Marien-Mai

 

Inhalt:

 

1. Erinnerung an den Marien-Mai

2. Die erste Marien-Mai-Andacht zu Nazareth

3. Eine würdige Feier des Marien-Mai

4. Gedicht: Der Maienkönigin

5. Die Maiandacht

6. Maria, durch Blumen und Kränze verehrt

7. Schönheit Mariens

8. Ursprung und Feier der Mai-Andacht

9. Der Marien-Mai zu Rom

10. Der Marien-Mai in der Minoriten-Kirche zu Paris

11. Der Marien-Mai in Belgien

12. Der Marien-Mai in Luxemburg

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Beatam me dicent omnes generationes!

Immaculata: Gemälde von Fra Damascen Hahnel O.S.Fr.

 

 

1. Erinnerung an den Marien-Mai

 

(Geschildert von Franz Alfred Muth, 1866)

 

Welch eine Gnade und Beseligung für uns, die wir alle in Maria, der glorreichen Himmelskönigin, gefunden haben! Wenn die ganze Erde ein Rosengarten wäre, so müsste man alle Rosen brechen und der gebenedeiten Jungfräulichkeit zu Füßen legen, die mit dem göttlichen Jesuskind im Schoß uns so mild-mütterlich ansieht, dass man weinen möchte, besonders aber wenn man daran denkt, wie die Mutter für uns unter dem Kreuz auf Golgatha gestanden hat und in den unnennbaren Schmerzen der Mutterliebe den Frieden in unserem daraus hervorblühenden Heil fand.

 

Als ich noch, ein kleines Kind, in der Heimat am Rhein lebte, nahm mich die Mutter oft an stillen Sonntagnachmittagen mit in die alte Marienkapelle, die über das Städtlein herunterschaut und mit schöner Kindesstimme ihre Glocken rührt. Fand ich dann am Weg einige Veilchen noch oder ein wildes Röslein, so musste ich es trotz der Dornen haben, und ich konnte so glückselig die Blutstropfen abwischen, wenn nur die Rose vor das Muttergottesbild zu liegen kam. Das waren glückliche Tage, denn man sagte mir: das Bild stelle Maria vor, die liebe Mutter des Christkindchens, das in der Weihnachtsnacht so hübsche Geschenke bringe, und da musste ich sie wohl liebhaben. Ich wurde zwar älter, aber es freute mich doch immer noch, an einer alten Linde einem Marienschrein zu begegnen oder mit einem Kerzchen heimlich zu Abend vor den Muttergottesaltar zu treten.

 

Aber erst nun, wenn der Mai wiedergekommen, wenn die Wolken lichtblau wanderten und die Bäume ausschlugen: Wer etwa am letzten Apriltag durch den grünen Hag geschritten kam, der über den Bergen meiner Heimat sich dunkellaubig lagert, konnte neben dem süßen Schlag der Nachtigallen auch noch andere Herzen sich ausjubeln hören – überall rosige Kindergesichter, bunte Kleider, Lachen und munteres Singen. Kinder vergessen gar leicht das, was ihnen trüb scheint, am liebsten aber die Schule mit Buchstaben und Zahlen. Es war April in den Köpfen und Mai in den Herzen. Laubwerk, Blumen, Moos, alles schien schon recht, denn alles, die ganze schöne Welt sollte in einem Kranz in die Muttergottes-Kapelle, dort zu lächeln, zu duften und zu sterben. In einem lichtgrünen Waldgrund saßen Mädchen und flochten die Blumen in das Laub – bis im allzu früh herniedersinkenden Abendrot der ganze Zug aufbrach.

 

Mit welcher Freude und mit welchem Selbstbewusstsein streckte sich schon am frühen Morgen des ersten Maitags manch Köpflein empor, um durch die Gitter der Kapellentür die Blumen und Lichter zu sehen. Und wer nicht mit in den Wald hatte gehen können, suchte zwischen Hecke und Gras noch einen Veilchenstrauß, ihn in das Kirchlein heimlich zu werfen. Das waren noch selige Kinderfreuden ohne allen Schmerz! – Am Vorabend, wenn die Glocken unten im Tal hell und freudig zu läuten anfingen, begann erst so recht der Jubel. Auch vom Bergkirchlein läutete es, ein leiser Duft wie an dem ersten anmutigen Herbstmorgen lag über aller Welt, man sah durch ihn die Fahnen wehen, und wie sehnsüchtige Lieder nach dem Himmel klang es empor. Nie hat mehr irgend eine Prozession einen solchen Eindruck auf mich gemacht, selbst mit aller Pracht in großen Städten, als diese einfache Wallfahrt aus dem Tal der Zähren zu dem Berg der heiligen Muttergottes! Der Himmel war so tiefblau, der Strom ging still im Grunde, der Mond begann sacht zu scheinen – als ob der ganze Zweck des Lebens, das Einswerden mit dem Himmel, schon jetzt erreicht sei. Aber so leicht wird es uns nicht gemacht, nur das sterbende Kind geht träumen auf Lilien und Rosen und doch auch wieder weinend in den Himmel, als ob der Schmerz des Todes auch ihm zum Lösegeld dienen müsse! Wenn dann alle die Kinder, die Jungfrauen und Männer neben hochbetagten Greisen, die noch mit zitternder Stimme sangen zum Lob der Himmelskönigin, in der Kapelle knieten und immerfort noch die Glocken läuteten und in die feierliche Stille der Mondnacht die hehren Lieder klangen und von der Linde die Nachtigall, gleichsam als Marien-Vöglein, darein schlug, so regte sich heißer als in der größten Freude die Sehnsucht, auch recht bald vor der allersüßesten und huldvollsten Mutter des Herrn selbst zu knien, so selig wie einst die Hirtenknaben von Betlehem. Und war die Andachtsübung vorbei, das Herz bebte und zitterte noch wie die Lotusblume, wenn der Mond sie anschaut. – Ich erinnere mich, wie wir bis in die Mitternacht auf dem Strom fuhren, langsam, grüne Maien von allen Seiten im Schifflein, und dann kam es mir vor, als steuere Maria uns, kaum gesehen, an den Felsen vorbei, durch die ruhige Nacht des lang verlorenen Paradieses.

 

O ja, ich zweifle nicht, ich hab es ja oft erfahren, Maria ist freigiebiger im Spenden der Gnade, als wir bereit, sie zu empfangen! Sie wird auch die Schifflein unseres Lebens in den sicheren Port geleiten! O, wenn wir ihrer nur stets gedenken, so können wir nicht untergehen!

 

Am ersten Mai-Sonntag kamen dann die Prozessionen von nah und fern gezogen, auf allen Pfaden zwischen dem Grün der Berge nieder, im stillen Tal, vom fernen Wald her. Auf dem Fluss flatterten die Fahnen und in dem Städtlein sang es in allen Gassen durch die sonnigblaue Frühlingsluft. Und wenn dann im Abendrot die Fahnen sich zur Heimkehr entfalteten, die Glocken läuteten, in den Gärten die Rosen dufteten – und ferner, immer ferner die Lieder klangen, so musste der Wanderer auf einsamem Weg, wenn nur ein Laut sein Ohr traf, niederknien, und die gebenedeite Magd des Herrn grüßen, zu deren Lob die ganze Welt jetzt jubelte und sang, und gleichsam starb im Abendrot der Liebe. – Ach, als Kind, wie war es uns da zumute, an keiner Blume konnte das Auge sich satt sehen, an keinem Geläut sich satt lauschen! – Vorbei ihr huldigen Stunden und Tage, durchhaucht von Himmelslüften, durchzittert von Engelsharfenklängen! Es ist schon manches Herz seitdem gebrochen und sieht hienieden keine Mairose so mehr, und steigt nicht mehr am frühen Morgen über Berg und Tal den frühen Lerchenliedern nach. Aber der geistige Mai im Herzen und Maria in der einsamen Bergkapelle – und es ist gut, wenn auch alles bricht, wir zagen nicht, so lange dein süßes Angesicht, o Mutter der Barmherzigkeit, uns zulächelt. Im Marien-Mai soll das ganze Leben sein! Der Rosen-Mai welkt, er ist bald entblättert. Von den glänzenden Träumen der Welt-Minne bleibt nur das Weh des Lebens und die Dornen, die den Weg zum Himmel erschweren. Aber diese Rose, Maria, sie lässt uns nicht! O du anmutigste Seelenbraut, du unser Ruhm, unsere Freude, unsere Seligkeit! Mit dir erstürmen wir den Himmel – die Hölle mag rasen in Sturm und Blitz und Wetterschlag!

 

Es war schon etwas weh, wenn der letzte Maitag gekommen war, als ob die letzten Rosen blühten, die letzten Vögel sängen! – Das Pfingstgeläut war mit seinen hehren Schauern, seiner tiefen Wonne auch schon vorüber – wer soll denn nun mit uns sein während des glühenden Sommers, während des rauen Winters! Noch einmal naht man der Linde, die nur welke, duftlose Blätter streut. Das Auge muss weinen, als ob es einen ewigen Abschied gelte in die kalte Fremde! Ach ja, und ist es nicht auch so? Die Kindesfreude und die Kindesunschuld ist leider so oft und bald dahin. Der armselige, vom Weltdünkel aufgeblasene Verstand will nicht mehr glauben, das Herz kann darum nicht mehr hoffen, der Wille nicht mehr heilig lieben. Es geht der Sommer – er geht unbenützt vorüber, der Herbst kommt ohne Früchte, das Ende des kurzen Lebens naht, die vergeltende Ewigkeit tut sich auf – und dann? Ach ja – und dann? – und dann ist es noch die gnadenvolle Erinnerung an die allerseligste Jungfrau und Muttergottes Maria, die wir als Kinder so innig geliebt, und sie führt uns dann mütterlich sorgsam zu ihrem Sohn, dem guten Hirten zurück, damit wir noch in der elften Stunde des ewigen Himmelsmais nicht verlustig gehen.

 

Ach ja, diese paar Herzschläge, „Leben“ genannt, sind so kurz. Man sollte nur zu Marias Ehre atmen, denken und wollen, das brächte das echte Mai-Seligsein! Wüssten wir, wie lieb sie das hat, nie mehr würde das böse Herz sie beleidigen. Wenn du eine Seele kennst, die Maria bis jetzt noch nicht geliebt hat, führe sie doch mit mildester Hand zu ihr, damit der Marien-Mai in der Zeit und dereinst auch der Marien-Mai in der Ewigkeit ihr holdseligst erblühen und erduften möge! Ave Maria!

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2. Die erste Marien-Mai-Andacht zu Nazareth

 

(Aus: Andacht zur allerseligsten Jungfrau in Beispielen von P. Huguet)

 

Der Kanzler des Patriarchen von Jerusalem, Th. Dequevauillers, gibt in einem seiner nach Paris gerichteten Briefe folgende Schilderung von der ersten Marien-Mai-Andacht, wie sie zu Nazareth gefeiert wurde. Er berichtet:

 

Nazareth in Galiläa, am 31. Mai 1856

 

Ich schätze mich wahrhaft glücklich, indem ich Ihnen von dem hochbegnadeten heiligen Städtlein Nazareth schreibe, das ich in diesem Augenblick zum fünften Mal zu besuchen die Freude habe, und auf welches Ihre Frömmigkeit gewiss recht oft die Gedanken Ihres Geistes und die Sehnsucht Ihres Herzens hinlenkt. Nie setzte ich ohne sanfte Rührung den Fuß auf diesen heiligen Boden, der unter den Wanderungen unseres göttlichen Heilandes und seiner gebenedeiten Mutter, der unbefleckten Jungfrau Maria, erbebte. Alles in Nazareth ist noch voll frommer und lieblicher Erinnerungen an die heilige Familie. Wie wohl tut es, an der Stätte der Menschwerdung Gottes zu knien und die von Liebe zitternden Lippen auf den Marmor zu drücken, der die Stelle bezeichnet, wo das Wort hat Fleisch angenommen! Wie erträgt man mit Geduld die Last und die Mühseligkeiten des Lebens, wenn man in der demütigen Werkstätte gebetet und sich gesammelt hat, wo der Gottmensch Jesus Christus und St. Joseph, sein Nähr- und Pflege-Vater gearbeitet und ihr Brot im Schweiß ihres Angesichts verdient haben! Wie tröstet man sich über die Undankbarkeit der Menschen, an diesem Plätzchen, dem bleibenden Zeugen der Undankbarkeit der Landsleute dem Eingeborenen Sohn Gottes gegenüber, der unter ihnen die Knechtsgestalt angenommen hatte, um die ganze Welt von ihren Sünden zu erlösen! Wie sehr fühlt sich das Herz erleichtert und erfrischt, wenn der Blick, nach Osten hinschweifend, auf der Kuppe des Hehren Tabor ruht, der durch den Ruhm der Verklärung für immer denkwürdig sein wird!

