Marien-Mai
Inhalt:
1. Erinnerung an den Marien-Mai
2. Die erste Marien-Mai-Andacht zu Nazareth
3. Eine würdige Feier des Marien-Mai
4. Gedicht: Der Maienkönigin
5. Die Maiandacht
6. Maria, durch Blumen und Kränze verehrt
7. Schönheit Mariens
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Immaculata: Gemälde von Fra Damascen Hahnel O.S.Fr.
1. Erinnerung an den Marien-Mai
(Geschildert von Franz Alfred Muth, 1866)
Welch eine Gnade und Beseligung für uns, die wir alle in Maria, der glorreichen Himmelskönigin, gefunden haben! Wenn die ganze Erde ein Rosengarten wäre, so müsste man alle Rosen brechen und der gebenedeiten Jungfräulichkeit zu Füßen legen, die mit dem göttlichen Jesuskind im Schoß uns so mild-mütterlich ansieht, dass man weinen möchte, besonders aber wenn man daran denkt, wie die Mutter für uns unter dem Kreuz auf Golgatha gestanden hat und in den unnennbaren Schmerzen der Mutterliebe den Frieden in unserem daraus hervorblühenden Heil fand.
Als ich noch, ein kleines Kind, in der Heimat am Rhein lebte, nahm mich die Mutter oft an stillen Sonntagnachmittagen mit in die alte Marienkapelle, die über das Städtlein herunterschaut und mit schöner Kindesstimme ihre Glocken rührt. Fand ich dann am Weg einige Veilchen noch oder ein wildes Röslein, so musste ich es trotz der Dornen haben, und ich konnte so glückselig die Blutstropfen abwischen, wenn nur die Rose vor das Muttergottesbild zu liegen kam. Das waren glückliche Tage, denn man sagte mir: das Bild stelle Maria vor, die liebe Mutter des Christkindchens, das in der Weihnachtsnacht so hübsche Geschenke bringe, und da musste ich sie wohl liebhaben. Ich wurde zwar älter, aber es freute mich doch immer noch, an einer alten Linde einem Marienschrein zu begegnen oder mit einem Kerzchen heimlich zu Abend vor den Muttergottesaltar zu treten.
Aber erst nun, wenn der Mai wiedergekommen, wenn die Wolken lichtblau wanderten und die Bäume ausschlugen: Wer etwa am letzten Apriltag durch den grünen Hag geschritten kam, der über den Bergen meiner Heimat sich dunkellaubig lagert, konnte neben dem süßen Schlag der Nachtigallen auch noch andere Herzen sich ausjubeln hören – überall rosige Kindergesichter, bunte Kleider, Lachen und munteres Singen. Kinder vergessen gar leicht das, was ihnen trüb scheint, am liebsten aber die Schule mit Buchstaben und Zahlen. Es war April in den Köpfen und Mai in den Herzen. Laubwerk, Blumen, Moos, alles schien schon recht, denn alles, die ganze schöne Welt sollte in einem Kranz in die Muttergottes-Kapelle, dort zu lächeln, zu duften und zu sterben. In einem lichtgrünen Waldgrund saßen Mädchen und flochten die Blumen in das Laub – bis im allzu früh herniedersinkenden Abendrot der ganze Zug aufbrach.
Mit welcher Freude und mit welchem Selbstbewusstsein streckte sich schon am frühen Morgen des ersten Maitags manch Köpflein empor, um durch die Gitter der Kapellentür die Blumen und Lichter zu sehen. Und wer nicht mit in den Wald hatte gehen können, suchte zwischen Hecke und Gras noch einen Veilchenstrauß, ihn in das Kirchlein heimlich zu werfen. Das waren noch selige Kinderfreuden ohne allen Schmerz! – Am Vorabend, wenn die Glocken unten im Tal hell und freudig zu läuten anfingen, begann erst so recht der Jubel. Auch vom Bergkirchlein läutete es, ein leiser Duft wie an dem ersten anmutigen Herbstmorgen lag über aller Welt, man sah durch ihn die Fahnen wehen, und wie sehnsüchtige Lieder nach dem Himmel klang es empor. Nie hat mehr irgend eine Prozession einen solchen Eindruck auf mich gemacht, selbst mit aller Pracht in großen Städten, als diese einfache Wallfahrt aus dem Tal der Zähren zu dem Berg der heiligen Muttergottes! Der Himmel war so tiefblau, der Strom ging still im Grunde, der Mond begann sacht zu scheinen – als ob der ganze Zweck des Lebens, das Einswerden mit dem Himmel, schon jetzt erreicht sei. Aber so leicht wird es uns nicht gemacht, nur das sterbende Kind geht träumen auf Lilien und Rosen und doch auch wieder weinend in den Himmel, als ob der Schmerz des Todes auch ihm zum Lösegeld dienen müsse! Wenn dann alle die Kinder, die Jungfrauen und Männer neben hochbetagten Greisen, die noch mit zitternder Stimme sangen zum Lob der Himmelskönigin, in der Kapelle knieten und immerfort noch die Glocken läuteten und in die feierliche Stille der Mondnacht die hehren Lieder klangen und von der Linde die Nachtigall, gleichsam als Marien-Vöglein, darein schlug, so regte sich heißer als in der größten Freude die Sehnsucht, auch recht bald vor der allersüßesten und huldvollsten Mutter des Herrn selbst zu knien, so selig wie einst die Hirtenknaben von Betlehem. Und war die Andachtsübung vorbei, das Herz bebte und zitterte noch wie die Lotusblume, wenn der Mond sie anschaut. – Ich erinnere mich, wie wir bis in die Mitternacht auf dem Strom fuhren, langsam, grüne Maien von allen Seiten im Schifflein, und dann kam es mir vor, als steuere Maria uns, kaum gesehen, an den Felsen vorbei, durch die ruhige Nacht des lang verlorenen Paradieses.
