Inhalt:

 

1. Poverello

2. Papst

3. Papsttum

4. Pflichten des Christen

5. Politik

6. Priester

7. Papst Pius XII.

8. Pounde

9. Priester

10. Pontius Pilatus

11. Pilatus heute

12. Presse ist glaubensfeindlich

13. Petrus, der Fels

14. Palestrina

15. Zurück ins Paradies

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1. Poverello

       

 

St. Franziskus unter den Tieren des Waldes.

 

Durch die grünen Waldeswipfel zittert goldner Sonnenschein,

Zieht ein wundersames Rauschen wie von Himmelsmelodei`n,

Und das Bächlein murmelt leise träumerische Zaubermähr,

Und die Blümlein nicken lauschend dort im Moose rings umher.

 

Unter einer alten Buche hochgestammt und dichtbelaubt

Ruht ein Mönch in grober Kutte, unbedeckt das edle Haupt,

Aber heller als die Sonne spielt ein wunderbarer Schein

Um die gottverklärten Züge, um die Stirn so hehr und rein!

 

Ganz versunken in Betrachtung hält ein Buch er in der Hand,

Wie sein Auge auf die Blätter, ist sein Herz auf Gott gewandt;

Stiller noch in seiner Seele, als der abendstille Hain,

Atmet – lesend und betrachtend – schon des Himmels Luft er ein.

 

Plötzlich aber wird`s lebendig um den Heil`gen mehr und mehr,

Mit dem zackigen Geweihe steigt ein stolzer Hirsch daher,

Und ein Falke durch die Lüfte schwebt hernieder auf den Baum,

Falk und Hirsch, sie blicken beide auf Franziskus wie im Traum.

 

Kommt ein sanftes Reh gezogen, schmiegt sich traut an seinen Schoß,

Dort das Köpflein still zu bergen scheint ihm allerschönstes Los,

Und zwei munt`re Häslein spielen ihm zu Füßen wohlgemut,

Bitten mit erhob`nen Pfötchen: „Sei auch uns, den Kleinen, gut!“

 

Eichhorn hüpft von Fels zu Felsen eilig in des Heil`gen Näh`,

Scheint fast traurig zu beneiden das von ihm liebkoste Reh. –

Sinnend, ernst und majestätisch steht Herr Storch auf einem Bein,

Kann sich nicht genug beschauen hier den Mann im grünen Hain!

 

Weiße Täublein flattern schmeichelnd ihm auf Schulter, Hand und Arm,

Niemals war`s in ihrem Leben ihnen doch so wohl und warm!

Taubenunschuld, Taubeneinfalt in des Heil`gen Blick und Sinn

Lockt mit wunderbarem Zauber in verwandte Nähe hin!

 

An Franzisci bleiche Wange schmiegt sich Lerchlein sanft und still,

Das nicht singen heut`, nein, leise lieben, lernen, lauschen will,

Lauschen auf ein Wort, ein einz`ges aus des Mönches heil`gem Mund,

Lernen von den Seraphsliedern, quellend ihm aus Herzensgrund.

 

Und so sitzt er ganz umrungen von den Tierlein groß und klein

Wie der König aller Schöpfung dort im abendstillen Hain;

Denn des Paradieses Unschuld leiht ihm wundersame Macht,

hat des Paradieses Zustand nochmals neu zurückgebracht.

 

Voll Erstaunen sehn zwei Brüder, die von Ferne zieh`n daher,

Wie des Waldes Tiere huldigen ihrem Vater lieb und hehr;

Nie noch haben sie gesehen wohl ein lieblicheres Bild

Und sie steh`n wie in Verzückung, Himmelslust ihr Herz erfüllt.

 

Wie die Tiere er beherrschte, so die Menschenherzen auch,

Alles war wie hingerissen, Alles fühlte Himmelshauch!

So, Franziskuskinder, sollte Euer Herz und Leben sein,

Einfalt, Unschuld, Lieb` und Demut nimmt die Erde für Euch ein.

 

 

Die hl. Einöde, oder hl. Maria zu den Kerkern.

(Il santo eremo, sante Maria delle Carceri.)

 

Die Kirche Maria delle Carceri liegt eine kleine Stunde nördlich der Stadt Assisi, mitten im Wald von Eichen umgeben. Hier war der Ort, wo sich der hl. Vater häufig von der Welt zurückzog und seinem Gemüt im Lobe Gottes und in der Betrachtung himmlischer Dinge freien Lauf ließ. Der Platz wurde ihm später von den Benediktinern geschenkt. Ursprünglich war hier nur ein Kirchlein mit einigen Hütten, später wurde ein großes Kloster gebaut; der hl. Bernardin von Siena war hier Guardian.

 

Vor dem Tor steht eine Kapelle, dem seligen Bruder Salvator geweiht. Nahe dabei ist auch das Wunderwasser, dessen Quelle der hl. Franziskus durch sein Gebet erlangte. Im Archiv des Klosters sind mehrere Krankenheilungen von diesem Brunnen verzeichnet.

 

Das Kirchlein wurde wahrscheinlich vom hl. Bernardin erbaut, da man über dem Altar den Namen Jesu sieht (IHS). In einer Nische steht ein berühmtes Kreuz, das mehrere Male zur ehrwürdigen Dienerin Gottes Diomira Bini, aus dem dritten Orden, gesprochen haben soll. Als sie einst vor dem allerheiligsten Sakrament betete, kamen zwei Religiosen in die Kirche. Da sprach der Gekreuzigte zu Diomira: „Wisse, meine Tochter, diese zwei Religiosen sind mir so lieb, dass ich, wenn ich die ganze Welt der Sünden wegen zerstören wollte, von ihnen um Schonung gebeten, sie erhören würde!“ So erzählt die Chronik der Provinz von Siena.

Dasselbe Bild sprach auch zum Bruder Silvester, als er einst aus Ermattung in der Kirche eingeschlafen war. Er erhielt einen sanften Backenstreich und vernahm die Worte: „Mein Sohn, gehe ins Dormitorium, denn hier ist kein Ort zum Schlafen.“ Er sah darauf Christus die Hand ans Kreuz zurückziehen.

 

Von Reliquien findet man in dieser Kirche: Blut aus den Wundmalen des hl. Franziskus; einen Tuchfleck, der ihm zum Trocknen des Blutes gedient hatte; das Gefäß, worin Franziskus das allerheiligste Sakrament aufbewahrte; einen Kelch, aus dem er die Ablution trank; den Stock, den er auf Reisen trug; ein Stück seines Habits und ein Silizium der hl. Klara.

 

Uralt ist in der Seitenkapelle das Bild über dem privilegierten Altar, Maria mit dem Jesuskindlein; es war schon in der Einsiedelei der Benediktiner vorhanden; hier pflegte der hl. Vater mit seinen Brüdern häufig dem Gebet obzuliegen, und das Bild stand bei ihnen in hoher Verehrung.

 

Der Chor ist noch im ursprünglichen Zustand, wie ihn der hl. Bernardin hatte erbauen lassen; auch zeigt man noch den Chor des hl. Franziskus. Von der Sakristei kommt man unterirdisch in eine Felsenhöhle. Hier auf nacktem Stein war das Bett des hl. Vaters, die Stelle ist mit einem Gitter abgegrenzt. Es geschahen mehrmals hier wunderbare Krankenheilungen. Von der Grotte kommt man ins Oratorium des hl. Franziskus, den ehrwürdigsten Ort der Einsiedelei.

 

Als kostbare Reliquie des hl. Vaters sei noch erwähnt das Kruzifix, welches er auf Reisen mit sich trug und auch in Ägypten gehabt haben soll.

 

Bemerkenswert neben dem Kloster ist eine uralte Steineiche, die zur Zeit des hl. Franziskus schon gestanden haben soll. Nicht weit davon kommt man zur Kapelle des sel. Rufinus, der ein Schüler des hl. Vaters und ein Verwandter der hl. Klara war. In der einstigen Grotte hatte er sich ein Altärchen errichtet und hier strenge Buße geübt. Franziskus gab ihm das Zeugnis: „Mir wurde geoffenbart, dass der Bruder Rufin eine jener drei Seelen ist, die Gott gegenwärtig auf der Welt am liebsten sind. Ich stehe nicht an, ihn jetzt schon einen Heiligen zu nennen, da er von Christus in der Gnade befestigt worden ist.“ Hier war einst dem seligen Rufin der Teufel erschienen in Gestalt eines schönen Engels und gab ihm den Rat, er möge als Einsiedler leben und nicht mehr dem hl. Franziskus anhangen, der nur ein einfältiger und ungelehrter Mensch sei. Rufinus ließ sich anfangs täuschen und erschien nicht mehr bei den gemeinschaftlichen Gebeten. Der hl. Vater suchte aber selbst seinen irregeführten Sohn auf und belehrte ihn über die Fallstricke des Lügengeistes. Rufin kehrte reumütig zurück und verdoppelte seinen Bußeifer. – Ein anderes Mal erschien ihm der Teufel in Gestalt des Gekreuzigten und ermahnte ihn, von der Buße abzulassen, da er sowie Franziskus doch zur ewigen Verdammnis bestimmt wären. Rufin wurde wieder tief betrübt. Allein St. Franziskus ließ ihn durch Massäus holen und richtete ihn wieder auf durch ein heldenmütiges Vertrauen auf Gott. Der selige Rufin erhielt fortan eine große Macht über die bösen Geister.

 

Man findet noch in der Nähe die Grotten des seligen Massäus, des seligen Antonius von Stroncone, des seligen Bernard von Quintavalle, des seligen Ägidius, des seligen Silvester, des seligen Andreas von Spello und des frommen Barnabas von Terni.

Ein merkwürdiges Bewandtnis hat es mit dem Bach, der einstens nahe am Kloster „zu den Kerkern“ vorbei rauschte, jetzt aber nur zu gewissen Zeiten fließt. Die Überlieferung erzählt, der hl. Franziskus habe durch sein Gebet das Ausbleiben des Wildbaches erlangt, der durch sein Tosen die Einsamkeit der Brüder störte. Seit jener Zeit sieht man auch bei den stärksten Regengüssen hier kein Wasser mehr fließen, obschon natürlicher Weise in diesem Rinnsal das Wasser des ganzen Berges sich sammeln müsste. Nur von Zeit zu Zeit kommt wieder der ganze Fluss durch dieses Tal herab und dies gilt immer nach mehrfacher Erfahrung als ein Zeichen großen Unglücks, welches über die Kirche oder Italien hereinbricht.

 

Vom Jahr 1739-1844 kommen 8 solche Fälle vor, wo der Bach wieder floss, und jedes Mal war das Ereignis von einem großen Unglück in Italien begleitet. Im Jahr 1870, dem großen Unglücksjahr Italiens, floss das Wasser wieder.

 

 

Maria von den Engeln.

(Maria degli Angeli. Portiunkula.)

 

Diese Kirche wurde schon 352 von Einsiedlern erbaut unter dem Namen Maria von Josaphat. Später besetzten sie die Benediktiner, welche sie auch vergrößerten und Maria von den Engeln nannten. Öfters will man in diesem Heiligtum eine himmlische Musik gehört und hellen Glanz um Mitternacht gesehen haben. Der hl. Vater Franziskus hatte hier seinen Lieblingsaufenthalt und restaurierte dieses Kirchlein mit eigener Hand, da es sehr baufällig geworden war. Hier fasste er zuerst den Entschluss zur apostolischen Lebensweise. Da er in Rivo Torto mit seinen vielen Jüngern nicht mehr genug Platz hatte, wandte er sich an den Abt der Benediktiner und bettelte um das Kirchlein Maria von den Engeln, welches er auch erhielt. Als Bedingung wurde ihm gesetzt, wenn seine Genossen zu einem Orden heranwachsen würden, so sollten seine Söhne das Kirchlein Maria von den Engeln allzeit als ihre Wiege betrachten.

 

Der hl. Franziskus gab den Benediktinern aus Dankbarkeit und freundlicher Verehrung sofort alljährlich für diese Schenkung ein Körblein voll Fische – gleichsam als Tribut, wodurch er die Abhängigkeit der mindern Brüder aussprechen wollte.

 

Die Freude des hl. Vaters über diese Eroberung war eine himmlische. Er durchwachte die erste Nacht im Gebet in diesem Kirchlein. Da erschien ihm der göttliche Heiland mit seiner hl. Mutter und sprach zu ihm: „Ich komme mit meiner Mutter, um dich und deine Brüder an diesem Ort einzusetzen, der uns sehr teuer ist.“ Den folgenden Tag zog St. Franziskus mit seinen Söhnen hier ein, er beherbergte sie in dem an dem Kirchlein stehenden Haus und ermahnte sie, diesen Ort vor allen heilig zu halten, ihn durch ein heiliges Leben zu verherrlichen. Es war im Jahr 1210.

 

Von Maria von den Engeln aus unternahm St. Franziskus seine großen geistlichen Feldzüge nach den verschiedensten Gegenden Italiens, sowie nach Ägypten und Syrien; von hier aus sendete er seine ersten Jünger als Missionare nach Deutschland, Frankreich, Spanien und Afrika, von denen mehrere die Marterpalme erlangten.

 

Hier empfing 1212 die hl. Klara aus den Händen des hl. Franziskus das Ordenskleid. 1219 wurde das große Generalkapitel hier abgehalten, bei welchem 500 Brüder zugegen waren und der Kardinal Hugolino den Vorsitz führte.

 

Seinen Namen Portiunkula erhielt das Kirchlein von der kleinen Pforte, porta piccola, oder von „der kleinen Herde“, wie St. Franziskus seine Brüder zu nennen liebte. Unter diesem Namen ist auch das Heiligtum besonders berühmt geworden wegen des großen Ablasses, den der Herr dem hl. Franziskus hier für das Heil der ganzen Christenheit gespendet hat.

Portiunkula ist das Zentrum des hl. Ordens geblieben, bis auf den heutigen Tag das seraphische Loretto.

 

Die gegenwärtige Kirche, welche das Portiunkula-Kirchlein umschließt, wurde 1569 grundgelegt. Die vom hl. Franziskus ursprünglich um das Kirchlein herum gebauten Zellen wurden durch den Großbau verdrängt.

 

Die Kirche ist dreischiffig, in den Seitenschiffen sind große Kapellen. Unter der majestätischen Kuppel steht das Portiunkula Kirchlein frei da, wie das heilige Haus von Loretto in der großen Basilika dortselbst. Im inneren Umfang der Kuppel liest man: „Ave, Regina Coelorum! Sei gegrüßt, o Königin des Himmels!“ An den vier Kuppelpfeilern ist in Gemälden die Erlangung des Portiunkula-Ablasses dargestellt:

1. Der Engel führt den hl. Franziskus zum Kirchlein Portiunkula.

2. Franziskus erbittet vom Herrn durch Vermittlung Mariä den kostbaren Ablass.

3. Franziskus erlangt vom Papst Honorius III. die Bestätigung des Ablasses.

4. Die Verkündigung des Ablasses durch die Bischöfe.

 

Durch Benedikt XIV. erhielt diese Kirche den Rang einer Patriarchal-Basilika.

Das Portiunkula-Kirchlein selbst zeigt noch die gleiche Gestalt und dieselben Mauern wie zur Zeit des hl. Franziskus. An der Vorderseite sieht man das schöne Gemälde von Overbeck: Christus mit seiner hl. Mutter, umgeben von Engeln, erscheint dem hl. Franziskus und bewilligt ihm den Ablass. Über dem Eingang stehen die Worte: „Haec est porta vitae aeternae. Das ist die Tür zum ewigen Leben!“

 

Die Heiligkeit des Ortes macht sich dem Eintretenden fühlbar; der Wohlgeruch der Gebete, die hier zum Thron Gottes aufgestiegen, scheint nicht verraucht; ein Hauch der Himmlischen, die hier so oft zu den Sterblichen sich herabgelassen, weht uns an.

Das Bild der Madonna datiert sich vom Jahr 1300, also nicht mehr dasselbe, vor dem einst Franziskus gekniet war.

 

Über dieses Kirchlein hatte einst ein frommer Mann folgendes Gesicht: Er sah eine große Menge Blinder um das Kirchlein herum auf den Knien mit ausgebreiteten Armen und zum Himmel gerichteten Augen um Barmherzigkeit und Erleuchtung flehen. Da kam auf einmal ein starkes Licht vom Himmel, welches Allen die Augen öffnete. In der Tat haben sehr viele geistig Blinde in diesen heiligen Mauern das innere Licht der Gnade empfangen.

Das kleine Kirchlein füllt sich am 2. August jedes Jahr von Sonnenaufgang bis Untergang mit Andächtigen, welche hier den hl. Ablass zu gewinnen zusammenströmen.

 

Die Kapelle über dem Ort, wo der hl. Franziskus starb, steht in der Kirche Maria von den Engeln zwischen Portiunkula und der Sakristei. Als der Heilige im Palast des Bischofs sehr schwer krank darnieder lag und sein Ende herannahen fühlte, ließ er sich nach dem Kirchlein Maria von den Engeln tragen, um dort sein Leben zu beschließen, wo er den Grund zur Vollkommenheit, sowie zu seinem hl. Orden gelegt hatte. Am 3. Oktober, am Vorabend seines Todes, versammelte er seine geistlichen Söhne um sich, gab ihnen die zärtlichsten Ermahnungen und segnete sie wie der Patriarch Jakob seine Söhne. Das Beispiel des göttlichen Heilandes nachahmend, ließ er sich ein Brot bringen, segnete es und gab einem jeden ein Stücklein davon als Sinnbild der brüderlichen Eintracht. Der Bruder Elias war der einzige, der seinen Teil nicht aß, sondern weinte, vielleicht aus trauriger Vorahnung der Spaltung, die er in den Orden bringen sollte.

 

Franziskus befahl seinen Söhnen ausdrücklich, die Kirche Maria von den Engeln allezeit in hohen Ehren zu halten, und trug dem General auf, Sorge zu tragen, dass immer nur die frömmsten Brüder bei diesem Heiligtum wohnen sollten.

 

„Hütet euch“, sprach er unter anderem, „diesen Ort zu verlassen, und wenn man euch auf der einen Seite hinausjagt, so geht auf der andern wieder hinein; denn er ist heilig; hier ist die Wohnung Jesu Christi und der hl. Jungfrau; wer hier andächtig betet, wird erhalten um was er bittet; wer aber hier sündigt, wird um so strenger bestraft werden.“

 

Es war am 4. Oktober 1221, an einem Samstag, da nahte die Todesstunde des hl. Franziskus. Um zu zeigen, dass er mit der Welt nichts gemein habe, ließ er sich nackt auf den Boden legen und nahm nur ein Kleid an, welches man ihm als Almosen gab, um so die hl. Armut getreu bis zum Tod zu bewahren. Hierauf diktierte er sein geistliches Testament, segnete noch alle anwesenden und abwesenden, gegenwärtigen und zukünftigen Kinder und ließ sich das Evangelium: „Von dem Osterfest“ vorlesen. Er selbst stimmte darauf den Psalm an: „Voce mea ad Dominum clamavi“, und betete ihn fort bis zum letzten Vers: „Educ de custodia animam meam ad confitendum nomini tuo; me expectant justi, donec retribuas mihi!“ – „Führe aus dem Kerker meine Seele, damit sie deinen Namen preise; die Gerechten warten mein, bis du mir vergeltest.“

 

Nach diesen Worten verschied der hl. Vater, und wie einen Stern in wunderbarem Lichtstrahl sahen die Brüder seine Seele zum Himmel fliegen.

