Betrachtungen
Inhalt:
1. Ihr Name aber war Maria
2. Die Andacht zu Maria
3. Kommt zu Maria der Sünder...
4. Das Gnadenbild vom Christkind
5. Die Sunamitin
6. Das hochheilige Weihnachtsfest
7. Ist der Allerseelenmonat ein Marienmonat?
8. Ein Wahlspruch
9. Erst Leid, dann Freude
10. Ich bete dich an!
11. An der Schwelle des Advent
12. Weihnacht
13. Die heilige Kommunion in Begleitung der Gottesmutter Maria für die armen Seelen im Fegfeuer
Die Betrachtungen aus der Tradition der Kirche sollen beim gläubigen Christen ein wahrhaftes Vertrauen erwecken und zur getreuen Nachfolge Jesu und Mariä aufmuntern. Das ist die erste und wichtigste Absicht. Allen anderen, die diese Betrachtungen lesen, wird Gelegenheit gegeben, die alten Spöttereien wieder aufzuwärmen. Die Betrachtungen über Maria, die Heiligen und wunderbare Begebenheiten aus der langen Geschichte der Kirche, sollen auch unsere Liebe zu Gott vermehren. Als der hl. Antonius von Padua etwa 5 Jahre alt war und noch bei den Eltern lebte, klopfte eine Tages - es war an einem kalten Wintertag - jemand an der Tür. Der kleine Antonius hörte dieses Klopfen, eilte zur Tür und öffnete sie. Was sah er? Ein kleines Kind stand vor ihm, barfuß und ärmlich gekleidet; auf dem Rücken trug es einen kleinen Bettelsack. Der kleine Anton warf einen neugierigen Blick in diesen Sack und statt der Brote, die er darin zu sehen erwartete, erblickte er zu seinem Erstaunen lauter rote Herzen, die wie kostbare Rubine leuchteten. Da fragte Antonius: "Wer bist denn du? Was willst du?" Das Kindlein antwortete: "Ich bin ein Königssohn und gehe betteln um die Herzen der Menschen. Ich will auch dein Herz." Da sprach Antonius: "Wie heißt du?" Das Kindlein antwortet: "Ich brauche dir meinen Namen nicht erst zu sagen; denn deine liebe Mutter hat dir ihn schon gesagt; denn ich bin Jesus." Daraufhin verschwand das Kindlein. Auch die Betrachtungen wollen uns nahelegen, dass sich der liebe Gott nach den Herzen der Menschen sehnt, dass er also von uns geliebt sein will.
Matthias Hergert
1. Ihr Name aber war Maria
Dem Kind einen Namen zu geben, ist heiliges Recht der Eltern. Gott selber hat dieses Recht ausgeübt, als er am Anfang der Geschichte Menschen und Tieren einen Namen gab. Er hat mit dem Namen das Wesen der Dinge bezeichnet. Der Name deutete an, was die Dinge sind oder sein sollten. Die Eltern handeln als Gottes Stellvertreter, wenn sie ihren Kindern einen Namen geben. Gewiss, sie durchschauen nicht das Wesen und die künftige Bedeutung ihres Kindes und der Name ist daher nicht so bedeutungsvoll, wie wenn Gott selber ihn gäbe oder wenn Eltern unter dem Einfluss seiner besonderen Leitung das Recht der Namensgebung ausübten.
Joachim und Anna, die so lange Jahre auf dieses Kind gewartet hatten, handelten sicher unter der besonderen Leitung Gottes, als sie das langersehnte und lang erbetete Kind Mirjam, Maria nannten. Sie glaubten, sie selber würden den Namen geben, aber tatsächlich führten sie Gottes Ratschluss aus. Sie wussten ja nicht, welche Lebensbestimmung dieses Kind einst haben sollte, und doch gaben sie einen Namen, der seiner Bestimmung gerecht wurde. Er sollte nächst dem Namen Gottes und seines eingeborenen Sohnes der heiligste und ehrwürdigste Name im Himmel und auf Erden werden.
Gelehrte und ungelehrte Marienverehrer aller Zeiten haben sich von jeher mit der Deutung dieses Namens beschäftigt. Man behauptet, es gäbe 60 verschiedene Erklärungen, und jede beanspruche, die beste zu sein. Die ältesten und wohl auch die schönsten Erklärungen der Kirchenlehrer sagen, Maria bedeute „Herrin, Gebieterin, Mächtige, Starke, Erhabene“. Diese Erklärung hat ihren Widerhall in vielen Sprachen gefunden. Die Italiener nennen Maria Madonna, meine Herrin, die Franzosen und Spanier ehren sie als „Unsere Herrin, Notre Dame, Nuestra Senora“. Den schönsten und innigsten Ausdruck aber fand diese Erklärung im deutschen Mittelalter, das Maria als „Unsere Liebe Frau“ verehrte. Frau war damals der Titel für vornehme, adelige, ritterliche Damen. Andere Erklärer geben dem Wort einen ganz anderen Sinn. Sie sagen, es bedeute „Bitterkeit des Meeres“.
Am verbreitetsten aber ist wohl die Deutung des Namens als „Stella maris, Meeresstern“. Sie erinnert an ein Bild der Geheimen Offenbarung, wo es heißt: „Es erschien ein großes Zeichen am Himmel, eine Frau, mit der Sonne umkleidet, den Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen.“ Diese Deutung wurde ungeheuer volkstümlich, weil sich vor allem die Dichtung ihrer bemächtigte und in vielen Liedern Maria als Meeresstern feierte. Man denke nur an die Lieder „Stern auf diesem Lebensmeere“, „Meerstern, ich dich grüße“, „O Stern im Meere“, „Ave maris stella“. Maria steht wie ein lichter, makelloser Stern über uns, als unsere Wegweiserin auf dem Meer des Lebens, damit wir sicher zum Hafen der Ewigkeit gelangen. Immer wieder werden wir ermahnt, aus den Härten des Lebens hinaufzuschauen zu den lichten Höhen der Sterne. Und unzählige Menschen, die sich verirrt hatten, ruder- und steuerlos sich Wind und Wellen preisgegeben sahen, haben, wie sie selber bekannten, den richtigen Weg zu Gott, der höchsten Wahrheit, gefunden durch Maria, den hellen Meeresstern.
Darum durfte schon der große Minnesänger Marias, der heilige Bernhard, Maria preisen als „hellleuchtenden, hilfreichen, tröstenden und wegweisenden Stern“. Und in einem ganz wunderbaren Loblied auf Maria forderte er die Christen auf, in allen Lebenslagen zu diesem Stern aufzuschauen und den Namen Maria anzurufen.
Friedrich Wilhelm Weber hat den gleichen Gedanken in dichterischer Form Ausdruck gegeben in den Versen:
Es gibt so bitt`re Stunden
im wirren Lebenslauf,
da brechen alte Wunden
mit neuen Schmerzen auf.
Der Frühling ist verdorben,
der Sonnenschein erstorben,
und trüb und schwer der Mut:
da denk ich dein, Maria,
und gleich ist alles gut.
Der Name Maria erscheint auf dem ersten und dem letzten Blatt der Heiligen Schrift. Denn sie ist die Frau, die in der Schöpfungsgeschichte als Retterin der Menschheit verheißen wird, und auf dem letzten Blatt der Schrift erscheint sie wiederum als Mutter der Erlösten, der Kirche, gegen die die Mächte der Unterwelt vergebens ankämpfen.
Seit dem ersten Magnifikat auf Erden, als Maria voraussagte, dass ihr Name selig gepriesen würde von allen Geschlechtern, ist ihr Lob auf Erden nicht mehr verstummt. Die äußeren Formen der Marienverehrung haben sich wohl geändert, aber die Verehrung selbst hat nicht nachgelassen. Die Kirchenlehrer und Gottesgelehrten, die Dichter, Baumeister und Maler haben in heiligem Wetteifer ihr Lob gesungen. Die Orden und Gemeinschaften, die ihren Namen tragen und ihre Verehrung besonders fördern wollen, haben sich über die ganze Welt verbreitet und tragen das Lob ihrer Herrin und Königin mit jedem Tag weiter in die heidnische Welt, damit alle ihre Mutter erkennen und lieben.
Und wer kann sagen, wie viele Ave Maria täglich auf Erden gebetet werden, wie viele Stoßgebete zu ihr hinaufdringen! Und jedes Ave und jedes Stoßgebetlein ist wie ein inniger Gruß und wie ein herrliches Lob auf Maria. Millionen von Glocken läuten ihr zu Ehren, über die ganze Erde ziehen sich die Wallfahrtsorte, wo man ihr Lob singt und feiert. Unzählige heben ihre Hände zu ihr empor, ihre guten, reinen, getreuen Kinder sowohl als auch jene, die in die Irre gegangen waren und nun heimkommen zur Mutter und ihre Güte und Barmherzigkeit preisen. Wir können uns die Welt gar nicht mehr vorstellen ohne Maria, ebenso wenig wie wir sie uns vorstellen können ohne Christus. Seite an Seite mit ihm kam sie zu unserer Rettung, Seite an Seite steht sie mit ihm im Himmel, um für uns Fürbitte einzulegen, Seite an Seite steht ihr Altar neben dem Christusaltar in unseren Kirchen. Sie hat uns einst Christus gebracht und sie tut es noch immer, und soll uns besonders in der Ewigkeit zu ihm führen. Darum beten wir im Salve Regina so gern: „Und nach diesem Elend zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes.“
Das wollen wir an jedem Tag und besonders am Fest ihres heiligen Namens tun und aus tiefstem, dankbaren, frohen Herzen dem Engel den einzigschönen Gruß nachsprechen:
Ave Maria !
