Maria mit dem Kinde lieb . . .
Inhalt:
1. Aus den Tagen des Kindleins von Bethlehem
2. Die Familie von Nazareth
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1. Aus den Tagen des Kindleins von Bethlehem
(Eine Legende)
In Bethlehem war es. An der Wiege ihres Einzigen saß eine junge Frau, das Gepräge der schönen Bethlehemitin mit den tiefen, großen Augen und dem ernsten, sanften Ausdruck auf den Edlen Zügen. Verklärt durch einen hohen, erhabenen Gedanken schien das schöne Antlitz, als sie nun ihr Kind betrachtete, ein wunderliebliches Knäblein von wenig über einem Jahr.
Friedlich schlummerte das Kleine. Die Mutter aber faltete die Hände und das Auge zum Nachthimmel erhebend, flüsterte sie leise: „O lass ihn gut und fromm werden, Gott, einen wahren Israeliten, wie Eleazar, sein seliger Vater, war. Und höre, o erhöre das Flehen einer Mutter – gib, dass er ein Diener des Messias werde!“
Die schöne Ruth war eine der gottesfürchtigsten Frauen jener Zeit. In der Tempelschule zu Jerusalem hatte sie ihre Erziehung genossen und von all den Jungfrauen, die dort dem Herrn dienten, war nur eine besser und frömmer gewesen als sie – Maria, Annas und Joachims Tochter. Und zu dieser wunderbar heiligen Gefährtin hatte Ruth immer mit hoher Verehrung und inniger Liebe aufgeschaut. Fast gleichalterig mit der reinsten Jungfrau, hatte sie viel mit derselben arbeiten und beten dürfen; und wenn auch Maria still und zurückgezogen lebte und gar wenig sprach, so war doch ihr Beispiel allein schon eine stumme Predigt für die junge Ruth.
Einen Gegenstand aber gab es, über den die beiden Tempelschülerinnen manchmal redeten und er ihre jungen Herzen erglühen ließ in Liebe und Seligkeit: es war die herannahende Geburt des Messias. Sie beide wussten, dass die Zeiten erfüllt seien, dass der Gesandte des Herrn kommen müsse. Und welches Glück, welche Seligkeit, Ihm dann dienen zu dürfen und als seine geringste Magd!
Maria war Josef, dem Zimmermann aus Nazareth, vermählt worden und wenige Wochen später folgte Ruth dem frommen Eleazar aus dem Stamm Levi, einem Diener des Allerhöchsten an der Synagoge zu Bethlehem.
Gleiches Denken, gleiches Streben hatte die jungen Gatten vereint. In Frömmigkeit und Gottesfurcht dienten sie dem Allerhöchsten und ihr einziges Beten war, die Zeit zu erleben, in welcher der Messias geboren würde.
Und als Gott die Ehe des frommen Paares mit einem Söhnlein segnete, da gelobten die beiden sich, noch treuer die Gebote des Herrn zu halten und ihr Kind zu einem heiligen Diener des Allerhöchsten zu erziehen.
Fern von Bethlehem war der kleine Eliud geboren. Die Volkszählung unter Kaiser Augustus hatte das Ehepaar nach Mathanea geführt, das Eleazars Heimat war. Dort wurde der Kleine geboren und dort wollte Ruth auch bei ihren Schwiegereltern bleiben, bis Eliud ein paar Monate alt geworden wäre. Und dann erkrankte Eleazar an einer bösen, schleichenden Krankheit, die ihn lange, bange Wochen und Monate ans Lager fesselte, bis er endlich erlöst wurde durch einen sanften, gottseligen Tod.
Ruths Schwiegereltern wollten die junge Witwe bei sich zurückhalten, aber sie ließ sich nicht überreden. In den heiligen Schriften hatte sie gelesen, dass der Messias geboren werden solle in Bethlehem, der Stadt Davids, und deshalb wollte sie dort ihr Kind erziehen, damit es bereit sei und zur Stelle, wenn der Gottessohn zur Welt käme.
Als Ruth nach Bethlehem zurückkehrte, beschloss sie, das Leben einer ehrbaren, frommen, jüdischen Witwe zu führen. Gott und ihr Kind – sonst sollte es nichts mehr für sie geben auf der weiten Welt!
Durch fromme Hirtenfrauen, die in ihrem Hause Dienste taten, wurde Ruth Kunde von all dem Wunderbaren, das während ihrer Abwesenheit sich in Bethlehem ereignet hatte. Sie hörte von der Erscheinung der Engel und dem hochheiligen Kind, das die Hirten im Stall zu Bethlehem gefunden haben. Sie vernahm, wie die heilige Familie monatelang den dürftigen Stall bewohnt und mit den armen Hirten verkehrt habe. Sie erfuhr von den fremden Königen, die ein wunderbarer Stern zur Krippe geführt, und von der Huldigung, die sie dem Gotteskind erwiesen.
„Sie alle hielten es für den Messias,“ sagten die Frauen, „aber die reichen Bethlehemiten wollten nichts von Ihm wissen“.
Ruths Herz schlug höher. War es wirklich der Messias, der geboren wurde, während sie abwesend war? Und wo weilte er jetzt?
Niemand wisse es, sagten die Frauen. Kurz nachdem die fremden Könige abgereist waren, sei die heilige Familie eines Morgens verschwunden gewesen. Kaum vierzehn Tage seien es her.
„Kaum vierzehn Tage!“ seufzte Ruth. Warum konnte sie damals nicht zurück sein! Aber vielleicht kam es wieder, das Gotteskind, und blieb dann in Bethlehem. –
Und Tag und Nacht kannte die fromme Jüdin nur ein Sehnen, ein Beten.
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„König Herodes befiehlt allen Müttern, ihre Knäblein bis zu zwei Jahren in den Vorhof des Richthauses zu Bethlehem zu bringen, wo ihnen ein besonderer Gnadenerweis des Königs zuteilwerden soll!“
Wie ein Lauffeuer durcheilte die seltsame Kunde ganz Bethlehem, überall Befremden und freudiges Staunen erweckend. Es war ein Akt der Gnade, dessen man sich von Herodes nicht versehen hätte.
Von überall her strömten die Mütter zusammen. Keine wollte die günstige Gelegenheit versäumen, ihren Liebling einer königlichen Gunstbezeigung teilhaft zu machen und alles drängte sich zu dem Richthaus.
Ruth allein hatte wenig Freude an dem Befehl. Reich mit Glücksgütern gesegnet, brauchte sie nicht die Gnade des Königs, um ihrem Kind zeitliche Vorteile zu verschaffen. Zudem war ihr Herodes als ein gottloser Wüterich bekannt und sie wollte schon deshalb nichts aus seiner Hand empfangen. Endlich hütete sie ihr Kindlein ängstlich wie einen Schatz und brachte es nur ungern unter so viele andere Kinder.
Aber der König befahl und so hieß es gehorchen.
Im Hof warteten die Frauen mit ihren Kleinen. Die wachehaltenden Soldaten hatten das Tor geschlossen und scherzten mit den Kindern, dabei von Zeit zu Zeit nach einem Gang blickend.
Plötzlich ertönten von dort feste, taktmäßige Schritte und zum Entsetzen der versammelten Frauen zog eine Rotte Soldaten mit gezückten Schwertern auf. Ein Zeichen ihres Anführers – und sie alle stürzten sich auf die Frauen, entrissen ihnen ihre Kinder und durchbohrten sie vor den Augen der schreckensstarren Mütter.
Eine furchtbare Szene war es. Die Frauen suchten ihre Kleinen zu schützen, sie mit dem eigenen Leib zu decken, sie mit Gewalt den Wütenden zu entreißen. Schauerlich tönte ihr Weinen und Schreien, herzzerreißend ihr Bitten und Flehen, das sich mit dem Wimmern und Klagen der armen Kleinen vermischte.
Alles war umsonst. An Flucht konnte nicht gedacht werden, denn die Tore waren verrammelt. Die schwachen Frauen unterlagen bald den rohen Soldaten und die kleinen Leichen bedeckten den Boden, der von ihrem unschuldigen Blut gerötet war.
Ruth war am Eingang stehen geblieben. Dennoch war ihr Kind das erste, das ein mordgieriger Soldat ergriffen hatte. Sie hatte um Eliuds Rettung gekämpft, wie eine Löwin kämpft für ihr Junges. Aber schließlich hatte sie dem Soldaten weichen müssen, der ihren Liebling durchbohrte. Ein einziges Mal noch schlug der Knabe die schönen Sternenaugen zur Mutter auf. Ein wunderbarer Glanz leuchtete darin. Es war, als ob das kleine Kind etwas Erhabenes, Geheimnisvolles sähe. Dann lächelte es selig und verschied.
Erschauernd in Schmerz und Ehrfurcht, die sie beim Todesblick ihres scheidenden Lieblings überkam, schloss Ruth die kleine Leiche in die Arme und schickte sich an, sie heimzutragen. Aber nicht einmal der Trost sollte den armen Müttern bleiben, dass sie ihre Kindlein selbst bestatten durften. Die Soldaten entrissen die kleinen Leichen den Armen der weinenden Mütter und warfen sie alle auf einen Haufen, dann stießen sie mit brutaler Gewalt die wehklagenden Frauen zum Hof hinaus.
Allzu viel der Grausamkeit schien dies zu sein, und doch lag es so im Plan Gottes. Wie wären sonst die Reliquien der unschuldigen Kindlein, dieser Erstlingsmärtyrer der Kirche, erhalten geblieben?
Abend war es und in ihrem einsamen Zimmer saß, aufgelöst in Schmerz, die unglückliche Ruth. Sie haderte nicht mit Gott, wie so viele der armen Mütter. Sie schrie nicht und raufte sich nicht die Haare, wie so manche andere der Frauen. Ihr Schmerz war heilig und ergeben und suchte in heißem Gebet Hilfe von oben, aber er war deshalb nicht weniger tief und brennend.
Mirjam, ihre Dienerin, hatte sie ebenfalls verlassen. Sie teilte den Schmerz ihrer Herrin um den verlorenen, kleinen Knaben, der aller Liebling war. Außerdem aber weinte sie um ihren Brudersohn, das Kindlein eines der Hirten, die einst die Engelsbotschaft vernahmen.
„Sonderbar ist die Kunde, die man überall hört“, hatte die treue Dienerin gesagt. „Man erzählt sich, König Herodes habe das Knäblein gesucht, das unlängst die fremden Könige begrüßten. Er habe Angst, das Kind sei selbst ein Fürst, der ihn von seinem Thron stürzen werde, und habe es deshalb töten wollen. Und um den Gesuchten sicher zu finden, habe er den Befehl erteilt, alle Knäblein Bethlehems bis zu zwei Jahren dahinzumorden.
Und so ist der unseren Kindern zur Ursache des Todes geworden, den wir als den Messias begrüßten“, hatte traurig die treue Dienerin geschlossen.
Die Worte waren scheinbar ungehört am Ohr der trauernden Mutter vorübergezogen. Aber jetzt, da sie allein war, traten sie plötzlich vor ihre Seele mit ungeahnter Macht.
Und wenn das Kind wirklich der Messias war? –
„Er ist der Messias!“ – Eine klare, helle Stimme sagte das. Erschrocken sah Ruth auf, dann sank sie sprachlos auf die Knie.
Vor ihr erschien, wie in lichten Wolken schwebend, von strahlender Helle umgeben, Eliud, ihr totes, teures Kind. Es trug ein glänzend weißes Gewand und seine Todeswunde war wie eine dunkelglühende Rose. Das süße Gesichtchen aber leuchtete in einer so hehren Freude, einer so erhabenen Schönheit und Seligkeit, die Sternenaugen sprachen von solch unendlicher Wonne und einem so namenlosen Glück, dass die Mutter des kleinen Heiligen erbebte in unsagbarem Jubel.
„Er ist der Messias – und ich würde gewürdigt, mein Leben für Ihn zu geben – freue dich, o Mutter, und danke dem Herrn!“
Wie eine Hymne klang das Wort ans Mutterherz, dann löste sich langsam das lichte Bild und einen Augenblick später war Ruth wieder allein.
Aber alle Trauer war aus der Mutterseele verschwunden. Jahrelang hatte sie gebetet, dass ihr Kind ein Diener des Messias werde – wie wunderbar, wie über alles Erwarten hatte Gott sie erhört!
Eliud ein Märtyrer, der erste Märtyrer für den Messias! Konnte es etwas Höheres, etwas Herrlicheres geben!
Und aus dem Herzen der Mutter, die an diesem Tag ihren größten Schatz, ihr ein und alles verloren, stieg in stiller Nacht eine jubelnde Lobeshymne auf zum Thron Gottes!
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2. Die Familie von Nazareth
Und der Geist kürte die Braut - und die Jungfrau gebar den Sohn
Als Josef gekommen war, Maria in sein Haus zu holen, feierten sie zu Nazareth im Haus der Mutter Anna noch ein Fest. Dann erst nahm Maria von ihrer Mutter Abschied und siedelte mit Josef in ihr eigenes Haus über, das außerhalb des Städtchens Nazareth an einem stillen Ort lag. Doch oft kam Mutter Anna mit Mägden und vertrauten Frauen ins Haus Mariens, ihr noch allerlei zu bringen und das Haus auszustatten, wie sie es für ihre Tochter wünschte. Dann begleitete Maria ihre Mutter immer ein Stück Weges zurück, und von neuem brach die Wunde der Trennung in ihr auf, und oft vergoss sie Tränen der Rührung bei diesem Abschied.
Indessen war Josef bemüht, seine Werkstätte einzurichten. Er musste noch oft über Land, Erbgut einzuholen und Handwerksgeräte herbeizuschaffen.
So war Maria eines Tages allein zu Hause. Da kam Mutter Anna und mit ihr eine Magd und eine Witwe, die ihr vertraut war, und zwei Gespielinnen aus dem Tempel. Sie blieben die Stunden des Nachmittags beisammen und gingen miteinander im Hof umher. Maria bewirtete sie, dann blieben sie bei ihr zur Nacht. Als die anderen schon schlafen gegangen waren, schritt Mutter Anna noch geschäftig hin und her. Schließlich ging auch sie in ihre Kammer.
Die Kammer Mariens lag im hinteren Teil des Hauses nahe der Feuerstätte. Vom Küchenraum stiegen ein paar Stufen zu einem erhöhten Gemach empor. Der Tür gegenüber war die Kammer rund, und dieser Teil war durch einen hohen Schirm von Flechtwerk abgeschieden. Dort befand sich Mariens Lager. Das kleine Gemach war rundum mit geflochtenem Holzwerk bedeckt, und die Decke zeigte die offenen Balken, in die Sternfiguren eingemalt waren.
