Wallfahrten - Pilgerfahrten

 

Der heilige Benedikt Labre hatte eben zum elften Mal die Pilgerfahrt nach Loretto gemacht. Beim Abschied fragte ihn der Wallfahrtspriester, ob er übers Jahr wiederkomme. "Nein", gab er zur Antwort, "ich muss heim in sein Vaterland." "Aber dann führt dich dein Weg doch von Rom über Loretto!" "Nein, ich muss heim in mein Vaterland!" "Dan kommst du also nicht nach Loretto?" "Nein, ich muss heim in mein Vaterland", lautete zum dritten Mal die Antwort des Heiligen. Und wirklich, noch ehe das Jahr um war, war er "daheim", im ewigen Vaterland.

 

 

Der Jerusalemfahrer Dietrich von Schachten schrieb im Jahr 1491 vom Einzug der Pilger in die Heilige Stadt: "Da wir die Stadt sahen, wurden wir Pilgrim gar sehr erfreuwet und stiegen von den Ehselin und fielen uff die Knie, und mit großer Andacht sangen wir: Te Deum laudamus." Wie mag es erst dem müden Erdenpilger zumute sei, wenn er nach lebenslanger Wanderschaft das ewige Jerusalem erblickt, wo Gott selbst ihn am Ziel der großen Wallfahrt erwartet!

 

Von 1770 bis zu seinem Tod 1784  legt der Heilige etwa dreißigtausend Kilometer zu Fuß zurück.

 

Der heilige Benedikt Josef Labre

 

Man ist versucht, das geflügelte Wort vom "sonderbaren Heiligen" auf ihn anzuwenden. Aber es ist nicht wenigen so ergangen, dass sie zuerst den Kopf schüttelten über die seltsamen Formen seines Strebens nach Vollkommenheit und ihm dann, von dem Zauber seiner Persönlichkeit bezwungen, am liebsten kniefällig Abbitte geleistet hätten. Er selbst hat es niemanden übelgenommen, dass man seine Erscheinung verständnislos anstarrte und ihn wohl gar als einen Tagedieb aus der Kirche trieb. Er ging in Lumpen herum. Nur ein Rosenkranz um seinen Hals, ein Messingkreuz auf der Brust und sein schweigsames, in sich gekehrtes Wesen verrieten, dass er nichts mit den Brüdern der Landstraße gemein hatte.

 

Benedikt wanderte unaufhörlich von Wallfahrtsort zu Wallfahrtsort, kannte alle Heiligtümer und Reliquien von Spanien bis Polen, von Deutschland bis Sizilien. Überall blieb er einige Tage, betete vom frühen Morgen bis zum späten Abend auf wunden und geschwollenen Knien und setzte dann seinen Pilgerstab weiter. Sein Rucksack barg nur das Neue Testament, die Nachfolge Christi, ein Brevier und ein paar Brotkrusten oder Orangenschalen, die er irgendwo als Almosen erhalten hatte. Nie bettelte er auf Vorrat. Erhielt er mehr, als er im Augenblick für die Wegzehr brauchte, so teilte er das Almosen sofort mit dem nächsten Bettler, ohne zu vergessen, die Gabe mit einem frommen Spruch zu würzen.

 

Zwölf Jahre lang währte diese Pilgerfahrt, die nicht aus einer flüchtigen Laune, sondern aus einer tiefen Erschütterung der Seele entsprang. Vergebens hatte der junge Labre, geboren am 26. März 1748 zu Amettes in Frankreich, mehrmals versucht, in einem Kartäuser- oder Trappistenkloster seine Neigung zum Ordensberuf zu erfüllen. Immer waren so qualvolle Versuchungen und Seelenängste über ihn gekommen, dass er wieder geflohen oder von den Oberen entlassen worden war. Zum Theologiestudium war er unfähig, seit nach anfänglichen Erfolgen plötzlich sein Gedächtnis völlig versagt hatte. Diese Erlebnisse festigten in ihm die Überzeugung, dass er niemand weiter zur Last fallen dürfe und von Gott berufen sei, straßauf straßab als lebendige Predigt gegen Aufklärung und Unglauben, gegen Reichtum und Luxus, gegen Vergnügungssucht und Völlerei, kurz gegen alle Erblaster seiner Zeit zu wandern. Vorahnend sah er das schreckliche Ende dieser Zeitepoche in den Blutströmen der Revolution. Deshalb glaubte und hoffte er, dass Gott durch ihn, den abgezehrten Büßer, zum letzten Mal die Völker Europas vor dem drohenden Verhängnis warnen wolle.

 

Von allen seinen Wallfahrten kehrte er nach Rom zurück, weil ihm diese Stadt der Apostel- und Märtyrergräber, der unzähligen Kirchen und Klöster die liebste war. Er schlief in den Ruinen des Kolosseums und suchte seine Nahrung aus den Abfällen, die an den öffentlichen Brunnen achtlos weggeworfen wurden. Aus der Kirche anta Maria de´ Monti in der Nähe des Kolosseums trug man ihn eines Tages - am 16. April 1783 - ohnmächtig in ein benachbartes Haus. Als die Glocken Roms den abendlichen Angelus einläuteten, war er verschieden, kaum fünfunddreißig Jahre alt und doch schon ein Heiliger, dem alle Freuden des Daseins feil waren um eine einzige Anbetungsstunde vor dem Tabernakel. Man hat ihn gefragt, wie man am sichersten zu einer großen Liebe Gottes gelangen könne, und er hat in seiner einfachen Art darauf geantwortet: "Man muss dazu drei Herzen in eins zusammenschmelzen: das erste muss ganz Liebe und Zärtlichkeit für Gott sein, das zweite voll Güte zum Nächsten, das dritte hart in Bußgesinnung und Hass gegen sich selbst."

 

Ein Bettler hat nicht viele Andenken zu verteilen. Dies Wort und Testament aber wiegt viele Kostbarkeiten auf.

 

 

Die Gottesmutter zählt sie . . .

 

Zu Fuß kamen Pilger aus dem fernen Marseille nach La Salette. Unter ihnen befand sich ein 74jähriger Greis.

 

„Wie viele Kilometer haben Sie von Marseille an zurückgelegt?“, fragte man ihn. In seinem klingenden Marseiller Dialekt, in dem auch die Liebe seines Herzens zur Gottesmutter mitschwang, antwortete er:

 

„O, ich habe sie nicht gezählt. Aber die Gottesmutter zählt sie.“

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