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2. Die Andacht zu Maria
Ob wir wohl einmal in den Himmel kommen, oder ob wir zur Zahl jener Unglücklichen gehören, die Gottes Antlitz niemals schauen werden? – Wer könnte uns bloß diese Sorge nehmen, wer könnte uns sagen: „Sei ruhig und fürchte dich nicht, denn du hast ja ein Merkmal an dir, dass dein Name ins Buch des Lebens eingeschrieben ist!“ –
Doch nein, wir brauchen nicht andere um unser ewiges Los zu befragen, wir können uns selbst die Antwort geben. Denn es gibt wirklich ein Kennzeichen, das nur jene an sich tragen, die Gott der Herr selig machen will – nämlich die Andacht zu Maria. Wer sich das Zeugnis geben kann, dass er Maria aufrichtig liebe und verehre, der besitzt ein Unterpfand des Himmels, der darf voll Zuversicht und froher Hoffnung seinem Lebensende und dem Gericht entgegen sehen.
Auf den ersten Blick scheint diese Behauptung zu schön, um wahr zu sein, und doch ist sie nicht etwa nur eine fromme Phantasterei, sondern die einstimmige Lehre aller Heiligen und Gottesgelehrten. Der hl. Anselm z.B. äußert sich dahin: wie derjenige unmöglich selig werden könne, der keine große Andacht zu Maria habe und der von ihr nicht beschützt werde, so werde unmöglich verloren gehen, wer immer die Mutter des Herrn kindlich verehre und sich ihre Huld erwerbe. Auf ähnliche Weise drückt sich der hl. Antonin aus: „Gleich wie es unmöglich ist, dass die, von denen Maria die Augen ihrer Barmherzigkeit abwendet, zur Seligkeit gelangen, so müssen notwendigerweise auch alle, auf die sie ihre Augen richtet und für welche sie Fürbitte einlegt, gerettet und verherrlicht werden.“ Der hl. Alphons von Liguori hat diese und viele andere Aussprüche von verschiedenen Heiligen in seinem Buch über die „Herrlichkeiten Marias“ gesammelt und er fügt seinerseits hinzu, man könne von einem treuen Diener Mariens mit dem hl. Paulus sagen: „Er hat dieses Siegel: es kennt der Herr die Seinen.“ (2 Tim 2,19): „Wer diese Andacht zu Maria als ein Siegel an sich trägt, den erkennt Gott als den Seinigen und er kann dies mit dem hl. Bernhard als ein sicheres Zeichen der Erlangung der künftigen Seligkeit betrachten.“ Der große Bischof war davon so fest überzeugt, dass er selbst mit fast ängstlicher Genauigkeit an seinen gewöhnlichen Andachtsübungen zu Ehren der Himmelskönigin festhielt. Als er in den letzten Jahren seines Lebens ans Krankenlager gefesselt war, fragte er eines Abends den ihn bedienenden Laienbruder, ob er an diesem Tag auch schon den Rosenkranz gebetet habe. Der Krankenwärter antwortete, um ihn zu beruhigen: „Ich glaube, Sie haben ihn gebetet.“ „Ich glaube, ich glaube,“ erwiderte der Heilige, „bist Du sicher? Du weißt also nicht, dass von der Andacht zu Maria mein ewiges Heil abhängt?“
Dieser tröstliche Glaube der Heiligen stützt sich wie auf zwei starke, unerschütterliche Säulen namentlich auf die Macht und Güte Mariens. Auf der einen Seite ist es nämlich gewiss, dass Maria uns retten kann, wenn sie will. Denn infolge eines Gesetzes der göttlichen Vorsehung kommen uns alle Gnaden durch ihre Vermittlung zu. Sie ist die Schatzmeisterin, die Ausspenderin der Gnaden. „Keine Gnade“, sagt der hl. Bernardin, „senkt sich vom Himmel auf die Erde nieder, sie gehe denn durch Marias Hand.“ So hat es Gott gewollt, weil Maria mit ihrem göttlichen Sohn zur Erlösung der Menschen mitgewirkt hat.
Andererseits ist es ebenso unzweifelhaft, dass die seligste Jungfrau sich am Thron Gottes vor allem für jene verwendet, die ihr treu ergeben sind und beständig und vertrauensvoll ihre Zuflucht zu ihr nehmen. Wie die Königin Esther den König Assuerus für ihr ganzes Volk um Schonung bat, so legt Maria für alle Menschen Fürbitte ein, aber in besonderer Weise für ihre eifrigen Verehrer. Deshalb legt ihr die hl. Kirche die Worte der hl. Schrift in den Mund: „Ich liebe, die mich lieben; und die frühe zu mir wachen, werden mich finden. Bei mir sind Reichtum und Ehre, überschwängliche Güter und Gerechtigkeit.“ (Sprichwort 8,17-18).
Recht sinnig drückt dies die naive Legende aus, in der sich unsere Vorfahren erzählen ließen, wie der erste Schwarzafrikaner in den Himmel gekommen sei.
Als es nach vielen Jahrhunderten, so erzählt die Sage, endlich einem aus diesem Geschlecht gelungen war, das Himmelreich und die Pforte des himmlischen Jerusalem zu finden, da habe er auch herzhaft an derselben angepocht, um eingelassen zu werden. Bald habe auch St. Petrus den ihm übergebenen Schlüssel des Himmelreiches ins Schloss geschoben, zurückgedreht und etwas die Pforte geöffnet. Doch kaum sei er des Himmels-Reisenden, der in seiner ganzen Größe und Schwärze draußen stand, ansichtig geworden, so habe er vor Schreck die Tür gar eilends wieder zugeworfen und den armen Mann umsonst um Einlass rufen lassen. Was sollte der jetzt beginnen? Sterbenstraurig setzte er sich nach langem Harren nieder und weinte bitterlich; und sein Schmerz war um so untröstlicher, weil sowohl ihn wie seine Stammesgenossen die ersten Glaubensboten einer guten Aufnahme im Himmel versichert hatten. Sein lautes Weinen machte die Königin des Himmels, die eben von den Mauern zu ihrer lieben Erde hinabsah, auf ihn aufmerksam und voll Liebe und Milde rief sie ihm zu, was er denn habe und weshalb er weine. Er brachte schluchzend sein Anliegen vor und bat die schöne liebe Frau, ihm doch das Tor wieder aufmachen zu lassen, das sie ihm verschlossen hätten. „Über dieses Tor“, lautete die Antwort, „habe ich keine Macht, aber gehe auf die entgegengesetzte Seite der Himmelsmauer, dort ist ein Hinterpförtchen, an dem klopfe an, so werde ich dir auftun heißen.“ Der arme Mann flog mehr als er ging zur bezeichneten Stelle, pochte mit aller Gewalt und lag der Himmelskönigin zu Füßen.
Das ist eine kindlich-einfältige Erzählung, und doch tut ihr Kern, ihr Geist dem gläubigen Gemüt so wohl. Der Gedanke, der ihr zugrunde liegt, ist eben kein anderer, als dass Maria oft dem ärmsten, schwärzesten Sünder noch zur Seligkeit verhilft, wenn er recht innig ihre barmherzige Liebe anfleht. Selbstverständlich gilt dies nicht von den verstockten Sündern, die da glauben, sich hinter einigen Andachtsübungen zur lieben Muttergottes gleichsam verstecken zu können, um desto ungestörter ihren Lastern zu frönen. Solche warnt der hl. Alphons: „Wenn ich sage, dass ein Verehrer der Gottesmutter nicht verloren gehen könne, so verstehe ich natürlich darunter keinen, der seine Andacht zu dem Zweck missbraucht, um mit größerer Zuversicht sündigen zu dürfen . . . Solche verwegene Menschen verdienen für ihr tollkühnes Vertrauen keine Barmherzigkeit, sondern gerechte Strafe.“ Wenn aber ein Sünder unter der Last seines Gewissens seufzt und sich gern bessern möchte, wenn er sich selbst zu schwach fühlt, um das Joch der schlechten Gewohnheiten abzuwerfen, so soll er nur aus dem Abgrund seines Elends zu Maria um Hilfe schreien: sie wird, von seinem traurigen Zustand gerührt, ihm ihre Hand reichen, seine Ketten sprengen und ihn in die Arme seines himmlischen Vaters zurückbringen.
Oder was könnte dem Sünder diese Hoffnung rauben? Etwa der Zweifel, ob Maria wirklich auch ihn liebe? Aber sie ist ja die Zuflucht der Sünder, die Königin und Mutter der Barmherzigkeit. Oder die Furcht vor dem Zorn Gottes? Aber Maria ist ja mächtig genug, Gott zu besänftigen und mit uns zu versöhnen. Der hl. Bonaventura vergleicht sie nicht umsonst mit der weisen Abigail, die durch ihre Bitten den erzürnten König David so gut zu beruhigen verstand, dass er sie sogar segnete und ihr dafür dankte, dass sie seine Rache an Nabal verhindert hatte. Dasselbe tut Maria im Himmel fortwährend für unzählige Sünder: durch ihre Bitten entwaffnet sie die göttliche Gerechtigkeit und verwandelt dieselbe in Segen.
Noch viel mehr als die Sünder haben Grund, auf Maria zu hoffen, die Gerechten, die „Tag für Tag an ihren Toren wachen“, ihre Tugenden nachahmen, aus Liebe zu ihr gute Werke verrichten, für ihre Ehre eifern usf. Denn keine Mutter wacht mit der Sorgfalt über der Wiege ihres Kindes, wie Maria darauf bedacht ist, diese ihre Lieblingskinder durch die Stürme des Erdenlebens glücklich in die ewige Heimat zu geleiten. Es ist ja auch der Mutter eigen, dass sie nichts sehnlicher verlangt als ihre Kinder bei sich zu sehen. Wenn dieselben noch in der Fremde herumirren und darben, während sie bereits im Glück ist, ruht sie nicht, bis sie ihre Freude mit ihren Kindern teilen kann.