Als Maria an diesem Abend in ihre Kammer eintrat, kam sie eine unendliche Sehnsucht an, zu Gott zu beten und ihn zu beschwören, den Menschen den Erlöser zu senden, den er verheißen hatte. Das Wissen um ihre eigene Bestimmung lag wie ein Keim in ihr, der sich noch nicht entfaltet hatte. In ihrer Seele brannte die Sehnsucht, durch ihr Beten und Wirken zu der Herabkunft des erwarteten Erlösers ein Geringes beizutragen. Sie trat hinter den Schirm, hinter dem ihr Lager ausgebreitet war, legte ein weißes Betkleid und einen breiten Gürtel an und bedeckte ihr Haupt mit einem gelblich-weißen Schleier. Indessen kam die Magd mit einem Lämpchen und zündete eine vielarmige Lampe an, die von der Decke niederhing, und ging dann wieder fort.
Maria nahm ein niedriges, dreibeiniges Tischchen, das an die Wand aufgeklappt war, und stellte es in die Mitte des Gemaches. Es war eine rot und blau gefärbte Decke darübergeworfen, die war nach vorne zwischen den beiden Füßen gerafft und fiel dann mit Fransen besetzt nieder.
Maria holte etliche Schriftrollen und legte sie auf das Tischchen. Dann nahm sie einen Teppich, rollte ihn neben dem Tischchen zu einem Wulst und kniete sich darauf. Sie stützte ihre beiden Arme auf und barg ihr Gesicht betend in ihre Hände.
Da überkam sie die Sehnsucht nach dem Messias, wie die Flut eines Meeres über das Land springt.
Und wie sie das Wehen und Wogen ihrer eigenen Bitte spürte, kam eine Ruhe über sie, und diese Ruhe wurde zu einem Licht, und das Licht kam von oben, und ohne dass sie ihre Augen geöffnet hatte, empfand sie, wie aus dem Licht eine Gestalt niederschwebte und neben ihr stand und zu ihr sprach.
Sie senkte aus Ehrfurcht vor dem Erschienenen die Hände und wandte ihr Antlitz ihm zu, ohne die Augen zu erheben. In einem heiligen Schauer ließ sie den Blick gesenkt. Aber sie vernahm seine Worte, und jedes Wort kam wie ein Licht aus seinem Mund, und in dem Licht standen die Worte wie flammende Schrift:
"Gegrüßet seist Du, Maria" -
sie hob die eine Hand,
"Du bist voll der Gnade" -
und wieder senkte sich ihr Haupt, und ihre Hände tasteten nach ihrem eigenen pochenden Herzen -
"Der Herr ist mit Dir -
Du bist gebenedeit unter den Frauen
und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes."
Da war es ihr, als seien dies nicht einmalige Worte, - als blieben diese Worte, einmal gesprochen, schwebend im Atem der Welt, und Millionen und Millionen sprächen diese Worte wie ein Gebet.
Sie spürte die Nähe des Herrn und ahnte, was der Engel von ihr begehrte.
Er sagte ihr, dass sie die Mutter des Herrn werden solle.
Wie sie verwundert fragte, wie das geschehen solle, da sie doch gelobt habe, Jungfrau zu bleiben, verkündete er ihr:
"Siehe, die Kraft des Allerhöchsten wird Dich überschatten."
Sie hob den Schleier und sah dem Boten des Ewigen ins Angesicht und sprach:
"Siehe, ich bin die Magd des Herrn,
mir geschehe nach Deinem Wort."
In diesem Augenblick begann ihr Leib und ihre Seele und ihr Geist vor einem grenzenlosen Schauer zu zittern. Sie senkte in tiefer Ehrfurcht ihr Haupt und spürte,
wie die Decke der Kammer wich
und der Himmel über ihr offenstand
und über ihr in unermesslicher Ferne
und zugleich nahe
ein heiliges Zeichen aus den Wolken stieg,
ein dreieckiges Licht,
in dem sie die Herrlichkeit Gottes,
des allmächtigen Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes erkannte.
Sie sah,
wie eine der Erscheinungen sich löste
und wie die Gestalt einer Taube,
doch mit dem Antlitz eines Menschen
sich auf sie niedersenkte,
und wie drei Strahlenergüsse,
die von der Erscheinung ausgingen,
ihren Leib trafen.
Da wurde ihre Gestalt ganz durchleuchtet
und durchsichtig und verklärt,
das Licht fand nichts Undurchdringliches an ihr,
sie selbst schien wie in dieses Licht aufgegangen.
Dann wich die überirdische Erscheinung, und es war, als atme der Himmel dies Licht und diesen Boten, den Engel, wieder in sich ein, wie er all die Wunder ausgeatmet hatte.
Die Decke schloss sich wieder über Maria, und die Lampe in ihrem Gemach, die in dem überirdischen Licht versunken war, erschien wieder mit ihrem spärlichen Schein und erhellte matt den Raum der kleinen Kammer.
Einen Augenblick erschauerte Maria. Es war ihr, als läge eine Gefahr vor ihrer Tür.
Es war eine Schlange, ein scheußliches Ungetüm mit einem breiten und platten Kopf, einer Eidechse gleich, mit Krallen und Fledermausflügeln, ein Tier von etwa eines Knaben Länge in das Haus eingedrungen und lauerte vor Mariens Kammer.
Da erschienen drei Geister und trieben das Ungetüm mit Hieben und Fußtritten hinaus ins Freie.
Maria, die dies nicht sah, empfand dennoch, wie die Gefahr wich, und sank in ihr Gebet zurück und versank in ihm in ein neues Wunder.
Sie empfand in ihrem Leib die Gestalt eines werdenden Kindes und empfand jedes Glied dieses Kindes in sich bis zu den Fingerchen, den winzig kleinen, zarten. Es überkam sie ein Schauer der Wonne, dass sie heilige Worte vor sich hinsprach:
"Der Herr hat mich geschaffen im Anfang seiner Werke,
ehe als er etwas gemacht hat von Anbeginn.
Ich bin eingesetzt von Ewigkeit, von alters her,
ehe als die Erde geworden war.
Die Tiefe war noch nicht und ich war schon empfangen.
Die Wasserquellen brachen noch nicht hervor,
die Berge waren noch nicht eingesenkt in ihrer schweren Last,
und vor den Hügeln ward ich geboren.
Noch hatte er die Erde noch nicht gemacht und nicht die Flüsse,
nicht die Angel des Erdkreises.
Als er die Himmel bereitete, war ich dabei,
als er nach genauem Gesetz die Grenzen zog um die Tiefe,
als er dem Luftraum oben dran befestigte und die Wasserbronnen abwog,
als er rings um das Meer seine Grenzen setzte
und den Wassern ein Gesetz gab, ihre Grenzen nicht zu überschreiten,
und da er die Gründe der Erde legte,
da war ich bei ihm und machte alles
und erlustigte mich Tag für Tag
und spielte auf dem Erdkreis,
und meine Lust ist, bei den Menschenkindern zu sein."
Es war um die Mitternacht, als dies Geheimnis geschah. Eine Lichtwolke war über dem Haus erschienen, und eine wundersame Bewegung hatte die ganze Natur erfasst, zitterte durch ihre Träume, und Tiere und Menschen erwachten, ohne dass sie wussten, was sie weckte.
Auch Mutter Anna erwachte aus dem Schlaf. Es ging in ihr ein Ahnen von all dem um, was in dieser Nacht geschehen war. Sie stand auf, kleidete sich an und ging zur Kammer der Jungfrau Maria. Da sah sie, wie Maria im Gebet versunken in der Mitte ihrer Kammer kniete, und so wich sie scheu und ehrerbietig zurück und ging wieder in ihr eigenes Schlafgemach und lag selbst lange betend in der Nacht.
Maria erhob sich nach einer Weile und schritt zu ihrem Betaltärchen, das in die Wand ihrer Kammer eingelassen war. Dort hing ein Teppich aufgerollt. Diesen Teppich entrollte sie. Da wurde die Gestalt eines Kindes sichtbar, das mit ausgebreiteten Armen in den Teppich gewirkt war.
An der Wand hing eine Lampe, die zündete sie an. Dort auch lagen die Gebetsrollen. So stand Maria ins Gebet versenkt bis gegen Morgen. Dann legte sie sich schlafen.
Sie wusste wohl, dass der Erlöser der Welt, der Menschensohn, zu ihr niedergestiegen war, aus ihr die Gestalt des Fleisches zu empfangen. Aber noch war sie des Glaubens, dass der Messias unter das Volk als ein heiliger König komme und das Volk gegen die Mächte der Finsternis siegreich mache. Sie wusste noch nicht, dass er, um die Menschheit zu erlösen, aus einer Frau musste geboren werden und so, wie er durch eine Frau in die Welt eintrat, auch aus der Welt durch jenes andere Tor schreiten musste, durch das alles Menschliche hingehen muss: durch das Tor des Todes und der Ängste. So aber war es bestimmt, dass die Pforten des Lebens wieder gereinigt würden, wenn Gott selbst durch sie hindurchschritte.
Maria war bestimmt zu der Pforte, aus der der Herr kam, weil sie das reinste Gefäß der Gnade war und keine andere Frau der Erde ihr an Reinheit glich, keine ihr vergleichbar vor ihr erschienen war noch nach ihr kommen wird unter allen Frauen der Erde.
An dem Tag, da dies geschah, war Maria vierzehn Jahre alt.
Als Josef nach etlichen Tagen von seinen Geschäftsgängen nach Hause kam, trat ihm Maria in einer stillen, glühenden Verhaltenheit entgegen, als wolle sie ihm eine hohe Botschaft zutragen. Doch als er erstaunt und fragend den Blick zu ihr hob, senkte sie die Augen und verschloss ihr Geheimnis in ihrer Seele.
Es war ihr, als wolle Gott selbst dieses Geheimnis all jenen, denen er es kundmachen wolle, zu ihrer Stunde offenbaren, und ihr sei nur aufgetragen, es hütend in sich zu bergen.
Dann saßen sie in ihrem Gemach einander gegenüber, Josef erzählte von seinen Geschäften und dass er die nächsten Tage wieder fort nach Jerusalem wolle, dort im Tempel zu opfern, denn das Osterfest war nahe.
Da erzählte Maria Josef von einer großen Sehnsucht, die sie im Herzen trage: Sie wolle ihre Base Elisabeth besuchen, die über den Bergen in Jutta wohne, die Frau des Zacharias. Von dorther war die Kunde gekommen, dass die hochbetagte Elisabeth noch vom Herrn sei gesegnet worden und seligen Stunden entgegensehe.
Josef hinwiederum trug es Maria an, dass er sie auf seiner Reise nach Jerusalem mitnehmen und nach dem Osterfest über die Berge nach Jutta zu ihrer Base Elisabeth bringen wolle. Und so beschlossen sie es.
Nach etlichen Tagen brachen sie auf, nur ganz kurze Zeit in Jerusalem zum Opfer zu verweilen und dann nach Jutta, zu ihrer Base Elisabeth weiterzureisen.
Der Weg ging mittagwärts. Josef führte einen Esel bei sich, dem er einen gestrickten Sack aufgeladen hatte, in dem sie allerlei Gewänder und auch Speisen mit sich führten. Maria schritt meist in sich versunken in geringer Entfernung hinter Josef und dem Tier drein. Josef, der empfand, dass sie sich sehnte, so allein zu wandeln, schritt rüstig und dienend vor ihr her.
Maria trug auf der Reise ein braunes, wollenes Hemd und darüber ein graues Kleid und einen breiten Gürtel und eine gelbliche Kopfhülle.
Sie zogen südwärts über die Ebene Esdrelon und kehrten in der Stadt Dothan auf der Höhe eines Berges bei einem Freund Josefs ein. Dann übernachteten sie wieder einmal in einem Schuppen und einmal, noch zwölf Stunden von Jutta entfernt, in einem Wald, in einer kleinen, von Holz geflochtenen Hütte. Die war von lebendigem Grün mit schönen weißen Blüten überwuchert. Solcher Herbergen gab es viele im Land. Sie standen leer und gewärtig, dass irgendwelche vorüberziehende Reisende in ihnen Unterschlupf suchten. Es war kein Wirt zugegen. Die Reisenden mussten selbst für alles sorgen und die Hütte wieder so verlassen, wie sie sie vorgefunden hatten. Dies war so Sitte im Land. In der Nähe wohnten zuweilen Leute, die die Aufsicht über solche Herbergen hatten und gegen eine kleine Vergütung allerlei Dienste verrichteten.
So reisten Maria und Josef über die Berge. Josef zog einsam voran und Maria schritt hinter ihm drein, zuweilen auch laut einen Psalm in die Einsamkeit des Landes singend. Einmal auch sammelten sie Tropfen Balsam ein, und hernach tranken sie den Balsam in Wasser und aßen Brot dazu.
Wieder zogen sie durch die Wälder, durch Heide, durch Wiesen und Felder, und einmal kamen sie über eine Wiese. Auf ihr standen kleine Blumen mit grünen Blättchen und neun blassroten, verschlossenen Glöckchen, die an einer Traube hingen. Die pflückte Maria auf:
"O, mein Geliebter ist mir ein Myrrhenbüschlein, das an meiner Brust verweilt. O, mein Geliebter hat für mich das Traubenblut der Versöhnung hergegeben."
Josef hörte sie hinter sich singen.
* * *
Das Haus des Zacharias stand einsam auf einem Hügel, an dessen Abhang dichtere Häusergruppen lagen. In der Nähe kam ein Sturzbach vom Berg nieder.
Zacharias war zum Osterfest in Jerusalem im Tempel gewesen und kehrte in diesen Tagen nach Hause zurück. Als er noch eine gute Strecke Weges entfernt war, sah er eine Frau am Weg sitzen und erschrak, als er sie erkannte. Es war Elisabeth, seine Frau.
Was hatte sie wohl angetrieben, das Haus zu verlassen und so weit ihm entgegen zu wandern?
Er eilte auf sie zu, sie umfingen sich, und er gab ihr Zeichen seiner Besorgnis, dass sie in diesem Zustand einen so weiten Weg unternommen habe, ihm entgegen zu eilen.
Da erzählte sie ihm, dass sie seit etlichen Tagen von einer namenlosen Sehnsucht erfüllt sei, ihre Base Maria von Nazareth zu sehen, sie warte auf ihren Besuch. Und dies alles sei ihr so zugekommen, ohne dass ein Bote ihr eine Kunde hinterbracht habe.
Es war Elisabeth in einem Traum geoffenbart worden, dass eine Jungfrau ihres Geschlechtes den Messias empfangen habe. Und Elisabeth hatte, als sie erwachte und den Traum überdachte, an Maria von Nazareth, ihre Base denken müssen, die sie nie im Leben gesehen hatte, die sie nur durch den heiligen Ruf ihres Lebens kannte.
