Außergewöhnliche mystische Vorgänge

 

Bei seiner Ansprache anlässlich des Weihnachtsempfangs für die römische Kurie am 21. Dezember 2018 übergab Papst Franziskus den Anwesenden ein Buch-Geschenk mit den Worten:

 

"Es ist ein Klassiker: Das Kompendium der aszetischen und mystischen Theologie von Tanquerey. Ich glaube, dass sie gut ist. Man lese nicht alles in einem Zug durch, sondern suche im Inhaltsverzeichnis nach einzelnen Themen: diese Tugend, jene Haltung oder eine andere Sache. Es wird gut tun für die innere Reform eines jeden von uns und für die Reform der Kirche."

 

Hier zwei Abschnitte aus diesem besonderen Buch:

 

 

Im Verlauf der Beschauung treten oft außergewöhnliche Vorgänge, Gesichte, Offenbarungen und dergleichen auf, die wir, wenn wir über die Beschauung nachdenken, d.h. über die aszetische und mystische Theologie sprechen, nicht unberücksichtigt lassen sollten. Da der böse Feind die göttlichen Werke nachäfft, gibt es zuweilen auch teuflische Phänomene, sowohl bei den echten als den falschen Mystikern. Wir wollen hier nacheinander die göttlichen und die teuflischen Vorgänge besprechen.

 

 Inhalt:

 

I. Abschnitt: Göttliche Einwirkungen

 

Privatoffenbarungen: deren Wesen

Anleitung zu deren Beurteilung

Psycho-physiologische Erscheinungen

Von der Stigmatisation im Besonderen

Unterscheidendes von den krankhaften Erscheinungen

 

II. Abschnitt: Teuflische Einwirkungen

 

Das Besitzergreifen des Teufels

Die Besessenheit

Heilmittel für die Besessenheit

 

 

Quelle:

 

Grundriss der aszetischen und mystischen Theologie von Ad. Tanquerey, in`s Deutsche übertragen von P. Johannes Sternaux S.J., SOCIÈTÈ DE SAINT JEAN LÉVANGÈLISTE, DESCLÉE & CIE, Paris, Tournay (Belg.), Rom 1931

 

Widmung:

 

Der Jungfrau und Mutter,

die uns Jesus schenkte,

durch ihn uns alles gab,

die uns durch Jesus

zu Gott führt,

sei dies Büchlein

dargeboten zum Zeichen

kindlichen Vertrauens.

 

Imprimatur:

 

Bruxellis, die 26. Januarii 1931, C. van de Vorst S.J. Praepos. Prov. Belg.

 

Tornaci, die 28. Januarii 1931, J. Blampain, Vic. Gen.

 

 

I. Abschnitt: Göttliche Einwirkungen

 

Es gibt zweierlei Vorgänge dieser Art: die der intellektuellen und die der psycho-physiologischen Ordnung.

 

§ I. Intellektuelle Vorgänge göttlichen Ursprungs

 

Sie lassen sich auf zwei Hauptvorgänge zurückführen: Privatoffenbarungen und gratis verliehene Gnaden.

 

I. Privatoffenbarungen

 

Wir legen dar: 1. Deren Wesen; 2. Die Richtlinien zur Unterscheidung der echten von den falschen Offenbarungen.

 

1. Wesen der Privatoffenbarungen

 

A) Unterschied zwischen besonderen und allgemeinen Offenbarungen

 

Im Allgemeinen versteht man unter göttlicher Offenbarung eine von Gott gemachte, übernatürliche Kundgebung einer verborgenen Wahrheit. Geschieht diese Kundgebung zum Wohl der ganzen Kirche, so ist es eine allgemeine Offenbarung. Findet sie nur zum besonderen Nutzen der davon Begünstigten statt, so heißt sie Privatoffenbarung. Hier ist nur von dieser letzteren die Rede.

Zu allen Zeiten hat es besondere Offenbarungen gegeben. Die Heilige Schrift und die Heiligsprechungsprozesse liefern uns Beispiele dafür. Solche Revelationen gehören nicht zum katholischen Glaubensgut. Dieses nämlich stützt sich einzig auf das, was in der Heiligen Schrift und der Überlieferung niedergelegt und der heiligen Kirche zur Auslegung anvertraut ist. Die Gläubigen sind also nicht verpflichtet, den Privatoffenbarungen Glauben zu schenken. Werden sie von der Kirche gutgeheißen, so begreift das nicht eine Verpflichtung zu glauben, sondern die Kirche, sagt Benedikt XIV., gestattet nur deren Veröffentlichung zur Belehrung und Erbauung der Gläubigen: die ihnen zu gebende Beistimmung ist daher kein katholischer Glaubensakt, sondern ein menschlicher, der sich auf Wahrscheinlichkeit und fromme Glaubwürdigkeit gründet. Ohne Billigung der kirchlichen Behörden dürfen keine Privatoffenbarungen veröffentlicht werden.

 

(Dennoch sind viele Theologen der Meinung, die Offenbarungen dürften von jenen, die sie erhalten, und jenen, für die sie eine Kundgebung des göttlichen Willens sind, mit wahrem Glauben aufgenommen werden, sobald sie nur gewisse Beweise ihrer Echtheit besitzen.)

 

B) Wie die Offenbarungen geschehen

 

Sie geschehen auf drei verschiedene Weisen: durch Visionen (Gesichte), übernatürliche Worte, göttliches Erfasstwerden.

 

a) Gesichte sind übernatürliche Wahrnehmungen eines dem Menschen natürlicherweise unsichtbaren Gegenstandes. Offenbarungen heißen sie nur, wenn sie verborgene Wahrheiten enthüllen. Es gibt deren drei Arten: sinnfällige, bildhafte oder reingeistige Gesichte.

 

1) Die sinnfälligen oder leiblichen Visionen, auch Erscheinungen genannt, sind Gesichte, bei denen die Sinne eine objektive Wirklichkeit wahrnehmen, die natürlicherweise dem Menschen unsichtbar ist. Der wahrgenommene Gegenstand braucht nicht ein aus Fleisch und Knochen bestehender Körper zu sein. Eine sinnfällige oder leuchtende Gestalt genügt.

 

(So wird allgemein mit dem hl. Thomas angenommen, die persönlichen Erscheinungen des Heilandes seien seit seiner Himmelfahrt äußerst selten gewesen. Er erscheint also meistens in sinnfälliger Gestalt, die aber nicht wirklich sein Leib ist. Sein Erscheinen in der hl. Eucharistie lässt sich auf zweierlei Weise erklären, sagt der hl. Thomas, entweder durch einen wunderbaren Eindruck auf die Gesichtsorgane – das trifft zu, wenn er einem Menschen allein erscheint –, oder durch Bildung einer wirklichen sinnfälligen Luftgestalt, die aber vom Leib des Heilandes verschieden ist. Denn, fügt er bei, der Leib des Erlösers kann in seiner eigenen Gestalt nur an einem einzigen Ort gesehen werden: „Corpus Christi non potest in propria specie videri nisi in uno loco in quo definitive continetur“.

Das geht auch aus dem Zeugnis der heiligen Therese hervor: „Aus gewissen Dingen, die er mir sagte, wurde mir begreiflich, dass er seit seiner Himmelfahrt nicht wieder zur Erde kam, um sich den Menschen mitzuteilen, außer im allerheiligsten Altarsakrament“.) Was von Christus gesagt wird, gilt auch von der allerseligsten Jungfrau. Erschien sie in Lourdes, so blieb ihr Leib im Himmel, und an dem Ort der Erscheinung war nur eine sinnfällige Gestalt, die ihre Züge trug. So erklärt sich, dass sie bald unter dieser, bald unter jener Gestalt erscheint.)

 

2) Bildhafte oder Phantasiegesichte werden von Gott oder den Engeln in dem Einbildungsvermögen hervorgebracht, und zwar sowohl in wachendem als in schlafendem Zustand. So erscheint ein Engel mehrmals dem hl. Joseph im Schlaf, und die hl. Therese erzählt von mehreren bildhaften Gesichten der hl. Menschheit des Heilandes, die sie im wachenden Zustand erhielt. Oft findet sich im Geleit dieser Gesichte ein intellektuelles Schauen, das deren Bedeutung erklärt. Zuweilen werden auch in der Vision ferne Gegenden durchstreift: das sind dann meistens bildhafte Gesichte.

 

3) In den intellektuellen Gesichten erfasst der Geist ohne sinnfällige Gestalten eine Wahrheit des geistlichen Lebens: derart war die Vision der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, die der hl. Therese zuteil ward. Solche Gesichte entstehen entweder durch bereits erworbene Begriffe, die aber von Gott eingeordnet oder richtiggestellt werden, oder eingegossene Gestalten, die besser als die erworbenen Begriffe die göttlichen Dinge darstellen. Bisweilen sind sie dunkel und bekunden nur die Gegenwart des Gegenstandes. Dann wieder sind sie deutlich, aber dauern nur einen Moment: es sind gleichsam einen tiefen Eindruck hinterlassende Intuitionen.

Es gibt Gesichte, die gleichzeitig zwei oder drei Merkmale tragen. So war das Gesicht des hl. Paulus auf dem Weg nach Damaskus gleichzeitig sinnfällig, er sah das aufblitzende Licht, bildhaft, die Züge des Ananias wurden seiner Phantasie vorgestellt, und geistig, er erkannte Gottes Willen in Bezug auf ihn.

 

b) Übernatürliche Worte sind Kundgebungen des göttlichen Gedankens, die den äußeren Sinnen, den inneren Sinnen oder unmittelbar dem Verstand vernehmbar sind. Sie heißen hörbar, wenn es in den Ohren erklingende, wunderbarerweise hervorgebrachte Vibrationen sind. Eingebildet, wenn das Phantasievermögen sie vernimmt. Geistig, wenn sie sich unmittelbar an den Verstand wenden.

 

(Der heilige Johannes vom Kreuz behandelt ausführlich die drei Arten von übernatürlichen Worten, aufeinanderfolgende, formelle, substanzielle.)

 

c) Göttliches Erfasstwerden besteht in wonnigen, inneren Gefühlen, die dem Willen durch eine Art göttlicher Kontakt eingeprägt werden und von hellleuchtendem Licht für den Verstand begleitet sind.

 

(Es sind deren zweierlei zu unterscheiden: die gewöhnlichen, göttlichen Berührungen und die substanziellen göttlichen Berührungen. Diese treffen zwar auch den Willen, sind aber so tiefgehend, dass sie in der Substanz selbst der Seele erzeugt zu sein scheinen. Daher die Ausdrucksweise der Mystiker, die behaupten, einen Kontakt von Substanz zu Substanz empfunden zu haben. In Wirklichkeit wirken diese Berührungen auf die äußerste Spitze des Willens und Verstandes ein, da nämlich, wo diese Fähigkeiten sich in die Seelensubstanz einwurzeln. Dennoch sind es nach der Lehre des hl. Thomas die Fähigkeiten und nicht die Substanz, die diese Eindrücke wahrnehmen. Diese äußerste Spitze des Willens wird von den Mystikern der Gipfel des Geistes oder der Gipfel des Willens, auch die Tiefe der Seele genannt.)