 

Der hl. Leib wurde nach dem Tod ein Gegenstand allgemeiner Verehrung und Andacht. Alles lief herbei, um die merkwürdigen Wundmale zu sehen. Man sah deutlich die Nägel aus den Händen und Füßen hervorstehen und auch die Seitenwunde konnte man sehen, die der Heilige im Leben immer sorgfältig verborgen hatte. Seine sonst bräunliche Haut war schneeweiß geworden, seine Glieder blieben biegsam. Die Nacht über blieben die Brüder beim hl. Leichnam, und verherrlichten Gott in seinem hl. Diener, ihrem Vater, mit Lobgesängen.

 

Sein Begräbnis in der Hauptkirche zu Assisi glich nach den Worten des hl. Bonaventura einem Freudenfest himmlischer Geister. Das Herz des hl. Vaters wurde nach seinem Wunsch in Maria von den Engeln beigesetzt und ruht heute noch in der genannten Kapelle.

Von anderen Merkwürdigkeiten in Portiunkula ist noch erwähnenswert: In einer Kapelle der großen Kirche sieht man eingegittert ein Stück Holz, das noch von der Kanzel erhalten ist, von der aus der hl. Franziskus und die sieben Bischöfe den Portiunkula-Ablass verkündet haben.

 

Außerhalb der Kirche, unweit der Sakristei, findet man die Grotte, auch die Kapelle der Rosen genannt, wo Franziskus betete, als ihm der Engel die Nachricht brachte, dass der Herr Jesus ihn in dem Kirchlein erwarte. Wie die Einladungen der Engel, fanden hier auch die großen Versuchungen des Satans statt.

 

Neben dieser Kapelle sieht man noch die Rosenstöcke, die sich aus den Dornsträuchen wunderbar gebildet haben; sie sind stets grün und ohne Dornen und ihre Blätter zeigen Makeln von Blutflecken. In der Sakristei werden solche Blätter den Pilgern ausgeteilt.

 

 

Rivo Torto.

 

Auf der Landstraße von Foligno nach Perugia liegt die Kirche Rivo Torto. Sie hat den Namen von dem Bach, der in Krümmungen um sie herum durch die Ebene fließt. Zur Zeit des hl. Franziskus war hier eine Kapelle mit einer armen Hütte, worin der hl. Vater eine lange Zeit wohnte und seine Jünger unterrichtete. Es war hier das Noviziat der ersten seraphischen Söhne, und darum bleibt der Ort merkwürdig.

 

Den 12 Aposteln gleich, wählte sich der hl. Stifter 12 Jünger aus, die seinen Orden in alle Welt verbreiten sollten. Es waren folgende: Bernard von Quintavalle, Petrus Cataneus, Aegidius, Sabbatin, Moricus, Johannes de Capella, Philippus Longus, Constantius, Barbarus, Vigilantius, Silvester und Angelus Tancredi.

 

Darunter war ein Judas, nämlich Johannes de Capella. Er hatte das Amt erhalten, das empfangene Almosen zu verteilen und geriet dabei in die Fallstricke des Geizes. Der hl. Vater warnte ihn oft davor, aber der unglückliche Jünger war unverbesserlich. Er fiel in eine Krankheit, entfernte sich von den Brüdern und erhängte sich selbst.

 

Alle Übrigen zeichneten sich durch einen hohen Grad der Heiligkeit aus.

      

 

Agnes von Assisi

 

Die Stadt Assisi erkennt es an, dass sie durch den hl. Franziskus nicht allein eine heilige Stadt geworden ist, sondern dass sie durch sein Gebet und durch seinen Segen eine Stadt der Heiligen geworden ist. „Benedicta civitas“, „Gebenedeite Stadt“, sprach er, „weil in dir und durch dich viele Seelen werden gerettet werden.“ In der Tat hat das Gebet und der Segen des seraphischen Vaters über seine Vaterstadt die Segnungen des Himmels herabgezogen. Besonders ergoss sich die Gnade des Himmels in reichlichem Maße über die Familie Scesi, so dass sie vorzugsweise eine benedicta familia – eine gesegnete Familie genannt werden muss. Der Graf Favorino aus dem alten Geschlecht der Scesi war ein tapferer Rittersmann und dabei auch ein guter Christ, während seine Gemahlin Hortulana aus dem Hause der Fiumi, Grafen von Sterpeto, von ganzer Seele fromm war. Ihre Frömmigkeit zog sie in das heilige Land, um zu Bethlehem an der Wiege des Erlösers um gute Kinder zu beten, und um auf dem Kreuzweg zu Jerusalem die Gnade zu erflehen, das Kreuz einer Ehefrau und Mutter standhaft zu tragen. Wenn nach den Worten des göttl. Erlösers ein guter Baum gute Früchte bringt, so müssen die Kinder, womit Gott Hortulana beschenkte, auch gute Kinder gewesen sein. Und das waren in der Tat die fünf Kinder Hortulana`s, besonders ihre vier Töchter. Denn eine davon war die hl. Klara, eine die hl. Agnes, die dritte Beatrix, sowie die Mutter selbst starben als Klarissinnen ebenfalls im Rufe der Heiligkeit. Folgte auch die älteste Tochter Hortulana`s ihren Schwestern nicht ins Kloster, so schickte sie doch ihre drei Töchter, Amata, Balbina und Agnes und ihre Enkelin Klara, welche alle als Klarissinnen in großer Heiligkeit ihre Tage beschlossen, als Ersatz dahin. Endlich waren die seligen Silvester und Rufinus, Schüler des hl. Franziskus, Enkel von zwei Brüdern des Vaters der hl. Agnes, deren Lebensumriss nun folgen mag.

 

„Höre, Tochter, und schaue, und neige dein Ohr; und vergiss dein Volk und das Haus deines Vaters“ (Psalm 44,11). Klara, die 18jährige Tochter des gräflichen Ehepaares, Favorino und Hortulana, hatte bereits diesen Worten, welche der himmlische Bräutigam ihr sanft ins Ohr flüsterte, und welche der Brautwerber des himmlischen Königs, Franziskus, ihr laut wiederholte, Gehör gegeben, hatte das väterliche Haus verlassen und aus den Händen des hl. Franziskus das Ordenskleid empfangen. Sie wurde, weil sie noch allein war, vom heil. Ordensstifter zuerst in das Kloster der Benediktinerinnen von St. Paul und bald nachher in das von St. Angelo del Panso versetzt. Klara`s Verschwinden brachte ihre ganze Verwandtschaft in Alarm. Kaum hatte man ihren Aufenthalt erfahren, stürmte man zum Kloster. Allein Schmeicheleien, Befehle und Drohungen konnten die Standhaftigkeit der Braut Christi nicht erschüttern. Sie umklammerte den Altar, entblößte ihr geschorenes Haupt und erklärte, dass keine Gewalt sie von hinnen bringen würde, worauf sich die Verwandten zurückzogen und sie in Ruhe ließen. Man erlaubte jedoch ihrer jüngeren Schwester Agnes hie und da einen Besuch bei ihr, in der Hoffnung, sie könnte dadurch wieder Sehnsucht nach der Familie bekommen und endlich in dieselbe zurückkehren. Allein die Sache kam ganz anders. Klara hatte inständig zu Gott gebetet, er möchte auch ihre Schwester Agnes aus den Gefahren der Welt herausführen, und der göttliche Bräutigam ließ unaufhörlich seine Worte an deren Herz ergehen: „Höre, Tochter ... und vergiss das Haus deines Vaters.“ So konnte endlich Agnes 16 Tage nach der Flucht ihrer Schwester mit ihrer Namenspatronin der hl. Martyrin Agnes, Gott danken, dass er die weltliche Liebe aus ihrem Herzen genommen, und konnte ihrer Schwester ihren Entschluss erklären, bei ihr bleiben und sich ganz Gott weihen zu wollen. War der Kampf Klara`s mit ihren Verwandten ein harter, so war der Sturm, welcher über dieses Lämmlein (denn das bedeutet der Name Agnes) zu kommen drohte, noch viel wuchtiger. Denn kaum hatten die Verwandten von dem Entschluss Agnesens Kenntnis erhalten, stürmte Monaldus, ein Bruder des Vaters, der sich zur Ausführung dieses Unternehmens erboten hatte, mit zwölf Bewaffneten dem Kloster zu, und als gütliches Zureden und grimmige Drohungen erfolglos blieben, schritt man zu roher Gewalt. Man ergriff die Jungfrau an den Haaren und schleppte sie unter Stößen und Schlägen aus dem Kloster und den Abhang des Hügels hinab, während sie nach dem Vorbild Jesu, der sich schweigend wie ein Lamm zur Schlachtbank führen ließ, ihren Mund zu keiner Klage öffnete, wohl aber zu Hilferufen: „Klara,“ so rief sie aus, „hilf mir, liebe Schwester, damit ich Jesus Christus nicht entrissen werde!“ Die Hilfe bestand darin, dass Klara zu Gott um Hilfe flehte, die auch wunderbar kam. Denn auf einmal bekam der Körper der Jungfrau ein solches Gewicht, dass alle zusammen sie nicht mehr von der Stelle bringen konnten, und erstarrte ihrem Onkel der Arm, mit dem er einen Schlag auf sie führen wollte, worauf die Rotte, durch das doppelte Wunder erschreckt, beschämt ihre Beute verließ. Hierauf umarmte Klara ihre Schwester und führte sie wieder in das Kloster zurück. Franziskus gab nun auch ihr das Ordenskleid und versetzte sie mit Klara nach St. Damian, welches Kloster nun das Mutterhaus des zweiten Ordens der Klarissen, der Schauplatz der Tugenden der hl. Klara und ihrer Schülerinnen und die Pflanzschule für die vielen Klöster wurde, welche schon bei Lebzeiten der hl. Klara in verschiedenen Ländern entstanden. Insbesondere schickte die hl. Klara ihre Schwester, unsere hl. Agnes, nach Florenz, Mantua, Padua, Venedig und nach anderen Orten, um Klöster zu gründen und sie durch Wort und Beispiel in den seraphischen Geist einzuführen und sie darin zu befestigen. Ein Porträt der hl. Agnes, einen Spiegel, worin sich ihre schöne Seele treu abgespiegelt, bildet der rührende Brief, den sie aus Florenz der hl. Klara und der ganzen Klostergemeinde von St. Damian geschrieben hat. Wie ein Lämmlein, wenn es allein dasteht, nach dem Mutterschaf und nach der Herde blökt, so seufzt Agnes in diesem Brief mit Sehnsucht nach dem Wiedersehen und nach der Heimkehr in den heiligen Schwesternkreis von St. Damian. Wie ergreift es, wenn man da liest, wie Agnes ihre Schwester „ihre Herrin und Mutter“ heißt, und sich selbst „als niedrige Schwester und geringste Schülerin Jesu“ im Geist allen Mitschwestern „zu Füßen“ wirft; wie sie dann klagt über ihr Heimweh nach ihnen, das sie verzehrt, obschon, wie sie sagt, auch die Mitschwestern in Florenz ihr alle Liebe und pünktlichen Gehorsam erweisen.

 

 

Was soll man von ihren Arbeiten und Tugenden sagen, indem das Wenige, was auf uns gekommen ist, nichts sagt im Vergleich zu dem, was sie wirklich getan hat, und doch mehr als genügend ist, ihre große Heiligkeit zu beweisen. Gott weiß es genau, wie viel und wie segensreich sie in Ausbreitung des Ordens gearbeitet hat; noch mehr sind ihre Bußwerke und ihre stillen Tugenden nur Gott vollkommen bekannt. Während sie noch einfache Nonne war, hatte sie in Mitte ihrer frommen Gefährtinnen durch eine so ungewöhnliche Heiligkeit geleuchtet, dass sie einen den übrigen unbekannten Weg der Vollkommenheit gefunden zu haben schien. In der langen Zeit, die sie entfernt von der Schwester lebte, hörte sie nicht auf, das Beispiel heldenmütiger Tugenden zu geben. Von Kindheit an bis zum Tod ein Bußhemd tragend, lebte sie nur von Wasser und Brot, und auch davon genoss sie nur wenig. Hart und rau gegen sich, war sie voll Güte und Mitleid gegen andere. Ihr Eifer im Gebet und in der Betrachtung grenzt ans Wunderbare. Oft brachte sie ganze Nächte damit zu. Als sie einst in einem Winkel des Chores zur Nachtzeit betete, beobachtete die hl. Klara, wie sie in den Lüften schwebend nach einander mit drei Kronen gekrönt wurde. Als sie am Tag darauf von der hl. Klara im Gehorsam beauftragt wurde zu sagen, was sie zu jener Stunde betrachtet hätte, sagte sie: „Zuerst betrachtete ich die Güte und Langmut Gottes, womit er die Sünder, welche seine Rache täglich durch ihren Undank herausfordern, geduldig erträgt. Zweitens seine unaussprechliche Liebe gegen die Sünder, indem er das bitterste Leiden und den schmählichsten Tod für sie ertrug. Drittens endlich betrachtete ich die Leiden der armen Seelen im Fegefeuer, die sich nicht helfen können.“ – In der Christnacht sah sie alles, was die Brüder in weiter Ferne taten, hörte ihren Psalmengesang und sah das Jesuskindlein leibhaftig und lebend in der Krippe liegen. Vom Gründonnerstag bis Karsamstag betrachtete sie in Verzückung das Leiden Jesu mit solcher Innigkeit, dass sie, den Sinnen wiedergegeben, nur eine Stunde lang geschlafen zu haben glaubte. Von den Wundern, womit sie vor und nach dem Tod leuchtete, sei nur eines erwähnt. Als sie mit dem Tode rang, liefen viele Leute herbei, um sie noch einmal zu sehen, und drängten sich über die Stiege des Klosters hinauf, so dass diese unter ihren Füßen brach und viele schwer verletzt wurden. Da riefen sie alle die sterbende Dienerin Gottes an, worauf sie alle gesund aufstanden. Endlich starb sie am 16. November 1253 im 56. Jahr ihres Alters zu St. Damian bei Assisi drei Monate nach dem Tod ihrer Schwester, der hl. Klara, und ging hinüber, um sich durch alle Ewigkeit an dem Hochzeitsmahl des Lammes, ihres göttlichen Bräutigams nämlich, mit allen heiligen Jungfrauen zu laben. Ihr heiliger Leib wurde mit dem der hl. Klara im Jahr 1260 in die im Innern der Stadt für die Klarissen gebaute und der hl. Klara geweihte Kirche gebracht, wo er noch gegenwärtig verehrt wird.

 

Es wird wohl kaum ein Tier geben, dem so hohe Ehren widerfahren, wie es beim Lamm der Fall ist. Denn das Lamm hatte im alten Bund die Ehre, den Welterlöser vorzubilden: es wurde auf Befehl Gottes als Brand- und Sühnopfer geschlachtet, und Gott hatte Wohlgefallen an Opfern, nicht weil es ein Lamm war, sondern weil es das Kreuzesopfer seines Sohnes vorbildete; die Propheten führten den künftigen Welterlöser den Israeliten gleichfalls unter dem Bild eines Lammes vor die Augen, das unter der Schere den Mund nicht öffnet und sich geduldig zur Schlachtbank führen lässt, und der heilige Vorläufer zeigte auf den bereits erschienenen Erlöser mit den Worten hin: „Siehe da das Lamm Gottes, siehe, der die Sünden der Welt hinwegnimmt.“ Der Apostel Petrus nennt ihn ebenfalls das unbefleckte Lamm, durch dessen Blut wir erlöst sind, Johannes heißt ihn in der geheimen Offenbarung sehr oft das Lamm und preist diejenigen glücklich, welche zur Hochzeit des Lammes geladen sind, und die hl. Kirche hat diese Bezeichnung in Wort und Bild beibehalten. – Wie der menschgewordene Sohn Gottes uns in allem, die Sünde ausgenommen, gleich sein und unser Bruder werden wollte, so ließ er uns auch Anteil an seinem Ehrentitel eines Lammes. Er gibt dem Apostel Petrus die Gewalt, seine Lämmer zu weiden, und nennt sich den guten Hirten, der die zärtlichste Sorge für seine Schafe hat und für sie sogar sein Leben hingibt.

Bin ich auch ein gutes Lämmlein des Herrn, wie es die heilige Agnes war? Habe ich eine Lammesnatur? Das Lamm ist das Sinnbild der Unschuld, und die hl. Agnes war so ein unschuldiges Lämmlein. Ich bin auch aus dem Taufbrunnen als rein gewaschenes Lämmlein hervorgegangen; bin ich noch rein und unschuldig, so wandle ich vorsichtig, bewahre die Unschuld, und ich bin zur Hochzeit des Lammes eingeladen, d.h. ich bin ein Kind der Seligkeit; habe ich aber unglücklicher Weise mein Hochzeitskleid durch Sünden beschmutzt, so wasche ich die Schmutzflecken durch Bußtränen ab, und dann gehöre auch ich zu den Hochzeitsgästen des Lammes. Ferner ist das Lamm geduldig, und die hl. Agnes war so ein geduldiges Lämmlein, und öffnete ihren Mund zu keiner Klage, als man sie misshandelte, wohl aber rief sie die hl. Klara um Hilfe an. Ich will es auch so machen. Ich will die Geduld bewahren aus Liebe zu Gott bei allen Vorkommnissen und Prüfungen und rufe Gott und seine Heiligen um Hilfe an; zögert diese, so bete ich um Geduld. Das Lamm ist folg- und lenksam, es lässt sich vom Hirten leiten und hört auf die Stimme des Mutterschafes, und unsere hl. Agnes war so ein gehorsames Lämmlein, gehorchte aufs bereitwilligste und pünktlichste der hl. Kirche und deren Oberhaupt, dem Ordensstifter Franziskus und ihrer Oberin, der hl. Klara; sie fühlte in ihrer langen Entfernung vom Mutterkloster schwer das Opfer des Gehorsams, aber sie brachte es Gott ohne Vorbehalt. Ich soll sie auch darin nachahmen: ich soll freiwillig und pünktlich gehorchen aus Liebe zu Gott, der hl. Kirche und meinen geistlichen und weltlichen Vorgesetzten, kurz, ich folge der hl. Agnes, welche mich durch ihr Beispiel zur Hochzeit des Lammes ladet, ich soll ein so unschuldiges, geduldiges und folgsames Lämmlein sein, wie sie, und ich werde gleich ihr zur Hochzeit des Lammes gelangen. Will sich aber ein Wolf an mir vergreifen und mich fortschleppen, so rufe ich zum Himmel um Hilfe, wie die hl. Agnes in der größten Not ausgerufen hat: „Hilf mir, hilf mir, liebe Schwester, damit ich Jesus Christus nicht entrissen werde!“

 

 

Der Sonnengesang

unseres heiligen Vaters Franziskus.