Verwundert schüttelte Zacharias den Kopf und gab durch Zeichen und durch Schreiben auf ein Täfelchen seiner Frau Elisabeth zu verstehen, es sei sehr unwahrscheinlich, dass die Neuvermählten jetzt eine so weite Reise unternehmen sollten. So führte Zacharias Elisabeth nach Jutta zurück.
Da merkte er zu seinem Verwundern, dass Elisabeth rechts vom Eingang seines Hauses ein Stübchen bereitet hatte, dass Maria, die Base, es mit allem vorfände, was sie nach langer Reise erquicken könne. Indessen, wie sehr er auch Elisabeth mit Worten, die er auf ein Täfelchen schrieb, eine Törin der Liebe schalt und sie mit Zeichen verspottete, - des anderen Tages saß Elisabeth in jenem Stübchen und wartete und wartete, ob Maria nicht käme, an die sie ohne Unterlass denken musste, und dann trieb es sie aus dem Haus hinaus, den Berg hinunter zwischen die Gassen von Jutta.
Da sah sie eine noch junge Frau ihr entgegenkommen, und beide, die schier greise Elisabeth und die jugendliche Maria, die sich nie in ihrem Leben gesehen hatten, erkannten sich sogleich und eilten freudig aufeinander zu, reichten sich zum Gruß die Hände und standen einen Augenblick versonnen einander gegenüber. Da aber traten aus allen Häusern rundum Menschen und staunten die sich Begrüßenden an, sodass Maria ihren Arm in den Elisabeths schob, und die beiden gingen still und versunken, als würden sie sich seit Jahren kennen, hinauf zum Haus des Zacharias.
Die Bewohner der benachbarten Häuser, die auf den Weg getreten waren, wurden von der wunderbaren Erscheinung Mariens und von der übernatürlichen Würde ihres Wesens, das sie empfanden, so berührt, dass sie scheu und schüchtern in ihre Häuser zurücktraten.
Wie ein dienender Knecht schritt Josef mit dem Lasttier hinter den Frauen drein, gab im Hof die Zügel des Tieres einem Diener, der herbeigeeilt war, und trat in die offene Halle zu Zacharias, der noch stumm war. Er begrüßte den alten, ehrwürdigen Priester gar demütig. Dann umarmten sie sich, und Zacharias gab ihm Zeichen und schrieb auf sein Täfelchen Worte der Freude und des Willkommens.
Indessen hatte Elisabeth Maria in die Kammer geführt, die für sie schon zubereitet war. Dort in der Einsamkeit fassten sich die beiden Frauen grüßend an den Händen, sahen sich an und lehnten ihre Wangen aneinander. Dabei ging eine Flut von Liebe durch ihre Seele und ihren Leib, und aus dem Leib Mariens brach ein heiliges Leuchten auf und überstrahlte Elisabeth, dass sie ergriffen von diesem Wunder des Lichtes und seiner Kraft eine Offenbarung empfing und zu Maria sprach:
"Gebenedeit bist du unter den Frauen
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes.
Woher kommt mir das zu,
dass die Mutter meines Herrn mich heimsucht?
Als die Stimme deines Grußes an mein Ohr kam,
hüpfte das Kind unter meinem Herzen in Freude auf.
Selig bist du,
du hast geglaubt und es wird erfüllt werden,
was der Herr von dir gesagt hat."
Dann lösten sie die Umarmung und setzten sich einander gegenüber. Von neuem überkam Maria das Glück dieser Stunde, sie kreuzte die Hände vor der Brust und begann schier wie in einem Gesang Worte zu sprechen, die vom Allerhöchsten selbst als ein heiliges Gebet auf ihre Zunge gelegt waren:
"Hoch preiset meine Seele den Herrn!
Und mein Geist frohlockt in Gott, meinem Heiland.
Er hat auf die Niedrigkeit seiner Magd geschaut
und sieh, nun werden mich selig preisen alle Geschlechter.
Er hat Großes an mir getan,
er, der da allmächtig ist
und dessen Name heilig ist,
und dessen Barmherzigkeit
von Geschlecht zu Geschlecht
bei denen ist, die ihn fürchten.
In seinen Arm ist Kraft gelegt,
und sie, die stolz sind in ihrem Herzen,
hat er zerstreut.
Die Mächtigen hat er von ihren Sitzen gestoßen
und die Niedrigen hat er erhöht.
Die Hungernden hat er mit Gütern erfüllt
und die Reichen leer entlassen.
Er hat Israel, seinen Diener aufgenommen
eingedenk seiner Barmherzigkeit,
wie er zu unseren Vätern gesprochen hat,
zu Abraham und seinem Samen
in alle Ewigkeit."
Die Worte fielen Elisabeth in das Herz und blieben in ihr aufbewahrt, und auch in Maria, der jungfräulichen Mutter. Sie waren ihnen kostbar wie ein Geheimnis, das ihnen von Gott geschenkt worden war. Und so behielten sie alles zum Gedächtnis an diese Stunde. Oft noch, wenn sie in diesen Tagen bei einander standen und der heiligen Geheimnisse gedachten, die in ihren beiden Leibern schlummerten, grüßte Elisabeth Maria:
"Gebenedeit bist du unter den Frauen,"
und Maria erwiderte mit den Worten ihrer ersten von Glück berauschten Begegnung:
"Hoch lobpreiset meine Seele den Herrn."
Josef, der Maria zu Elisabeth geleitet hatte, wollte des anderen Tages zur Heimkehr rüsten. Doch Zacharias bewog ihn, acht Tage und acht Nächte zu bleiben.
Die Zeit, die sie beisammen waren, wurde ihnen festlich durch all die sieben Werktage bis zum Sabbat, dem heiligen, dem geheiligten. Auch Zacharias war das Herz übervoll von Ahnungen der Nähe des Messias, und so hielt er Josef stets in seiner Nähe, dass er einen Gefährten seines Glaubens und seiner Sehnsucht an ihm fände. So saßen sie Stunden und Stunden beieinander. Zacharias schrieb auf sein Täfelchen Prophezeiungen und legte sie Josef aus, und dann verharrten sie wieder in Gebeten. Zacharias war stumm, doch Josef, der des Zacharias stummes Denken erriet, sprach in die Nacht oder in die Stille des ländlichen Gartens, in dem sie saßen, laut ihr Rufen zum Herrn.
* * *
Neben dem Haus war eine Halle. Dort saßen Maria und Elisabeth oft unter einem großen Baum. Einmal hatten sie die Reisetasche Josefs vor sich liegen, und derweilen sie von der Herabkunft des Messias und den heiligen Geheimnissen sprachen, aßen sie schlicht und einfach Früchte und Brot aus der Reisetasche des Josef, damit es nicht verderbe. So lebten sie kärglich in den Augen der Reichen der Welt, und die größten Reichtümer unter den Sternen waren unter ihnen.
* * *
Zacharias suchte Josef das Traute und Herrliche seines Heimes zu zeigen. Er wies ihm auch seine priesterlichen Gewänder und erklärte ihm heilige Zeichen und führte ihn des anderen Tages in einen abgelegenen Garten, der Zacharias gehörte.
In diesem Garten stand ein Lusthäuschen und darin ein Lager, das mit Moos und feinduftenden Kräutern gepolstert war. Hierher, ganz in die Einsamkeit gingen in diesen Tagen oft Elisabeth und Maria und ein andermal auch Josef und Zacharias, und die heiligen Paare begegneten sich.
Des Tages saßen Maria und Elisabeth zuweilen zu Hause in der Halle und webten an einem Lagerteppich, wie sie dort zu Lande für die Frauen bereitet wurden, die der Stunde der Niederkunft entgegensahen. Das war ein Teppich, in dessen Mitte eine Hülle eingewirkt war, sodass Mutter und Kind ganz in dieser Hülle geborgen ruhen konnten, und außen im Viereck waren Blumen und heilige Schriftzeichen eingewebt. Stunden saßen sie und wirkten, und das heilige Glück der beiden Mütter war in ihrem Tun und in ihrem Lied.
So vergingen die Tage. Ehe Josef schied, verlebten sie noch einen Nachmittag draußen in jenem abgelegenen Garten. Sie saßen unter einem Baum, aßen Früchte und kleine Brote und führten heilige Gespräche bis tief in die Nacht.
Sie wollten die Frist bis gegen Morgen hier im Garten verbringen. Abwechselnd gingen die heiligen Frauen und die beiden Männer in das Häuschen und legten sich zur Ruhe nieder und kamen nach einer kurzen Weile wieder hervor in den mondbeschienenen Garten zu denen, die da wachten, einmal die Männer zu den Frauen, einmal die Frauen zu den Männern.
Da wandelte sie mitten in der Nacht ein Begehren an, ganz still zu sitzen und in die Nacht hinauszuhorchen, als komme von dorten ein Wunder.
Wie sie so saßen und warteten, stand Maria mit einem Mal auf, ging zu Zacharias und sprach zu ihm:
"Lege dein Täfelchen fort. Für diese Nacht bis zum Aufbruch des Tages sollst du die Gnade des Wortes wieder haben."
Er hob erstaunt den Blick und glaubte und begann laut Gott zu loben und zu preisen. Er sprach und lobte Gott laut bis zum Anhub des Tages, und dann sank er in die Stummheit der Strafe zurück, die ihn für seinen Zweifel am Altar zu Jerusalem getroffen hatte.
Als aber Maria dies zu Zacharias gesagt hatte, war es ihr, als rufe sie eine Stimme und befehle ihr, diese drei zu verlassen, und sie ging in das Häuschen.
Da geschah es, dass Maria selbst ein Geheimnis geoffenbart wurde, das ihr bis zur Stunde verschlossen war.
Sie war allein in das Lusthäuschen gegangen, und auch Elisabeth war bei den Männern zurückgeblieben, die im Gebet im Freien saßen. Als Maria allein war, hüllte sie sich mit einer Decke ganz ein und legte sich auf das Lager hin, das Haupt auf einen zusammengerollten Teppich hingeschmiegt. So schlief sie ein.
Da brach aus ihrem Herzen ein Leuchten auf. Und es ging eine Flut von Licht durch das Gemach; ihr Leib schlief, und ihre Seele wachte auf.
Sie sah sich selbst so liegen und schlafen auf dem Lager und gewahrte, wie der Strom von Licht durch die Nacht ging und sich nach allen Seiten verästelte, als suche das Licht über der Erde und an Gräbern tastend hin und wecke das Gestorbene, das schon zu Asche Gewordene zurück ins Fleisch.
Da sah Maria dreimal vierzehn Paare von Menschen von Anbeginn, die Reihe ihres Geschlechtes, aus dem sie entsprossen war. Ein gewaltiger Baum von Licht erhob sich aus uralter Zeit und trieb Äste und Zweige bis her zu Maria. Aus allen Männern dieses Stammbaumes brach ein Strahl von Licht, und dieser Strahl ging in das von Ihnen gezeugte Geschlecht ein und wurde Fleisch, aus dem wieder Licht brach, das zu einem Fleisch wurde, das neue Licht gebar. Und so, wie den Männern das Licht aus dem Mund brach, brach es den Frauen des Geschlechtes aus dem Herzen, und auch ihnen wurde das Licht des Herzens Fleisch, das wieder Licht gebar und wieder wurde zu Fleisch. So stieg der Baum des Lichtes auf und wurde zur Leiter Jakobs.
Von fern her kam in diesem Licht und Fleisch ein glühendes, ein ewiges Licht und floss wie ein Strom mitten in einem Strom.
Es befanden sich unter den Älterherren und Älterfrauen auch solche, die in ihrem Fleisch und in ihrer Seele sündig waren. Aber der ewige Lichtstrom, der da durch die Geschlechter kam, ging selbst durch diese unreinen Glieder hindurch und ging auch auf ihnen, wie ein Mensch auf Sprossen einer Leiter schreitet, und ihre Sünde konnte den Glanz dieses durch die Geschlechter fließenden Lichtes nicht verwandeln.
Das ewige Licht ging durch das Licht der Geschlechter bis in die letzte Blüte dieses Baumes, in Maria selbst, und wurde Fleisch in ihr, ihr eingeborener Sohn, und wandelte den Sohn in Brot und Wein. So wuchs aus dem Fleisch der Menschen das Fleisch des Menschensohnes und das Sakrament. Maria sah, wie das Korn aufwuchs und reifte und wieder Frucht zum ewigen Brot wurde, das die Völker der Erde vom ewigen Tod genesen machte.
Als Maria von dieser Erscheinung erwachte, ging sie in den Garten. Der Mond stand gegen den Hang der Berge zu, und ein leichter Schein verkündete das Nahen der Sonne. Zacharias und Josef hatten ihre Reisemäntel angetan und brachen auf. Die heiligen Frauen schritten mit den Männern hinaus in die Nacht und in den anhebenden Tag und begleiteten Zacharias und Josef durch die Stadt Jutta hinaus ins freie Feld. Dort nahmen sie Abschied von einander. Sie umarmten sich. Die Männer schieden von den Frauen und wanderten gegen Nazaret. Die Frauen gingen zurück in das Haus am Berg zu Jutta.
Drei Tagereisen weit begleitete Zacharias Josef, und dann schieden auch sie. Zacharias kehrte zu den heiligen Frauen heim.
Josef lebte, bis Maria zu ihm zurückkehrte, allein im Haus zu Nazaret. Eine Magd der Mutter Anna ging im Haus ab und zu und besorgte die Geschäfte an Mariens statt.
* * *
Drei Monate blieb Maria bei ihrer Base Elisabeth.
Da kam der Tag, dass Elisabeth eines Knäbleins genas, und Maria war in der Stunde der Geburt bei ihr. Hernach jedoch traf es sich, dass Leute aus Nazareth, die Maria kannten und ihr befreundet waren, durch Jutta kamen; und obwohl das Fest der Beschneidung des Kindes acht Tage nach der Geburt gefeiert werden sollte, wollte Maria die Gelegenheit, in Begleitung dieser Leute nach Nazareth heimzureisen, wahrnehmen und verließ Elisabeth und Zacharias.
So war Maria nicht zugegen, als am achten Tag nach der Geburt bei der Beschneidung des Kindes sich dies begab:
Die Nachbarn und Freunde und die Verwandten der Elisabeth und des Zacharias, zu denen die Kunde von dieser Geburt gedrungen war, kamen am achten Tag in das Haus des Zacharias; es sollte das Kind beschnitten werden. Weil nun Zacharias stumm war, fragten sie die Mutter, wie dies Kind heißen solle. Elisabeth antwortete, es solle Johannes heißen. Dort zu Lande war es jedoch Sitte, dass die Namen von Geschlecht zu Geschlecht sich vererbten, und da nun in der Familie des Zacharias kein einziger war, der Johannes hieß, verwunderten sich die Leute sehr und fragten Zacharias selbst, wie das Kind heißen solle.