Daher der wunderbare Schutz des Himmels, der über dem ganzen Leben der Kinder Mariens waltet, wie man immer beobachten kann. Wie einst über den hl. Drei Königen zieht über ihrem Haupt ein leuchtender Stern dahin, der ihnen auf allen Wegen und Stegen folgt und sie schließlich zu Jesus führt: das Auge der zärtlichsten der Mütter. Dieser Stern verbleicht nie, wenn auch von allen Seiten die Wolken sich türmen; er erglänzt um so heller, je dunkler die Nacht. Die Kinder Mariens haben Versuchungen zu bestehen wie alle Sterblichen, aber Maria schützt sie, dass sie nicht in die Fallstricke des Teufels geraten, und wenn sie einmal das Unglück gehabt haben, zu fallen, hilft sie ihnen, bald wieder aufzustehen. Sie bleiben nicht verschont von Kreuz und Leid, aber sie verzweifeln nicht: der Gedanke an Maria träufelt Balsam in alle ihre Wunden. Sie entgehen ebensowenig als die anderen Menschen der größten Not, der Todesnot, aber ihr Tod ist gleichsam verklärt vom Widerschein ihrer nahen Seligkeit.
Ja, es ist eine Tatsache, welche den Weltmenschen oft wie ein unlösbares Rätsel vorkommt, dass die Diener Mariens so leicht und schön sterben. Der heilige Klemens Maria Hofbauer bekannte auf dem Totenbett seinem Beichtvater: „Ich trage den Himmel in meiner Brust.“ In den neunziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts lag in Linz a. D. ein Beamter, ein Mitglied der marianischen Kongregation, schwer krank darnieder. Die Ärzte hatten ihn aufgegeben und erwarteten seinen Tod, doch er überwand die Krankheit und genas wieder. Als ihn dann einer seiner Freunde fragte, was er gedacht und gefühlt habe in den Stunden, da er dem Tod aus unmittelbarer Nähe ins Auge schauen konnte, erwiderte er: „Merkwürdig! Ich habe mich gar nicht gefürchtet, und was mir so große Ruhe gab, war das Bewusstsein, dass ich ein Kind Marias sei.“
Wenn wir uns wie dieser brave Kongreganist sagen können, dass die Liebe zur allerseligsten Jungfrau nicht nur auf unseren Lippen, sondern in unserem Herzen wohne, so müssen wir Gott dafür wie für eine besondere Gnade danken und unsere Andacht als kostbares Kleinod hüten und bewahren. „Danke Gott“, schreibt der hl. Alphons, „wenn du erkennst, dass Gott dir Liebe und Vertrauen zur Himmelskönigin eingeflößt hat, und sprich mit dem hl. Johannes Damascenus: O Mutter meines Gottes, wenn ich mein Vertrauen auf dich setze, so werde ich gewiss selig; wenn ich unter deinem Schutz bin, so habe ich nichts zu fürchten, denn die Andacht zu dir ist eine sichere Waffe des Heils.“
Sollten wir aber bemerken, dass unsere Liebe zu Maria allmählich erkaltet ist, so dürfen wir uns nicht zufrieden geben, bis der Funke wieder zur hellauflodernden Flamme geworden ist, ja, bis die Andacht zur Gottesmutter in uns feste Wurzeln geschlagen hat, so dass uns wie von der Liebe Gottes so auch von der Liebe zu ihr nichts zu trennen vermag: „weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Stärke, weder Höhe noch Tiefe, noch ein anderes Geschöpf.“ (Röm 8,39 ff) „Denn, wenn ich Maria liebe“, sagte oft und mit Recht der hl. Johannes Berchmans, „so bin ich meiner Beharrlichkeit gewiss und werde alles von Gott erlangen, was ich will.“
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3. Kommt zu Maria der Sünder...
Denken wir an den wunderbaren Augenblick, an dem Jesus als glorreicher Sieger mit seinem Leib von einer lichten Wolke umgeben in das Reich seines himmlischen Vaters einzog. Der auffahrende Erlöser wollte die Mahlzeichen der Wunden und die tiefen Narben an seinem verherrlichten Leib nicht abschütteln, sondern er behielt die blutigen Buchstaben, mit denen der Kreuzestod in seinen Händen und Füßen und an der Seite eingeschrieben war. Und so gezeichnet fuhr er hinauf. Er wollte unter den Engeln des Himmels vor dem Angesicht seines Vaters mit jenen Malen erscheinen, er wollte durch ihren Anblick den Vater, wenn er zornig ist über einen Sünder, zum Mitleid bewegen. An ihm soll der Vater die Zeichen des Todes sehen und dem Sünder das Leben schenken; ihn soll der Vater als ein geopfertes Lamm betrachten und den Sünder, weil er ein unseliges Opfer ist, der Rache entziehen.
Die Kirche lehrt, dass Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden ist. Der Leib, der den Sohn Gottes umgeben hatte, das Fleisch, von dem das ewige Wort Mensch geworden ist, durfte die Verwesung nicht sehen. Der Tempel, in dem Gott geruht hat, durfte nicht durch Vermoderung zerstört werden, von der Verwesung nicht aufgelöst werden. Auch Maria ist mit Leib und Seele in das Reich ihres Sohnes eingezogen. Und so wie der Sohn seinem Vater, wenn er über die Sünder zornig ist, die Wunden zeigt, die er aus Liebe an seinem Leib trägt, so zeigt Maria ihrem Sohn, wenn er als Richter den Sünder verurteilen will, ihr Herz, unter dem er gebildet wurde, den Leib, der ihn trug und nährte.. Der Sohn lässt sich durch das Zeigen seiner Narben als Mittler zwischen dem Vater und den Menschen sehen, Maria aber tritt als eine Fürsprecherin zwischen den Sünder und ihren Sohn. Der Vater lässt ab von der Rache, die er sich bereits vorgenommen hatte, vom Mitleid erweicht, indem er die Wunden seines Sohnes erblickt; und auch der Sohn lässt ab von der Strafe, wenn er den Leib seiner Mutter sieht.
David, der königliche Stammvater der seligsten Jungfrau, hat Maria schon als eine Königin zur Rechten des Herrn stehen sehen. Eine Königin stand zu deiner Rechten in einem goldenen Gewand (Psalm 45,10). Er sah Maria stehen, diese Herrlichste unter den Königinnen, und eben dieses Stehen muss dem Sünder zu einem besonderen Trost werden. Sie steht bereit denen zu helfen, von denen sie angefleht wird, sie steht wartend da für die, die zu ihr fliehen, ihr Vertrauen auf sie setzen, die sie um ihre mächtige Fürsprache bitten, sie steht bereit, ihnen Gnade und Barmherzigkeit zu erlangen. Eine Königin stand zu seiner Rechten. Jesus kennt das mitleidige Herz der zärtlichsten Menschenfreundin. Zu Kana, wo Jesus mit seiner Mutter dem Hochzeitsfest beiwohnte, hat sich das Herz Mariens geäußert. Die Ehre der guten Brautleute lief Gefahr, denn sie hatten keinen Wein mehr. Das Herz Mariä wurde innigst angerührt. Sie blickte ihren Sohn wehmütig an und klagte ihm den Weinmangel. Die Stunde ein Wunder zu wirken war bei Jesus noch nicht gekommen, allein Maria bittet, und Jesus wirkt ein Wunder. Hat er nun die Bitte seiner Mutter vollzogen? Was wird er tun? Vielmehr: Was wird er seiner Mutter nicht tun, wenn sie um das Heil eines Menschen bittet? Maria, die nahe am Thron des Richters steht, wird mit ihrem Gebet den Thron wie mit einer Wolke umgeben, sie wird die Hitze des Richters dämpfen, die ausbrechenden Flammen löschen, und dem Herzen des Sünders einen gedeihlichen Tränenregen bringen.
Bringt einen Sünder, auch den größten Sünder! Er soll zu Maria gehen und wird als Büßer zurückkommen. Er wird durch die Fürbitte der mächtigsten Jungfrau die Gnade erhalten, ein Büßer zu werden, und hätte er auch seine Sünden zu einem riesigen Berg angehäuft, hätte er seine Augen mit den übelsten Blicken, die Ohren mit Anhörung der schändlichsten Geschichten, die Zunge mit den ärgerlichsten Gesprächen, die Hände mit Menschenblut, das Herz mit den schrecklichsten Lastern beschmutzt. Soll er ohne Licht sein, ohne Strahl, in der fürchterlichsten Finsternis ohne Stern, gänzlich von der Hoffnung verlassen?