 

Allein heute will ich Ihnen nicht diese heiligen Stätten beschreiben. Die guten, bescheidenen Ordensschwestern, die aus Frankreich hierher kamen, sind es, denen man die Einführung der Marien-Mai-Andacht zu Nazareth verdankt. Wo konnte diese volkstümliche Andacht besser am Platz sein, und wo konnte sie sich gedeihlicher entfalten, als im Geburtsort der allerseligsten Jungfrau Maria? Welchen tiefsten Trost empfand ich, als ich die Kinder, Jungen und Mädchen, mit den Greisen im Silberhaar herbei kommen und vor der Statue der Jungfrau von Nazareth niederknien sah, die in einer Nische ihrer bescheidenen Kapelle aufgestellt war. Diese erwies sich leider als zu klein, um all die frommen Araber zu fassen, die jeden Abend herbeiströmten, um an den an die gnadenreichen Mutter des Heilandes gerichteten Gebeten und an den kraftvollen Gesängen Anteil zu nehmen, die die Jugend von Nazareth an dieser ehrwürdigen Stätte erschallen ließ. Der maronitische Pfarrer wohnte alle Tage dieser Andacht mit vielen seiner Schäfchen bei, ebenso ein griechisch-katholischer Priester, der jeden Abend eine Lesung, oder eine Unterweisung in arabischer Sprache vortrug. Wir waren aber entzückt, als wir Schlussverse geistlicher Lieder in französischer Sprache von dieser interessanten Jugend mit Ausdruck und Begeisterung singen hörten. – Der Orient ist aber auch das Land der Wohlgerüche. Man verbrennt die köstlichen Duftstoffe überall. In jeder Kirche und Kapelle wirbelt der Weihrauch in dichten Wolken empor. Warum sollte man keinen verbrennen vor dem in der Kapelle der Ordensschwestern von Nazareth errichteten Marien-Altar? Ein Hemmnis stand indessen noch im Weg. In ihrer Armut hatten die guten Frauen sich noch kein Rauchfass anschaffen können. Eine Schwester jedoch hat diesem Missstand teilweise abgeholfen. Es war ihrer Sorgfalt gelungen, aus einem Blechstück eine Art von Räucherpfännchen zu machen. Bei jeder Andacht bemächtigte ein arabischer Chorknabe dieses seltsamen Räucherpfännchens, kniete davor nieder, füllte es mit glühenden Kohlen und bedeckte sie mit Weihrauch, den er durch beständiges Anblasen vor der Bildsäule Marias brennend erhielt. – Ich gestehe, dass ich durch diese Handlung des arabischen Chorknaben mehr erbaut als zerstreut wurde, und ich bin überzeugt, dass sein Weihrauch-Opfer derjenigen, die auf dem Boden von Nazareth das Drückende der Armut gekannt hat, nicht weniger angenehm war, als jener, der ihr in reichen goldenen und silbernen Rauchfässern dargebracht wird!

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3. Eine würdige Feier des Marien-Mai

 

(Aus: Erinnerungen an den römischen Jüngling Paolo Piazzesi von P. T. Manzotti)

 

Paolo Piazzesi, am 2. Januar 1829 zu Rom von wohlhabenden Eltern geboren, erhielt in der heiligen Taufe nebst dem Namen des heiligen Paulus auch noch den von St. Aloysius und St. Makarius. Es scheint, dass diese drei berühmten Heiligen, deren weltbekannte Namen er führte, es von da an mitsammen übernommen haben, dieses Kind besonders sorgfältig zu beschützen. Und jeder von ihnen scheint ihm eine innige Vorliebe gerade zu derjenigen Tugend eingeflößt zu haben, die ihm selber (das heißt – dem bezüglichen Namens-Patron) eigen gewesen war. In der Tat, zum jungen Mann herangewachsen, war Piazzesi als Paulus ein junger Apostel rücksichtlich der guten Beispiele, die er allen gab, die mit ihm verkehrten. Als Aloysius erwies er sich als der reinste Spiegel jungfräulicher Keuschheit. Und als Makarius kann er ein kleiner Anachoret oder Einsiedler genannt werden in Ansehung der stillen Einsamkeit und Zurückgezogenheit, worin er stets mit größter Freude zu leben suchte. Die schönsten Namen eines jeden frommen Christen „Jesus“ und „Maria“ hatte er sich zu seinen täglichen Leitsternen gewählt.

 

Schüler bei den Jesuiten im „römischen Collegium“ geworden, empfing er am 27. März 1839 zum ersten Mal die heilige Kommunion. Mit großer Andacht wohnte er den geistlichen Übungen bei, die den Erstkommunikanten recht würdig zu diesem ersten Gottgenuss vorbereiten sollen. Besagte Exerzitien werden gewöhnlich erteilt in jenen Zimmern, die einst der heilige Aloysius von Gonzaga bewohnte und die seit geraumer Zeit in heilige Kapellen umgewandelt worden sind. Paul erhielt bei dieser Gelegenheit ein Bildnis des heiligen Aloysius, das er gar sehr schätzte, nicht etwa wegen des bedeutenden Kunstwertes, den es besaß, sondern um stets vor Augen zu haben jenen ersten Eifer der Liebe, Andacht und Demut, womit er sich zum ersten Mal dem Tisch des Herrn genähert hatte, und als ein Hilfsmittel, um ja nicht zu erkalten in der Ehrfurcht diesem allerheiligsten Sakrament gegenüber.

 

Es gab im Collegium keinen Verein, keine fromme Verbrüderung, an der Paolo Piazzesi nicht den lebhaftesten Anteil genommen hätte. Überall leistete er etwas. – Es gesellen sich nämlich in den Schulen des „römischen Collegiums“ alljährlich die fleißigsten und sittsamsten Schüler zueinander und bilden unter sich immer eine Bruderschaft zu Ehren des heiligen Aloysius. An jedem Vakanztag kommen sie zusammen und begeben sich nach verschiedenen Übungen der Frömmigkeit in einen Garten, wo sie sich unter mancherlei Spielen und Ergötzlichkeiten von den Mühen erholen, die ihnen das Studium in den vorhergehenden Tagen verursachte. Mit der Erholung werden zu gewissen Zeiten auch Übungen in der Religionslehre verbunden. In jedem Monat wird ein Tag der stillen Zurückgezogenheit gewidmet, wo dann Betrachtung gehalten und über die eigenen Fehltritte nachgedacht wird. An den Hauptfesten des Herrn und der allerseligsten Jungfrau Maria werden neuntägige Andachten gefeiert und damit kleine Abtötungen, Tugendakte und Gebetsübungen verknüpft. All dies pflegt man „Fioretti, geistliche Blumensträußlein“ zu nennen. Jeden Morgen ist eine kleine Betrachtung, eine kurze geistliche Lesung und Gewissenserforschung vorgeschrieben. Darüber bestehen bestimmte Bruderschaftsvorschriften, und etliche allgemeine Regeln, welche sich auf die gegenseitige Erbauung und den guten Wandel beziehen. – Mehrere Jahre war Paul Piazzesi Mitglied dieser frommen Bruderschaft. Besonnen, klug, verständig, ehrbar, heiter, gesellig, wie er sich stets gezeigt hatte, stellte er das wahre Bild eines jungen Mannes dar, der Mitglied der Bruderschaft des heiligen Aloysius ist, eines jungen Mannes nämlich, wie er sein soll vor Gott und Maria, vor seinen Vorgesetzten und vor seinen Mitschülern.

 

Während einiger Hauptmonate des Jahres und besonders während des Maimonats, der der allerseligsten Jungfrau Maria geweiht ist, ließ er sich die Übung gewisser Marianischer Tugenden ganz besonders angelegen sein. – Unter den Papieren, die sich nach seinem Tod in seinem Schreibpult vorfanden, hat man von fünf Jahren die Betrachtungsfrüchte gefunden, die er jedes Mal im Monat Mai täglich aufgezeichnet hatte.

 

Am Anfang jedes Heftes oder Blattes stand die Aufschrift: „Blumenkränze, gesammelt von mir, Paul Piazzesi, als Weihegeschenk für die allerseligste Jungfrau Maria im Augenblick meines Absterbens!“ – Und siehe da! Der Glückliche säumte nicht lange, dieses Weihegeschenk Maria darzubringen und als Lohn dafür entgegenzunehmen eine unverwelkliche Krone ewig dauernder Herrlichkeit.

 

Auf einigen Blättern sind die Tugendübungen und Betrachtungsfrüchte ausführlich aufgeschrieben, während sie auf anderen Blättern nur leise angedeutet sind. Von diesen Aufschreibungen sollen hier nur einige vorgeführt stehen als Beweis für den frommen Sinn dieses gottgefälligen jungen Mannes und als nachahmungswürdiges Muster für seine Altersgenossen.

 

Er schreibt:

 

„Aus Liebe zur allerseligsten Jungfrau Maria – habe ich mir den und den guten Bissen versagt . . . habe ich einem Armen mein Frühstück gegeben . . . habe ich einen Spaziergang unterlassen . . . habe ich einen religiösen Vortrag in der Kirche angehört . . . habe ich mein Studium eifriger betrieben . . . bin ich schneller vom Bett aufgestanden . . . habe ich des Abends mein Gewissen gründlicher erforscht . . . u.s.w.“

 

Ein anderes Mal erzählt er:

 

„Ich habe zu Ehren Marias das Officium (die kirchlichen Tagzeiten) gebetet . . . Ich habe einem Mann etwas von meinem Mittagessen mitgeteilt . . . Ich habe oft und mit großer Andacht Stoßgebetlein gebetet . . . u.s.w.“

 

Da Paul Piazzesi sein ganzes Leben lang ohne Unterbrechung Werke der Frömmigkeit, sowie der Gottes- und Nächstenliebe ausgeübt hat, so erscheinen bei ihm diese Liebesbezeigungen als wie eine in Gold gefasste Kette wertvoller Perlen. Sieht man auch die Absicht, warum er diese Dinge aufgezeichnet hatte, so wäre es weit gefehlt zu glauben: er habe es aus geheimem Anlass oder Ehrgeiz getan, sondern er hat bei diesen Aufzeichnungen nur eine ihm obliegende Pflicht erfüllt, denn solche Betrachtungsfrüchte musste er von Zeit zu Zeit in die Schule mitbringen und sie demjenigen aushändigen, der mit deren Einsammlung betraut war. Der überreichte sie dann dem Vorstand der Bruderschaft, der daraus alljährlich bei zwei Hauptgelegenheiten „Geistliche Blumenkränze“ anfertigte, die dann zu Ehren Marias, der glorreichen Himmelskönigin, und zur gegenseitigen Erbauung im Hörsaal vorgelesen wurden, nämlich: am Sonntag nach dem Titularfest der Unbefleckten Empfängnis Marias und am Schluss des Maimonats.

 

Außer dem besagten Verein des heiligen Aloysius besteht im römischen Collegium auch noch ein anderer, den man die „Bruderschaft der heiligen Apostel“ nennt, weil sie unter den Schutz derselben gestellt ist. – Die studierenden jungen Männer, die in diese Bruderschaft aufgenommen werden, sind gewöhnlich aus der vorgerückten Altersklasse und zwar aus den Lehrkursen der Philosophie und Theologie, und hie und da sogar solche, die ihre theoretisch-wissenschaftliche Laufbahn bereits ganz vollendet haben. Jeden Freitag um fünf Uhr abends versammeln sich die Vereinsmitglieder und ermuntern sich durch erbauliche Vorträge, durch geistliche Lesungen und gegenseitige Ermahnungsreden zur Frömmigkeit und zum Fortschritt in der Tugend. Auch sie haben Bruderschaftsvorschriften, durch die sie angehalten werden, zum eigenen und zum fremden Seelenheil alles Mögliche beizutragen. Die eifrigsten unter ihnen pflegen sich oft freiwillig in den Werken des Seeleneifers und der Nächstenliebe zu üben. Obwohl Laien, unterrichten sie an Sonntagen, mit der nötigen Vollmacht ausgerüstet, die Gefangenen, trösten sie, stärken sie, und bereiten sie an gewissen Hauptfesten auch zur heiligen Beichte und Kommunion vor. Besonders finden sie sich während des schönen Maimonats täglich in den Gefängnissen ein, und halten mit den Gefangenen in der Hauskapelle die liebliche Maiandacht. Es ist ein wahrhaft erbaulicher Anblick, diese seeleneifrigen und liebeglühenden Jünglinge zu sehen, wie sie die Verehrung Marias, der Gebenedeiten des Herrn, fördern, und wie sie die unglücklichen Gefangenen in den notwendigen Heilswahrheiten unterrichten und sie, indem man sie zum Vertrauen auf Maria, Die „Zuflucht der Sünder“, ermutigt, auf einen besseren Weg zu geleiten suchen. – Jene Vereinsmitglieder, die bereits Priester sind, predigen von der Kanzel aus das Wort Gottes und hören gleich danach die Beichten an. In bester Ordnung sind die übrigen behilflich und tragen alles Mögliche bei zur heilsamen Erbauung. Sichtbar erlaben sich an diesen geistlichen Übungen die armen Gefangenen. Anfangs werden sie eingenommen von der Artigkeit, Bescheidenheit und Liebe dieser jungen Apostel. Später trachten sie selbst danach, sich von diesen liebevollen Glaubenspredigern in den Heilswahrheiten unterrichten und in der Lebensbesserung unterstützen zu lassen. – Am Schluss des Marianischen Monats, - nachdem nämlich die Maiandacht mit der gemeinschaftlichen heiligen Communion beendet ist, - treten die jungen Apostel auch noch zu den einzelnen Gefangenen in die Kerker und teilen ihnen reichliches Almosen an Lebensmitteln aus, wodurch bei diesen armen Leuten die Marianische Festfreude erst so recht ihren Gipfelpunkt erreicht. Durch die empfangenen Marianischen Maimonats-Liebesgaben erfahren sie ja tatsächlich, dass Maria auch die „Mutter der Barmherzigkeit“ ist. – Man sah im Jahr 1846 bei zwanzig solcher jungen Männer, wie sie in den Gefängnissen von mehr als fünfhundert Verurteilten eine solche Festfeier Marias ausübten. Dann sah man wieder zwölf von ihnen, die in den verschiedenen Korrektionshäusern an fast zweihundert Gefangenen das Beispiel der ersteren nachahmten. – Die frommen Jünglinge beabsichtigten: dass wie der Mai der Natur draußen alles mit seiner Blütenpracht irdisch verklärt, so innerlich der Mai der Gottesgnade durch die heißerflehten Fürbitten Marias alle Seelen im Geist Jesu geistig verkläre. Des Himmels Maitag sollte durch Marias Huld und Erbarmen allen und jedem erblühen! –