 

C) Verhalten in Bezug auf solche außergewöhnlichen Gnaden

 

Einstimmig lehren die großen Mystiker man solle diese außergewöhnlichen Gnaden weder verlangen noch erbitten. Sie gehören ja nicht zu den notwendigen Mitteln, um zur Vereinigung mit Gott zu gelangen. Infolge unserer bösen Neigungen sind es sogar zuweilen eher Hindernisse für die Vereinigung mit Gott. Das weist insbesondere der hl. Johannes vom Kreuz nach. Dieses Verlangen nach Offenbarungen, so behauptet er, trübt die Reinheit des Glaubens, entwickelt eine zu Täuschungen führende gefährliche Wissbegier, verwickelt den Geist in eitle Hirngespinste, bekundet oft Mangel an Demut und Mangel an Ergebenheit gegen den Erlöser, der uns in den Allgemeinoffenbarungen alles gab, was wir zum Heil brauchen.

 

(Daher wendet er sich denn auch mit stärkstem Nachdruck gegen jene unklugen Seelenführer, die solches Verlangen nach Gesichten begünstigen. „Sie ermutigen die Seelen“, sagt er, „sich auf diese oder jene Weise mit solchen Visionen zu befassen. Infolgedessen wandeln die Seelen aber nicht mehr im reinen vollkommenen Glaubensgeist. Anstatt sie nun zu erbauen und im Glauben zu bestärken, lassen sich die Beichtväter zu langen Gesprächen über die Gesichte herbei. So geben sie den Seelen zu verstehen, dass die Gesichte ihnen gefallen und dass sie der Sache eine große Bedeutung beilegen, und die Seelen verhalten sich dementsprechend. Ihren Eindrücken gänzlich ausgeliefert, lassen sie sich nicht mehr vom Glauben leiten, sind vom Sinnlichen nicht mehr frei, entblößt, losgelöst… Wo bleibt die Demut dieser Seele, sobald sie darin ein besonderes Gut zu finden meint, ja sich vielleicht sogar einbildet, Gott schätze sie in besonderer Weise?... Diese Seelen, die Gegenstand göttlicher Mitteilungen zu sein scheinen, werden dann von den Beichtvätern ausgenützt, gebeten, als Zwischenhändler zu dienen, um von Gott dies oder jenes zu erfahren, sei es in Bezug auf sie selbst oder auf andere. Und solche Seelen sind albern genug, derartige Dienstleistungen zu versprechen… In Wahrheit gefällt das Gott nicht. Es ist ihm in keiner Weise erwünscht“.)

 

Übrigens sind bei solchen Gesichten viele Täuschungen möglich. Darum bedarf es einiger Regeln, um die wahren Gesichte von den falschen zu unterscheiden.

 

2. Regeln zur Unterscheidung der Offenbarungen

 

Zur richtigen Unterscheidung der wahren Offenbarungen und zur Erkenntnis des darin sich einschleichenden Menschlichen gilt es, möglichst genaue Regeln aufzustellen. Diese Regeln betreffen die Person, die Offenbarungen erhält, den Gegenstand, auf den sie sich beziehen, die Wirkungen, die sie hervorbringen, die Zeichen, die sie begleiten.

 

A) Regeln betreffs der durch Offenbarungen begünstigten Person

 

Allerdings kann Gott, wem er will, Offenbarungen zuteilwerden lassen, auch Sündern. Für gewöhnlich aber sucht er sich dazu Seelen aus, die nicht nur eifrig, sondern bereits zum mystischen Zustand erhoben sind. Doch selbst zur Auslegung der wahren Offenbarungen ist es notwendig, die guten und schlechten Eigenschaften jener Personen zu kennen, die Offenbarungen erhalten zu haben glauben. Dazu bedarf es aber der Erforschung ihrer natürlichen und übernatürlichen Veranlagung.

 

a) Natürliche Eigenschaften:

 

1) Bezüglich des Temperamentes. Sind es Menschen mit seelischem Gleichgewicht oder mit Psycho-Neurose oder Hysterie behaftet? Es ist nämlich klar, dass im letzteren Fall Grund vorliegen würde, den angeblichen Offenbarungen misstrauisch zu begegnen, da solche Naturen Halluzinationen zugänglich sind.

 

2) Handelt es sich in geistiger Hinsicht um Menschen mit gesundem Verstand und geradem Urteil oder um solche mit überschwänglicher Phantasie, die mit äußerer Empfindsamkeit verbunden ist? Um einen gebildeten oder einen unwissenden Menschen? Wo hat er Unterricht genossen? Ist sein Geist nicht durch Krankheit oder langes Fasten geschwächt?

 

3) Ist der Betreffende in sittlicher Hinsicht vollkommen aufrichtig oder vielleicht gewohnt, die Wahrheit auszuschmücken oder manchmal sogar Erfundenes für wahr auszugeben? Hat er einen ruhigen oder leidenschaftlichen Charakter?

 

Die Lösung aller dieser Fragen beweist freilich nicht das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Offenbarung, verhilft jedoch sehr zur richtigen Bewertung des von den Sehenden Bezeugten.

 

b) Bezüglich der übernatürlichen Eigenschaften ist zu untersuchen, ob die betreffende Person: 1) mit solider, lang erprobter Tugend oder nur mit mehr oder minder fühlbarem Eifer durchdrungen ist. 2) Ob sie aufrichtige Demut besitzt, oder im Gegenteil sich gern vordrängt, aller Welt ihre Gnadengaben erzählt. Wahre Demut ist der Prüfstein der Heiligkeit. Fehlt sie, so ist das ein sehr schlimmes Zeichen. 3) Ob sie ihrem Seelenführer die erhaltenen Offenbarungen kundgibt, anstatt sie anderen Menschen mitzuteilen, und ob sie dessen Ratschläge gelehrig befolgt. 4) Ob sie bereits die passiven Prüfungen und die ersten Grade der Beschauung erfahren hat. Besonders, ob sie in ihrem Leben Ekstasen hat, d.h. die Tugenden heroisch übt. Im Allgemeinen werden nämlich von Gott solche Gesichte vollkommenen Seelen vorbehalten.

 

Wohl zu beachten ist dieses: das Vorhandensein der erwähnten Eigenschaften beweist nicht das Stattfinden einer Offenbarung, lässt aber das Zeugnis der Begnadeten glaubwürdiger erscheinen. Ihr Fehlen beweist nichts gegen die Offenbarung, macht jedoch das Auftreten einer solchen wenig wahrscheinlich.

 

Die auf diese Weise erhaltenen Aufschlüsse erleichtern es außerdem, Lügen und Täuschungen der vorgeblichen Seherinnen aufzudecken. Es gibt deren nämlich, die aus Hochmut oder um sich Geltung zu verschaffen, willkürlich Ekstasen und Visionen simulieren.

 

(Derart war besonders Magdalena vom Kreuz, eine Franziskanerin in Cordova, im 16. Jahrhundert. Sie hatte sich als Kind dem Teufel verschrieben, trat im Alter von 17 Jahren ins Kloster und war dreimal Äbtissin ihres Klosters. Mit Hilfe des bösen Feindes simulierte sie alle mystischen Phänomene, Ekstasen, Erhebungen, Stigmata, Offenbarungen und Prophezeiungen, die mehrmals eintrafen. Als sie sich dem Tod nahe glaubte, gestand sie alles ein, widerrief es, wurde exorziert und in ein anderes Kloster ihres Ordens versetzt.)

 

Andere wieder, und deren Zahl ist größer, täuschen sich selbst dank ihrer Lebhaften Einbildungskraft und halten ihre Eigenen Gedanken für Gesichte oder innerlich vernommenen Worte.

 

(Die heilige Therese spricht öfter davon: „Es gibt Menschen – ich habe deren nicht nur drei oder vier, sondern eine große Zahl gekannt, - die infolge der Schwäche ihrer Phantasie oder der Tätigkeit ihres Vorstellungsvermögens oder ich weiß nicht, aus welch anderem Grunde, derart voller Hirngespinste und Phantastereien sind, dass sie glauben, tatsächlich alles zu sehen, was sie sich einbilden.“)

 

B) Regeln in Bezug auf den Gegenstand der Offenbarungen

 

Auf diesen Punkt besonders soll die ganze Aufmerksamkeit gerichtet werden, denn jeder dem Glauben oder den guten Sitten widersprechenden Offenbarung muss man unerbittlich ablehnend gegenüberstehen. Das ist die einstimmige Lehre aller Gottesgelehrten, die sich auf das Wort des Völkerapostels stützt: „Wenn auch wir oder ein Engel vom Himmel euch ein anderes Evangelium verkündigte als wir euch verkündigt haben, der sei verflucht!“ Gott kann sich ja nicht widersprechen, noch Dinge offenbaren, die der Lehre seiner Kirche entgegengesetzt sind. Daher folgen einige Regeln, an die wir bei dieser Gelegenheit erinnern wollen.

 

a) Als unecht muss jede Privatoffenbarung angesehen werden, die im Widerspruch zu einer Glaubenswahrheit steht: dieser Art sind z. B. die angeblichen spiritistischen Offenbarungen, die viele unserer Dogmen, insbesondere die Ewigkeit der Höllenstrafen, leugnen. – Dasselbe gilt für solche, die der einstimmigen Lehre der Väter und Gottesgelehrten widersprechen, da sie den Vertretern des gewöhnlichen Lehramtes der Kirche widersprechen.

 

(Kommt eine zwischen den Theologen strittige Meinung in Frage, so halte man jede Offenbarung für verdächtig, die sich anmaßen würde, die Lösung zu bringen, z. B. die Kontroverse zwischen Thomisten und Molinisten zu entscheiden. Es ist Gott nicht eigen, zu derartigen Fragen Stellung zu nehmen.)

 

b) Zu verwerfen ist auch jede Vision, die den Gesetzen der Sitte oder des Anstandes zuwider wäre: z. B. Erscheinungen von unbekleideten, menschlichen Gestalten, gemeine oder unzüchtige Reden, genaue oder ins einzelne gehende Beschreibungen von schändlichen Lastern, wodurch die Schamhaftigkeit verletzt würde.

 

(So gewann Mitte des 19. Jahrhunderts eine Seherin, namens Cantianille, das Vertrauen eines frommen Bischofs. Dieser veröffentlichte eine angebliche Offenbarung, die eine schauderhafte Sittenschilderung der Priester seiner Diözese enthielt. Bald darauf musste er auf den Bischofsstuhl verzichten. Vielleicht ist das der Grund, weshalb die Veröffentlichung des „Secret de Mélanie“ verboten wurde.)

