Maria, die Erlösung der Gefangenen

 

Inhalt:

 

1. Das Marienkirchlein zu Girst

2. Maria die Größere im Königskloster zu Wien

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1. Das Marienkirchlein zu Girst

 

Im schönen Sauerthal, einige tausend Schritte unterhalb Rosport, und in der Nähe der beiden Dörflein Girst und Hinkel, erhebt sich am östlichen Abhang einer sanft aufsteigenden Anhöhe ein einsames frommes Kirchlein, das, seines bescheidenen Äußeren ungeachtet, bei allem Volk der Umgegend hoch in Ehren stet.

 

Der fromme Pilger, der das stille Heiligtum betritt, bemerkt, neben dem Altar aufgehängt, zwei Krücken und eine schwere eiserne Sklavenkette; und fragt er: was der seltsame Schmuck an diesem Ort zu bedeuten habe? so wird ihm der freundliche Landmann eine alte, hehre Sage erzählen, die, wie so viele andere im gesegneten Land Luxemburg, von der freundlichen Huld und Güte zeugt, die die allerseligste Jungfrau Maria, die Schutzpatronin dieses Landes, zu allen Zeiten gegen ihre gläubigen und ihr kindlich vertrauenden Luxemburger bewiesen hat.

 

Sie Sage lautet:

 

Vor langer Zeit lebte auf seinem Schloss unweit dem Dörflein Hinkel an den reizenden Ufern des Sauerflusses, dem bedeutendsten Binnenfluss des Landes Luxemburg, ein edler junger Ritter, namens Elbert, mit seiner verwitweten Mutter, der wohledlen Dame Clairvaux. Seit vielen Jahren schon beweinte diese edle Frau den Tod ihres innig geliebten Gemahles, der im heiligen Land durch die Hand eines ungläubigen Sarazenen gefallen war. Wenige Jahre erst lebte sie in der Ehe, als sie dieser harte, schmerzliche Schlag getroffen hatte; und obwohl noch sehr jung, hat sie dennoch ihrem teuren verlorenen Gatten nie die ihm am Altar gelobte Treue brechen wollen. Standhaft wies sie jedes neue Ehebündnis von sich, wie viele und würdige Ritter sich auch um ihre Hand bewarben. Nur dem Andenken des geliebten Toten und der Pflege ihres einzigen Kindes, des kleinen Elbert, wollte sie leben.

 

Ihre einzige, höchste Sorge, ihre beste Erdenfreude war es, das teure Pfand ihrer Liebe, fromm und christlich zu erziehen, und ihn zum kräftigen, biederen Ritter heranzubilden. Und siehe, unter den Augen der verständigen, zärtlichen Mutter blühte der liebe Kleine bald herrlich heran, und wurde nicht allein der Liebling und die Wonne der Mutter, sondern auch derer, die ihn kannten.

 

Wie ein reiches, liebliches Blumenbeet entfaltete sich unter dem befruchtenden Tau der frommen mütterlichen Lehren das zarte, weiche Gemüt des holden Knaben, und empor sprossten in ihm, wie ebenso viele süßduftende Himmelsblümlein, innige Frömmigkeit, gütiges Wohlwollen und reine, tiefwurzelnde Menschenliebe.

 

Auch suchte die verständige Mutter den geliebten Knaben schon recht früh mit den Pflichten eines echten und wahren Christenritters vertraut zu machen: und zu diesem Behuf erzählte sie dem horchenden Kleinen recht oft und viel vom seligen Vater, der, als er noch auf Erden lebte, an hoher Rittertugend, an Mut und Tapferkeit, an Hochherzigkeit und Biederkeit und wohlwollender, tätiger Menschenliebe, weit und breit seines Gleichen suchte. – Aber auch an wahrer, inniger Frömmigkeit und festem, nimmerwankenden Gottvertrauen tat es ihm keiner zuvor: voll heiliger Begeisterung war er hinausgezogen zum Kampf gegen die Feinde seines heiligen Glaubens, und fern vom Vaterland, fern von der Heimat, fern von den teuren Lieben, hatte er mutig sein Blut für diesen seinen Glauben, für seinen Heiland und Seligmacher opferwillig vergossen.

