Marien-Kapellen

 

Inhalt:

 

1. Die Kapelle Liebfrauenbronn bei Werbach

2. Die Gnadenkapelle zu Brescia

3. Die Rauchfangkehrer-Kapelle in Ofen

4. Die Kapelle zur Schönen Maria zu Regensburg

5. Die Immaculata-Kapelle auf dem Hohkreuzberg bei Aulendorf

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1. Die Kapelle Liebfrauenbronn bei Werbach

 

Auf dem Berg zwischen den Ortschaften Werbach und Werbachhausen befand sich vor Zeiten eine Quelle, deren klares, wohlschmeckendes Wasser unter den Landsleuten weithin berühmt war. Oft kamen sie aus ziemlicher Entfernung während ihrer Feldarbeit dahin, um sich zu laben. Besonders oft geschah dies aber im Sommer, wo das herrliche, frische Wasser mehr als sonst erwünscht war.

 

Der Acker, auf dem die Quelle sprudelte, konnte jedoch aus leicht begreiflichen Gründen nicht den Ertrag gewähren, wie das andere Feld in der Gegend. Der Boden des Ackers, wenn gleich gut und fruchtbar, wurde durch die vielen Besucher festgetreten, so dass der ausgestreute Samen nicht aufgehen konnte. Stand endlich einmal etwas Frucht auf ihm, so sah man sie zumeist beschädigt. Häufig floss auch die starke Quelle, besonders zur Frühjahrszeit, über und riss Wasserfurchen in das Gelände. Deshalb besaß dieser Acker, ein sehr ansehnliches Grundstück, doch im ganzen genommen nicht den Wert, den er unter anderen Umständen sicherlich gehabt hätte. Er ging von Besitzer auf Besitzer gewöhnlich um ein Spottgeld über. Keinem aber, dem jemals dieser Acker zu eigen gehörte, fiel es ein, den Leuten den Zutritt zur Quelle zu verwehren, denn der Besuch der Quelle und der Gebrauch ihres köstlichen Wassers war im Laufe der Zeit gewissermaßen eine öffentliche Berechtigung geworden. Auch erwies sich der Sinn der jeweiligen Besitzer als gottesfürchtig genug, um eine Sünde gegen die Nächstenliebe darin zu sehen, wenn man Dürstenden die Benutzung des Brunnens verwehrt hätte.

 

Einst – es mögen so gegen zweihundert Jahre her sein – kam der Acker mit der Quelle in den Besitz eines reichen Mannes von Werbach, namens Martin Stürmer, gewöhnlich der „reiche Stürmersmärtel“, hinter seinen Rücken aber gar oft der „Geizmärtel“ genannt. Er, der seinen Beinamen nicht umsonst führte, denn Reichtum und Geiz sind oft zwei Geschwister, bemerkte mit großem Missfallen, dass ihm der Acker wenig ertrug und dass dies einzig und allein daher rühre, weil durch den Besuch der Durstigen sein neuerworbenes Besitztum nicht gehörig angebaut werden konnte. Auf alle mögliche Weise suchte er daher von seinem Gut die Leute abzuhalten. Er zog einen Dornhag um die Quelle, verstopfte mit Steinen ihre Mündung, grub Abzugslöcher und tat alles, was man nur anwenden kann, um dem Wasser eine andere Bahn unter die Erde anzuweisen – aber umsonst. Die herrliche Quelle sprudelte stark wie zuvor und ließ sich nicht vertreiben. Martin Stürmer war dadurch aufs Äußerste gereizt. Kam, während er auf seinem Acker zu diesem Zweck arbeitete, einer der Nachbarn, um Wasser zu schöpfen, so wurde er mit Schimpf- und Drohworten zurückgestoßen. Bei jeder Gelegenheit sprach er sich mit heftigstem Unmut darüber aus: er werde gewiss noch den Leuten das Laufen auf seinen Acker vertreiben. Und wirklich gelang es ihm. Als alle Mittel, die ihm zunächst zu Gebote standen, nicht helfen wollten, ging er in die Stadt und kaufte, wenn gleich sein Geiz scheele Augen zu der Geldausgabe machte, einige Pfund Quecksilber, das er in die Quelle warf. Diesem starken Feind unterlag der volle Strudel. Das Quecksilber verstopfte die feinen Felsritzen, aus denen die Flut quoll, und der Geizhals sah seinen Plan gelungen. Freudigst bestellte er nun sein Feld, säte es ein, und lachte unbegrenzt schadenfroh, wenn einer der entfernteren Nachbarn, unbekannt noch mit der Vertreibung des Labequells, herbeieilte, um Wasser zu holen. Und bald verbreitete sich nun in Werbach und Werbachhausen die Sage: „der Stürmersmärtel hat die Quelle auf seinem Acker vertrieben; aber wills Gott, so wird er wenig Segen davon erlangen, dass er so vielen Menschen ihre Erfrischung und Erquickung in den heißen Tagen der Sommerzeit entrissen hat!“

 

Die Verwünschungen, die bei dieser Gelegenheit auf den Geizigen herabregneten, schienen vom Himmel nicht unbeachtet zu bleiben. Martin Stürmer hatte von dieser Zeit an viel Unglück.

 

Das erste Unglück, das ihn traf, war der gänzliche Verlust der Ernte auf dem neubestellten Acker. Ein fürchterliches Gewitter, das über der Gegend kurz vor dem Schneiden aufzog, schleuderte eine solche Hagelmasse herab, dass in wenigen Augenblicken die Ernte-Hoffnungen des reichen Mannes völlig vernichtet wurden. Kein Halm und keine Ähre war ganz geblieben. Die Felder der Nachbarn hatten zwar auch Schaden gelitten, aber bei Weitem doch nicht in dem Maße als Martin Stürmers Gut. Das musste jedermann auffallen und es blieb nicht ohne geheime Hindeutungen auf Martins früheres Treiben und seinen von den Ortsnachbarn oft gerügten Geiz.