 

Gott macht nur zum Wohle der Seelen Offenbarungen. Er kann also gewiss nicht Urheber jener sein, die der Sünde Vorschub leisten.

 

(Nach demselben Grundsatz sind alle Erscheinungen verdächtig, bei denen weder Würde noch Zurückhaltung gewahrt werden, um so mehr solche, die zum Lachen reizen. Dieser Zug kennzeichnet menschliche oder teuflische Schwindeleien. Derart waren die Kundgebungen auf dem Friedhof von St. Médard.)

 

c) Als von Gott kommend können auch jene Aufträge oder Bitten nicht angesehen werden, die unter Berücksichtigung der Vorsehungsgesetze und der gewöhnlich von Gott gewirkten Wunder unmöglich verwirklicht werden können: Gott nämlich verlangt nicht Unmögliches.

 

(So wird aus dem Leben der heiligen Katharina von Bologna berichtet, der Teufel sei ihr öfter in der Gestalt des Gekreuzigten erschienen und habe ihr unter dem Vorwand der Vollkommenheit unmögliche Dinge befohlen, um sie in Verzweiflung zu stürzen.)

 

C) Regeln betreffs der durch Offenbarungen erzeugten Wirkungen.

 

Der Baum wird nach den Früchten beurteilt. Die Offenbarungen lassen sich also nach den Wirkungen, die sie in der Seele erzeugen, beurteilen.

 

a) Nach dem heiligen Ignatius und der heiligen Therese erzeugt das göttliche Schauen anfangs ein Gefühl des Staunens und der Furcht, auf das bald ein tiefes und andauerndes Gefühl des Friedens, der Freude und der Sicherheit folgt. Das Gegenteil ist der Fall bei teuflischen Gesichten. Anfangs mögen sie Freude verursachen, aber bald folgt darauf Verwirrung, Traurigkeit und Entmutigung: dadurch nämlich bringt der Teufel die Seelen zum Fall.

 

b) Wahre Revelationen befestigen die Seele in den Tugenden der Demut, des Gehorsams, der Geduld und der Gleichförmigkeit mit dem göttlichen Willen. Die unechten erzeugen Hochmut, Vermessenheit, Ungehorsam.

 

(Hören wir die heilige Therese: „Diese Gnade führt im höchsten Grad Beschämung und Demut mit sich, während die Einwirkung des Teufels ganz widerstrebende Wirkungen zurückließe. Sie kommt offenbar von Gott … die also bevorzugte Seele befindet sich in der absoluten Unmöglichkeit, darin ein ihr zu eigen gehöriges Gut zu sehen: ihr ist es klar, es sei eine Gabe Gottes … Die Schätze mit denen diese Gnade die Seele bereichert, und die inneren Wirkungen, die sie hervorruft, lassen nicht zu, dass sie in Melancholie verfällt. Auch der Teufel könnte nicht ein so hohes Gut verschaffen. Die Seele empfände nicht solch tiefen Frieden, solch andauerndes Verlangen, Gott zu gefallen, solch große Verachtung alles dessen, was nicht zu ihm führt.“)

 

c) Hier drängt sich die Frage auf, ob man wohl Zeichen zur Bestätigung der Privatoffenbarungen verlangen darf. a) Ist die Sache von Bedeutung, so möge man es tun, aber demütig und bedingungsweise. Gott nämlich braucht nicht notwendigerweise durch Wunder die Echtheit dieser Gesichte zu beweisen. b) Bittet man Gott um ein Zeichen, so tut man gut, ihm die Wahl davon zu überlassen. Der gute Pfarrer von Lourdes ließ die Erscheinung bitten, mitten im Winter einen wilden Rosenstock blühen zu lassen. Dieses Zeichen wurde nicht gewährt, aber die makellose Jungfrau ließ zur Heilung von Leib und Seele eine wunderbare Quelle entspringen. c) Ist das erbetene Wunder einwandfrei festgestellt worden, ebenso wie seine Beziehung zur Erscheinung, so ist dadurch ein wahrer überzeugungskräftiger Beweis gegeben.

 

D) Regeln zur Unterscheidung des Echten vom Unechten in den Privatoffenbarungen

 

Eine Offenbarung kann, im Grunde genommen, echt und dennoch mit nebensächlichen Irrtümern vermischt sein. Ohne Grund häuft Gott nicht die Wunder und behebt nicht die Vorurteile oder Irrtümer, die dem Geist der Schauenden anhaften mögen: sein Zweck ist ihr seelisches Wohl, nicht ihre intellektuelle Bildung. Bei Besprechung der hauptsächlichsten Ursachen von Irrtümern, die sich in einigen Privatoffenbarungen finden, werden wir das besser begreifen.

 

a) Eine erste Ursache ist die Vermengung menschlicher Tätigkeit mit dem übernatürlichen Wirken Gottes, besonders, wo Geist und Phantasie von großer Lebhaftigkeit sind.

 

(1. So finden sich in den Privatoffenbarungen die Zeitirrtümer betreffs der physischen oder historischen Wissenschaften. Die heilige Franziska Romana behauptet, zwischen dem Sternenhimmel und dem Feuerhimmel einen Kristallhimmel gesehen zu haben und schreibt die blaue Farbe des Firmaments dem Sternenhimmel zu. Maria von Agreda glaubte durch eine Offenbarung erfahren zu haben, dieser Kristallhimmel habe sich im Augenblick der heiligen Menschwerdung in elf Teile gespalten.

2. Es finden sich darin auch die Gedanken und zuweilen die Vorurteile oder Pläne der Seelenführer von Sehenden. Auf das Zeugnis ihrer Seelenführer hin glaubte die heilige Coletta zu sehen, dass die heilige Anna dreimal vermählt war und sie nun mit ihrer zahlreichen Familie besuchte. Heilige Dominikanerinnen und Franziskanerinnen drücken sich in ihren Visionen der besonderen Einrichtung ihres Ordens entsprechend aus.

3. Auch historische Irrtümer schleichen sich manchmal in Offenbarungen ein: Gott offenbart für gewöhnlich nicht genaue Einzelheiten aus dem Leben des Heilandes oder der allerseligsten Jungfrau, wenn sie der Frömmigkeit nur wenig Stoff bieten. Mehrere Seherinnen aber verwechselten, was sie durch Offenbarungen erfuhren, mit dem, was sie durch fromme Betrachtungen gewannen und gaben Einzelheiten, Zahlen und Daten an, die im Widerspruch zu historischen Urkunden oder anderen Offenbarungen stehen. So stehen sich in den verschiedenen Berichten über das Leiden Christi manche in den Gesichten erzählte Einzelheiten kontradiktorisch gegenüber (z.B. betreffs der Zahl von den Schlägen, die Jesus bei der Geißelung erhielt), oder stehen im Gegensatz zu den hervorragendsten Geschichtsschreibern.)

 

b) Eine Privatoffenbarung kann falsch ausgelegt werden.

 

(Z. B. Die heilige Jungfrau von Orleans hatte ihre Stimmen gefragt, ob sie verbrannt würde. Diese antworteten ihr, sie solle sich auf den Heiland verlassen, er würde ihr beistehen und sie durch einen herrlichen Sieg befreien. Und nun meinte sie, dieser Sieg sei ihre Befreiung aus der Gefangenschaft. In Wirklichkeit bedeutete er ihr Martyrium und ihren Einzug in den Himmel. – Der heilige Norbert hatte erklärt, er wisse durch Offenbarung, und zwar ganz sicher, der Antichrist werde zur Zeit der noch lebenden Generation (XII. Jahrhundert) erscheinen. Vom heiligen Bernhard gedrängt, sagte er, jedenfalls werde er nicht eher sterben als bis er eine allgemeine Kirchenverfolgung gesehen haben würde. – Der heilige Vinzenz Ferrier hatte das letzte Gericht als bald bevorstehend angekündigt und schien diese Vorhersagung durch Wunder zu bestätigen.)

 

c) Eine Offenbarung kann unbewusst von dem Schauenden selbst in dem Augenblick verändert werden, da er sie zu erklären versucht, oder noch öfter durch die für ihn sie schriftlich Niederlegenden.

 

Die heilige Brigitta selbst gibt zu, sie habe an ihren Offenbarungen zuweilen gearbeitet, um sie besser zu erklären. Diese Erklärungen sind aber nicht immer frei von Irrtümern. Man weiß heute, wie die Aufzeichnungen der an Maria von Agreda, Katharina Emmerich und Marie Lataste ergangenen Offenbarungen von denen, die sie niederschrieben, bearbeitet wurden und zwar so dass es schwer ist, die ursprüngliche Form zu erkennen.

 

Aus allen diesen Gründen muss bei Untersuchung der Offenbarungen mit äußerster Klugheit vorgegangen werden.

 

Schluss: Verhalten in Bezug auf Privatoffenbarungen

 

a) Uns steht nichts besser an, als die weise Zurückhaltung der heiligen Kirche und der Heiligen nachzuahmen. Die Kirche aber nimmt Revelationen erst an, wenn sie gut und einwandfrei festgestellt sind, und selbst dann verpflichtet sie die Gläubigen nicht, sie für wahr zu halten. Handelt es sich um Einsetzung eines Festes oder um eine äußerliche Stiftung, so lässt sie außerdem lange Jahre verstreichen, und erst nach reiflichem Erwägen und Untersuchen, sowohl der Sache selbst, wie in ihren Beziehungen zum Dogma und zur Liturgie, spricht sie ihre Entscheidung aus.

 

(Die selige Juliana von Lüttich, die Gott als Werkzeug zur Einsetzung des Fronleichnamsfestes erwählt hatte, unterbreitete erst 22 Jahre nach ihren ersten Visionen den Plan den Theologen. Wieder vergingen 16 Jahre, ehe der Bischof von Lüttich das Fest für seine Diözese einsetzte, und erst 6 Jahre nach dem Tod der Seligen führte es Papst Urban IV. für die ganze Kirche ein (1264). Ebenso wurde das Herz-Jesu-Fest erst lange nach den Offenbarungen, die der heiligen Margarita-Maria gemacht worden waren, gutgeheißen, und zwar aus Gründen, die von den Offenbarungen selbst unabhängig waren.

Es liegt darin für uns eine Lehre, die wir uns zunutze machen sollten.)

 

b) Mit Gewissheit ist also über das Vorhandensein einer Privatoffenbarung erst dann zu urteilen, wenn überzeugende Beweise da sind, Beweise, wie Benedikt XIV. sie in seinem Buch über die Heiligsprechungen anführt. Im Allgemeinen begnüge man sich nicht mit einem Beweis, sondern verlange deren mehrere, auch frage man sich, ob sie kumulativ oder konvergierend sind, ob sie sich gegenseitig bestätigen: je größer ihre Zahl, desto größer wird die Sicherheit sein.