 

So lebte Paul Piazzesi, mit Ausübungen heiliger Handlungen beschäftigt, bis zum Monat Mai 1846, das sein siebzehntes und letztes Lebensjahr war. Mit gewohntem Liebeseifer wand er auch in diesem Jahr während des wonnigen und süßen Marien-Mai-Monats geistliche Blumenkränze, um sie, wie er bisher immer im Sinn hatte, in seiner Sterbestunde der heiligen Muttergottes als ein Weihegeschenk darzubringen. Es war aber die Stunde seines Todes, ohne dass er es vermutete, nicht mehr fern. – Bei den älteren Zöglingen des römischen Collegiums, die der Aloysius- und Apostelbruderschaft angehörten, bestand die Sitte, im Monat Mai die sieben Hauptkirchen zu besuchen. – Unter vielen anderen Bruderschaftsmitgliedern fand sich dieses Mal auch Paul Piazzesi bei dem genannten Wallfahrtsgang ein, und zwar ganz freiwillig. Für ihn war das die allerbeste Vorbereitung auf seinen nahen bevorstehenden Übergang in die Ewigkeit. Ich habe die besagten frommen Jünglinge dieses Mal bei dem Besuchen der sieben Hauptkirchen begleitet und mit Wehmut erinnere ich mich noch an jenen Augenblick, wo wir, nach dem Austritt aus der Kirche des heiligen Kreuzes in Jerusalem, auf dem Weg zur Kirche des heiligen Laurentius in einen Kreis zusammentraten, um einen Rosenkranz für die Seele dessen zu beten, der unter uns als der erste in die Ewigkeit durch den Tod abberufen werden würde. Und ach! Wer hätte es gedacht? – Paul Piazzesi, der brave Sohn Marias, war der Auserlesene. Denn schon nach wenigen Tagen – am 19. Juli, früh um halb zehn Uhr, hatten wir seinen Tod zu betrauern. Versehen mit den heiligen Sakramenten, hört Paul noch von seiner Umgebung den trostvollen Marianischen Hymnus „Ave maris stella!“ anstimmen, den er sofort mit leiser Stimme repetierte, jedoch ohne Zusammenhang und nur in abgerissenen Worten. Später setzte er ein wenig aus und versank in einen leichten Schlummer, einer Person vergleichbar, die im Stillen betet, denn er bewegte fortwährend die Lippen und bezeichnete sich sehr oft mit dem heiligen Kreuz. Unter Anrufung der allerheiligsten Namen „Jesus, Maria und Joseph“ starb er wahrhaft als ein Gerechter und seine Seele ging ein in den Gottes- und Marienmai der himmlischen Herrlichkeit.

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4. Der Maienkönigin

 

Von Heinrich von Heiden

 

O Herrin des Maien, o Mutter,

Ich schmücke als Kind dir den Thron

Und wand dir bunte Kränzlein

Aus blauen Zyanen und Mohn.

 

Dir bracht ich die ersten der Primeln,

Die ersten Schneeglöckchen dar

Und stellte mit kindlicher Liebe

Die Blumen auf deinen Altar.

 

Dann sang ich im Kreise der Kinder

Dir, Maienkönigin,

Die schönsten der Maienlieder

Mit kindlich frommem Sinn.

 

Mir wars, als schaute dann heller

Dein gütiges Auge mich an,

Dein mildes Auge, das nimmer

Seitdem ich vergessen kann.

 

Ach, Jahre kamen und schwanden,

Mein Leben verfloss wie die Flut

Und Sorgen und Mühen verzehrten

Mein Herz mit irdischer Glut.

 

Doch selbst auf den wirren Pfaden

Hab immer ich deiner gedacht

Und habe statt Blumen dir Tränen

Der Reue dargebracht.

 

Und heute, wenn sich wieder

Im Lenze schmücket die Welt,

Dann mein ich, du kämst geschritten

Mit deinem Kind durchs Feld.

 

Ich meine, es blühten die Blumen

So lieblich nur dir zum Gruß,

Wo du auf Fluren und Auen

Nur setzest den reinen Fuß.

 

Mir ist´s, als hört ich die Englein

Dir singen im wonnigen Mai

Und stille knie ich beiseite,

Zu lauschen der Melodei.

 

Und weine, dass nicht mehr singen

Wie einst in der Jugend ich kann –

Und weine, dass dennoch dein Auge

Mich blickt so mütterlich an.

 

 

5. Die Maiandacht

 

Man ist über den Ursprung dieser rührenden Andacht nicht einig. Mehrere schreiben sie dem heiligen Philipp Neri zu, der um das Heil der Seelen so besorgt und so eifrig war, den Kult der erhabenen Gottesmutter überall zu verbreiten. Dieser Heilige, der die Jugend ganz besonders liebte, hatte bemerkt, dass der Maimonat für die jungen Leute der gefährlichste Monat des Jahres ist. Trostlos darüber, dass er das Feuer ihrer Leidenschaften nicht im Zaum halten konnte, betrachtete er sie mit Rührung, die Augen voller Tränen. Schließlich verfiel er auf den heiligen Gedanken, zur Königin der Jungfrauen seine Zuflucht zu nehmen, und das jugendliche Alter während des Monats Mai unter ihren mütterlichen Schutz zu stellen. Zu diesem Zweck gab er den jungen Leuten Verhaltensregeln, wie sie diesen schönen, ihrer Unschuld so gefährlichen Monat heilig zubringen könnten. Er empfahl ihnen, der Mutter Gottes vor ihren Bildern, Bildsäulen und Altären fromme Huldigungen darzubringen, er verordnete tägliche Andachtsübungen, ununterbrochenen Besuch der Heiligen Messe und des christlichen Unterrichts, öfteres Gebet in Verbindung mit Tugendübungen und gottseligen Werken, endlich eine allgemeine oder besondere Kommunion im Laufe oder am Schluss des Monats und Hingabe an die allerseligste Jungfrau. Die glücklichsten Erfolge krönten seine frommen Bemühungen, und dieser Monat, der sonst so gefährlich war, hauptsächlich in Italien, wurde ein Monat des Heils, der Blüten und Früchte des Heils trug, die die Kirche erfreuten.

 

In Italien also, diesem bevorzugten Land, wo die Religion ihren Thron hat, und wo die erhabene Gottesmutter die rührendsten Huldigungen empfängt, hat die Marienandacht im Maimonat, wodurch der schönste Monat des Jahres dem besten und schönsten der Geschöpfe geweiht worden ist, seinen Ursprung genommen.

 

Dieses Gefühl, dass die Kinder der allerseligsten Jungfrau bewogen hat, ihr jeden Samstag des Jahres zu weihen und sie dreimal des Tages zu ehren, hat ihnen den heilsamen Gedanken eingegeben, ihr auch einen ganzen Monat zu widmen. Und weil man, als eine Weihegabe für eine Person, die man liebt und verehrt, das Beste und Angenehmste auswählen muss, so haben sie den schönen Maimonat gewählt, der durch die Erneuerung der Natur und durch die liebliche Vielfältigkeit der Blumen, womit die Erde sich bedeckt, die Seele einzuladen scheint, auch der Gnade wieder geboren zu werden und sich mit hohen Tugenden zu schmücken, um daraus gleichsam eine Krone zu winden für die Königin des Weltalls.

 

Die Maiandacht verbindet durch anmutige Lieder den blütenreichsten, freundlichsten Monat des Jahres mit dem Lieblichsten, Nachsichtigsten, unserer Schwachheit Zugänglichsten, was der Himmel nach Gott besitzt, und mit dem Unschuldigsten und Reinsten, was die Erde bietet. Sie ist ein der Jugend gebotener süßer Genuss, um sie durch den Reiz heiliger Festlichkeiten und melodischer geistlicher Gesänge von den ausgelassenen Freuden und unsittlichen Liedern abzulenken.

 

Diese zarte Andacht zu Maria ist für treue Herzen eine reine und überreiche Quelle von Gnaden und Gunstbezeugungen. Sie heiligt die schönste Jahreszeit und erhält die fromme Seele inmitten der Zerstreuungen, die sie umgeben, in heiliger Sammlung.

 

Diese Andacht, durch die Früchte der Gnade und des Heils, die sie hervorgebracht hat, in Aufnahme gekommen, hat die Meere überschritten und ist heutzutage unter dem Schutz der Kirche, die sie durch zahlreiche Ablässe befördert hat, allgemein, katholisch geworden.

 

Die Maiandacht besteht nicht bloß in Spanien, Portugal, Frankreich, Belgien, Deutschland, England, Irland, Rom, Neapel und allen Teilen Italiens, sie wird an den äußersten Grenzen des Erdballs gehalten und gefeiert.

 

Der Maimonat ist der Monat der heiligen Freuden. Er ist der Monat, wo die Natur Maria den Kelch ihrer schönsten Blumen aufschließt. Für sie entfalten sich die purpurnen Rosen, die Lilien unserer Täler, der fruchtbare Weinstock. Die Mädchen schmücken in diesem Monat ihre Altäre mit ihren Lilasträußen und blühenden Weißdornzweigen.

 

Im Talgrund neben dem alten Felsen, am Ufer des klaren Bächleins hat die fromme Schäferin der Königin der Jungfrauen ihren ländlichen Altar errichtet. Ihr seht daran nicht Marmorsäulen, nicht vergoldetes Tafelwerk, wohl aber findet ihr blumige Auen, dichtbelaubte Bäume, die ihm einen angenehmen Schatten geben, als den unserer glänzendsten Tempel. Ihr hört da nicht die wohlklingende Musik unserer großen Städte, aber ihr genießt die Ruhe der Felder. Ihr werdet da beim Anbruch des Tages das Gezwitscher der Vögel und den Lobgesang der glücklichen Schäferin an den Morgenstern hören.

 

Im Dörfchen haben die jungen Landmädchen ihren Festschmuck angezogen. Die Prozession des Marienmonats beginnt: Die Glocke ruft die Schar der Gläubigen in die Kirche, der Winzer steigt vom Hügel herab, der Bauer eilt vom Acker herbei, der Holzhacker verlässt den Wald, die Mütter schließen ihre Hütten, um das Fest des Maimonats mitzufeiern. Bald sieht man die Geistlichkeit, die langen Reihen junger Mädchen erscheinen, der Zug setzt sich in Bewegung und es ertönt der Gesang: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig. Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten. Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind. Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, das er unseren Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.“ Das Banner der Heiligen, das Kreuz, die einzige Hoffnung unseres Heils eröffnet die Prozession. Dann kommt das Bild der unbefleckten Jungfrau Maria auf einem mit Laubwerk verzierten Thron sitzend und von vier jungen Mädchen getragen, ihr Ehrengeleit besteht aus ihren keuschesten Kindern. Die Dorfbewohner folgen hintereinander, man überschreitet das Weichbild des Dorfes und zieht längs den blühenden Weißdornhecken hin, in denen die Nachtigall ihr Liedchen trillert. Die Bäume sind mit Blüten bedeckt, oder mit jungem Grün geschmückt. Die Wälder, die Täler, die Bäche, die Felsen hören abwechselnd die Liebeshymnen an Maria und zum Schluss sendet der Mond sein mildes Licht vom Himmel herab auf dieses geliebte Fest, das der lieblichste Monat jedes Jahr uns wiederbringt.

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6. Maria, durch Blumen und Kränze verehrt

 

In einem Dorf bei Florenz lebte ein Mädchen, die Tochter armer Eltern. Sie hieß Dominika. Von Kindheit an ehrte sie die heilige Jungfrau, sie fastete in dieser frommen Meinung die ganze Woche, und am Samstag teilte sie den Armen die Nahrungsmittel aus, die sie sich am Mund abgespart hatte. Sie stellte die Blumen ihres Gartens vor einem Bild Mariens auf, die sie von ihrer zartesten Kindheit an mit den ausgezeichnetsten Gnaden überhäufte.