(In freier Übersetzung.)

 

Herr, mächtig, gut und hoch und hehr, -

Kein Mensch ist würdig, Dich zu nennen,

Nur Dir gebührt Lob, Preis und Ehr`,

Und Alles soll in Lieb` entbrennen, -

Gelobt seist Du - und Du allein -

Durch all die edlen Werke Dein!

 

Gelobt seist Du durch jeden Strahl,

Durch allen Glanz der edlen Sonne,

Die - als von Dir das Bild zumal -

Die ganze Welt erfüllt mit Wonne;

Sie wirkt den Tag, weckt Groß und Klein,

Gelobt seist Du durch ihren Schein!

 

Gepriesen seist Du, Herr, alsdann

Auch durch des Mondes sanften Schimmer, -

Die Sternlein, wandelnd ihre Bahn,

Verkünden Deine Allmacht immer;

Wie hast Du sie so schön gemacht,

So hell und klar als Licht der Nacht!

 

Gelobt sei durch des Windes Weh`n,

Und durch der Wolken rastlos Eilen,

Durch Wetter, Luft und das Besteh`n

Der Zeiten, die das Jahr uns teilen,

Denn so gedeiht die Kreatur,

So grünt das Feld, so blüht die Flur!

 

Gepriesen sei, Herr, immerdar

Durch Meer und Strom, durch Bach und Bronnen;

So keusch und köstlich, kühl und klar

Dient sie der Welt zu Nutz und Wonnen

Des Wassers Flut, - sei benedeit

Durch jedes Tröpflein jederzeit!

 

Gelobt sei durch des Feuers Macht,

Das stark und schön und allbezwingend,

Das uns erhellt in dunkler Nacht,

Den Wesen Licht und Wärme bringend;

Von Dir der Glanz, von Dir die Glut,

Sei drum gelobt, Du höchstes Gut! -

 

Gelobt, gepriesen und geehrt

Sei, Herr, durch unsre Mutter Erde,

Die uns erhält, beherrscht, ernährt,

Dass Allem Kraft und Labung werde,

Die Kräuter, Blüt und Frucht uns bringt,

Und Jahr um Jahr sich neu verjüngt!

 

Gelobt, gepriesen sollst Du sein,

Durch Alle, die im Leben leiden,

Die - Trübsal duldend - gern verzeih`n,

Die Zorn und Zank und Zwietracht meiden; -

Solch Friedenskind ist selig schon,

Du reichst, o Herr, ihm einst die Kron!

 

Gelobt seist Du, o Herr, zum Schluss

Auch durch den Tod mit seinen Wehen,

Dem jeder Mensch sich beugen muss,

Kein Lebender mag ihm entgehen!

Drum selig, wer von Sünden rein,

Ihn führt der Tod zum Leben ein!

 

So singe denn die ganze Welt,

O Herr, die Wunder Deiner Werke!

Der Alles schuf und es erhält,

Dem sei allein Preis, Ruhm und Stärke;

Ihm dank und diene Jedermann

Und bete Ihn voll Demut an!

 

 

Die selige Viridiana aus dem III. Orden - Reklusin

(Ein lieblich tönendes Glöcklein in der vermauerten Klause.)

 

„Dieses Tor soll verschlossen bleiben und nimmermehr geöffnet werden,

und niemand soll durch dasselbe gehen.“ Ezech. 44,2

In der schönen Toskana und, genauer bezeichnet, in dem wein- und getreidereichen Elsa-Tal erblickt der Reisende, wenn er mit der Eisenbahn von Florenz nach Siena fährt, links auf einer Anhöhe die blühende Ortschaft Castelfiorentino, wie sie mit ihrer alten Burg, die ihr den Namen gab, hernieder winkt. Es ist der Geburtsort der seraphischen Klausnerin, der seligen Viridiana. Einer vornehmen Familie entsprossen glich sie schon in ihrer Kindheit einem Baum, der durch seine Blütenpracht reichliche Früchte verspricht. Irdischer Tand und weltliche Vergnügungen waren nie im Stande ihr Herz zu fesseln; hingegen hatte sich dieses im Bewusstsein, für etwas Höheres geschaffen zu sein, schon frühzeitig von der Welt und von allem, was diese bieten konnte, abgeschlossen, um für ihre Seele ein geheimes Kämmerlein, ein Heiligtum zu sein, worin diese fortan nur Gott und seiner Liebe leben sollte. Weil sie aber befürchtete, die Feinde ihrer Seele könnten durch die morsche Mauer ihres Leibes eine Bresche machen und sie in ihrer geheiligten Einsiedelei überfallen, so umgab sie diesen mit einem scharfen Bußgürtel und mit einem eisernen Reif, und zog überdies um denselben durch Fasten und andere Bußwerke einen tiefen Graben, den die Feinde nicht überschreiten sollten. Durch solche Gewaltmittel zahm und unterwürfig erhalten würde der Leib gerne der Seele in die Einsamkeit nachgefolgt sein, wenn sich ihm vor der Hand nicht Hindernisse in den Weg gestellt hätten. Viridiana kam nämlich in das Haus eines reichen Verwandten, dessen Frau, wie es scheint, zur Führung des Hauswesens weniger Geschick hatte, und musste, obschon noch zart an Jahren, die Leitung der ganzen Hauswirtschaft übernehmen. Diese Stellung benützte sie, um den Lieblingen des Geliebten ihres Herzens, den Armen, deren zur Zeit einer großen Teuerung nicht wenige vor Hunger verschmachteten, zu Hilfe zu kommen, und teilte einst eine ganze Kiste voll von Hülsenfrüchten unter sie aus, zeigte aber dem deshalb über sie aufs höchste aufgebrachten Herrn, nachdem sie die ganze Nacht zu Gott um Hilfe gefleht hatte, des andern Morgens die Kiste wunderbar wieder angefüllt. Weil jedoch dieses und andere von ihr gewirkte Wunder und die all umher strahlende Heiligkeit ihres Lebens ihr nicht bloß die Achtung ihres Verwandten, sondern auch die allgemeine Verehrung des Volkes zuzog, so unternahm sie, um den Ehrenbezeugungen aus dem Wege zu gehen, in Begleitung einiger frommer Frauen eine Wallfahrt zum Grab des hl. Apostels Jakob nach Kompostella und zu den Gräbern der Apostelfürsten nach Rom. Nach ihrer Rückkehr konnte sie der süßen Einladung des Geliebten ihres Herzens, der sie in die Einsamkeit führen, in ihr die Liebe ordnen und an ihr Herz sprechen wollte, nicht mehr widerstehen. Sie baute sich daher an der Kirche des hl. Antonius eine kleine Zelle, in die sie nun als Nonne gekleidet trat, und deren Tür sie nicht bloß hinter sich schloss, um im Verborgenen zum Vater im Himmel zu beten, sondern die sie hinter sich sogar vermauern ließ, um für ihr ganzes übriges Leben darin i Gebet und strenger Buße mit Gott allein zu weilen, und nur ein Fensterchen daran anbringen ließ, um durch dasselbe die himmlische Seelenspeise und die notwendigste körperliche Nahrung zu empfangen. Hier empfing sie nach einigen Jahren nebst dem notwendigen Unterricht in der Regel des dritten Ordens aus den Händen des hl. Franziskus selbst auch das Kleid desselben, während sie bisher ohne bestimmte Regel einfach ein Einsiedlerleben nach der Anleitung der inneren Einsprechungen geführt hatte. Jedoch sollte Viridiana in dieser Abgeschlossenheit nicht mit Gott allein sein. Denn, wie sich der ersten Frau, als sie allein im Paradiesgarten lustwandelte, die höllische Schlange zugesellte, um sie zu verführen, so sparte sie auch bei Viridiana, die, selbst ein verschlossener Garten in ihrer einsamen Zelle, welche ihr ein himmlischer Lustgarten war, worin sie sich mit dem himmlischen Bräutigam ihrer Seele vergnügte, keine Künste und keine Gewalt, um sie von ihrem allgeliebten Jesus loszureißen, und da ihr dieses nicht gelang, so schickte sie ihr zwei wirkliche Schlangen als ebenso übermütige, wie unheimliche und ekelhafte Gesellschafterinnen in ihre Zelle. Jedoch, lassen wir nicht der höllischen Schlange die Ehre, der Seligen diese Gelegenheit sich Verdienste zu sammeln geboten zu haben. Es war vielmehr Viridiana selbst, welche den Herrn darum gebeten hatte, um den heiligen Einsiedler Antonius nachahmen zu können. Diese fürchterlichen Tiere nun, welche der Dienerin Gottes schon durch ihren Anblick Schrecken einjagten, betrugen sich gegen sie auch sehr „liebenswürdig“. Nicht damit zufrieden, aus ihren Händen die Nahrung zu empfangen, wollten sie keinen Rangunterschied dulden, sondern verlangten mit ihr aus derselben Schüssel zu essen und ihr auch bei ihrer Nachtruhe Gesellschaft zu leisten, und geißelten die zarte Jungfrau im Weigerungsfall mit ihren Schwänzen. Obwohl, oder eben weil diese Gesellschafterinnen Viridianas so viel Gelegenheit zu dulden gaben, waren sie ihr so lieb, dass sie den Erzbischof von Florenz, der sie von den Schlangen befreien wollte, bat, ihr diese Geduldlehrerinnen noch weiter zu lassen. Ja, als die Schlangen einst von einem Streifzug, den sie in die Umgebung der Einsiedelei unternommen hatten, mit verstümmelten Schwänzen zurückkamen, stellte sie ihnen Viridiana durch das Kreuzzeichen wieder zurück, wofür sie aber ihre Wohltäterin noch grausamer behandelten. Erst, nachdem eine von ihnen von den Leuten getötet worden war, blieb auch die andere aus, woraus die Selige erkannte, dass ihr selbst der Tod nicht mehr fern war. Kurz gesagt, war diese Braut Christi in der Tat „ein verschlossener Garten“ (Hohel. 4,12), unversehrt und unzugänglich, dessen Tugendblumen den göttlichen Bräutigam erfreuten und den ganzen Himmel entzückten. So stand diese kluge Jungfrau, nachdem sie 34 Jahre in der vermauerten Klause nach dem göttlichen Bräutigam gesucht hatte, bei seiner Ankunft mit gefüllter Lampe bereit, um ihm nach in den himmlischen Hochzeitssaal einzuziehen. Sie starb reich an Verdiensten und durch Wunder glänzend am 1. Februar des Jahres 1242. Kaum hatte ihr liebendes Herz zu schlagen aufgehört und waren die letzten Klänge dieses lieblich tönenden Glöckleins in der einsamen Klause verklungen, erschollen alle Glocken von Castelfiorentino von selbst in festlichem Feiergeläut, um ihrer reinen der Erde entschwebten Seele zur ewigen Ruhe Glück zu wünschen. Als die Bewohner über das wunderbare Geläut erstaunt nach dessen Grund forschten, gab ein unmündiges Kind darüber Aufschluss, indem es eben so wunderbar die Zunge zum Sprechen löste und sagte: „Die Heilige Gottes Viridiana ist gestorben.“ Da zog die Geistlichkeit und das gesamte Volk zur Zelle der Seligen, deren entseelten Leib sie, nachdem sie die Mauer durchbrochen hatten, nicht etwa in einem Winkel der Zelle liegend fanden, sondern in deren Mitte aufrecht kniend mit den Händen zum Himmel erhoben und einen wunderbaren Wohlgeruch verbreitend. Um der Andacht der Leute, die sogar von Florenz, Siena, Pisa und Volterra haufenweise herbeiliefen, Rechnung zu tragen, ließ man sie 16 Tage unbegraben, während welcher Zeit manche wunderbare Krankenheilungen vorkamen. Eine besondere Macht bekundete sie aber in Austreibung von bösen Geistern und in Heilung von Wunden. Papst Klemens VII. erlaubte die kirchliche Feier ihres Festes, welche auf den 13. Februar angesetzt wurde.

 

Die selige Viridiana, diese gelehrige Schülerin Jesu Christi, ist eine vortreffliche Lehrerin der vom Herrn so eindringlich empfohlenen Zurückgezogenheit oder Einsamkeit. Der göttliche Erlöser nämlich, der selbst Nächte allein im Gebet durchwachte und auch auf dem Ölberg allein zu Gott dem Vater flehte, gibt jedem von uns den Rat, die Einsamkeit aufzusuchen, wenn er spricht: „Du aber, wenn du betest, gehe in deine Kammer, und schließe die Tür zu, und bete zu deinem Vater im Verborgenen; und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird es dir vergelten“ (Matth. 6,6). Maria, die unbefleckte Braut des hl. Geistes, befand sich in ihrem Kämmerlein zu Nazareth allein im Gebet und erschrak, als der Erzengel eintrat und sie grüßte. Als die Apostel bei verschlossenen Türen einmütig versammelt waren, trat der auferstandene Heiland in ihre Mitte und wünschte ihnen den Frieden. Sie bereiteten sich auch in dem verschlossenen Speisesaal auf die Ankunft des hl. Geistes vor. Und so müssen alle, die den hl. Geist, die von Gott große Gnaden empfangen wollen, sich von dem Lärm der Welt in die Einsamkeit zurückziehen; denn da spricht Gott an ihr Herz.

Wie nun? Soll ich mich selbst hinter Schloss und Riegel setzen, oder gar einmauern, wie die selige Viridiana? Nun das gerade nicht. Es gibt eine doppelte Einsamkeit: die des Leibes und die der Seele. Was die Einsamkeit des Leibes anbelangt, musst du, ja sollst du nicht überall dabei sein, wo ein blauer Rauch aufsteigt, und mitmachen, wo es lustig hergeht. Die Unterhaltungen sind bei weitem nicht alle so unschuldig, für die du sie ausgibst. Wenn du irgendwo eine giftige Schlange im Gras verborgen weißt, so weichst du jener Stelle aus, um nicht einen giftigen Biss zu bekommen und dein leibliches Leben zu gefährden. Lauert nicht auf den meisten Schaubühnen, wie sie jetzt sind, die höllische Schlange, um Seelen zu vergiften? Und auf den Tanzböden, sind dort keine giftigen Schlangen? Ferner, sind in manchen Gesellschaften keine giftigen Schlangen zu fürchten? Ist in der sogenannten Unterhaltungslektüre nicht häufig Gift, das langsam tötet? Ist der Verführer, der dir schmeichelt, nicht eine äußerst gefährliche Schlange? Alle diese Schlangen sind zu fürchten und zu fliehen, weil sie der Seele den Tod bringen können, während die selige Viridiana ihre zwei Schlangen lieben konnte, weil sie ihre Seele mit Verdiensten bereicherten. Der Schlusssatz vom ganzen ist also: Halte dich von der Welt und ihrem Treiben, so viel als möglich, fern, wenn du deine Seele sicher retten willst. Das raten dir die Geisteslehrer, das lehren dich die Heiligen durch ihr Beispiel.

 

Doch man muss in der Welt leben, man muss auch notwendig mit ihr verkehren. Kann man daher dem Leib nach sich von der Welt nicht gänzlich abschließen, so tue man es der Seele nach. Richte also, lieber Christ, dein Herz so zu einer Klause her, worin deine Seele als Einsiedlerin mit Gott allein verkehren kann. Da aber der Leib gar zu gebrechlich ist, um eine feste Ringmauer um die Klause deines Herzens zu bilden, so musst du vor allem die Türen desselben gut schließen d.h. die Sinne des Leibes streng bewachen, und ihn selbst durch Abtötung und Buße befestigen. Ist dann dein Herz so befestigt und bewacht, und haltet deine Seele darin fleißig Klausur d.h. schweift sie nicht in der Welt herum, sondern wandelt sie innerlich mit Gott, so wird auch Gott in deinem Herzen wie in seinem Lustgarten mit ihr lustwandeln, und deine Seele wird so schon auf dieser Welt einen Vorgeschmack des Himmels finden und mit der Braut im Hohenlied entzückt ausrufen: „Mein Geliebter ist mein und ich bin sein“, bis endlich der göttliche Bräutigam sie, wie die Seele Viridianas, aus der Verbannung und dem Kerker erlöst und sie in den himmlischen Hochzeitssaal einführt, wobei nicht der Schall metallener Glocken, sondern die Stimmen aller Engel und Heiligen ihr Glück wünschen werden, dass der Geliebte ihr eigen sein wird durch die ganze Ewigkeit.

 

 

Der Zitronenbaum des hl. Vaters Franziskus.

 

Im Klostergarten des Conventes des hl. Franziskus am Tiberufer in Rom stand mehrere Jahrhunderte hindurch ein großer Zitronenbaum. Auf mächtigem Stamm emporstrebend teilte er sich in drei große Äste, welche dann in kleineres Gezweig ausliefen. Nach uralter Überlieferung ward derselbe fortwährend „der Baum des hl. Franziskus“ genannt, da man allgemein glaubte, der hl. Vater habe eigenhändig ihn gepflanzt. Als Papst Paul V. im Jahr 1613 im genannten Klostergarten eine große Zisterne graben ließ, stellte sich die Notwendigkeit heraus, diesen Baum zu entfernen. Man grub ihn aus und brachte ihn in den Klosterhof, nahe der Pforte neben der Kapelle des dritten Ordens. Dort wuchs und blühte er wie früher, so dass häufig Pilger aus allen Landen sich zum Kloster begaben und in frommer Verehrung die abgefallenen Blätter aufsammelten und wie hl. Reliquien mit sich nahmen, und wenn je es ihnen gelang, auch eine Frucht davon zu erhalten, so fühlten sie sich glücklich wie im Besitz eines Schatzes. Der Ordenschronist, Wadding, schreibt darüber wie folgt:

 

„Noch steht im Klosterhof der Zitronenbaum des hl. Franziskus, vom hl. Vater selber gepflanzt, und obgleich er jedes Jahr um das Fest des hl. Vaters all seines Blätterschmuckes beraubt wird, um der frommen Habgier des Volkes zu genügen, so steht er doch immer bald wieder in frischem Grün und weist fortwährend hin auf den hl. Vater durch eine merkwürdige Erscheinung an seiner Frucht: denn am Stiel, von welchem die Zitrone herabhängt, sieht man im Kreis fünf Narben, gleichsam um die fünf Wundnarben am Leib dessen in Erinnerung zu bringen, der den Baum einst gepflanzt.“

Als am 26. August 1871 durch ein Dekret von Viktor Emanuel II. (König von Italien) die Franziskaner den größten Teil dieses Klosters samt dem Garten verloren, so waren sie mit der eifrigsten Sorgfalt bemüht, diesen Baum zu retten und zu erhalten. Er ward mit der größten Emsigkeit samt allen Wurzeln ausgehoben und in das kleine Gärtlein, das ihnen noch geblieben, übertragen und mit der zartesten Aufmerksamkeit gepflegt.