 

c) Werden einem Seelenführer Revelationen anvertraut, so hüte er sich wohl, Bewunderung zu bekunden: dadurch würden die Schauenden sofort ermutigt, diese Visionen für echt zu halten und vielleicht sich deswegen etwas einzubilden. Im Gegenteil, er äußere sich in dem Sinn, solche Dinge seien viel weniger wichtig als die Übung der Tugenden. Man verfalle dabei leicht der Täuschung, man müsse derartigem misstrauen, und anfangs verwerfe er sie lieber, anstatt daran zu glauben.

 

(Nach diesem Grundsatz handelten die Heiligen. Die heilige Therese schreibt folgendes: „Mögen es kranke oder gesunde Seelen sein, man tut immer gut, Misstrauen zu zeigen, bis man ganz sicher ist, was für ein Geist einwirkt. Darum sage ich, in den Anfängen ist es immer am besten, sich zu widersetzen. Kommen diese Einwirkungen von Gott, so werden sie um so sicherer fortdauern, denn in der Prüfung werden sie stärker, statt abzunehmen: das ist eine Tatsache. Andererseits vermeide man, die Seele zu ängstigen oder in Verwirrung zu bringen, denn sie kann nichts dagegen tun“. Der heilige Johannes vom Kreuz äußert sich noch energischer. Er zählt die sechs Hauptmissstände auf, die entstehen würden, wenn man solchen Visionen leichten Glauben schenkte. Dann fügt er hinzu: „Nichts ist dem Teufel wohlgefälliger als eine Seele, die nach Offenbarungen gierig verlangt. So nämlich wird ihm alle Leichtigkeit geboten, Irrtümer einzuträufeln und den Glauben zu schwächen. Somit ist die Seele dann meistens Überspanntheiten und schweren Versuchungen ausgesetzt.“)

 

d) Immerhin soll der Seelenführer jene, die Offenbarungen zu erhalten glauben, mit Sanftmut behandeln. Dadurch gewinnt er ihr Vertrauen, erfährt die Einzelheiten genauer und ist nach reiflicher Überlegung dann in der Lage, ein Urteil zu fällen. Befinden sie sich in einer Illusion, so wird die Macht seiner Autorität um so stärker sein, sie zu erleuchten und zur Wahrheit zurückzuführen.

 

(Diesen Rat gibt auch der heilige Johannes vom Kreuz, trotz seiner Strenge in Bezug auf Visionen: „Wir betonen mit nachdrücklicher Strenge die Notwendigkeit, sich von Gesichten und Offenbarungen loszumachen, und fügten bei, die Beichtväter sollten die Seele davon abwenden und durchaus keine Gespräche darüber mit ihnen führen. Das soll aber nicht heißen, sie hätten hart mit den Seelen zu verfahren und diesbezügliche Eröffnungen verächtlich abzuweisen. So würde jedem Vertrauen ein Riegel vorgeschoben, die Seelen würden sich um so mehr verschließen, kein Wort mehr darüber verlieren, und es könnte nur Elend daraus entstehen.)

 

e) Handelt es sich um eine Einrichtung oder äußerliche Stiftung, so hüte sich der Seelenführer, dazu Mut zu machen, ohne zuvor sorgfältig im Licht der übernatürlichen Klugheit die Gründe für und gegen die Sache geprüft zu haben.

 

(So pflegten es die Heiligen stets zu tun: Trotz ihrer vielen Revelationen wollte die heilige Therese nicht, dass ihre Seelenführer sich in ihren Entscheidungen einzig von den ihr gewährten Visionen leiten ließen. Als ihr der göttliche Meister seinen Wunsch geoffenbart hatte, das reformierte Kloster von Avila von ihr gegründet zu sehen, unterbreitete sie demütig diesen Plan ihrem Seelenführer. Da dieser mit seiner Zustimmung zögerte, holte sie sich Rat beim heiligen Petrus von Alcantara, beim heiligen Franz Borgia und beim heiligen Ludwig Bertrand.)

 

Die Schauenden selbst aber brauchen nur einer Regel zu folgen: sie müssen ihre Offenbarungen einem klugen Seelenführer bekanntgeben, dann demütig und in allem der Richte folgen, die er ihnen anweist. Das ist das sicherste Mittel, nicht irre zu gehen.

 

II. Unverdient verliehene Gnaden

 

Die soeben besprochenen Offenbarungen werden hauptsächlich zum persönlichen Nutzen verliehen. Unverdient verliehene Gnaden besonders zum Nutzen anderer. Es sind nämlich außergewöhnliche und vorübergehende, freie Gaben, die unmittelbar zum Wohl der anderen verliehen werden, obgleich sie mittelbar der eigenen Heiligung dienen können. Der heilige Paulus erwähnt sie unter dem Namen Charismen. In der Epistel an die Korinther unterscheidet er deren neun, die alle von demselben Geist ausgehen:

 

( 1) Das Wort der Weisheit, sermo sapientiae, mit Hilfe dessen aus den Glaubenswahrheiten, die als Grundsätze aufgefasst werden, Folgerungen zur Bereicherung des Dogmas gezogen werden.

2) Das Wort der Wissenschaft, sermo scientiae, das zur Erklärung der Glaubenswahrheiten die menschlichen Wissenschaften nutzbar macht.

3) Die Gabe des Glaubens, nicht die Tugend als solche, sondern eine eigene Gewissheit, die Wunderwerke zu erzeugen vermag.

4) Die Gabe der Heilungen, gratia sanitatum, also einfach das Vermögen, Kranke zu heilen.

5) Die Macht, Wunder zu wirken, um dadurch eine göttliche Offenbarung zu bestätigen.

6) Die Gabe der Weissagung oder die Gabe, im Namen Gottes zu lehren und nötigenfalls seine Lehre durch Weissagungen zu bestätigen.

7) Die Unterscheidung der Geister oder eine eingegossene Gabe, Geheimnisse des Herzens zu erraten und den guten Geist vom bösen zu unterscheiden.

8) Die Gabe der Sprachen, beim heiligen Paulus die Gabe, mit gewisser Begeisterung in fremder Sprache zu beten; nach den Theologen die Gabe, mehrere Sprachen zu sprechen.

9) Die Gabe der Auslegung oder die Fähigkeit, die soeben erwähnten fremdsprachigen Worte auszulegen.)

 

Der sehr richtigen Bemerkung des heiligen Paulus und des heiligen Thomas gemäß, sind alle diese Charismen viel minderwertiger als die Liebe und die heiligmachende Gnade.

 

§ II. Psycho-physiologische Vorgänge

 

Mit diesem Namen werden Vorgänge bezeichnet, die gleichzeitig auf Leib und Seele wirken und mehr oder Weniger mit der bereits besprochenen Ekstase zusammenhängen. Die wichtigsten solcher Vorgänge sind: 1. Erhebung; 2. Lichtausstrahlungen; 3. Wohlgeruch verbreitende Ausstrahlungen; 4. Nahrungsenthaltung; 5. Stigmatisation.

 

I. Die Erhebung (Levitation)

 

Kraft des Wunders der Levitation ist der Körper über den Boden erhoben und schwebt ohne irgendwelche natürliche Stütze in der Luft. Man nennt das emporstrebende Ekstase (Verzückung). Zuweilen erreicht der Körper im Schweben bedeutende Höhen. Das ist der ekstatische Aufflug. Andere Male wieder scheint er zu eilen, ohne den Boden zu berühren: das ist das ekstatische Wandeln.

 

(Im Leben mehrerer Heiligen finden sich zahlreiche Erhebungen aufgezeichnet, sowohl nach den Berichten der Bollandisten, als auch im Brevier. So z. B. beim heiligen Paul vom Kreuz, am 28. April. Beim heiligen Philipp von Neri, am 26. Mai. Beim heiligen Stephan von Ungarn, am 2. September. Beim heiligen Josef von Cupertino, am 18. September. Beim heiligen Petrus von Alcantara, am 19. Oktober. Einer der berühmtesten ist der heilige Josef von Cupertino. Dieser sah eines Tages, dass einige Arbeiter in großer Verlegenheit waren, um ein sehr schweres Missionskreuz aufzurichten. Da erhob er sich in die Lüfte, erfasste das Kreuz und senkte es mühelos in das dafür bestimmte Loch ein.

Diesem Phänomen kann das einer ungewöhnlichen Schwere beigezählt werden. Es besteht darin, dass man selbst durch äußersten Kraftaufwand nicht emporgehoben werden kann.)

 

Die Rationalisten versuchten, diesen Vorgang auf natürliche Weise zu erklären, und zwar durch tiefes Einatmen der Luft in die Lungen, durch unbekannte psychische Kräfte, durch Dazwischenkunft getrennter Geister oder Seelen: Sie finden eben keine Annehmbare Erklärung. Wieviel weiser ist das Vorgehen Benedikts XIV.! Zunächst fragt er, ob die Tatsache einwandfrei festgestellt sei, damit Betrug ausgeschlossen sei. Darauf erklärt er: 1) Die sicher festgestellte Erhebung lässt sich auf natürliche Weise nicht erklären. 2) Sie übersteigt jedoch nicht Engels- und Teufelskräfte, die Körper emporheben können. 3) Bei den Heiligen ist dieses Wunder gleichsam eine Antizipation der den verklärten Leibern eigenen Gabe der Behändigkeit.

 

II. Lichtausstrahlungen

 

Im Geleit der Ekstase finden sich manchmal Lichtphänomene: bald wird die Stirn von einem Lichtkranz gekrönt, bald erscheint der ganze Körper von Licht umgeben.

 

Auch hier fassen wir die Lehre Benedikts XIV. kurz zusammen. Vor allem ist die Sache mit allen ihren Umständen wohl zu untersuchen, damit man erkenne, ob das Leuchten nicht auf natürliche Weise zu erklären sei.

 

(Insbesondere frage man sich: 1) ob das Phänomen am hellen Tag oder während der Nacht sich zeige, und ob in letzterem Fall das Licht heller als jedes andere sei. 2) Ob es ein bloßer Funken, ähnlich dem elektrischen, sei oder ob das Lichtphänomen beträchtliche Zeit dauere und sich öfter erneuere. 3) Ob es während einer religiösen Handlung erscheine, z.B. während einer Ekstase, einer Predigt, eines Gebetes. 4) Ob Gnadenwirkungen, andauernde Bekehrungen etc. dadurch erfolgen. 5) Ob die Person, von der aus das Licht erstrahlt, tugendhaft, heiligmäßig sei.)

 

Erst nach reiflicher Prüfung aller dieser Einzelheiten lassen sich Folgerungen betreffs des übernatürlichen Charakters dieser Tatsachen ableiten. Auch hier ist es eine Art Vorausnahme (Antizipation) des Lichtglanzes, in dem die verklärten Leiber erstrahlen werden.

 

III. Wohlgeruch verbreitende Ausströmungen

 

Gott lässt zuweilen zu, dass die Leiber der Heiligen während ihres Lebens oder nach ihrem Tod Wohlgerüche von sich geben, gleichsam als Symbol des Wohlgeruches der von ihnen geübten Tugenden.