 

Die Welz im Tal war durch eben dieses Gewitter sehr angeschwellt worden und hatte längere Zeit hindurch Hochwasser. Martin Stürmers einziges Kind, ein schöner Knabe von etwa zwölf Jahren, spielte einige Tage nachher unfern der Pelzmühle an den rauschenden, schnellen Wellen. Da ergriff ihn plötzlich die wilde Flut und der liebliche Knabe war unrettbar verloren. Man fand seinen Leichnam erst einige Wochen danach um Rechen der nächsten Mühle hängen. Dieses Unglück erschütterte das Herz der Mutter des Kindes so sehr, dass sie plötzlich erkrankte und in kurzer Zeit ihrem Liebling in die Ewigkeit nachfolgte.

 

Beide Verluste beugten den reichen Mann sehr, vermochten aber doch nicht, ihn dahin zu bringen, dass er seine Gedanken auf sein Gewissen richtete. Er fuhr vielmehr fort, Reichtum auf Reichtum zu häufen, und ließ sich zu diesem Zweck nicht leicht ein Mittel gereuen, wenn es nur halbwege nicht zu gerichtlichen Erörterungen führte. Da seine große Feldwirtschaft ihm eine tätige Lebensgenossin als sehr wünschenswert erscheinen ließ, so verlobte er sich ein Jahr nach dem Hinscheiden seiner Hausfrau mit einem Mädchen aus Werbach, das ein sehr schönes Vermögen besaß. Dadurch gedachte er die Verluste des vorhergegangenen Jahres in jeder Beziehung auszugleichen. Die Hochzeit wurde gegen Ende der Heuernte festgesetzt und der reiche Bräutigam schwelgte schon im Geiste im Vollgenuss seines Glücks. Aber es heißt nicht umsonst: „Der Mensch denkt, Gott lenkt!“ Gleich Martin glaubte mancher schon, die Früchte seiner Sehnsucht pflücken zu können, aber wenn es im Rat der Vorsehung anders beschlossen ist, so wird alles Dichten und Trachten des menschlichen Herzens zunichte. Die Hand, die bereits nach dem nahen Ziel ausgestreckt war, muss matt und trostlos sinken, der Becher der Lust, den schon die Lippen zu berühren wähnten, ist auf immer dem durstenden Mund entzogen.

 

Da Martin während der Heuernte außerordentlich viel zu tun hatte, so half die Braut, da man nur noch wenige Tage bis zum Hochzeitsfest zählte, ihrem Bräutigam bei den dahin einschlagenden Geschäften, kochte für das Gesinde und die zahlreichen Taglöhner und arbeitete am Nachmittag auf den Wiesen mit. Der reiche Martin zeigte sich dabei überaus heiter. Er scherzte auch fortwährend aufs Freundlichste mit seiner Braut, der emsigen Mähderin. Da wollte diese, eben als sie eine Bürde Gras aufhob, dem nach ihr haschenden Martin ausweichen, glitt aber auf dem feuchten Wiesenboden aus und fiel in die neben liegende Sense. Eine tiefe Wunde am linken Arm, die das Blut unaufhörlich herausströmen ließ, war die Folge dieses Falls. Voll Todesangst bei diesem Anblick sandte Martin seine Leute nach Hilfe aus, verband mit einem Tuch die schwere Wunde, um das Blut zu stillen, jedoch alles vergeblich. Da mehrere Hauptadern sich durchschnitten fanden, war eine tödliche Verblutung nicht zu hemmen. Ehe noch seine Leute zurückkamen, lag Martins Braut als Leiche am Boden.

 

Dieses neue entsetzliche Unglück, das Martin Stürmer traf, bewirkte, dass die verschiedensten Urteile unter den Ortsnachbarn über ihn laut wurden. Einige fühlten Mitleid mit ihm, andere aber sagten: „diese Ereignisse seien Gottes Strafgericht wegen seiner Herzenshärte und seines Geizes!“ und bedauerten nur die unglückliche Braut, die auf so traurige Weise ihr junges Leben hatte enden müssen. Im Ganzen gestalteten sich diese fortwährenden schweren Unglücksfälle zu der Folge für den reichen Märtel, dass er von allen gemieden wurde. Niemand wollte gern etwas mit ihm zu schaffen haben. Man scheute ihn öffentlich, und er konnte deshalb gar oft nicht einmal die nötige Anzahl Dienstboten und Taglöhner für seine weitläufige Feldwirtschaft erhalten.

 

Aber noch hörten Gottes strenge Heimsuchungen nicht auf. Der Verlust seiner nächsten Lieben war es bisher, wodurch er in so verschiedene schmerzliche Verhältnisse geriet. Plötzlich aber erfasste das Unglück, das ihn beständig verfolgte, seine eigene Person. Eine schwere, qualvolle Krankheit warf ihn aufs Siechbett, an das er Jahre lang gefesselt blieb. Die geschicktesten Ärzte der benachbarten Städte erschöpften vergebens ihre Kunst an dem Kranken. Kein Mittel brachte Gedeihen. Als er endlich bis ins fünfte Jahr, von unsagbaren Peinen gefoltert, auf dem Schmerzenslager gestöhnt hatte, da schien es, als ob der Tod sich seiner als Beute bemächtigen wollte. Seine Entkräftigung nahm so überhand, dass eine baldige Auflösung als unabwendbar schien. Martin selbst glaubte dies und fing jetzt an, seine Gedanken auf sein Inneres zu richten und des Gerichts jenseits eingedenk zu sein, vor dem er nun bald werde erscheinen müssen. Er ließ, im Geist bußfertig unter dem heiligen Kreuz unseres göttlichen Erlösers kniend, die Bilder seiner Tage vor dem Auge seiner Erinnerung vorüberziehen und hielt in einer ernsthaften Gewissenserforschung die aufrichtigste Seelenschau. Wie viel hatte er da zu bereuen. Ach, viel Böses hatte er getan, und wie so viel Gutes unterlassen. Über keine seiner Sünden aber machte ihm sein Gewissen mehr Vorwürfe, als darüber: dass er lediglich aus Habsucht und Missgunst, aus Gier nach vergänglichem Geld und Gut jene kostbare Quelle, die seit Jahrhunderten so vieler Menschen Labung gewesen war, mit dem Einschütten des Quecksilbers vernichtet hatte. Das bitterste Herzleid wandelte ihn an, wenn er dieser seiner so schnöden Missetat gedachte. Von ganzem Herzen wünschte er, diese Sünde wieder gutmachen zu können, und tat daher feierlichst das Gelübde: „wenn je Gottes Gnade ihn von seiner martervollen Krankheit befreien würde, so solle sein erstes Geschäft sein, die vertriebene Quelle wieder aufsuchen zu lassen, und dabei eine kleine Kapelle zu Gottes Lob und Marias Ehre zu gründen.“