O ja, ich zweifle nicht, ich hab es ja oft erfahren, Maria ist freigiebiger im Spenden der Gnade, als wir bereit, sie zu empfangen! Sie wird auch die Schifflein unseres Lebens in den sicheren Port geleiten! O, wenn wir ihrer nur stets gedenken, so können wir nicht untergehen!
Am ersten Mai-Sonntag kamen dann die Prozessionen von nah und fern gezogen, auf allen Pfaden zwischen dem Grün der Berge nieder, im stillen Tal, vom fernen Wald her. Auf dem Fluss flatterten die Fahnen und in dem Städtlein sang es in allen Gassen durch die sonnigblaue Frühlingsluft. Und wenn dann im Abendrot die Fahnen sich zur Heimkehr entfalteten, die Glocken läuteten, in den Gärten die Rosen dufteten – und ferner, immer ferner die Lieder klangen, so musste der Wanderer auf einsamem Weg, wenn nur ein Laut sein Ohr traf, niederknien, und die gebenedeite Magd des Herrn grüßen, zu deren Lob die ganze Welt jetzt jubelte und sang, und gleichsam starb im Abendrot der Liebe. – Ach, als Kind, wie war es uns da zumute, an keiner Blume konnte das Auge sich satt sehen, an keinem Geläut sich satt lauschen! – Vorbei ihr huldigen Stunden und Tage, durchhaucht von Himmelslüften, durchzittert von Engelsharfenklängen! Es ist schon manches Herz seitdem gebrochen und sieht hienieden keine Mairose so mehr, und steigt nicht mehr am frühen Morgen über Berg und Tal den frühen Lerchenliedern nach. Aber der geistige Mai im Herzen und Maria in der einsamen Bergkapelle – und es ist gut, wenn auch alles bricht, wir zagen nicht, so lange dein süßes Angesicht, o Mutter der Barmherzigkeit, uns zulächelt. Im Marien-Mai soll das ganze Leben sein! Der Rosen-Mai welkt, er ist bald entblättert. Von den glänzenden Träumen der Welt-Minne bleibt nur das Weh des Lebens und die Dornen, die den Weg zum Himmel erschweren. Aber diese Rose, Maria, sie lässt uns nicht! O du anmutigste Seelenbraut, du unser Ruhm, unsere Freude, unsere Seligkeit! Mit dir erstürmen wir den Himmel – die Hölle mag rasen in Sturm und Blitz und Wetterschlag!
Es war schon etwas weh, wenn der letzte Maitag gekommen war, als ob die letzten Rosen blühten, die letzten Vögel sängen! – Das Pfingstgeläut war mit seinen hehren Schauern, seiner tiefen Wonne auch schon vorüber – wer soll denn nun mit uns sein während des glühenden Sommers, während des rauen Winters! Noch einmal naht man der Linde, die nur welke, duftlose Blätter streut. Das Auge muss weinen, als ob es einen ewigen Abschied gelte in die kalte Fremde! Ach ja, und ist es nicht auch so? Die Kindesfreude und die Kindesunschuld ist leider so oft und bald dahin. Der armselige, vom Weltdünkel aufgeblasene Verstand will nicht mehr glauben, das Herz kann darum nicht mehr hoffen, der Wille nicht mehr heilig lieben. Es geht der Sommer – er geht unbenützt vorüber, der Herbst kommt ohne Früchte, das Ende des kurzen Lebens naht, die vergeltende Ewigkeit tut sich auf – und dann? Ach ja – und dann? – und dann ist es noch die gnadenvolle Erinnerung an die allerseligste Jungfrau und Muttergottes Maria, die wir als Kinder so innig geliebt, und sie führt uns dann mütterlich sorgsam zu ihrem Sohn, dem guten Hirten zurück, damit wir noch in der elften Stunde des ewigen Himmelsmais nicht verlustig gehen.
Ach ja, diese paar Herzschläge, „Leben“ genannt, sind so kurz. Man sollte nur zu Marias Ehre atmen, denken und wollen, das brächte das echte Mai-Seligsein! Wüssten wir, wie lieb sie das hat, nie mehr würde das böse Herz sie beleidigen. Wenn du eine Seele kennst, die Maria bis jetzt noch nicht geliebt hat, führe sie doch mit mildester Hand zu ihr, damit der Marien-Mai in der Zeit und dereinst auch der Marien-Mai in der Ewigkeit ihr holdseligst erblühen und erduften möge! Ave Maria!