 

O wie gerne, und mit welcher glühenden Begeisterung redete die edle Frau zu ihrem Sohn von den hohen Tugenden und den rühmlichen Taten ihres ritterlichen Gemahls, mit welchen herrlichen Feuerfarben malte sie sein edles Bild in die weiche, empfängliche Seele des Jungen hinein: und kein Wunder war es, wenn im Herzen des wackeren Sohnes schon frühzeitig der Wunsch aufstieg, dereinst in die Fußstapfen des heldenmütigen, tugendhaften Vaters zu treten, und, so wie er, große, rühmliche Taten zu vollbringen.

 

Ein Lieblingswunsch des jungen Elbert war es, dereinst, wie ehedem sein Vater, einem Zug gegen die Ungläubigen sich anschließen zu dürfen, um dabei, sowohl das Blut seines Vaters, als seinen teuren christlichen Glauben, zu rächen. Voll heiligen Zornes hatte er von der Mutter vernommen, wie die ruchlosen Heiden wieder mit frevelnder Hand und unter frechem Hohn die heiligen Orte entweihten und verwüsteten, wo einst der göttliche Heiland gelebt und seine heilige Lehre dem Volk gepredigt, wo er so oft zu seinem himmlischen Vater für das Wohl aller Menschen gebetet, wo er geduldet, geblutet, das Kreuz getragen, am Kreuz den Tod erlitten und im Grab gelegen hatte und dann glorreich aus demselben auferstanden ist. Voll Mut und Kampfbegierde glänzten die Augen des frommen jungen Mannes bei solchen Erzählungen, und immer feuriger wurde in ihm das Verlangen, solch ruchloses Treiben zu verhindern, und die Frevler für ihre gottesschänderischen Taten zu züchtigen.

 

Und siehe, als er eben zum kräftigen jungen Mann herangewachsen und ihm der Gebrauch der ritterlichen Waffen gestattet war, da sollte das Verlangen, das er lange und tief im frommen Herzen gehegt hatte, erfüllt werden.

 

Im Jahr 1270 nämlich rief Ludwig der Heilige, König von Frankreich, einer der edelsten und frömmsten Könige der ganzen Christenheit, zu einem neuen Kreuzzug gegen die Ungläubigen auf, dem er als Heerführer in hoher eigener Person vorangehen wollte. Von fern und nah strömten die christlichen Streiter herbei, teilzunehmen an dem ehrwürdigen Kampf, und sich den Segen des Himmels zu erwerben. Auch der edle Graf von Luxemburg, Heinrich der Dritte, wappnete sich, und zog mit der Blüte der Ritterschaft seines Landes hinaus, unter dem Anführungsgeleit des ritterlichen Frankenkönigs den Zug mitzumachen. Zu dieser auserlesenen Schar gesellte sich einer der ersten der feurige junge Ritter Elbert, hocherfreut, endlich seinen liebsten, heißesten Wunsch erfüllt zu sehen. Mutigen Herzens und frohen Sinnes, zog der wackere junge Mann fort aus der geliebten Heimat, von der teuren, besorgten Mutter und – von einer holdseligen, innig geliebten Braut, dem edlen Fräulein von Simmern (Siebenborn), um frisch sein junges Leben zu wagen für die Befreiung des heiligen Landes, des Grabes seines göttlichen Erlösers. Fort ging es unter dem Kreuzesbanner in die Ferne, über das weite Meer, nach den fernen Küsten der Berberei.

 

Es hatte nämlich der König Ludwig beschlossen, von tiefem Mitleid gegen die zahllosen christlichen Opfer bewogen, welche die Seeräuber der afrikanischen Küsten täglich hierher in die härteste und schmählichste Sklaverei schleppten, diese räuberischen Banden vorerst zu züchtigen und ihre Raubnester zu zerstören; vor allem aber sollte der treulose, raubsüchtige Beherrscher von Tunis büßen, wegen des Schutzes, den er in seinen Landen den Seeräubern angedeihen ließ.

