8. Mai - Das "Haus des Brotes"

 

"Tiefes Schweigen umfing das All und die Nacht hatte in ihrem Laufe des Weges Mitte erreicht, da stieg dein allmächtiges Wort, o Herr, vom Himmel, vom königlichen Thron herab."

 

Wer hat noch nicht den Zauber der heiligen Weihnacht erlebt und ließ sich schlagen in seinen Bann? In stiller Nacht, als alles schlief, hat der König der Könige seinen Einzug gehalten in diese Welt. Fast niemand hatte eine Ahnung, dass jetzt geschlagen die gnadenreichste Stunde der Weltgeschichte. Das allmächtige Wort des Vaters ist er - und wie schwach, wie klein, wie armselig erscheint er. Ihn, der auf königlichem Thron herrscht von Ewigkeit, ihn, den die Himmel der Himmel nicht fassen, dessen Fußschemel die Erde ist, ihn nimmt die Armseligkeit eines Stalles auf, ihn umgibt die Enge einer Futterkrippe. Und doch, wenn er auch das kleinste, das ärmste, das niedrigste Kindlein zu sein scheint, auf seine Geburt fällt doch ein Abglanz seiner himmlischen Herrlichkeit, so dass alle, die guten Willens sind, erkennen sollen, dass er ein ganz außerordentliches Kind ist: ein ungewöhnliches Licht strahlt auf in der Nacht, und aus diesem Licht kommt von den Lichtgestalten des Himmels ein liebliches Singen, das da klingt wie die Musik der Sphären: "Gloria in excelsis Deo! - Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind". Ein ganz wundersamer Stern strahlt auf im fernen Morgenland, so dass weise, angesehene Männer sich aufmachen mit ihren Schätzen, um dem Stern zu folgen, der sie sicher zu etwas ganz Wundersamen führen wird. Liebe Marienverehrer, nicht nur die Herzen der Kinder jauchzen auf, nein, auch durch die Herzen der Erwachsenen geht eine eigene Rührung, wenn wir die Worte aussprechen: Bethlehem, Krippe, Hirten, Engel, Weihnachtsstern und Gold, Weihrauch, Myrrhe.

 

All der Weihnachtsjubel, Weihnachtsfreude und Weihnachtsfriede ziehen durch unsere Seele, wenn wir durch unsere Finger die Perlen des heiligen Rosenkranzes gleiten lassen und unsere Lippen beten: "Jesus, den du, o Jungfrau, zu Bethlehem geboren hast!"

 

Wie denkwürdig ist dieses Bethlehem in der Heilsgeschichte! Auf den Fluren von Bethlehem ging einige Jahrhunderte zuvor eine Frau dahin, sie wandelte über die Felder und war eifrigst beflissen, die Ähren aufzulesen, die die Schnitter beim Binden der Garben liegen gelassen hatten. Es war die Moabitin Ruth, die Stammmutter dessen, der als köstlichste Ähre auf Bethlehems Fluren entspross. Bethlehem war den Juden ein heiliger Ort, denn Bethlehem war der Geburtsort ihres berühmtesten Königs, des Hirtenknaben David, der auf den Fluren Bethlehems seine Herden hütete und dann berufen war, das Königszepter zu tragen. Er war der Stammvater dessen, der auch in Bethlehem in die Welt trat, geringer, als der geringste Hirtenknabe und den wir mit Ehrfurcht nennen den "König der Könige".

 

Bethlehem, d.h. das "Haus des Brotes". Fruchtbar war die Gegend. Die Schnitter des Booz, des späteren Ehegatten der Ruth, hatten reichlichst zu tun, um den Segen der Felder in die Scheunen zu bringen. Es war wahrhaftig ein Haus des Brotes. Es ist die Geburtsstunde Jesu Christi in einem höheren Sinn ein Haus des Brotes geworden: im Stall zu Bethlehem ruhte in einer Krippe derjenige, der von sich gesagt hat: "Ich bin der lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist." Heilig war Bethlehem den Juden als die Geburtsstadt ihres Königs David, heiliger ist Bethlehem uns Christen geworden als Geburtsstadt des Königs der Könige.