 

Und siehe was von keinem Menschen, von Martin selbst nicht, am wenigsten aber von den Verwandten, die sich schon heimlich auf die baldige reiche Erbschaft gefreut hatten, vermutet wurde, geschah nach Gottes Willen. Martins Krankheit nahm unversehens eine Wendung zum Besseren, und es konnte bald kein Zweifel mehr obwalten, dass völlige Genesung eintreten werde. Als die Nachricht davon sich in Werbach verbreitete, war jedermann erstaunt. Noch mehr aber steigerte sich die Verwunderung, als man hörte: Martin habe viele Taglöhner gedungen, um von ihnen die vertriebene Quelle wieder aufsuchen zu lassen. Viele schüttelten ungläubig die Köpfe. Jeder Zweifel jedoch, den noch einige Nachbarn darüber hegten, musste bald verstummen, als man den Wiedergenesenen an einem schönen Frühlingstag seinen ersten Ausgang machen und in Begleitung seiner Arbeiter den Berg, wo sich sein Gut befand, ersteigen sah.

 

Nun ging Tag für Tag ein emsiges Schaffen auf dem Acker vor sich. Bis zu beträchtlicher Tiefe wurde der Boden durchwühlt, aber die Quelle zeigte sich leider nicht. Martin kaufte schließlich für viel Geld die Grundstücke, die sein Gut begrenzten, um auch da seine Nachforschungen fortzusetzen, allein auch hier schien es, als ob kein Lohn der unendlichen Mühe zuteilwerden sollte.

 

Mittlerweile bestellte er bei einem geschickten Künstler eine Bildsäule der heiligen Muttergottes für die gelobte Kapelle, und einen Bildstock, den er auf der Stätte wollte errichten lassen, wo seine Braut ihm vor fünf Jahren so plötzlich entrissen worden war. Beide Bildwerke kamen nach Verlauf einiger Monate an, aber noch war die Quelle nicht aufgefunden. Da gab Martin den Befehl, einstweilen den Bildstock zu errichten, die Nachforschungen nach der Quelle sollten dann um so eifriger fortgesetzt werden. Und dem geschah also.

 

Als er nun eines Tages den Ort besuchte, um nachzusehen, wie weit die Arbeit vorgerückt sei, da berichteten ihm die Werkleute: sie hätten ganz in der Nähe am Ufer der Welz eine Quelle entdeckt, die noch keiner von ihnen so wie auch keiner der alten Männer, die sie bereits darum befragt hätten, jemals an diesem Ort gesehen habe. Martin ließ sich die Quelle zeigen und erstaunte sogleich über die Stärke ihres Sprudelns und den Wohlgeschmack ihres Wassers. Sie befand sich fast auf gleicher Höhe mit dem Spiegel des Baches im dichten Erlen- und Weidengebüsch, das sich am Ufer hinzog. Auch Martin hatte hier, obgleich er der Gegend überaus kundig war, noch nie etwas von einer Quelle bemerkt. Als er nun weitere Nachforschungen bei und mit erfahrenen Männern anstellte, da lautete endlich aller Urteil dahin: „diese und keine andere könne die einst vertriebene Quelle sein, denn sie vereinige alle die kostbaren Eigenschaften in sich, wodurch sich jene vor sämtlichen Quellen in der ganzen Umgegend ehedessen ausgezeichnet.“

 

Da Martin durch dieses einstimmige Urteil Gewissheit erhielt, so traf er Anstalten, seinem Gelübde gemäß, die Kapelle zu erbauen. Das war jedoch kein leichtes Unternehmen, indem man sich keinen ungünstigeren Bauplatz denken kann, als den, den eine höhere Fügung sich dazu auserlas. Indes ließ Martin sich durch kein Hindernis abschrecken. Alle Einwendungen der Bauleute wusste er zu überwinden. Ja, es schien, als ob gerade durch die Schwierigkeiten sein Eifer um so größer und sein Gottvertrauen um so stärker würde. Und so geschah es denn, dass die Giebelmauer der Kapelle mitten in die Welz hinein zu stehen kam, und dass, um zum Eingang zu gelangen, ein hölzernes Brücklein nötig war, wie man es in unseren Tagen noch sieht. Die Quelle selbst wurde schön in Stein gefasst und mit einem Gewölbe überdeckt, auf dem der Altar des Kirchleins sich erhebt. Besagtes Gewölbe unter dem Chor ist mit weisem Vorbedacht an beiden Stirn-Enden offen, damit, wenn die Welz bei Überschwemmungen höher steigt, sie mit einem Teil ihres Gewässers durch das Gewölbe strömen und dadurch nicht so leicht das Gebäude beschädigen könne.