 

Aber Gott hatte es in seinem hehren und unbegreiflichen Rat anders beschlossen: ein tödliches Fieber raffte den edlen König plötzlich dahin, und ließ das Christenheer führerlos im fremden Land, unter wilden und heidnischen Barbaren.

 

Da schloss Carl I., König von Sizilien und Bruder des heiligen Ludwig, der den Oberbefehl über das verwaiste Christenheer übernommen hatte, mit dem Feind einen zehnjährigen Frieden: und zu Schiff ging wieder das Heer der Franken, und statt der Siegestrophäen, statt Ruhm und Beute, führte es trauernd über das Meer nach Europa – drei edle, teure Leichen: die seines hochherzigen Königs selbst, die des Königs von Navarra, eines Sohnes des heiligen Ludwigs, und endlich die der Gemahlin des Königs von Navarra, die alle drei an derselben tödlichen Seuche gestorben waren.

 

Graf Heinrich von Luxemburg aber hatte sich den Heimkehrenden nicht angeschlossen, sondern hatte sich mit seinen Rittern dem Heer des königlichen Prinzen von England zugesellt, das erst im Lager von Tunis eintraf, als bereits schon der Friede mit den Ungläubigen unterzeichnet war, und welches nun unter seinem ritterlichen Anführer nach dem heiligen Land hinüber schiffte, um hier die räuberischen Türkenhorden zu züchtigen, die das Grab des Erlösers entweihten, und den frommen Pilgern und den ehrwürdigen Mönchen, die noch in Palästina wohnten, beständig auflauerten, um sie zu berauben und zu ermorden.

 

Vor Ptolomais, einer Stadt, die eben von Bibars, dem wilden und grausamen Anführer der Sarazenen, überrannt wurde, landete die christliche Flotte. Hier verbanden sich die Kreuzritter mit den tapferen Templern und Malteserrittern, und nun ging es wie brausender Wirbelwind auf die Ungläubigen los. Sie, die der christlichen Tapferkeit nicht zu widerstehen vermochten, wurden bis hinter Nazareth zurückgetrieben, die Stadt, die von den Christen mit Feuer und Schwert verheert wurde, um an den Feinden des Erlösers die schändliche Entweihung dieses Ortes zu rächen.

 

Sieg auf Sieg erfochten die heldenmütigen Christenscharen, und noch einmal – aber ach! zum letzten Mal! – sollte der Name der Christen in Palästina gefürchtet und rühmlich genannt werden.

 

Ritter Elbert, der nicht nur seinen heiligen Glauben und das Kreuz des Erlösers, sondern auch den Tod seines Vaters an den Feinden der Christenheit zu rächen hatte, tat Wunder der Tapferkeit, und keiner christlichen Ritter wurde, so wie er, von den Sarazenen gefürchtet und gehasst.

 

Aber die Stunde der Ungläubigen war noch nicht gekommen. Prinz Edward, der heldenmütige Anführer des Christenheeres, wurde plötzlich von einem gefährlichen Fieber überfallen, und musste sich sofort nach Ptolomais zurückziehen, um dort in Ruhe wieder gesund zu werden. Hier war es, wo ein fanatisierter Muselmann, der sich heimlicher Weise in des Prinzen Zimmer geschlichen hatte, sein Leben höchst gefährlich bedrohte. Doch Prinz Edward hatte eben noch Kraft genug, aufzuspringen und dem Wütenden den mörderischen Dolch zu entwinden; aber er konnte nicht verhindern, dass ihm der Mörder eine, wenn auch nur leichte, aber dennoch höchst gefährliche Wunde beibrachte. Der Dolch des Fanatikers war nämlich vergiftet, und ohne die wahrhaft staunenswerte Heldenmütigkeit seiner Gattin Eleonore, die ihm das Gift aus der Wunde sog, wäre es unwiderruflich um den ritterlichen Helden geschehen gewesen.