 

Als sie eines Tages, als sie ungefähr zehn Jahre alt war, am Fenster stand, sah sie auf der Straße eine Frau von einem schönen Äußeren, die an der Hand einen Knaben führte, der an den Füßen und an der Brust verwundet war. Wer hat den Knaben verwundet? fragte Dominika. Die Liebe hat es getan, antwortete die Mutter. Dominika über die Schönheit des Kindes entzückt, fragte es, ob seine Wunden ihm weh täten? Es antwortete nicht, die Mutter aber sagte zu ihr: Sage mir, meine Tochter, was treibt dich, diese Bilder mit Blumen zu bekränzen? Die Liebe, antwortete sie, die ich zu Jesus und Maria hege. Plötzlich erschien ihr nun die heilige Jungfrau unter der Gestalt einer großen Königin und ganz von Licht umflossen. Der Knabe glänzte wie eine Sonne. Er nahm die Blumen, und streute sie auf das Haupt Dominikas, die nun in diesen erhabenen Personen Jesus und Maria erkannte, und sich vor ihnen niederwarf. Damit endete das Gesicht. Dominika nahm hierauf das Kleid des heiligen Dominikus und starb im Verdacht der Heiligkeit im Jahr 1553

 

Der heilige Liguori überreicht Maria einen Blumenstrauß

 

Wir wüssten über die Gnadenbezeugungen, die dem heiligen Liguori in seinen letzten Jahren von der unbefleckten Jungfrau zuteil wurden, viel zu erzählen. Eins aber können wir nicht mit Stillschweigen übergehen, einen Regen, den er vorhersagte, und durch die Vermittlung der heiligen Jungfrau vom Himmel erwirkte. Das Wunder ereignete sich am 15. Mai 1779, in der Gegend von Nocera, wo seit sechs Monaten kein Regentropfen mehr gefallen war. Bald wurde es in Neapel bekannt, und Monsignore Lupoli teilte es am 29. Mai desselben Jahres dem Abbé Nonnotte durch einen Brief mit.

 

Der Heilige pflegte mit vielen Personen in seinem Zimmer geistliche Übungen abzuhalten. Er sprach da über das Leiden Christi, das heilige Sakrament, den Sieg der Martyrer und die Herrlichkeiten Mariens. „Wenn alle, die hierherkommen,“ sagte er, „nichts mit sich nehmen, als die Andacht zur Mutter Gottes, so ist das schon genug, sie zu retten.“ Dann verfiel er in eine heilige Begeisterung und rief aus: „Meine Königin, zu deinen Füßen will ich wohnen, weil ich auf dich meine ganze Hoffnung gesetzt habe.“

 

Im Monat Juni 1781 hielt er im Kloster von der Reinheit eine Rede über die Liebe zu Jesus Christus und das kindliche Vertrauen zu Maria. Die frommen Mütter wollten ihm einen Blumenstrauß geben, den er beharrlich ausschlug. Als man ihm aber zu verstehen gab, er könne ihn ja der heiligen Jungfrau überreichen, so willigte er ein, ihn anzunehmen.

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7. Schönheit Mariens

 

Der gelehrte heilige Antonin, dessen Fest am 10. Mai gefeiert wird, erzählt in seinen unsterblichen Werken die Geschichte eines Maria tief ergebenen Geistlichen. Da er sie fortwährend bat, sie möge ihm die Gnade erwirken, täglich neue Fortschritte zu machen in der Erkenntnis ihrer Vollkommenheiten und in der Liebe zu ihr, erregte diese fromme Übung in seinem Herzen ein so glühendes Verlangen, die heiligste Jungfrau zu schauen, dass er davon gleichsam verzehrt wurde. O liebe Mutter, o wunderbare Mutter, gönne mir einen Augenblick, deine unvergleichliche Schönheit zu schauen, die den ganzen Himmel entzückt. Er erhielt eines Tages den Besuch eines Engels, der ihm das Glück verhieß, Maria zu schauen, jedoch unter der Bedingung, dass die Augen, die sie einmal gesehen haben, nichts anderes mehr sehen sollten. „Ach, ich willige da ein,“ rief der fromme junge Mann, „alle übrigen Tage meines Lebens blind zu bleiben, wenn es mir nur gegönnt ist, Maria nur einige Augenblicke zu schauen.“ Der Tag wird genannt, er bereitet sich vor, er erwartet mit Ungeduld diesen glückseligen Augenblick. Er sagt indessen zu sich selbst, er könnte wohl eines seiner Augen retten, indem er es geschlossen hielte, während er sie mit dem anderen betrachten würde. Sie erschien ihm in einem so blendenden Glanz und mit einer so hinreißenden Majestät, dass das Auge, das sie schaute, dadurch erlosch und des Lichtes gänzlich beraubt wurde.

 

Dieser Anblick aber erfüllte ihn mit so süßem und reichlichem Trost, dass er, weit entfernt den Verlust seines Auges zu beklagen, das Unglück des Auges beklagte, das sie nicht geschaut hatte. „Warum habe ich das eine meiner Augen gehütet, wenn nicht, um nur die hässlichen und unvollkommenen Dinge zu sehen, die mir missfallen, nachdem ich eine so bezaubernde Schönheit geschaut habe? O Mutter der Barmherzigkeit, vergib die Grausamkeit, die ich gegen mich selbst gezeigt habe, indem ich mich eines Teils deiner Gunstbezeigungen beraubte! Lass mich dich noch einmal schauen und mich meine beiden Augen verlieren: ich werde mich glücklich schätzen, nichts mehr zu sehen, nachdem ich das Glück hatte, in diesem sterblichen Leben dich zu schauen.“ Maria wurde von diesem frommen und feurigen Verlangen ihres Dieners so sehr gerührt, dass sie sich ihm wiederholt in ihrer ganzen Schönheit zeigte, aber weit entfernt, ihm das andere Auge zu nehmen, das er um ihrer willen opfern wollte, gab sie ihm das Licht des anderen zurück, und seine beiden Augen dienten ihm fortan nur dazu, überall die Vollkommenheiten Mariens zu erblicken. 

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8. Ursprung und Feier der Mai-Andacht

 

(Aus: Ave-Maria-Glöcklein, A. Hungari, 1864)

 

1.

Eine der schönsten und lieblichsten Marien-Andachten ist wohl die Maiandacht. Der Frühlingsanfang, das grüne, blühende, süßduftige und liederdurchklungene Erwachen der Natur wird der jungfräulichen Gottesmutter Maria geweiht. Gewiss sehr sinnig! Erwachte ja auch die Menschheit zu neuem Leben, als in der Gebenedeiten des Herrn die Weissagungen des Alten Bundes in Erfüllung gingen. 

 

Die Schriftsteller sind über den Ursprung dieser rührenden Andacht nicht einig. Mehrere Gelehrte schreiben sie dem heiligen Philipp Neri zu, der um das Heil der Seelen so besorgt und so eifrig war, den Kult der erhabenen Gottesmutter überall zu verbreiten. Dieser Heilige, der die Jugend ganz besonders liebte, hatte bemerkt, dass der Maimonat für die jungen Leute der gefährlichste Monat des Jahres sei. Trostlos darüber, dass er das Feuer ihrer Leidenschaften nicht im Zaum halten konnte, betrachtete er sie mit Rührung, die Augen voller Tränen. Endlich verfiel er auf den heiligen Gedanken, zur Königin der Jungfrauen seine Zuflucht zu nehmen und das jugendliche Alter während des Monats Mai unter ihren mütterlichen Schutz zu stellen. Zu diesem Zweck gab er den jungen Leuten Verhaltensregeln, wie sie diesen schönen, ihrer Unschuld so gefährlichen Monat heilig zubringen könnten. Er empfahl ihnen, der Mutter Gottes vor ihren Bildern, Bildsäulen und Altären fromme Huldigungen darzubringen, er verordnete tägliche Andachtsübungen, ununterbrochenen Besuch der Heiligen Messe und des christlichen Unterrichts, öfteres Gebet in Verbindung mit Tugendübungen und gottseligen Werken, schließlich eine allgemeine oder besondere Kommunion im Laufe oder am Schluss des Monats und Hingabe an die allerseligste Jungfrau. Die glücklichsten Erfolge krönten seine frommen Bemühungen, und dieser Monat, der sonst so gefährlich war, hauptsächlich in Italien, wurde ein Monat des Segens, der Blüten und Früchte des Heils trug, die die Kirche erfreuten.

 

In Italien also, diesem bevorzugten Land, wo die Religion ihren Thron hat und wo die erhabene Gottesmutter die rührendsten Huldigungen empfängt, hat die Marienandacht im Maimonat, wodurch der schönste Monat des Jahres dem besten und schönsten der Geschöpfe geweiht worden ist, ihren Ursprung genommen.

 

Das besagte Gefühl, das die Kinder der allerseligsten Jungfrau Maria bewog, ihr jeden Samstag des Jahres zu weihen und sie drei Mal des Tages zu ehren, hat ihnen den heilsamen Gedanken eingeflößt, ihr auch einen ganzen Monat zu widmen. Und weil man, als eine Weihegabe für eine Person, die man liebt und verehrt, das Beste und Angenehmste auswählen muss, so haben sie den schönen Maimonat gewählt, der durch die Erneuerung der Natur und durch die liebliche Vielfalt der Blumen, womit die Erde sich bedeckt, die Seele einzuladen scheint: auch der Gnade wieder geboren zu werden und sich mit hohen Tugenden zu schmücken, um daraus gleichsam eine Krone zu winden für die Königin des Weltalls. 

 

Die Maiandacht verbindet durch anmutige Lieder den blütenreichsten, freundlichsten Monat des Jahres mit dem Lieblichsten, Nachsichtigsten, unserer Schwachheit Zugänglichsten, was der Himmel nach Gott besitzt, und mit dem Unschuldigsten und Reinsten, was die Erde bietet. Sie ist ein der Jugend gebotener süßer Genuss, um sie durch den Reiz heiliger Festlichkeiten und melodischer geistlicher Gesänge von den ausgelassenen Freuden und unsittlichen Liedern abzulenken.

 

Diese zarte Andacht zu Maria ist für die treuen Herzen eine reine und überreiche Quelle von Gnaden und Gunstbezeugungen: Sie heiligt die schönste Jahreszeit und erhält die fromme Seele inmitten der Zerstreuungen, die sie umgeben, in heiliger Sammlung.

 

Diese Andacht, durch die Früchte der Gnade und des Heils, die sie reichlich hervorgebracht hat, in Anwendung gekommen, hat die Meere überschritten und ist heutzutage unter dem Schutz der Kirche, die sie durch zahlreiche Ablässe befördert hat, allgemein, also - katholisch geworden. 

 

Die Maiandacht besteht nicht nur in Spanien, Portugal, Frankreich, Belgien, Deutschland, England, Irland, Rom, Neapel und allen Teilen Italiens, sie wird auch an den äußersten Grenzen des Erdballs gehalten und gefeiert. Der Lappländer am Eispol, der Indianer in seinen Urwäldern, der Araber unter dem Zelt in der Wüste, sind der Feier des Marien geweihten Monats nicht fremd. In allen fünf Kontinenten hat die unbefleckte Gottesmutter Kinder, die an sie denken und ihre bittenden Hände nach ihrem Gnadenthron ausstrecken. Es gibt niemanden, vom Fischer, der am Seeufer herumirrt, bis zu dem indianischen Jäger, der auf der einsamen Felsenspitze sitzt, der in diesem schönen Monat nicht sein Gebet an sie richtete. Der Schiffsjunge auf der stürmischen See hat ihr weißes Banner entfaltet, der im tiefsten Urwald Herumstreifende, hat am Fuß des Baumes, unter dem er Schutz gefunden hat, das wunderbare Bild der Mutter Gottes aufgestellt, und so haben sich die Worte des heiligen Lobgesangs erfüllt: "Alle Geschlechter werden mich selig preisen! Beatam me dicent omnes generationes!" Klein und Groß, der Unwissende und der Gelehrte, die Hirten und die Könige, das Kind an der Mutterbrust und der Greis am Rand des Grabes, alle haben von Zeit zu Zeit die Wirkungen ihrer Barmherzigkeit empfunden, et misericordia ejus a progenie in progeniem. Alle werden sie kommen, um ihre Gebete zu den Füßen derjenigen niederzulegen, die alle Jahrhunderte "ihre Mutter" genannt haben. Der eine wird ihren Altar mit ihrer dreifachen Blütenkrone schmücken, der andere wird eine Träne der Liebe und der Dankbarkeit darauf fallen lassen, die junge Braut wird ihren Brautring, die zärtliche Mutter das Andenken an ihr verstorbenes Kind, der junge Soldat die dem Feind abgenommene Fahne dort niederlegen!

 

Der Maimonat ist der Monat der heiligen Freuden. Er ist der Monat, wo die Natur Marien den Kelch ihrer schönsten Blumen aufschließt. Für sie entfalten sich die purpurnen Rosen, die Lilien unserer Täler, der fruchtbare Weinstock. Die Mädchen schmücken in diesem Monat ihre Altäre mit ihren Lilasträußen und blühenden Weißdornzweigen. 

 

Im Talgrund neben dem alten Felsen, am Ufer des klaren Bächleins, hat die fromme Schäferin der Königin der Jungfrauen ihren ländlichen Altar errichtet. Ihr seht daran nicht Marmorsäulen, nicht vergoldetes Tafelwerk, wohl aber findet ihr blumige Auen, dichtbelaubte Bäume, die ihm einen angenehmeren Schatten geben, als den unserer glänzendsten Tempel. Ihr hört da nicht die wohllautende Musik unserer großen Städte, aber ihr genießt die Ruhe der Felder. Ihr werdet da beim Anbruch des Tages das Gezwitscher der Vögel und den Lobgesang der glücklichen Schäferin an den Morgenstern hören!