Voll Besorgnis und in banger Erwartung schauten die Religiosen im Frühling des Jahres 1872 nach dem Baum, ob er wohl zu Leben und Blüte gelangen werde. Aber – drei dünne Zweige nur zeigten sich, welche gleich wieder verdorrten; weiter gab der Baum kein Lebenszeichen mehr. Alles hielt ihn für gänzlich erstorben, und so ward er samt der Wurzel ausgegraben und in einen Winkel des Gartens geworfen, um bei Gelegenheit als Brennholz zu dienen.

 

Im Sommer 1873 schnitt ein Laienbruder, Fr. Joseph a Carpineto (gestorben im Dezember 1881), von diesem verdorrten Stock eine beiläufig zwei handlange Wurzel ab und pflanzte sie in die Erde zu großem Gelächter der übrigen Laienbrüder, die das für pure Torheit hielten und behaupteten, das sei ja ganz unmöglich, dass eine vollkommen verdorrte Wurzel je zu keimen imstande sei. Fr. Joseph, dem nach dem natürlichen Augenschein auch kein anderer Gedanke kommen konnte, trug sich aber mit der sicheren Hoffnung, der hl. Franziskus werde die dürre Wurzel keimen machen und den alten Zitronenbaum wieder ins Leben bringen. Voll Zuversicht darauf vertrauend, pflegte er seinen Setzling mit aller Emsigkeit und unter fortwährendem Gebet, der liebe Gott möge seiner Sorge und Mühe Gedeihen geben. Und richtig – im August sah er an der genannten Wurzel drei grüne Knospen und bald drei kleine Schösslinge hervorwachsen. Es lässt sich nicht beschreiben, mit welcher Freude dies alle Religiosen erfüllte, die sofort herbei eilten, das neu erwachte Leben an dieser ihnen so teuren Reliquie des hl. Vaters zu bewundern, während natürlich Fr. Joseph mit erneutem Mut zur Fortsetzung seines begonnenen Werkes erfüllt ward.

Aber am 5. November 1873 wurden die Franziskaner vollends aus diesem Kloster vertrieben und ward von der italienischen Regierung auch dies Gärtlein in Beschlag genommen. Da hatten die Brüder nichts Eiligeres zu tun, als diese Wunderpflanze den räuberischen Händen zu entreißen. Sie setzten dieselbe in ein Geschirr und übergaben sie einem braven, geschickten Gärtner, Franz Morini, zu weiterer Pflege. Jedoch, obgleich er zur Erhaltung der Wunderpflanze alle Sorgfalt verwendete, so zeigte sich doch zwei Jahre lang kein Wachstum an derselben; vielmehr begann sie fahl und dürr zu werden, so dass die Brüder voll Trauer schon alle weitere Hoffnung aufgeben wollten. Grund davon war, wie es sich später herausstellte, dass das Geschirr nicht die gehörige Form hatte. Die Furcht, die Pflanze zu verlieren, steigerte sich noch durch den Umstand, dass Fr. Joseph und der Gärtner Morini über seine weitere Pflege verschiedener Ansicht waren: der Erstere behauptete, man solle sie im bisherigen Geschirr lassen, sonst werde sie sicher zugrunde gehen; Morini aber war der Überzeugung, es sei notwendig, sie aus dem Geschirr zu entfernen, damit man sehen könne, was daran fehle. Endlich pflichtete man dem Vorschlag des erfahrenen Gärtners bei. Dieser nahm die Pflanze heraus, schnitt einen Teil davon, welcher bereits in Fäulnis übergegangen war, ab, setzte den noch frischen Teil mit neuer Erde bedeckt wieder an die Sonne und begann im Verein mit Fr. Joseph wieder dessen eifrige Pflege, die endlich zum gewünschten Ziel führte. Denn die kleine Pflanze zog bald wieder zu neuem Leben und drei starke, kräftige Zweige wuchsen heran; in den Jahren 1877 und 1878 erschien das kleine Bäumchen schon in vollem Blätterschmuck, und endlich 1879 fand sich dasselbe mit vielen wohlriechenden Blüten bedeckt und zeitigte siebzehn Früchte von vortrefflichem Geschmack.

 

Nach dieser wahrheitsgetreuen Darstellung wird uns niemand Übertreibung zum Vorwurf machen, wenn wir sagen, der hl. Vater Franziskus selber habe durch seine Fürbitte seinen alten Zitronenbaum wieder zum Leben gebracht und in dem dreifachen Zweig desselben gleichsam seine drei Orden sinnbildlich dargestellt und seinen Söhnen die süße Hoffnung ins Herz gelegt, es werde dieser dreifache Orden zu Nutz und Frommen der hl. Kirche und der bürgerlichen Gesellschaft aus der jetzigen fast allgemeinen Unterdrückung mit Gottes Gnade zu neuem und frischen Leben wieder erstehen. O möge dies bald geschehen! Amen.

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2. Papst

       

Das letzte Stündlein des Papstes

 

Der große Papst Innozenz lag am Nachmittag des heißen 16. Juni 1216 im erzbischöflichen Palast zu Perugia, auf erhöhten Lagern, bei offenen Fenstern in den letzten Zügen. Jäh war es über den blühenden Herrn gekommen und hatten ihn aus großen Plänen und einem Tisch voll noch nasser, weltregierender Diktate ins Sterben geworfen. Eine Orange zur Unzeit, Fieber, verwirrter Medikus und der Tod, das ging in einem halben Tag.

 

Er sah vom Kissen aus das Tibertal zu den Gesimsen heraufleuchten und drüben die kleinen Stadtnestlein Assisi, Spello, Foligno und Trevi von den Gebirgshängen winken. Aber reden, schreiben, auch nur noch mit dem Finger deuten konnte der Sterbende nicht mehr. Steif und still lag er da. Unter den Fenstern auf dem Pflaster hörte er die Rosse trampeln, Wagen vorfahren, Eilboten im Galopp den Hügel hinunter nach Rom rasen. Er hörte die Ärzte arabische Phrasen gegeneinander schimpfen und dazu mit ihren langen Röcken rauschen. Und das Hofgesinde und die Prälaten hörte er flüstern: „Er ist aus reichem Haus und ein großer Sparer gewesen. Wer kennt sein Testament? Was vermacht er uns?“ – Und übel klang dazu, wie man sich schon um die Schlüssel zu dieser und jener Truhe sorgte. Aber noch viel übler war das fromme, ängstliche Durcheinander anzuhören: „Gott, was wird aus unserer heiligen Kirche? – So jung der Kaiser, so furchtbar der Muselmann, so nötig der Papst wie die Sonne am Himmel! Wer soll seinen Stuhl füllen? Die Welt fällt auseinander.“ – Das und alle die tausend Geräusche, die das Abtreten eines Großen und das Kommen des Nachfolgers begleiten, hörte er mit dem so feinen Ohr der Sterbenden. Aber er lachte in seine große Seele hinein. Ach, was war doch dies alles für Torheit! Drüben glänzt Assisi. Dort lebt der Mann, der für diesen Augenblick allein noch passt. Wo ist Franziskus, der Bettler? Franziskus her! Ach, wenn er ihn doch rufen könnte!

 

Der stand einmal vor seinem Stuhl in Rom und fragte demütig: „Herr Papst, dürfen wir arm sein?“

 

Der junge Papst schüttelte damals verwundert seinen lockenbraunen Kopf. Die Hofschranzen aber spotteten laut.

 

„Dürfen wir von der Armut leben?“ wiederholte Franz noch demütiger.

 

Innozenz lächelte fein. Was war das für eine Speise, die Armut? Was für ein Reichtum, das Nichtshaben?

 

„Herr Papst, so meine ich`s: Darf ich eine Familie gründen aus lauter Freiern? Aber nicht aus Freiern um adelige Töchter oder um Bischofsmützen oder um Baronate! Ach nein, aus Freiern um die schöne, reine, selige Frau Armut! Dürfen wir von Almosen leben? Und daneben wie die Vögel und die Eichhörnchen im Walde hausen, die bequeme liebe Erde zu Stuhl und Tisch und Bett und Studierpult und Futterplatz nehmen? und das Summen und Brummen der Tierlein zur Musik und das Wasser zum Spiel? Und dürfen wir so sorgenlos der Natur und ihres Bauherrn uns freuen? Und weil ganz gewiss so eine Armut allein der wahre Reichtum ist: dürfen wir unser köstliches Freiertum auch anderen predigen? etwa den Schwitzenden und den Belasteten? den Verdrossenen und den Geizhälsen und den Schlemmern? Damit alle einfach werden? Denn einfach sein, ist wie das Evangelium sein, ist selig sein. Dürfen wir, Herr Papst, sag`, dürfen wir?“

 

Das sang und drang in des Heiligen Vaters Herz wie mit Vogelstimmen. Es war vor wenigen Jahren. Wie gut weiß er es noch! Und wie sieht er noch immer deutlich jenen blassen, jungen, sonnigen Mönch in der staubigen Kutte mit seinem zwitschernden Gesellen vor ihm stehen und so fröhlich betteln, als hätte er den blauen Himmel im Auge und einen Engel auf der Zunge.

 

„Aber ihr fallt den Menschen zur Last mit eurem Betteln und leidet dann Not und haltet es nicht lange aus!“

 

„Lasset uns nur machen, Herr Papst, es wird schon gehen. Wenn es den unwissenden Vögeln gelingt, so einem Spatz und Gimpel sogar, warum nicht auch uns schlau einfältigen Geschöpfen?“

 

Da ließ Innozenz sie gewähren. Und als die Mindern Brüder mit ihrem herrlichen Wald- und Harzgeruch aus dem Marmorsaal des Lateran hinaus gesprungen waren und nur noch ein leises blaues Wolkendüftlein von ihnen an der Diele hing und still verschwebte, da fühlte der Heilige Vater zum ersten Mal wieder, seit er die weiße Papstseide trug, dass es noch Größeres gibt als die grelle Glorie seiner Regierung: Einfachheit der Seele, Franzens, des heiligen Habenichts, Einfachheit.

 

Jetzt aus all der verschachtelten und verwinkelten Krämerwelt hinaus in die Nähe des Todes gerückt, fühlt er wie Heimweh einen Hauch dieser Einfachheit über sich kommen. Sehnsüchtig blickt er über die Bettpfosten am Fußende hinaus und hinüber nach Assisi, wo der Heilige nun schon jahrelang mit den Vögeln und Füchsen und Jüngern lebt und wirkt, der Adam einer neuen Schöpfung.

 

Wenn doch jetzt dieser arme Franz da wäre und zu ihm ein Wort vom Frieden der Seele reden wollte, jetzt in diesen paar so wichtigen letzten Minuten!

 

Die Umgebung sieht wie der Schweiß aus der kühlen, bleichen Stirn des Papstes rinnt und wie sein Auge quälerisch sucht. Was möchte er wohl?

 

Ob er kühles Wasser wolle oder den Erzbischof Baldi oder seinen treuen Hofkaplan?

 

Nein, nein, nichts dergleichen! Ach, könnte er nur den einen Namen rufen! Ob man ihm etwas vorbeten solle?

 

Seine schwarzen, großen Augen sagen ja. Aber vorbeten sollte der große heilige Bettler. Das wäre ein Gebet wie von einem Riesen.

 

Man betet mit brennenden Kerzen ums Bett aus den alten gewichtigen Psalmen. Wie das dröhnt beim hundertsten Sang: „Nimm mich nicht aus der Mitte der Tage weg!“ – Und wieder beim neunzehnten: „Die kommen mit Wagen und die mit Rossen, - ich aber im Namen des Herrn!“ –

 

O, das alles erlöst nicht. Innozenz möchte eine mildere Sprache, er möchte das Wort Figliolo (mein Sohn) hören, wie es Franz von Assisi so süß sagen kann, und Padre und Patria, wie er allein es so heimatlich ausspricht. Unbefriedigt irren seine Blicke umher und haften dann immer wieder an den fernen, schimmernden Mauern von Assisi.

 

Da fällt endlich einem Kleriker ein, dass der wunderbare Franz von dort drüben zurzeit in Perugia weile. Man hat ihn noch am Vormittag mit Bettlern auf der Piazza spielen sehen. Er ist ein Narr und ein Heiliger. Vielleicht könnte der noch helfen. Und vielleicht ist es das, was der Sterbende sucht. „Soll man den Poverello holen, Heiligkeit?“

 

Innozenzens Augen leuchteten vor Freude. Und ein Erzpriester von San Lorenzo rennt hinaus und sucht Franz durch alle Schnörkel der Stadt. Umsonst! Er läuft in alle Schenken, Torheit! Endlich findet er den Bruder hinten im Spitalhof, wie er einem Siechen Suppe schöpft und zu jeder Kelle ein prachtvolles Sprüchlein weiß.

 

„Sagt dem Papst,“ wendet sich Franz heiter gegen den Prälaten, „ich könne nicht kommen. Ich müsse der Kranken warten. Unser großer Papst hat hundert Diener. Aber Nazaro hier, der Blinde, hat niemand, der ihm gut und höflich servierte.“

 

Der Heilige Vater nickte leise mit den Augen auf diesen Bescheid und wartete geduldig. Als er dachte, Franzens blinder Krüppel sei nun wohl gut und höflich serviert, sandte er wieder hin. Und diesmal ging ein Erzbischof.

 

Wieder suchte man lange auf und ab. Endlich traf man den Heiligen an der alten Stadtmauer zur Porta Nella hinunter in einem Rudel Gassenkinder. Franz teilte ihnen zusammengebettelte Orangen und Feigen und Brötchen aus und

 

erzählte, während sie mit großen, weißen Zähnen alles appetitlich aßen, Geschichtlein auf, Geschichtlein von hohen und mächtigen Kindern der Bibel, also vom gewaltigen Hirtenbuben und Schleuderer David, vom übermächtigen Knaben Simson, der Löwen mit bloßer Hand erwürgte; dann vom viel kleineren, hübschen und unsinnig schlauen Daniel und von den hellhaarigen, großartigen sieben Söhnen der Makkabäerin, die über Feuer und Messer wie

 

über dummes Spielzeug lachten. – Und immer klatschten die kleinen Zuhörer in die schmutzigen Hände, schrien: „Bravo, Davide! Bravo, Daniele! Bravissimo, piccolo figlio Makkabäo!“ und flehten dann: „Noch ein Geschichtlein, nur noch eines, Bruder Franz! Es ist so schön, was du da alles weißt. Wir wollen es nachmachen, sicher! Also denn, was war`s mit dem kleinen Krausebürschlein Giovanni Battista?“

 

„Sagt dem Papst“, unterbrach jetzt Franz seine Kinder und verneigte sich ehrsam vor dem Erzbischof, „ich könne wirklich nicht kommen. Ich müsse Kinder lehren. Unser Heiliger Vater ist ja weiser als alle Kinder und Greise. Er braucht keinen Lehrer. Er ist Lehrer der Lehrer. Und wenn er sich doch einen klugen Spruch will sagen lassen, so hat er ja ein Dutzend Doktoren von Paris und Bologna um sich. – Und nun, ihr lieben losen Jungen, gebt acht, was ich euch vom kleinen Battista…“

 

Schmerzlich verzog Innozenz den feinen Mund auf diese Meldung und wartete, bis Franz alle Geschichtlein von mächtigen und heiligen Kindern den Perugierschlingeln unten an der Mauer erzählt hatte. Er galt dem heiligen Bruder also weniger als ein Blinder im Spital oder als irgendein ungehobelter Gassenbengel. Das war sehr betrübend. Aber Innozenz demütigte sich und glaubte, Franz tue recht. Und als er meinte, die Kinder hätten nun alle schönen Geschichten gehört, da sandte er, fast gar schon ohne Atem und Herzschlag, noch einmal dringend hin: Franz möge jetzt doch um alles kommen! Der Papst sterbe, wenn er zögere. Es sei doch etwas Großes, wenn ein Papst rufe. – Diesmal waren es zwei Kardinäle in langen, brennend roten Purpurschleppen.

 

Doch Franz befand sich schon nicht mehr bei den Kindern, sondern ging durch den Garten des reichen Baglioni spazieren, als wäre der sein Gut. Und da fand man ihn mitten im Weglein, zwischen den hohen Rebstangen stehen und eine Spinne trösten, der er unachtsam die silberne Hängebrücke zerrissen hatte. Nun flatterten die Reste traurig im Wind.

 

Franz zog aus seinen zerfaserten Ärmeln so lange, dünne Fäden, als er nur konnte, und suchte mit Bedacht und Fleiß sie zu verschlingen und mit den Enden zu verknüpfen und der Kreuzspinne so den Weg hinüber wieder ordentlich zu flicken.

 

„Saget dem Papst, ich müsse doch wahrhaft dem Spinnlein den zugefügten Schaden wieder gutmachen. Der Heilige Vater hat mich nicht so nötig. Hundert Nachfolger warten auf sein Sterben, um gleich an seinem Faden das Netz Petri wieder weiterzuspinnen, oder zu flicken, wie es ihnen gut scheint. – Aber du, zierlich gesprenkeltes Spinnlein, hast wohl Hunderte, die dein Gewebe zerstören, aber niemand, der es wieder flickt. Da muss schon der dumme Franz herhalten.“

 

Und der fuhr fort, seine feinen Fäden aus dem Ärmel zu zupfen und zu verknüpfen und über das Laub zu ziehen, indessen die Spinne mit ihren hundert dankbaren, funkelnden Augen dem seltsamen Gehilfen vom gezahnten Rand eines Blattes auf jeden Finger sah und sich an dieser menschlichen Plumpheit köstlich ergötzte.

 

Diesmal wagten die Boten nicht heimzukehren und zu sagen, Franz habe ein garstiges Ungeziefer dem heilig und dreifach Gekrönten vorgezogen. Sie warteten also, indem sie bald an der seidenen Schleppe zogen, wenn eine Schnecke darüber kriechen wollte, oder eine Fliege abwehrten, die auf ihr goldenes Brustkreuz sich geradewegs hinsetzte, weil es so funkelte in der süßen, gelben, umbrischen Vespersonne. Dann horchten sie wieder gegen San Lorenzo hinauf, ob dort vom Schalloch die Totenglocke noch nicht anschlage.

 

Endlich war Franz mit seiner Feinweberei fertig. Die Spinne bedankte sich durch ein munteres Gezappel der Füße und durch ein gewaltiges Gefunkel der hundert Äuglein.