Versetzen wir uns in Gedanken in die Gegend von Jerusalem. Wir sehen viele Menschen in eine Kirche gehen, Einheimische und Fremde, Neugierige und Pilger, das Kreuz zu verehren, an dem der Herr, das Heil der Welt, gehangen. Ganz vorwitzig drängelt sich auch eine junge Frau dorthin, die bisher nie um Gott und den Glauben Gedanken hatte. Maria von Ägypten ist ihr Name, eine andere Magdalena, eine stadtbekannte Sünderin. Ihre Sünden waren wirklich so groß, dass sich sogar die leblosen Steine weigerten, sie in das Heiligtum hineinzulassen. Auf der Treppe vor der Pforte der Kirche hält sie aber eine unsichtbare Gewalt zurück. Bei allem Schrecken, gibt sie einer bloßen Einbildung die Schuld und wagt es ein weiteres Mal. Sie versucht in die Kirche hineinzukommen, wird aber zum zweiten Mal heftig zurückgestoßen. Wie sich ein zu Boden geschlagener Kämpfer zusammenreißt, jetzt seinen Gegner zu stürzen, so sammelt die getroffene Sünderin den letzten Mut zusammen, sich in das Heiligtum hineinzudrängen. Nun wird sie aber zum dritten Mal so kräftig zurückgestoßen, dass sie erblasst, wie eine Leiche, und im Staub liegt. Alle ihre Herrlichkeit hat sie verlassen, alle Knochen zittern und geraten aus den Fugen, alle Haare stehen starr wie in die Höhe gebürstet. Die Unglückliche muss sich Tod und Hölle vor Augen führen. Sie weiß nicht mehr aus noch ein. Aber das erste was sie tut ist, dass sie die Augen gen Himmel erhebt, wohin sie auch Gottesleugner erheben, wenn sie von einem schweren Schicksalsschlag überfallen werden. Bei diesem Hinaufsehen erblickt sie an dem äußeren Gebäude der Kirche das Bildnis der seligsten Jungfrau Maria. Und kaum hat Maria von Ägypten Maria von Nazareth gesehen, so fällt die Ägypterin vor der Nazarenerin auf die Knie hin, nimmt ihre Zuflucht zu ihr, setzt ihr völliges Vertrauen auf sie, bittet, seufzt und fleht. „Maria“, jammert sie aus der Tiefe ihres ganz gefühlten Elends, „Maria, ach du Zuflucht der Sünder, reiche du mir deine Hand, da dein Sohn wider mich ist, sei du meine Fürsprecherin, da mich dein Jesus nicht will, dann wird er mich nicht weiter verstoßen. Aufnehmen wird er mich, wenn du für mich bist. Wo soll ich mich denn hinwenden als zu dir, du Mutter der Barmherzigkeit?“ Tränen strömten jetzt aus ihren Augen und redeten die Sprache eines ganz zerknirschten Herzens. Aber durch ein sanftes Zutrauen aufgemuntert, kehrt die Jammervolle zur Pforte der Kirche zurück, um sich vor dem Sühnealtar des Kreuzes niederzuwerfen. Ungehindert geht sie jetzt hinein, weil sie nämlich an der Pforte des Lebens , bei Maria angeklopft hat. Noch mehr! Die ein steinerner Tempel ihrer ungeheuren Sünden wegen nicht aufnehmen wollte, die ist auf die Fürbitte Mariens durch eine wahre Buße selbst ein lebendiger Tempel des Heiligen Geistes geworden. Die schrecklichste Wölfin kam zahm wie ein Lämmlein von Maria. Und nun trug sie mit viel Inbrunst Jesus das Kreuz der Abtötung nach, die kurz vorher von dem Becher der Wollust noch trunken war. Mit einem Wort: Maria von Ägypten ist als eine Sünderin zu Maria von Nazareth gekommen, und mit dem klaren Beispiel der Buße ist sie von ihr gegangen.
So sollte jeder kommen! Auch wenn die Sünde bis in das Mark hineingedrungen ist und man gleichsam mit ihr eines Wesens geworden ist: zittern, beben, flehen, allein nicht verzagen. Zu Maria eilen, die das Leben geboren hat und die Mutter der Barmherzigkeit ist. Wir werden sie stehend antreffen, als hätte sie schon auf uns gewartet, auf unsere Bitte hin, ihren Sohn für uns zu bitten. Sie braucht nicht einmal reden, mit ihren Blicken nimmt sie den Sohn ein. Nicht nur ihre Worte sind voll Kraft, sondern auch ihre Augen. Sie zeigt ihr Herz, jenes Leidensmeer, welches alles empfand, was Jesus an seinem Leib erlitten hat. Und der Sohn, sollte er seiner Mutter, nach jenem Leiden, die Freude versagen, welche sie in der Bekehrung eines Sünders empfindet? Wir Sünder sollten uns trösten und uns freuen, denn ganz gewiss werden wir als Büßer wieder von Maria gehen.
Ist Maria kein Licht für uns? Ist sie etwa nur ein Mond in der Nacht der Sünde? Werden wir sie vergeblich suchen? Nichts weniger! Maria wird sich zeigen durch den Zufluss der Gnaden als eine Morgenröte!
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4. Das Gnadenbild vom Christkind
Unter den vielen Gnadenbildern, die es in der katholischen Christenheit gibt, befindet sich auch ein Gnadenbild vom Christkind. Nicht in Betlehem ist es zu suchen, sondern in Rom.
Unter den sieben Hügeln, auf denen die Ewige Stadt steht, ist einer, Kapitol geheißen, der ehedem zur Heidenzeit der Mittelpunkt der damaligen Welt war, denn auf ihm erhob sich mächtig, breit und wuchtig das Kaiserschloss des großen Römischen Reiches mit vielhundert Zimmern und Sälen unter einem Dach, das aus eitel Gold bestand. Dort herrschte wie ein Gott Kaiser Augustus so gewaltig, dass die Untertanen vor ihm auf die Knie sanken und ihn anbeteten.
Gar zu gern hätte Kaiser Augustus, der stolze Gründer und tatkräftige Mehrer des Römischen Reiches, gewusst, was nach seinem Tod aus seiner Herrschaft werde und wer sein Nachfolger sei. Deshalb befahl er die berühmteste Seherin im Land zu sich, damit sie ihm die Zukunft künde, und als sie kam, hatten beide, der Kaiser und die Seherin, ein Gesicht. Von einem schimmernden Strahlenkranz umgeben, sahen sie die Sonne, und in der Sonne mit dem Strahlenkranz rundum stand, mit einer goldenen Krone auf dem Haupt, überirdisch schön, eine junge Mutter, die auf den Armen ein Kindlein trug, und zugleich wurde dem Kaiser durch den Mund der Seherin bedeutet, dass das Kind auf den Armen der überirdisch schönen jungen Mutter der Herr der Herren sei und einmal die ganze Welt regieren werde. Die Vision ereignete sich zu Rom um die gleiche Zeit, da in Betlehem das Christkind geboren wurde.
Kaiser Augustus starb. Nach ihm bestiegen noch etwa achtzig Nachfolger den römischen Thron. Dann zerfiel das Reich. Der kaiserliche Palast auf dem Kapitol mit den vielhundert Zimmern und Sälen unter dem goldenen Dach zerbröckelte. Schließlich blieb buchstäblich kein Stein mehr auf dem anderen. Gras wuchs aus den Trümmern. Dort, wo einst das prachtvolle Schloss stand, weideten Ziegen, und so kam es, dass man den Kaiserberg, der ehedem der Mittelpunkt der Welt war, gemeinhin den Ziegenberg nannte. Wie ein Atemhauch, der den Mund verlässt und sich gleich darauf in der Luft verliert, so vergeht irdische Größe.
Jahrhunderte zogen vorüber. Der früheren mächtigen römischen Kaiser gedachte längst keiner mehr, aber das Kind der Jungfrau war mit der Zeit immer deutlicher der zwar unsichtbare, aber wirkliche König der Welt geworden als der König der Herzen, und eines Tages erschienen Bauleute am Ziegenberg, schufen eine hohe Treppe den Hügel hinan und errichteten auf dem Gipfel dort, wo Kaiser Augustus die Vision von der jungfräulichen Mutter hatte, zu Mariens Ehren ein Gotteshaus, schön und prächtig.
Wieder vergingen einige Jahrhunderte. Da kam vom Heiligen Land ein Franziskanerbruder nach Rom und brachte eine Statue des Christkinds mit, die er in seinen Mußestunden aus dem Holz eines Olivenbaumes geschnitzt hatte, der im Garten Gethsemani gewachsen war. In der Marienkirche auf dem Ziegenberg wurde das Bild aufgestellt, und kaum stand es dort, als sich Wunder über Wunder ereigneten, und heute noch pilgern die Leute zuhauf zu dem Gnadenbild vom Christkind auf dem Kapitol, das von denen, die vor ihm Erhörung fanden, mit liebender Dankbarkeit in seidene Windeln gehüllt und mit Gold und Silber und Perlen und Edelsteinen geschmückt wurde. Zu allen Zeiten findet man Beter vor dem Gnadenbild vom Christkind, und in der Weihnachtswoche wird dort acht Tage lang abends eine Andacht gehalten, in der nach altem Brauch ein als Bischof gekleideter römischer Junge eine Lobrede auf das Christkind spricht.
Schön ist das alles in Rom, aber schön ist es am Weihnachtsfest auch bei uns, und wenn das Christkind in unserer Krippe auch kein berühmtes Gnadenbild ist wie jenes in der Ewigen Stadt, so ist es trotzdem über die Maßen lieb, weil es doch auch ein Abbild des Christkinds ist. Ja, innig freuen wir uns heute schon auf unsere Krippe. Es ist nicht mehr lang, bis das Christkind kommt, das wir heute bereits begrüßen:
O Kindelein, von Herzen
Will ich dich lieben sehr,
In Freuden und in Schmerzen,
Je länger, mehr und mehr,
Eja, eja, je länger, mehr und mehr.
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5. Die Sunamitin
Wo ein lieber Gast erwartet wird, da freuen sich alle im Haus, und es wird gefegt und geputzt, und alles wird aufs beste hergerichtet, damit der Besuch sich wohl fühlt und gern verweilt.
Am Weihnachtsfest kommt zu uns ein hoher Gast, der höchste, den es gibt im Himmel und auf Erden. Der liebe Heiland kommt. Das Christkind ist nahe. Das ist eine Freude, die so groß ist, dass man sie kaum fassen kann. Da müssen wir uns also für den Besuch einrichten und alles aufs beste ordnen, damit das Christkind gern zu uns kommt und sich gern bei uns aufhält. Eine Geschichte aus dem Alten Testament soll uns zeigen, was wir zu tun haben, damit das Christkind mit Freuden bei uns einkehrt und gern bei uns bleibt. Ungefähr neunhundert Jahre vor der Geburt des lieben Heilandes lebte im Heiligen Land der Prophet Elisäus. Einmal wanderte er nach der Stadt Suna. Es war ein weiter Weg in drückender Hitze auf staubiger Landstraße. Man kann sich denken, dass Elisäus, als er endlich in der Stadt Suna ankam, hungrig und durstig und zum Umfallen müde war.