Zacharias verlangte sein Täfelchen und schrieb:
"Johannes."
Alle, die zugegen waren, verwunderten sich.
Da geschah es, dass Zacharias, der bis zur Stunde stumm gewesen war, die Zunge wieder gelöst wurde, und dass er anhub, Gott laut zu loben und zu preisen.
"Gepriesen sei der Herr," rief Zacharias, "der Gott Israels,
denn er hat sein Volk heimgesucht
und es erlöst von seinen Sünden.
Ein Horn des Heils hat er aufgerichtet in dem Haus Davids, seines Knechtes,
wie er es durch den Mund seiner Propheten verheißen hat von alters her,
uns zu erlösen von den Feinden
und aus der Hand aller, die uns hassen.
Barmherzigkeit wollte er uns an unseren Vätern beweisen
und seines heiligen Bundes eingedenk sein
und jenes Eides,
den er Abraham geschworen hat,
uns zu erlösen aus der Hand unserer Feinde.
Furchtlos wollen wir ihm dienen in Heiligkeit und Gerechtigkeit
vor seinem Angesicht unser Leben lang.
Und du, Kind, wirst ein Prophet des Allerhöchsten genannt werden.
Du wirst hergehen vor dem Angesicht des Herrn,
wirst ihm seinen Weg bereiten,
wirst dem Volk die Erkenntnis des Heiles mitteilen
zur Vergebung seiner Sünden durch das innige Erbarmen seines Gottes,
damit unsere Füße auf den Weg des Friedens gebracht werden."
Die zugegen waren und dies hörten, wunderten sich sehr. Sie sprachen untereinander: "Was wird wohl aus diesem Kind werden? Die Hand des Allmächtigen ist sichtbar mit ihm!"
Das Kind wuchs, es wurde stark im Geist. Nach einer Weile wurde es in die Wüste verbracht und blieb dort bis zu dem Tag, da es vor Israel auftrat.
* * *
Indessen war auch zu Josef eine Nachricht von der Geburt des Kindes Johannes und der Heimkehr seiner bräutlichen Frau Maria gekommen. Er eilte ihr entgegen bis zur Stadt Dothan und traf sie Dort im Haus des Freundes seines Vaters.
Des anderen Tages, als sie auf der Reise einsam und allein über Land zogen, bemerkte Josef an der Gestalt seiner Frau, dass sie gesegneten Leibes war. Da erschrak er tief in seinem Herzen, denn er wusste nicht, wie solches geschehen konnte. Maria hatte ihm bis zur Stunde von dem Geheimnis jener Nacht nicht gesprochen, in der der Engel ihr die Botschaft gebracht und die Kraft des Allerhöchsten sich auf sie niedergesenkt hatte. Als er sie nun so gesegneten Leibes sah und ihre Heiligkeit kannte und seines eigenen heiligen Versprechens gedachte, das sie sich von ihm erbeten hatte: dass sie auch als seine Frau reine Magd und Braut des Allerhöchsten sein dürfe, - da erwachten in ihm Zweifel und Sorgen über alle Maßen.
Maria sah seinen verwirrten Blick und wusste, was ihn in seiner Seele ängstigte. Da sie sich aber scheute, das, was Gott ihr geoffenbart hatte, ihm zu sagen, versank auch sie in Gedanken und schritt still neben ihm her. Er sah, wie sie selbst in Trauer versank, und wurde nur verwirrter an ihrer Stummheit und an ihrer Trauer.
So kamen sie nach Nazareth. Vor ihrem Haus verweilte Maria und bat Josef, dass sie bei befreundeten Bekannten, die sie in der Stadt hatte, etliche Tage zu Besuch verweilen dürfe, ehe sie in sein Haus zurückkäme. So ging Maria in das Haus der fremden Anverwandten, derweilen Josef allein mit seinen Zweifeln und Sorgen und Ängsten in ihrem Haus wohnte.
Nach drei Tagen sandte Maria einen Boten zu Josef, dass sie des anderen Tages zu ihm in das Haus zurückkehren werde.
In dieser Nacht wurde seine Not so groß, dass er beschloss, Maria zu verlassen und vor Anbruch des Tages heimlich zu entfliehen.
Unruhig lag er in seiner Kammer und suchte vergeblich den Schlaf. Doch als er sich erheben wollte, weil der Tag begann und er aus dem Haus flüchten wollte, übermannte ihn plötzlich ein Schlummer von überirdischer Gewalt. Er fiel auf sein Lager zurück und versank in eine tiefe Ohnmacht. In dieser Ohnmacht erschien ihm ein Engel und tröstete ihn und offenbarte ihm das Geheimnis Mariens.
Der Engel sprach:
"Fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen. Denn der Sohn, den sie gebären wird, wird der Sohn des Allerhöchsten genannt werden."
Josef erwachte und saß horchend aufrecht auf seinem Lager.
Da vernahm er die Stimme Mariens, der Heimgekehrten. Durch eine Wand von ihm getrennt, kniete sie in ihrer Kammer, und zum ersten Mal hörte er, wie sie drüben in der Einsamkeit auf den Knien liegend und mit ausgebreiteten Armen betete:
"Hoch lobpreiset meine Seele den Herrn -"
er vernahm den Lobgesang aus Mariens Mund,
der ihm das Geheimnis ihres Lebens enthüllte,
er blieb im Haus und war ein Knecht Mariens und dem Kind.
* * *
Der Herbst war tief ins Land geschritten. Da zogen Boten des Kaisers umher und verkündeten eine Volkszählung und eine Steuerzahlung. Wer immer Liegenschaften und Ländereien besaß, wurde am Ort dieser Ländereien und Liegenschaften gezählt und besteuert. Die Vielen aber, die kein eigenes Land hatten, mussten in die Stadt ihrer Geburt reisen, sich dort in eine Liste eintragen zu lassen und das Steuergeld zu hinterlegen.
In jenen Wochen bereitete Mutter Anna in ihrem Haus, das etwa eine Stunde weit von Nazareth im Tal Zabulon lag, alles für die Niederkunft ihrer Tochter vor. Sie stickten Teppiche und Binden und Tücher allerlei Art. Mutter Anna ging immer geschäftig im Hause um, Wolle und Garn herbeizuschaffen, es den Mägden auszuteilen und ihre Arbeiten zu bestimmen. Auch Maria war viel im Haus ihrer Mutter Anna zu Gast und bei diesen Vorbereitungen anwesend, wie an sich, solange Mutter Anna lebte, Maria und Josef keinen eigenen Haushalt führten, sondern alles Nötige aus dem Haus der Mutter Anna erhielten. Wenn Maria im Haus ihrer Mutter weilte, dann war eine Magd im Hause Josefs und sorgte für ihn.
Josef selbst strebte seit langem danach, Nazareth zu verlassen und nach Betlehem zu ziehen. Es schien günstiger, in Betlehem sich ein Haus zu bauen und dort Arbeit zu suchen, als in Nazareth zu bleiben. So reiste er denn in jenen Tagen nach Betlehem. Er erkundigte sich dort nach Steinen und Bauholz; auch wollte er erfragen, wie es mit der Einschreibung für die Volkszählung und die Steuerzahlung für ihn bestimmt sei; er schrieb sich selbst aber noch nicht in die Steuerliste ein. Erst wollte er die Niederkunft Mariens abwarten und nach Mariä Reinigung mit Maria selbst zum Tempel nach Jerusalem kommen und dann mit Maria nach Betlehem reisen, um sich dort niederzulassen.
Maria wusste wohl, dass ihr Kind in Betlehem geboren werde. Sie hatte im Tempel von ihren Lehrerinnen heilige Schriften erhalten und in ihnen nach allem gesucht, was auf die Herabkunft des Erlösers Bezug hatte. Im Tempel schon hatte sie dies alles getan, nur aus dem heiligen Verlangen nach der Herabkunft des Ersehnten und weil sie sich wünschte, durch ihr Beten nur um ein kleines Teil beizutragen, dass die Zeit der Bestimmung komme. Seit sie aber wusste, dass auf ihr selbst die Bestimmung lag, Mutter des Herrn zu werden, hatte sie mit den Augen dieser gottestrunkenen Erwählung die Heilige Schrift nach allem Geheimnis und in allen Stellen durchsucht, die auf die Herabkunft des Herrn Bezug nahmen. So hatte sie erfahren, dass Betlehem der Ort sei, an dem der Christ geboren werde. Und obwohl sie all die Anstalten sah, die ihre Mutter für das Kommen des Kindes machte, sprach Maria doch kein Wort und ließ alles geschehen, denn sie glaubte, dass Gott alles fügen werde, wie es in den Prophezeiungen stünde.
Als Josef nun seine Geschäfte in Betlehem verrichtet hatte, eilte er nach Hause; er reiste Tag und Nacht und war um die Mitternacht etwa sechs Stunden von Nazareth entfernt auf dem Feld Chimki.
Da erschien ihm in dieser Nacht auf dem Feld ein Engel und mahnte ihn, mit Maria sogleich nach Betlehem zu ziehen. Der Engel trug ihm alles auf, was er zu dieser Reise mitnehmen solle: nur weniges und geringes Gerät, das Notdürftigste und nichts von all dem Reichen, was Mutter Anna vorbereitet hatte. Nur solle er außer dem Reittier für Maria eine einjährige Eselin mitnehmen, welche noch nicht geworfen habe. Diese Eselin solle er frei laufen lassen; er solle nur dem Weg folgen, den sie einschlagen werde. Als der Engel Josef dies eröffnet hatte, entschwand er, und Josef stand allein in unendlicher Nacht. Er eilte voran, nach Hause zu kommen.
Am Tag zuvor hatte Mutter Anna schon viel, was sie für die Niederkunft vorbereitet hatte, von ihrem Haus im Tal Zabulon hinüber nach dem Haus Mariens in Nazareth bringen lassen. Dann war sie selbst mit Maria in das Haus gekommen, da sie wusste, dass Josef in dieser Nacht heimkehren müsse.
Josef kam gegen Morgen und tat den heiligen Frauen kund, was ihm durch den Engel geoffenbart worden war. Da kehrten sie sogleich in Annas Wohnhaus zurück, und Anna rüstete den Aufbruch, so wie der Engel es Josef bestimmt hatte. Sie wählten eine Eselin für Maria aus, dann eine zweite für Mutter Anna selbst. Josef schritt voran und führte das Maultier Mariens, und so zogen sie südwärts bis zum Feld Chimki, auf dem der Engel in der Nacht zuvor Josef erschienen war. Hier besaß Mutter Anna ein Weidefeld und große Herden, und hier wählten sie erst die einjährige Eselin aus, die nach der Bestimmung des Engels Josef den Weg zeigen sollte. Dann nahmen Mutter Anna und Maria Kleophä, die mitgekommen war, Abschied von den heiligen Reisenden, und Mutter Anna ritt auf ihrem Tier mit den Knechten zurück.
Maria und Josef zogen weiter südwärts gegen das Gebirge Gilboa. Die junge Eselin vom Feld Chimki lief ihnen voraus. Spielend lief sie einmal zur Rechten und einmal zur Linken oder auch hinter den heiligen Reisenden drein. Nur wenn eine Wegkreuzung kam, eilte sie herbei und schritt den heiligen Reisenden voran.
Sie mieden die Städte und zogen einsame Wege. So erreichten sie auf einem Berg nicht weit von der Stadt Ginim gegen Samaria ein hochgelegenes Gut, das gehörte einem Freund ihrer Familie mit Namen Lazarus. Der Verwalter des Hauses und dessen Frau begrüßten Maria und Josef aufs freundlichste und wunderten sich sehr, dass sie bei diesem Zustand Mariens die schwere Reise unternehmen wollten. Sie schüttelten die Köpfe, schwiegen aber aus Ehrfurcht, da sie die Geheimnisse der Reise nicht zu erraten vermochten.
Des anderen Tages, schon am frühen Morgen, reisten sie durch ein Tal, in dem die Kälte an den Hängen stand. Es hatte gereift. Maria fiel die Sorge an, dass die Kälte ihr und dem Kind schaden könne. Es war noch ganz nächtlich rundum. Da bat Maria Josef, nach einem Ort Ausschau zu halten, an dem sie rasten könnten.
Kaum hatte sie diesen Wunsch ausgesprochen, kam die Eselin herbeigelaufen und führte sie zu einem Terebinthenbaum. Josef breitete Decken für einen Sitz der heiligen Jungfrau auf den Boden aus und half ihr vom Reittier. Dann nahm er eine Lampe, zündete das Licht an und hängte das Licht in die Zweige des Baumes.
Die heilige Jungfrau flehte gar innig zu Gott, er möge sie und ihr Kind vor diesem Frost beschützen. Da drang eine so große Glut durch ihren Leib, dass sie dem heiligen Josef ihre Hand hinreichte, damit er sich an ihr wärme. Sie erquickten sich auch an kleinen Broten und Früchten und tranken einen Schluck mit Balsam gemischten Wassers, das Josef in einem Krüglein mit sich führte. Dann lehnte sich Maria an den Baum zurück und schloss die Augen. Da wurde es ihr offenbar, dass sie nach göttlichem Beschluss an diesem Ort rasten sollte.
Es war diese Terebinthe ein alter, heiliger Baum des Haines Moreth bei Sichem.
Hier war der Herr einst Abraham erschienen, als er in das Land Kanaan zog, und hier war Abraham vom Herrn dies Land versprochen worden, ihm und seinen Nachkommen.
Hier hatte Abraham dem Herrn zum Dank einen Altar gebaut.
Ehe Jakob sodann nach Bethel zog, dem Herrn zu opfern, begrub er unter dieser Terebinthe alle fremden Götzenbilder Labans und das Geschmeide, das seine Familie mit sich führte.
Unter dieser Terebinthe hatte Josua die Stiftshütte errichtet und die Bundeslade hineingestellt.
Hier hatte das versammelte Volk den Götzen entsagt.
Unter dieser Terebinthe wurde Abimelech, der Sohn Gideons, von den Sichemiten als König begrüßt.
Nun ruhte die Mutter des Herrn und der Herr selbst in ihrem Schoß an diesem geweihten Ort. Einen Augenblick empfing Maria die Gnade des Schlafes. Dann erwachte sie gekräftigt, der Morgen kam herauf, und sie zogen weiter.