 

Im Dörfchen haben die jungen Landmädchen ihren Festschmuck angezogen. Die Prozession des Marienmonats beginnt: Die Glocke ruft die Schar der Gläubigen in die Kirche, der Winzer steigt vom Hügel herab, der Ackersmann eilt von der Ebene herbei, der Holzhacker verlässt den Wald, die Mütter schließen ihre Hütten, um das Fest des Maimonats mitzufeiern. Bald sieht man die Geistlichkeit, die langen Reihen junger Mädchen erscheinen. Der Zug setzt sich in Bewegung und es erschallt der Gesang: "Meine Seele preist hoch den Herrn und mein Geist frohlockt in Gott meinem Retter; er hat herabgesehen auf die Niedrigkeit seiner Magd! - Er hat Großes an ihr getan durch die Macht seines Armes! - Die Hoffärtigen hat er zerstreut, die Demütigen hat er erhöht!" - Das Banner der Heiligen, das Kreuz, die einzige Hoffnung unseres Heils eröffnet die Prozession. Dann kommt das Bild der unbefleckten Jungfrau Maria, auf einem mit Laubwerk verzierten Thron sitzend, und von vier jungen Mädchen getragen. Ihr Ehrengeleit besteht aus ihren keuschesten Kindern. Die Dorfbewohner folgen und ziehen durch das Dorf und an den blühenden Weißdornhecken hin, in denen die Nachtigall ihr Liedchen trillert. Die Bäume sind mit Blüten bedeckt oder mit jungem Grün geschmückt. Die Wälder, die Täler, die Bäche, die Felsen hören abwechselnd die Liebeshymnen an Maria, und zum Schluss sendet der Mond sein mildes Licht vom Himmel herab auf dieses geliebte Fest, das der lieblichste Monat jedes Jahr uns wiederbringt.

 

2.

Die Art und Weise nun, wie diese Andacht verrichtet wird, ist gewöhnlich folgende: Am Vorabend des ersten Mai wird der schönste Schmuck der Blumen aufgeboten, um die christliche Feier des Frühlings zu verherrlichen und einen Muttergottes-Altar zu zieren. Am ersten Mai abends zur festgesetzten Stunde, und so durch alle Tage des Monats, wird nach einem gegebenen Glockenzeichen das Hochwürdigste Gut vom Hochaltar auf den im Lichtglanz strahlenden, von duftenden Blumen umblühten Mai- und Muttergottes-Altar getragen und dort der heilige Segen gegeben. Hierauf folgt ein kurzer Vortrag, der ein Betrachtungs-Thema aus dem Leben Mariens, ein Ereignis, in dem ihre Macht und Gnade sich auffallend gezeigt hat, eine ihrer vielen Tugenden oder eine christliche Glaubenslehre in Verbindung mit ihrem Leben behandelt. Hat der Prediger geendet, so wird die Lauretanische Litanei gebetet oder gesungen. Auf die Litanei mit ihren Gebeten folgt an vielen Orten noch ein längeres oder kürzeres Marienlied. Den Schluss der Andacht macht der Segen mit dem Allerheiligsten zuerst vom Mai- und dann vom Hochaltar herab. - In den Häusern wird gleichfalls das Bild der heiligen Jungfrau oder ein kleiner Hausaltar geschmückt, und gebetet. - In Frankreich und Italien finden übedies während dieses lieblichen Monats feierliche Prozessionen statt und überhaupt wird alles aufgeboten, um die Maiandacht auf die würdigste und ansprechendste Wise zu begehen. Der Zudrang zu den Kirchen bei dieser Feier ist dort auch ungewöhnlich groß. Unzählige vereinigen sich mit ihrem Heiland im heiligen Altarsakrament, und senden in Gemeinschaft mit der glorreichen Maikönigin ihr heißes Flehen für die allgemeinen und besonderen Anliegen der Christenheit zum göttlichen Thron empor. Und kommt dann das Ende der Andacht, so sehen Männer, Frauen und Kinder, Städter und Landleute wehmutsvoll diesen lieblichen Monat Abschied nehmen. Die Erinnerung daran zieht sich erhebend und erheiternd durch das übrige Jahr dahin, und geraume Zeit vorher freut sich Alt und Jung wieder auf die Rückkehr des Marienmonats. Aber auch in Belgien, wo diese Andacht nun heimisch geworden ist, und in manchen Städten und Orten Österreichs, wie z.B. in Innsbruck, Linz, Salzburg und in zahlreichen Städten und Dörfern des übrigen Deutschlands, findet diese Andacht, die alle anderen an Zartheit und Anmut übertrifft, große Teilnahme und wird aufs Prächtigste und Rührendste gefeiert.

 

Übrigens besteht die Heiligung des Marienmonats wesentlich in folgenden Punkten:

 

1. Jeden Morgen opfert man alle Handlungen des Tages der jungfräulichen Mutter und durch sie ihrem göttlichen Sohn auf; und man lässt sich angelegen sein, sie alle heilig und vollkommen zu verrichten. 

2. Täglich nimmt man, wenn es geschehen kann, am heiligen Messopfer und der öffentlichen Maiandacht teil; jedoch kann letztere auch im Besonderen und zu Hause gehalten werden. 

3. Man betet oft entweder allein oder mit der Familie den heiligen Rosenkranz und die Lauretanische Litanei.

4. Man reinigt gleich anfangs seine Seele durch eine reumütige Beicht und empfängt die heilige Kommunion; wenigstens geschieht dies einmal im Verlauf des Monats.

5. Man arbeitet den Monat hindurch unverdrossen an der Ablegung eines Fehlers, sowie an der Aneignung einer Tugend, und bemüht sich überhaupt, der göttlichen Mutter durch die Reinheit des Herzens zu gefallen.

6. Schließlich sucht man die Verehrung Mariens auch bei anderen zu befördern und wirkt, wo man kann, zur Bekehrung eines Sünders.

 

Die Kirche hat diese Andachtsweise durch Erteilung reichlicher Ablässe genehmigt und alle Gläubigen zur eifrigen Teilnahme aufgemuntert. Im Erlass des Heiligen Vaters Pius VII. heißt es: "Allen Gläubigen, die öffentlich in der Kirche oder zu Hause im Kreis der Ihrigen während dem Monat Mai die heilige Jungfrau durch Huldigung, Gebete und andere Tugendübungen ehren werden, sei für jeden Tag dieses Monats ein Teilablass, und einmal im Monat, an dem Tag nämlich, an dem sie das heilige Sakrament der Buße und des Altars empfangen und für die Angelegenheiten der Kirche nach der Meinung Seiner Heiligkeit beten würden, ein vollkommener Ablass verliehen. Diese Ablässe können auch den Seelen im Reinigungsort zugewendet werden." Diese Ablässe sind von demselben Papst mittelst Beschlusses der Kongregation der Ablässe am 18. Juni 1822 auf ewige Zeiten bestätigt worden.

 

Fragt man, was und wie viel das christliche Leben durch diese Marianische Maifeier gewinnt, so ist darauf leicht Antwort zu geben. Die Erfahrung hat bisher immer gezeigt, dass sie an allen Orten, wo sie eingeführt wurde und lebhafte Teilnahme fand, erstaunenswerte Früchte hervorbrachte. Es kann auch nicht anders sein, denn wie sollte die Vereinigung von so vielen Kindern um die jungfräuliche Mutter, die ihr alle das Opfer der Liebe entgegen bringen und sie eifrig um ihre mächtige Fürsprache bei Gott anflehen, nicht große, gnadenreiche Fügungen für Personen, für Stadt und Land gewinnen können? Dann dürfen wir auch überzeugt sein, dass eine solche kindliche Feier zu Ehren der makellosen Jungfrau einen unauslöschlichen Eindruck auf die Gemüter macht und sie immer mehr für Tugend und Unschuld begeistert.

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9. Der Marien-Mai zu Rom

 

(Aus: Katholisches Missionsblatt, Dülmen, 1860)

 

Die Mainandacht zur besonderen Verehrung der heiligen Mutter Gottes findet in Rom an jedem Tag statt, in einigen Kirchen vormittags, in anderen nachmittags. Die Kirchen, in denen sie gehalten wird, sind den ganzen Monat hindurch mit roten, weißen und gelben, lang gefransten Draperien geschmückt, die durcheinander gemischt wie große Gardinen zwischen den Säulen oder Pfeilern des Mittelschiffs und vor dem Gewölbebogen des Chors hängen, hinter dem Hochaltar aber fast bis auf die Erde herabfallen. Am Hochaltar erblickt man ein schönes, von Engeln getragenen Muttergottes-Bild, das jeden Tag am Ende der Andacht in den meisten Kirchen mit einem Tuch, auf dem der Name Maria geschrieben steht, verhüllt wird. Dieser Altar ist von oben bis unten ganz mit Lichtern besetzt, und außerdem hängen an ihm von beiden Seiten von der Spitze des Altars bis zum Ausgang des Chors, und zwar immer tiefer herab, viele gläserne Kronleuchter.

 

Die Andacht beginnt jeden Tag mit einer Predigt, die in derselben Kirche den ganzen Monat hindurch stets von demselben Priester gehalten wird. Nach der Predigt sagt der Prediger den Zuhörern aus dem Handbüchlein für den betreffenden Tag eine Tugendübung - fioretto, d.i. "Blümchen auf den Altar der allerseligsten Jungfrau", die meistens eine Abtötung erfordert, ferner eine besondere Ergebenheits-Bezeugung gegenüber der Mutter Gottes - und ein Stoßgebetlein, das besonders dem jeweiligen Thema der Predigt angepasst und den Tag über möglichst häufig zu gebrauchen empfohlen wird. Dann bittet er einige Ave Maria zu beten für die Bekehrung verstockter Sünder oder Irrgläubiger, und ermuntert auch zuweilen zu einem Almosen für den Schmuck des Altars. Einmal empfahl der Prediger in einer großen, prachvollen Jesuitenkirche, eine achtzigjährige verstockte Sünderin, die zudem dem Tod nahe sei, dem Gebet seiner Zuhörer. Und ich sah und hörte mit Staunen, wie im selben Augenblick die ganz gedrängte Versammlung von ihren Sitzen vor Schrecken aufbebte und erzitterte, und durch ein dumpfes Gemurmel ihre Entrüstung sowohl, als ihr Mitleid zu erkennen gab. Fürwahr, ein so kräftiges Zeugnis eines lebendigen Glaubens in einer ganzen Versammlung ist mir noch nie vorgekommen! - Nach der Predigt kommt ein Priester zum Altar, setzt das Hochwürdigste Gut aus und betet drei Gegrüßet seist du Maria mit einem Ehre sei dem Vater usw., oder ein anderes passendes Gebet. Darauf wird unter Orgelbegleitung von einem auf der Orgelbühne versammelten Männerchor, abwechselnd mit dem ganzen Volk, in lateinischer Sprache die Lauretanische Litanei gesungen.

 

Um auch den Handwerkern, Tagelöhnern und anderen, die bei Tag nicht kommen können, den Genuss dieser so schönen, als heilsamen Maiandacht zu gewähren, so wird sie in einigen Kirchen abends nach Sonnenuntergang - mit dem in Rom auch plötzliche Finsternis eintritt - gehalten. Zu diesen Abend-Andachten haben aber nur Männer Zutritt. Zweimal, in der Mitte des Monats und für den ersten Sonntag im Juni, werden in den betreffenden Kirchen alle Gläubigen zur Beichte und Kommunion aufgefordert, die letztere findet dann zu einer bestimmten Stunde für alle gemeinsam statt. Gegen Abend des ersten Sonntags im Juni, der zweiten gemeinschaftlichen Kommunion, hält der Prediger vor einer zum Erdrücken zahlreichen Versammlung eine herrliche Schlussrede, in der er die Gläubigen zur Bewahrung und Vermehrung ihrer Andacht zur Mutter Gottes ermuntert, und zu diesem Zweck kurze und leichte Übungen ihnen vorlegt, und zuletzt mit einer kindlichen, zu Maria gewendeten Bitte sich und alle seine Zuhörer ihrer liebevollen Fürsorge anempfiehlt. Nach dieser Schlussrede wird die ganze Maiandacht beendet, wie an den einzelnen Tagen, jedoch mit noch größerer Feierlichkeit. Beim Hinausgehen aus der Kirche aber kann man bei allen erkennen, dass diese Andacht ihnen ein freudiger und segensreicher Genuss gewesen ist und bleiben wird, und dass sie sich sehnen nach der Wiederkehr dieser gnadenreichen Zeit.

 

Diese Maiandacht zur Verehrung der allerseligsten Jungfrau wird auch vom Militär gehalten, das samt seinen Offizieren sie ebenso demütig und kindlich feiert, wie sie unter dem Volk stattfindet.