 

Bald war durch Martins Eifer das Gelübde gelöst. Der Tag der Einweihung seiner Stiftung brach an. Er empfing vorher, würdig vorbereitet und andachtsvoll, die heiligen Sakramente und empfahl sich den Fürbitten der heiligen Muttergottes. Mit welchen heiligen, wohltuenden Empfindungen konnte er jetzt diesen Tag begrüßen. Wie freute sich seine im Feuer der Trübsal geläuterte Seele des gelungenen Werkes. Als er eine Menge Volks aus dem ganzen Tauber- und Welz-Grund, von nah und fern, herbeiströmen sah, um der feierlichen Einweihung anzuwohnen, hob er freudig die gefalteten Hände empor und innige Worte des Gebetes entströmten seinem vollen Herzen. „Dank dir, Allgütiger,“ rief er, „dass du so wundersam mich führtest, dass du durch schwere Züchtigungen von dem Erdentand mich erhobst, um in deine heilige Huld zu gelangen. Ja, ich fühle es – o ewiger Dank meiner Seele, sprich es jubelnd aus, - in der Nacht meiner Trübsale ging mir der Stern des Glaubens und der Liebe auf. Meine Sünden sind getilgt. Gottes Antlitz leuchtet mir wieder in väterlicher Milde, denn, auf die heiß erflehten Fürbitten Marias, machte seine unendliche Gnade mich zu einem besseren Menschen, als der ich war, und ich weiß mich nun versöhnt mit ihm, dem Allbarmherzigen, mit Maria und mit meinen Mitmenschen!“

 

Die Kapelle erhielt – nach Martins Wunsch – den Namen „Liebfrauenbronn“, den sie noch heute führt.

 

Von dieser Zeit an hatte Martin Stürmer lauter Glück und Segen. Seine Gemeinde erhob ihn einstimmig zu ihrem Vorstand, denn einen besseren Mann wussten sie nicht dazu zu erküren. Er, der sich nun überall so hoch geehrt und geliebt sah, fand auch bald eine Lebensgenossin wieder, die durch frommen Sinn und Herzensgüte seiner würdig war. Ihre stets so reichlich an die Armen gespendeten Almosen, stets im Namen der allerseligsten Jungfrau Maria verabreicht, nannte das dankbare Volk deshalb geradezu das „Marien-Almosen“.

 

Als Martins Augen wenige Jahre vor seinem Tod so schwach wurden, dass er fürchtete zu erblinden, da half ihm ganz allein das Wasser des Liebfrauenbronns, womit er sich jeden Morgen, und immer nur im Namen Marias, wusch. Und gleich ihm hat es noch manchem geholfen, die in demselben Anliegen ihre Zuflucht zu Maria und ihrem herrlichen Born nahmen, der im Sommer zwar eiskaltes Wasser hat, aber auch im härtesten Winter nicht mit Eis sich bedeckt.

 

Es sind mehr als hundert Jahre verflossen, seit Martin Stürmer die Kapelle „Liebfrauenbronn“ und den nahe dabei stehenden Bildstock stiftete. – Im Ganzen hat sich alles ziemlich unverändert erhalten. Die Welz zerstörte zwar einmal bei einer großen Überschwemmung einen Teil der Kapelle, allein es waren sogleich viele mildherzigen Seelen bereit, den Schaden zu verbessern und die Kapelle wieder ganz, wie sie gewesen war, herzustellen. Gar lieblich nimmt sie sich mit ihrem glänzenden Glockentürmchen auf dem dunklen Grund in ihrer waldigen Umgebung aus, die noch heut zu Tag den Namen „Stürmersholz“ und „Stürmersgut“ führt. Auf der Wiese umher stehen alte, reichbezweigte Weidenbäume. – Kein geringer Schmuck des lieblichen Plätzchens ist aber auch der Bildstock, den Stürmer setzen ließ. Er ist mit langen grauen Flechten dicht überwachsen, die ihm ein gar ehrwürdiges Ansehen geben. Durch die häufigen Überschwemmungen der Welz, die vielen Schlamm niederschlugen, erhöhte sich zwar der Wiesenboden des Tales so beträchtlich, dass fast der halbe Sockel des Bildstocks in der Erde wie versunken ist. Allein der größte Teil der Inschrift, wenn auch etwas verwittert, kann doch noch bequem gelesen werden.

 

Die Inschrift lautet:

 

„Betracht` den Tod, o Wandersmann,

Wie ungefähr er kommen kann,

Und was sich hier begeben.

Ein Bürd von Gras aufheben will,

Durch Unglück in die Sensen fiel,

Verluhr dabei das Leben.“

 

Weiter unten steht der Name der Braut, Maria Franziska Ehrlembachin, und die Jahreszahl 1747, den 4. Juli.

 

(Aus: Die Burgen, Klöster, Kirchen und Kapellen Badens und der Pfalz, von Ottmar Schönhuth, 1863)

 

2. Die Gnadenkapelle zu Brescia

 

Originell und voll wirklicher Herrlichkeit ist zu Brescia die Kirche Maria delle Grazie, die Gnadenkapelle in ihr, und auch der Vorhof.

 

Zu der Kirche wurde im Jahr 1522 der Grundstein gelegt, 1669 übernahmen die Jesuiten sie, die sie bis 1773 in ihrem Besitz hatten. Was der Geschmack der Zeit durch diese 104 Jahre geboten hat, das wurde in diesem Gotteshaus verwendet. Die Decken strotzen von Gold, Arabesken und Bildern, die mitunter von vortrefflichen Meistern herrühren.

 

Die eigentliche Gnadenkapelle – zeigt an ihren Wänden und an den Wänden des Vorhofs – man kann sagen Tausende von Votivbildern, die von frommen Dienern und Verehrern der gnadenreichen Mutter des Herrn nach erlangter Gesundheit oder Gebetserhörung, überhaupt aus Dankbarkeit, hier aufgehängt wurden.