 

Nachdem er aber wieder genesen war, musste er den inständigen Bitten der besorgten treuen Gemahlin nachgeben, und sich entschließen in das teure Vaterland heimzukehren. Nach achtzehn Monaten Kampf, und nachdem von beiden Seiten des Blutes viel vergossen worden ist, schloss er demnach mit dem Sultan von Ägypten einen zehnjährigen Waffenstillstand, worauf er mit den Seinigen zu Schiff ging, um den Ungläubigen das vom Blut des Erlösers gedüngte Land für immer zu überlassen.

 

So endete der Kampf, den das Abendland mit dem ungläubigen Morgenland mehrere Jahrhunderte hindurch um das geheiligte Grab des Welterlösers gekämpft hatte, und in dem nicht nur Tausende von Sarazenen, sondern auch die Blüte der europäischen Ritterschaft gefallen war.

 

Mit schwerem Herzen verließen die christlichen Ritter das heilige, teure Land, und mehr als eine herbe Zähre rollte herab in den Bart der frommen Helden, die das heilige Grab, das sie gerne mit ihren letzten Blutstropfen erkauft haben würden, in der Gewalt der Ungläubigen zurücklassen mussten.

 

Niemand aber schied mit schwererem Herzen von der heiligen Erde als Ritter Elbert. Noch hatte sein rächender Arm weder den Mörder seines Vaters, den finsteren Bibars, erreicht, noch sein Mut das Grab des Erlösers zu befreien vermocht: und nach der Heimat sollte er zurückkehren, zurück zur Mutter, zurück zur inniggeliebten Braut, die seiner sieggekrönten Heimkehr nicht ohne große Erwartungen entgegen harrten, denen er nun aber nichts zu überbringen vermochte, als die traurige Kunde fehlgeschlagener Hoffnungen, erfolglos errungener Siege.

 

Doch die Stunde der Heimkehr, die Stunde des frohen Wiedersehens, sollte für den jungen Ritter noch lange nicht schlagen; harte schwere Prüfungen warteten seiner noch in fernen fremden Landen, vor den selbst sein furchtloses Herz gebebt hätte, wäre es ihm möglich gewesen, sie vorher zu sehen. Ein fürchterlicher Sturm, der die christliche Flotte auf dem Heimweg überraschte, trieb wütend die krachenden, ächzenden Schiffe nach allen Richtungen auseinander, und warf dasjenige, auf dem sich Ritter Elbert befand, mit großer Gewalt gegen die Küsten Afrikas, allwo es, von den numidischen Seeräubern angegriffen, nach heldenmütiger, verzweifelter Gegenwehr von Seiten der Christen, erobert und sofort ausgeplündert und in die Luft gesprengt wurde. Die überlebende Besatzung, worunter auch Ritter Elbert war, wurde mit schweren Ketten beladen, und wie unvernünftiges Vieh auf den Märkten zum Verkauf ausgestellt, worauf auf sie ewige schmähliche Sklavenschaft wartete.

 

Der junge kräftige Ritter wurde von einem Juden gekauft, der ihn dem Pascha von Adrianopel übersandte. Der war einer jener fanatischen Muselmänner, die keine, selbst nicht die unerlaubtesten, Mittel scheuten, gefangene Christensklaven ihrem falschen Glauben zu gewinnen; ja man kann wohl sagen, dass bei Ben-Emmi – so hieß der Pascha – die allen echten Türken eigene Proselytenmachersucht bis zur Leidenschaft gestiegen war. Er verwandte ungeheure Summen auf den Ankauf von Christensklaven; und wenn bei seinen Bekehrungsversuchen die Güte nichts fruchten wollte, so war ihm auch die Gewalt ein willkommenes Mittel, standhafte Bekenner ihres heiligen Glaubens zum schimpflichen Abfall zu zwingen. In der Geschicklichkeit, immer neue Marterqualen zu erfinden, war der Mann ein Meister, und seine sinnreiche Grausamkeit hatte schon manchen furchtsamen, schwachen Christen dahingebracht, seinen Glauben (wenigstens mit den Lippen) zu verleugnen.