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2. Die erste Marien-Mai-Andacht zu Nazareth
(Aus: Andacht zur allerseligsten Jungfrau in Beispielen von P. Huguet)
Der Kanzler des Patriarchen von Jerusalem, Th. Dequevauillers, gibt in einem seiner nach Paris gerichteten Briefe folgende Schilderung von der ersten Marien-Mai-Andacht, wie sie zu Nazareth gefeiert wurde. Er berichtet:
Nazareth in Galiläa, am 31. Mai 1856
Ich schätze mich wahrhaft glücklich, indem ich Ihnen von dem hochbegnadeten heiligen Städtlein Nazareth schreibe, das ich in diesem Augenblick zum fünften Mal zu besuchen die Freude habe, und auf welches Ihre Frömmigkeit gewiss recht oft die Gedanken Ihres Geistes und die Sehnsucht Ihres Herzens hinlenkt. Nie setzte ich ohne sanfte Rührung den Fuß auf diesen heiligen Boden, der unter den Wanderungen unseres göttlichen Heilandes und seiner gebenedeiten Mutter, der unbefleckten Jungfrau Maria, erbebte. Alles in Nazareth ist noch voll frommer und lieblicher Erinnerungen an die heilige Familie. Wie wohl tut es, an der Stätte der Menschwerdung Gottes zu knien und die von Liebe zitternden Lippen auf den Marmor zu drücken, der die Stelle bezeichnet, wo das Wort hat Fleisch angenommen! Wie erträgt man mit Geduld die Last und die Mühseligkeiten des Lebens, wenn man in der demütigen Werkstätte gebetet und sich gesammelt hat, wo der Gottmensch Jesus Christus und St. Joseph, sein Nähr- und Pflege-Vater gearbeitet und ihr Brot im Schweiß ihres Angesichts verdient haben! Wie tröstet man sich über die Undankbarkeit der Menschen, an diesem Plätzchen, dem bleibenden Zeugen der Undankbarkeit der Landsleute dem Eingeborenen Sohn Gottes gegenüber, der unter ihnen die Knechtsgestalt angenommen hatte, um die ganze Welt von ihren Sünden zu erlösen! Wie sehr fühlt sich das Herz erleichtert und erfrischt, wenn der Blick, nach Osten hinschweifend, auf der Kuppe des Hehren Tabor ruht, der durch den Ruhm der Verklärung für immer denkwürdig sein wird!
Allein heute will ich Ihnen nicht diese heiligen Stätten beschreiben. Die guten, bescheidenen Ordensschwestern, die aus Frankreich hierher kamen, sind es, denen man die Einführung der Marien-Mai-Andacht zu Nazareth verdankt. Wo konnte diese volkstümliche Andacht besser am Platz sein, und wo konnte sie sich gedeihlicher entfalten, als im Geburtsort der allerseligsten Jungfrau Maria? Welchen tiefsten Trost empfand ich, als ich die Kinder, Jungen und Mädchen, mit den Greisen im Silberhaar herbei kommen und vor der Statue der Jungfrau von Nazareth niederknien sah, die in einer Nische ihrer bescheidenen Kapelle aufgestellt war. Diese erwies sich leider als zu klein, um all die frommen Araber zu fassen, die jeden Abend herbeiströmten, um an den an die gnadenreichen Mutter des Heilandes gerichteten Gebeten und an den kraftvollen Gesängen Anteil zu nehmen, die die Jugend von Nazareth an dieser ehrwürdigen Stätte erschallen ließ. Der maronitische Pfarrer wohnte alle Tage dieser Andacht mit vielen seiner Schäfchen bei, ebenso ein griechisch-katholischer Priester, der jeden Abend eine Lesung, oder eine Unterweisung in arabischer Sprache vortrug. Wir waren aber entzückt, als wir Schlussverse geistlicher Lieder in französischer Sprache von dieser interessanten Jugend mit Ausdruck und Begeisterung singen hörten. – Der Orient ist aber auch das Land der Wohlgerüche. Man verbrennt die köstlichen Duftstoffe überall. In jeder Kirche und Kapelle wirbelt der Weihrauch in dichten Wolken empor. Warum sollte man keinen verbrennen vor dem in der Kapelle der Ordensschwestern von Nazareth errichteten Marien-Altar? Ein Hemmnis stand indessen noch im Weg. In ihrer Armut hatten die guten Frauen sich noch kein Rauchfass anschaffen können. Eine Schwester jedoch hat diesem Missstand teilweise abgeholfen. Es war ihrer Sorgfalt gelungen, aus einem Blechstück eine Art von Räucherpfännchen zu machen. Bei jeder Andacht bemächtigte ein arabischer Chorknabe dieses seltsamen Räucherpfännchens, kniete davor nieder, füllte es mit glühenden Kohlen und bedeckte sie mit Weihrauch, den er durch beständiges Anblasen vor der Bildsäule Marias brennend erhielt. – Ich gestehe, dass ich durch diese Handlung des arabischen Chorknaben mehr erbaut als zerstreut wurde, und ich bin überzeugt, dass sein Weihrauch-Opfer derjenigen, die auf dem Boden von Nazareth das Drückende der Armut gekannt hat, nicht weniger angenehm war, als jener, der ihr in reichen goldenen und silbernen Rauchfässern dargebracht wird!
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3. Eine würdige Feier des Marien-Mai
(Aus: Erinnerungen an den römischen Jüngling Paolo Piazzesi von P. T. Manzotti)
Paolo Piazzesi, am 2. Januar 1829 zu Rom von wohlhabenden Eltern geboren, erhielt in der heiligen Taufe nebst dem Namen des heiligen Paulus auch noch den von St. Aloysius und St. Makarius. Es scheint, dass diese drei berühmten Heiligen, deren weltbekannte Namen er führte, es von da an mitsammen übernommen haben, dieses Kind besonders sorgfältig zu beschützen. Und jeder von ihnen scheint ihm eine innige Vorliebe gerade zu derjenigen Tugend eingeflößt zu haben, die ihm selber (das heißt – dem bezüglichen Namens-Patron) eigen gewesen war. In der Tat, zum jungen Mann herangewachsen, war Piazzesi als Paulus ein junger Apostel rücksichtlich der guten Beispiele, die er allen gab, die mit ihm verkehrten. Als Aloysius erwies er sich als der reinste Spiegel jungfräulicher Keuschheit. Und als Makarius kann er ein kleiner Anachoret oder Einsiedler genannt werden in Ansehung der stillen Einsamkeit und Zurückgezogenheit, worin er stets mit größter Freude zu leben suchte. Die schönsten Namen eines jeden frommen Christen „Jesus“ und „Maria“ hatte er sich zu seinen täglichen Leitsternen gewählt.