 

Die Kinder bemühen sich noch auf eine besondere Weise ihre Verehrung gegenüber der Mutter Gottes an den Tag zu legen, indem sie auf den Straßen auf einem kleinen mit einem weißen Tuch bedeckten Tisch ein Altärchen aufrichten mit einem größeren Madonnenbild in der Mitte und anderen kleineren Bildern zwischen zwei kleinen Kerzen. Zur Herstellung und Ausschmückung des Altärchens der Gottesmutter bitten sie freundlichst die Vorübergehenden mit einer Tasse in der Hand um ein Almosen. Was sie bekommen, verwenden sie auch redlich zur Ehre der Mutter Gottes. Ich hörte einmal unter meinem Fenster die ganze Lauretanische Litanei abwechselnd singen, und sah zu meiner Freude und Verwunderung, dass die Sänger zwei kleine Mädchen waren, die die ganze Litanei auswendig wussten. Möchte diese so anziehende als heilsame Andacht doch auch immer mehr in unserem Land allgemein verbreitet werden!

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10. Der Marien-Mai in der Minoriten-Kirche zu Paris

 

(Aus: Aus dem katholischen Leben der Gegenwart von August Lewald, 1862)

 

1. Am Ende der engen und schmutzigen Siegesstraße zu Paris, die von dem Börsen- nach dem Siegesplatz führt, liegt die Kirche der Minoriten (petits pères oder pères mineurs), sonst auch "Unsere Liebe Frau vom Sieg" (Notre Dame des Victoires) genannt. In dieser Kirche strahlt im ununterbrochenen Glanz der Kerzen und Ampeln das Gnadenbild der heiligen Gottes Mutter, das sich durch unzählige Wunder den vor ihm Betenden bewiesen hat. Die Inschriften auf Marmortafeln, die die Wände bis zum Gewölbe vollständig bekleiden, bezeugen es. Es sind hier nicht die gewöhnlichen Votivbeine und Arme, die Wickelkinder, die Krücken, die Augen, die wohl auch imstande sind, das Gemüt des Christen trostreich anzuregen, sondern es sind deutliche, allen verständliche Worte, die sowohl zum Herzen wie zum Verstand sprechen. Hier ist es eine Gattin, die Maria für die Rückkehr ihres Gatten dankt; dort danken Eltern für den gebesserten Sohn; Geschwister danken nach langem Zwist für ihre Aussöhnung; eine Schiffsmannschaft dankt für die Errettung aus Sturmesnot; Soldaten geloben ewige Dankbarkeit, den Kriegsgefahren glücklich entronnen zu sein usw.

 

Das Gnadenbild in der Minoriten-Kirche ist dem Unbefleckten Herzen Marias geweiht. Zu allen Zeiten sind an dieser Stelle Wunder geschehen. Dieses Bild bekehrte den Israeliten Alphons Ratisbonne und den Virtuosen Hermann, der jetzt im Ordenskleid der Predigermönche auf so feurige, eindringliche Weise zur Buße und Bekehrung anderer wirkt. Dies ist das Muttergottesbild, aus dessen Hand die Segensstrahlen sich ergießen, wie wir es auf der Medaille abgebildet sehen, die auf so vieler Tausend Katholiken Brust ruht. Zu allen Stunden ist die Kirche mit Andächtigen gefüllt, die vor dem Altar des heiligen Joseph und des Unbefleckten Herzens Marias dem Gebet obliegen. Dabei bemerkt man ein stetes Kommen und Gehen in diesen Hallen. - In der großen Sakristei ist ein förmliches Büro organisiert, wo die Zertifikate über die Aufnahme in die "Erzbruderschaft des Unbefleckten Herzens" erteilt werden. Gegenüber drängt man sich, um Kerzen aller Art zu kaufen und sie vor dem Bild der Gnadenmutter anzuzünden. Vor dem Eingang sind Medaillen, Bilder und Beschreibungen zu haben. Es ist ein glaubenerfülltes Treiben, wie man es stets an Wallfahrtsorten erblickt, und es wäre nichts besonders Auffallendes dabei, wenn man nicht daran dächte, dass diese Erscheinung in Paris stattfindet; und zwar gerade in der Mitte zwischen dem Palais-Royal und dem Boulevard, nur hundert Schritte von dem Theater des Baudeville, der frivolsten Bühne der Welt, und der Börse, dem kolossalsten und verderblichsten Spielhaus der Welt entfernt! -

 

2. In der zweiten Hälfte des April wurden mächtige Gerüste in der Kapelle des Gnadenbildes aufgeschlagen: die Apostelstatuen des Eingangs wurden von ihrer Stelle gerückt, die Beichtstühle entfernt; die Ampeln erloschen; und das Bild auf dem Altar, mit dem so strengen und doch so liebenden Ausdruck, das den göttlichen Knaben, auf der Weltkugel stehend, umfangen hält, und die darunter im Glasschrein ruhenden Reliquien der heiligen Aurelia, und die beiden Gemälde, zur Seite des Altars, wurden sorgfältig verhängt. Nur der Lichterstock mit den unzähligen Opferkerzen brannte fort, allein er wurde aus dem Bereich der Kapelle gerückt. Es galt einer durchgreifenden verschönernden Restauration, um die nahe bevorstehende Maiandacht desto prächtiger zu feiern. Jeden Tag sah man mehrmals den ehrwürdigen greisen Pfarrer der Kirche, Abbé Desgenettes, der nunmehr verstorben ist, zu den Arbeitern kommen, um sie anzueifern und das Werk zu überwachen. Mit den letzten Tagen des April war alles beendet, und am Vorabend des ersten Mai wurde die erste Andacht gehalten, wie es auch in anderen Kirchen von Paris, wie z.B. in Notre Dame de Lorette und la Madelaine mit großem Glanz der Fall ist.

 

Unsere Kirche Notre Dame des Victoires war schon vor der Zeit überfüllt, und wer zuletzt nicht den Weg durch die große Sakristei eingeschlagen hätte, würde nicht mehr in die Kirche haben hineindringen können.

 

Wie schön war hier alles! Wie glänzten die neuen Vergoldungen und die frischen Farben im Kerzenschein! Von allen Pfeilern senkten sich riesige Standarten von veilchenblauem Samt mit goldenen Stickereien, aus denen der Name Marias holdselig hervorleuchtete, und in deren Mitte sich ein stets wechselndes Bild zeigte, das einen merkwürdigen Moment aus dem Leben der heiligen Jungfrau darstellte. Der Altar war mit Kerzen besät, und zwischen ihnen erhoben sich hohe Büsche von weißen Rosen, weißen Passionsblumen und Lilien. An dem, den Altar umgebenden, Goldgitter hatten fromme Hände ihre dargebrachten Blumenspenden angeheftet, die in ihrem mannigfachen Farbenspiel, zu dem weißschimmernden Schmuck des Alktars, einen malerischen Kontrast abgaben und das Bild wie mit einem zierlichen Rahmen einfassten.

 

Im hohen Chor, vor der kleinen Orgel, hatten sich die Sänger versammelt, und stimmten ihre herrlichen Hymnen an. Schöne Stimmen, besonders der hohe Diskant der Knaben, von ausgezeichnetem Klang. Mit inniger Wonne horchte das Ohr, während die Brust sich stärker hob, das Auge sich mit Tränen füllte, und Gemüt und Sinne sich zum Himmel emporschwangen. Ein ausgezeichneter Prediger hielt, während des ganzen Monats, den Sermon. Die Feier währte von halb acht bis halb zehn Uhr. Am freudigsten und mein Herz im Innersten rührend und bewegend, klang mir stets ein altes Lied an die allerseligste Jungfrau, das zu Anfang und zu Ende des Dienstes von den Sängern angestimmt wurde, bald mächtig aufschwellend, bald leise verschwebend, das sich meinem Gedächtnis für immer eingeprägt hat.

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11. Der Marien-Mai in Belgien

 

(Aus: Der Katholik, eine religiöse Zeitschrift, 1851)

 

Gehst du in den letzten Tagen des April durch die Straßen der Städte in Belgien, und trittst du in die Kirchen, dann siehst du eine muntere Geschäftigkeit, wie sonst selten oder nie. Eine viel größere und schönere könntest du gewiss sehen, wenn du mit Engelsschritten unsichtbar in die Häuser dringen und mit Engelsaugen in die Herzen blicken könntest. In den Kirchen klopft und hämmert es, sobald der Morgengottesdienst vorüber ist. Zimmerleute, Tapezierer und Gärtner arbeiten den ganzen Tag und unaufhörlich öffnet sich die Tür und schließt sich hinter Greisen und Kindern, Männern und Frauen, die der eine dies, der andere jenes zum Schmuck des heiligen Hauses bringen, freudig und eifrig wie die Engel, die Jakob im Traum auf der Himmelsleiter auf- und absteigen sah.

 

Also naht der letzte April. Am Abend läuten alle Glocken und vor dem feierlichen Ruf schweigt alles Geräusch des Lebens, der Handwerker legt seine Werkzeuge hin, die Straßen werden lebendig, Alt und Jung strömen zur Kirche. Hier hat sich aus dem Chaos, das sie in den letzten Tagen füllte, ein gar herrlicher und sinniger Plan entfaltet. Im Mittelpunkt des Kreuzes vor dem Chor erhebt er sich in wunderbarer Farbenpracht. Hoch oben am Gewölbe schwebt ein reicher Thron von köstlichen Stoffen, von dessen Baldachin lange Enden bis zur Erde herabwallen. Ihn tragen dienende Engel, im Gold der Verklärung leuchtend, andere halten tiefer schwebend die Enden mit Blumenketten zurück. Den Baldachin umgibt reicher Blütenschmuck, Blumen scheinen von ihm nierderzuträufeln, Blumen umgeben und bedecken die nahen Pfeiler, und von dem Boden unter dem Thron steigt ein Blumenhügel empor, schöner als je dein Auge einen sah. Alle Zonen vereinigen ihre prächtigsten Gaben in ihm, der Norden und der Süden trugen zu ihm bei. Vorzüglich blühen an ihm die Rosen in seltener Schönheit und zahlloser Menge, gegen den Gipfel hin drängen sie sich immer dichter, bis Blume an Blume steht. Doch die Blume aller Blumen, die Königin des Thrones, wo ist sie? 

 

Die Lichter am Altar entzünden sich, aus dem Blumenhügel taucht, gleich Johanniswürmchen aus tauigem Gras, ein Licht nach dem anderen auf, auf den Nebenaltären vor den Heiligenbildern wird es hell und heller, bis die ganze Kirche nur ein Lichtmeer scheint. Unter den Klängen festlicher Musik tritt der Klerus, den Bischof an der Spitze, zum Altar und das Volk empfängt auf den Knien liegend den sakramentalischen Segen. Nach der Komplet ordnet sich der Festzug. Die Schuljugend mit brennenden Kerzen folgt dem Kreuz, hinter ihnen kommen die Bruderschaften mit ihren prächtigen Seidenfahnen, in denen die lebensgroßen Bilder der heiligen Patrone schön gemalt sind, alle tragen brennende Wachslichter. Dann folgt mit reichen Fahnen der Chor der Sänger, die in hehren Hymnen die Wunderbare, Gnadenvolle feiern, und zum Schluss der Klerus mit dem Bischof. So zieht man zum Muttergottesaltar, der gewöhnlich das Gnadenbild trägt. Dies wird herabgehoben und auf eine mit schönem Schnitzwerk verzierte weißgoldene Tragbahre gestellt. "Salve Regina, gegrüßet seist duu Königin!" singt Chor und Volk. Sechs Mädchen in weißen Kleidern und mit weißen Kerzen, Rosen im Haar und auf den Wangen echte Blüten voller Unschuld und ungetrübter Reinheit, erheben die Bahre mit dem heiligen Bild,, und so schwebt es hoch über allem Volk, im Siegeszug durch die Hallen der Kirche. Es macht einen wunderbar mächtigen Eindruck, aus einer stillen Nebenkapelle dem Zug mit dem Auge zu folgen, wie er sich langsam und feierlich, von heiligen Melodien umrauscht, dahin bewegt, einem Strom überirdischer Lichter gleich, der, von der Gnadenmutter ausgesandt, die dichten Reihen des Volkes zu durchfließen scheint. Und wahrlich, es geht da ein Strom der Gnade von ihr aus. Dies sagen dir die Augen der frommen Beter, die von der Lust heiliger Andacht überwallen, die Lippen, die sich in leisem Gebet bewegen oder von hellem freudigem Gesang überströmen! Wie liegt diesen allen in solchen Momenten die Erde so fern und der Himmel so nah. Wie hellsehend wird in ihnen der in irdische Fesseln geschlagene Geist, hellsehend durch die Liebe, die dann ihren Flug höher als je erhob, wie durch den Glauben, der mächtiger und stärker das ganze Innere durchdrang! "Nun spreche mir keiner mehr von Äußerlichkeiten im Katholizismus", sagte ein Protestant, den ich einst mitnahm zu dieser Feier, "ich habe nur Innerlichkeit gesehen und gefühlt!"

 

Endlich hält der Zug an dem Blumenhügel und das Bild, die heilige "Rosa mystica", wird auf den blühenden Rosenthron erhoben. Ein letztes Lied grüßt die heilige Mutter und der Tag schließt mit dem sakramentalischen Segen.