 

Aber an Elbert, dem heldenmütigen Ritter, scheiterten sowohl seine heuchlerische Güte, als seine ausgesuchten Folterqualen. Nichts auf der Welt konnte den edlen jungen Mann bewegen, einem Glauben zu entsagen, den mit ihren heiligen Lehren eine fromme, zärtliche Mutter tief in sein innerstes Herz, tief in seine reine Seele, hineingesenkt hatte. Lieber wäre er unter den ärgsten Martern hundert Mal gestorben, als an seinem Gott, seinem Erlöser, zum Verräter zu werden. Mit scharfen Hacken zerriss man seine Muskeln: er blieb standhaft; an heißer Glut briet man sein wundes, blutendes Fleisch: er wankte nicht; mit schweren Keulen zerschmetterte man ihm die Beine: er sank zusammen: aber sein letztes Wort war der Name des Erlösers und Marias.

 

Ohnmächtig wurde er in sein Gefängnis zurückgeschleppt, um, nach vollbrachter Heilung, anderen, noch grausameren Qualen ausgesetzt zu werden. Nur sehr langsam erholte er sich. Seine Beine blieben gelähmt, und er musste sich mit Hilfe zweier Krücken von einer Stelle zur anderen schleppen. Seine schwere Sklavenkette trug er selbst in seiner größten Schwäche; so sehr fürchtete der in seiner Christenfeindlichkeit überaus besorgte Ben-Emmi, es möchte der heldenmütige Christ seinen wohlwollenden Bekehrungsversuchen entgehen.

 

Doch der Himmel hatte Mitleid mit den Qualen des standhaften jungen Mannes, und machte die Pläne des grausamen Muselmannes zu Schanden.

 

Es hatte auch die edle, fromme Dame von Clervaux ihrem Sohn von früher Kindheit an eine zarte, innige Verehrung zur heiligen Gottesmutter einzuflößen versucht, und mit unauslöschlichen Zügen hatte der Jüngling das Bild der hohen Himmelskönigin stets im tiefen Herzen gehegt. Zu ihr, der Trösterin der Betrübten, der Helferin der Christen, wandte er sich jetzt in seiner äußersten Not, und tat ihr das feierliche Gelübde: dass, wenn er unter ihrem gnädigen Schutz je aus der Gefangenschaft der Ungläubigen nach der teuren Heimat entkommen würde, er ihr zu Ehren, und zum ewigen Andenken ihrer großen Huld und Güte, eine Einsiedelei nebst einem Kirchlein erbauen wolle, wo ihr heiliger Name bis ans Ende der Zeiten sollte verehrt und gepriesen werden.

 

„Heilige Maria“, so betete er, „Mutter des Welterlösers, du Zuflucht der Sünder und Trösterin der Betrübten, eile mir beizustehen in meiner äußersten Not; ich bitte dich darum bei dem bitteren Leiden und Sterben deines allerheiligsten Sohnes! Siehe!, wenn du mir die Gnade gewährst, mich die freundlichen Ufer der Sauer und die anmutigen Fluren meiner Heimat wieder sehen zu lassen, so verspreche ich hier aufs Feierlichste, dir zu Ehren eine Kirche dort zu erbauen, wo immerdar dein heiliger Name soll verehrt werden! Amen.“

 

Dann schlief er ein.

 

Und siehe!, im Schlaf erschien ihm die allerseligste Jungfrau mit dem Jesuskindlein auf dem Arm, strahlend wie die Sonne; und huldvoll und gütig sprach sie so zu ihm:

 

„Sei getrost, mein Sohn, und entferne jeden Kummer aus deinem Herzen, Gott verlässt nie diejenigen, die an ihn glauben und in ihrem Herzen nicht wanken! Du hast vertrauensvoll zu mir gefleht in deiner Not: und siehe, ich flehe für dich zu Gott, und du sollst erhört und aus den Händen deiner Feinde errettet werden!“

 