 

(So entströmten manchmal den Wundmalen des heiligen Franz von Assisi liebliche Wohlgerüche. Beim Tod der heiligen Therese wurde das Wasser, womit ihr Leib gewaschen wurde, wohlriechend. Neun Monate hindurch entströmte ihrem Grab ein geheimnisvoller Wohlgeruch. Als ihr Leib aus der Erde emporgehoben wurde, entquoll ihren Gliedern ein wohlriechendes Öl. Dieses Wunder wurde beim Heiligsprechungsprozess sorgfältig untersucht, und die damit Beauftragten kamen zu dem Schluss, dass nichts dasselbe natürlicherweise erklären könne. Noch viele andere ähnliche Tatsachen werden berichtet.)

 

Benedikt XIV. weist auf die Richtlinien zur Feststellung des Wunders hin. Es soll untersucht werden: 1) ob der liebliche Wohlgeruch andauere; 2) ob er durch nichts am Leib oder im Erdreich zu erklären sei; 3) ob durch den Gebrauch des dem heiligen Körper entquellenden Wassers oder Öles einige Wunder geschahen.

 

IV. Andauernde Nahrungsenthaltung

 

Besonders unter den Stigmatisierten gibt es Heilige, die mehrere Jahre hindurch keine andere Speise zu sich nahmen als die hl. Kommunion.

 

(Dr. Imbert-Goubeyre nennt insbesondere einige hervorragende Fälle: „Die selige Angela von Foligno nahm während zwölf Jahre keine Nahrung zu sich. Die heilige Katharina von Siena ungefähr acht Jahre lang. Die selige Elisabeth von Rente über fünfzehn Jahre. Die heilige Lidwina achtundzwanzig Jahre. Die selige Katharina von Racconigi zehn Jahre lang, Rosa Andriani achtundzwanzig Jahre und Luise Lateau vierzehn Jahre lang.“)

 

Bei den Nachforschungen über Phänomene dieser Art zeigt die Kirche große Strenge und fordert während längerer Zeit ununterbrochene Beaufsichtigung durch zahlreiche Zeugen, deren Scharfblick etwaige Betrügereien nicht entgehen würden. Sie haben zu untersuchen, ob die Enthaltung von Nahrung vollständig sei, sich also auf Getränke wie auf feste Nahrung erstrecke, ob sie andauere und ob die betreffende Person sich weiter ihren Beschäftigungen hingebe.

 

Diesem Phänomen verwandt ist die Enthaltung vom Schlaf. So z.B. schlief der heilige Petrus von Alcantara nachts nur anderthalb Stunden, und das in einer Zeitdauer von vierzig Jahren. Die heilige Katharina von Ricci schlief jede Woche nur eine Stunde.

 

V. Die Stigmatisation

 

1. Wesen und Ursprung

 

Dieses Phänomen besteht in einer Art Einprägung der hl. Wunden des Erlösers auf Füße, Hände, Seite und Stirn: die Wundmale erscheinen von selbst, ohne durch irgendeine äußere Verletzung hervorgerufen zu sein. Es entfließt ihnen zu bestimmten Zeiten unverdorbenes Blut.

 

(Der erste, der bekanntlich die hl. Wundmale erhielt, war der hl. Franz von Assisi: in einer erhabenen Verzückung auf dem Alvernerberg, am 17. September 1222, sah er einen Seraph, der ihm das Bild des Gekreuzigten entgegenhielt, und ihm die hel. Wundmale einprägte. Bis zu seinem Tod bewahrte er die Stigmata, , aus denen rotes Blut floss. Sein Versuch, dieses Wunder geheim zu halten, gelang ihm nur teilweise. Bei seinem Tod, 12. Oktober 1226, wurde es allgemein bekannt. – Seither trat der Fall oft auf. Dr. Imbert zählt deren 321, darunter 41 bei Männern; 62 Stigmatisierte wurden heiliggesprochen.)

 

Es scheint erwiesen, dass die Stigmatisation nur bei den Ekstatischen vorkommt, und dass ihr sehr heftiges, physisches und moralisches Leiden sowohl vorausgeht, als auch mit ihr verbunden ist, wodurch die auf diese Weise begnadigte Person dem leidenden Heiland gleichförmig wird. Das Fehlen solcher Leiden wäre ein schlimmes Zeichen, denn die Wundmale sind nur das Sinnbild der Vereinigung mit dem gekreuzigten Gott und der Teilnahme an seinem Martyrium.

 

Das Vorhandensein der Stigmata wird durch so zahlreiche Zeugnisse bewiesen, dass sogar die Ungläubigen nichts gegen sie vorbringen können. Aber sie versuchen, sie natürlich zu erklären. So behaupten sie, manche Medien seien mit solch ausnehmender Empfindsamkeit begabt, dass man bei ihnen durch Überreizung der Phantasie ein den Wundmalen ähnliches Blutschwitzen bewirken könne. In Wirklichkeit unterscheiden sich die wenigen, erreichten Ergebnisse durchaus von dem, was bei den Stigmatisierten auffällt.

 

2. Kennzeichen zur Unterscheidung der Stigmata

 

Die Stigmatisation muss wohl unterschieden werden von den bei gewissen Menschen künstlich erzeugten Phänomenen. Darum achte man auf alle Umstände, die die echten Wundmale kennzeichnen.

 

(1) Die Stigmata befinden sich an denselben Stellen, an denen Jesus die fünf Wunden erhielt, während das Blutausschwitzen der Hypnotisierten nicht in gleicher Weise örtlich beschränkt ist.

2) Im Allgemeinen findet die Erneuerung der Wunden und Schmerzen der Stigmatisierten an den Tagen oder zu den Zeiten statt, welche an das Leiden des Erlösers erinnern, wie z. B. am Freitag oder an einem Fest des Herrn.

3) Diese Wunden eitern nicht: es fließt reines Blut aus ihnen. Hingegen führt die geringste natürliche Verletzung anderer Körperteile Eiterung herbei, auch bei den Stigmatisierten. Trotz Anwendung der üblichen Heilmittel schließen sich die Wunden nicht und bleiben zuweilen dreißig, ja vierzig Jahre fortbestehen.

4) Sie erzeugen reichliche Blutergüsse: das wäre am ersten Tag, an dem sie entstehen, wohl begreiflich, wird aber für die folgenden Tage ganz unerklärlich. Die Stigmata befinden sich gewöhnlich an der Oberfläche, weit entfernt von Blutgefäßen, und dennoch entfließen ihnen ganze Ströme von Blut.

5) Endlich und, was besonders bemerkenswert ist, die Stigmata finden sich nur bei solchen, die in heroischer Weise die Tugenden üben und besonders eine große Kreuzesliebe besitzen.)

 

Wie die Erforschung aller dieser Umstände hinreichend beweist, handelt es sich hier nicht um einen gewöhnlichen pathologischen Fall. Hier ist eine freie, verständige Ursache tätig, die auf die Stigmatisierten einwirkt, um sie dem gekreuzigten Gott gleichförmig zu machen.

 

Schluss: Unterschiede zwischen diesen Phänomenen und den krankhaften Erscheinungen

 

Die mit der Ekstase zusammenhängenden Vorgänge sind so sicher erwiesen, dass die Positivisten sie nicht leugnen können. Sie versuchen nur, sie gewissen krankhaften Erscheinungen anzugleichen, die der Psycho-Neurose, namentlich jedoch der Hysterie entstammen. Einige sehen darin sogar eine Form des Wahnsinns. – Zweifellos sind die Heiligen, wie andere Menschen auch, der Krankheit unterworfen. Aber darum handelt es sich hier nicht. Die Frage ist die: erscheinen sie uns, trotz ihrer Krankheiten, als geistig gesund und in seelischem Gleichgewicht? In diesem Punkt nun finden sich so wesentliche Unterschiede zwischen den mystischen Erscheinungen und den Psycho-Neurosen, dass ein ehrlicher Mensch sie nicht unbeachtet lassen kann, sondern folgern muss, eine Angleichung sei unmöglich. Diese Unterschiede sind besonders vorhanden: 1. In der betreffenden Person; 2. In der Verschiedenartigkeit der Phänomene; 3. In den Ergebnissen.

 

1. Unterschiede bezüglich der Person

 

Beim Vergleich der von Psycho-Neurose befallenen Kranken mit den Ekstatischen erscheinen die ersteren ohne physisches und moralisches Gleichgewicht, während die letzteren, wenigstens in moralischer Hinsicht, vollkommen equilibriert sind.

 

A) Erstere besitzen kein inneres Gleichgewicht, weder in geistiger noch in physischer Hinsicht.

 

(Es lässt sich bei ihnen Abnahme sowohl der intellektuellen Tätigkeit wie der Willensstärke feststellen: ihr Bewusstsein ist getrübt oder aufgehoben, ihre Aufmerksamkeit lässt nach, ihr Verstand verarmt, ihr Gedächtnis zerfällt so sehr, dass man an eine Teilung der Persönlichkeit glauben könnte. Im Geist verbleibt nur noch eine kleine Anzahl von fixen Ideen. Daher ein dem Wahnsinn naher gewisser Monoideismus. Gleichzeitig wird der Wille geschwächt. Die Gemütserregungen nehmen überhand. Man wird zum Spielball seiner Launen oder der Einflüsse eines höheren Willens, man gehört sich selbst nicht mehr an. Also Schwächung, Verminderung der Persönlichkeit, der geistigen und sittlichen Kräfte.)

 

B) Ganz das Gegenteil trifft bei den Mystikern zu. Ihr Verstand nimmt zu, ihr Wille wird stärker. Die erhalten die Fähigkeit, die größten Unternehmen auszudenken und zu verwirklichen. Wir konnten beobachten, wie sie sich neue Kenntnisse erwarben in Bezug auf Gott und dessen Eigenschaften, in Bezug auf die Dogmen und sich selbst. Freilich vermögen sie nicht alles, was sie sehen, zu schildern. Aber in aller Aufrichtigkeit erklären sie, in wenigen Augenblicken der Beschauung mehr gelernt zu haben als durch langes Lesen. Und diese Überzeugung bewahrheitet sich durch merklichen Fortschritt in der Übung der heldenmütigsten Tugenden. Sie erscheinen tatsächlich demütiger, liebevoller, ergebener in Gottes Willen, selbst inmitten härtester Prüfungen, und erfreuen sich eines unerschütterlichen Friedens, stets ungestörter, innerer Ruhe. Wie ist das doch weitab von den leidenschaftlichen Erregungen und Bewegungen der Hysteriker.

 

2. Unterschiede bezüglich der Phänomene

 

Es gibt nicht weniger Unterschiede bezüglich der Art und Weise wie die Phänomene sich zeigen.

 

A) Nichts Traurigeres, Herzzerreißenderes als die hysterischen Krisen.