Schüler bei den Jesuiten im „römischen Collegium“ geworden, empfing er am 27. März 1839 zum ersten Mal die heilige Kommunion. Mit großer Andacht wohnte er den geistlichen Übungen bei, die den Erstkommunikanten recht würdig zu diesem ersten Gottgenuss vorbereiten sollen. Besagte Exerzitien werden gewöhnlich erteilt in jenen Zimmern, die einst der heilige Aloysius von Gonzaga bewohnte und die seit geraumer Zeit in heilige Kapellen umgewandelt worden sind. Paul erhielt bei dieser Gelegenheit ein Bildnis des heiligen Aloysius, das er gar sehr schätzte, nicht etwa wegen des bedeutenden Kunstwertes, den es besaß, sondern um stets vor Augen zu haben jenen ersten Eifer der Liebe, Andacht und Demut, womit er sich zum ersten Mal dem Tisch des Herrn genähert hatte, und als ein Hilfsmittel, um ja nicht zu erkalten in der Ehrfurcht diesem allerheiligsten Sakrament gegenüber.
Es gab im Collegium keinen Verein, keine fromme Verbrüderung, an der Paolo Piazzesi nicht den lebhaftesten Anteil genommen hätte. Überall leistete er etwas. – Es gesellen sich nämlich in den Schulen des „römischen Collegiums“ alljährlich die fleißigsten und sittsamsten Schüler zueinander und bilden unter sich immer eine Bruderschaft zu Ehren des heiligen Aloysius. An jedem Vakanztag kommen sie zusammen und begeben sich nach verschiedenen Übungen der Frömmigkeit in einen Garten, wo sie sich unter mancherlei Spielen und Ergötzlichkeiten von den Mühen erholen, die ihnen das Studium in den vorhergehenden Tagen verursachte. Mit der Erholung werden zu gewissen Zeiten auch Übungen in der Religionslehre verbunden. In jedem Monat wird ein Tag der stillen Zurückgezogenheit gewidmet, wo dann Betrachtung gehalten und über die eigenen Fehltritte nachgedacht wird. An den Hauptfesten des Herrn und der allerseligsten Jungfrau Maria werden neuntägige Andachten gefeiert und damit kleine Abtötungen, Tugendakte und Gebetsübungen verknüpft. All dies pflegt man „Fioretti, geistliche Blumensträußlein“ zu nennen. Jeden Morgen ist eine kleine Betrachtung, eine kurze geistliche Lesung und Gewissenserforschung vorgeschrieben. Darüber bestehen bestimmte Bruderschaftsvorschriften, und etliche allgemeine Regeln, welche sich auf die gegenseitige Erbauung und den guten Wandel beziehen. – Mehrere Jahre war Paul Piazzesi Mitglied dieser frommen Bruderschaft. Besonnen, klug, verständig, ehrbar, heiter, gesellig, wie er sich stets gezeigt hatte, stellte er das wahre Bild eines jungen Mannes dar, der Mitglied der Bruderschaft des heiligen Aloysius ist, eines jungen Mannes nämlich, wie er sein soll vor Gott und Maria, vor seinen Vorgesetzten und vor seinen Mitschülern.
Während einiger Hauptmonate des Jahres und besonders während des Maimonats, der der allerseligsten Jungfrau Maria geweiht ist, ließ er sich die Übung gewisser Marianischer Tugenden ganz besonders angelegen sein. – Unter den Papieren, die sich nach seinem Tod in seinem Schreibpult vorfanden, hat man von fünf Jahren die Betrachtungsfrüchte gefunden, die er jedes Mal im Monat Mai täglich aufgezeichnet hatte.
Am Anfang jedes Heftes oder Blattes stand die Aufschrift: „Blumenkränze, gesammelt von mir, Paul Piazzesi, als Weihegeschenk für die allerseligste Jungfrau Maria im Augenblick meines Absterbens!“ – Und siehe da! Der Glückliche säumte nicht lange, dieses Weihegeschenk Maria darzubringen und als Lohn dafür entgegenzunehmen eine unverwelkliche Krone ewig dauernder Herrlichkeit.
Auf einigen Blättern sind die Tugendübungen und Betrachtungsfrüchte ausführlich aufgeschrieben, während sie auf anderen Blättern nur leise angedeutet sind. Von diesen Aufschreibungen sollen hier nur einige vorgeführt stehen als Beweis für den frommen Sinn dieses gottgefälligen jungen Mannes und als nachahmungswürdiges Muster für seine Altersgenossen.
Er schreibt:
„Aus Liebe zur allerseligsten Jungfrau Maria – habe ich mir den und den guten Bissen versagt . . . habe ich einem Armen mein Frühstück gegeben . . . habe ich einen Spaziergang unterlassen . . . habe ich einen religiösen Vortrag in der Kirche angehört . . . habe ich mein Studium eifriger betrieben . . . bin ich schneller vom Bett aufgestanden . . . habe ich des Abends mein Gewissen gründlicher erforscht . . . u.s.w.“
Ein anderes Mal erzählt er:
„Ich habe zu Ehren Marias das Officium (die kirchlichen Tagzeiten) gebetet . . . Ich habe einem Mann etwas von meinem Mittagessen mitgeteilt . . . Ich habe oft und mit großer Andacht Stoßgebetlein gebetet . . . u.s.w.“
Da Paul Piazzesi sein ganzes Leben lang ohne Unterbrechung Werke der Frömmigkeit, sowie der Gottes- und Nächstenliebe ausgeübt hat, so erscheinen bei ihm diese Liebesbezeigungen als wie eine in Gold gefasste Kette wertvoller Perlen. Sieht man auch die Absicht, warum er diese Dinge aufgezeichnet hatte, so wäre es weit gefehlt zu glauben: er habe es aus geheimem Anlass oder Ehrgeiz getan, sondern er hat bei diesen Aufzeichnungen nur eine ihm obliegende Pflicht erfüllt, denn solche Betrachtungsfrüchte musste er von Zeit zu Zeit in die Schule mitbringen und sie demjenigen aushändigen, der mit deren Einsammlung betraut war. Der überreichte sie dann dem Vorstand der Bruderschaft, der daraus alljährlich bei zwei Hauptgelegenheiten „Geistliche Blumenkränze“ anfertigte, die dann zu Ehren Marias, der glorreichen Himmelskönigin, und zur gegenseitigen Erbauung im Hörsaal vorgelesen wurden, nämlich: am Sonntag nach dem Titularfest der Unbefleckten Empfängnis Marias und am Schluss des Maimonats.