* * *
Als sie etliche Stunden gereist waren, kam Maria von neuem die Müdigkeit an. Sie traf mit Josef auf einen Bauernhof und bat dort um ein Unterkommen. Die Frau dieses Hofes war aber nicht anwesend, und der Mann wies Josef schroff ab, so dass sie weiterziehen mussten. Doch nur eine kurze Strecke vom Haus entfernt fanden sie einen leeren Hirtenschuppen, und als sie hinzutraten, sahen sie, dass die Eselin sich hier niedergelassen hatte. Da machten sie in diesem Schuppen Rast.
Bald kamen einige Hirten und fanden sie. Die gaben ihnen Stroh und Schilf und kleine Reisigbündel, damit sie sich Feuer machen und sich wärmen könnten. Von den heiligen Reisenden ging eine solche Ehrfurcht auf die Hirten über, dass sie bang und erschrocken blickten, scheu wurden, mit Maria und Josef zu plaudern, und es sie doch drängte, ihnen allerlei Gutes zu tun.
Da die Hirten erfuhren, dass die beiden Reisenden in dem Bauernhof abgewiesen worden waren, gingen einige von ihnen in den Bauernhof und überhäuften die Wirtin, die indessen heimgekehrt war, mit Vorwürfen. Die Frau, die nicht wusste, um was es sich handelte, stellte ihren Mann zur Rede und ging dann selbst in den Schuppen, die fremden Leute zu sehen, kehrte aber vor dem Schuppen um, weil sie nicht einzutreten wagte. So holte sie erst einige Speisen und kehrte mit diesen Gaben zum Schuppen zurück. Danach kam auch der Mann und bat Josef um Vergebung, dass er ihn abgewiesen habe. Er gab Josef eine Reihe von Ratschlägen, wie er reisen könne, um noch vor Einbruch des Sabbats in eine gute Herberge zu kommen.
So machten sich Maria und Josef wieder auf den Weg. Nach einer Stunde erreichten sie auf der Höhe jene Herberge, die ihnen bezeichnet worden war. Doch die Herberge war mit Menschen überfüllt. Als aber die Frau des Wirts die heilige Jungfrau gewahrte und sah, wie demütig und innig die beiden Fremden um Herberge nachsuchten, wurde die Frau von einer tiefen Rührung ergriffen, und auch der Wirt konnte nicht widerstehen. So schufen sie in einem naheliegenden Schuppen einen bequemen Raum für die heiligen Reisenden und stellten ihre Lasttiere in den Stall. Josef bereitete hier die Sabbatlampe und hängte sie in das Gebälk des Schuppens. Dann standen Maria und Josef darunter. Sie sprachen die Gebete des Sabbats. Hernach aßen sie auch noch einige Bissen und legten sich dann auf die Matten zur Ruhe nieder.
Maria und Josef verbrachten den Sabbat in gemeinsamem Gebet. Doch kam am Sabbat auch die Wirtin mit ihren beiden Kindern. Sie saßen traulich zusammen, und die Frau war von einem heiligen Schauer berührt. Sie saß neben Maria still in sich versunken und sah, wie Maria mit den Kindern spielte und die Kinder aus den Schriftrollen lesen ließ, die sie mitgebracht hatten, und wie sie die Kinder über allerlei belehrte. Der Wirt selbst ging mit Josef in die Gärten und Felder und zeigte ihm all seine Habe und sprach mit ihm auch über die Herabkunft des Heilandes.
Des anderen Tags, als Maria und Josef wieder aufbrechen wollten, kamen die Wirtin und der Wirt herbei und baten sie, sie möchten doch bleiben. Sie wollten Marien eine bequeme Stube einrichten, in der sie ihre Niederkunft erwarten könne. Die Frau bot ihr von ganzem Herzen alle Liebe und alle Pflege an. Doch zogen Maria und Josef weiter südwärts durch das Gebirge. Von fern sahen sie auf dem Berg Garizim den Tempel und die Löwen und allerlei heiliges Getier auf dem Dach des Tempels, das weiß in der Sonne lag.
Hernach, als sie wohl Stunden gewandert waren, kamen sie an ein großes Hirtenhaus. Der Mann des Hauses war Aufseher über Bäume und Gärten, die zu einer naheliegenden Stadt gehörten. Es war die Sonnenseite des Gebirges, und die Hänge waren fruchtbar und voller Segen. Hier wohnte ein frommes Geschlecht von Hirten, und Maria und Josef wurden von ihnen gut aufgenommen. Die Hirten hatten etliche Töchter, die später sich mit Knechten aus dem Gefolge der heiligen drei Könige, die hier im Land zurückblieben, verehelichten.
Des anderen Tages gegen Abend pochte Josef an eine Herberge, aber der Wirt schimpfte von innen heraus und war unwillig und hieß die Fremden weitergehen; und Josef und Maria zogen weiter. Sie fanden in dieser Nacht in einem Schuppen der Hirten Unterkunft, der frei auf dem Feld stand.
Tags darauf kamen sie an die Grenze zwischen Samaria und Judäa. Als sie mehrere Stunden von Bethanien waren, verlangte Maria nach Erquickung und Ruhe. Josef, der die Gegend kannte, lenkte das Tier vom Weg ab, da er in der Nähe einen Feigenbaum wusste. Er tröstete Maria und sagte ihr, dass sie dort Ruhe und Erquickung fände. Doch als sie hin kamen, war der Baum ohne Früchte. Es wurde inzwischen dunkel, und sie mussten weiterziehen und ließen sich von der Eselin führen. Da kamen sie an eine Herberge und baten demütig um Unterkunft.
Der Wirt war roh und grob. Er kam mit der Laterne und leuchtete Maria ins Angesicht und verspottete Josef, dass er mit einer so jungen Frau durch die Nacht ziehe. Er müsse wohl eifersüchtig sein, dass er seine Frau so im Land umherschleppe, statt sie in diesen Zeiten zu Hause zu lassen. O ja, sie sei schön. Die Hausfrau kam, und wieder leuchtete der Wirt Maria ins Angesicht. Da wurde die Frau von Mitleid zu Maria ergriffen und bat, sie möge ihr nur folgen. Mit viel Freundlichkeit gab sie den beiden einen Raum in einem Seitengebäude. Aber auch der Wirt schämte sich seiner Art und kam herbei und bat die beiden Reisenden um Vergebung.
Des andern Tages mussten sie wiederholt einkehren, weil für Maria die Reise immer schwieriger wurde. Josef tröstete Maria, dass sie doch bald am Ziel seien, und in Bethlehem habe er viele Freunde, so dass sie ein gutes Unterkommen fänden, und alle Leiden der Reise werde sie dann leicht vergessen, wenn sie von seinen Freunden umhegt und beschützt in Bethlehem sei.
Sie kamen auch in ein Haus, in dem Hirten wohnten, aber diese Hirten hatten Handel getrieben und waren reich geworden. So waren sie nicht mehr so schlicht und einfältig wie die anderen Hirten des Landes. Sie nahmen die heiligen Gäste wohl auf, doch wenig freundlich. Sie wiesen ihnen einen Ort an und kümmerten sich nicht mehr um sie, bis sie wieder weiterzogen.
Und wieder in einem anderen Haus nahm der Wirt sie freundlich auf und bot ihnen alle Dienste an. Sie wurden in einen bequemen Raum geführt und der Esel mit versorgt. Ein Knecht musste Josef die Füße waschen und eine Magd tat Maria die gleichen Dienste. Dann legten sie sich nieder und schliefen.
Der Wirt hatte eine Frau, die von kranker Gemütsart war. Die schlich herbei und schaute durch einen Spalt in der Wand hinüber zur Jungfrau Maria, und da sie ihre Schönheit bemerkte, ärgerte sie sich darüber. Sie selbst war jung und eitel. Auch verbarg sie sich darum vor Maria, weil sie fürchtete, Maria möge sie daraufhin ansprechen, dass sie hier bleiben und ihre Niederkunft erwarten dürfe. So hielt sie sich verborgen, bis die beiden Reisenden wieder hinweg gezogen waren. Dreißig Jahre später kam Jesus in dieses Haus und fand diese Frau blind und zusammengekrümmt; er hatte Mitleid mit ihr und heilte sie.
* * *
Josef und Maria waren nun schon viele Tage gewandert. Sie hatten noch eine Tagereise nach Bethlehem. Da kamen sie an einen Ort, der mit zwei Reihen von Häusern mit Gärten und Vorhöfen an einer großen Landstraße lag. Josef hatte hier Verwandte. Aber er hielt bei ihnen nicht an, sondern zog durch das Dorf hindurch. Draußen wusste er eine große Herberge, in deren Hof ein Springbrunnen mit vielen Röhren war. In der Nähe zog die Straße nach Jerusalem vorüber.
Als sie hier ankamen, fanden sie die Herberge von Menschen überfüllt. Es war ein Leichenfest. Der Wirt und die Wirtin, die hier unter ihren Gästen umgingen, sahen von fern die neuen Ankömmlinge und wiesen etliche Diener an, sie zu empfangen und für sie zu sorgen. So führten die Diener sie abseits in einen Nebenraum, in dem durch Matten, die von den Wänden niedergelassen wurden, sich kleine Gezelte schaffen ließen. Hier, abgesondert von der Leichenfeier, ruhten Maria und Josef von der schweren Reise aus, indessen nebenan in dem großen Gehöft der Herberge sich das Trauerfest vollzog. Doch hernach, als der Tote bestattet war, kamen der Wirt und die Wirtin auch zu Maria und Josef in deren Gezelt, und auch sie waren von der Schönheit Mariens in tiefer Seele berührt. Die Hausfrau bat Maria, zu bleiben und ihre Niederkunft abzuwarten. Maria aber sagte mit niedergelassenem Schleier, sie habe noch sechsunddreißig Stunden Zeit.
Der Wirt bedeutete Josef, dass sie es schwer hätten, in Bethlehem eine Herberge zu finden. Jedoch Josef wollte es nicht glauben und beteuerte, er habe Freunde, die für alles sorgten. Er versprach Maria, dass für sie gewiss alles auf das Beste in Bethlehem bereitet sei, und so zogen sie weiter, ohne zu wissen, was ihrer wartete.
Von ihrer letzten Herberge bis nach Bethlehem hatten Maria und Josef noch drei Stunden Weges. Sie zogen um die Nordseite von Bethlehem herum und näherten sich der Stadt von Westen her. Vor der Stadt hielten sie unter einem Baum, und Maria stieg von dem Esel und ordnete ihre Kleider.
In der Nähe war ein Haus, das mitten zwischen kleinen Gehöften lag.
Es war das Vaterhaus Josefs.
Als Josef aber näher kam, sah er, dass viel Volk in Zelten rundum lagerte. Es war die römische Schatzungskommission in dieses Haus eingezogen, es wimmelte von fremden Soldaten, Pharisäern, Sadduzäern, Priestern, Ältesten, Beamten. Schreiber aller Art von jüdischer und römischer Seite saßen da in einzelnen Gemächern und gingen aus und ein. Rundum aber unter den Zelten lagerte viel Volk, das gekommen war, sich einschreiben zu lassen und die Steuern zu bezahlen.
In einem Seitengebäude wohnten auch noch Verwandte Josefs. Doch als er bei ihnen vorsprach, taten sie, als kennen sie ihn nicht recht. So ging Josef zunächst in eines der Gemächer, in das er hingewiesen wurde, sich einschreiben zu lassen. Hier musste er lange warten, bis er an der Reihe war. Dann musste er seinen Namen nennen. Auf langen Listen wurde nun sein Stammbaum nachgesehen. Da hingen die Namen der Geschlechter in langen Rollen. Als sie Josef nach seinem Vermögen fragten, gab er an, dass er keine Liegenschaften besitze, und dass er nur von seinem Handwerk und von der Unterstützung der Mutter seiner Frau, der Mutter Anna, lebe. Da wurde ihm denn bedeutet, welche Steuer er zu entrichten habe, in drei Monaten in drei Teilen:
Eine erste Zahlung an die Kasse des Kaisers Augustus, des Königs Herodes und eines ägyptischen Königs, der dem Kaiser Kriegsdienste geleistet hatte;
sodann eine zweite Zahlung für den Tempelbau und eine dritte für die Witwen und Waisen des Landes.
Doch war viel Unwille im Volk über diese Steuern, vor allem über die Steuer für die Witwen und Armen, da nur ein geringer Teil davon in die Hände derer kam, für die sie bestimmt war, und das meiste in den Händen derer blieb, die sie einzogen.
Sodann fragten die Schreiber Josef auch nach seiner Frau und zeigten ihm den Stammbaum Mariens. Er wurde hinausgeschickt, seine Frau zu holen.
Josef ging zurück zu dem Baum, unter dem Maria noch auf ihn wartete, und führte sie in den Hof seines Vaterhauses. Dort zwischen den Gezelten waren auch Frauen, die für die Soldaten und Fremden kochten. Diese Frauen nahmen Maria gar lieb auf, gaben ihr auch zu essen, bis Josef kam, sie vor die Steuerbeamten zu rufen.
Als die Steuerbeamten Maria sahen und erkannten, in welchem Zustand sie sich befand, sagten sie zu Josef, dass er unter diesen Umständen nicht genötigt gewesen sei, sie zu bringen. Dann neckten sie ihn wegen der Jugend seiner Frau, sodass er sich vor Maria schämte und Sorge hatte, sie möchte glauben, die Menschen am Ort seiner Geburt achteten seiner nicht.
Als all dies erfüllt war, kehrten Maria und Josef zu dem Baum zurück, an dem der Esel angebunden ihrer wartete. Die frei laufende Eselin war nicht zu finden. Nun führte Josef den Esel am Zaum vorwärts, und Maria ging hinterdrein. So zogen sie durch ein zerstörtes Tor in Bethlehem ein.
Am Anfang der Straße hielt Josef an, gab Maria den Zaum des Tieres und bat, sie möge ein Weilchen warten. Er tröstete sie, er werde jetzt bald zurückkommen und ihr eine Herberge verschafft haben, dass sie sich ihrer in Ruhe freue. Dann trat er in das erste Haus, in dem er Freunde wusste. Aber auch hier taten die Leute, als kennen sie ihn nicht, und er ging von Haus zu Haus, die ganze Straße hin, indessen Maria wartete. Nach langer Frist kam Josef zerstörten Angesichts und mit Tränen in den Augen. Er hatte nichts gefunden.
Sie zogen tiefer in die Stadt, und noch etliche Male blieb Maria mit dem Tier an einer Straßenecke stehen, während Josef von Haus zu Haus ging. Aber immer wieder kam er, ohne dass er eine Herberge gefunden hatte. Nur scheu schleichend kehrte Josef zurück, weil er ja Maria versichert hatte, wie leicht er ihr eine schöne Herberge bei seinen Freunden und Bekannten erwirken könne, und nun stand er da wie ein völlig Fremder, in seiner eigenen Vaterstadt schier wie ein Ausgewiesener.