 

Aus manchem Christenherzen stieg wohl schon der Seufzer auf: "Ach, wenn es mir vergönnt wäre, als frommer Pilger an der heiligen Stätte zu knien, wo das allmächtige Wort auf die Welt kam, o könnte ich die Stelle küssen, wo die Krippe stand und die heilige Jungfrau in seliger Freude verweilte." Dieser Wunsch wird wohl den wenigsten in Erfüllung gehen. Und doch, lieber Christ, brauchst du nicht diejenigen zu beneiden, die als Pilger ins Heilige Land ziehen und die Stätten besuchen, die uns heilig und ehrwürdig geworden sind durch das Leben und Sterben Jesu Christi und seiner heiligen Mutter. Ich weise dich in ein Bethlehem, wo du denselben holdseligen Jesusknaben findest.

 

"Kommt, lasst uns nach Bethlehem eilen und das Kind suchen!" so riefen die frommen Hirten. Kommt, Christen, lasst uns nach Bethlehem eilen, nach dem "Haus des Brotes"! Du brauchst kein Meer zu überqueren, wie einstens die Kreuzfahrer, du brauchst nicht durch Wüsteneien zu ziehen, wie einstens die Könige aus dem Morgenland, ganz nahe, vielleicht nur einige Schritte von deiner Wohnung entfernt, ist Bethlehem: das katholische Gotteshaus. Es ist ein wahrhaftiges Bethlehem, wahrhaft ein Haus des Brotes. Ganz vorne beim Altar, dort, wo ein rotes Lichtlein einsam funkelt, dort ist ein schlichtes Häuschen, wir nennen es Tabernakel, und in diesem Häuschen, nicht mehr in einer Krippe aus rohen Brettern, auf Heu und Stroh, nein in einer goldenen Wiege - wir nennen sie Monstranz, Ciborium - liegt das Jesuskindlein in einer ganz schlichten Gestalt: in der des Brotes. Dieses Brot, die heilige Eucharistie, dieser große Schatz der Kirche, macht unser Gotteshaus zu einem wahrhaften Bethlehem, zu einem wahrhaften Haus des Brotes.

 

Erkenne daraus die Erhabenheit und Würde des katholischen Gotteshauses. Die Juden hatten unter Salomo einen herrlichen Tempel erbaut, ein wahres Weltwunder in seiner Pracht und Schöne. Und doch, wenn sie auch herrlichen Gottesdienst hier veranstalteten, wenn die Juden aus weiter Ferne hierher wallfahrteten, um daselbst zu beten, Gott war doch nicht auf so intime Weise, auf so offensichtliche Weise gegenwärtig wie in unseren Gotteshäusern. Andere christliche Bekenntnisse haben sich auch prächtige Gotteshäuser erbaut oder von den Katholiken übernommen. Seht zum Beispiel in die herrliche Lorenzkirche in Nürnberg, wo uns auf Schritt und Tritt ein Kunstwerk begegnet, dessen Wert gar nicht abzuschätzen ist. St. Lorenz | Lorenzkirche Und doch wird dein Herz kalt bleiben, ja es wird dir weh ums Herz zumute sein, wenn du in dieser Laurentiuskirche zu Nürnberg vor dem Sakramentshäuschen stehst. Ach wie herrlich ist dieses Sakramentshäuschen, ein Gebet des inbrünstigen Glaubens, in Stein gehauen. Doch wehe, der Ort, wo sonst das Brot des Neuen Bundes aufbewahrt wurde, ist leer. Kein Lichtlein brennt vor diesem Sakramentshäuschen, der Heiland wohnt nicht in Brotgestalt in diesem herrlichen Gotteshaus. Geh nun in die schlichteste Dorfkirche, die vielleicht keine Merkmale eines Baustiles zeigt, derb sind die Altäre und rau, die Leinwand, die auf den Altären liegt. Aber vor dem kleinen Häuschen auf dem Altar brennt Tag und Nacht das rote Lichtlein. Und andächtig faltest du die Hände: "Ave Jesus, wahres Manna! Du bist hier, o Jesus!"