 

„Gehen wir jetzt“, sagte Franz fröhlich, nachdem er ringsum weder einen Krüppel, noch ein Kind, noch ein Tierlein oder sonst was Bedürftiges sah, dem er etwas zulieb tun könnte.

 

Indessen lag Innozenz hochauf in den Kissen, dem Fenster und den Bergen von Assisi zugewandt. Und es fiel gerade die Sechsuhrsonne, die tiefgelbe, umbrische, auf die päpstliche Krone zu Häupten des Bettes. Das Geschmeide flammte auf wie eine zweite Sonne und tauchte das ganze Gemach bis in die hinterste Ecke in einen seltsamen, goldigdunklen Dunst. – Der Papst horchte auf jeden Tritt über das Straßenpflaster unter dem Fenster. Plötzlich öffnete er die Augen weit und lächelte. Von allen anderen Füßen unterschied er das leichte Holzschuhgeklapper des Bruders Habenichts. Er atmete schon den Wald- und Heideduft und das Paradieslüftchen dazu, das von Franz ausging. Seine feinen, bleichen, seidigen Lippen öffneten sich leise wie zum Grüßen.

 

Aber auf der Schwelle blieb Franz jählings stehen und hielt die Hände wie geblendet vor das Gesicht und sagte: „Herr Papst, da kann ich nicht hinein.“ Man rief, drängte, stieß. Was soll nun das? Warum spielt er jetzt wieder den Sonderling? Ist dies die Demut des Gottesknechtes, sich so zu gebärden? Warum, warum doch kann er nicht hinein?

 

„Mich blendet die Erde allhier!“ antwortete der Poverello einfach.

 

Da hoben sie die Krone weg, und es wurde dämmerig im Saale und Franz konnte hereinkommen. Er kniete vor dem Papst auf beide Knie nieder wie ein Kind. Und Innozenz lächelte so zufrieden, wie er seit der Siegeskunde von Tolosa nie mehr gelächelt hatte. Ihm war, es knie ein Cherubim an seiner Seite. Franz aber begann: „Vielglücklicher, Heiliger Vater, nun sagt Ihr: Fahr` wohl, Welt! Aber da knistert und rauscht und schmeichelt sie noch immer um Euch, so dass der Himmel nicht recht heran kann.“

 

Sprach`s und zog dem Papst, der immer fröhlicher dreinschaute, das seidene Schulterröcklein und die goldene Kette und sogar die breite, golddurchwirkte, schwere Stola ab. Alles sah zu und entrüstete sich und wagte doch keine Widerrede. Aber Franz warf seinen braunen, von so vielen Bettelreisen verstaubten und von so vielen Gassenbuben verunglimpften Mantel ab und legte ihn dem Papst über Brust und Schultern.

 

Dann blickten sich die Zwei lange in die Augen und durch diese offenen Fenster in die tiefste, heimlichste Seele, der oberste Gebieter und der unterste Knecht auf Erden – und beide verstanden sich.

 

„Rede doch mit ihm“, gebot der Kardinalbischof von Ostia. „Deinen Trost will er haben.“

 

„Von der Schlacht bei Navas de Tolosa sag` ihm! Hunderttausende tote Heiden! Sag` das!“ schrie der Graf von Benevent.

 

„Oder vom Kreuzzug nach Byzanz!“ meinte ein flämischer Baron.

 

Aber Franz zog ein paar Spinnfäden mit höflichen und feinen Fingern aus seinem Bart und zog sie dem Papst über das noch immer braune, krause und jetzt vom Sterben ganz nasse Haar. So andächtig tat er das, als wären diese grauen Fäden das köstlichste der Welt.

 

„Seht, Herr Papst“, sprach er dann munter, „es bleibt Euch nichts von allem Rom und Weltreich. Ja, von allem großen Spinnen und Weben und Sorgen über Alpen und Meere hin bleibt Euch weniger als meiner Schwester Spinne drüben in den Weinlauben.“

 

„Nicht so musst du reden“, schalt da der ritterliche Bischof von Pisa. „Von den Bannstrahlen sag` ihm lieber, die über den Gotthard in den deutschen Schnee flogen; von den getrösteten Königinnen zu Paris und Leon, und solches mehr! Das klingt fürs Leben und Sterben schön!“

 

„Und doch“, fuhr Franz fröhlich fort, ohne im geringsten auf den Hoftross zu achten, „ist Euch etwas Köstliches geblieben und das Beste von allem, Herr Papst: die reine Armut! Da nehmt diese Fetzlein Spinnfaden! So arm seid Ihr, ein Bettler in Trastevere ist dagegen ein Krösus!“

 

„Basta!... Vom Konzil im Lateran erzähle!“ mahnt der Statthalter von Spoleto.

 

„Vom Krieg gegen die Ketzer!“ eiferte Montforts junger Vetter.

 

Aber Franz sah die vermehrte Freudigkeit des Heiligen Vaters wie einen hellen Sonntag über der Stirn ausgebreitet und plauderte unverdrossen weiter: „Vergesst das alles, was Eure guten Herren da jubilieren. Und kehrt lieber zurück in Eure Jugend. Da hast du“ – begann er den Papst mit einem mal zu duzen, „da hast du ein Büchlein geschrieben, lieber Bruder, weißt du noch?“

 

Jetzt lag nichts Politisches und Staatsmännisches mehr im Papstgesicht. Ein junges, weiches Lächeln überzog alle Härte dieses Marmorkopfes. Wie ein Kind sah der große Innozenz aus.

 

Denn er sah sich als feurigen, frühreifen Knaben vom Wein und von der Minnemusik im elterlichen Palast hinauslaufen in die tiefen Rebenstauden des Schlosshügels von Segni und nachdenken, was mehr sei, als so ein erhobener Becher und so ein geharfnetes Liebeslied und so ein bunter und doch schwermütiger Champagnertanz. Und wieder sah er sich nachts im Bücherzimmer seines Vaters sitzen und über dem Ekklesiastes studieren, wenn der Docht schon herunter gebrannt war und seine Adelsgenossen sich zechmüde nach Hause trollten, - sah sich dasitzen im Finstern und nachsinnen über das, was das Genie aller Zeiten nie Größeres lehrte: einfach sein! Und der Sterbende besann sich gut, wie er damals voll stürmischer Begeisterung anfing, raue Kleider zu tragen und das Wenigste und Gewöhnlichste zu essen und zu trinken, was durchaus zum Leben gehört; und die hochlehnigen, weichen Stühle zu fliehen und ein Werklein zu schreiben: „De contemptu mundi“ („Über die Geringschätzung des Irdischen“). Ah, er weiß jetzt, dass er nie so glücklich war wie damals beim heißen, herzklopfenden Niedergekritzel jener wenigen Blätter. Sie machen ihn jetzt glücklicher als die gebogenen königlichen und kaiserlichen Knie seines ruhmvollen Pontifikats. Es war schon nicht mehr irdische Heiterkeit, es war eine andere, erdfremde Sonne, die auf seinem erblassenden Antlitz leuchtete.

 

„Bei allen Söhnen der Armut und bei allen Töchtern der heiligen Einfachheit“, sagte Franz, „wird dein Büchlein gelten. Deine Staatspapiere lärmen sich bald aus und liegen stumm in den Archiven wie Leichen im Sarg. Aber das Büchlein bleibt, solange der Weg vom Staub zum Geist und von der Erde zum Himmel durch das heilige Tor der Armut geht!“

 

Innozenz lag wie in Verzückung.

 

„So vollende denn diesen Königsweg, Herr Papst und Herr Bettler. Geh im Frieden! Um dieses Büchleins und seiner Stille willen wird dir viel Lärm verziehen werden!“

 

Damit fasste Franz die schon erkaltete Hand des Papstes, so wie man den Freund, der eine weite, gar stattliche Reise unternimmt, an der Hand fasst, als sollte er uns doch um der Bruderliebe willen aus dieser winkligen Langeweile heraus mitnehmen in seine helle, tapfere, wunderbare Straße hinaus.

 

Die schlanke Gestalt des Papstes tat einen leisen, feinen Ruck vom Kopf bis zu den Füßen des Bettes, dass es wie ein silbernes Leuchten durchs Zimmer ging, und öffnete den Mund und ließ fröhlich das letzte Lüftchen entgleiten. Und niemand hatte seiner hellen Miene den Tod angesehen und an einen Leichnam geglaubt, wenn sich Franz nicht zu den Versammelten gewendet und beinahe lustig gesagt hätte: „Seht einmal da unseren lieben Herrn Papst! Er hat seinem Nachfolger nichts hinterlassen als dies Lächeln auf der Stirn und diese paar Spinnfäden im Haar. Aber das ist genug.“

 

Und mit der gleichen Heiterkeit und den feinen, höflichen Händen, womit er vorher dem blinden Nazaro serviert, die Rangen gestreichelt und das Spinnlein bedient hatte, schloss er dem Heiligen Vater den offen gebliebenen Mund und scherzte noch: „Bleib nun still; du hast genug gelärmt!“

 

Verwirrung und Gewoge im Palast und in den Straßen der Stadt Perugia. Über die Leiche hin geht Posaunenstoßen und Rossgetrappel und das schwere, erhitzende Geschäft einer neuen Papstwahl. Und in diesem großen Getöse merken nur ein paar leise, fromme Menschen das Flattern einer weißen, unbekannten Taube, die sich zu Häupten des aufgebahrten Papstes in San Lorenzo niederlässt, wie damals, als man den Jüngling zum Papst erkor.

 

Als Franz spät am Abend in die Klosterstube zu Assisi trat, sagte er: „Unser lieber Bruder Innozenz ist soeben drüben in Perugia in diesem Mantel gestorben und hat den Frieden gewonnen!“

 

Da liefen die Brüder herzu und küssten das braune, grobe Tuch und wollten allsogleich das Requiem aeternam für den Toten anstimmen.

 

Aber Franz vollendete: „Betet also für die arme Seele des – neuen Papstes!“

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3. Papsttum

       

Während seines irdischen Lebens war Christus selbst das Oberhaupt der von ihm gestifteten Kirche. Als er aber zum Himmel hinauffuhr, war es notwendig, dass seiner sichtbaren Kirche auf Erden auch ein sichtbares Oberhaupt gegeben werde. Demgemäß setzte er den Simon, Sohn des Jonas, zum Fundament seiner Kirche, indem er zu ihm sprach: „Ich sage dir, du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.“ (Mt 16,18) Ihm gab er die Schlüsselgewalt in seiner Kirche: „Dir will ich die Schlüssel des Himmelreichs geben, und was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und was du lösen wirst auf Erden, soll auch im Himmel gelöst sein.“ Ihm übertrug er das oberste Lehramt mit den Worten: „Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht abnehme, und wenn du dereinst bekehrt bist, stärke deine Brüder!“ (Lk 22,32) Ihm verlieh Christus die höchste Regierungsgewalt: „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe!“ (Joh 21) Mit diesen Worten hat Jesus dem Petrus das oberste Lehr-, Priester- und Hirtenamt anvertraut, und er hat von seinen drei Gewalten Gebrauch gemacht, wie uns die Apostelgeschichte lehrt. Da nun die Kirche Christi nach seiner ausdrücklichen Bestimmung fortbestehen sollte bis ans Ende der Welt, so musste auch das Papsttum fortbestehen als eine der wesentlichsten Einrichtungen der Kirche, die die Menschen zur Wahrheit führen, mit Gnaden erfüllen und zum ewigen Leben leiten sollte. In der Tat erhielt Petrus, der im Jahr 42 seinen bischöflichen Sitz in Rom aufgeschlagen hatte, seine Nachfolger im Amt und die Reihe der Oberhirten auf dem päpstlichen Stuhl hat sich in 266 Päpsten fortgesetzt bis auf unsere Tage. Alle Nachfolger des heiligen Petrus auf dem Stuhl zu Rom hat die Kirche durch alle christlichen Jahrhunderte als ihre rechtmäßigen Oberhirten anerkannt, an den Bischof von Rom haben sich alle Bischöfe der Welt bei vorkommenden Streitigkeiten gewandt, seine Entscheidung galt als letzte Instanz, von seiner Genehmigung waren die Beschlüsse der Konzilien abhängig. Auf die höchste Warte gestellt, haben die Päpste über die Herde Christi gewacht, die reißenden Wölfe zurückgehalten, das wuchernde Unkraut ausgerottet, die Schäflein auf gute Weide geführt. Sind auch in der langen Reihe der Päpste einige wenige, die durch weltlichen Einfluss zur höchsten Würde gelangten, nicht von Verirrungen freizusprechen, so hat doch keiner von ihnen Irrlehren ausgesprochen, und es gibt keine Regentenfamilie, die so edle Charaktere, so mutige Bekenner, so heroische Martyrer, so gelehrte und kunstliebende Herrscher aufzuweisen hat, wie der Heilige Stuhl zu Rom. Die Päpste schützten die Welt vor der Barbarei, pflegten die Künste und Wissenschaften, retteten die Denkmäler des heidnischen Roms vor dem Verfall, stifteten die großartigsten Einrichtungen, um das Elend zu mildern, sandten ihre Missionare in alle Länder des Heidentums und schufen menschenfressende Barbaren in gesittete Menschen um. Rom mit seinem Papsttum ist bis zur Gegenwart der Mittelpunkt der Welt, der Sammelplatz der Gelehrten und Künstler, die Pulsader alles religiösen Lebens, die Sonne, die ihre milden Strahlen belebend, erwärmend und segnend über alle Länder der Welt ergießt und zeitliches und ewiges Glück unter den Völkern verbreitet. Gott sei Dank!

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4. Pflichten des Christen

 

Die erste und höchste Sorge vieler heiliger Frauen und Männer war die, die Pflichten als Christ gewissenhaft zu erfüllen und andere Christen zur treuen Pflichterfüllung anzuhalten. Jeder Mensch hat in dem Stand, in den ihn Gott gesetzt hat, gewisse Pflichten zu erfüllen. Denke recht oft nach über die Pflichten, die du als Christ zu beobachten hast.

 

1. Ich bin ein Christ. Welch unaussprechliche Gnade ist mir vor vielen anderen zuteil geworden, dass ich von christlichen Eltern geboren, im Glauben unterrichtet bin, während so viele noch in der Finsternis und im Schatten des Todes wandeln. Die Güte Gottes hat mich vor der Finsternis und dem ewigen Verderben bewahrt und mir den Weg zum Himmel gezeigt. Die Mutter Kirche hat mich in ihren Armen empfangen, im heiligen Taufbad mit himmlischen Gnaden erfüllt, durch mein ganzes Leben hat sie mich an ihrer Hand geleitet, sie will mich auch im Tod nicht verlassen und gewährt mir über das Grab hinaus Teilnahme an ihren Opfern und Gebeten. Welche Gunst! Die reiche Quelle aller Gnaden wäre für mich verschlossen, wenn ich kein Christ wäre. O Gott, wie wenig habe ich diese Gnade gewürdigt und benutzt. Wären die Ungläubigen und die Heiden im Schoß des Christentums aufgewachsen, sie wären längst große Heilige geworden. Wo aber ist mein Dank für meine Begnadigung? Wo sind die Tugenden, die Gott von mir erwartet? In Reue und Zerknirschung erkenne ich meinen Undank und beschließe, fortan meinem Christennamen Ehre zu machen.

 

2. Ich bin ein Christ. Übe ich auch die guten Werke eines Christen? Ein Christ soll das lebendige Abbild Christi sein. Habe ich Ähnlichkeit mit ihm? Ein Christ soll der Welt und ihrer Lust gekreuzigt sein, ich aber folge den falschen Grundsätzen und bösen Beispielen der Welt. Ein Christ soll Stolz und Eitelkeit aus dem Weg gehen, ich aber suche Ruhm und Achtung vor meinen Mitmenschen. Ein Christ soll die Leidenschaften bekämpfen und sich täglich Gott zum Opfer bringen, ich aber lebe nur meiner Bequemlichkeit und Lust. Ein Christ soll sanftmütig, geduldig, liebreich sein, und ich bin so oft zum Zorn, zum Neid, zu Eifersucht geneigt. Welch ein Trugbild von einem Christen war ich! Der Christ soll in der Welt leben, als lebte er nicht darin, er soll besitzen, als besäße er nicht, seine Gedanken sollen gen Himmel gerichtet sein. Gleicht mein Leben diesem Bild? Wohnen solche Gesinnungen in meinem Herzen? Ach Gott, ich habe den Namen eines Christen und entehre ihn so oft. Werde ich nicht von Gott verworfen werden?

 

3. Ich bin ein Christ, und als solcher werde ich einst gerichtet werden. Wie furchtbar wird der Richterspruch sein, wenn ich Rechenschaft geben muss von so vielem Zeitverlust, von so vielen missbrauchten Gnaden, von so vielen verletzten Pflichten, von so vielen Anregungen zum Guten, die ich nicht beachtete. Der furchtbare Richter wird mir zurufen: „Was hätte ich noch tun sollen, das ich nicht getan?“ Unwürdiger Christ, gib Rechenschaft über die Wohltaten, die meine Barmherzigkeit dir zufließen ließ. Ich habe dir das Licht des wahren Glaubens angezündet, habe dich mit meinem Blut erkauft, mit Wohltaten überschüttet und zur ewigen Glückseligkeit berufen. Was konnte ich mit Recht von dir erwarten? Unglückseliger! Ich wollte dein Erlöser sein und du zwingst mich, dein Rächer zu werden. In den Feuerpfuhl hinabgeworfen, wirst du ewig Seufzer ausstoßen und blutige Tränen weinen über die missbrauchten Gnaden. Du wirst um Hilfe rufen, aber niemand wird dich erhören. Weder die Barmherzigkeit, die dir geboten wurde, noch der Himmel, der dir offen stand, noch die Hölle, die dich bedrohte, haben dich auf die rechte Bahn zurückgeleitet. Besser wäre es für dich gewesen, du wärest nie geboren. Ein Christ in der Hölle. Welches Unheil!

 

O Gott der Güte, bewahre mich vor solchem Unglück. Ich will fortan, wie die Heiligen, meinem Christennamen alle Ehre bereiten, will meinen Glauben freudig bekennen und christliche Werke üben, damit ich dem allgerechten Richter ohne Furcht und Schrecken entgegensehen kann. Als wahrer katholischer Christ will ich leben und sterben. Barmherziger Gott, habe Mitleid mit meinen bisherigen Verirrungen und stärke meine guten Vorsätze. Amen. 