 

(1) Die erste Phase ist wie ein leichter epileptischer Anfall, unterscheidet sich aber davon doch durch das Gefühl einer im Hals aufsteigenden Kugel, was eigentlich nur ein Anschwellen des Halses mit Erstickungsgefühl ist, und durch eine Art hörbares Pfeifen. 2) Die zweite Phase besteht aus ungeordneten, starken Bewegungen, Windungen, namentlich kreisförmigen, des ganzen Körpers. 3) Als dritte zeigt sich leidenschaftlich erregtes Benehmen das Angst, Eifersucht, Geilheit bekundet, je nach den augenblicklichen, heftigen Vorstellungen und Bildern. 4) Schließlich löst sich das ganze in Wein- oder Lachkrämpfen auf. Es vollzieht sich die Entspannung. – Nach solchen Krisen fühlen sich die davon Betroffenen ermüdet, erschöpft und von allerhand Unpässlichkeiten belästigt.)

 

B) Auch hier welcher Unterschied bei den Ekstatikern. Keine krampfartigen Zuckungen, keine gewaltigen Erregungen: alles ist Ruhe, ist Entrückung einer mit Gott innig verbundenen Seele, so dass Zeugen der Ekstase, wie z.B. jene, die Bernadette zur Zeit ihrer Visionen in Massabielle beobachteten, nicht umhinkonnten, ihrer Bewunderung Ausdruck zu geben. Anstatt erschöpft zu werden, sammelt der Körper in der Ekstase neue Kräfte, wie die heilige Therese ausdrücklich bemerkt.

 

3. Unterschiede seitens Wirkungen

 

In beiden Fällen sind die Wirkungen sehr verschieden.

 

A) Bei den Hysterikern wird bei häufigerem Auftreten der geschilderten Szenen die Gleichgewichtsstörung der Fähigkeiten immer ärger: Verstellung, Lüge, Verrohung, unzüchtiges Treiben sind erfahrungsgemäß das Ergebnis bei diesen unglücklichen Opfern.

 

B) Bei den Mystikern hingegen ist beständige Zunahme an Intelligenz, Gottesliebe, Aufopferung im Dienst des Nächsten. Bietet sich ihnen Gelegenheit zu guten Werken, zu Gründungen, so entfalten sie praktischen Sinn, klaren und sicheren Geist, energischen Willen, so dass ein glücklicher Erfolg nicht ausbleibt.

 

(Vor ihrem Tod hatte die hl. Therese, ungeachtet sehr vieler Schwierigkeiten, 16 Klöster für Frauen und 14 für Männer gegründet. Die hl. Coletta gründete 13 Klöster und in sehr vielen Ordenshäusern stellte sie die Ordnung wieder her. Madame Acarie, von ihrem 16. Lebensjahr an ekstatisch, war 30 Jahre lang verheiratet, erzog 6 Kinder, rettete das durch Unvorsichtigkeiten ihres Gatten bedrohte Vermögen und trug als Witwe zur Einführung des Karmeliterordens in Frankreich bei. Die hl. Katharina von Siena, die im Alter von 32 Jahren starb, konnte lange Zeit weder lesen noch schreiben. Dennoch spielte sie bei den Ereignissen ihrer Zeit, und zumal bei der Rückkehr der Päpste nach Rom, eine so wichtige Rolle, dass ein Geschichtsschreiber der jüngsten Zeit sie einen Staatsmann und zwar einen bedeutenden Staatsmann nannte.)

 

Wie ersichtlich bestehen daher zwischen den Hysterikern und den Stigmatisierten so große Unterschiede, dass eine Assimilation der beiden allen Regeln wissenschaftlicher Untersuchung Hohn spräche.

 

4. Einwendung

 

(Dennoch bleibt eine letzte Schwierigkeit zu lösen: mit Ribot behaupten einige, die Ekstase sei eine Beschränkung auf dem Gebiet des Gewissens und laufe schließlich auf einen Affektiven Monoideismus hinaus, da ja die Mystiker nichts anderes mehr im Sinn hätten als innige Vereinigung mit Gott. – Um auf diese scheinbare Schwierigkeit zu antworten, kann man einen zweifachen Monoideismus unterscheiden: der eine ist zersetzend und wirkt durch Fälschung des Urteils auflösend auf die Persönlichkeit. Dieser Art ist die fixe Selbstmordidee, die das Nichts als das höchste Gut anstrebt. Der andere hingegen ist einordnender Monoideismus, der zwar in der Seele einen Hauptgedanken vorherrschen lässt und auf diesen alle anderen Gedanken zurückführt, aber ohne sie zu fälschen. Dieser Monoideismus nun wirkt durchaus nicht auflösend auf die Persönlichkeit, sondern stärkt sie vielmehr. Gerade weil die großen Politiker beständig einen ganz bestimmten Gedanken verfolgen, auf den sie alle ihre Pläne konzentrieren, vollbringen sie Großes, sobald ihre Idee die richtige ist.)

 

Nun aber ist das gewiss bei den Mystikern der Fall. Sie haben eine vorherrschende Idee, den beständigen Gedanken, vor allem ihr letztes Ziel zu erreichen, nämlich die innige Vereinigung mit Gott, dem Urquell allen Glücks und aller Vollkommenheit. Alle ihre anderen Gedanken, alle ihre Gefühle, alle ihre Kräfte führen sie darauf zurück. Und diese Idee ist vollkommen richtig. Sie wirkt nicht auflösend, im Gegenteil, alle Gedanken und Handlungen verbindet sie, indem sie alle auf jenes einzige Ziel richtet, das allein uns Glück und Vollkommenheit schenken kann. Das ist der Grund, weshalb die Heiligen, selbst vom menschlichen Standpunkt aus, sehr tätige Menschen sind. Mit vortrefflichem praktischen Sinn, Energie und Beharrlichkeit ausgestattet, ersinnen sie Großes und führen es zu glücklichem Ende. Sogar den Ungläubigen fiel dies schon auf, wie wir bereits erwähnten.

 

Seien wir also gerecht und geben wir zu, dass die Mystiker sowohl hervorragende Menschen als auch Heilige sind.

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II. Abschnitt: Teuflische Einwirkungen

 

In seiner heißen Begierde, das göttliche Wirken in der Seele der Heiligen nachzuahmen, bemüht sich auch der Teufel, seine Herrschaft oder vielmehr seine Tyrannei über die Menschen geltend zu machen. Bald belagert er die Seele, sozusagen, von außen und ruft in ihr schreckliche Versuchungen wach, bald nimmt er Wohnung im Leib und bewegt ihn nach Willkür, als wäre er dessen Herr, um so die Seele in Verwirrung zu stürzen. Ersteres ist die Anfechtungsplage (obsessio), letzteres die Besessenheit (posessio).

 

Betreffs der Einwirkungen des bösen Geistes muss man sich vor doppelter Übertreibung hüten: manche Menschen schreiben ihm alle Übel zu, die uns treffen. Dabei übersieht man aber die krankhaften Zustände, die ohne irgendwelche teuflische Einwirkung in uns sein können, ferner, die aus der dreifachen Begierlichkeit hervorgehenden bösen Neigungen. Man vergisst, dass durch diese natürlichen Ursachen viele Versuchungen ihre Erklärungen finden können. Es gibt aber auch andere, die niemals und in keinem Fall die Dazwischenkunft des Teufels zugeben wollen. Sie vergessen, was die Heilige Schrift und die Überlieferung von der Aktion des Teufels sagen. Die richtige Mitte wird sein, als Phänomene des Teufels nur jene anzusehen, die ihrer Außergewöhnlichkeit oder der Gesamtheit der Umstände halber auf Einwirkung des bösen Geistes zurückzuführen sind.

 

Von der Anfechtungsplage und der Besessenheit wollen wir nacheinander handeln.

 

§ 1. Die Obsession

 

I. Ihr Wesen

 

Die Obsession ist eigentlich eine Reihenfolge von Versuchungen, die an Heftigkeit und langer Dauer die gewöhnlichen Versuchungen übertreffen. Sie ist äußerlich, wenn sie durch Erscheinungen auf die äußeren Sinne wirkt. Innerlich, wenn sie Eindrücke im Innern zurücklässt. Selten ist sie rein äußerlich, da ja der Teufel auf die äußeren Sinne nur einwirkt, um leichter die Seele zu verwirren. Es gibt jedoch Heilige, die unerschütterlichen Seelenfrieden bewahren, obschon sie äußerlich durch allerhand Phantome geplagt werden.

 

1. Der Teufel kann auf alle äußeren Sinne einwirken:

 

(a) Auf den Gesichtssinn: bald erscheint er in abstoßender Gestalt, um die Menschen zu erschrecken und von der Übung der Tugend abzubringen, wie er es bei der ehrw. M. Agnes de Langeac und vielen anderen tat. Bald in verlockender Gestalt, um zur Sünde zu reizen, wie der hl. Alfons Rodriguez es oft erfuhr.

b) Auf den Gehörsinn: er lässt gotteslästerliche oder unzüchtige Worte oder Lieder hören, wie es im Leben der sel. Margarete von Cortona erzählt wird. Oder aber er sucht durch großen Lärm Schrecken einzuflößen, wie dies zuweilen der hl. Magdalene von Pazzi und dem hl. Pfarrer von Ars widerfuhr.

c) Auf den Gefühlssinn: dies geschieht auf zweifache Art. Er versetzt Schläge und bringt Wunden bei, wie das in den Heiligsprechungsurkunden der hl. Katharina von Siena, des hl. Franz Xaver und im Leben der hl. Therese zu lesen ist. Dann wieder will er durch Umarmungen zum Bösen verleiten, wie der hl. Alfons Rodriguez aus seinem eigenen Leben erzählt.)

 

P. Schram bemerkt richtig, in manchen Fällen seien diese Erscheinungen einfache Halluzinationen, die in nervöser Überreizung ihre Ursache haben. Aber auch dann sind es furchtbare Versuchungen.

 

2. Der Teufel wirkt auch auf die inneren Sinne, auf die Einbildungskraft und auf das Gedächtnis ebenso wie auf die Leidenschaften ein, um sie zu erregen. Gleichsam wider Willen wird die Seele von lästigen, qualvollen Vorstellungen bestürmt, die trotz energischer Anstrengungen nicht weichen wollen. Sie fühlt sich gleichsam zur Beute geworden heftiger Zornesaufwallungen, Verzweiflungsängste, instinktiver Abneigungsregungen oder auch gefährlicher Zärtlichkeitsgefühle, die durch nichts gerechtfertigt erscheinen. Zuweilen freilich ist es schwer zu entscheiden, ob es sich um wahre Obsession oder Anfechtung von Seiten des bösen Geistes handelt. Treten solche Versuchungen jedoch plötzlich, heftig und beharrlich auf und lassen sie sich dabei nicht natürlich begründen, so kann man darin eine dem Teufel zuzusprechende Tätigkeit erkennen. Im Zweifel hole man sich bei einem christlichen Arzt Rat. Er möge untersuchen, ob diese eigenartigen Vorgänge nicht vielleicht mit einem krankhaften Zustand in Verbindung stehen, den vernünftige Hygiene verbessern kann.