 

Der Vorhof – im Gevierte gebaut – mit Arkaden von Marmorsäulen getragen, enthält mehrere Springbrunnen, bei denen jedem eine Menge aufsteigender Wasserstrahlen in frei auf Säulen schwebende Becken niederrauschen. Ein überaus schöner, lieblicher Anblick. Die Brunnen symbolisieren die ewigfließende Gnadenquelle in Jesus Christus, - an die sich der bedrängte Mensch durch die angerufene Fürsprache Marias wendet, um gnädige Erhörung und Gewährung seiner Bitten zu finden.

 

Da gehen Leute ab und zu – man hört im Vorhof Grüße sich gegenseitig erteilen, mitunter auch sprechen. Es wird fleißig gebetet. Sie kommen, die Mühseligen und Beladenen, und die da betrübten Herzens sind, und kaufen sich mit ihrem innigen Gebet Frieden, Heiterkeit und Gottergebung für den ganzen Tag, und haben es da mit einem Herrn und einer Mutter zu tun, die nicht betrügen und nicht betrogen werden können.

 

(Aus: „Ein eigenes Volk. Aus dem Venediger- und Longobardenland, Wien, Braumüller, 1858, von Dr. Sebastian Brunner)

 

3. Die Rauchfangkehrer-Kapelle in Ofen

 

In Siena wird ein uraltes Muttergottesbild verehrt, von dem die Legende erzählt: „es sei im Freien aufgestellt gewesen, zwei Männer hätten vor ihm gespielt, und der eine der beiden, der immer verlor, habe in voller Zorneswut einen Stein nach dem Bild geworfen und – das schwergetroffene Bild habe geblutet.“

 

Ein frommer Verehrer dieses Bildes, Johannes Franzia, aus Siena gebürtig, hatte sich als Rauchfangkehrer zu Ofen am Fuß des Festungsberges niedergelassen, und zwar dort, wo jetzt „Christiana-Stadt“ erbaut ist. Außer seinem Haus gab es damals dort kein anderes Gebäude.

 

Als unter der Regierung des Kaisers Joseph die Pest in Ungarn und besonders in Ofen wütete, gelobte Johannes Franzia: „wenn er und die Seinen von der Krankheit verschont blieben, nach Siena zu Fuß zu wallfahrten, das dortige wunderbarliche Muttergottesbild kopieren zu lassen und auf seinem Rücken nach Ofen zu bringen.“ – An ihm und den Seinen ging denn auch die Pest schonend vorüber, und als die so grässliche Krankheit gänzlich erloschen war, erfüllte er sein Gelübde. – In der Nähe seines Hauses, an einem sehr hohen Baum, stellte er das Gemälde zur Verehrung auf, und ein Rotdach schirmte es vor Wind und Wetter. – Die Bewohner von Ofen und Pesth wallfahrteten öfters zu dem Bild, und nach und nach erwuchsen die milden Gaben, hinreichend, um eine hölzerne Kapelle zu bauen.

 

Als später in Ofen wieder eine pestartige, ansteckende Krankheit herrschte, zogen die um Rettung Flehenden scharenweise zu dieser Muttergottes-Kapelle. Der Festungskommandant, ein Protestant, besorgte: dass die Versammlung der Betenden der Krankheit noch Vorschub leisten werde, ließ daher die Kapelle sperren und stellte eine Wache vor die Tür. – Eines Tages meldete die Wache beim Ablösen: die Glocke im kleinen Türmchen habe geläutet. Der Kommandant befahl, die Kapelle alsogleich zu durchsuchen, - es fand sich aber nichts. Den Wachen wurde nun verschärfte Aufmerksamkeit geboten. Die Bewohner von Ofen erkannten jedoch, dass von dem Tag an die Krankheit nachließ. – Später läutete es noch einmal. Die Kapelle wurde abermals, doch fruchtlos, durchsucht, aber an demselben Tag erlosch die Krankheit. Und von da an wuchs der Andrang der Gläubigen zu der Kapelle des Rauchfangkehrers.

 

Seit jener Zeit, in der die große Kaiserin Maria Theresia auf ihrer Reise in Ungarn (1751) die Kapelle des Rauchfangkehrers besucht und ihre Andacht bei dem Marienbild daselbst verrichtet hatte, wurden von mehreren angesehenen Familien verschiedene Kapitalien gestiftet. Und als durch zahlreiche Ansiedlungen eine neue Vorstadt, die zu Ehren einer Tochter der Maria Theresia den Namen „Christiana-Stadt“ erhielt, erwies sich die Kapelle als zu klein. Sie wurde abgetragen, die noch jetzt stehende stattliche Kirche erbaut und zur Pfarrkirche erhoben, aber den alten Namen hat man festgehalten. Der Deutsche nennt sie noch immer die „Rauchfangkehrer-Kapelle“, der Magyar aber, in Erinnerung an das ursprüngliche Bild in Siena, „Vér Kápolna, Blut-Kapelle“.

 

Noch jetzt lassen sich, wenn auch anderen Pfarreien angehörend, gar oft Brautpaare, besonders aus den höheren Ständen, in dieser Kapelle trauen. Sie wollen ihre Ehe dem Schutz der heiligen Muttergottes empfehlen.