Da nahm Josef das Tier wieder am Zaum und sagte Maria, sie wollten in ein anderes Stadtviertel gehen, dort sei es leichter, und sie fänden sicher ein Unterkommen.
Sie zogen die Straße zurück und etliche Gassen südwärts. Die Häuser wichen auseinander und lagen von der Straße ab, die schier ein Landweg zu werden schien, seitwärts an den Hängen.
Auch hier ging Josef von Haus zu Haus, und je inbrünstiger er um Herberge bat und je mehr er den Menschen davon sagte, das seine Frau ihrer Niederkunft entgegensehe, desto weniger wollten sie ihm Herberge geben, denn sie alle fürchteten von solchen Gästen allerlei Last.
Zum dritten Mal zogen sie nach einer anderen Seite von Bethlehem. Immer weiter wichen die Häuser auseinander. Sie kamen an einen freien Platz, der einem offenen Feld glich. Dort stand eine Art Schuppen und nicht weit davon ein großer Baum mit weit ausgebreiteten Ästen. Dorthin führte Josef die heilige Jungfrau und bereitete ihr unter dem Baum aus Decken einen bequemen Sitz und bat sie, sie möge hier ruhen, derweilen er in den nächsten Häusern nach Herberge suchen. Der Esel stand angebunden am Baum.
Maria lehnte sich anfangs aufrecht an den Baum. Ihr reinwollenes, weites Kleid hing gürtellos und faltig an ihr nieder. Ihr Haupt war weiß verschleiert. Und obwohl es einsam war, kamen doch, da die Stadt überfüllt war, viele Menschen hier vorüber und sahen die junge und schöne Frau, demütig und geduldig am Baum wartend. Dann setzte sie sich mit untergeschlagenen Füßen auf die Decke nieder und saß da, die Hände unter der Brust gekreuzt und ihr Haupt gesenkt. Von Zeit zu Zeit kehrte Josef immer wieder zurück und bat sie um Geduld und brach von neuem auf, Herberge zu suchen. Zuweilen blieben Leute stehen, kamen zu Maria heran und fragten sie, wer sie sei, und machten Josef Vorwürfe, dass er mit seiner jungen Frau in diesen Stunden auf eine solche Reise gegangen sei. Aber keine Hand regte sich zur Hilfe. Sie kamen herbei, fragten voller Neugier die junge Frau aus, die sie am Boden sitzen sahen, und fragten auch den verzweifelten Mann, zuckten die Achseln und gingen weiter.
Endlich sagte Josef, dass er es aufgeben müsse, in der Stadt selbst noch weiter zu suchen. Aber er kenne von seiner Jugend her außerhalb der Stadt Bethlehem ein Obdach. Dorthin sei er selbst oft geflohen, wenn seine Brüder ihn gequält hätten.
So stand Maria auf. Sie zogen ostwärts aus Bethlehem hinaus, - es war auf einem einsamen Fußpfad zwischen zerfallenen Mauern und Hängen und Wällen und untergegangenen Stadtteilen. Sie kamen zu einem Platz, von dem ein Hügel emporstieg. In diesem Hügel befanden sich allerlei Höhlen, von denen die Hirten etliche zu Kellerräumen und zu Futterschuppen für ihre Tiere ausgebaut hatten. In anderen Höhlen wieder wohnten jene Essenerinnen, jene heiligen Frauen, zu denen Josef als Kind so oft geflohen war.
Josef zog nach dem Südhang dieses Hügels. Dort wusste er im Tal der Hirten ein einsames Gewölbe, das sich die Hirten zu einem Stall zurecht gemacht hatten. Doch um diese Jahreszeit waren die Hirten zumeist nicht hier, sondern drunten im Tal, das nach ihnen das "Tal der Hirten" genannt wurde. Die Höhle lag einsam und verlassen.
Die Sonne stand schon tief, als sie dort ankamen, und siehe, dort fanden sie die einjährige Eselin. Sie kam ihnen aus dem Tal der Hirten entgegen.
Maria sprach zu Josef: "siehst du, es ist der Wille Gottes, dass wir hier einkehren."
Josef war jedoch tief betrübt und beschämt, weil er Maria eine so gute Aufnahme in Bethlehem versprochen hatte und sie nun hier in diesen armseligen Raum geleiten musste.
Die Höhle war in den Berg eingegraben, aber nach Süden hin durch eine Mauer abgeschlossen, sodass zwei Eingänge, einer von Abend her und einer von Mittag her, ins Innere führten. In dieser mit Mauern aufgeführten Wand befanden sich auch drei vergitterte Luft- und Lichtlöcher, und dieser Mauer vorgebaut lief ein überdachter Säulengang. Auf schlichten, rohen Säulenpfosten lag ein aus Binsen geflochtenes Dach, sodass man hier im Freien und doch überdacht sitzen und rückwärts nach der Stadt Bethlehem oder südwärts ins Tal der Hirten schauen konnte.
Josef stellte das Maultier unter dieses Obdach und bereitete dann der heiligen Jungfrau daneben einen Ruhesitz. Dann öffnete er die Flechttür an der Grotte des westlichen Eingangs. Der Raum war eng. Ringsum standen viele Bündel Stroh und Binsen, die die Hirten hier aufgestaut hatten. An den Wänden hingen braune Matten. Auch allerlei Holzgegenstände hatten sie hier untergebracht. Josef räumte nun alles hinaus unter den überdachten Säulengang, damit Maria eine bequeme Ruhestätte fände.
Zunächst war da ein schmaler Gang, der sich jedoch sogleich weitete und sich gegen den Berg, gegen Norden zu, wie ein Halbbogen öffnete, nach Süden gegen die Mauer hin, befand sich ein kleines Gelass. Hier wollte Josef selbst sich sein Lager bereiten. Dies Gemach trennte er später durch eine Matte, die er von der Decke herunterließ, von dem Raum, in dem Maria wohnte. Diese erste kleine Grotte endete in einen Gang, von dem ein Schacht zur Linken noch tiefer in den Berg hinein in eine kleine, abgetrennte Höhle lief. Zur Rechten führte ein Gang hinaus ins Freie. Auch hier war die Tür mit Strohbündeln und allerlei Gegenständen verstellt. Josef machte sie auf, ließ Luft herein und schloss sie später wieder, dass die Zugluft der Nacht Maria keinen Schaden zufüge.
Ostwärts weitete sich in einem Rundbogen die eigentliche große Krippenhöhle. Durch diese zog ringsum ein steinerner Sockel; zur Linken gegen den Berg war eine Feuerstelle und zur Rechten, in den steinernen Sockel eingelassen, ein Krippentrog. In diesen pflegten die Hirten Wasser für ihre Tiere hineinzuschütten. Über diesem Trog befand sich eine Holzraufe für das Futter. Hinter der Feuerstelle und dem Krippentrog weitete sich die Höhle in einem Halbkreis gegen Osten. Nur zur Linken gegen den Berg war noch einmal eine Nische in den Berg eingeschlagen. Dort stauten die Hirten Futter für ihre Tiere auf.
Josef räumte auch diese Ecke aus, führte dann den Esel herein und band den Strick an einen Haken, der hier in der Mauer saß. Die einjährige Eselin streifte draußen im Tal. Im östlichen Winkel der Höhle bereitete Josef Maria das Lager. Er schüttete Stroh und Heu auf die Erde, breitete eine Decke darüber, die er mitgebracht hatte, rollte eine zweite Decke zu einem Wulst zusammen und legte sie zu Häupten. Dann ging er hinaus und bat Maria demütig und mit vielen Entschuldigungen und führte sie zu ihrem Lager. Maria aber war von großer Innigkeit erfüllt und wie durchleuchtet von einer tiefen inneren Freude und Zufriedenheit.
Josef befestigte eine Lampe im Gebälk, nahm einen Lederschlauch und stieg den Berghang etwas hinunter gegen die Stadt, wo er eine Quelle wusste.
Er holte Wasser herbei und ging dann noch einmal hinunter in die Stadt. Es war der Sabbat nahe, und an den Straßen standen Tische mit allerlei Lebensmitteln und Dingen, die zu den unentbehrlichsten Lebensbedürfnissen gehörten. Hier kaufte Josef einige kleine Schüsseln wie auch ein paar Früchte, einige Bündelchen mit Reisig und glühende Kohlen, die er in einem kleinen Geschirr, das er mit sich führte, zur Höhle trug. Aus Mais und gelben Körnern und einer dicken, gekochten Frucht bereitete er eine Speise. Die brachte er zu Maria, und nun aßen sie davon und verzehrten auch etliche kleine Brote. Nach dem Mahl traten sie unter die Lampe zusammen und beteten zur Nacht die Gebete des Sabbats. Maria hüllte sich darauf ein, sich zur Ruhe zu legen, Josef aber ging noch einmal in die Stadt, Herberge zu suchen. Tief betrübt kam er wieder und weinte. Er trug noch etliche Bündel Heu und Stroh vor die südliche Tür, damit keine Zugluft zu ihr hereinkönne, dann ging er in sein kleines Gelass. Dort blieb er noch lange wach. Durch eine Matte von dem Gemach Mariens abgeschlossen, lag er auf seinen Knien und betete er in der Nacht in tiefer Betrübnis und unter Tränen.
Den Sabbat verbrachten Maria und Josef in der Höhle mit Gebet und Andacht. Etliche Male ging Josef nieder nach Bethlehem zur Synagoge. Dann saß Maria in stiller Betrachtung in der Höhle. Mehrmals aßen sie auch gemeinsam von der Speise, die Josef tags zuvor für den Sabbat vorbereitet hatte. Des Nachmittags, als das Volk von Bethlehem, wie es an solchen Tagen Brauch war, aus der Stadt heraus und über das Land lustwandeln ging, kam Josef zu Maria und sagte ihr, dass er noch einen anderen Raum kenne, zu dem er sie führen wolle. In der Nähe dieser zweiten Grotte stehe ein großer Baum, darunter habe er Maria einen bequemen Sitz bereit, dass sie im Freien sitzen und hinunter auf Bethlehem und auf das Tal der Hirten schauen könne. So ließ sich denn Maria von Josef hinweggeleiten.
Sie verließen die Krippenhöhle durch die zweite Tür, die unmittelbar nach Süden führte, wandten sich um ein Geringes gegen Osten und stiegen den Hang hinunter zu dem Baum, unter dem Josef den Sitz für Maria bereitet hatte. Dort saßen sie auf Teppichen am Boden, und Josef erzählte Maria, dass hier, nahe bei dem Baum, der Eingang in eine geheime, heilige Grotte sei, die die "Höhle der Säugenden" genannt werde. Josef wusste das von seiner Kindheit her. Die Grotte war nach Maraha, der Amme Abrahams, benannt.
Ehe Abraham geboren war, wurde dem König des Landes eine Weissagung zugetragen, es werde ein Kind zur Welt kommen, das die Herrschaft dieses Königs an sich reiße. Da ließ der König durch Häscher das ganze Land nach werdenden Müttern absuchen, denn er wollte alle Kinder töten, die in jener Zeit geboren würden, auf welche die Prophezeiung lautete. Den Häschern war es jedoch entgangen, die Mutter Abrahams in die Liste dieser werdenden Mütter aufzunehmen, und so gebar sie Abraham in aller Stille und Heimlichkeit. Als hernach aber auf das Gebot des Königs alle in jener Zeit geborenen getötet wurden und auch ihr Haus durchstöbert und das Kind gefunden wurde, schien es den Häschern, als ob dieser Knabe, der sehr stark war, schon älter sei; so ließen sie ihn am Leben. Da gab die Mutter Abrahams ihr Söhnlein ihrer Magd Maraha. Die flüchtete mit dem Kind in diese Höhle und verbarg sich mit ihm durch viele Jahre. Später, als der Knabe Abraham wieder an das Licht und durch etliche unvorsichtige Äußerungen abermals in Gefahr kam, band sich die Amme Maraha das Kind mit Tüchern auf den Leib und floh von neuem in diese Höhle.
Um all dieser Liebe willen, die Abraham von seiner Amme Maraha empfangen hatte, ehrte er sie wie seine zweite Mutter und führte sie auf seinen Zügen stets mit sich. Als sie hochbetagt starb, bereitete er ihr in dieser Höhle ein Grabmahl, und viele fromme Frauen des Landes, die um dieses Geheimnis wussten, pilgerten, wenn sie in Nöten waren, zum Grab der Maraha, zur "Höhle der Säugenden"; es ging die Prophezeiung um, dass auch der Messias einst von seiner Mutter in dieser Grotte verborgen werde, wie Maraha hier den Abraham verborgen habe. All dies erzählte Josef Maria, als sie unter dem Baum über der Stadt Bethlehem und über dem Tal der Hirten saß. Dann führte er sie in die Höhle der Säugenden hinein, dorthin, wo das Grab der Amme Abrahams war. Maria stand lange in Gedanken und in Gebeten versunken dort. Endlich führte Josef sie hinaus. Wieder ließen sie sich draußen unter dem Baum nieder.
Gegen Abend verließ Josef nochmals Maria. Er ging in die Stadt und kaufte noch allerlei ein: einen kleinen Schemel, ein niedriges Tischchen, etliche Schüsselchen, getrocknete Früchte und Trauben. Dann bereitete er Maria das Lager, stieg zu jenem Baum, unter dem Maria noch immer weilte, nieder und geleitete sie zur Krippenhöhle empor.
Auf diesem Weg, als Maria sich auf den Arm Josefs stützte, hielt sie inne und sagte ihm, dass um die zwölfte Stunde in dieser Nacht der Christ geboren werde. Denn dann seien die neun Monate um, seit ihr der Engel die Botschaft gebracht habe.
Da führte Josef sie in die Krippenhöhle zu dem Teppich, den er an der östlichsten Stelle des Raumes für sie hingebreitet hatte. Maria kniete sich auf den Teppich nieder und versank sogleich in ein stilles Gebet. Josef hängte etliche Lampen auf und trat dann leise zu Maria heran, sie zu fragen, ob er nicht hinunter in die Stadt gehen und von dort einige fromme Frauen holen solle, die ihr beistehen könnten. Sie bat ihn, er möge sie in dieser Nacht allein lassen.