 

II. Verhalten des Seelenführers

 

Mit größter Klugheit soll er wahrhaft väterliche Güte verbinden.

 

a) Gewiss soll er nicht ohne starke Beweise an wirkliche Obsession glauben. Ob jedoch die heftigen und beharrlichen Versuchungen auf teuflische Anfechtungen zurückzuführen seien oder nicht, immer möge er mit den auf diese Weise geplagten Beichtkindern aufrichtiges Mitleid haben und ihnen weise Ratschläge erteilen, um ihnen zu helfen. Insbesondere soll er sie an das erinnern, was wir über die Versuchung und die Art und Weise, ihr zu widerstehen, sagten, sowie über besondere Heilmittel gegen die Anfechtung des Teufels.

 

b) Ist unter der Heftigkeit der Versuchung irgendetwas in Unordnung geraten, aber ohne Zustimmung des Willens, so erinnere er daran, ohne Zustimmung gebe es keine Sünde. Im Zweifel wird sein Urteil bei gewöhnlich gut gesinnten Menschen dahin lauten, dass wenigstens keine schwere Sünde vorlag.

 

c) Bei eifrigen Seelen frage sich der Seelenführer, ob diese beharrlichen Versuchungen nicht vielleicht zu den passiven Prüfungen gehören, die wir schon beschrieben haben. In diesem Fall erteile er ihnen Ratschläge, die ihrem Seelenzustand entsprechen.

 

(d) Ist für die teuflische Obsession moralische Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit vorhanden, so wende man im Stillen die vom Römischen Rituale vorgeschriebenen Exorzismen an oder deren verkürzte Formen. In diesem Fall tut man gut, der betreffenden Person nicht vorher zu sagen, dass man sie zu exorzieren beabsichtige, wenn man befürchten müsste, sie könnte dadurch in große Aufregung geraten. Es genügt der Hinweis, man werde ein von der Kirche gutgeheißenes Gebet über sie sprechen. Die feierlichen Exorzismen aber dürfen nur mit Erlaubnis des Ordinariates angewendet werden, und zwar unter Beobachtung der bei Besessenheit notwendigen Vorsichtsmaßregeln, über die wir demnächst sprechen werden.

 

§ II. Die Besessenheit

 

Wir legen dar: 1. Deren Wesen; 2. Die vom Rituale vorgeschriebenen Heilmittel.

 

I. Wesen der Besessenheit

 

1. Ihre wesentlichen Bestandteile

 

Zweierlei gehört zur Besessenheit: die Gegenwart des Teufels im Körper des Besessenen und die Herrschaft, die er über diesen Körper ausübt, und durch ihn über die Seele. Der letzte Punkt bedarf der Erklärung. Der Teufel ist nicht auf dieselbe Weise wie die Seele mit dem Leib verbunden. In Bezug auf die Seele ist er nur ein äußerlicher Beweger und nur durch Vermittlung des von ihm bewohnten Leibes wirkt er auf sie ein. Auf die Glieder des Leibes kann er unmittelbar ein wirken und von ihnen allerhand Bewegungen ausführen lassen. Mittelbar wirkt er auf die Fähigkeiten ein, und zwar in dem Maße, als sie bezüglich ihrer Tätigkeit vom Körper abhängen.

 

Bei den Besessenen lassen sich zwei verschiedene Zustände unterscheiden: Krisis und Ruhe. Die Krisis ist wie eine Art heftiger Anfall, bei dem der böse Geist seine tyrannische Herrschaft zeigt, denn er versetzt den Leib in fieberhafte Aufregung, die sich in Zuckungen, Wutausbrüchen, gottlosen und gotteslästerlichen Worten äußert. Die Betroffenen verlieren, wie es scheint, jegliches Gefühl für das, was in ihnen vorgeht. Haben sie das volle Bewusstsein wiedererlangt, so wissen sie nicht mehr, was sie gesprochen oder getan, besser gesagt, was der Teufel durch sie vollführte. Nur zu Anfang verspüren sie das gewaltsame Eindringen des bösen Geistes in sie. Dann scheinen sie das Bewusstsein zu verlieren.

 

(Dennoch gibt es Ausnahmen von dieser Regel. P. Surin, der den Teufel aus den Ursulinen von Loudun austrieb, wurde dabei selbst von Besessenheit befallen, behielt jedoch volles Bewusstsein dessen, was in ihm vorging. Er schilderte, wie seine Seele sich teilte, wie sie einerseits den teuflischen Einwirkungen offenstand, andererseits dem Walten Gottes gänzlich anheimgestellt war. Und wie er betete, während sein Leib sich auf der Erde herumwälzte. „Mein Zustand“, fügte er hinzu, „war derart, dass ich nur bei sehr wenigen Handlungen frei war. Wollte ich sprechen, so weigerte sich meine Zunge. Während der hl. Messe wurde ich plötzlich gezwungen, innezuhalten. Bei Tisch konnte ich die Speisen nicht zum Mund führen. Wollte ich beichten, so entschwanden die Sünden meinem Gedächtnis. Ich fühlte, wie der Teufel bei mir ein- und ausging, als wäre er in seinem eigenen Haus, ganz wie ihm beliebte“.)

 

In den Zwischenzeiten der Ruhe verrät nichts die Gegenwart des bösen Geistes: Man könnte glauben, er habe sich zurückgezogen. Zuweilen jedoch zeigt er, dass er noch da sei, und zwar durch eine Art chronisches Leiden, dem die Kunst der Ärzte ratlos gegenübersteht.

 

Oft ist ein einziger Mensch von mehreren Teufeln besessen, was deren Schwäche beweist.

 

Im Allgemeinen fallen nur Sünder der Besessenheit anheim. Es gibt jedoch Ausnahmen, wie der Fall von P. Surin beweist.

 

2. Anzeichen von Besessenheit

 

Es gibt Nervenleiden, auf einen Punkt gerichtete Wahnvorstellungen (Monomanien) oder Fälle geistiger Umnachtung, deren Äußerungen der teuflischen Besessenheit ähnlich sind. Es ist daher von Wichtigkeit, die Kennzeichen zu ihrer Unterscheidung von diesen krankhaften Erscheinungen näher anzugeben.

 

Nach dem Römischen Rituale gibt es drei Hauptmerkmale, an denen man Besessenheit erkennen kann: „eine unbekannte Sprache sprechen, nämlich mehrere Wörter derselben gebrauchen oder den verstehen, der sie spricht; ferne oder verborgene Dinge offenbaren; Kräfte zeigen, die die natürlichen des betreffenden Alters oder Standes übersteigen. – Sind diese oder ähnliche Anzeichen in großer Menge vorhanden, so deuten sie stark auf Besessenheit hin.“ Ein Wort zur Erläuterung dieser Zeichen.

 

(a) Der Gebrauch unbekannter Sprachen. Um dies festzustellen, muss genau untersucht werden, ob die betreffende Person nicht früher Gelegenheit hatte, einige Wörter dieser Sprache zu erlernen, ferner, ob sie nur einige auswendig gelernte Sätze hersagt oder tatsächlich eine ihr gänzlich unbekannte Sprache redet und versteht.

Es werden wirkliche Fälle von krankhafter Überspanntheit berichtet, in denen dem Gedächtnis verloren gegangene Sprachen wieder zugeführt werden oder wenigstens Bruchstücke von solchen, die man gehört hatte. So wiederholte die Magd eines Pfarrers griechische und hebräische Texte, die sie ihren Pfarrer hatte lesen hören. – Das Rituale sagt deshalb sehr weise: „ignota lingua loqui pluribus verbis vel loquentem intelligere.“

 

b) Die Offenbarung verborgener Dinge, die durch natürliche Mittel unerklärlich ist. Auch hier ist genaueste Untersuchung anzustellen: ob z.B. bei fernliegenden Dingen die betreffende Person sich nicht durch Brief oder Telegramm oder andere natürliche Mittel Kenntnis verschaffen konnte. Bei zukünftigen Dingen ist abzuwarten, ob sie in der angekündigten Weise eintreffen und ob sie genau genug angegeben wurden, um nicht Raum für Zweideutigkeit zu lassen. Man halte daher nichts auf jene unbestimmten Vorhersagen, die große Unglücksfälle mit darauffolgenden glücklichen Ergebnissen verkünden, dann nämlich wäre es allzu leicht, den Ruf eines Propheten zu erlangen. Ist die Tatsache ordnungsgemäß festgestellt, so bleibt noch die Frage zu beantworten, ob diese über die Natur hinausgehende Kenntnis vom guten oder vom bösen Geist herrührt. Das nun geschehe nach den Regeln für die Unterscheidung der Geister. Und endlich, ob von einem bösen Geist, der zurzeit in der besessenen Person gegenwärtig ist.

 

c) Die Entfaltung von Kräften, die die natürlichen Kräfte des Besessenen weit übersteigen, wobei dessen Alter, Willenskraft, krankhafter Zustand usw. zu berücksichtigen sind. In manchen Fällen von Überreizung nämlich können die Kräfte verdoppelt werden. Das Wunder der Levitation ist, wie wir bereits sagten, außernatürlich. Unter Berücksichtigung der Umstände kann man es in bestimmten Fällen nicht Gott oder seinen Engeln zuschreiben, sondern muss es daher als Zeichen teuflischer Dazwischenkunft gelten lassen.)

 

Zu diesen Anzeichen kommen noch jene, die sich aus den bei der Anwendung von Exorzismen oder bei dem Gebrauch von heiligen Gegenständen eintretenden Wirkungen ergeben, namentlich, wenn der Gebrauch ohne Wissen des als besessen im Verdacht stehenden Menschen geschieht. Manche z.B. geraten bei der Berührung mit einem geweihten Gegenstand oder bei liturgischen Gebeten, die über sie gesprochen werden, in unbeschreibliche Wutzustände und stoßen abscheuliche Gotteslästerungen aus. Dieses Anzeichen gibt aber nur dann Gewissheit, wenn es ohne Wissen des Betreffenden vorgeht. Haben sie nämlich Kenntnis davon, so können sie in Wut geraten, entweder aus Abscheu vor allem Religiösen oder nur zum Schein.

 

Wirkliche Besessenheit zu erkennen, ist also nicht leicht. Man kann daher nicht vorsichtig genug sein, ehe man sich diesbezüglich äußert.