Und in himmlischer Freundlichkeit lächelnd sprach das Jesuskindlein auf ihrem Arm:

 

„Selig sind diejenigen, die in meinem Namen Verfolgung leiden, und selig auch du, der du mich aufrichtig vor der Welt bekannt hast: denn siehe, auch ich habe dich bekannt vor meinem himmlischen Vater, und wie du geglaubt und gehofft hast, so soll dir geholfen werden!“

 

Und segnend die Hände über dem seligen Gefangenen ausbreitend, schwebte mit seiner gebenedeiten Mutter das Jesuskindlein, von strahlendem Licht umflossen, langsam zum Himmel empor.

 

Und dem schlummernden Ritter schien es, als ob sein enges, modriges Gefängnis sich allmählich erweitere: Die Wände schienen sich weit auszudehnen, die Decke erhob sich mehr und mehr, und endlich schien das Ganze kein Kerker mehr zu sein, sondern ein großer, luftiger, freier Raum, von erquickenden Düften erfüllt, und von gar linden, säuselnden Lüftchen angenehm durchhaucht. Und immer weiter, immer unendlicher, dehnte sich dieser Raum aus, und dem schlummernden Gefangenen war es, als wölbte sich über ihm der reine gestirnte Himmel, als rauschten um ihn herum die Bäume, als flötete im nahen Busch die Nachtigall. Ihm war so wohl, er glaubte sich in die Gefilde des Paradieses versetzt.

 

Da plötzlich drang an sein Ohr ein jubelnder, schmetternder Ton, und ihm war es, als hörte er die frühmuntere Lerche hoch über seinem Haupt in den Lüften den Schöpfer preisen mit trillerndem Jubelgesang.

 

Und er erwachte.

 

Und sein Traum war zur Wahrheit geworden: er befand sich nicht mehr im engen, dumpfen Kerker; seine Glieder umklirrte nicht mehr die schwere eiserne Sklavenkette; sein Gebein war nicht mehr zermalmt, seine Füße nicht mehr gelähmt: frei und unversehrt stand er da unter dem prachtvollen Himmelsgewölbe; freundlich lächelten auf ihn die trauten Sterne hernieder; lieblich dufteten zu seinen Füßen tausende von Blumen; lind säuselte ein kühles Morgenlüftchen durch blühende Gebüsche; andächtig wogten und rauschten die Wipfel der Bäume; und hoch in den Lüften sang jubelnd die Lerche ihr Morgenlied und verkündete den neuen herrlichen Tag.

 

Und von drüben herüber ertönte traut und fromm ein Glöcklein durch die Stille des Morgens: und so bekannt, so vertraut drang der andächtige Schall zum Ohr des Ritters! Nicht zum ersten Mal hatte ihm dieses Glöcklein fromme und heilige Gefühle im Herzen wach geläutet, ihn nicht zum ersten Mal mit seinem hellen, reinen Silberklang entzückt.

 

Eine nie gekannte wonnevolle, selige Wehmut erfüllte das Herz des Ritters, und zwei große Tränen rollten über seine Wangen hernieder. So stand er lange sprachlos.

 

Schön rötete sich leise der Osten, ein Waldvögelein nach dem anderen rief die muntere Lerche wach, und froh den neuen Tag begrüßend, stimmte die ganze gefiederte Schar ins Loblied Gottes mit ein. Nun malte sich der ganze östliche Himmel in rosige Glut, und in erhabener Majestät schwebte die herrliche Sonne über die Berge herauf. Bei dem prachtvollen Anblick erwacht der Ritter wie aus einem neuen Traum. Er blickt empor, und von der strahlenden Sonne weg schweift sein Auge über die Fluren, die im jungen Licht des Tages mit zauberischem Reiz prangen. Plötzlich breitet er seine Arme weit aus, als wollte er die ganze herrliche Gegend in einer Umarmung umfassen und an sein volles, seliges Herz drücken.