Von Herzen froh war er daher, als ihn eine Frau aus Suna, also eine Sunamitin, auf der Straße ansprach und ihn einlud, ihre Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen, und so gut hat sie den Fremden bewirtet und beherbergt, dass Elisäus, sooft er später nach Suna kam, regelmäßig bei ihr einkehrte. Bei diesen Besuchen bemerkte die Frau bald, dass der Gast ein heiliger Mann war, und weil sie auch selbst zur Frömmigkeit neigte, hätte sie es gern gesehen, dass Elisäus häufiger und länger in ihrem Haus verweilte. Deshalb richtete sie eigens für ihn, wie die Heilige Schrift erzählt, mit Zustimmung ihres Mannes ein schönes wohnliches Zimmer ein, das nur für ihn bestimmt war und das immer für ihn bereitstand.
Ähnlich wie die Sunamitin den heiligen Mann Elisäus aufnahm, müssen auch wir das Christkind aufnehmen, wenn es am hochheiligen Weihnachtsfest zu uns kommt.
Wir müssen ein Zimmer für das Christkind herrichten. Das Zimmer ist unser Herz. Was soll das bedeuten? Wie ist das zu verstehen, dass wir unser Herz als Zimmer für das Christkind herrichten? Das heißt, dass wir an das Christkind denken sollen, so dass es durch unsere Gedanken gleichsam in unseren Herzen wohnt. Leider gibt es viele Menschen, die zu Weihnachten nur an Geschenke und Besuche und Festessen denken und darüber das Christkind vergessen, so dass in ihren Herzen kein Platz für das Christkind ist. Wie unschön solch ein Benehmen ist, zeigt die folgende Geschichte.
Es war einmal eine Kindtaufe. Als man aus der Kirche heimkehrte, legte man das Kindlein, weil noch keine Wiege vorhanden war, in ein Bett, und dann setzten sich die Gäste zu Tisch und aßen und tranken und scherzten und lachten, und niemand dachte mehr an das Kind. Als schließlich die Besucher aufbrechen und beim Abschied das Kindlein noch einmal sehen wollten, fanden sie es tot in den Kissen. Es war unter den Mänteln und Tüchern, die man achtlos in der Eile, um schnell an den Tisch zu kommen, auf das Bett geworfen hatte, erstickt. Nicht wahr, das ist eine traurige Geschichte!
Geradeso traurig ergeht es zu Weihnachten leider auch dem Christkind in vielen Häusern und Herzen. An tausend Dinge denkt man, nur an das Christkind denkt man nicht. Tausend Dinge nimmt man liebend auf ins Herz, aber das Christkind lässt man als Fremdling draußen stehen.
Nein, das Christkind dürfen wir über all dem Drum und Dran des Weihnachtsfestes am wenigsten vergessen. Dafür ist ja gerade das Weihnachtsfest da, dass wir uns an das Christkind und an die Gnaden und Gaben, die es uns gebracht, in Liebe erinnern.
Wir müssen also oft an das Christkind denken und ihm so in unseren Herzen ein schönes, wohnliches Zimmer bereiten. Dann mag es wohl sein, dass es am Weihnachtsfest gern zu uns kommt und gern bei uns bleibt und uns segnet mit Friede und Freude und Gnade und Heil.
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6. Das hochheilige Weihnachtsfest
Nach Betlehem sind es von Jerusalem knapp zwei Stunden Wegs. Man wandert, ein wenig steigend, durch fruchtbares Gelände, durch Weizen- und Maisfelder, unter schattigen Oliven-, Mandel- und Feigenbäumen, an denen, vielfach verschlungen, Reben mit weißen und roten Trauben sich hochranken. Landschaftlich gesehen, liegt Betlehem scheinbar in einer verlorenen Ecke des Paradieses, und ein Paradies ist es in Wahrheit dadurch geworden, dass dort der Erlöser geboren wurde.
Über der begnadeten Stätte, wo der Heiland zur Welt kam, hat vor ungefähr sechzehn Jahrhunderten die heilige Kaiserin Helena ein Marienheiligtum erbauen lassen, das heute noch steht, breit und wuchtig, mit fünf Schiffen, die durch vierundvierzig Säulen voneinander getrennt sind.
Im weichen Gestein unter dem Fußboden der Kirche befinden sich vier Grotten oder Höhlen, von denen die geräumigste zwölf Meter lang, vier Meter breit und drei Meter hoch ist. Dort wurde, wie in einem alten Buch zu lesen ist, im Jahre 5199 seit der Erschaffung der Welt, im Jahre 2759 seit der Sintflut, im Jahre 2015 seit Abrahams Geburt, im Jahre 1032 seit Davids Krönung zum König, im 42. Jahre der Regierung des Kaisers Augustus, als der Friede auf der ganzen Welt hergestellt war, Jesus Christus, der ewige Gott und der Sohn des göttlichen Vaters, geboren.
Wenn diese Stelle aus dem alten Buch nach altem Brauch in alten Klöstern alljährlich am Tag vor Weihnachten verlesen wird, ziehen die Mönche vorher die Schuhe aus, entblößen ehrfurchtsvoll das Haupt und vernehmen schweigend, in Demut tief gebeugt, die heiligste und herrlichste Kunde, die je den Menschen zuteil wurde.
Der Heiland wurde also nicht in einem Stall auf freiem Feld geboren, sondern in einer Felsengrotte, und Maria wickelte das Christkind in Windeln und legte es in den Futtertrog, der sich am Ende der Höhle befand in einer Felsennische, die mit Lehm zu einer Krippe hergerichtet war. Solche Steinkrippen gibt es heute noch viele in der Umgegend von Betlehem, und es ist wohl anzunehmen, dass das Christkind nach der Geburt in eine kalte Steinkrippe von dieser Art und nicht in eine wärmere Holzkrippe gebettet wurde, die man damals kaum kannte.
Wenn sich das aber so verhält, wie ist es dann zu verstehen, dass heute noch in Rom die Reliquien der Holzkrippe von Betlehem gezeigt werden?
Früh schon wurden nämlich die Reste einer Holzkrippe, in Silberplatten eingelegt, von den Gläubigen hoch verehrt. Fünf Bretter sind es, die im Lauf der Jahrhunderte recht klein wurden, weil man immer wieder Splitter von ihnen loslöste und als Reliquien in die ganze Welt verschenkte. Heute befinden sich die Reste dieser Krippe in der Kirche Groß-Sankt-Marien zu Rom auf einem eigenen Altar, von dem sie für die Weihnachtszeit auf den Hauptaltar übertragen und zur Verehrung der Gläubigen ausgestellt werden.
Wenn also die liebe Mutter Gottes das Christkind nach der Geburt in einen Steintrog bettete, woher um alles in der Welt kommt da die Holzkrippe, deren Überreste noch vorhanden sind?
Das ist eine leichte Frage. Die Holzkrippe kommt vom Zimmermann. Kaum hatte der heilige Joseph im Stall zu Betlehem die große Not gesehen, in der sich das Christkind befand, da suchte er gleich ein paar Bretter zusammen, aus denen unter seinen geschickten Zimmermannshänden im Nu eine Krippe entstand. Schnell füllte er sie mit reinem Heu und Stroh, und dann bettete Maria das Christkind aus dem Steintrog in die Holzkrippe.
Das hat der gute heilige Joseph recht gemacht, dass er sofort die hölzerne Krippe herstellte, denn darin lag das Christkind doch ein wenig weicher und wärmer als in dem Steintrog – und trotzdem lag es immer noch hart und kalt genug.
Kann man ihm denn gar nicht helfen?
Doch, man kann dem Christkind wohl helfen, nämlich dadurch, dass man es aus der Krippe ins eigene Herz bettet. Wie macht man das? Durch die Liebe, die man dem Christkind schenkt. Wie aber schenkt man dem Christkind die Liebe? Dadurch, dass man gut ist, denn der Heiland sagt: „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt.“ Das Herz eines guten Menschen ist daher wie eine weiche und warme Wiege für das Christkind.
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7. Ist der Allerseelenmonat ein Marienmonat?
Ernste, stille Friedhofsmauern, die eine schweigende Totenstadt umschließen! Ein Kreuz ragt in der Mitte empor und von ihm blickt der Heiland brechenden Auges auf die Grabsteine und Kreuzchen, die sein Sterbebild umdrängen. Efeuumrankt, von Trauerweiden und Zypressen beschattet liegen sie da. Dazwischen schreiten stille, trauernde Menschen und tragen Kränze auf die Hügel, unter denen ihre Lieben ruhen. Und über alles webt der Novembernebel seinen wehmütigen Schleier.
Wer hat dies Bild nicht schon dann und wann gesehen und den Schauer empfunden, den es in der Seele weckt? Und wer hat nicht selber schon mit wehem Herzen ein liebes Menschenkind zur letzten Ruhe begleitet? Erst wer selber das scharfe Schwert gefühlt, das die Seele durchschneidet, wenn die Erdschollen dumpf kollernd auf den Sarg seines Vaters, seiner Mutter, seiner Kinder, seiner Geschwister oder eines treuen Freundes fallen, der weiß, was im November die Herzen erfüllt!
Es ist der herzzerreißende Schmerz der Trennung, der alle wieder scheidet, die sich auf Erden in Liebe und Treue zusammenfanden.
Fast jeder von uns trägt schon eine solche wunde im Herzen. Vielleicht ist sie noch frisch, vielleicht hat die Zeit sie schon vernarbt; aber im November fühlt man ihr Brennen.