Außer dem besagten Verein des heiligen Aloysius besteht im römischen Collegium auch noch ein anderer, den man die „Bruderschaft der heiligen Apostel“ nennt, weil sie unter den Schutz derselben gestellt ist. – Die studierenden jungen Männer, die in diese Bruderschaft aufgenommen werden, sind gewöhnlich aus der vorgerückten Altersklasse und zwar aus den Lehrkursen der Philosophie und Theologie, und hie und da sogar solche, die ihre theoretisch-wissenschaftliche Laufbahn bereits ganz vollendet haben. Jeden Freitag um fünf Uhr abends versammeln sich die Vereinsmitglieder und ermuntern sich durch erbauliche Vorträge, durch geistliche Lesungen und gegenseitige Ermahnungsreden zur Frömmigkeit und zum Fortschritt in der Tugend. Auch sie haben Bruderschaftsvorschriften, durch die sie angehalten werden, zum eigenen und zum fremden Seelenheil alles Mögliche beizutragen. Die eifrigsten unter ihnen pflegen sich oft freiwillig in den Werken des Seeleneifers und der Nächstenliebe zu üben. Obwohl Laien, unterrichten sie an Sonntagen, mit der nötigen Vollmacht ausgerüstet, die Gefangenen, trösten sie, stärken sie, und bereiten sie an gewissen Hauptfesten auch zur heiligen Beichte und Communion vor. Besonders finden sie sich während des schönen Maimonats täglich in den Gefängnissen ein, und halten mit den Gefangenen in der Hauskapelle die liebliche Maiandacht. Es ist ein wahrhaft erbaulicher Anblick, diese seeleneifrigen und liebeglühenden Jünglinge zu sehen, wie sie die Verehrung Marias, der Gebenedeiten des Herrn, fördern, und wie sie die unglücklichen Gefangenen in den notwendigen Heilswahrheiten unterrichten und sie, indem man sie zum Vertrauen auf Maria, Die „Zuflucht der Sünder“, ermutigt, auf einen besseren Weg zu geleiten suchen. – Jene Vereinsmitglieder, die bereits Priester sind, predigen von der Kanzel aus das Wort Gottes und hören gleich danach die Beichten an. In bester Ordnung sind die übrigen behilflich und tragen alles Mögliche bei zur heilsamen Erbauung. Sichtbar erlaben sich an diesen geistlichen Übungen die armen Gefangenen. Anfangs werden sie eingenommen von der Artigkeit, Bescheidenheit und Liebe dieser jungen Apostel. Später trachten sie selbst danach, sich von diesen liebevollen Glaubenspredigern in den Heilswahrheiten unterrichten und in der Lebensbesserung unterstützen zu lassen. – Am Schluss des Marianischen Monats, - nachdem nämlich die Maiandacht mit der gemeinschaftlichen heiligen Communion beendet ist, - treten die jungen Apostel auch noch zu den einzelnen Gefangenen in die Kerker und teilen ihnen reichliches Almosen an Lebensmitteln aus, wodurch bei diesen armen Leuten die Marianische Festfreude erst so recht ihren Gipfelpunkt erreicht. Durch die empfangenen Marianischen Maimonats-Liebesgaben erfahren sie ja tatsächlich, dass Maria auch die „Mutter der Barmherzigkeit“ ist. – Man sah im Jahr 1846 bei zwanzig solcher jungen Männer, wie sie in den Gefängnissen von mehr als fünfhundert Verurteilten eine solche Festfeier Marias ausübten. Dann sah man wieder zwölf von ihnen, die in den verschiedenen Korrektionshäusern an fast zweihundert Gefangenen das Beispiel der ersteren nachahmten. – Die frommen Jünglinge beabsichtigten: dass wie der Mai der Natur draußen alles mit seiner Blütenpracht irdisch verklärt, so innerlich der Mai der Gottesgnade durch die heißerflehten Fürbitten Marias alle Seelen im Geist Jesu geistig verkläre. Des Himmels Maitag sollte durch Marias Huld und Erbarmen allen und jedem erblühen! –
So lebte Paul Piazzesi, mit Ausübungen heiliger Handlungen beschäftigt, bis zum Monat Mai 1846, das sein siebzehntes und letztes Lebensjahr war. Mit gewohntem Liebeseifer wand er auch in diesem Jahr während des wonnigen und süßen Marien-Mai-Monats geistliche Blumenkränze, um sie, wie er bisher immer im Sinn hatte, in seiner Sterbestunde der heiligen Muttergottes als ein Weihegeschenk darzubringen. Es war aber die Stunde seines Todes, ohne dass er es vermutete, nicht mehr fern. – Bei den älteren Zöglingen des römischen Collegiums, die der Aloysius- und Apostelbruderschaft angehörten, bestand die Sitte, im Monat Mai die sieben Hauptkirchen zu besuchen. – Unter vielen anderen Bruderschaftsmitgliedern fand sich dieses Mal auch Paul Piazzesi bei dem genannten Wallfahrtsgang ein, und zwar ganz freiwillig. Für ihn war das die allerbeste Vorbereitung auf seinen nahen bevorstehenden Übergang in die Ewigkeit. Ich habe die besagten