 

O welche Würde des katholischen Gotteshauses! Nun verstehen wir auch, warum fromme Katholiken wetteifern, dieses Gotteshaus seiner Würde entsprechend auszustatten. Sie ahmen da das Beispiel der Gottesmutter nach. Maria hat es gewiss - des Kindleins wegen - schmerzlich empfunden, dass sie ihr Kind in eine solche Armut legen musste, dass der Schöpfer der Welt sein Erdendasein in einer solchen Armut beginnen soll, und in ihrer Mutterliebe sucht sie diese Armut einigermaßen zu verschönern und erträglicher zu machen. Sie sucht nach einem Lager für ihr Kind und findet einen rohen Futtertrog. Dahin legt sie Heu und dann wickelt sie das Jesuskind in reine Windeln und als dann die Hirten kommen, da haben sie gewiss von dem Ihren so manches herbeigebracht, um den Aufenthalt in dem Stall etwas wohnlicher zu gestalten.

 

Auch die Christen aller Zeiten haben immer eine Ehre darein gesetzt, von dem Ihrigen beizutragen, um das "Haus des Brotes" als Wohnung des Allerhöchsten würdig auszustatten. Kaum waren die blutigen Christenverfolgungen beendet, so erstanden in Rom die herrlichsten Gotteshäuser und Kaiser und Päpste wetteiferten miteinander, in der Liebe zur Zier des Hauses Gottes. Im gläubigen, frommen Mittelalter waren die Gläubigen mit ihren Gotteshäusern so verwachsen, dass sie immer etwas übrig hatten für ihr Gotteshaus. Aus dieser Liebe zum Heiland, der in Brotgestalt in der Kirche wohnt, erklären wir uns ihren geradezu bewunderungswürdigen Opfersinn, erklären es uns, warum ein Kölner, ein Mainzer, ein Ulmer Dom erstehen konnte. Und auch heute noch, solange der Glaube an Christi Gegenwart in den Herzen der Gläubigen glüht, sehen es die Gläubigen als eine Ehrensache an, für den würdigen Schmuck des Gotteshauses und für die Bedürfnisse des Gottesdienstes zu sorgen. Es wäre wahrlich kein Ehrenzeugnis für die Gläubigen eines Kirchensprengels, wenn ihr Gotteshaus in seiner Armut dem Stall von Bethlehem gliche.

 

Eine der ältesten Kirchen Bayerns ist Chammünster, in der Nähe der oberpfälzischen Stadt Cham, ein würdiges, schönes Gotteshaus mit vielen Sehenswürdigkeiten und Altertümern. In der Nähe der Kirche ist auf dem Friedhof das Grab eines Priesters. Das Grab ist mit einem altertümlichen Kreuz geschmückt und auf dem Kreuz kann man als Inschrift die Worte des Psalms lesen: "Herr, ich liebte deines Hauses Zier." Dieser Priester hatte es als seine Lebensaufgabe betrachtet, für die würdige Instandhaltung des alten Gotteshauses zu sorgen.

 

Liebe Marienverehrer, auch von einem jeden von uns sollte es einmal bei unserem Tod heißen: "Herr, ich liebte deines Hauses Zier." Ich habe immer wieder etwas übrig gehabt für mein Gotteshaus und wenn es das Schärflein der Witwe war.

 

Dem in der Brotgestalt verborgenen Heiland ist diese Opferliebe für das Gotteshaus bestimmt angenehm. Als einst Maria Magdalena eine kostbare Salbe über die Füße des Herrn ausgoss, da wurde Judas Ischariot darüber unwillig und meinte, man hätte die Salbe verkaufen und den Erlös den Armen geben können. Der Herr aber lobte Maria Magdalena und sagte, solange dies Evangelium verkündet werde, wird man auch ihrer Handlung lobend gedenken. Wenn der Heiland schon verspricht, dass er es lohnen werde, was man dem geringsten seiner Brüder getan, wird er nicht ganz besonders lohnen, was man direkt seiner göttlichen Person getan, die da wohnt im Gotteshaus im Häuschen des Tabernakels?

 

Ja, guter Jesus, der du im Tabernakel wie in einer Krippe ruhst, es soll uns eine Freude und eine Ehre sein, diese deine Wohnung zu einer würdigen Stätte umzugestalten. O Herr, wir lieben deines Hauses Zier und wissen, dass du uns um dieser Liebe willen einstens in deine ewigen Wohnungen aufnehmen wirst, wo du in einer unvergänglichen Herrlichkeit thronst von Ewigkeit zu Ewigkeit.

 

Amen.