6. Mai - Die lebende Monstranz

 

Ein altes Sprichwort sagt: Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude! Es ist ein Zug des menschlichen Herzens, sich mitzuteilen, ob es nun Schmerz oder Freude ist. Wenn wir uns ausweinen können an der Brust eines lieben Menschen, ist uns gleich leichter. Und zieht eine große Freude durch unsere Seele, dann hält es uns nicht mehr zu Hause, wir eilen zu lieben Freunden und sagen: "Freuet euch mit mir!" Maria sitzt sinnend da. Ist es denn möglich? Vor kurzer Zeit erfüllte diese arme Kammer die Herrlichkeit des Himmels. Etwas so Großes, so Wunderbares, so Wunderseliges ist ihr widerfahren, dass ihr Herz zerspringen möchte vor Freude. Auch Maria trägt in ihrem Herzen diesen echt menschlichen Zug, sich mitzuteilen in ihrer Freude. Wem soll sie es sagen, wem soll sie es erzählen? Dem treuen Gefährten, dem heiligen Josef? Nein, einem Mann kann sie es nicht sagen, und wenn es auch der keusche Verlobte ist. Es sträubt sich ihr jungfräuliches Zartgefühl dagegen. Also den Frauen von Nazareth, mit denen sie zusammenkommt beim Brunnen oder in der Synagoge? Doch nein! Maria sieht schon im Geist, wie sie hochmütig ihren Mund verziehen: "Was bildet sich die Zimmermannsfrau ein?" Sie hört schon im Geist, wie sie die "einfältige" Person auslachen und verspotten. Nein, in Nazareth kann sie es niemandem sagen. Maria sinnt und sinnt. Und plötzlich erhebt sie sich freudig. Hat ihr der Engel nicht schon einen Fingerzeig gegeben? Hat ihr nicht der Engel berichtet, dass ihre alternde Verwandte Elisabeth, die Frau des Priesters Zacharias auf ähnliche Weise wie sie die Allmacht Gottes erfahren, so dass sie in ihren alten Tagen noch einen Sohn geschenkt erhält? Ja die Base Elisabeth, die wird ein Verständnis für dieses Gotteswunder haben, die wird sich mit ihr freuen. Und jetzt hat sie auch einen hinreichenden Grund, der ihr Fortgehen von Nazareth erklärt. Sie wird ihre Base besuchen und ihr in den kommenden schweren Tagen, die der Geburt ihres Sohnes vorausgehen, beistehen, und ihr die häuslichen Arbeiten verrichten. Und so machte sich Maria auf und ging - wie die Heilige Schrift uns berichtet - eilends über das Gebirge Juda. Der Weg ist wohl weit und beschwerlich, aber das schreckt die zarte Jungfrau nicht ab. Sie hat ja einen Schützer und Begleiter: ihr göttliches Kind, das sie unter dem Herzen trägt. Und die Freude ist es, die ihr zur Seite steht und der Gedanke, dass sie Freude bei den zwei alten Leuten, bei Zacharias und Elisabeth, verbreiten werde. Das alles beflügelt ihre Schritte. Welch liebliches Bild: Mariä Heimsuchung. "Jesus, den du, o Jungfrau, zu Elisabeth getragen hast." Neigen sich nicht auf dem Weg die Blümlein und grüßen die Jungfrau? Horchen nicht die Tiere des Feldes den verhallenden Schritten der Jungfrau? Dürfen wir uns wundern, wenn Johannes der Täufer, der noch Ungeborene, aufhüpft vor Freude im Mutterschoß, als Maria grüßend in das Haus des Zacharias tritt?

 

Mariä Heimsuchung! Das war die erste Fronleichnamsprozession. Maria, die Lebende Monstranz, die in ihrem reinen Schoß das hochwürdige Gut, Jesus Christus, trug durch Flur und Au. 

 

Damals hat ihm nur die unvernünftige Kreatur gehuldigt, als er in der Monstranz des reinen Leibes Mariens über das Gebirge Juda getragen wurde und das Kind Johannes, noch ungeboren, sich freute, als der Heiland in seine Nähe kam.