 

Er hat sie erkannt, diese reizenden Gefilde, dieses Tal, diese Berge, diese Wälder: sie alle waren die treuen, die vertrauten Freunde seiner heiligen Jugendzeit, alle waren seinem Herzen lieb und teuer, wie freundliche Gespielen der Kindheit, denn hier war er ja geboren, hier war ja seine teure, teure Heimat!

 

Gott hatte, auf die Fürbitte der allerseligsten Jungfrau Maria, ein großes Wunder für den Ritter gewirkt, und ihn aus der harten Gefangenschaft – an jedem Glied des Leibes unversehrt – in die freundlichen Gefilde der Heimat versetzt.

 

Voll tiefer heiliger Ehrfurcht warf sich der Ritter auf die Knie, und sendete ein tiefempfundenes andächtiges Dankgebet zum Himmel empor. Neben ihm im Gras lagen seine Krücken und die Sklavenkette, das hohe Wunder zu beurkunden, das der Herr an seinem treuen Diener getan hatte.

 

Und an der Stelle, wo sich der Ritter so selig in seiner lieben Heimat wiedergefunden hat, erhob sich in kurzer Zeit ein trauliches Kirchlein, in dem ein ehrwürdiger Klausner Tag und Nacht die erhabene Gottesmutter verehrte durch fromme Gebete, Gesänge, und das heilige Messopfer. Ein weithintönendes, helles Glöcklein rief alltäglich die frommen Bewohner der Umgebung zum dreimaligen „Ave Maria“ auf; an den Sonn- und Festtagen aber rief es gar freundlich und eindringlich zum heiligen Messopfer, und gerne und willig folgten die frommen Landleute seiner bekannten trauten Stimme.

 

Viele Jahre waren verflossen, da ertönte eines Tages das immer so heitere Glöcklein ganz traurig und wehmütig durchs Tal dahin. Nicht lud es dieses Mal die Leute zum feierlichen Gottesdienst, nicht zum frommen, andächtigen Angelus, sondern seine weichen Trauerklänge zitterten herab auf das Grab eines ehrwürdigen Greises, auf das die Tränen vieler edler Kinder und Enkel, vieler tief bewegter Freunde und vieler armen Witwen und Waisen herniederrannen.

 

Tritt herzu, gerührter Wanderer, tritt zu dem bescheidenen, prunklosen Leichenstein und lies:

 

„Hier schlummert in Gott

 

Ritter Elbert von Clervaux.

 

Er wandelte im Herrn und der Herr

 

Hat ihm der Gnaden viele und große erwiesen.

 

R. I. P.“

 

Noch bis auf diesen Tag steht das Kirchlein, das der ehrwürdige Ritter erbauen ließ, an alter, heiliger Stelle. Doch wurde im Drang und in der Verwirrung späterer Zeit die Einsiedelei verheert, und der fromme Klausner ausgewiesen. Aber bis auf den heutigen Tag wird jeden Samstag von dem jeweiligen Ortsgeistlichen – zu Ehren der allerseligsten Jungfrau Maria – das Opfer der heiligen Messe hier dargebracht.

 

Die Krücken und die Sklavenkette, die der fromme Waller neben dem Altar im Kirchlein aufgehängt sieht, sind dieselben, die Ritter Elbert in der Gefangenschaft gebraucht und getragen hat.

 

Sie sind die stummen, und dennoch höchst beredten Zeugen von der freundlichen und liebevollen Huld, die ja die seligste Gottesmutter für alle ihre Kinder auf Erden hegt, die sie, wie einst Ritter Elbert, im frommen, innigen Gemüt lieben und verehren!

 

 (Aus: Sagen des Luxemburger Landes von N. Steffen)

 

http://www.visitluxembourg.com/de/ansicht/misc/kapelle-von-girsterklaus

 

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2. Maria die Größere im Königskloster zu Wien

 

Der heilige Franziskus von Borgia erhielt, wegen der besonderen Andacht, die er zu dem anmutigen Gnadenbild Maria Major (die Größere) zu Rom trug, von Seiner päpstlichen Heiligkeit die Erlaubnis, mehrere Kopien davon nehmen zu dürfen: damit in diesem Bildnis die heilige Muttergottes an mehreren Orten verehrt werden könnte. Und die mit aller Sorgfalt verfertigten Kopien hat der ehrwürdige Gottesmann verschiedenen königlichen Personen zum Geschenk gemacht.