 

Der ganze Monat Mai ist nun ein Festmonat: jeden Tag ist feierliches Hochamt, Vesper und Komplet und an manchen Orten auch Predigt. Wer nun recht beobachten will, wie tief die Verehrung der göttlichen Mutter im Herzen des Volkes wurzelt, der trete in eine stille Ecke in der Nähe des heiligen Bildes. Keinen Augenblick am Tag sind da die Kniebänke leer und es ist kein Stand und kein Rang, der nicht in ihnen vertreten wäre, der nicht seine Beter zu ihnen lieferte. Wer aber möchte mit leeren Händen ihrem Thron nahen, wer sich mit dem nur inneren Opfer des Gebets begnügen? Nicht allein der Mund kann davon überfließen, wessen das Herz voll ist, auch die Hand will es. In den mannigfaltigsten Gaben strebt das gläubige Gemüt, seiner Liebe und Verehrung einen Ausdruck zu geben, und da bleibt der Ärmste nicht zurück. Neben die großen, schweren und reichverzierten Weihkerzen tritt das kleine Wachslichtchen von zwei Centimen mit einem blauen erbettelten Bändchen geschmückt. Es ist Ein Feuer, das sie entzündet, wie es nur Eine Liebe ist, die sie darbringt. Das Sträußchen von Feldblumen duftet hier nicht weniger voll und nicht minder, wie die Kamelien und Azalien, die Oleander und Myrthen, die aus den Glashäusern hergetragen werden. (In ihren "Reiseerinnerungen aus Belgien" schreibt Louise von Plönnies: " Am lieblichsten erscheint der Marien-Cultus in Belgien im Monat Mai, dem Monat der heiligen Jungfrau Maria. Dann wird die Himmelskönigin, "die mystische Rose", mit unzähligen Rosen geschmückt; da geht keine alte Frau und keine Jungfrau und kein Kind zur Kirche, das nicht der heiligen Jungfrau einen blühenden Zweig zu Füßen legte; da erneuert jeder Morgen die duftende Pracht.") Die goldene, mit Diamanten reich besetzte Krone, die die fromme Königin der gebenedeiten Jungfrau reichte, überstrahlt nicht und verdunkelt nicht das kleine Wachsherz der armen Bettelfrau. Und wie schön, dass jeder seine Gabe bringt, dass keiner sie schickt, dass jeder sich offen und frei zu der Fahne der Heiligen bekennt; das verleiht gerade den Gaben ihren rechten und echten Wert.

 

Wie manche tiefrührende Szene ergibt sich aus dieser tüchtige Glaubensfreudigkeit! - Da kam, als ich eines Tages in der Kirche Notre Dame de la Victoire in Brüssel kniete, eine Mutter mit dem kleinsten Kind auf dem Arm, dem größeren an der Hand. Sie wollte ihr Blumenscherbchen vor das Bild hinstellen, aber die Kinder griffen beide danach, keins wollte ohne Opfer sein. Der schönen Eifersucht ein Ende zu machen, wollte die Mutter die Blumen an die Kinder verteilen, sie setzte die Scherbe hin, sie abzupflücken, doch sie zögerte, das Stöckchen wäre ganz geschändet worden. Da ging ihr ein Gedanke auf, rasch ergriff sie die Händchen des ältesten Kindes und legte sie unten an die Scherbe, die des jüngsten musste sie oben halten und so brachten sie das Stöckchen vereint dar. - Da kam ein Brautzug, das Brautpaar voran. Beide trugen zwei genau gleiche Blumenstöcke, jeden mit drei Blüten, und jeden geschmückt mit einer goldenen Schnur, an der ein silbernes Herz hing, die sinnigen Bilder ihrer Einigkeit und Liebe: Sie brachten alles unter Tränen der Rührung dar, beteten ein Weilchen und traten dann heiter und leuchtenden Auges zum Altar, das heilige Sakrament zu empfangen. - Ein frischer, wilder Junge springt in die Vorhalle der Kirche hinein, reißt sein Käppchen ab und tritt rasch und mit lachenden Augen vor das Bild, wo er das aus dem Spielgeld gekaufte Kerzchen anzündet und sich auf den Knien an seinem Schein freut, bis er heruntergebrannt ist, wie Sankt Hermann Joseph sich an dem roten Apfel freute, den er dem Jesuskind schenkte. - Und wie viele gepresste Herzen nahen erst dem Thron der Jungfrau, wie viele Seufzer des Jammers steigen zu ihr empor, aber siehe, die Leidensvollen, wenn sie die Kirche verlassen, du wirst sie kaum wieder erkennen, ein solcher Friede liegt auf ihren Zügen, so groß ist die Freudigkeit, womit sie neuem Leid entgegen gehen!

 

Besonders sind es aber die Kongregationen der heiligen Mutter Jesu, die sich bestreben, den Marienmonat recht und in jeder Weise zu feiern. Bekanntlich entstanden diese Gesellschaften im Jahr 1563 in Rom und verdanken wir ihnen die Aufrechterhaltung des heiligen Glaubens in einer großen Menge von Gemeinden. Ein belgischer Jesuit ist ihr Stifter. Er sammelte einige junge Leute zu einem frommen Verein um sich, der bald einen solchen Ruf der Frömmigkeit und heiligen Lebens in Rom gewann, dass der Eintritt vom Papst empfohlen wurde, "als ein starkes Mittel zur Bewahrung der Unschuld, zur Bestärkung im Glauben, zur Erhaltung und Nährung des Geistes christlicher Liebe und zur Erweckung der Verehrung, des Vertrauens und der Liebezur allerseligsten Gottesgebärerin in den Herzen aller Gläubigen!" Unter den anderen Ländern Europas sah Belgien zuerst die Kongregationen in seinem Schoß blühen. Bald verbreiteten sie sich auch anderswo imd alle Stände eiferten, sich in sie aufnehmen zu lassen, die heiligsten Männer waren bemüht, ihnen Mitglieder zuzuführen (so der heilige Franziskus von Sales, Aloysius von Gonzaga und andere), und die Päpste Gregor XIII. bis Pius VI. beschenkten sie mit reichen Ablässen. In ganz Belgien blühen noch heute die Kongregationen, während sie anderswo meist untergingen. Und man braucht nur einmal ihre Versammlungen zu besuchen, sei es die kirchlichen, sei es andere, die einfach schönen Vergnügungen geweiht sind, um sich von dem tüchtigen Geist zu überzeugen, der diese Vereine beseelt. Wie vor fast dreihundert Jahren die Jesuiten sie gründeten, so sind sie auch jetzt wieder ihre Leiter. Das allein würde schon genügen, uns bedeutende Resultate zu verbürgen. Eins der Mitglieder des Ordens ist gewöhnlich Direktor der Kongregation. Ihm zur Seite steht ein Präfeskt mit zwei Assistenten, einem Sekretär und sechs bis zwölf Räten. Dieser ganze Verwaltungsrat (der Direktor natürlich ausgenommen) muss wenigstens alle acht bis vierzehn Tage zur Beichte und Kommunion gehen, die Mitglieder wenigstens einmal im Monat, außerdem an den Festen des Herrn und der allerseligsten Jungfrau, an den Festtagen des heiligen Johannes des Täufers, der heiligen Apostel Petrus und Paulus und aller Heiligen. Zwei Mal im Monat versammeln sich die Mitglieder zu frommen Übungen in ihrer Kapelle, sie verpflichten sich, jeden Tag womöglich eine Heilige Messe zu besuchen, und zu gewissen Gebeten am Morgen und Abend. Außerdem legen sie bei der feierlichen Aufnahme das Versprechen ab, sich mehr als andere dem Dienst der heiligen Mutter zu weihen, mehr als andere gute Werke zu pflegen, dies jedoch nie, ohne womöglich für den einzelnen Fall den Rat und die Billigung ihres Beichtvaters eingeholt zu haben. Nachlässigkeit im Besuch der Versammlungen oder dem Empfang der heiligen Sakramente wird so wie jedes andere schwere Vergehen mit teilweiser oder gänzlicher Ausschließung aus dem Verein bestraft, ein Fall, der übrigens höchst selten vorkommen soll. Dass die würdige Feier des Marienmonats ein besonderer Gegenstand ihrer Sorgfalt und ihres Eifers ist, bemerkte ich bereits. Das kranke Mitglied wird von allen besucht, von allen wird für den Kranken oder die Kranke gebetet, für die Verstorbenen wird eine Seelenmesse gehalten, an der alle teilnehmen. Reisende Mitglieder erhalten eine Art von Pass, womit sie überall zu den Versammlungen der Kongregationen Zutritt haben. So bieten diese Vereine das vollkommenste Bild der Liebe, des Friedens, der Gottesfurcht, des frischen und ernsten Strebens nach Vervollkommnung.

 

Doch ich kehre zum Marienmonat zurück. Er vergeht in heiliger Freude und sein letzter Tag ist fast ein Trauertag. Mit derselben Feierlichkeit wird am Abend des 31. Mai nach feierlichem Te Deum das Gnadenbild wieder an seinen alten Ort zurückgetragen, an dem es auf den Blumenthron erhoben wurde.

 

Am folgenden Morgen wird es sehr lebendig vor den Kirchtüren, denn da ist Versteigerung. Unter den vielen Wegen, welche der fromme Sinn der Bürger und Edlen wählt, der Kirche kleine Unterstützungen an Geld zufließen zu lassen, gehören diese und alle ähnlichen Versteigerungen zu den sinnigsten und schönsten. Heute werden nämlich die Blumen ausgeboten, die die Kirche während des Marienmonats schmückten, auf dem Land durch das ganze Jahr hindurch gar oft ein Laib Butter, Brot, eine Handvoll Flachs, die Erstlinge des Gewonnenen. Es entspinnt sich ein frommer Wettstreit, jeder will eine Blumenscherbe, einen Strauß. Neckisch treibt man sie zu verhältnismäßig hohen Summen hinauf und gibt, froh des Besitzes, noch mehr als die Steigsumme beträgt. So sehe ich einfache kleine Rosenstöckchen mit mehreren Gulden bezahlt, einen Feldblumenstrauß mit drei Franken. Aber die - Armen? O die gehen nicht leer aus, das lässt die Liebe nicht zu: ich sah in Gent eine wohlbekleidete Bürgersfrau einen ganzen Korb voll Sträuße und kleine Töpfe erhandeln und den Armen winken, die ihr in Menge folgten. Sie fing nun auf eigene Faust eine Gratis-Verlosung an, bei der, da sie die großen Sträuße noch in mehrere kleine zerlegte und verteilte, nicht nur keiner leer ausging, sondern noch übrig blieb. - Wenn du sehen willst, wie erfinderisch die Frömmigkeit ist, dann gehe nach Belgien, da kannst du lernen!

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12. Der Marien-Mai in Luxemburg

 

(Aus: Die Sagen Luxemburgs von N. Steffen, 1853)

 

1. Der Frühling, diese herrliche Jahreszeit, ist wieder da. Der liebliche Maimond hat schon begonnen und überall steht alles in neu verjüngter Pracht und Herrlichkeit. Unzählige duftende Blumen schmücken im anmutigsten Farbenschmelz die Täler und Höhen. Die Luft ertönt von tausendstimmigem Gesang der munteren Vöglein, und neue Lust, neue Heiterkeit zieht ein in die Herzen der Menschen.

 

Doppelt aber freut sich der gemütliche Luxemburger des lieblichen Maies, denn ist er auch nicht der "Marienmond" und fällt in ihn nicht das herrliche, jubelreiche achttägige Marienfest, das Nationalfest unseres Landes?

 

Von nah und fern strömen während der festlichen Oktav die frommen Pilger in ganzen Scharen der Stadt Luxemburg zu. Unzählige Prozessionen ziehen, voran das Zeichen der Erlösung, mit wehenden, geweihten Fahnen und unter frommen Gebeten und Gesängen täglich des Weges daher nach dem segenspendenden Gnadenort. Die Kirchen, die Straßen der Stadt können die Menge der Pilger nicht fassen: und immer und immer wogen neue Züge heran. Hoch über der Menge erhebt sich noch immer das Kreuz, gefolgt von unzähligen wehenden, bunten Fahnen, und fort und fort ertönen die Gebete und Lieder der andächtigen Waller.

 

Mit wonnestrahlendem Blick steht der Luxemburger und betrachtet das großartige, erhebende Schauspiel. Tränen der Rührung entströmen dem Auge bei der Kundgebung so tiefen und innigen Glaubens und Gottvertrauens von Seiten eines ganzen Volkes. Selbst der Ungläubige steht und staunt und bewundert in seinem Herzen den rührenden kindlich frommen Sinn der Bewohner des Landes Luxemburg.

 

Aber all das sind nur schwache Vorklänge der Feier des eigentlichen Festsonntags. Dieser herrliche freudenreiche Tag ist gleichsam das Lichtmeer, in das die einzelnen Lichtströme der ganzen Oktav zusammenfließen. In feierlichem Jubel ertönen in der Frühe die Glocken von allen Türmen der Stadt und verkünden den Anbruch des festlichen Tages. Und all sogleich verlässt der Bürger sein Lager mit frohem Dankgefühl gegenüber seinem Schöpfer, der ihn abermals den schönen Tag hat erleben lassen, eilt er hinaus zu seinen Nachbarn, um in Gemeinschaft mit ihnen am festlichen Schmuck der Stadt zu arbeiten. Wie durch Zauber erheben sich den Straßen entlang frische, grüne Bäumchen. Blumen- und Laubgewinde ziehen sich, wie von unsichtbarer Hand gewoben, plötzlich quer über sie hin, liebliche Sinnbilder mit dem kunstvoll verschlungenen Namenszug der gefeierten Himmelskönigin, niedliche Blumenkörblein, oder aus Moos und Blumen sinnreich gearbeitete Kronen, herabsenkend. Gemälde, Teppiche, Fahnen und Fähnlein, Kränze von Laub, Blumen und Moos, zieren die Häuser und geben den Straßen ein ungemein belebtes, heiteres, festliches Aussehen.