 

3. Unterschiede zwischen Besessenheit und nervösen Störungen

 

Die Versuche, die an Nervenleidenden vorgenommen wurden, zeigten eine gewisse Ähnlichkeit zwischen diesen krankhaften Zuständen und dem äußeren Verhalten Besessener. Darüber braucht man sich nicht zu wundern: der böse Feind kann ebensowohl Nervenkrankheiten als auch äußere, eigenartige Erscheinungen (Phänomene) bewirken, die den der Neurosen analog sind. Es ist das ein Grund mehr zur größten Vorsicht in der Beurteilung der vorgeblichen Fälle von Besessenheit.

 

Solche Ähnlichkeiten beziehen sich aber einzig auf die äußerlichen Bewegungen, die an und für sich zum Beweis von Besessenheit nicht genügen. Nervenkranke, die unbekannte Sprachen reden, Herzensgeheimnisse offenbaren oder die Zukunft genau und sicher voraussagen, haben sich bis jetzt noch nicht gefunden. Das aber sind die wahren Anzeichen, wie bereits gesagt wurde. Fehlen sie alle, so hat man Grund zu glauben, dass einfache Neurose vorliege. Täuschten sich die Exorzisten manchmal, so lag der Grund darin, dass sie sich nicht an die im Rituale vorgeschriebenen Regeln hielten. Zur Vermeidung aller solcher Irrtümer tut man gut, den Fall nicht nur von Geistlichen, sondern auch von christlichen Ärzten untersuchen zu lassen.

 

(So erzählt P. Debreyne, der vor seinem Eintritt bei den Trappisten Arzt gewesen war, er habe eine weibliche Genossenschaft in Behandlung gehabt, deren Zustand große Ähnlichkeit mit dem der Ursulinen von Loudun aufwies. Alle Mitglieder wurden binnen kurzer Zeit durch hygienische Mittel geheilt, besonders durch emsige, abwechslungsreiche Handarbeit.

 

Vor allem misstraue man epidemischer Besessenheit: ein wirklicher Fall von Besessenheit kann nämlich bei denen, die davon Zeugen sind, einen äußerlich der Besessenheit ähnlichen, nervösen Zustand herbeiführen. Das beste Mittel zur Vermeidung von derartiger Ansteckung besteht darin, die davon Befallenen in andere Umgebung zu bringen und auf diese Weise von dort zu entfernen, wo sie diesen nervösen Anfall sich zuzogen.)

 

II. Heilmittel gegen Besessenheit

 

Allgemein gesagt, ist Heilmittel dagegen alles das, was die Einwirkung des bösen Feindes auf den Menschen schwächen kann, was die Seele läutert und den Willen gegen teuflische Anfechtungen stählt. Im Besonderen sind es die Austreibungen.

 

1. Allgemeinheilmittel

 

Es sind jene anzuwenden, die bei der Behandlung der Versuchungen von Seiten des bösen Geistes schon besprochen wurden.

 

A) Eines der wirksamsten ist die Reinigung der Seele durch eine gute Beichte, besonders eine Generalbeichte. Die daraus sich ergebende Verdemütigung und Heiligung treibt den stolzen, unreinen Geist in die Flucht. Das Rituale rät außerdem Fasten, Gebet und Empfang der hl. Kommunion. Je reiner und sich selbst abgestorbener eine Seele ist, desto schwerer macht sie es dem Teufel, sie zu fassen. Durch die hl. Kommunion nehmen wir den in uns auf, der den Satan besiegte. Indessen darf die hl. Kommunion nur zu Zeiten der Ruhe empfangen werden.

 

B) Großen Einfluss üben auch die Sakramentalien und geweihte Gegenstände aus, und zwar wegen der von der Kirche bei ihrer Weihe gesprochenen Gebete. Die hl. Therese setzte großes Vertrauen auf das Weihwasser. Dieses Vertrauen ist begründet, da die Kirche an das Weihwasser die Macht knüpft, Teufel auszutreiben. Es muss jedoch mit lebendigem Glauben, Demut und Vertrauen gebraucht werden.

 

C) Das Kruzifix, das hl. Kreuzzeichen und besonders authentische Reliquien des wahren Kreuzes sind dem durch das Kreuz überwundenen, bösen Geist immer furchtbar: „et qui in ligno vincebat, in ligno quoque vinceretur.“ (Mk 16,17) (Präfation vom hl. Kreuz)

 

Aus demselben Grund fürchtet der böse Geist außerordentlich die Anrufung des heiligsten Namens Jesus. Nach den Verheißungen des göttlichen Meisters selbst ist diesem Namen eine wunderbare Macht eigen, den Teufel in die Flucht zu schlagen.

 

(Der hl. Alphons Rodriguez hatte die Gewohnheit, zurzeit schwerer Versuchungen ein großes Kreuzzeichen zu machen und dem Versucher zu befehlen, sich niederzuwerfen und Jesus anzubeten, und zwar weil der hl. Paulus sagt: „Auf dass im Namen Jesu sich jedes Knie beuge im Himmel, auf Erden und unter der Erde“. (Phil 2,10) Und das trieb den bösen Geist in die Flucht.)

 

2. Die Exorzismen oder Teufelsaustreibungen.

 

Jesus Christus hinterließ seiner Kirche die Gewalt, Teufel auszutreiben. Schon in frühester Zeit wurde daher das Amt der Exorzisten eingesetzt und diesen die Vollmacht übertragen, den Besessenen, seien es Katechumenen oder Getaufte, die Hände aufzulegen. Später wurden dazu eigene Gebetsformeln verfasst. Da das Amt des Exorzisten jedoch schwer auszuüben ist und viel Wissenschaft voraussetzt, ebenso wie Tugend und Taktgefühl, ist es heutzutage eine gebundene Gewalt und kann feierlich nur von Priestern ausgeübt werden, die eigens zu diesem Zweck vom Ordinariat bestimmt werden. Geheime Exorzismen dürfen jedoch die Priester anwenden und sich dabei der Kirchengebete oder anderer Formeln bedienen. Selbst den Laien ist es erlaubt, sich dieser Gebete zu bedienen, aber nicht im Namen der Kirche.

 

Das Rituale schreibt vor, wie dabei zu verfahren ist und erteilt des Exorzisten sehr weise Ratschläge. Wir erinnern hier nur an die wichtigsten. Ist man nach Feststellung der Besessenheit beauftragt worden, die Exorzismen vorzunehmen, so soll man:

 

(1) durch eine demütige und aufrichtige Beichte auf diese furchtbare Amtsbetätigung sich vorbereiten, damit nicht der Teufel den Exorzisten ihre Sünden vorwerfen könne. Ferner durch Fasten und Gebet, denn manche Teufel weichen durch keine anderen Mittel. Mk 9,28

 

2) in eine Kirche oder Kapelle sich begeben, wo für gewöhnlich die Exorzismen vorzunehmen sind, wenn nicht aus wichtigen Gründen zu diesem Zweck ein Privathaus vorzuziehen ist. Jedenfalls bleibe der Exorzist niemals allein mit dem Besessenen, sondern in seiner Begleitung seien fromme, gewichtige Zeugen, stark genug, um den Patienten in seinen Krisen zu meistern. Bei weiblichen Personen sollen zu diesem Zweck Matronen von erprobter Klugheit und Tugend gegenwärtig sein. Der Priester selbst aber verhalte sich möglichst bescheiden und reserviert.

 

3) Nach Verrichtung der vorgeschriebenen Gebete schreite der Exorzist zum Verhör. Die Fragen stelle er kraft seiner Gewalt. Er beschränke sich auf solche Fragen, die nützlich und vom Rituale angeraten sind: über Zahl und Name der die Person beherrschenden Geister, über die Zeit und die Beweggründe ihres Eindringens. Man befehle dem Teufel, zu erklären, wann er ausfahren werde und an welchem Zeichen man sein Weichen erkennen könne. Man drohe ihm bei hartnäckigem Widerstand mit vermehrten Qualen, die im Verhältnis zu seinem Widerstand stehen würden. Zu diesem Zweck verdopple man die Beschwörungen, die ihn mehr zu reizen scheinen, die Anrufungen der heiligsten Namen Jesus und Mariä, die Kreuzzeichen und Besprengungen mit Weihwasser. Man zwinge ihn auch, sich vor dem allerheiligsten Altarsakrament, dem Kruzifix oder Heiligenreliquien niederzuwerfen. – Mit großer Sorgfalt vermeide man alles Geschwätz, alles Scherzen oder müssige Fragen: macht der böse Geist bissige oder zum Lachen reizende Bemerkungen, ergeht er sich in Abschweifungen, so gebiete man ihm voller Würde und Autorität zu schweigen.

 

4) Den Zeugen, die übrigens wenig zahlreich sein sollen, gestatte man nicht, Fragen zu stellen. Sie sollen sich schweigend und gesammelt verhalten und in Vereinigung mit jenem beten, der die Teufel austreibt.

 

5) Trotz der ihn umkleidenden Gewalt soll der Exorzist den bösen Geist nicht an einen bestimmten Ort verbannen. Er beschränke sich darauf, ihn auszutreiben und überlasse dessen Los der göttlichen Gerechtigkeit. Die Exorzismen sind mehrere Stunden hindurch fortzusetzen, ja sogar, mit Ausnahme einiger Pausen, mehrere Tage lang, bis der Teufel ausfährt oder wenigstens sich bereit erklärt, zu weichen.

 

6) Ist die Befreiung zweifellos festgestellt, so bete der Exorzist zu Gott, er möge dem bösen Geist verbieten, jemals in den Leib zurückzukehren, den zu verlassen er gezwungen wurde. Nach einem Dankgebet fordere der Exorzist den Befreiten auf, Gott zu preisen und in Zukunft jede Sünde zu meiden, um nicht wieder unter die Herrschaft des Teufels zu fallen.)

 

Schluss

 

Diese außergewöhnlichen Erscheinungen göttlichen oder Diabolischen Ursprungs zeigen einerseits Gottes barmherzige Güte gegen seine bevorzugten Freunde: diesen gewährt er neben unsagbaren Leiden, wie bei der Stigmatisation, hervorragende Gnaden als Vorbedeutung und Vorspiel der im Himmel zu erwartenden Glorie. Andererseits zeigen sie den Neid und Hass des Teufels, der ebenfalls seine tyrannische Macht über die Menschen geltend machen will: darum drängt er sie in außergewöhnlicher Weise zum Bösen, verfolgt sie, sobald sie widerstehen und Gottes Reich verbreiten. Darum quält er durch Besessenheit einige, die ihm zum Opfer fallen.

 

 

Auf Erden gibt es also die zwei vom hl. Augustinus so treffend geschilderten Städte, die zwei Lager, die zwei Fahnen, von den der hl. Ignatius spricht. Echte Christen sind darüber nicht im Zweifel. Je mehr sie sich Gott hingeben, desto eher entgehen sie der Herrschaft des Teufels. Erlaubt Gott, dass sie geprüft werden, so geschieht es zu ihrem Besten. Selbst mitten in Angst und Not dürfen sie voller Vertrauen sagen: „Si Deus pro nobis, quis contra nos? (Röm 8,31) . . . Quis ut Deus?“

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