 

(Aus: Sagen und Legenden aus Ungarns Vorzeit, Alois Freiherrn von Mednyánszky, 1829)

 

4. Die Kapelle zur Schönen Maria zu Regensburg

 

Die Kapelle zur Schönen Maria, erbaut auf dem schönsten Platz der Stadt Regensburg, zieht, ob der Eigentümlichkeit ihrer Konstruktion, die besondere Aufmerksamkeit des Beschauers auf sich. Es verläuft aber die wundersame Baugeschichte dieser Liebfraue-Kapelle wie folgt:

 

„Im Jahr 1519 kamen die Juden in Verdacht, dass sie Christen-Kinder heimlich verzuckt und hingerichtet hätten. Eingezogen, gütlich und peynlich besprecht, haben Siebenzehn ausgesagt und bekennet. Gegen denen Juden ist man hierauf eylends zugefahren, und hat sie sammt und sonders bis auf Einen, ehe sie sich versehen, aus der Stadt geschafft, worauf männiglich ihre Synagog angefallen und niedergerissen, ihre Häuser ruinirt, die Mauern ihrer Begräbniß vor dem Weyh-St.-Peters-Thor auf den Boden gelegt, über die 4000 Grabstein aufgehebt und die mehriste hernach zu Unser Lieben Frauen, der gantz Schönen Maria, applizieret.“

 

Diese Synagoge der Juden, ein „altes gewölbtes Gebäu“, stand auf dem Platz, wo jetzt die „Neu-Pfarr“ sich erhebt.

 

Sobald die Synagog zerstöret war, hat man aus Anstellung des allhiesig Hochfürstlichen Hoch-Stifts Administratoris Herrn Joannis III. Pfaltz-Grafen und Hertzogens in Bayrn zc. eine kleine hiltzene Capellen in Unser Lieben Frauen Ehr an selbiges Orth gebaut.“

 

Die Kapelle, die am 21. März 1519 eingeweiht wurde, zierte ein schlankes Spitztürmchen. Das Bild der Schönen Maria von Ehrhard Haydenreich gemeißelt, stand auf einer Säule vor der Kapelle.

 

Wunderbar geschah es, dass erst die Bewohner der Stadt, dann die Landleute in der Nähe, endlich aus weit entlegenen Orten eine große Andacht zu Unserer Lieben Frau bekamen, in ungezählten Scharen herbeiströmten und tausendfache Hilfe von der göttlichen Gnadenmutter erlangten. Oft waren 50.000 Kirchfahrter versammelt. Manche Prozession kam zwanzig Meilen Wegs daher. Großes Gut wurde zu dem Wundrbald geopfert. Am 2. Juni 1519 verlieh Papst Leo X. reiche Indulgenz den frommen Pilgern zur „Schönen Maria“ in Regensburg. Dreiundzwanzig Cardinäle besiegelten die Bulle, die der Stadtkämmerer Simon Schwebel und der Bürger Kaspar Amman „follicitirt“ hatten. So genügte binnen kurzer Zeit die Holzkapelle dem Volksandrang nicht mehr. Noch im Jahr 1519 brach man sie ab, grub um das Fest der heiligen Margareta das Fundament einer neuen Kirche und senkte am 7. September den interessant beschriebenen Grundstein in die Tiefe. Der Bau der neuen Kapelle gedieh in nie geschauter Schnelligkeit. Viele Bürger und Pilger legten selbst Hand an, und das nächste Jahr sah ihn bereits größtenteils zu der jetzigen Gestalt geführt. Hanns Hüber von Augsburg war Obermeister der „Werchhütte des Bawes der Schönen Maria“.

 

Die außerordentliche und wunderbare Andacht zu Unserer Lieben Frau steigerte sich sofort zu höchster Liebe und Begeisterung, wie auch die Gnaden und Wunder der glorreichen Himmelskönigin sich mehrten. Und es kamen nach Regensburg zur „Schönen Maria“ Jung und Alt, Männer und Frauen, Geistliche und Laien – alle, um dem Drang des Herzens zu genügen, bei der himmlischen Gnadenmutter zu beten und Hilfe zu erlangen. Der Handwerksmann verließ sein Geschäft, der Landmann das Feld, der Knecht den Stall, die Mutter der Herd, die Tochter die Mutter – und sie alle eilten bei Tag und bei Nacht, und im Winter wie im Sommer, so schnell sie vermochten, nach Regensburg. Soll man da in Erstaunen geraten, wenn von Unserer Lieben Frauen Verkündigung 1519 bis zu demselben Fest 1522, also in drei Jahren, 25.374 heilige Messen und Ämter in und außerhalb der Kirchen gelesen und gesungen wurden? Wenn sogar wegen des ungeheuren Zusammenlaufes der Kirchfahrter „eine geschwinde Pestilenz in der Stadt entstieg, davon in anderthalb Jahren bei 3000 Menschen starben?“

 

Sechs bis sieben Jahre dauerte nach protestantischen Zeugnissen - diese Begeisterung. Es ließ sogar ein hoher Rat von Regensburg in den Jahren 1519 und 1522 Traktate drucken, worin alle hier geschehenen wunderbaren Begebenheiten erzählt werden. P. Christophorus Hoffmann, Chronist von St. Emmeram, hat als Zeitgenosse diese Historie genau so beschrieben. In Bild und Poesie verherrlichte man gleichzeitig die Gnadenmutter, und noch blieb vieles bis in die Gegenwart erhalten. Die gelehrten Äbte von St. Emmeram, Cölestin und Johannes, hinterließen tiefdurchdachte und wohlbegründete Abhandlungen über den Bau der Kapelle „zur Schönen Maria“.

 

Alle diese Ereignisse scheinen uns aber einen gar tiefen Sinn zu haben.

 

Der Bau der Kapelle „zur Schönen Maria“ veranlasste in Regensburg das letzte Aufflammen der religiösen Begeisterung, der Liebe zu Maria am Ablauf der mittleren glaubensfrohen Zeiten. Obgleich da die himmlische Gnadenmutter alle ihre Schätze zu bieten schien, um Regensburg und seine Söhne bei den wilden, das deutsche Vaterland zerspaltenden Zeitstürmen in alter treuer Hingabe zu bewahren, so ist es dennoch – durch der Menschen Sinn – anders geworden. Nach 20 Jahren nämlich, 1542 fand die neue Lehre der sogenannten „Reformation“ Eingang in der Reichsstadt. Da missachtete man in schnödester Weise die heilige Muttergottes, zertrümmerte das Gnadenbild, nannte jene wunderbare Andacht „Zauberei“ und leugnete die klar und eidlich vom katholischen Rat in den Jahren 1519 und 1522 erwiesenen Wunder.