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5. Politik

 

Der Christ in der Politik

 

Papst Pius XII. hat klar ausgesprochen, dass ein echter Christ die Politik nicht unbeachtet lassen darf, „wenn immer lebenswichtige Interessen auf dem Spiel stehen, wo Gesetze beraten werden, welche die Gottesverehrung, die Ehe, die Familie, die Schule, die soziale Ordnung betreffen, wo immer durch die Erziehung der Geist einer Nation geschmiedet wird.“

 

Die wirkliche Aufgabe des Christen ist nicht, über die Welt zu urteilen, sondern sie zu retten. In dem großen Kampf zwischen Gut und Böse ist keine Front wichtiger als die politische. Das bedeutet nicht, dass jeder einen politischen Posten haben oder auch nur aktiv in einer Parteiorganisation tätig sein solle. Aber jede menschliche Gesellschaft ist politisch aktiv, und jedes erwachsene Mitglied einer solchen Gesellschaft hat die Pflicht, sich für die Politik zu interessieren. Wer erklärt: „Politik ist ein schmutziges Geschäft, mit dem ich nichts zu tun haben will“, weicht nicht nur seiner Bürgerpflicht, sondern auch seiner Christenpflicht aus.

 

Was kennzeichnet den wahren Christen in der Politik? Es ist nicht notwendigerweise der, den man am häufigsten an öffentlichen religiösen Veranstaltungen teilnehmen oder sich mit christlichen Führern unterhalten sieht; auch nicht der, der am lautesten behauptet, dass seine Ansicht die christliche sei, und ebensowenig der, der aus jeder Sache einen „Kreuzzug“ macht.

 

Der wahre Christ in der Politik ist der, dessen Entscheidungen oder dessen Unterstützung von Entscheidungen die Sache der Gerechtigkeit fördern. Wenn ein politisches Problem auf die einfache Frage gebracht werden kann, den Hungrigen zu speisen oder nicht, den Schutzlosen aufzunehmen oder nicht, dann kann es keinen Zweifel über die Stellung des Christen geben. Er wird mit Problemen wie Überbevölkerung, Heimatvertriebene und politische Flüchtlinge – soweit er irgend kann – so verfahren, wie Christus mit ihnen verfahren wäre.

 

Der Christ in der Politik muss ständig auf der Hut sein, die Rechte des Einzelnen und die der religiösen Einrichtungen vor Verletzung durch den Staat zu schützen. Er sollte auch der erste sein, der eine totalitäre Bedrohung erkennt und sich ihr widersetzt, woher immer sie kommen mag, von innerhalb oder außerhalb seines eigenen Staates.

 

Er sollte den Namen Christi vor Missbrauch und Profanierung schützen und selbst jede unberechtigte Berufung auf die Religion vermeiden. Er hat die besondere Pflicht, die Dinge Gottes von denen des Kaisers zu trennen.

 

Er sollte stets die Wahrheit sagen und Verleumdung und Ehrabschneidung, die ihm widerfährt, nur mit Wahrheit und Ehrlichkeit bekämpfen, selbst auf das Risiko einer Niederlage um der Wahrheit willen hin.

 

Er sollte eher optimistisch als pessimistisch sein, da die Hoffnung eine christliche Tugend ist. Sein Optimismus aber braucht nicht blind oder töricht zu sein; denn der wahre Christ weiß, dass Irren menschlich ist. Seine Haltung sollte vielmehr das hoffnungsvolle Vertrauen eines Mannes sein, der weiß, dass er sich auf Gott verlassen kann.

 

Der Christ in der Politik sollte auch Respekt vor der Meinung und den Motiven der anderen haben. Er kann dies, ohne dass er seine eigene Überzeugung aufgibt oder zugibt, dass diejenigen, die anderer Meinung sind, recht haben.

 

Und schließlich – und das ist das Wichtigste von allem – sollte er demütig sein, und in seinem Tun sollte sich widerspiegeln, dass er sich des großen Geheimnisses der Erlösung und der Würde aller Menschen bewusst ist.

Eugene J. McCARTHY

Aus „Commonweal“, New York, 1955

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6. Priester

 

Was ist uns der Priester?

  

Zwei deutsche Geistliche als Beispiele

 

Es war im Jahr 1915. Schwerverletzt und ohnmächtig geriet ich auf einem Schlachtfeld der lothringischen Front in Gefangenschaft. Erst im Verbandssaal des Krankenhauses Saint Clément in Metz kam ich unter den Händen der Deutschen wieder zu mir. Als meine Augen sich öffneten, fielen sie auf einen großen, mit Kalk geweißten Saal, der durch mächtige elektrische Lampen überhell erleuchtet war. Ein Militärarzt in Uniform und zwei Krankenschwestern beugten sich über mich und stellten mir in Deutsch Fragen, die ich wohl begriff. Allein wegen der Art meiner Verwundung – eine Kugel hatte mir den Unterkiefer zerschmettert – konnte ich überhaupt nicht antworten. Dazu kam noch eine furchtbare Schwäche, die Folge des starken Blutverlustes durch die Verwundung.

 

Als der erste Verband angelegt war, brachte man mich in ein Bett, an das zuerst eine Krankenschwester und kurz darauf ein Feldgeistlicher trat, da die Schwester der Ansicht war, dass bei der Schwere meines Zustandes die himmlische Medizin dringender war als die menschliche.

 

Der Feldgeistliche näherte sich mir. Es war ein großer, hagerer Mann mit Brille, das schwermütige, freundliche Gesicht war von einem schwarzen Bart eingerahmt. Später erfuhr ich, dass er Heiliggeistmissionar in Afrika war. Er beugte sich über mein Bett und sprach ganz nahe über mir. Er flüsterte nur, aber ich verstand ihn mit außerordentlicher Deutlichkeit. Ich konnte damals feststellen, - und diese Erinnerung ist mir nie aus dem Gedächtnis gekommen – wie wahr die landläufige Meinung über die außerordentliche Hörkraft der Sterbenden ist, was für Leute, die sich am Bett eines Sterbenden unterhalten, eine besondere Pflicht zur Vorsicht bedeutet. Diese wunderbare Stärke des Gehörs hatte ich schon einige Augenblicke vorher festgestellt, als die Schwester mit einer Bewegung des Kopfes dem Geistlichen mein Bett bezeichnete und dabei mit leiser Stimme, von der sie annahm, dass der vor ihr Liegende mit dem verbundenen Kopf sie nicht hören würde, gesagt hatte: „Er hat nur noch zwei Stunden zu leben“.

 

P. Hertling – später erfuhr ich auch seinen Namen – beugte also seinen langen Körper über das Bett. Ich sah, dass er ganz nahe bei mir sprach, so nahe, dass sein Gesicht beinahe das meinige berührte. Sein Blick bohrte sich in den meinen, und er sprach mit der leisen, aber deutlichen Klangfarbe einer Stimme, die daran gewöhnt ist, bei den Schwerkranken die letzten Reste des Gewissens zu erwecken. Er fragte mich, ob ich zu beichten und die Sterbesakramente zu empfangen wünsche. Ich antwortete mit einem schwachen Druck der Finger, den er ganz richtig als eine Annahme meinerseits auslegte. Die Beichte begann. Es war eine Beichte ohne Worte des Beichtenden! Der deutsche Missionar zählte vor dem französischen Verwundeten immer mit der gleichen hauchfeinen Stimme die Hauptsünden auf, mit denen ein Mensch seine Seele belasten kann. Ich antwortete mit einem schwachen Druck der Hände, wenn er Sünden aufzählte, deren ich mich schuldig fühlte.

 

Dann erhielt ich die Lossprechung. Niemals war hinter dem Vorhang eines Beichtstuhles das „Ego te absolvo“ mit solcher Erhabenheit und Majestät zu mir gesprochen worden wie jetzt in diesem Saal eines feindlichen Krankenhauses, inmitten eines Schweigens, das nur durch das undeutliche und schwere Stöhnen der Verwundeten unterbrochen wurde, die sich im Fieber auf ihren Lagern wälzten. Niemals hatte die Macht des Priesters für mich diese Kraft und diesen Zug der Feierlichkeit angenommen, den sie hier angesichts des Todes besaß.

 

Der Lossprechung folgte die Letzte Ölung. Ich spürte, wie die Hände des Priesters schnell und flüchtig über meinen Körper, über meine Füße und meine Lippen glitten, während sich gleichzeitig in meinem Innern ein eigenartiger Friede, eine unendliche Entspannung einstellte. Ich hatte im Augenblick, in dem die Schwester dem Geistlichen gesagt hatte, dass ich nur noch zwei Stunden zu leben hätte, eine dunkle und heftige Auflehnung in mir gespürt. Es war die instinktive Auflehnung jedes Lebewesens gegen den Tod. Jetzt beruhigte sich alles. Und mit der Auflehnung schwand auch die Angst und fiel von mir wie ein schwerer Klumpen. Ich fürchtete nun den Tod nicht mehr, ich nahm ihn an. Mein ganzes vergangenes Leben rollte mit einer wunderbaren Deutlichkeit in meiner Erinnerung ab, bis in die kleinsten Einzelheiten. – Ich bin in der Lage, persönlich zu bestätigen, was man über dieses einzigartige Phänomen der Belebung des Geistes und der Verstärkung des Gedächtnisses beim Herannahen des Todes schreibt. Ein unsagbarer, strahlender Friede senkte sich in meine Seele. Ich nahm von den geliebten Gesichtern Abschied mit der Hoffnung, sie wiederzusehen. Ich empfand die Ruhe eines Mannes, der vor der Abreise seine Angelegenheiten in Ordnung gebracht hat. Die Haltetaue waren zerschnitten. Ich hatte mich den Händen der göttlichen Güte überantwortet. Hier war ich geborgen.

 

Ich glaube, darin liegt eine Antwort auf die doppelte Frage: „Was ist uns der Priester, und was erwarten wir von ihm?“

 

Auf die erste dieser beiden Fragen: „Was ist der Priester für uns?“ antworte ich auf Grund der Erfahrungen, die ich so breit erzählt habe: Der Priester ist wohl in erster Linie der Mann, der mit besonderen Gewalten ausgestattet ist, der Mann des göttlichen Dienstes, der Spender der Sakramente.

 

Auf die zweite Frage: „Was erwarten wir von ihm?“ antworte ich: Eine Hilfe oder, vielleicht noch einfacher ausgedrückt, seine Gegenwart in den Augenblicken des Lebens, wo man die Abwesenheit der anderen ganz besonders empfindet. Vielleicht kann uns gerade eine Szene wie die in jener Nacht des Frühjahrs 1915 zwischen einem deutschen Feldgeistlichen und einem französischen Gefangenen im Saal eines Lazarettes einen Begriff geben von der Macht der Hilfe eines Priesters am Bett eines Sterbenden.

 

Der Priester kommt, wenn der Arzt geht. Er ergreift mit seinen Händen die Hand, die der Mann der medizinischen Fakultät losgelassen hat, weil er keinen Puls mehr schlagen spürte. Seine Rolle, eine schwere Rolle, beginnt genau in dem Augenblick, wo die Kunst des anderen aufhört. Er soll seine Macht, die Macht, mit der ihn Christus bekleidet hat, in dem Augenblick zeigen, wo der Arzt dieser Welt seine Ohnmacht eingesteht.

 

Das ist entschieden eine Übertragung der Kraft, deren Feierlichkeit den Menschen in den Tagen der Stärke und Gesundheit nicht zum Bewusstsein kommt. Der Priester nähert sich seinem Bruder, dessen Kräfte versagen, um ihm beizustehen im dunklen, letzten Kampf, in einem Augenblick, wo die anderen, die Gefährten der frohen Stunden, ihm den Rücken kehren. Er spricht ganz nahe bei ihm, spricht ihm ins Ohr, unterstützt ihn, ermutigt ihn. Er hat die ganze unermessliche Kraft des Beistandes der Kirche zu seiner Verfügung. So begleitet er den Menschen auf dem dunklen Weg bis zum letzten Schritt.

 

Wie sind die Rollen vertauscht! Mit welcher Überheblichkeit, mit welcher Geringschätzung für seine armselige Macht hat man ihm lange Zeit, bis zuletzt, den Professor Soundso, den berühmten Spezialisten, vorgezogen! Mit welcher Verbissenheit hat man an die Arzneimittel und an die Spritzen geglaubt! Aber nun hat der Arzt nichts mehr in den Händen, wenn der Priester mit dem heiligen Öl ankommt.

 

Was ist der Priester für uns? Ist die einfachste Antwort darauf nicht die: jener Mann, dessen Hauptaufgabe darin besteht, in allen entscheidenden Punkten unserer kurzen Erdenbahn einzugreifen?

 

Über die Größe seiner Rolle, über die Macht, die ihm die Sakramente geben, deren Spender er ist, schrieb Goethe im 7. Buch seiner Erinnerungen Seiten, die zu den ergreifendsten seines ganzen Werkes gehören. Er, der Protestant, hat uns, nachdem er den Seufzer verlauten ließ, in dem so viel verdienstliche Offenheit liegt, „der Protestant hat zu wenig Sakramente“, ein Bild unerreichter Schönheit über die Sakramente der katholischen Kirche gegeben, in denen durch einen „glänzenden Zirkel gleich würdig heiliger Handlungen Wiege und Grab in einem stetigen Kreise verbunden“ sind, über die Letzte Ölung und die Kraft der Hilfe im Augenblick, „wo jede irdische Garantie verschwindet“. Mit einer gewissen Trauer über diese Schätze, die dem Nichtkatholiken fehlen, sprach er auch vom Bußsakrament der katholischen Kirche, von der Größe der Rolle des „einsichtigen frommen Mannes“, der im Beichtstuhl harrt, „um Irrende zurechtzuweisen“ und „Gequälte zu erlösen“, bereit zur Lossprechung, der seinem sündigen Bruder „rein und abgewaschen die Tafel seiner Menschheit wieder zu übergeben weiß“.

 

Ich habe erzählt, was für mich der katholische Priester in einer besonders schweren Stunde meines Lebens gewesen ist und welchen Trost ich ihm verdankte in dem Augenblick, wo mich die größte Angst erfasste. Aber es gibt noch einen anderen Punkt, den ich unterstreichen möchte. Jener Priester, der sich im Dunkel eines deutschen Lazarettsaales in der Nacht über mein Bett beugte, war für mich noch etwas anderes als der mächtige Spender der Sakramente der Kirche. Er war mein Freund. Die Kirche Christi hatte dieses Wunder zustande gebracht: Der Priester der feindlichen Nation war nicht mein Feind! Inmitten des Krieges sanken die Grenzen des Hasses. Wir sprachen nicht die gleiche Sprache, und doch verstanden wir eine gemeinsame Sprache: die Weltsprache der Liebe Christi. Aber braucht es einen Sturm des Hasses und der Kriegsleidenschaft, um dem Wort katholisch erst die volle Bedeutung seines Wortsinnes zu geben?

 

Die flüsternde Stimme des Priesters, die gütige Tiefe seines Blickes, die Wärme seiner Hand waren ein lebendiger Kommentar zu den Worten des Evangeliums: „Dies ist mein Gebot, dass ihr einander liebt!“

 

Der zweite Weltkrieg sollte mir wiederum eine Gelegenheit geben, diese Kraft der Freundschaft in Christus festzustellen. Diesmal nicht in einem Lazarettsaal, sondern in den Gefängnissen der Nazis, und nicht am eigenen Leib, sondern an meinen zwei Söhnen, die in die Hände der Gestapo gefallen waren.

 

Wie kann ich alles aufzählen, was ich den deutschen Gefängnisgeistlichen schulde, die die politischen Gefangenen in Fresnes besuchten und in ihre Zellen jenes Licht brachten, mit dem sie Christus beschenkt hat? Wie soll ich die Dankbarkeit ausdrücken, die alle Eltern dieser Gefangenen den beiden hervorragenden Priestern namens Stock und Steinert schulden. Ich muss die Namen hier nennen, damit diesen deutschen Priestern von einem Franzosen die Anerkennung zuteilwird, die ihnen gebührt. Der eine dieser Priester ist gerade jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, gestorben. Der zweite lebt bescheiden in einem fränkischen Städtchen. Ich sehe Pfarrer Steinert noch vor mir, sein rundes Gesicht, die Güte in seinem Blick hinter der Brille, die rührige Nächstenliebe, die in so schlichter Weise von seiner Person ausging. Zwar trug er die Uniform eines Offiziers der Wehrmacht, aber ein paar Minuten Unterhaltung mit ihm genügten, um sich zu überzeugen, dass seine einzige Kleidung die des Priesters Jesu Christi war.

 

Welchen Kommentar zu dem berühmten Kapitel des heiligen Paulus über die Liebe, „die nimmer aufhört“, bildete das ganze Leben dieses Priesters, der jede Stunde dieser Liebe opferte und sich dafür der Gefahr aussetzte! Man kann die erstaunliche und ruhige Geringschätzung der Gefahr nicht genug schildern, die Pfarrer Steinert zeigte. Wie oft riskierte dieser Priester, der wohl wusste, dass er von der Gestapo beobachtet wurde, seinen Kopf, wenn er den Familien der Gefangenen Botschaften und Briefe überbrachte. Wenn eine solche Mitteilung in die Hände der Gestapo gefallen wäre, hätte es das Todesurteil für ihn bedeutet. Unermüdlich hielt er die Verbindung zwischen den Gefangenen und ihren Angehörigen aufrecht. Oft konnte er durch rechtzeitige Benachrichtigung weitere Verhaftungen verhindern.

 

Die Zahl der Franzosen, die ihm sein Leben verdanken, ist groß. Noch größer aber ist die Zahl der Franzosen, die ihm ihr religiöses Leben verdanken. Wie viele Seelen fanden in diesen Gefängnismauern heim zu Gott! Gott, dem sie sich aufopferten, weiß wie viele gottergeben ihr grausam hartes Schicksal in diesen Zellen annahmen.

 

ROBERT D`HARCOURT

Auszug aus dem Buch „Was erwarten wir vom Priester?“

Aus der Sammlung „Présences“, Plon Editeur, Paris 1949

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7. Papst Pius XII.

 

Pius XII. - Der Friedenspapst

 

aus „Fides“, Rom, Via della pigna 13a, Januar 1949

zum Papstkrönungstag (12.3.) und –geburtstag (2.3.)

 

Die 50 Jahre, die Papst Pius XII. nunmehr als Priester gewirkt hat, haben seine Kräfte nicht aufzehren können. Vor 50 Jahren ist er die hohe Verpflichtung eingegangen, Mittler zu sein zwischen Christus und den Menschen, sich um Seinetwillen für sie aufzuopfern. In all diesen Jahren hat er seine Verpflichtung eingehalten, ganz gleich, auf welchen Posten er jeweils gerade gestellt wurde.

 

Dabei hatte er Kämpfe mit Gegnern jeder Art zu bestehen, auch mit sich selbst. Einfach und offen von Natur aus, wie jeder weiß, der ihn kennt, musste er sich in entscheidenden, gefahrvollen Stunden schwierigen diplomatischen Aufgaben unterziehen. Der geborene „Pastor angelicus“ musste den Teufeln des Rassenwahns und des Materialismus Widerpart leisten, die auf den apokalyptischen Pferden des Hasses und des Krieges einherjagten. Geboren und bestimmt für Gebet und Sammlung, ernstes Studium und Geistesbildung, musste er sich selbst zu einem Tatmenschen erziehen, der die höchste Verantwortung auf seinen Schultern trägt.

