlicher Prozession um die Mauern Jerichos und die Mauern fielen zusammen. Wie waren die Geschicke des Volkes mit der Bundeslade verbunden! So lange das Volk an den Herrn glaubte und ihm diente, der sich in einer lichten Wolke über die Bundeslade herabließ, ging es den Israeliten auch gut, als aber das Volk sich fremden Göttern zuwendet, kommt schon das Unheil über das Volk. Die Feinde, in deren Hände das Heiligtum des Volkes fällt, obsiegen über das Volk Gottes und verbreiten Elend und Not unter ihm.
Der Bundeslade einen würdigen Aufenthaltsort zu bereiten, baut Salomo den herrlichen Gottesbau aus Gold und Marmor und Zedernholz. Und als der Tempel in Jerusalem in Schutt und Asche zerfiel und die Bundeslade verschwand - man meint, der Prophet Jeremias habe sie verborgen - da erfüllt tiefe Trauer das Herz des Volkes. In der Gefangenschaft zu Babylon gedenken sie nicht so sehr ihres eigenen Elends, als vielmehr des Untergangs ihres Heiligtums.
An den Wassern Babylons
Saßen wir und weinten,
Als wir Sions dachten.
In des Landes Mitte
An die Trauerweiden
Hingen wir die Harfen.
Die Bundeslade des Alten Bundes verschwand. Es vergingen Jahre und Jahrhunderte. Da entstand im Heiligen Land eine neue Arche des Bundes und nicht ein Volk nur jauchzt ihr in Liebe entgegen! "Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter!" Maria, aus der geboren wurde Jesus, der genannt wird Christus. Doch, liebe Marienverehrer, heute möchte ich eure Aufmerksamkeit auf eine andere Bundeslade lenken, die auch das Palladium des ganzen christlichen Volkes geworden ist: es ist ein kleines Häuschen in unseren Kirchen. Wie die Bundeslade des Alten Bundes ist es aus Holz geschnitzt, wie die Bundeslade des Alten Bundes trägt es die Figuren der Cherubim, die ihre Flügel über diese Lade breiten. Und wie die alttestamentarische Bundeslade birgt sie in ihrem Innern ein goldenes Gefäß mit Manna. Es ist das Manna des neuen Testamentes, von dem die Kirche täglich singt: panem de coelo praestitisti eis omne delectamentum in se habentem - Brot vom Himmel hast du ihnen gegeben, das alle Süßigkeit in sich enthält.
Dieses Manna ist Jesus Christus selbst, gegenwärtig im heiligsten Sakrament des Altares. Das ist der köstlichste Schatz unserer Kirche, das ist das Palladium, das Heiligtum des christlichen Volkes, das ist der Mittelpunkt unseres ganzen religiösen Lebens.
Diesem köstlichsten Schatz eine würdige Wohnung zu bereiten, waren zu allen christlichen Jahrhunderten die besten Künstler Zeit ihres Lebens bestrebt. Die kleine weiße Hostie erklärt es uns, warum die verschiedenen Wunderbauten entstehen konnten: ein Kölner Dom, eine Stephanskirche, eine Peterskirche, ein Sakramentshäuschen in der St. Lorenzokirche zu Nürnberg. Vor dieser unscheinbaren Hostie liegen täglich hunderttausende, ja Millionen Menschen auf den Knien und holen sich hier, wie einst Mose vor der Bundeslade, Erleuchtung, Mut, Kraft, Stärke in Leid und Versuchung. Diese weiße heilige Hostie ist unauflöslich verknüpft mit den Schicksalen unseres Lebens. Was war das für ein glücklicher Tag, als du zum ersten Mal diese kleine heilige Hostie empfingst. Du denkst noch daran, wenn dein Haar sich schon bleicht und deine Gestalt hinfällig wird. An diesen Tag dachte mit Wehmut der große Napoleon und nannte ihn seinen glücklichsten Tag, er, der Sieger in so vielen Schlachten, er, dem der halbe Erdkreis zu Füßen lag. Vor diesem Häuschen, das die weiße Hostie birgt, bist du einst gekniet an jenem schönen Tag, da deine Hochzeitsglocken läuteten, dieser Hostie hat der Priester des Herrn dein Kind entgegengehalten, als du in deinem jungen Mutterglück des innigen Dankes voll dem Gotteshaus zueiltest. Diese weiße Hostie hast du begleitet Jahr für Jahr an dem herrlichen Sonntag, als sie das stille Häuschen verließ und hinaustrat auf die Straßen der Städte und Dörfer, als die Glocken läuteten und Blumen den Weg des heiligen Fronleichnam bezeichneten und die goldene Monstranz funkelte im Licht der Sonne. Zu dieser Hostie führt dich dein Weg immer wieder her. Die Glocken laden dich ein: komm, komm, ein Wunder vollzieht sich vor deinen Augen, ein großes, ein unfassbares Wunder der Liebe: Gott selber steigt vom Himmel und nimmt Brotsgestalt an und wird deine Speise für das Leben der Seele. Ja, eine einzige heilige Messe ist ein größeres Wunder, als all die Wunder, welche Mose in der Wüste tat angesichts der Bundeslade.