 

Aber warum schmückt man denn heute so besonders herrlich Häuser und Straßen Luxemburgs? Wozu das Grün, die Kränze, die Fahnen, die Blumengewinde? Wozu die schönverzierten Altäre, die man dort auf offenen Straßen errichtet?

 

O Fremdling, habe nur noch wenige Stunden Geduld, und es wird deinem Auge sich ein Schauspiel darbieten, wie es nur bei frommgläubigen, kindlich vertrauenden Völkern des katholischen Glaubens so herrlich, so erhebend und zugleich so rührend zu sehen ist! Nur noch wenige Stunden und du wirst sehen, wie unter dem Jubelgeläut der Glocken, unter dem Donner der Kanonen, unter dem feierlichen Schall der Musik, unter dem erhebenden Gesang vieler Kinder-, Männer- und Priesterchöre und unter lautem, herzlichem, andächtigem Gebet ein gläubiges Volk: Kinder, Jünglinge und Jungfrauen, Männer und Frauen, Bruderschaften und Gilden, Priester und Laien, in endlosem, unübersehbarem Zug durch die festlich gezierten Straßen dahinwallen. Eine Pracht, eine Herrlichkeit, wie du sie vielleicht nie gesehen hast, wird dir entgegenstrahlen: hunderte von Bannern, Fähnlein, Fahnen und Schildern; Scharen von himmlisch geschmückten, engelgleichen Kindern mit Blumenkörblein, Blumenkränzen, samtenen golddurchwirkten Kissen, schneeweißen Wachskerzen, Fahnen und Kreuzchen; unzählige Priester in festlichem Ornat, Rauchfässer schwingend, geweihte Kerzen tragend und das Lob der hohen Himmelskönigin singend; die Stadtbehörden, die Lehrer des Athenäums und viele andere hohe Beamten, alle im festlichen Schmuck, wirst du daher gehen sehen vor einem hohen, herrlichen Baldachin, unter dem, strahlend in Gold und Edelstein, das Bild der allerseligsten Jungfrau Maria, der Schutzpatronin des Landes, von vier Geistlichen einher getragen wird. Huldvoll scheint die hohe Himmelskönigin auf die unübersehbar wogende Menge ihrer Schutzbefohlenen herniederzublicken, und, liebevoll segnend, den Bittenden zuzulächeln. 

 

Unaufhörlich ertönt das Jubelgeläut der Glocken, fort und fort erschallt die Musik, der Gesang, aus der Ferne erdröhnt der Donner der Kanonen.

 

Auf die Knie sinkt das Volk und neigt anbetend das Haupt zur Erde: das Hochwürdigste Gut, das allerheiligste Altarsakrament, naht, und wie eine strahlende, segenspendende Sonne erscheint es, vom Oberhaupt der Priesterschaft des Landes unter einem zweiten Baldachin getragen, über dem wallenden Zug. Reiner, heller Silberklang vieler Glöcklein, von lieblichen Knäblein, und von weißgekleideten Chorknaben geschwungen, kündet das Nahen des Allerheiligsten an. Bei jedem der errichteten Altäre tritt der Priester mit der Monstranz unter dem Baldachin hervor, und unter feierlichem Lobgesang, unter dem mächtigen Geläut aller Glocken und unter dem verdoppelten Donner der Kanonen erhebt er segnend das Sakrament über das lautlos kniende Volk.

 

Eine unübersehbare, dichtgedrängte, lautbetende Menschenmasse schließt den großartigen, gewaltigen, feierlichen Zug.

 

Sieh, Fremdling! Das ist die feierliche Prozession, die alljährlich in Luxemburg zu Ehren der allerseligsten Jungfrau Maria, der Schutzpatronin des Landes, an einem Sonntag des lieblichen "Marienmondes" gehalten wird. 

 

Seit undenklichen Zeiten wird die hohe Himmelskönigin im ganzen Luxemburger Land als Schutzpatronin verehrt und angerufen, und nie hat sie das Gebet und das Flehen ihrer frommvertrauenden Schutzbefohlenen zu Schanden werden lassen. 

 

2. Bei unzähligen Anlässen hat Maria den Luxemburgern ihre mütterliche Geduld und Güte erwiesen, und auch heute noch erhört sie gerne ihre vertrauensvolle, kindliche Bitte. Ihr Bild prangt herrlich auf dem Hauptaltar der Liebfrauenkirche zu Luxemburg, und fromme, liebe Sagen, die überall im Mund des Luxemburger Volkes leben, geben uns Kunde von den vielen Wunderwirkungen und Gnadenspendungen durch die liebe Gottesmutter Maria.

 

Als Beispiele mögen einige dieser Sagen hier folgen:

 

Zu jener Zeit, wo noch das kaiserliche Banner Österreichs auf den Türmen Luxemburgs flatterte, wo der Strom der französischen Zerstörungswut noch nicht seine Dämme durchbrochen, und mit seinen wilden, schlammigen Wässern noch nicht alles Schöne, alles Heilige, alles Göttliche überschwemmt hatte: erhob sich vor dem Neutor, nur wenige hundert Schritte von der Stadt entfernt, ein trautes frommes Kirchlein, das der allerseligsten Jungfrau geweiht war, und in dem so gerne die gläubige Menge die huldvolle Gottesmutter verehrte und um Beistand anrief. Weit und breit stand das Kirchlein in hohem Ruf, und von fern und nah strömten die frommen Pilger herzu, um teilzunehmen an den vielen und großen Gnaden, die die hohe Himmelskönigin täglich und stündlich auf das heilige Haus herabträufeln ließ. 

 

Das Marienbild im Kirchlein war einst - so lehrt die Sage - von den heiligen Engeln einem frommen und gottseligen Klausner aus der Nähe vom Himmel herabgebracht worden. Und es soll dieser Klausbruder ebenderselbe gewesen sein, der die Einsiedelei zum heiligen Kreuz gestiftet hat, die ein späterer scheinheiliger Bösewicht durch entsetzliche Freveltaten, durch Mord und Totschlag, zu entweihen gewagt hat. 

 

Ein Gnadenbild, wie dasjenige in dem Marienkirchlein vor dem Neutor, gabs weit und breit nicht. Allumher erzählten sich die Leute von den vielen und herrlichen Wunderwirkungen des Bildes, und nie, so sagt man, hatte ein Hilfsbedürftiger seine Zuflucht vergebens zu ihm genommen.

 

Darum wallfahrteten auch die Einwohner von Luxemburg alljährlich ein Mal in feierlicher Prozession, mit Kreuz und Fahne und unter andächtigem Gebet und Gesang, hinaus, um der huldvollen Gottesmutter ihre geliebte Stadt zu empfehlen, und Schutz und Gnaden für ihre Einwohner zu erflehen. Und sieh, unter dem gnädigen Schutz einer so mächtigen und gütigen Mutter blühte der Wohlstand der guten Stadt täglich herrlicher empor, und die rechtschaffenden Bewohner der Stadt lebten zufrieden und glücklich wie wenige.

 

Bald wurde es Brauch, jährlich ein Mal das heilige Gnadenbild des Marienkirchleins unter dem Geläut aller Glocken und unter feierlichen Gesängen und Gebeten nach der Hauptkirche der Stadt zu tragen, um es hier auf acht Tage der Verehrung und der Anrufung der ganzen Einwohnerschaft auszusetzen. Nach Verlauf der Oktav aber wurde es in feierlicher Prozession nach dem Kirchlein vor dem Neutor zurückgetragen.

 

So entstand die Muttergottes-Oktav und die an ihrem Ende abgehaltene Prozession, die wir oben zu beschreiben versucht haben, und die noch bis auf den heutigen Tag alljährlich zu Luxemburg gehalten wird.

 

Da aber geschah es einmal, dass es an dem zu der Marienprozession festgesetzten Tag sehr stark und anhaltend regnete. Die guten Bürger meinten, bei solchem Wetter sei es, wenn auch nicht geradezu unmöglich, so doch höchst unschicklich die Prozession zu halten, und sofort bestimmten sie dafür einen anderen, schöneren Tag.

 

Aber - o Wunder! - als man des anderen Tages in aller Frühe in die Sankt Peterskirche (heute Liebfrauenkirche) trat, war das wundervolle Bild nicht mehr da, sondern es war in der Nacht bei Regen und Wind ganz allein hinausgegangen nach seinem geliebten Kirchlein vor dem Neutor und mit durchnässtem und kotbespritztem Gewand stand es, wie immer lächelnd, auf seinem alten Platz. Diesen schweigenden, aber höchst bedeutsamen Verweis nahmen sich die wackeren Bürger Luxemburgs wohl zu Herzen, und von diesem Tag an fand die Prozession jedes Mal am festgesetzten Tag statt, und wenn es Spieße geregnet hätte.

 

Viele Jahre waren seit jenem wunderbaren Ereignis verflossen. Die französische Revolution von 1793 war ausgebrochen, und die zügellosen Scharen der Schreckensmänner brachen verwüstend und zerstörend in Belgien, und bald darauf auch in unser Land ein. Furcht und Schrecken gingen vor ihnen her. Raub, Mord und Verwüstung begleiteten sie. Not, Elend und Verzweiflung folgte ihnen nach. Alles Bessere, Höhere floh vor ihnen, alles Heilige und Göttliche wurde von ihnen entweiht und geschändet. 

 

Auch das Marienkirchlein vor dem Neutor wurde von ihrer ruchlosen Hand ausgeplündert und verwüstet: das friedliche, stille Gotteshaus wurde im eigentlichen Sinn des Wortes - so wie ein heiliger Mann es längst vorausgesagt hatte - in ein Schlachthaus verwandelt, denn vor seinem alles Schmuckes beraubten Altar wurde von den heillosen Ohnehosen (Sansculottes) das Vieh geschlachtet, und Ströme von Blut flossen an dem einst so hochgehaltenen Gnadenort. 

 

Das wundertätige Marienbild aber hatten die gottlosen Söldner vom Altar heruntergerissen, und es unter entsetzlichem Gespött und Hohngelächter mit sich fort in die Stadt und auf die Wacht geschleppt. Hier hatten sie es seines kostbaren Schmuckes beraubt und ihm dafür schmutzige, blutbesudelte Soldatenkleider umgehängt. Für die strahlende goldene Krone aber hatten sie ihm eine ekelhafte Freiheitsmütze aufgesetzt, und unter wieherndem Hohngelächter knieten sie (so hatten es einst die Menschen vor Jesus getan) vor ihm - vor der "neueingeweihten Liberté" - herum.

 

Aber siehe, plötzlich steht das heilige Bild in strahlendem Schimmer. Leben scheint es zu durchströmen. Seine Augen sind bewegt und große Tränentropfen rollen die Wangen herab. Einen verweisenden, wehmütigen Blick auf die erstarrte Rotte werfend, schreitet es zwischen ihnen hindurch zur Tür hinaus, und durch die Straßen der Stadt bis ans Tor. Rasselnd öffnet es sich und hinaus tritt das Bild, sanft wie der Mond strahlend. Weiter und weiter schreitet es bis zu dem geliebten Kirchlein vor dem Neutor. Engel haben das heilige Haus von den Spuren des Frevels gereinigt, himmlischer Lichtglanz strahlt aus ihm hervor, und hinein tritt das wundervolle Bild und wird von den Engelscharen ehrfurchtsvoll wieder auf seinen ehemaligen Platz hinaufgehoben.

 

Die Franzosen hüteten sich wohl, das Bild wieder von dieser Stelle zu entfernen. Und von derselben Stunde an schlachteten sie ihr Vieh nicht mehr im gottgeweihten Kirchlein, sondern vor ihm. Denn das Wunder, das sich in der Wachtstube an dem heiligen Marienbild kundgetan hatte, konnte nicht geheim gehalten werden. Aus dem Mund der Torwache erfuhr es bald dieser bald jener, und bald verbreitete sich die Kunde davon nicht allein in der ganzen Stadt, sondern durch das ganze Land, und neuen Mut, neue Hoffnung fassend, schlugen die Herzen der guten Luxemburger vertrauensvoller als je zu der seligsten Jungfrau, ihrer mütterlichen Schutzpatronin empor.

 

Das Marienkirchlein vor dem Neutor ist zwar längst bis auf die letzten Trümmer von der Erde verschwunden, aber noch bis auf den heutigen Tag wallfahrtet der fromme Pilger zu dem wundertätigen Gnadenbild, und findet, wie sonst, bei ihm Hilfe und Trost. Hehr und lieblich strahlt es heute vom Hochaltar der Liebfrauenkirche zu Luxemburg hernieder, und zahllose reichliche Geschenke von Gold und Silber zeugen hier von der Dankbarkeit der Vielen, die sich ihres Schutzes und ihrer Hilfe erfreut haben.

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