frommen Jünglinge dieses Mal bei dem Besuchen der sieben Hauptkirchen begleitet und mit Wehmut erinnere ich mich noch an jenen Augenblick, wo wir, nach dem Austritt aus der Kirche des heiligen Kreuzes in Jerusalem, auf dem Weg zur Kirche des heiligen Laurentius in einen Kreis zusammentraten, um einen Rosenkranz für die Seele dessen zu beten, der unter uns als der erste in die Ewigkeit durch den Tod abberufen werden würde. Und ach! Wer hätte es gedacht? – Paul Piazzesi, der brave Sohn Marias, war der Auserlesene. Denn schon nach wenigen Tagen – am 19. Juli, früh um halb zehn Uhr, hatten wir seinen Tod zu betrauern. Versehen mit den heiligen Sakramenten, hört Paul noch von seiner Umgebung den trostvollen Marianischen Hymnus „Ave maris stella!“ anstimmen, den er sofort mit leiser Stimme repetierte, jedoch ohne Zusammenhang und nur in abgerissenen Worten. Später setzte er ein wenig aus und versank in einen leichten Schlummer, einer Person vergleichbar, die im Stillen betet, denn er bewegte fortwährend die Lippen und bezeichnete sich sehr oft mit dem heiligen Kreuz. Unter Anrufung der allerheiligsten Namen „Jesus, Maria und Joseph“ starb er wahrhaft als ein Gerechter und seine Seele ging ein in den Gottes- und Marienmai der himmlischen Herrlichkeit.
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4. Der Maienkönigin
Von Heinrich von Heiden
O Herrin des Maien, o Mutter,
Ich schmücke als Kind dir den Thron
Und wand dir bunte Kränzlein
Aus blauen Zyanen und Mohn.
Dir bracht ich die ersten der Primeln,
Die ersten Schneeglöckchen dar
Und stellte mit kindlicher Liebe
Die Blumen auf deinen Altar.
Dann sang ich im Kreise der Kinder
Dir, Maienkönigin,
Die schönsten der Maienlieder
Mit kindlich frommem Sinn.
Mir wars, als schaute dann heller
Dein gütiges Auge mich an,
Dein mildes Auge, das nimmer
Seitdem ich vergessen kann.
Ach, Jahre kamen und schwanden,
Mein Leben verfloss wie die Flut
Und Sorgen und Mühen verzehrten
Mein Herz mit irdischer Glut.
Doch selbst auf den wirren Pfaden
Hab immer ich deiner gedacht
Und habe statt Blumen dir Tränen
Der Reue dargebracht.
Und heute, wenn sich wieder
Im Lenze schmücket die Welt,
Dann mein ich, du kämst geschritten
Mit deinem Kind durchs Feld.
Ich meine, es blühten die Blumen
So lieblich nur dir zum Gruß,
Wo du auf Fluren und Auen
Nur setzest den reinen Fuß.
Mir ist´s, als hört ich die Englein
Dir singen im wonnigen Mai
Und stille knie ich beiseite,
Zu lauschen der Melodei.
Und weine, dass nicht mehr singen
Wie einst in der Jugend ich kann –
Und weine, dass dennoch dein Auge
Mich blickt so mütterlich an.

5. Die Maiandacht
Man ist über den Ursprung dieser rührenden Andacht nicht einig. Mehrere schreiben sie dem heiligen Philipp Neri zu, der um das Heil der Seelen so besorgt und so eifrig war, den Kult der erhabenen Gottesmutter überall zu verbreiten. Dieser Heilige, der die Jugend ganz besonders liebte, hatte bemerkt, dass der Maimonat für die jungen Leute der gefährlichste Monat des Jahres ist. Trostlos darüber, dass er das Feuer ihrer Leidenschaften nicht im Zaum halten konnte, betrachtete er sie mit Rührung, die Augen voller Tränen. Schließlich verfiel er auf den heiligen Gedanken, zur Königin der Jungfrauen seine Zuflucht zu nehmen, und das jugendliche Alter während des Monats Mai unter ihren mütterlichen Schutz zu stellen. Zu diesem Zweck gab er den jungen Leuten Verhaltensregeln, wie sie diesen schönen, ihrer Unschuld so gefährlichen Monat heilig zubringen könnten. Er empfahl ihnen, der Mutter Gottes vor ihren Bildern, Bildsäulen und Altären fromme Huldigungen darzubringen, er verordnete tägliche Andachtsübungen, ununterbrochenen Besuch der Heiligen Messe und des christlichen Unterrichts, öfteres Gebet in Verbindung mit Tugendübungen und gottseligen Werken, endlich eine allgemeine oder besondere Kommunion im Laufe oder am Schluss des Monats und Hingabe an die allerseligste Jungfrau. Die glücklichsten Erfolge krönten seine frommen Bemühungen, und dieser Monat, der sonst so gefährlich war, hauptsächlich in Italien, wurde ein Monat des Heils, der Blüten und Früchte des Heils trug, die die Kirche erfreuten.
In Italien also, diesem bevorzugten Land, wo die Religion ihren Thron hat, und wo die erhabene Gottesmutter die rührendsten Huldigungen empfängt, hat die Marienandacht im Maimonat, wodurch der schönste Monat des Jahres dem besten und schönsten der Geschöpfe geweiht worden ist, seinen Ursprung genommen.
