Die vom Engel und vom heiligen Piterum "heiliggesprochene", namenlose, sich wahnsinnig stellende, demütige Nonne des Klosters von Tabennä, die, nachdem ihre Heiligkeit entdeckt wurde, aus dem Kloster entwich und niemals wieder gesehen wurde.

Wir beten um die Fürsprache dieser Heiligen!

 

 

34. Von der Nonne, die sich wahnsinnig stellte.

 

In jenem Kloster war auch eine Jungfrau, die sich den Anschein gab, als ob sie verrückt und besessen sei. Darum hegte man allgemein solchen Abscheu vor dieser, dass keine mit ihr essen wollte; sie aber hatte das freiwillig auf sich genommen. Sie weilte beständig in der Küche, tat jede Arbeit, war sozusagen das Wischtuch (1) des Klosters und erfüllte so, was geschrieben steht: "Dünkt sich jemand weise zu sein unter euch, der soll ein Tor werden, auf daß er weise werde!" (2) Mit einem Lumpen hielt sie den Kopf umhüllt, während die anderen geschoren waren und Kapuzen trugen. So war sie angetan und versah den Dienst einer Magd. Keine von den vierhundert sah sie jemals essen während der vielen Jahre; sie setzte sich niemals zu Tische, genoss kein Stücklein Brot und war mit dem zufrieden, was sie beim Spülen der Geschirre fand. Sie kränkte niemand, murrte nicht, sagte weder viel noch wenig, obgleich sie beschimpft, geschlagen, verwünscht und verächtlich behandelt wurde.

 

Es lebte zu jener Zeit am Porphyrgebirge der heilige Piterum, treubewährt in tugendhaftem Wandel. Zu diesem trat ein Engel und sagte: "Was bist du stolz auf deine Frömmigkeit und dein weltfernes Leben? Willst du eine Frau sehen, die frömmer ist als du, so geh' nach dem Frauenkloster der Mönche von Tabennä! Dort wirst du eine finden, die einen Lumpen (3) um den Kopf gebunden hat; diese ist besser als du; denn obgleich sie von allen Seiten Unbill erfährt, hat sie niemals ihr Herz von Gott gewendet; du dagegen sitzest hier, deine Gedanken aber schweifen in den Städten umher." Obgleich er niemals die Zelle verlassen hatte, begab er sich zum genannten Kloster und bat die Lehrer, ihm den Eintritt zu gestatten. Ob seines ausgezeichneten Rufes und hohen Alters trugen sie kein Bedenken ihn einzuführen. Er ging also hinein und wünschte alle zu sehen. Doch jene war nicht dabei. Er sagte zuletzt: "Stellet mir alle vor; es fehlt noch eine." Sie sagten: "Eine haben wir noch in der Küche draußen; aber die ist närrisch." Er sagte: "Führt sie herein; ich möchte sie sehen." Sie gingen hinaus und sagten es ihr; doch sie weigerte sich; sie ahnte wohl, daß ihr Geheimnis verraten werde. Die anderen aber zogen sie mit Gewalt und sagten: "Der heilige Piterum wünscht dich zu sehen." Sein Name war nämlich überall bekannt. Als er sie nun mit dem Lumpen am Kopf eintreten sah, fiel er ihr zu Füßen und sagte: "Segne mich!" Ebenso fiel ihm jene zu Füßen und sagte: "Segne du mich, Herr!" Da wunderten sich alle und sprachen zu ihm: "Vater, laß dich doch nicht zum besten halten! Sie ist ja närrisch!" Da sagte Piterum zu allen: "Ihr seid närrisch; denn sie ist meine und eure Mutter" - so nennen sie jene, die ein Leben des Geistes führen - "und ich wünsche nur ihrer würdig befunden zu werden am Tage des Gerichtes." Als sie das hörten, fielen sie jener zu Füßen und jede gestand ein anderes Vergehen: die eine, sie habe sie mit Spülwasser begossen; die andere, sie habe sie geschlagen, so daß sie blaue Flecken bekam; wieder eine andere, sie habe ihr die Nase mit Senf bestrichen; kurz, jede hatte auf andere Weise tollen Übermut getrieben an ihr. Da betete Piterum für alle und ging. Weil aber jene nicht Ruhm und Ehre bei den Schwestern genießen wollte und die vielen Abbitten lästig fand, entwich sie nach wenigen Tagen aus dem Kloster. Wohin sie ging, wo sie sich verbarg und wo sie gestorben ist, hat niemand erfahren.

 

1: Schwamm, der zum Aufwischen und Reinigen dient, wie sogleich im weiteren Text erwähnt ist. Es ist möglich, daß das Wort jemand bedeutet, der die Zielscheibe fremden Mutwillens ist, doch dürfte der Zusammenhang: "… sie tat jede Arbeit" obige Wiedergabe rechtfertigen.

 

2: 1 Kor 3,18.

 

3: Weil das entsprechende Wort "pannus" bei Valerius Maximus (um 40 n. Chr.) in der Bedeutung "Diadem" vorkommt, wurde die Ansicht ausgesprochen, es handele sich um eine orientalische Märchenprinzessin, ein "Aschenbrödel", in dem der "Prinz" seine Braut erkenne. "Zur Göttin selbst, also zur Isis oder Sophia, die ja ganz besonders die "Mutter" ist, wird sie im Heidnischen durch die Wahl des Gottes." Für das Wort "Mutter" folgt aber die Erklärung sofort im Text.

 

Quelle:

Palladius von Helenopolis († vor 431) - Leben der heiligen Väter S. 385, Kempten 1912