 

Auf solche Weise ist auch eine der genannten Kopien nach Frankreich gekommen, die später die gottselige Königin Elisabeth, Kaiser Maximilians II. Tochter und Carls IX. von Frankreich hinterlassene Witwe, im Jahr 1578 mit sich nach Wien gebracht und zu jeder Zeit mit inniger Andacht verehrt hat. In allen ihren Betrübnissen suchte sie bei diesem Bildnis die Hilfe der Mutter der Gnaden und Barmherzigkeit und erfuhr auch mit großem Trost deren Huld, besonders als sie vernommen hatte, dass ihr Bruder Erzherzog Maximilian, im Jahr 1588 durch heimlichen Verrat in Polen gefangen worden sei.

 

In dieser großen Angst flehte sie mit dem heißesten Eifer und großem Vertrauen um die Befreiung ihres Bruders; und nachdem sie eine gute Zeit unter vielen Tränen im Gebet verharrte, wollte die Mutter der Gnaden ihre treue Dienerin auch nicht ohne Trost von sich entlassen. Die gebenedeite Jungfrau streckte plötzlich von der Statue die rechte Hand aus, legte sie auf das Haupt der betenden Königin und sprach: „Sei getrost, meine Tochter, dein Bruder wird befreit werden!“ Worauf die gottselige Königin mit einer so hohen Freude erfüllt wurde, dass sie es sich gar nicht erklären konnte. Sie offenbarte es schließlich dem Pater Petrus Luck, aus dem Orden des heiligen Franziskus, als ihrem vertrauten Beichtvater, mit der ernsthaften Bitte, dieses Ereignis so lange sie leben würde, keinem Menschen mitzuteilen, weil sie besorgt war, man möchte sie für überfromm halten, und deswegen in ihrem Kloster weniger für sie beten.

 

Erzherzog Maximilian ist auch bald darauf wunderbarer Weise aus seiner Gefangenschaft erlöst worden und am 9. März 1588 in Wien angekommen, was die gottselige Königin nicht wenig erfreut machte und in der Andacht und in dem Vertrauen zur heiligen Muttergottes mächtig stärkte. Doch hat sie ihm nicht mitgeteilt, was sich seinetwegen mit ihr vor dem Marienbild zugetragen hatte. Sie befahl aber, dass dieses Bild gleich nach ihrem Tod in das von ihr gestiftete Kloster gegeben werden soll, und ersuchte ihren Beichtvater, den Klosterfrauen in ihrem Namen anzudeuten, dass sie allezeit dieses Bild in hohen Ehren halten sollen, dieweil sie es ihnen als eine „sichere Zuflucht in allen Nöten“ aus mütterlichem Herzen hinterlasse. Demgemäß ist das genannte Bild am 23. Januar des Jahres 1592 aus der Kammer der verstorbenen Königin in das Kloster übertragen worden.

 

Hierauf hat der Beichtvater Petrus Luck geoffenbart, was sich zur Befreiung des Erzherzogs aus der Gefangenschaft mit diesem Bild zugetragen hatte, und als sie es vernommen hatten, haben sie es aus Dankbarkeit in einen schönen, reich mit Silber verzierten Altar einfassen lassen. Es wird bis auf den heutigen Tag wunderbar gespürt, dass sich die heilige Muttergottes in diesem Bild als eine schützende Mutter des Erzhauses von Österreich erweist; denn wenn in ihm ein Todesfall oder sonst ein großes Unglück geschehen soll, dann verändert es die Farbe und wird ganz bleich, auch erscheinen die Augen, als wären sie stark geschwollen, obwohl es doch sonst eine so lebhafte und angenehme Gestalt hat.

 

(Aus: Die Mariensagen in Österreich von J. P. Kaltenbäck)

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