 

Er hat seine persönliche Veranlagung mit den Pflichten des Hirten zu vereinen gewusst: er hat alle Kräfte und Tugenden in den Dienst des Lehrens und Regierens und des Kampfes für das Gute gestellt. Diese Vereinigung einander scheinbar widerstrebender Eigenschaften und Fähigkeiten verdanken wir es, das Pius XII. in einer Zeit des schrecklichsten Kampfes seiner hohen Aufgabe unbeirrbar treu geblieben ist, den Frieden verkörpernd und das Band der Einigkeit allen Menschen erhaltend, gegen alle widerrechtlichen Machtansprüche der Diktaturen und Waffengewalt die Vorherrschaft des Rechtes betonend und bewahrend, den fortwirkenden Einfluss des Guten und der Nächstenliebe gegen die Ruinen und das Blutvergießen sichernd, wiederaufbauend, wo andere zerstörten, in einem Wort, über dem Wahnsinn der Menschen die Vaterliebe des Erlösers verkörpernd. Über den Gebärden des Hasses, den Symbolen des Todes, den Fäusten und Köpfen, den Schlagwörtern und Schreien haben die Völker von diesseits und jenseits der Weltmeere im Vatikan jederzeit die weit ausgebreiteten Arme und die segnende Hand des treu sorgenden und zärtlich über sie wachenden Vaters erblickt. Und sie fühlten in dieser unendlichen Liebe die Katholizität, nach der sie mehr und mehr verlangten.

 

Man kann sagen, dass Papst Pius XII. sozusagen all die Päpste, die seit einem Jahrhundert zusehends das Ansehen der ganzen Welt gewannen, beerbt hat, indem er ihre hervorragendsten Eigenschaften in sich vereinigte: die Geduld Pius` IX., die Fürsorge Leos` XIII., die Güte Pius` X., die diplomatische Kunst Benedikts XV., die Vielseitigkeit Pius` XI. Indem er alle diese Eigenschaften in einer unverkennbaren Synthese in seiner Person vereinigt, hat er sich eine geschmeidige Waffe für den Kampf geschmiedet, den er zu führen hat, vor allem für den Krieg gegen den Krieg. Gerade hierin sind seine unablässigen Bemühungen einzig dastehend und bilden ein hervorragendes Beispiel für die Welt.

 

Diesen einzigartigen Eigenschaften und seinem erfolgreichen Wirken als Priester, Diplomat und Wissenschaftler war es zu verdanken, dass die Welt nicht überrascht war, ihn am 2. März 1939 nach noch nicht einmal eintägiger Konklavedauer zum Nachfolger Petri erwählt zu sehen. Alles, was man von ihm und seiner Arbeit wusste, ließ ihn wahrhaft als den für dieses Amt Auserwählten erscheinen. Man jubelte ihm zu und setzte alle Hoffnungen auf ihn, nicht nur Katholiken, auch außerhalb der Kirche Stehende, Protestanten, Mohammedaner, Israeliten und Heiden, sie alle kannten seine Universalität. Und seit seiner ersten Botschaft an jenem 3. März grüßte er immer auch „alle jene, die außerhalb der Kirche stehen und die es freuen wird zu wissen, dass der Papst Gebete und Segenswünsche für sie zu Gott dem Allmächtigen emporsendet“. So empfanden auch die Nichtkatholiken von Anfang an dankbar das aufmerksame Interesse, das ihnen von diesem Mann entgegengebracht wird.

 

Die Entfaltung dieser Persönlichkeit in den vergangenen 50 Jahren folgte einer einzigen geraden Linie. Schon in dem jungen Seminaristen Pacelli vermeint man den kommenden Papst zu spüren, der sich dem Gebet hingibt, glänzende Reden hält, den Ruhm der Kirche zu vermehren trachtet und den Frieden der Welt in Ordnung und Gerechtigkeit zu verankern und zu stärken sucht. Beim Überschreiten des Platzes vor der Kirche S. Maria della Pace (Maria vom Frieden) las er schon als Knabe die Inschrift „Opus justitiae pax“ (Gerechtigkeit schafft Frieden). Die wurde ihm zum Wahlspruch fürs Leben.

 

Am 24. August 1939, als ringsum schon der Krieg alles zu beherrschen anfing, erinnerte er daran, dass Gott dem Papsttum die geistige Autorität gegeben hat, „die Seelen auf den Weg der Gerechtigkeit und des Friedens zu führen“. Und er fügte hinzu: „Mit der Kraft der Vernunft, nicht mit Waffengewalt, bricht sich die Gerechtigkeit ihre Bahn . . .“ „Die von jeder Moral losgelöste Politik wird gerade diejenigen vernichten, die dies gewollt haben . . .“ Und mit höchster Klarheit schloss er: „Durch den Frieden wird nichts verlorengehen, alles aber durch den Krieg.“ Dies sind lapidare Sätze, die das priesterliche und das politische Bewusstsein des Papstes schlagartig beleuchten und zugleich den wahren Willen der Menschen zum Ausdruck bringen.

 

Er wollte gehört und verstanden sein als der Vater, der einer friedlosen Welt den Frieden und einer gefühllosen Gesellschaft die Seele wiedergeben wollte „um der höchsten Güter der großen menschlichen Familie willen“.

 

Damals schrieb die anglikanische Zeitung „Church Times“, dass dem neuen Papst die erdrückende und unabwälzbare Verantwortung zugefallen sei, die menschliche Gesellschaft in einer neuen Ordnung zu formen.

 

Diese neue Ordnung ist die christliche, die es wieder aufzubauen gilt aus dem Zusammenbruch der rationalistischen und materialistischen Systeme, deren zerstörende Wirkung der Papst in ihrer inneren Erniedrigung und in ihren blutigen Kriegen erlebt hat. Und der Papst verfolgte dieses Ziel des Neuaufbaus einer christlichen Ordnung von Anfang an, als er seine ganze Erfahrung und Weisheit in jener programmatischen Enzyklika „Summi Pontificatus“ zusammenfasste, der er all die Zeit her Tag für Tag treu geblieben ist: Wiedererweckung der christlichen Persönlichkeit, Festigung der Familie, Wahrung der Rechte der Arbeiter und der Staatsbürger, Beschränkung der staatlichen Macht, Einigkeit und Brüderlichkeit unter den Völkern, Wiederherstellung der Rechtssicherheit, Freiheit des Gewissens, Katholische Aktion. Also geistige und materielle Erneuerung des Einzelnen und der Gesellschaft, die beide von der völligen Vernichtung bedroht sind.

 

Über diese Enzyklika schrieb ein Protestant, S. H. Church: „Gegen das kannibalische Recht des Urwaldes, genau gegen dieses, glaube ich, ist die Enzyklika gerichtet, die Papst Pius XII. soeben an die Welt gerichtet hat.“

 

Ein anderer Protestant, H. N. Mc. Craken, nannte sie „ein edles Dokument der Freiheit des 20. Jahrhunderts“, Und die New Yorker Times beurteilte sie „mit der ganzen Welt als das Werk eines großen Papstes . . .“, als eine Botschaft, die zweifellos der Geschichte unserer Zeit ihren Stempel tief aufdrücken wird.

 

Berühmt werden die Weihnachtsbotschaften bleiben, die der Papst über den Rundfunk verlas und die, wie Ignazio Silone, der bekannte italienische Schriftsteller, sagte, die Menschenrechte machtvoll und erhaben dem totalitären Staat gegenüber aufrichteten und Papst Pius XII. zum wahren Repräsentanten der Menschheit machten. Dies ist mit derartigem Nachdruck und Weitblick geschehen, dass es einen Wendepunkt im Wiedererwachen der Völker bedeutete.

 

Pius XII. ist gleich Gregor dem Großen und anderen großen Päpsten „defensor urbis“ (Verteidiger der Ewigen Stadt) gewesen. Rom verdankt ihm die Rettung im zweiten Weltkrieg. Doch ist er darüber hinaus auch „defensor civitatis“ (Verteidiger des Staates) gewesen, indem er das zivile Leben in der ganzen Welt verteidigte.

 

Doch damit ist sein Werk noch längst nicht erschöpft.

 

Er hat die Liturgie bereichert, die Theologie weitergeführt, Wissenschaft und Kunst sowie die Caritas und die Rechtspflege gefördert, die Aufgaben des Films fest umrissen usw.; er ist mit einem Wort der Papst, wie ihn unsere verwirrte Zeit mit ihren Umwälzungen braucht. Wenn Europa und die Welt nicht dem Chaos der Diktatur des Krieges und des Materialismus verfallen, wenn wir nicht einen schweren Rückschritt erleben, so verdanken wir dies größtenteils diesem Oberhirten, der, auf Christus vertrauend, noch nach 50 Priesterjahren kerzengerade wie ein Jüngling zum Altar schreitet.

 

Für ihn beten heute in Dankbarkeit und Vertrauen Millionen von Katholiken und Nichtkatholiken in allen Teilen der Welt.

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8. Pounde

 

Der tanzende Höfling - Aus Englands schwärzesten Tagen

 

Tom Pounde

 

Einer der merkwürdigsten Gefangenen, der je im Herzen von London am Pranger stand, war ein alter Mann, den man an einem Morgen des Jahres 1605 verhaftet hatte. Der Gefangene war ein großer, breitschultriger, stattlicher Alter in einem schäbigen, altmodischen Anzug. Er hatte das Benehmen eines vornehmen Mannes, und sein Gesicht zeigte einen heiteren, etwas vergnügten Zug. Als der Tag schließlich zu Ende ging und in den sich leerenden Straßen die Krämer ihre Läden schlossen, sagte er der Wache, die ihn aus dem Pranger befreite, einen freundlichen Abendgruß. Danach eilte er rasch die Straße hinab und verschwand in der frühen Abenddämmerung.

 

Jener Tag am Pranger war das letzte öffentliche Auftreten des alten Tom Pounde und das große Finale einer merkwürdigen Laufbahn, deren Höhepunkt in einer das halbe Leben dauernden Leidenszeit in den Gefängnissen Englands bestand. Sechs Jahre nach jenem Tag am Pranger starb der alte Mann, verarmt und gebrochen. Noch in der gleichen Nacht wurde er ohne irgendeine Feierlichkeit beerdigt, da kein Katholik am Tag beerdigt werden durfte. Tom Pounde aber war nicht nur irgendein Katholik gewesen, sondern der bekannteste und mutigste Katholik in ganz England.

 

1539 hatte Thomas als Sohn einer reichen, aristokratischen Familie in Hampshire das Licht der Welt erblickt. In England war noch Heinrich VIII. auf dem Thron. Der Vater des jungen Thomas war zwar Katholik gewesen, da aber in Heinrichs Königreich nur die Mutigsten es wagten sich zum Katholizismus zu bekennen, wurde das Kind nicht katholisch erzogen.

 

Tom war ein frühreifes Kind und der Liebling der Familie. Als ältester Sohn war er der Erbe des väterlichen Vermögens. Zu ihrem Reichtum hatte die Familie Pounde auch bedeutenden Einfluss. Beide Elternteile waren mit dem Königshaus verwandt, und der junge Thomas konnte seinen Stammbaum auf Anne Boleyn, die unglückliche zweite Gemahlin Heinrichs VIII. und Mutter Elisabeths, zurückzuführen. Der hoffnungsvolle Sprössling besuchte die berühmte Schule von Winchester. Im Alter von 21 Jahren kam er an die Hochschule Lincoln´s Inn, um die Rechte zu studieren, nicht etwa aus Neigung zu diesem Beruf, sondern einfach deshalb, weil der Besuch einer Rechtsschule des Hofes sich für die Söhne der oberen Stände gehörte.

 

Sorglos, schelmisch und verschwenderisch hatte Tom Pounde dort nichts so gerne wie lustige Streiche und ein genießerisches Leben. Er betrieb vielerlei, und was er unternahm, machte er hervorragend. Er war ein ausgezeichneter Reiter, ein vollendeter Fechter und ein großer Jagdliebhaber. Er konnte, wenn sich eine Gelegenheit dazu bot, eine glänzende Rede halten, war ein vielversprechender Schauspieler, ein geschickter Tänzer, ein erstklassiger Gesellschafter und in seiner Freizeit auch ein Dichter. Seine Freunde prophezeiten ihm eine glänzende Zukunft.

 

Das Jahr, in dem Tom Pounde in Lincoln´s Inn eintrat, war durch zwei Ereignisse gekennzeichnet: Zunächst starb sein Vater und überließ dem jungen Mann das ganze Familienvermögen. Im gleichen Jahr traf Thomas die Königin Elisabeth, die junge energische neue Herrscherin mit ihrem feurigen Temperament.

 

Die Zusammenkunft ereignete sich in der Schule von Winchester, wohin der junge Pounde zurückgekehrt war, um zu Ehren des Besuches der Königin eine lateinische Ode vorzutragen. Sein sicheres Auftreten und seine schauspielerischen Fähigkeiten beeindruckten Elisabeth. Schon hatte sie um jene Zeit eine Schar hübscher begabter Höflinge um sich gesammelt und zeigte nun auch offen ihr Interesse an Tom. Sie lobte ihn für seine Darbietung und lud ihn ein, sie bei Hof zu besuchen.

 

Pounde war von der Aufmerksamkeit der Königin geschmeichelt. Immer öfter erschien er bei Hof, bis er einer der größten Gecken wurde, die Elisabeth umkreisten. Mit vollen Händen gab er sein Geld aus, kleidete sich in samtene modische Gewänder und gab sich ganz dem frohen, ausgelassenen Treiben bei Hof hin. Seine Volkstümlichkeit wuchs und sein Ruf verbreitete sich in ganz England. Überall verliebten sich die Frauen in den glänzenden Höfling und schmachteten über seinen süßen Liebesgedichten, die er ihnen widmete. Die Königin verlieh ihm den Titel „Esquire“, und es war allgemein bekannt, dass er bald zum Ritter ernannt werden sollte.

 

Am Weihnachtsabend 1569 führte er vor Elisabeth und dem Hof ein herrliches Maskenspiel auf. Die Königin hatte solche Darbietungen sehr gerne, und bei mehreren Gelegenheiten hatte Tom Pounde bereits eigens für sie Maskenspiele geschrieben und aufgeführt. Dieser Weihnachtsabend aber sollte der Höhepunkt seines Triumphes werden. Das Maskenspiel war ein spannendes Stück mit herrlicher Musik und reichen Kostümen. Die Krönung des Ganzen sollte ein Solotanz am Ende des Spieles sein, den Tom für sich selbst vorgesehen hatte.

 

Pounde hatte es zu großer Geschicklichkeit in akrobatischen Tänzen gebracht, die bei Hof sehr beliebt waren und von der Königin besonders gefördert wurden. Der lange und kräftige Mann, eine stattliche Erscheinung, bot bei seinem Tanz ein herrliches Bild, und die Zuschauer waren hingerissen von der Schönheit des verschlungenen, schwierigen Tanzes. Die Königin war ganz begeistert. Als der hübsche Solotänzer seine Darbietung mit einer schwungvollen Verbeugung vor ihrem Thron beendete, klatschte sie entzückt in die Hände und befahl ihm, den Tanz zu wiederholen.

 

Der Tanz war schwierig gewesen, und Pounde war nun müde. Außerdem hatte er das ganze Programm so aufgebaut, dass dieses Finale Elisabeth eine dramatische Gelegenheit bieten sollte, ihn zum Ritter zu schlagen. Nun war er gekränkt, dass Elisabeth diese Absicht nicht wahrgenommen hatte. Er ließ sich jedoch weder seine Müdigkeit noch seinen Ärger anmerken, verbeugte sich und begann den Tanz noch einmal. Er keuchte schwer vor Anstrengung, und diesmal waren seine Schritte durchaus nicht so leicht und zierlich. Mitten im Tanz stolperte er, suchte verzweifelt Halt und fiel der Länge nach hin.

 

Eisiges Schweigen senkte sich über die Menge. Alles war betroffen. Da ließ die Königin ein Lachen erschallen, stand vom Thron auf, stieß mit der Spitze ihres Schuhes an die Schulter des am Boden liegenden Höflings und rief voll Spott: „Steht auf, Graf Ochs!“ Der Hof brüllte vor Lachen. Nun war Thomas Pounde geadelt!

 

Pounde erhob sich würdevoll und schaute auf die lachende Menge und die Königin. Sein Stolz war tödlich verwundet. Aber auch jetzt noch zeigte sich sein Sinn für das Schauspielerische. Er zuckte die Achseln und bemerkte mit einem zynischen Lächeln: „Sic transit gloria mundi!“ (So vergeht der Ruhm der Welt). Dann schritt er aus dem Saal und kehrte nie mehr an den Hof zurück.

 

Vom Hof weg ging er sofort auf seinen Landsitz in Hampshire, schloss sich von Freunden und Verwandten ab und versuchte sich klar zu werden, was ihm an diesem Abend passiert war. Seiner Eitelkeit war der Todesstoß versetzt worden. Aber zum ersten Mal wurde er sich nun auch bewusst, wie hohl sein bisheriges Leben gewesen war. Der Abscheu von diesem inhaltlosen Leben erweckte in ihm ein Interesse an religiösen Dingen, an den Nöten seiner Seele und schließlich am Katholizismus, der verpönten Religion seiner Väter. Er war zwar katholisch getauft, aber bei seiner Erziehung hatte man ihm keine Gelegenheit gegeben, diesen Glauben überhaupt kennenzulernen. Sein Leben bei Hof hatte außerdem jede Neigung zum Katholizismus schnell beseitigt.

 

Mit dem gleichen Eifer, den er einst für die frivolen Nichtigkeiten des Lebens aufgewendet hatte, verlegte er sich nun auf das religiöse Studium und auf Betrachtungen. Er zog zu einer einfachen katholischen Familie, da er sich sagte, dass eine solche Umgebung ihn der Kirche näherbringen würde und das neue Sehnen seiner Seele eher befriedigen könnte. In dieser Umgebung fand Pounde schließlich nach vielen Monaten eifrigen Studiums den inneren Frieden. Nach Unterrichtung durch einen Geistlichen wurde er wieder in die Kirche aufgenommen.

 

Pounde war nun 32 Jahre alt. Er war hübsch und noch verwegener als zuvor. Die zwei Jahre seiner Zurückgezogenheit hatten den Reiz seiner Persönlichkeit nicht beeinträchtigt. Er ging jetzt daran, ein guter Katholik zu werden, und zeigte dabei in einer Zeit, in der es keine Religionsfreiheit gab, einen geradezu gefährlichen Eifer. Bald gab er sich nicht mehr mit seiner eigenen Bekehrung zufrieden, sondern wählte sich – ein tollkühnes Unternehmen – alte Freunde aus und drängte sie offen, zu ihrem früheren Glauben zurückzukehren. Als er wieder in das öffentliche Leben zurückkehrte, predigte er überall, wohin er kam, den Katholizismus, bis bald ganz London über die Verwegenheit Tom Poundes sprachlos war. Wagte er es doch, vor den Augen der Königin und ihrer Günstlinge offen mit seinem Glauben zu prunken.