So kehrte er an seine Schlafstelle zurück, richtete dort noch etliche Stäbe auf und trennte seinen Schlafraum durch Matten, die er über dieses Gezäune hängte, ganz ab von dem Raum, in dem Maria war. Er ging noch einmal in die Grotte, dem Esel Futter vorzuwerfen, und dann trieb ihn eine Unrast vor die Krippenhöhle hinaus. Da sah er, dass die junge Eselin, die bis zur Stunde frei umhergelaufen, zur Höhle gekommen war und ihm nun munter entgegenlief, als wolle sie mit ihm spielen. Er band die junge Eselin vor der Höhle unter dem Obdach an und streute ihr Futter.
Die Nacht lag dunkel und trübe über Bethlehem. Der Himmel hatte einen rotdurchwirkten Schimmer, und über der Krippenhöhle, den Hang hinunter über der Grabhöhle der Maraha und dem Tal der Hirten begann sich ein glänzender Lichtnebel zu bilden.
Josef kehrte in die Grotte zurück. Als er noch einmal die Matte hob, zu Maria hineinzugehen, sah er sie gegen Osten gewandt auf dem Teppich knien; er sah sie wie von Feuer umgeben, so wie Mose Gott im brennenden Dornbusch gesehen hatte. Da wich er zurück und fiel betend auf sein Angesicht.
Es kam die Mitternacht heran. Maria kniete in verzücktem Gebet auf ihrem Teppich. Die Welt versank vor ihrem Bewusstsein, sie fühlte sich schwebend in einem Feuer göttlichen Lichtes, das sie umfloss und von ihr ausging. Das Licht, das so von ihr ausbrach, durchstrahlte die ganze Höhle, dass die Lichter der Laternen, die Josef aufgehängt hatte, ertranken.
Dann spürte sie, wie ihr Herz sich in ihrem eigenen Leib teilte, wie die eine Hälfte ihres Herzens aus ihrem Leib herausbrach und wie ein Göttliches, das bisher in ihr gewesen war, sie nun verließ und als ein kleines, leuchtendes Licht vor ihr auf dem Teppich lag.
Um die gleiche Stunde war es ihr, dass die Decke des Raumes über ihr auseinanderwich, und dass eine Lichtbahn von fernher zu ihr niederging und sie ganz in sich umfing; sie fühlte sich in diese Lichtbahn selbst emporgehoben und gewahrte, wie in dem Licht die Umrisse von Gestalten auftauchten und schließlich ein Meer von Geistern sie umringte und sie emportrug zu Vater, Sohn und Geist.
Sie sah von der Höhe des Himmels, in die sie sich erhoben fühlte, auf die Erde nieder und gewahrte sich selbst, kauernd auf dem Teppich, und vor ihr das kleine Leuchtende, das wuchs und wuchs und ein Kind wurde im Fleisch. So sah sie alles in der Verzückung.
Da vernahm sie das erste Wimmern des Kindes, sie wollte sich aus den Himmeln zu ihm niederbeugen; in der Lichtbahn glitt sie wieder zur Erde zurück und ging in ihren eigenen irdischen Leib ein, aus dem sie erhoben worden war.
Sogleich erwachte Maria aus ihrer Verzückung in der Höhle, hörte das wimmernde Kind und nahm ein Decklein, das ihr zur Seite lag, und legte es über das Kind, da es fror.
Erst wagte sie nicht, es zu berühren.
Doch da das Kind weinte und weinte, hob sie es mit unsäglicher Liebe auf und legte es an ihre Brust und reichte ihm zum ersten Mal die Brust, es zu nähren, und schlug den Mantel um das Kind, dass es nicht mehr friere. Da schwieg das Kind und schlief ein.
Eine Stunde wohl saß sie so mit dem Kind in Andacht versunken und von einem namenlosen Glück durchflossen. Dann stand sie auf.
In der Krippenhöhle seitwärts im Trog der Tiere hatte Josef dem Kindlein ein Lager bereitet. Er hatte den Trog mit Binsen gefüllt und darüber weiches Moos gebreitet und allerlei duftende Kräuter und darüber ein Linnen gelegt, das am Trog niederfloss. Dorthin trug nun Maria das Kind und legte es hinein. Sie umwickelte seinen kleinen Leib mit einem roten, dann mit einem weißen Tuch. Dann ging sie zu den Matten, durch die Josef sein Gemach von der Höhle getrennt hatte, und rief nach ihm. Josef aber wagte nicht zu ihr hineinzugehen. Erst als sie zum zweiten Mal seinen Namen rief, kam er durch die Matten hindurch mit über der Brust gekreuzten Armen. Wie er Maria sah, sank er vor ihr auf die Knie nieder. Sie hob ihn auf und geleitete ihn zum Kind, nahm das Kind und wollte es ihm in seine Arme legen. Er aber stand zögernd und wusste nicht, ob er das Kindlein nehmen dürfe. Sie legte es ihm in die Arme. Er hielt es zaghaft und ängstlich, als könne er das Wunder nicht halten, als zerbreche es in seinen groben Armen. Ein Strom unsäglichen Glückes durchrann ihn. Sie fingen beide an, Gott laut zu loben und zu preisen und heilige Psalmen zu singen. So verblieben sie eine lange Weile. Dann legte sie das Kind in die Krippe zurück, und Josef geleitete Maria zu dem Teppich der Geburt und bereitete ihr von neuem das Lager. Sie legte sich zur Ruhe nieder und schlief ein. Josef kehrte in seine kleine Kammer zurück und warf sich wieder betend auf die Erde. Er fand keinen Schlaf. Er verbrachte die Nacht in Gebeten ohne Unterlass.
* * *
In dieser Nacht durchrieselte die Natur ein seltsamer, geheimnisvoller Schauer, wie sonst nur im Frühjahr. Doch ging dies nur um in Träumen, die scheu im Geist blieben und das Fleisch nur berührten, dass es erschütterte. Selbst das Gestein wurde von diesem Schauer ergriffen, wie von innen belebt. Gewächse reckten sich von innen her auf, und Bäume bewegten sich, als sei ein Geist in sie gefahren. Tiere wachten und hoben den Kopf und spürten witternd nach allen Seiten, als sei jemand da. Sie sprangen in Freude auf und liefen nach allen Seiten, als suchten sie etwas. Dann duckten sie sich wieder, als sei etwas da, das sie ängstige. So auch ging es vielen Menschen, die in dieser Nacht erwachten und die plötzlich ein Grauen auf der Brust verspürten oder einen festlichen Jubel, ohne dass sie sich einen Grund denken konnten, woher ihnen dies zukam; und wenn sie wieder einschliefen, lagen sie mit verklärten Angesicht, oder es zuckte die Qual des Bösen auf den Gesichtern.
Nur wenigen wurde das Geheimnis dieser Nacht kund. In den meisten ging es nur um als ein seltsamer Schauer der Wonne oder der Angst. Geoffenbart aber wurde es in Traumgesichten in jener Nacht der Mutter Anna in ihrer Kammer im Tal Zabulon, Elisabeth, der Mutter des Johannes in Jutta; und ihr Kind, das in ihren Armen lag, lächelte die ganze Nacht im Schlaf, und geoffenbart wurde es Hanna und Simeon an den Toren des Tempels, und geoffenbart wurde es Noemi, der Lehrerin der Jungfrau Maria.
* * *
Südwärts von der Krippenhöhle und gegen Osten lag das Tal der Hirten. Etwa ein und eine halbe Stunde von der Grotte entfernt standen drei Hütten. Dort wohnten die Vorsteher der Hirten. Hier erhob sich ein kleiner Hügel. Von ihm ging eine Kette von Hügeln aus, die gegen Gaza hinzogen und auf denen Weinberge lagen. Die drei Hirten, die hier lebten, waren die Vorsteher aller Hirten, die in diesem Tal wohnten.
Wiederum eine und eine halbe Stunde entfernt von diesen Hirtenhäusern befand sich auf einem kleinen Hügel der sogenannte "Turm der Hirten". Dies war ein aus rohen Balken und Latten pyramidenförmig aufgebauter Turm. Die einzelnen Stockwerke waren von Galerien umgeben und auch außen mit Matten verhängt. An den Ecken der einzelnen Stockwerke waren kleine, überdachte Türmchen angebracht, in denen Wachen stehen konnten. Hier hielten sich etliche der Hirten auf, die das ganze Land überblickten und Ausschau hielten, ob etwa Soldatenzüge vorüberkämen oder Raubgesindel in das Tal einfiele. Dann gaben sie den Hirten, die fünf Stunden weit im Kreis um den Turm wohnten, Zeichen der Warnung.
Hier bei dem Turm war der Sammelplatz der Hirten. Am Hang des Hügels, auf dem der Turm errichtet war, stand eine Reihe von Hütten und Schuppen. In diesen wohnten die Frauen und Kinder vieler Hirten, auch Frauen, die den Hirten Speise bereiteten. Zuweilen auch wurden die Herden hierher in den Schuppen getrieben, und die Geräte der Hirten waren darin untergebracht.
In jener Nacht standen die drei Vorsteher der Hirten vor ihren Hütten. Eine seltsame Unrast hatte sie vom Lager aufgetrieben, und sie waren ins Freie gegangen. Sie hatten den seltsam leuchtenden Nebel wahrgenommen, der über dem ganzen Tal lag, und der schimmernd und leuchtend westwärts über der Anhöhe nahe bei Bethlehem aufbrach, dort, wo alte Gemäuer und Ställe und Grotten waren. Dort sahen sie um Mitternacht Licht aus diesem Nebel kommen, das sich strahlend über das ganze Tal der Hirten ergoss. Die drei Vorsteher standen und besprachen diese seltsame Erscheinung der Natur, die sie noch nie gesehen hatten und die sie mit Verwunderung und Angst zugleich erfüllte. Da sahen sie aus der Höhe des Himmels eine eben solche Lichtwolke niedergehen. Sie kam aus unermesslicher Höhe, fallend wie ein Stein, und sank in ihrer Nähe nieder. Der Nebel weitete sich. Sie gewahrten überirdische Gestalten, die aus dieser Wolke auf sie zuschritten. Bestürzt fielen sie auf ihr Angesicht nieder. Sie vernahmen eine Stimme, die zu ihnen sprach:
Fürchtet euch nicht, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk widerfahren wird. Heute ist euch in der Stadt Davids der Erlöser geboren, welcher Christus ist, der Herr. Dies soll euch ein Zeichen sein, dass ihr es erkennt: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in eine Krippe gelegt."
Die Hirten hörten, wie ein Jubel im ganzen Tal aufbrach. Sie hoben den Blick und sahen ein unzählbares Heer seliger Geister, so unzählbar wie die Sterne am Himmel, die sangen und hielten auch Bänder in den Händen, auf denen geschrieben stand, was sie sangen:
" Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind."
Die Erscheinung wich. Es war, als nähme die weiße Wolke alles, was die Hirten wahrgenommen hatten, wieder in sich ein. Die Erscheinung und der Jubel und die Lichtwolke wurden wie vom Wind über das Tal der Hirten weggetragen weiter nach Osten.
So geschah es außer den drei Vorstehern auch noch einer anderen Gruppe von Hirten, die in dieser Nacht am Turm ihre Herde hüteten, und ein Gleiches geschah einer dritten Gruppe, etwa drei Stunden östlich von Bethlehem.
Da traten die Hirten zusammen, zu beraten, was zu tun sei. Sie beschlossen, in ihrem Herzen das Geheimnis zu bewahren, aber nach jenem Kind zu forschen. Da sie das stärkste Leuchten in jener Nacht über der Anhöhe gesehen hatten, die östlich von Bethlehem liegt, über dem alten Gemäuer, wo nach der Überlieferung einstmals das Schloss Davids gestanden hatte, machten sie sich auf, nach dem Kind zu suchen; sie hielten Umschau, was sie dem Kind als Geschenk mitbringen könnten, damit sie nicht mit leeren Händen vor ihm stünden, wenn sie es fänden.
* * *
Im Tempel zu Jerusalem wurden in dieser Nacht von unsichtbaren Händen, von Poltergeistern, die Schriftrollen der Sadduzäer aus ihren Behältern genommen und im ganzen Tempel umhergestreut. Die Tempelwächter, die auf den Lärm herbeisprangen, wurden von unsichtbaren Fäusten geschlagen und gestoßen. Die Priester, die herbeieilten, fanden nur ein Werk der Verwüstung vor, Sie geboten den Wächtern, zu schweigen, bestachen sie auch mit Geld, dass die Gerüchte von den Vorfällen nicht in die Stadt und unter das Volk drängen. Aber keiner wusste den Vorfall zu deuten.
* * *
An vielen Orten brachen in dieser Nacht Quellen auf. Ihnen wohnte eine heilige Kraft der Heilung inne. Später entstanden hier Wallfahrtsorte, und Marienkirchen wuchsen oft erst nach vielen hundert Jahren über diesen Stätten. Eine solche Quelle entsprang auch in der Nebenhöhle der Geburtsgrotte, die in den Felsen lag. Des anderen Morgens fand Josef sie vor und schuf ihr einen Abfluss.
Zu Rom entsprang in einem Stadtteil eine Quelle, Wasser mit Öl vermischt. Auch bei ihr wurde später eine Marienkirche errichtet.
Sodann befand sich in Rom ein Götzenbild Jupiters, das in dieser Nacht zersprang, dass die Stücke nach allen Seiten auseinanderflogen. Mit diesem Götzenbild hatte es eine besondere Bewandtnis.
Siebzig Jahre vorher hatte in Rom eine heiligmäßige Frau gelebt, der die Gnade der Prophezeiung gegeben war und zu der viele Menschen kamen, sie um zukünftige Dinge zu befragen. Als zu ihren Lebzeiten dieses Götzenbild Jupiters errichtet werden sollte, sagte sie voraus, die Priester sollten diesen Götzen nicht, wie sie es vorhatten, mit vielem Schmuck und Edelsteinen verzieren, da all diese Reichtümer sonst verloren gingen. Es käme eine Nacht, in der dies Bild auseinander spränge und im Sturz sich selbst und alle Kostbarkeiten, die ihm anhingen, zertrümmerte.
Durch diese Prophezeiung entstand damals ein Aufruhr in der Stadt Rom. Die Priester ließen mit Gewalt diese Wahrsagerin vor ihr Gericht ziehen, sie um den Zeitpunkt zu befragen, wann dieser Sturz Jupiters geschehen werde.
Da hatte die Seherin prophezeit, dies alles werde in einer Nacht geschehen, in der von einer reinen Jungfrau ein Knäblein geboren werde.
Die Priester waren in ein Gelächter ausgebrochen und hatten gerufen, dann werde dieses Bild stehen bis zum Ende der Zeiten. Sie hatten die ehrwürdige Seherin, die sie für eine Närrin hielten, wieder hinweggeschickt.