Darum schauen wir im November auf das Bild einer edlen Frau, die uns nahesteht. Sie hat selber mit Schmerz an der Bahre ihres Vaters und ihrer Mutter gestanden, sie hat dem Mann die Augen zugedrückt, der sie treu durch das Leben führte, sie hat ihr Kind, ihr einziges Kind, sterben sehen in Qual und Verachtung. Und doch hat sie heldenhaft ihr Leid getragen, so stark und hochherzig, dass jetzt alle Menschen bei ihr Trost und Mut finden.
Wenn du Schmerz um liebe Tote trägst, sprich einmal zu ihr, zu Maria! Wenn du in solchen Gedanken den Rosenkranz betest, wirst du sehen, wie deine Wunden heilen!
Viele Menschen stehen jetzt an den Gräbern und denken nur an ihren Schmerz und an die Lücke, die der Tod in ihr Leben gerissen hat. Dass aber der Tote vielleicht selbst noch ihrer Hilfe bedarf, daran denken manche gar nicht. Dass sie vielleicht selbst mit daran Schuld tragen, wenn er noch im Fegfeuer leidet, und es eine Ehrensache für sie wäre, ihm durch ihr Gebet zu Hilfe zu kommen, das mag vielen gar nicht in den Sinn kommen.
Gewiss, es entspricht der Gerechtigkeit, dass jeder, der mit verziehener aber noch ungesühnter Schuld stirbt, erst im Fegfeuer gereinigt werde, - aber es entspricht auch der Liebe und Barmherzigkeit, dass wir durch unsere Bitten und Bußwerke vor Gott ersetzen, was die Toten nicht mehr leisten können! Welche Wohltaten können wir im Rosenkranzgebet den armen Seelen spenden!
Die Zeit geht schnell dahin. Wie viele Menschen, die wir kannten, sind schon ins Grab gesunken! Die Zeit geht schnell dahin! Auch an unserem Namen wird – wer weiß wie bald? – ein Kreuzlein stehen, und andere werden für uns beten: „Herr, gib ihnen die ewige Ruhe!“ Wie gut ist es, wenn wir dann beizeiten mit der Mutter Gottes vertraut geworden sind, und sie uns gern in ihrer Nähe weiß! Wie gut, wenn wir dann Gott sagen können: „Sei mir barmherzig, wie ich anderen barmherzig war!“ Dann wird auch bald ein November kommen, in dem wir für uns nicht mehr den Allerseelentag, sondern das Allerheiligenfest im Himmel feiern!
Der Allerseelenmonat ist ein Marienmonat!
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8. Ein Wahlspruch
Josef, der heilige Zimmermann zu Nazareth, hatte sich eines Abends, wie schon so oft, ermüdet von der Arbeit auf sein hartes Lager hingelegt und wohl nichts anderes gedacht, als dass er am Morgen sein gewohntes Tagewerk – wenn es so Gottes Wille sei – wieder aufnehmen werde. Ja, wenn es Gottes Wille sei! Aber diesmal war es nicht Gottes Wille! Es war bestimmt in Gottes ewigem Ratschluss, dass das Lebensschifflein Josefs in dieser Nacht urplötzlich eine von ihm nie geahnte Richtung einschlagen solle.
Als in der Hütte alles – der heilige Nährvater, die heiligste Mutter und das göttliche Kind – in tiefem Schlummer lag, da vernahm das Haupt der heiligen Familie eine Stimme, die zu ihm sagte: „Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und fliehe nach Ägypten!“ Ein Engel des Herrn war es, der ihm diese Botschaft gebracht, und Josef war es sofort klar geworden, dass Gott hierdurch seinen Willen kundgetan hat.
Es ist Josef wohl auch sofort zum Bewusstsein gekommen, dass dieser Befehl Schweres und Hartes in sich schließe. Nach Ägypten zu fliehen – nach einem Land, das ihm bisher wohl wenig mehr als dem Namen nach bekannt war – auf einem Weg, von dem er nur wusste, dass er durch eine große Wüste führe – abzureisen sofort, mitten in der Nacht, ohne Zeit zu haben, von Verwandten und Bekannten Abschied zu nehmen: Wahrlich, das war ein Auftrag, in dem in der Tat gar viel Schweres und Hartes lag!
Aber wie führte ihn Josef aus? Ohne im Geringsten zu zögern und zu zaudern. Sofort und mit größter Bereitwilligkeit erhebt er sich von seinem Lager, kleidet sich an, weckt seine heilige Gemahlin, macht sie mit dem erhaltenen Gottesauftrag bekannt, und unverzüglich treffen die beiden die nötigsten Vorbereitungen zur Abreise und dann – dann geht es hinaus in die Nacht und ihr Wegweiser ist nicht ein Stern, der ihnen wie den heiligen drei Weisen voranzieht, sondern einzig das Wort, das einst Abraham gesprochen, als ihn Isaak fragte, wo das Schlachtopfer sei, das Wort: „Gott wird sorgen!“
Und ihr Vertrauen, dass der Herr für sie sorgen werde, es wurde nicht zuschanden. Der himmlische Vater ließ die drei Reisenden den Weg finden mitten durch die Wüste, die si zu durchwandern hatten; er schützte sie vor den Gefahren, die ihnen überall drohten und er führte sie in das Land, das ihnen bisher ganz fremd gewesen war.
„Gott wird sorgen!“ – Schlichtes, aber ein recht inhaltsreiches Wort! Möchte es immer auch unser Wahlspruch sein, insbesondere aber dann, wenn es uns einmal schwer oder fast unmöglich erscheinen sollte, den göttlichen Willen zu vollziehen, oder wenn Kleinmut und Verzagtheit sich unserer Seele bemächtigen und es den Anschein hat, als wollten der Sorgen zu viele werden. Sicher werden wir, gleich dem heiligen Josef, die Erfahrung machen, dass auch unser Vertrauen nicht zuschanden wird, dass Gott auch uns den Weg weist, dass er überhaupt in allem väterlich für uns sorgen wird.
Freilich – und das muss auch gesagt werden – freilich wird Gottes Absicht nur dann erreicht werden, wenn wir uns bemühen, unseren Willen immer so bereitwillig, so rasch, so ohne Zögern, so entschieden mit dem göttlichen Willen zu vereinen, wie das der heilige Josef getan und worin er uns ein so schönes Beispiel gegeben hat.
Im Kleinen
O welch ein hehres Streben,
Welch hohe Seligkeit:
Ihm leben und ihm dienen,
Dem Herrn der Herrlichkeit!
Ja, selbst dem Dienst im Kleinen
Versprach der Gottessohn
Des Himmels ew`ge Freuden,
Als überreichen Lohn.
O Wonne, dann zu hören, -
Wenn wir sein Antlitz sehn -:
„Das Kleine, das du tatest,
Es ist für mich geschehn!“
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9. Erst Leid, dann Freude
Denken und fühlen wir uns hinein in den Schmerz, den das Mutterherz Mariens und das ihres göttlichen Sohnes durchwühlten, als sie voneinander Abschied nehmen mussten. Oft erfüllte sich im Leben der heiligsten Mutter das prophetische Wort Simeons: „Ein Schwert wird deine Seele durchdringen!“ Doch empfand sie wohl nie schmerzlicher die Schärfe dieses Schwertes, als in jenem Augenblick, als Jesus von ihr Abschied nahm, um sich seinen Feinden hinzugeben. Maria war sich da bewusst, dass ihr Sohn nun den schwersten Stunden seines Lebens entgegengehe.
Dem Schmerz des Abschieds entsprach aber auch die Freude des Wiedersehens, als Jesus nach seiner Auferstehung seiner Mutter – wohl vor allen anderen seiner Freunde – erschien. Es war eine Wonne, eine Freude, so tief, so innig, aber auch so zart und rein, wie auch sie vorher noch nie ein Herz empfunden hat und auch nachher nie mehr empfinden wird. Es war eine wahrhaft himmlische Wonne und Freude. Innigkeit ist ein Hauptmerkmal der Werke von Joseph, Ritter von Führich, der der Schöpfer dieses Bildes ist. Könnte wohl die Freude Jesu und Mariens bei ihrem Wiedersehen inniger und auch reiner und zarter dargestellt werden, wie es auf diesem Bild geschieht?
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10. Ich bete dich an!
Maria, lust- und liebdurchglüht,
In Andacht vor dem Kindlein kniet.
Sie schaut es an mit Mutterwonne,
Mit heilig-seligem Entzücken.
Sie darf der Gottheit ew`ge Sonne
Im eig`nen Kindlein ja erblicken.
Das Kindlein aber, nackt und arm,
Und traurig ernst, dass Gott erbarm!
In Kreuzesform die Ärmlein breitet,
Als wollt es zu der Mutter sagen:
„Wird einst zur Bank das Lamm geleitet,
Dann wird ich so ans Kreuz geschlagen,
Doch will ich gern das Kreuz umfangen,
In Lieb daran im Tode hangen.
Drum ward ich ja ein armes Kind,
Im off`nen Stall, auf nacktem Stein,
Bei Winters Frost und eis`gem Wind.
Der Kindheit Weh, des Lebens Pein,
Sie soll mir Kreuzesstaffel sein!“
Und wie des Kindleins Stimme klingt,
Ein Schwert der Mutter Herz durchdringt.
Sie seufzet tief, doch weint sie nicht,
Blickt liebend in sein Angesicht;
Denn wie das Kind die Mutter spricht.