Dieses Gefühl, dass die Kinder der allerseligsten Jungfrau bewogen hat, ihr jeden Samstag des Jahres zu weihen und sie dreimal des Tages zu ehren, hat ihnen den heilsamen Gedanken eingegeben, ihr auch einen ganzen Monat zu widmen. Und weil man, als eine Weihegabe für eine Person, die man liebt und verehrt, das Beste und Angenehmste auswählen muss, so haben sie den schönen Maimonat gewählt, der durch die Erneuerung der Natur und durch die liebliche Vielfältigkeit der Blumen, womit die Erde sich bedeckt, die Seele einzuladen scheint, auch der Gnade wieder geboren zu werden und sich mit hohen Tugenden zu schmücken, um daraus gleichsam eine Krone zu winden für die Königin des Weltalls.
Die Maiandacht verbindet durch anmutige Lieder den blütenreichsten, freundlichsten Monat des Jahres mit dem Lieblichsten, Nachsichtigsten, unserer Schwachheit Zugänglichsten, was der Himmel nach Gott besitzt, und mit dem Unschuldigsten und Reinsten, was die Erde bietet. Sie ist ein der Jugend gebotener süßer Genuss, um sie durch den Reiz heiliger Festlichkeiten und melodischer geistlicher Gesänge von den ausgelassenen Freuden und unsittlichen Liedern abzulenken.
Diese zarte Andacht zu Maria ist für treue Herzen eine reine und überreiche Quelle von Gnaden und Gunstbezeugungen. Sie heiligt die schönste Jahreszeit und erhält die fromme Seele inmitten der Zerstreuungen, die sie umgeben, in heiliger Sammlung.
Diese Andacht, durch die Früchte der Gnade und des Heils, die sie hervorgebracht hat, in Aufnahme gekommen, hat die Meere überschritten und ist heutzutage unter dem Schutz der Kirche, die sie durch zahlreiche Ablässe befördert hat, allgemein, katholisch geworden.
Die Maiandacht besteht nicht bloß in Spanien, Portugal, Frankreich, Belgien, Deutschland, England, Irland, Rom, Neapel und allen Teilen Italiens, sie wird an den äußersten Grenzen des Erdballs gehalten und gefeiert.
Der Maimonat ist der Monat der heiligen Freuden. Er ist der Monat, wo die Natur Maria den Kelch ihrer schönsten Blumen aufschließt. Für sie entfalten sich die purpurnen Rosen, die Lilien unserer Täler, der fruchtbare Weinstock. Die Mädchen schmücken in diesem Monat ihre Altäre mit ihren Lilasträußen und blühenden Weißdornzweigen.
Im Talgrund neben dem alten Felsen, am Ufer des klaren Bächleins hat die fromme Schäferin der Königin der Jungfrauen ihren ländlichen Altar errichtet. Ihr seht daran nicht Marmorsäulen, nicht vergoldetes Tafelwerk, wohl aber findet ihr blumige Auen, dichtbelaubte Bäume, die ihm einen angenehmen Schatten geben, als den unserer glänzendsten Tempel. Ihr hört da nicht die wohlklingende Musik unserer großen Städte, aber ihr genießt die Ruhe der Felder. Ihr werdet da beim Anbruch des Tages das Gezwitscher der Vögel und den Lobgesang der glücklichen Schäferin an den Morgenstern hören.
Im Dörfchen haben die jungen Landmädchen ihren Festschmuck angezogen. Die Prozession des Marienmonats beginnt: Die Glocke ruft die Schar der Gläubigen in die Kirche, der Winzer steigt vom Hügel herab, der Bauer eilt vom Acker herbei, der Holzhacker verlässt den Wald, die Mütter schließen ihre Hütten, um das Fest des Maimonats mitzufeiern. Bald sieht man die Geistlichkeit, die langen Reihen junger Mädchen erscheinen, der Zug setzt sich in Bewegung und es ertönt der Gesang: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig. Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten. Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind. Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, das er unseren Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.“ Das Banner der Heiligen, das Kreuz, die einzige Hoffnung unseres Heils eröffnet die Prozession. Dann kommt das Bild der unbefleckten Jungfrau Maria auf einem mit Laubwerk verzierten Thron sitzend und von vier jungen Mädchen getragen, ihr Ehrengeleit besteht aus ihren keuschesten Kindern. Die Dorfbewohner folgen hintereinander, man überschreitet das Weichbild des Dorfes und zieht längs den blühenden Weißdornhecken hin, in denen die Nachtigall ihr Liedchen trillert. Die Bäume sind mit Blüten bedeckt, oder mit jungem Grün geschmückt. Die Wälder, die Täler, die Bäche, die Felsen hören abwechselnd die Liebeshymnen an Maria und zum Schluss sendet der Mond sein mildes Licht vom Himmel herab auf dieses geliebte Fest, das der lieblichste Monat jedes Jahr uns wiederbringt.
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6. Maria, durch Blumen und Kränze verehrt
In einem Dorf bei Florenz lebte ein Mädchen, die Tochter armer Eltern. Sie hieß Dominika. Von Kindheit an ehrte sie die heilige Jungfrau, sie fastete in dieser frommen Meinung die ganze Woche, und am Samstag teilte sie den Armen die Nahrungsmittel aus, die sie sich am Mund abgespart hatte. Sie stellte die Blumen ihres Gartens vor einem Bild Mariens auf, die sie von ihrer zartesten Kindheit an mit den ausgezeichnetsten Gnaden überhäufte.