 

Über tausend Jahre mussten vergehen, ehe dem Heiland in der Monstranz die Ehren und Huldigungen erwiesen wurden, wie sie ihm heute am heiligen Fronleichnamsfest erwiesen werden. Unscheinbar, von niemandem beachtet, in aller Stille, vollzog sich die erste Fronleichnamsprozession: Marias Gang über das Gebirge Juda. Und ebenso unscheinbar und unbeachtet sind die Anfänge dieses schönsten Festes der Christenheit. Nicht vom Vater der Christenheit, Papst Urban IV., der das Fest für die ganze Christenheit vorgeschrieben hat, ist der Gedanke ausgegangen, auch nicht von dem großen Kirchenlehrer Thomas von Aquin, der im Auftrag des Papstes das herrliche Festoffizium (das Messformular und das Brevier) verfasst hat, sondern eine bescheidene Klosterfrau, Juliana von Lüttich, hat die erste Anregung gegeben. Diese schlichte Ordensfrau, deren Leben nichts Außergewöhnliches an sich hat, die nur eine große Liebe zu den Leidenden hatte und eine große Verehrung zum heiligsten Sakrament, wurde im beschaulichen Gebet einer besonderen Erscheinung gewürdigt: Sie sah im Geist den Mond im vollen Glanz, nur ein Riss entstellte etwas die leuchtende Scheibe desselben. Anfangs achtete Juliana dieser Erscheinung nicht besonders, dann hielt sie Rücksprache mit ihren Obern und mit frommen und gelehrten Personen. Doch niemand konnte ihr Aufschluss geben, was dieser unvollständige Mond bedeuten könnte. Da bat Juliana noch inständiger den Heiland, ihr die Bedeutung des gehabten Gesichtes kundzutun. Und nun offenbarte ihr der Herr: der Mond bedeute die Kirche im Glanz ihrer Feste, der dunkle Riss darin den Abgang eines Festes zu Ehren des heiligen Sakramentes, welches er von der gesamten Christenheit gefeiert wissen wollte. Juliana erschrak, sie hielt sich für zu unwürdig und zu schwach, auf die Einführung eines allgemeinen Festes zu dringen. Zwanzig Jahre schwieg sie, aber nach zwanzigjährigen Beten und Fasten erkannte sie, dass sie dem Willen Gottes nicht länger widerstehen dürfe. Sie teilte ihre Offenbarungen einigen frommen und gelehrten Priestern, darunter auch dem Archidiakon von Lüttich Jakob Pantaleon mit. Aber da erhob sich von allen Seiten der Geist des Widerspruches, sie wurde verspottet und verlacht und sogar verfolgt, so dass sie aus ihrem Kloster flüchten musste. Im Ausland, fern von der Heimat, am Ostertag des Jahres 1258, empfing sie an den Stufen des Altares, wohin sie sich als Sterbende hatte tragen lassen, die heilige Wegzehrung und dann starb sie im Anblick des heiligen Sakramentes. So hatten scheinbar die Feinde Julianas gesiegt. Aber die Vorsehung Gottes fügte es, dass der Archidiakon von Lüttich als Papst Urban IV. den päpstlichen Thron bestieg. Er erinnerte sich der Offenbarungen der Seligen und setzte nun durch ein eigenes Dekret im Jahre 1264 das Fronleichnamsfest ein.

 

Seitdem geht nun der Heiland im feierlichem Triumphzug durch die Straßen der Städte und Dörfer. An diesem Tag müssen Wald und Wiese und Garten ihren prächtigsten Schmuck hergeben zur Verherrlichung Christi im heiligen Sakrament. Die Glocken stimmen ihren hellsten Klang an, Fahnen wehen wie bei einem Siegesfest, die Straßen gleichen einem Paradiesesgarten. Selbst der Staub der Straße verschwindet unter einem grünen Teppich von Gras und Blumen, den die Fluren und Wiesen gesponnen haben. Sonst bergen wir hinter geweihten Mauern das heilige Sakrament als unseren köstlichen Schatz, aber einmal im Jahr müssen wir es der staunenden Welt zeigen mit freudigem Bekenntnis. Einmal im Jahr soll der König der Könige durch sein Reich ziehen, dass alles ihm huldige: die Kinder, die in weißen Gewändern glückstrahlend vor ihm einherziehen, und die unabsehbaren Scharen der Männer und Frauen, die da, ob gering oder vornehm, erkennen: heute ist der große Triumphtag unseres Gottes. Einmal im Jahr soll der König durch sein Reich ziehen, dass er alle und alles segne: die unmündigen Kindlein auf den Armen ihrer Mütter, und Haus und Hof, Menschen und Vieh, Garten und Feld, die Gesunden und Kranken, die ihr Leidensbett zum Fenster rücken lassen, dass auch sie einen Strahl seiner göttlichen Huld und Gnade erhaschen. Und der Triumphzug des Königs geht durch die volkreichen Straßen und Plätze der Großstädte und aller Verkehr stockt und ein leises Ahnen geht durch die Rehen der Menschen, dass auch der friedlosen, ruhelosen Großstadt nur dann der Friede zuteil wird, wenn sie Christus, dem Friedenskönig, sich beugt in Anbetung und Huldigung. Und der Heiland zieht durch die schlichten Dorfstraßen und ist in der Großstadt eine große Prachtentfaltung, so herrscht hier mehr Andacht und Glaube. Und der Heiland zieht sogar über die Seen, (wer denkt da nicht an die liebliche Fronleichnamsprozession auf dem Traunsee oder Chiemsee?) und die Schützen der Gebirgswelt lassen zum Preis des Königs der Welt ihre Büchsen knallen, dass das Echo von den steilen Wänden widerhallt. Und am Meeresufer bewegt sich die Prozession dahin und wiederum huldigen Wind und Wellen dem, der auf den See Genezareth ihnen einstmals gebot, und es trat eine große Stille ein. Und durch die Urwälder Afrikas zieht der König der Völker und die Menschen in schwarzer Hautfarbe, nur dürftig gekleidet, kommen voll Freude und legen ihm ihre Armut zu Füßen und Christus hat ganz sicher mit der schlichten Huldigung dieser oft armen Menschen eine innigere Freude, als mit der glänzendsten Feier in einer der Hauptstädte Europas.