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11. An der Schwelle des Advent
Es ist Abend und die Schatten der Dämmerung senken sich über die dornenbewachsene Erde abseits vom verlorenen Paradies. Weltverlassen und einsam sitzt Eva, die Mutter aller Lebendigen, vor der armseligen Hütte. Ihre Augen gehen suchend hinüber zu dem verschlossenen Eden. O, dieses reine Glück, diese ungetrübte Freude dort! Verloren, alles verloren! Und das also ist die Sünde! Hinter ihr aus der Ferne dringt das Heulen der Hyänen an ihr Ohr und das Brüllen der Raubtiere. Da krampft sich ihr Herz zusammen in tiefem Schmerz und Tränen netzen die Tierfelle, die ihre zarten Glieder umhüllen. Verstoßen! Verstoßen von Gott! O, dass er sich noch einmal liebend über sie neigte und ihre reuige Seele die Verzeihung fühlen ließe – sie wollte alles, alles tragen.
Verstoßen! Vier Jahrtausende haben geseufzt unter der Wucht dieses Wortes. Es gab Generationen, die es im Taumel der Sinne oder in habgierigen Kriegen zu vergessen suchten. Aber dann kam wieder das Erwachen. Und dann klammerten sie sich umso verlangender an die eine große Hoffnung: Es wird ein Erlöser kommen. Der Prophet Jesaja durfte es verkünden: „Siehe, eine Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären und man wird ihn nennen: Emmanuel, Gott mit uns!“
Es war ein heißes, sehnsüchtiges Flehen: „O, dass du die Himmel zerrissest und herabstiegest! Tauet, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken regnet herab den Gerechten; die Erde tue sich auf und sprosse den Heiland.“ Das war der große Advent.
Und wieder erwacht auch in unserem Herzen dieses Sehnen des alten Bundes: „Tauet, Himmel, den Gerechten!“ Stärker wird in unserer sündigen Seele das Verlangen nach Reinigung und Heiligung. „Brüder, es ist die Stunde, wo wir vom Schlaf erwachen sollen“, so schrieb der Apostel Paulus ehedem in seinem Brief an die ersten Christen in Rom, und nun stehen diese Worte in der Lesung des ersten Sonntags im Advent. „Denn jetzt ist unser Heil näher als da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber hat sich genahet; lasset uns also ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichtes. Wie am Tag lasset uns ehrbar wandeln, nicht in Schmausereien und Trinkgelagen, nicht in Schlafkammern und Unzucht, nicht in Zank und Neid, sondern ziehet den Herrn Jesus Christus an.“
Wer von uns wollte mit entweihtem Herzen an der Krippe des Jesuskindes niederknien?
Draußen in der Natur liegt das Winterfeld in lautloser Stille. Nebel hüllen es wie mit dichtem Schleier ein. Dann wieder geht eisiger Wind darüber hin und die letzten Gräslein ducken sich unter dem Frost. Man meint, alles Leben müsste ersterben. Und doch gerade jetzt in der stillen Zeit des Winters sammeln und ergänzen sich die lebenspendenden Kräfte. Der harte Frost räumt auf mit all dem schädlichen Insekt und Ungeziefer, das sich in seine Schlupfwinkel verkrochen hat; er lockert und bereitet das Erdreich zu dem kommenden Wachstum.
Auch unsere Seele braucht Adventsruhe, damit sie wieder zu sich komme und erwache aus all den Sorgen und Zänkereien, aus all der Unruhe und Hast und Leidenschaft. Sie braucht ein raueres Klima, damit das Spinnengeziefer der Neigungen und der Verweichlichung abgetötet werde, das die Seele mit sanften Fäden so fest umschlungen hält und den Willen lähmt.
Nun wirst du verstehen, warum uns die Kirche in der heiligen Adventszeit zu Johannes dem Täufer führt, der in rauem Bußgewand eine so ernste Predigt hält. „Die Stimme des Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn; machet die Wege gerade; jedes Tal soll ausgefüllt und jeder Hügel abgetragen werden.“ Der Weg zur Heiligung führt durch Abtötung und Überwindung. Einen bequemeren Weg gibt es nicht.
Ernste Seelen fühlen sich zur Strenge hingezogen, und zu den oberflächlichen gehörst du nicht. Sicherlich wirst du dich nicht damit begnügen, öffentliche Lustbarkeiten und ungeziemende Ausgelassenheit zu meiden. Du wirst in stiller Sammlung diese heilige Zeit verbringen. Vielleicht ist es dir möglich, am Abend noch ein wenig im Katechismus zu lesen oder sonst in einem frommen Buch; das macht die Seele nachdenklich. Große Bußwerke verrichten, das kannst du nicht. Wenn du aber dein Morgen- und Abendgebet kniend betest, wenn du am kalten Morgen pünktlich aufstehst aus dem warmen Bett, wenn du die Unannehmlichkeiten deiner Umgebung froh und geduldig erträgst, dann ist es gut. Du wirst empfinden, wie dich eine heilige Weihe umgibt und es wird dir unmöglich sein, in der „Zeit der Erwartung“ Gott schwer zu beleidigen.
Zeit der Erwartung! Wie ergreifend schön ist das Bild der unbefleckt empfangenen Jungfrau in die heilige Adventszeit eingefügt! Sie, die reine Jungfrau, durfte ja die große Hoffnung der Völker an ihrem Herzen tragen. Was müssen das für weihevolle Stunden gewesen sein, wo Maria im Haus zu Nazareth den Augenblick herbeisehnte, da sie das göttliche Kind auf ihren Armen halten sollte, da es ihr zum ersten Mal entgegenlächeln und seine Händchen zu ihr ausstrecken würde!
Dass wir doch ein wenig von diesem inbrünstigen Verlangen in unserem Herzen trügen!
Am heiligen Weihnachtsfest wird das Christkind auch an deinem Herzen ruhen. Wie schön dann, wenn du in der Stille des Adventes in ernster Sammlung und Bußgesinnung deine Seele dem Jesuskind bereitet hast! Dann magst du deine reinen Hände über deiner Brust falten und ein wenig von dem Weihnachtsfrieden in Betlehem empfinden, der die Seele der heiligen Jungfrau durchbebte.
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12. Weihnacht
Es ist zwei Stunden vor Mitternacht. Herodes sitzt allein im roten Saal seines Marmorpalastes in Jerusalem. Ein einziges Lämpchen nur wirft sein flackerndes Licht über die rohen Züge des unheimlichen Mannes im goldenen Armstuhl. Kein menschlicher Laut ist um ihn her. Sie fürchten ihn alle, angefangen vom letzten Sklaven bis zur ersten seiner zehn Frauen, die er Königin nennt.
Sind es die Schatten der Nacht, oder sind es Gespenster, die finster in der Ecke kauern? Entsetzen erfasst den rauen Mann. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben. Der Vorhang an der Tür hat sich bewegt. Da kommen sie! Zwei blasse, fahle Gestalten, den Strick um den Hals. Er kennt sie; es sind seine beiden Söhne. In Sebaste hatte er sie erwürgen lassen. Ein eisiger Hauch weht ihm entgegen. Und schon steht neben den beiden eine junge Frau, bleich wie der Mond und doch so wunderbar anzuschauen. Um ihren Hals geht ein blutiger Streifen. Es ist Mariamne, seine rechtmäßige Gattin aus dem edlen Geschlecht der Makkabäer. Er hat sie hinrichten lassen. Ein röchelndes Stöhnen kommt aus der Brust des Mörders, als er sie sieht. Mit Grausen versucht er sich abzuwenden. Aber neue Schatten bannen seinen starren Blick: Der greise Hohepriester Hyrkan und der jugendliche Aristobul mit dem heiligen Ephod bekleidet. Den einen hat er hingerichtet, den anderen ertränken lassen, weil das Volk ihn liebte. Und immer neue Gestalten treten aus dem Hintergrund hervor mit fahlen Gesichtern und drohenden Blicken; in unheimlichem Kreis schweben sie auf ihn zu. Seine Glieder fangen an zu zittern und mit Schaudern versucht er ihrer eisigen Berührung zu entfliehen. Hastig greift er nach dem Hammer und lässt ihn dröhnend auf die Kupferscheibe fallen. Ein Sklave stürzt herbei. „Mache Licht!“ herrscht er ihn an und sinkt entkräftet auf den Polstern nieder.
Eine Viertelstunde später, und der Palast ist voll Ausgelassenheit und lärmender Musik. Diener stellen kostbaren Wein auf die Tafel in goldenen Gefäßen, die dem Heiligtum entwendet sind. Tänzerinnen wirbeln durch den hellerleuchteten Saal. Die schmeichelnden Hände der Frauen umkränzen den König mit Blumen. Er lacht rau und gellend auf: „Haha, so vertreibt man Gespenster. Ich denke, ich habe Ruhe vor euch!“
Herodes war von niederer Herkunft. Er stammte aus dem Volk der Edomiter, der Nachkommen Esaus. Er wusste wohl, dass die Juden den Messias aus dem Hause Jakobs und aus dem Stamme Juda erwarteten. Deswegen fühlte er sich nicht eher sicher auf seinem Thron, als bis die Häupter aller Edlen in Juda gefallen waren. Nun hatte er diejenigen ermordet, die ihm im Wege standen, und er glaubte seiner Sache sicher zu sein. Sein Gewissen betäubte er in zügelloser Ausschweifung.
Und doch gerade jetzt, wo Herodes vermeinte, am Ziel zu sein, gerade jetzt war die Hoffnung Israels näher denn je. Freilich ganz anders, als dieser fürchtete und jene hofften.
Zur selben Stunde, da der schlaue, lüsterne Mann sich an seinem schlüpfrigen Gelage berauschte, stand die reine Jungfrau im unfreundlichen Stall zu Bethlehem angelehnt an die kalten Felsen der Höhle. Der frostige Wind der Nacht wehte zur verfallenen Öffnung herein, so dass ihre zarten Glieder erzitterten. Da war kein Stuhl, sich darauf zu setzen, kein Tisch, daran zu essen, kein Bett, darauf zu ruhen. Die einzigen lebenden Wesen ihrer Umgebung waren der Ochs und das Eselein, die geruhsam auf ihrer Spreu gelagert waren.