Und wieder verlässt diese kleine weiße Hostie ihr stilles Häuschen: dir ist so weh zumute, eine weite Reise steht dir bevor, dunkel ist der Weg, ungewiss das Ziel. Ein Abschied ist es von allem, woran dein Herz gehangen. Ach wie bang, wie weh ist dir ums Herz. Da verlässt diese kleine weiße Hostie ihr stilles Häuschen und kommt zu dir. "Ich will deine Wegzehrung sein!" ruft der Heiland aus dieser Hostie, "damit du dich nicht zu fürchten brauchst vor der dunklen Reise". O wie wirst du da erquickt und getröstet. Jetzt kommt dir der Weg nicht mehr so schwer vor, der Heiland geht ja mit dir.
Versteht ihr es, liebe Marienverehrer, dass das kleine Häuschen in unseren Kirchen mit dem weißen Manna das wahre Palladium, das köstlichste Heiligtum des Christen ist?
Wir wollen tagtäglich in diesem Monat zu diesem Häuschen wallfahren. Wie idyllisch, wie schön ist dieses Häuschen: es ist von Rosen umrankt, von weißen und roten und goldgelben Rosen. Die weißen Rosen des freudenreichen, die roten des schmerzhaften, die goldenen Rosen des glorreichen Rosenkranzes werden wir in Beziehung bringen zu dem hochheiligen Sakrament, das im Tabernakel als das köstlichste Manna des Neuen Bundes ruht. Und während wir auf die lebendige Bundeslade schauen, auf die heilige Jungfrau, in deren Schoß das göttliche Kindlein ruhte, während wir uns freuen ihrer Freuden und mit ihr weinen in ihrem Schmerz und sie lobpreisen ob ihrer Herrlichkeit im Himmel, werden wir gleichzeitig hinschauen auf die gebenedeite Frucht ihres Leibes, auf Jesus Christus, geheimnisvoll gegenwärtig in der heiligen Eucharistie und werden unsern Glauben stärken an dies große Geheimnis unseres Glaubens und all unsere Hoffnung auf ihn werfen, der versprochen hat, dass er alle erquicken wird, die mühselig sind und beladen, und wir werden ihm das Lied unserer Liebe singen, für so viel Liebe, deren nur Gott fähig ist.
Und von dieser heiligen weißen Hostie wird Segen und Freude und Friede sich ergießen in unsere friedlosen Herzen.
Amen.
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3. Mai
Aveglocken
Eine liebliche Szene ist es, die uns das erste Rosenkranzgeheimnis vor Augen führt. Dichter haben sie in unbeschreiblich schönen Versen besungen und Maler und Bildhauer sie auf die Leinwand gezaubert und in Stein gemeißelt. Und unsere heilige Mutter, die Kirche, ist so erfüllt von der ganzen Größe und Wichtigkeit dieses Ereignisses, dass sie dreimal täglich die Gläubigen daran erinnert. Am frühen Morgen, wenn die ersten Sonnenstrahlen die Säume der Berge küssen, lässt sie über die erwachende Natur die Töne der Morgenglocke erklingen und fordert die Gläubigen auf, diejenige zu grüßen, welche als liebliches Morgenrot der Sonne der Gerechtigkeit vorausgegangen: Ave Maria! Und wenn die Sonne im Zenit steht und heiß ihre Strahlen herabbrennen auf die Menschen in Feld und Flur, im Büro und in der Handwerkerstube, wieder mahnt die Kirche durch die Mittagglocke ihre Kinder, etwas innezuhalten in ihrer Arbeit und sie zu grüßen, die bei all ihrer Arbeit auf das eine Notwendige nicht vergessen: Ave Maria! Und wenn die Sonne sinkt und die Nacht hereinbricht, und der Mensch von des Tages Last müde sein Heim aufsucht, da tönt so traut die Abendglocke über die schweigende Natur und in leiser Wehmut faltet der Christ seine Hände.
Über allen Gipfeln ist Ruh,
In allen Wipfeln spürest du
Kaum einen Hauch.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.
Ave Maria! Lass unser Heimgehen einst, wenn die Nacht des Lebens sich über uns senkt, auch ein so seliges, friedliches sein wie das deine.
Ave Maria! Gegrüßet seist du, Maria! Der erste, der diese Worte sprach, war von den Himmelsfürsten der glänzendsten einer. Und die, vor der er sich neigt in tiefer Huldigung, sie trägt das Kleid der Armut. Wie wurde Maria durch diesen Gruß erhöht! Welch eine Auszeichnung, welch eine Würde wird ihr da angekündigt! Der Bote Gottes bezeugt, dass die Fülle aller Gnaden auf ihr ruhe, dass Gottes Auge mit unendlichem Wohlgefallen auf sie gerichtet ist und dass sie, gerade sie, die schlichte, die unbekannte Jungfrau, welche in dem armseligen Handwerkerhäuschen des verachteten Nazareth wohnt, auserkoren ist, der Welt denjenigen zu schenken, auf den die Völker harren seit Jahrtausenden schon, den zu schicken, sie Himmel und Erde bestürmten:
Tauet, Himmel, den Gerechten,
Wolken, regnet ihn herab,
Erde, tu dich auf und sprosse den Heiland!
Wir begreifen es,