 

Vier Altäre sind errichtet am Weg. Fromme Hände haben sie geschmückt mit Blumen und Kerzen, mit grünen Bäumchen und kostbaren Teppichen, der Himmel wölbst seine blaue Kuppel darüber und die königliche Sonne droben grüßt ihren Herrn als demütige Magd. Vier heilige Evangelien werden gesungen, dann kniet der Priester betend nieder und bittet den König der Glorie um Abwendung der verschiedenen Übel, wieder ergreift er das Palladium der heiligen Kirche, im Sonnenschein blitzt die Monstranz, des Königs Segen ergießt sich über die Menge, die in die Knie sinkt, voll Glauben und Ehrfurcht.

 

Und der Herr geht segnend weiter, Lieder und Gebete umklingen ihn, Blumenduft umwallt ihn wie die Wolken des wohlriechenden Weihrauchs und unter dem brausenden Jubel des großen Lobgesanges kehrt er zurück in die Verborgenheit des Tabernakels. 

 

Einmal im Jahr verlässt der König der Herrlichkeit die Stille des Tabernakels und die geweihten Mauern der Kirche, einmal im Jahr tritt der demütige Gott als König unter die Menschen und lässt sich huldigen von ihnen. Liebe Marienverehrer, vergessen wir es nicht: Das Fronleichnamsfest wird seinen ganzen wunderlieblichen Zauber entfalten, es wird mächtig unseren Glauben stärken und reiche Gnaden uns vermitteln, solange wir unsern Heiland an seinem Hochfest begleiten mit einem Herzen voll Glauben an seine Gegenwart, solange aus unseren Herzen die Gluten der Andacht und Ehrfurcht wie Weihrauchwolken emporsteigen. Wo aber der Glaube und die Ehrfurcht fehlen, wird das Fronleichnamsfest entweiht und heruntergewürdigt zu einem bloßen Schaugepräge, wobei nur Augen und Ohren sich sättigen, aber das Herz leer ausgeht.

 

Nein, dazu wollen wir das herrliche Fest des heiligen Sakramentes nicht erniedrigen lassen und darum, liebe Marienverehrer, wenn alle Jahre der Fronleichnamsmorgen anbricht, dann gehen wir mit dem heiligen Vorsatz zur Kirche: Heute soll der Heiland sehen, wie fest ich an seine Gegenwart in der weißen Hostie glaube, wie innig ich ihn liebe und welch eine Herzensfreude es mir bedeutet, ihm huldigen zu können in tiefster Ehrfurcht.

 

Da gehet leise,

Nach seiner Weise,

Der liebe Herrgott durch den Wald.

 

Ja, am großen Herrgottstag, da geht wirklich nach seiner Weise demütig und schlicht und voll Güte und Liebe Gott durch Flur und Wald, durch Stadt und Dorf.

 

Sei tausendmal gegrüßt, lieber Heiland, im Geist falle ich auf meine Knie und bete dich an mit den Hunderttausenden, ja vielen Millionen der ganzen Welt. An deinem Hochfest erkenne ich wahrlich: Du bist der König der ganzen Welt. Es lebe Christus, der König!

 

Amen.