Jetzt aber, in dieser Nacht, wurde die Stadt Rom erregt durch jene neue, geheimnisvolle Quelle und durch den Sturz des Jupiterbildes und die Gerüchte, die davon ausgingen. Der Bürgermeister der Stadt Rom mit Namen Lentulus ließ sich Bericht erstatten. Doch ratlos stand er vor diesen Ereignissen.
In jener Nacht auch ging Kaiser Augustus vom Kapitol nieder in die Stadt. Da sah er um die Mitternachtsstunde über einem der Hügel Roms, wie ein Regenbogen sich bildete, und auf dem Regenbogen sitzend erschien die Gestalt einer Jungfrau. Ihre Füße standen wie auf einem Schemel in der Sichel des Mondes, der im ersten Viertel war. Sie hielt vor sich im Schoß einen Kelch, und aus dem Kelch wuchs, wie eine Blüte aus einem Stängel wächst, ein Knäblein. Über dem Kopf des Knäbleins war eine kleine, gleißende Schale wie ein goldener Teller, der jedoch ganz in Licht aufgelöst schien. Zur Rechten der Sitzenden wuchs aus dem Regenbogen ein Weinstock. Aus dem Herzen des Kindes selbst wuchs ein Zweig. Der Zweig öffnete sich wie eine Blüte, und aus der Blüte wuchs eine Kirche, und aus der Kirche wuchsen Häuser über Häuser zu einer gewaltigen himmlischen Stadt.
Der Kaiser stand einen Augenblick erstarrt, als er diese Erscheinung gewahrte. Als sie entschwunden war, ließ er die Priester kommen, sich dieses Gesicht deuten zu lassen. Die Priester aber wussten ihm nichts zu sagen, oder sie fanden nicht den Mut,ihm die Erscheinung zu deuten.
Da ließ der Kaiser eine alte Seherin holen, von der damals in Rom die Kunde umging, und diese sagte dem Kaiser Augustus, dass in der Stunde des Gesichts ein Knäblein geboren worden sei, das alle Herrschaft der an sich reißen wird.
Kaiser Augustus wurde von einer unsagbaren Rührung ergriffen und ordnete an, dass diesem Kind auf jenem Berg, über dem er sein Erscheinen gesehen hatte, ein Tempel errichtet werde.
All diese Wunder gingen rund um den Ball der Erde, und auch zu Indien, auf dem Berg Vaus, im Land der heiligen drei Könige, erschien dies gleiche Bildnis, das Kaiser Augustus gesehen hatte. So wurden die Ereignisse jener Nacht vielen heiligen Menschen geoffenbart, dass sie dies alles schauen durften, wenn die Gesichte sich ihnen auch nicht enthüllten.
* * *
Gegen Morgen nach jener Nacht der Wunder vernahm Josef ein Pochen an der Tür des Stalles. Er erhob sich und öffnete. Draußen standen die drei Vorsteher der Hirten. Scheu erzählten sie Josef von den Erscheinungen, die sie diese letzte Nacht gehabt hätten, und fragten nach dem Kind. Josef führte sie in sein Gelass und hieß sie dort etwas warten. Er ging zu Maria. Da sah er, wie Maria auf dem Teppich aufgerichtet saß, als wisse sie schon vom Kommen dieser Männer. Sie hatte das Kindlein auf den Armen. Nun rief Josef die Hirten herein.
Als sie das Kind sahen, sanken sie vor Ehrfurcht auf die Knie. Ihre Stäbe hielten sie in den Armen. Dann erzählten sie auch Maria von den Erscheinungen, die sie in dieser Nacht wahrgenommen hatten, und boten ihre Gedanken dar: etliche Zicklein und auch Geflügel, das sie in kleinen Käfigen mitgebracht hatten, und Käse. Sie boten das alles mit der Güte einfältiger Menschen dar. Maria gab lächelnd einem um den anderen das Kind einmal in die Arme. Da standen sie unbeholfen und unsicher und doch voller Glück über das Kind, das sie in ihren Armen hielten, - o, diese Arme, die so schwer zu tragen gewohnt waren und die nun zitterten, als würden sie brechen von der Last eines Kindleins. Die Tränen rollten ihnen die Wangen nieder, und als der letzte Maria das Kind zurückgegeben hatte, verbeugten sie sich und gingen stumm hinaus.
Sie standen noch eine Weile ratlos vor der Tür. Dann kam einer zurück und bat Josef, ob sie ihm noch etwas zu Liebe tun könnten.
Später kamen auch die Hirten der weiter entfernten Weideplätze, die die gleiche Erscheinung gehabt hatten. Auch sie brachten ihre Geschenke.
Die Hirten trugen die Märe all der heiligen Begebenheiten unter den Frommen um, doch bewahrten sie alles vor den Neugierigen der Straße. Sie kamen unauffällig in diesen Tagen immer wieder zur Krippe zurück. Auch die Frauen der Hirten und etliche Essenerinnen, jene frommen Frauen, die in der Nähe wohnten, gingen in der Krippenhöhle ein und aus, bald dies, bald jenes für das Kind und seine Mutter zu verrichten, eine Speise zu bereiten oder zu waschen. Die Hirten schafften Holz herbei und halfen noch allerlei Bequemlichkeiten schaffen. Auch eine kleine, tragbare Krippe zimmerten sie, dass das Kind bequem neben seiner Mutter ruhen könne.
Von Nazareth kamen in jenen Tagen Boten von Mutter Anna, ein alter, schon bejahrter Mann und die Magd Annas, eine verwandte Witwe aus Nazareth. Sie brachten allerlei mit, wovon Mutter Anna glaubte, dass Maria es entbehre. Der alte Bote nahm das Kindlein in die Arme, als Maria es ihm reichte. Er brach in Tränen der Freude aus, und als er das Kind zurückgegeben hatte, machte er sich stumm wieder auf den Weg, Mutter Anna die Botschaft zu bringen. Die Magd blieb bei Maria.
* * *
Gleichwohl war die Erscheinung der Hirten auch im Städtchen Betlehem bekannt geworden. Es kamen zuweilen Neugierige, die nun sehen wollten, was geschehen sei. Da richtete Josef mit den Hirten für Maria einige Bequemlichkeiten in jener Seitenhöhle ein, in der nach der Geburt die Quelle entsprungen war. So konnte Maria, wenn Lästige kamen, dorthin gehen; sie blieb oft stundenlang in dieser abgelegenen Seitengrotte, sodass niemand sie fand.
Eines Tages kamen auch Kundschafter von Herodes, weil das Gerücht umgegangen war, es sei ein Sohn Davids geboren, dem die Herrschaft zugesprochen sei.
Sie kamen zur Höhle. Maria war von einem Engel gewarnt worden und in die Seitengrotte geflohen. Da fanden die Häscher nur Josef. Sie suchten ihn auszufragen. Als sie aber die Armut in der Höhle sahen und die schlichte, stille Einfalt dieses Zimmermanns von Nazareth, die so gar nicht nach dem trachtete, was die Kinder der Welt für hoch und erhaben hielten, kam ein spöttisches Lächeln über ihre Lippen, sie zuckten mit den Achseln. Aus dieser Höhle, von diesen Menschen konnte Herodes nimmermehr Gefahr drohen.
So gingen sie wieder hinweg, und es wurde in Betlehem wieder still von all den Gerüchten. Es sprach niemand mehr davon, und niemand maß den wunderbaren Erscheinungen jener Nacht irgendwelche Bedeutung bei, - niemand von den Kindern der Welt.
Aber geheim wuchs die Gemeinde der Frommen, die hörten und glaubten. Als wieder der Sabbat nahte, kamen viele Leute in festlichen Kleidern. Sie gingen nach Betlehem in die Synagoge. Aus den weit zerstreut liegenden Gehöften kamen sie und taten, als ginge ihr Weg zufällig über den Hügel der Grotten, und nur von ungefähr ergäbe es sich, dass sie hier rasteten und die Mutter sähen und das Kind, und dass sie das Kind verehrten.
Unter all diesen war auch der Wirt, bei dem Josef und Maria die letzte Nacht verbracht hatten, ehe sie nach Betlehem gekommen waren. Er und die Seinen hatten kleine Geschenke bei sich. Als sie wieder nach Haus kamen, richteten sie den Ort, an dem Maria in ihrem Haus geschlafen hatte, zu einem Betort her.
Auch ein Verwandter des Josef kam, zu dem die Kunde von den Wundern gedrungen war. Er bot Josef Geld an, ihm in seiner Notlage zu helfen. Josef aber wollte das Geld nur geliehen haben, da er es ja nur für das Fest der Beschneidung des Kindes brauche; er verpfändete dem Verwandten die einjährige Eselin.
* * *
Dann halfen die Frauen, all die Geschenke der Hirten zuzubereiten; die Tiere wurden geschlachtet und die Speisen zu dem Fest der Beschneidung des Kindes zugerichtet, an dem die Hirtenfamilien und auch etliche Verwandte teilnahmen, die aus dem Städtchen gekommen waren. Das meiste aber sollte den Armen gegeben werden.
Am Tag vor der Beschneidung ging Josef in das Städtchen hinunter und kehrte gegen Abend mit einer Wartefrau und drei Priestern in die Krippenhöhle zurück. Sie trugen einen verstellbaren Stuhl, der wie ein Lager aufgestellt werden konnte, und einen Stein in der Form eines achteckigen Sternes. In diesen Stern waren drei Behältnisse eingelassen, in dem Wundöl und Salben und das Messer für die Beschneidung lagen. Die Behältnisse wieder waren durch einen achteckigen, metallenen Stern zugedeckt. Dies alles brachten sie mit und stellten es in der Krippenhöhle neben der Feuerstelle auf den Boden nieder. Auf ein kleines Stühlchen, das Josef herbei trug, legten sie den achteckigen Stein, und daneben stellten sie den Stuhl. Die Hirten hatten Josef geholfen, vor der Höhle eine festliche Laubhütte aufzuschlagen; dort sollte die Mahlzeit der Priester, der Hirten und der armen Leute gefeiert werden. Denn wo immer die Priester zu einer solchen Verrichtung geholt wurden, schlossen sich ihnen die Bettler der Straße an.
Nachdem sie alles bereitet hatten, wurde eine erste Mahlzeit in der Laubhütte eingenommen, dann verrichteten die Priester Gebete, und Maria und die Magd und Josef und etliche Frauen der Hirten durchwachten die ganze Nacht mit Gebeten und Gesängen.
Gegen Morgen sollte das Kind beschnitten werden. Als die Stunde gekommen war, traten die Priester in feierlichen Gewändern vor den Eingang der Höhle und deckten den achteckigen, sternförmigen Stein mit einem roten und einem weißen geweihten Tuch zu. Indessen legte Maria das Kind, das sie in ihren Armen hielt, nun mit bebenden Händen in die Arme der Magd. Sie sah die Magd an, als flehte sie zu ihr, sie möge verhüten, dass dem Kind ein Leid geschehe.
Über den Brüsten hatte Maria ein kleines Tüchlein geborgen, das bestimmt war, das Blut aufzufangen, wenn das Kind verwundet würde. Dies Tüchlein nahm Maria und gab es mit zitternden Fingern der Magd. Dann kauerte sie nieder und betete.
Die Magd trug das Kind zu den Priestern, und der mittlere der Priester legte das Kind auf die Decke über dem sternförmigen Stein und betete. Dann ließ er sich neben dem Stein auf den Stuhl nieder, so dass er halb saß, halb lag. So wurde ihm das Kind mit den Decken auf den Schoß gegeben.
Die beiden Priester knieten nun vor ihm nieder, und der eine öffnete den metallenen Deckel des Sterns, sodass die Wundsalben und das Messer offen lagen. Dann hielt der eine der Priester die Füße des Kindes. Josef trat von rückwärts an den Priester, der saß und das Kind auf dem Schoß hatte, heran und reichte mit seinen breiten Händen über die Priester hinweg, die Schultern und das Köpfchen des Kindes zu umfangen. Da nahm der eine Priester das Messer und verwundete das Kind. Er verwundete das Kind erst mit dem Messer und dann noch mit dem spitzen Nagel seines Fingers. Darauf saugte er das Blut aus und gab Öl und eine lindernde Salbe in die Wunde. Das Blut fing er mit dem kleinen Tüchlein auf, das ihm die Magd gereicht hatte. Dann nahm er eine kleine Kapsel und tat das Abgeschnittene und das Tüchlein mit dem Blut in sie hinein. Die Wartefrau trat hinzu und verband das Kind. Dieses weinte laut vor Schmerz. Als die Magd endlich Maria das Kind zurückbrachte, stand diese zitternd über dem Teppich der Geburt und streckte die Arme nach dem Knäblein aus und empfing das Kind und brach in lautes Weinen aus. Dann kauerte sie nieder und gab dem Kind die Brust, sodass es schwieg und in Schlaf kam. Lange hielt sie es an ihrer Brust, bis auch in ihr der Schmerz wich und das Glück sie wieder durchrann.
Nach einer Weile jedoch musste Maria das schlafende Kind selbst noch einmal zu den Priestern tragen. Die Gefäße waren wieder geschlossen und der metallene Stern in den Stein eingefügt. Die heiligen Decken waren wieder darüber gebreitet, und Maria legte das Kind noch einmal auf den Stein, dass die Priester über ihr und dem Kind beteten. Danach ging sie wieder in die Höhle zurück und blieb allein mit ihrem Kind.
Indessen führte Josef die Priester hinaus in die Laubhütte. Die Magd und die Frauen der Hirten fingen an, die Gäste zu bewirten. Später gingen die Priester in die Stadt. Bettlervolk trieb sich den ganzen Tag um die Höhle herum, und die Magd und Josef gaben den Bettlern, soviel sie geben konnten. Etliche unter den Bettlern aber waren unzufrieden mit dem, was sie bekamen, und fingen an zu schimpfen und zu fluchen, sodass Josef ihnen nichts mehr reichte und sie fortwies. Es wurde still und einsam um die Höhle. Nur hie und da fanden sich in den folgenden Tagen noch etliche Bettler ein, und täglich kam die Wartefrau, das Kind zu verbinden. Auch sie wurde von Maria und Josef mit dem meisten von allem beschert, was die Hirten ihnen zutrugen.
Nach etlichen Tagen kam Elisabeth, Maria zu besuchen und ihren Herrn in den Armen zu halten. Da saßen die heiligen Frauen bis tief in die Nacht in frommen Gesprächen beieinander. Josef hatte das Lager für Elisabeth neben dem Lager Mariens bereitet, und zwischen den beiden Frauen lag das Kind.
(Aus: "Die Erdenpilgerschaft der heiligen Jungfrau und Gottesmutter nach Gesichten heiliger Frauen", Sebaldus-Verlag, Nürnberg 1933)
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