Als sie eines Tages, als sie ungefähr zehn Jahre alt war, am Fenster stand, sah sie auf der Straße eine Frau von einem schönen Äußeren, die an der Hand einen Knaben führte, der an den Füßen und an der Brust verwundet war. Wer hat den Knaben verwundet? fragte Dominika. Die Liebe hat es getan, antwortete die Mutter. Dominika über die Schönheit des Kindes entzückt, fragte es, ob seine Wunden ihm weh täten? Es antwortete nicht, die Mutter aber sagte zu ihr: Sage mir, meine Tochter, was treibt dich, diese Bilder mit Blumen zu bekränzen? Die Liebe, antwortete sie, die ich zu Jesus und Maria hege. Plötzlich erschien ihr nun die heilige Jungfrau unter der Gestalt einer großen Königin und ganz von Licht umflossen. Der Knabe glänzte wie eine Sonne. Er nahm die Blumen, und streute sie auf das Haupt Dominikas, die nun in diesen erhabenen Personen Jesus und Maria erkannte, und sich vor ihnen niederwarf. Damit endete das Gesicht. Dominika nahm hierauf das Kleid des heiligen Dominikus und starb im Verdacht der Heiligkeit im Jahr 1553
Der heilige Liguori überreicht Maria einen Blumenstrauß
Wir wüssten über die Gnadenbezeugungen, die dem heiligen Liguori in seinen letzten Jahren von der unbefleckten Jungfrau zuteil wurden, viel zu erzählen. Eins aber können wir nicht mit Stillschweigen übergehen, einen Regen, den er vorhersagte, und durch die Vermittlung der heiligen Jungfrau vom Himmel erwirkte. Das Wunder ereignete sich am 15. Mai 1779, in der Gegend von Nocera, wo seit sechs Monaten kein Regentropfen mehr gefallen war. Bald wurde es in Neapel bekannt, und Monsignore Lupoli teilte es am 29. Mai desselben Jahres dem Abbé Nonnotte durch einen Brief mit.
Der Heilige pflegte mit vielen Personen in seinem Zimmer geistliche Übungen abzuhalten. Er sprach da über das Leiden Christi, das heilige Sakrament, den Sieg der Martyrer und die Herrlichkeiten Mariens. „Wenn alle, die hierherkommen,“ sagte er, „nichts mit sich nehmen, als die Andacht zur Mutter Gottes, so ist das schon genug, sie zu retten.“ Dann verfiel er in eine heilige Begeisterung und rief aus: „Meine Königin, zu deinen Füßen will ich wohnen, weil ich auf dich meine ganze Hoffnung gesetzt habe.“
Im Monat Juni 1781 hielt er im Kloster von der Reinheit eine Rede über die Liebe zu Jesus Christus und das kindliche Vertrauen zu Maria. Die frommen Mütter wollten ihm einen Blumenstrauß geben, den er beharrlich ausschlug. Als man ihm aber zu verstehen gab, er könne ihn ja der heiligen Jungfrau überreichen, so willigte er ein, ihn anzunehmen.
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7. Schönheit Mariens
Der gelehrte heilige Antonin, dessen Fest am 10. Mai gefeiert wird, erzählt in seinen unsterblichen Werken die Geschichte eines Maria tief ergebenen Geistlichen. Da er sie fortwährend bat, sie möge ihm die Gnade erwirken, täglich neue Fortschritte zu machen in der Erkenntnis ihrer Vollkommenheiten und in der Liebe zu ihr, erregte diese fromme Übung in seinem Herzen ein so glühendes Verlangen, die heiligste Jungfrau zu schauen, dass er davon gleichsam verzehrt wurde. O liebe Mutter, o wunderbare Mutter, gönne mir einen Augenblick, deine unvergleichliche Schönheit zu schauen, die den ganzen Himmel entzückt. Er erhielt eines Tages den Besuch eines Engels, der ihm das Glück verhieß, Maria zu schauen, jedoch unter der Bedingung, dass die Augen, die sie einmal gesehen haben, nichts anderes mehr sehen sollten. „Ach, ich willige da ein,“ rief der fromme junge Mann, „alle übrigen Tage meines Lebens blind zu bleiben, wenn es mir nur gegönnt ist, Maria nur einige Augenblicke zu schauen.“ Der Tag wird genannt, er bereitet sich vor, er erwartet mit Ungeduld diesen glückseligen Augenblick. Er sagt indessen zu sich selbst, er könnte wohl eines seiner Augen retten, indem er es geschlossen hielte, während er sie mit dem anderen betrachten würde. Sie erschien ihm in einem so blendenden Glanz und mit einer so hinreißenden Majestät, dass das Auge, das sie schaute, dadurch erlosch und des Lichtes gänzlich beraubt wurde.
Dieser Anblick aber erfüllte ihn mit so süßem und reichlichem Trost, dass er, weit entfernt den Verlust seines Auges zu beklagen, das Unglück des Auges beklagte, das sie nicht geschaut hatte. „Warum habe ich das eine meiner Augen gehütet, wenn nicht, um nur die hässlichen und unvollkommenen Dinge zu sehen, die mir missfallen, nachdem ich eine so bezaubernde Schönheit geschaut habe? O Mutter der Barmherzigkeit, vergib die Grausamkeit, die ich gegen mich selbst gezeigt habe, indem ich mich eines Teils deiner Gunstbezeigungen beraubte! Lass mich dich noch einmal schauen und mich meine beiden Augen verlieren: ich werde mich glücklich schätzen, nichts mehr zu sehen, nachdem ich das Glück hatte, in diesem sterblichen Leben dich zu schauen.“ Maria wurde von diesem frommen und feurigen Verlangen ihres Dieners so sehr gerührt, dass sie sich ihm wiederholt in ihrer ganzen Schönheit zeigte, aber weit entfernt, ihm das andere Auge zu nehmen, das er um ihrer willen opfern wollte, gab sie ihm das Licht des anderen zurück, und seine beiden Augen dienten ihm fortan nur dazu, überall die Vollkommenheiten Mariens zu erblicken.
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