 

Die Protestanten nahmen sofort die Kapelle „zur Schönen Maria“ in Besitz, und so wurde die letzte Kirche, die das katholische Regensburg erbaute, die erste Stätte für den protestantischen Kultus.

 

(Aus: Künstler und Kunstwerke der Stadt Regensburg von A. Niedermayer, Landshut 1857)

 

5. Die Immaculata-Kapelle auf dem Hohkreuzberg bei Aulendorf

 

Unmittelbar im Hintergrund des schönen Marktfleckens Aulendorf in Oberschwaben erhebt sich ein hübsch geformter, getreidereicher Hügel, der „Hohkreuzberg“ genannt wird. Den Fuß dieses Hügels bilden ein geschmackvoll angelegter Hofgarten und die zierlichen Anlagen des Grafen von Königsegg. Von diesen Anlagen aus schlängelt sich ein zu beiden Seiten mit jungen Obstbäumen bepflanzter Pfad in sanften Windungen durch die üppigen Korn- und Gerstenfelder hinauf bis zur Hügelspitze, von wo aus ein sehr hohes Kreuz aus Eichenholz und eine schöne gotische Kapelle weithin die ganze Gegend beherrschen.

 

Wahrhaft wundervoll ist das Panorama, das sich hier von dieser luftigen Höhe, die die Wasserscheide zwischen dem Rhein und der Donau bildet, vor des Beschauers Blicken ausbreitet, und wird in ganz Oberschwaben wohl kaum seines Gleichen finden. Zunächst am Fuß des Hohkreuzberges lagert sich der hübsche Flecken mit seinem altertümlichen Schloss des Grafen von Königsegg, mit seinem stattlichen Kirchturm, mit seinen großartigen Bahnhofs- und Herrschaftsgebäuden und seiner langen Häuserreihe, die mit den vielen Obstgärten die Basis des Hügels wie mit einem Kranz umsäumt. In der nächsten Umgebung von Aulendorf dehnt sich zur Rechten der Hinterwald mit seinen zahllosen, so malerisch zwischen Getreidefeldern, Gärten und Wäldchen versteckten Bauernhöfen aus, während sich zur Linken die glänzende Fläche des kleinen Steyer-Sees spiegelt und mit ihren Wellen den eleganten gräflichen Hirschpark bespült. Lässt der Beschauer sein Auge weiterhin schweifen, so gewährt er gegen Norden die ehemalige Prämonstratenser-Abtei Schussenried, in deren friedlichen Räumen seit der Vertreibung der Söhne des heiligen Norbert durch die Säkularisation jetzt ein Hochofen glüht und die Hammerschläge der Eisenschmiede ertönen. Gegen Osten zeigt sich das gemütliche, von zwei Seen ganz umgebene Landstädtchen Waldsee und in dessen nächster Nähe der Frauenberg mit seiner vielbesuchten Wallfahrtskapelle. Etwas gegen Süden schaut das so schön auf einer Anhöhe gelegene Dorf Reuthe, dessen stattliche Pfarrkirche die sterblichen Überreste der großen Wundertäterin Schwabens, der seligen Elisabetha Bona aus dem Franziskaner-Orden (+ 1420, beatifiziert von Clemens XIII. im Jahr 1766) in seinen Mauern birgt, kühn auf das Schussental hernieder. Von Osten nach Süden zieht sich der mächtige Altdorfer Wald hin, hinter dem die weiße Turmesspitze der Wallfahrtskirche zu Bergatreuthe schüchtern hervorlugt, indes die ganze bewaldete Hügelkette von dem uralten Schloss Waldburg, dem Stammsitz des berühmten Adelsgeschlechtes gleichen Namens, überragt wird. Am südlichen Ende des Altdorfer Waldes erblickt man die herrliche ehemalige Benediktinerabtei Weingarten mit ihrer prachtvollen Wallfahrtskirche zum Heiligen Blut, und ganz im Süden das überaus reizend gelegene, turmreiche Städtchen Ravensburg, das von so malerischen, rebenumrankten Höhen umgeben ist, deren höchste Spitze die Ruinen der Veitsburg krönen, allwo die Wiege der Welfen, der gewaltigen Ahnherren des englischen und hannoverschen Königshauses, gestanden. Von Süden nach Westen entdeckt des Beschauers unbewaffnetes Auge in bedeutender Ferne einen langen, grauen Nebelstreifen, in dem es bald den Wasserspiegel des schwäbischen Meeres erkennt. Der gewerbsame Flecken Altshausen mit seinem großartigen königlichen Lustschloss, in dem vor der Säkularisation die Ritter des deutschen Ordens gehaust, bildet im Westen den Schluss zu dem prachtvollen Mittelfeld des Panoramas.

 

Noch viel großartiger ist aber der Hintergrund der weiten Landschaft, die des Wanderers Blick von des Hohkreuzberges Höhe beherrscht. Die ganze Riesenkette der bayerischen, vorarlbergischen und schweizerischen Alpen windet sich wie eine kolossale Erzgirlande um den äußersten Rand des großartigen Panoramas. Deutlich lassen sich die einzelnen Gebirgs-Athleten unterscheiden, und besonders kühn und trotzig starren der Hochvogel bei Immenstadt, die drei Schwestern bei Vaduz im Fürstentum Lichtenstein, der hohe Kasten im Kanton St. Gallen und der eisgepanzerte Hochsäntis im Appenzeller Land auf die oberschwäbische Hochebene herunter. An hellen Sommertagen erblickt man bei Sonnenuntergang oft das ferne, von den Strahlen der Abendsonne beleuchtete Jägerhaus auf dem schwarzen Grat bei Isny im Allgäu und gar manche funkelnde Kirchturmspitze auf den noch viel weiter entfernten schweizerischen Vorgebirgen.