Tief betrübt kehrt Sankt Josef aus Bethlehem zurück mit einem Bündel Stroh unter dem Arm. An vielen Häusern hat er angeklopft, an allen ist er abgewiesen worden. Die tröstenden Worte Mariä richteten ihn auf zu festem Gottvertrauen. Er zündet ein Feuerchen an, reinigt den Boden und sorgt, so gut er es vermag, für die Unterkunft der heiligen Jungfrau. Wie kümmerlich mag die Mahlzeit gewesen sein, die er nach so langer, mühevoller Reise zubereiten konnte!
Langsam geht es der Mitte der Nacht zu. Die heiligen Personen knien nieder zu frommem Gebet. Die heiligste, lieblichste aller Stunden war so nahe. Leise verglomm das Feuer unter der Asche. Es war ganz still. Nur der Atem der beiden Tiere ging heimelig durch den Raum. Die Arme vor die Brust gekreuzt, neigte die heilige Jungfrau in seliger Hoffnung und stiller Anbetung ihr Haupt. Da war es Mitternacht. Und mit einem Mal – Gott, wer mag es ehrfürchtig genug aussprechen? – mit einem Mal verbreitete sich ein milder Glanz in der Höhle. Und die Wassertröpfchen an den Wänden funkelten auf wie Diamanten, und die nackten Felsen erglänzten in silbernem Licht. Und siehe, da lag das neugeborene Kind wie frischgefallener Schnee auf dem Schoß der reinen Jungfrau, so zart, so rein, so lieblich. In himmlischer Freude erhebt Maria ihre jungfräulichen Hände und scheut sich noch, das göttliche Kind zu berühren. Sankt Josef aber wirft sich in frommem Entzücken zur Erde nieder und betet das Kindlein an. Er fühlt die Nähe der Engel, die in den gottgesegneten Raum herniederschweben.
Stille, heilige Nacht! Welch ein Trost geht von dir aus in unsere trostlose, liebeleere Zeit! Das Jahr, das in wenigen Tagen hinabsinken wird in die Ewigkeit, gleicht nur allzu sehr einem Herodespalast. Seine Fließen sind befleckt mit dem Blut unschuldiger Menschen, die Verbrecherhände aus Habgier oder politischer Leidenschaft oder Gewissenlosigkeit oder Gleichgültigkeit aus dem Weg räumten. Die stille Trauer einfacher Leute, die in Not geraten sind, wird übertönt von den Zechgelagen der Schlemmer, die die Reichtümer, die sie der Not der Zeit und der Menschen erpressten, in frevelhafter Weise verprassen. Die edle Zucht und fromme Sitte ist verstoßen und ausgewiesen aus stillen Landgemeinden, aus bürgerlichen Häusern, wo sie ehedem zu Hause war, und einsam irrt sie umher, wie Maria auf den Straßen Bethlehems.
Sollen wir traurig sein? O ihr alle, ihr schuldlosen Seelen, die ihr aufrecht geblieben seid in dieser Zeit sittlicher Verwirrung, die ihr eure Hände nicht befleckt habt an der Not des Nächsten, die ihr eure Ehre nicht preisgegeben habt, euch gilt die Botschaft des Engels: „Fürchtet euch nicht, ich verkünde euch eine große Freude: Heute ist in der Stadt Davids der Heiland geboren, welches ist Christus, der Herr!“ Mit den frommen Hirten möget ihr niederknien an der Krippe des Jesuskindes und in seine gütigen Augen sehen und eure Lippen leise an die segnenden Händchen drücken und Treue geloben, heilige Treue.
Oder hattest auch du keinen Platz in der Herberge deines Herzens, weil du andere Gäste darin aufgenommen hattest? Hast auch du deinen Fuß in sündigem Fieber auf die Schwelle des Herodespalastes gesetzt? Dann kehre um, ich bitte dich, in der heiligen Nacht. Es wird auch dir ein Stern leuchten, der den Weg zeigt zurück zu dem göttlichen Kind. Wahrhaftig, du bist zu gut, gemein zu sein. Fühlst du nicht, dass die Sünde nicht glücklich macht? Beuge auch du deine Knie vor dem Heiland der Welt und bekenne deine Schuld, dass du mit reinem Gewissen die Schwelle des neuen Jahres überschreitest.
Mit festem Gottvertrauen nehmen wir Abschied vom alten Jahr. Wir bereuen alle Fehler und Sünden, durch die wir es in unserer Schwäche entweiht haben, und danken Gott, dass er uns durch die Fährnisse der Zeit glücklich hindurchgeführt hat.
„Fürchtet euch nicht!“ Es hat im Laufe der Jahrhunderte schon manchen Herodes gegeben; es waren schon schlimmere Zeiten als unsere. Jene sind vermodert, diese sind vergangen. Das göttliche Kind in der Krippe aber lenkt immer noch die Welt. Wer es mit ihm hält, der wird nicht zuschanden werden. Und wenn wir mit Josef und Maria Mangel leiden, sind wir nicht glücklicher, als wenn wir im Palast des Herodes im Überfluss schwelgen?
„Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede den Menschen auf Erden!“
Mit diesem ehrwürdigen Gebet auf den Lippen gehen wir still und bescheiden den geraden Weg weiter hinüber in das neue Jahr.
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13. Die heilige Kommunion in Begleitung der Gottesmutter Maria
für die armen Seelen im Fegfeuer
Wie groß wird die Freude Mariä sein, wenn wir die heilige Kommunion für die armen Seelen aufopfern. Es ist dies auch ein großes geistiges Werk der Barmherzigkeit. Welche Freude würden wir einer armen Mutter machen, wenn man ihr das Lösegeld für ihren gefangenen Sohn in die Hände legen würde! Ähnlich ist es bei Maria, wenn wir ihr Werke der Genugtuung übergeben, für ihre gefangenen Kinder im Fegfeuer. Es wird niemand leugnen können, dass Maria, die Königin des Himmels und der Erde, eine besondere Herrschaft ausübt im Fegfeuer. Sie selbst hat es der heiligen Brigitta geoffenbart, dass durch ihre Fürbitte diese Seelen ohne Unterlass Linderung in ihren Peinen und gänzliche Erlösung aus ihren Qualen erhalten. Ja, diese gütige Mutter verschmäht es nicht, selbst ins Fegfeuer hinabzusteigen, um ihre Verehrer in den Himmel zu holen. Ganz besonders aber geschieht dies an Mariä Himmelfahrt, denn dieser Tag ist nicht nur ein Freudenfest für den Himmel und die heilige Kirche auf Erden, sondern auch für die armen Seelen im Fegfeuer. „Am Tag der glorreichen Auffahrt Mariä in den Himmel“, schreibt Gerson, „wurde das ganze Fegfeuer geleert“, und Navarin bestätigt dies unter Anführung wichtiger Autoritäten mit den Worten: „Maria habe bei ihrem Eintritt in das Paradies von ihrem göttlichen Sohn die Gnade erbeten, alle Seelen, die sich damals im Fegfeuer befanden, mit sich in den Himmel nehmen zu dürfen.“ Die gottselige Katharina Emmerich sagt: „Ich sah, was mich sehr freute, der Seele Mariä bei ihrem Einzug in den Himmel, eine große Menge erlöster Seelen aus dem Fegfeuer folgen. Ich erhielt auch die tröstliche Mitteilung, dass jährlich an ihrem Sterbetag viele ihrer Verehrer dieser Gnade teilhaftig werden.“
O wie glücklich sind die Verehrer Mariä! Diese gute Mutter verlässt sie auch im Fegfeuer nicht. Und mit welcher Sehnsucht werden ihre Verehrer nicht auf das Fest ihrer Himmelfahrt warten! Wir dürfen gar nicht zweifeln, dass Maria für dieses Fest große Privilegien hat. Man glaube ja nicht, dass man etwas verliert, wenn man die heilige Kommunion für die armen Seelen empfängt oder aufopfert, im Gegenteil, man verliert nicht, was man für Gott und Maria verliert. Weil die heilige Kommunion ein Akt der höchsten Gottesverehrung ist, so ist sie ein Akt der größten Genugtuung, und nur die Genugtuung kann man den armen Seelen schenken. Die vielen Gnaden, die die Seele vom Heiland empfängt, kann man den armen Seelen nicht schenken. Die vielen Akte der Tugend, die eine Seele vor und nach der Kommunion erweckt, sind wiederum große Genugtuungsakte, besonders jene nach der heiligen Kommunion in Vereinigung mit der sakramentalen Gegenwart Jesu Christi im Herzen. Aus diesen Gründen ist die heilige Kommunion ein so mächtiges Mittel, den armen Seelen zu helfen, weshalb sie auch viele Geistesmänner sehr empfehlen. Ein heiliger Priester, Frassineti, hat in einem eigenen Schriftchen den Wert der Aufopferung der heiligen Kommunion für die Verstorbenen empfohlen.
Geben wir dieses geistige Almosen so oft wir können. Besonders jene Seelen sollen es tun, die die Gnade haben, oft zu kommunizieren. Die Barmherzigkeit gegenüber den armen Seelen sichert uns viele und große Gnaden. Durch die Barmherzigkeit, die wir den armen Seelen erweisen, erlangen wir Hilfe in den schwersten Anliegen. Die heilige Katharina von Bologna sagte oft, dass sie viele Gnaden, die sie durch die Fürbitte der Heiligen nicht erhalten konnte, alsbald durch die armen Seelen erhalten habe. Die allerseligste Jungfrau selbst gab einem frommen Ordenspriester in einer Erscheinung den Rat, den armen Seelen zu Hilfe zu kommen, um von schweren Versuchungen befreit zu werden. Benützen also auch wir dieses Mittel in allen Anliegen des Leibes und der Seele.
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