 

Kein Wunder also, wenn der Hohkreuzberg von jeher ein sehr besuchter Ausflugsort gewesen. Der fromme Sinn des Volkes, der schöne Punkte der Natur so gern dem Allerhöchsten oder einem seiner Auserwählten heiligt, erkor auch den Hohkreuzberg zu einer der Andacht geweihten Stätte und errichtete an der höchsten Stelle des Hügels ein sehr hohes Kreuz, das ihm in der Folge den Namen gab. Schon mehrere Jahrhunderte dürften jetzt verflossen sein, seitdem fromme Pilgerscharen namentlich zur Frühlings- und Sommerszeit hinaufwallen zum Bild des Erlösers und den Geber aller Gaben in ihren Nöten gläubig anflehen. Das Kreuz, das gegenwärtig die Zierde des Berges bildet, wurde im Jahr 1842 errichtet.

 

Das war aber noch nicht genug. Dem Hohkreuzberg war ein noch größerer Schmuck, ein noch viel bedeutenderer Zulauf von Seite des gläubigen Volkes beschieden. Als nach einer langen Nacht die Sonne eines erneuten, erfrischten kirchlichen Lebens über Deutschlands Gauen hereinzuschimmern begann, erwachte auch die alte innige Liebe zur Gottesmutter und zu den lieben Heiligen wieder. Die in vielen Gegenden lange Zeit verlassenen Gnadenorte und Wallfahrtsplätze, denen unsere frommen Väter so vieles geopfert haben, wurden allmählich wieder besucht, und selbst neue Kirchen und Kapellen erstanden bald zum Preis der Himmelskönigin und verschiedener anderer heiliger Patrone. Nach der Verkündigung des Dogmas der Unbefleckten Empfängnis Marias durch Pius IX. im Jahr 1854 schien sich ein wahrer Wetteifer aller echten Katholiken zu bemächtigen, der allerseligsten Jungfrau die größte Verehrung zu zollen. Überall wurden zum Lob der unbefleckt Empfangenen Kirchen und Kapellen erbaut und Ehrensäulen und Statuen errichtet. In der altkatholischen Stadt Aachen erhob sich ein prachtvoller gotischer Tempel der Himmelskönigin zu Ehren, und zu Linz an der Donau wird ihr sogar ein neuer, herrlicher Dom gebaut.

 

Seitdem überall der erfrischende Hauch eines tieferen religiösen Lebens und einer erneuten Frömmigkeit zu wehen begann, wollten auch die wackeren Glieder der umfangreichen Pfarrgemeinde Aulendorf nicht zurückbleiben und beschlossen, der Gnadenmutter gleichfalls ein Denkmal zu setzen. Der treffliche Ortspfarrer Mesmer unterstützte das fromme Vorhaben seiner Pfarrkinder auf das kräftigste und wählte der Hohkreuzberg als den passendsten Ort für die beabsichtigte Kapelle. In eigener Person ging er sodann von Haus zu Haus, um die nötige Summe zum Bau zu sammeln. In kurzer Zeit war sie beisammen, denn der edle Graf von Königsegg beteiligte sich mit einer sehr namhaften Gabe an dem schönen Werk, und die körnigen, wohlhabenden Bauern Aulendorfs und des Hinterwaldes erweisen sich stets als großmütige Seelen, wenn man sie in der rechten Weise anzugehen versteht. Im Frühjahr 1857 wurde mit dem Bau begonnen und im folgenden Frühjahr konnte die schöne Immaculata-Kapelle schon eingeweiht werden. Die Einweihungsfeierlichkeit fand unter einem großen Zulauf von Pilgern von allen Seiten her statt, und seit dieser Zeit vergeht kaum ein Tag, an dem nicht mehrere Scharen frommer Waller zu der Gnadenmutter auf dem Hohkreuzberg eilen. Wenn der Andrang der Pilger sich alle Jahre in dem Maße steigert, wie es seit 1858 der Fall ist, so wird die Immaculata-Kapelle in Bälde einer der beliebtesten und besuchtesten Wallfahrtsorte Oberschwabens sein.

 

Die Kapelle ist sehr hübsch im gotischen Stil gebaut, nur entbehrt sie eines gotischen Türmchens. Das Innere der Kapelle ist dagegen um so lieblicher. Auf einem zierlich geschnitzten gotischen Altar thront eine sehr gelungene Statue der unbefleckt empfangenen Jungfrau Maria, und vier Glasfenster schmücken den hübschen Chor. Die Stelle des Gewölbes im Schiff vertritt ein prachtvoll geformter offener Dachstuhl nach dem Vorbild der herrlichen Basilika in München. Mit Wehmut wird aber die Seele eines jeden Beschauers des lieblichen Marientempelchens erfüllt, wenn man sieht, wie an schönen Tagen der ehrwürdige Priester in einem Handwägelchen mühsam den Hügel heraufgezogen wird, der die erste Anregung zu diesem edlen Werk gegeben und das meiste zur seiner Ausführung getan hatte. Er ist schon seit drei Jahren durch einen Schlaganfall seiner körperlichen Kräfte beraubt, kann es sich aber dennoch nicht versagen, die geliebte Kapelle, so oft es nur tunlich ist, mit der größten Anstrengung zu besuchen.

 

(Aus: Münchener Sonntagsblatt von Dr. Ludwig Lang, geschildert von J. B. Müller, Frankfurt am Main, 1866)