 

Die Verwandten Poundes, die schon über seine Bekehrung entsetzt waren, waren jetzt über den Eifer, den Tom entwickelte, außer sich. Mit allen Mitteln versuchten seine Freunde, ihn zum Schweigen zu bringen, aber Tom hatte bereits andere bekehrt und weigerte sich, mit diesem Werk aufzuhören. So kam, was kommen musste. Er wurde verhaftet und nach langem Verhör zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Seine bestürzten Verwandten traten sofort für ihn ein, aber erst nach einem halben Jahr gelang es seinem Onkel, dem Earl Thomas von Southampton, seine Begnadigung zu erreichen. Er bekam aber den Befehl, nach Hause zurückzukehren und seine „papistischen“ Ideen aufzugeben.

 

Dieses halbe Jahr Gefängnis jedoch hatte Toms Eifer durchaus nicht abgekühlt. Im Gegenteil, er verdoppelte nun erst recht seine Anstrengungen bei allen, mit denen er zusammenkam, den Glauben wieder aufleben zu lassen. 1 ½ Jahre ließ man ihn unbehelligt, da die Behörden, wenn auch nur widerwillig, seinen Reichtum und seine gesellschaftliche Stellung respektierten. Während dieser Zeit wuchs sein religiöser Eifer so, dass er beschloss, in einen Orden einzutreten und als Missionar nach England zurückzukehren, um auf diese Weise noch mehr für die Kirche tun zu können. Bei seinen Studien vor seiner Bekehrung hatte er ein Interesse am Jesuitenorden bekommen und hatte nun den Plan, von England nach dem Festland zu fliehen, um dort Jesuit zu werden.

 

Er nahm noch seinen Freund Thomas Stephens, als seinen Diener verkleidet, mit. Allein sein Übereifer brachte sein Vorhaben zum Scheitern. Er hielt sich zu lange damit auf, eine Familie, die ihn aufgenommen hatte, zu bekehren. Man kam auf seine Spur, er wurde angezeigt und der Regierung ausgeliefert. Stephens aber entkam und erreichte schließlich Rom. Der arme Pounde aber wurde in Ketten nach London zurückgeschleppt und nach einem erregten Verhör aufs Neue ins Gefängnis geworfen.

 

Die folgenden 30 Jahre seines Lebens verbrachte Pounde fast dauernd im Gefängnis. Das einzige Vergehen, dessen er bezichtigt wurde, war sein Glaube. Wenn er zuweilen durch den Einfluss seiner Freunde oder einfach deshalb, weil er die zuerkannte Strafe abgesessen hatte, frei kam, wurde er jedes Mal binnen kurzem wieder eingesperrt.

 

Aber weit entfernt davon, dadurch entmutigt zu werden, fing er immer sofort an, seine Mitgefangenen zu bekehren. Durch seinen heiteren Sinn gewonnen, ließen sich sogar die Abgestumpftesten von seinem Mut und seiner Begeisterung anstecken. In kurzer Zeit konnte der Gefangene eine erstaunliche Anzahl von Bekehrungen verbuchen, ganz abgesehen davon, dass er die allgemeine Moral im Gefängnis hob.

 

Wenn er nicht gerade den Neubekehrten Unterricht erteilte, war er entweder eifrig beschäftigt, seinen Freunden geheime Briefe zu schreiben, in denen er sie aufforderte, dem Glauben treu zu bleiben, oder dabei, Verse zu machen, deren Thema jetzt an Stelle des früheren romantischen ein religiöses war. Was ihm noch an Zeit verblieb, benützte er dazu, um genaue Gefängnistagebücher zu führen, die uns noch erhalten sind.

 

Auf diese Art verstrichen vier Jahre, und Pounde machte die Wahrnehmung, dass sein alter Wunsch, Jesuit zu werden, mit jedem Tag stärker wurde. Ein anderer hätte sich wohl damit begnügt, von einem mit dem Gefängnisleben so unvereinbaren Wunsch nur zu träumen, nicht aber Tom Pounde. Er entschloss sich, wie das seine Art war, zu einem kühnen Schritt und sandte ein sorgsam ausgearbeitetes Gesuch um Aufnahme in die Gesellschaft Jesu nach Rom. Und aller Wahrscheinlichkeit nach war er nicht einmal überrascht, als sein Gesuch im Dezember 1578 genehmigt wurde und er auf Grund eines außerordentlichen Privilegs die Auszeichnung erhielt, brieflich ein Jesuitenlaienbruder zu werden.

 

In den Jahren seiner Gefangenschaft nahm seine Frömmigkeit immer mehr zu. Er legte sich so fürchterliche Abtötungen und Peinigungen auf, dass sogar einmal der Jesuitengeneral ihm schreiben und befehlen musste, seine Bußübungen zu mildern.

 

Mit der Zunahme seiner eigenen heiligen Lebensführung wuchs auch die Liste der von ihm Bekehrten nicht nur unter den Mitgefangenen, sondern auch draußen im Volk, das sich vor seinem Zellenfenster ansammelte, um seine Wortgewaltigen Predigten zu hören. Einer dieser Zuhörer war ein junger Student von Oxford, Thomas Cottam, der unter dem Einfluss Poundes nicht nur sein bisheriges Leben vom Grund auf änderte, sondern katholisch und ein Jesuit wurde und im Jahr 1582 den Martertod erlitt. So konnte Thomas Pounde unter die von ihm Bekehrten sicherlich wenigstens einen Heiligen zählen.

 

Diese erstaunliche Missionstätigkeit ärgerte und beunruhigte seine Gegner so, dass man ihn von einem Gefängnis zum anderen schleppte. So lernte er alle Gefängnisse und Verliese Englands kennen. Er konnte sich wenigstens nicht über Eintönigkeit beklagen!

 

In all dieser Zeit aber hinderten die Gefängnisgitter Pounde nicht, die Regierung bei jeder sich bietenden Gelegenheit herauszufordern. So veröffentlichte er vom Gefängnis Marshalsea aus in unerhörter Kühnheit ein Flugblatt mit dem Titel „Sechs Gründe für den Glauben“, das große Wirkung hatte. Als auch ein zweites Flugblatt die gleiche Wirkung hatte, schaffte man ihn in eine verfallene Burg und brachte ihn dort, an Händen und Füßen gefesselt, in eine vollständig finstere Zelle unter der Erde.

 

Einer der glücklichsten Augenblicke seiner Gefängniszeit war, als er erfuhr, dass zwei englische Jesuiten, P. Campion Und P. Persons, sich entschlossen, als Missionare nach England zu kommen, was so viel bedeutete, wie dem sicheren Martertod entgegenzugehen. Er brachte es fertig, heimlich mit ihnen in Verbindung zu treten, beriet sie und ermutigte sie bei ihrer gefährlichen Aufgabe. Zu jener Zeit saß er im berühmten Tower-Gefängnis in London. Als er erfuhr, dass P. Campion an einem öffentlichen Streitgespräch mit anglikanischen Gelehrten in der Kapelle des Tower teilnehmen würde, bat er seine Wärter, auch ihn zuzulassen. Man erlaubte es ihm, aber er unterstützte Campion derartig, dass man ihn bald wieder fortschaffte.

 

1604, als Tom Pounde 65 Jahre alt war, hatte er seine letzte Strafe verbüßt und durfte heimkehren. Das Jahr zuvor war Königin Elisabeth gestorben, und der neue König, James I., war nicht so rachsüchtig wie seine Vorgängerin. Aber Pounde, der nicht mehr an die seltsame Gabe der Freiheit gewohnt war, fand sich schwer in das friedliche Leben auf dem Land in Hampshire. Sein waghalsiger Missionseifer war noch nicht geschwunden. Als im folgenden Jahr nach der „Pulververschwörung“ ein Londoner Bürger angeklagt wurde, einen Jesuiten beherbergt zu haben, eilte Pounde schnurstracks an den Hof und protestierte gegen das Urteil des Richters.

 

Wie gewöhnlich wurde er daraufhin erneut verhaftet, und der ergrimmte Richter ordnete an, dass ihm ein Ohr weggeschnitten werde, er außerdem eine Geldstrafe von 1000 Pfund Sterling zu zahlen habe und für den Rest seines Lebens in das Gefängnis wandern solle. Die junge Königin Anna von Dänemark aber hatte mit Anteilnahme vom Geschick Poundes erfahren und trat für ihn beim König ein. Es gelang ihr zu erreichen, dass Tom sein Ohr behalten durfte und wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Aber sein ganzes Vermögen wurde eingezogen. Dazu wurde er noch verurteilt, an jenem Tag, von dem wir erzählten, am Pranger zu stehen.

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9. Priester

 

Ein Priester muss sein:

 

   

 + Ein Priester muss sein: +

+ ganz groß und ganz klein +

+ vornehmen Sinnes wie aus Königsgeschlecht +

+ einfach und schlicht wie ein Bauernknecht +

+ ein Held, der sich selbst bezwungen +

+ ein Mensch, der mit Gott gerungen +

+ ein Quell von heiligem Leben +

+ ein Sünder, dem Gott vergeben +

+ ein Herr dem eignen Verlangen +

+ ein Diener der Schwachen und Bangen +

+ vor keinem Großen sich beugend +

+ zu dem Geringsten sich neigend +

+ ein Schüler vor seinem Meister +

+ ein Führer im Kampf der Geister +

+ ein Bettler mit flehenden Händen +

+ ein Herold mit goldenen Spenden +

+ ein Mann auf den Kampfesstätten +

+ eine Frau an den Krankenbetten +

+ ein Greis im Schauen +

+ ein Kind im Trauen +

+ nach Höchstem trachtend +

+ das Kleinste achtend +

+ bestimmt zur Freude +

+ vertraut dem Leide +

+ weitab vom Neide +

+ im Denken klar +

+ im Reden wahr +

+ des Friedens Freund +

+ der Trägheit Feind +

+ feststehend in sich +

+ ganz anders als ich . . .

 

 

Eine salzburgische Handschrift aus dem Mittelalter

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10. Pontius Pilatus

       

(Übersetzung aus dem Spanischen von P. Matthias Grammer C.Ss.R. – Aus „Hormiga de oro“ 1912)

 

I. Seine Frau, eine Spanierin, eine vornehme, stattliche Dame, hatte ihm die Botschaft von den sie beängstigenden Träumen geschickt: „Gib ihn frei, den Galiläer, gib ihn frei, denn er ist unschuldig.“ – „Ja, aber das Volk!? Aus allen Kräften begehren die Juden den Tod des Galiläers“, entgegnete Pilatus. „Wahr ist es, dass das Volk vom hohen Rat angereizt wird. Wenn ich mich nur von diesen Schlemmern und aufrührerischen Köpfen des Synedriums frei machen könnte!“ – Die Händewaschung in einer seiner Porzellanschüssel in mit wohlriechenden Essenzen durchsetztem Wasser schien ihm ein kluger Ausweg aus seiner richterlichen Verlegenheit. Das Volk nimmt alle Verantwortung auf sich. Wie einfach war doch das Mittel! Die Hände verbreiteten angenehmen Geruch, aber sein Gewissen wollte doch nicht recht ruhig werden. „Verurteilt hast du, Pilatus“, rief eine innere Stimme.

 

II. Der Thronsaal des Augustus, des Cäsars, wie der römische Kaiser, der Herr der Welt, genannt wurde, war voll besetzt. Kaiser Tiberius in seiner ersten Regierungszeit ein Freund und Gönner der Künste und Wissenschaften, saß auf dem Kaiserthron. Wo ein Gelehrter, ein hochbegabter Mensch auftauchte – sie wurden nach Rom gerufen in des Kaisers Umgebung. Des Öfteren vernahm nun Kaiser Tiberius auch den Namen des berühmten Propheten und Rabbi von Judäa, Jesus von Galiläa. Natürlich gehörte auch er nach des Kaisers Anschauung in seine Gelehrtengesellschaft. Tiberius hatte viel von den Großtaten und weisen Lehren Jesu vernommen. Er war neugierig, ihn zu sehen, wie einst Herodes. Tiberius befahl also, Jesus von Galiläa soll an seinen Hof nach Rom kommen.

 

„Das ist unmöglich“, hüstelte, sklavisch geknickt, ein Hofschranze.

 

Der Kaiser in seinem Cäsaren-Größenwahn faltete die Stirn. „Was unmöglich, wer erdreistet sich, kaiserlichen Befehlen zu trotzen? Man schreibe augenblicklich an den Statthalter von Syrien, dass er alsbald Jesus von Galiläa hierher schicke.“

 

„Mein Herr und Gebieter“, winselte der Sklave-Kammerdiener, „Jesus von Galiläa ist tot, ist hingerichtet worden, ist verurteilt worden von einem deiner Günstlinge, von einem hohen Beamten, dem Landpfleger Pontius Pilatus.“

 

Tief bewegt antwortete in einer Aufwallung edler Entrüstung der Kaiser Tiberius: „Aber ich hörte doch immer, dass Jesus von Galiläa nur Gutes tat, sein Wandel fleckenlos war. Das muss ein Justizmord gewesen sein. Wie konnte Pilatus ein solches Urteil fällen! Wo ist Pilatus?“

 

„Herr und Kaiser, er ist noch dein Knecht in Asien, in Judäa. Entweder in Jerusalem oder in Cäsarea hat er seinen Amtssitz.“

 

Tiberius: „Schreibe, Pontius Pilatus habe sofort vor mir, dem Kaiser in Rom, zu erscheinen. Schreibe dies dem syrischen Statthalter, er möge sich sputen, den Pilatus hierher zusenden. Für den Pilatus werde ich bald wieder einen Ersatz finden. Der tüchtigste Beamte scheint Pilatus ohnehin nicht gewesen zu sein. Schicke die Eilpost nach Asien.“

 

Das war viel auf einmal verlangt. Indes war man das bei der heidnischen Kaiser-Allmacht schon gewohnt. Bald furchten die kaiserlichen Schiffe das mittelländische Meer. Schnell war der Hafen von Joppe erreicht und alsbald führte man Pontius Pilatus fort von Jerusalem. Ebenso schnell war die Rückkehr nach Italien. Des Cäsaren Gebote machten nicht bloß schnelle Füße, sondern auch geschwellte Segel. Bald stand Pilatus vor Tiberius. Wie vom Blitz geblendet mochte Pilatus dagestanden haben. Im kalten Angstschweiß gebadet, musste er in einem fort daran denken, wie schnell sich das Blatt gewendet hat. Erst vor wenigen Jahren war er, Pilatus, in einer wichtigen Gerichtsverhandlung Richter, und ein Angeklagter, vor dem ihm selbst bange wurde, stand vor ihm. Wird heute Tiberius auch zu Pilatus sprechen: „Ich finde keine Schuld an ihm?“ Pilatus schüttelte es. Längst war ihm die damalige Händewaschung als Komödie erschienen. Wird Tiberius den Pilatus dem Tod überliefern, wie er es bei Christus getan hat? Er sollte bald sein Los erfahren.

 

Der Kaiser: „Was für ein Verbrechen beging Jesus von Galiläa?“

 

Pilatus: „Keines, Herr.“

 

Tiberius: „Und doch hast du ihn hinrichten lassen, wie?“

 

Pilatus: „Ja wohl, es war die Volksstimmung, die mich dazu drängte.“

 

Kaiser Tiberius: „Was höre ich! das Volk darf sich unter einem meiner Beamten gegen die Justiz, gegen Rechtsspruch und Gerechtigkeit auflehnen! Dieses Volk verdient, dass es über das Messer springt.“

 

„Aber, gestatte, Herr, dies Volk drohte mit der Empörung.“

 

Der Kaiser darauf: „Eher soll das Reich untergehen, als das Recht und Gerechtigkeit mit Füßen getreten werde. Pilatus, du warst ein Verräter an der Gerechtigkeit, darum auch ein Verräter am Vaterland. Du verdienst die ewige Verachtung aller Völker, aller Zeiten, aller Länder. Du sollst an deiner Schmach und Schande in der Verbannung zugrunde gehen!“

 

III. Pontius Pilatus wurde in seine Heimat Gallien, nach Lugdenum (dem heutigen Lyon), verbannt. Auch dort wartete seiner gemäß der kaiserlichen Kundmachung Verachtung und Abscheu. Dort in Lyon fand er kein Porzellanwaschbecken mehr. Die Leute, die von seiner nichtswürdigen Händewaschung in Jerusalem erfahren hatten, sie gewährten ihm nicht einmal einen Becher zum Wassertrinken. Das hielt Pilatus nicht aus. Er floh aus Lyon, er eilte in die Wälder, in das Gebirge, er flüchtete über Stock und Stein, Dornen und Gestrüppe. Aber auch die Einsamkeit bot ihm keine Ruhe. Er sah überall seinen Schatten, er entsetzte sich über seinen Schatten. „Verräter an der Gerechtigkeit, Feind des Kaisers, Mörder des Gerechten, Händewascher“ – so tönte es grausig in seinen Ohren. Pilatus flüchtete vor sich selbst auf die unnahbarsten Bergspitzen, wohin kein Jäger und kein Wildschütze kam. Eines Tages war er auf hoher Bergzinne, um ihn Nebel, Ruhe, Einsamkeit. Hier glaubte er einige Ruhe genießen zu können. Vergebens. Die Nebel zauberten die Gestalt seines Justizmordes, seiner Feigheit und Ungerechtigkeit hervor. „Verräter der Gerechtigkeit“, hörte er vom Felsen her brüllen. „Verräter der Gerechtigkeit“, gab das Echo des gegenüberliegenden Felsens zurück. Das konnte Pontius Pilatus nicht mehr aushalten. Unter ihm gähnte ein schauerlicher Abgrund, vergleichbar der Unterwelt in der Götterlehre. Pilatus nimmt einen rasenden Anlauf, er stürzt in die Tiefe. Infolge öfteren Anschlagens an die schroffen Felskanten ist sein Kopf und sein Antlitz bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Hirten und Jäger fanden nach einiger Zeit die zerfetzte Leiche. Die Toga, durch viele Risse verunstaltet, ließ doch noch den vornehmen Römer erkennen, dem sie gehörte. Der kostbare Fingerring verriet den Namen des Toten: „Pontius Pilatus“ war in das Gold eingraviert. Der Ring war ein Geschenk des Herodes. Pilatus bekam ihn von seinem früheren Feind, nachdem beide am Todestag Jesu Freunde geworden waren.

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11. Pilatus heute

 

Der moderne Pilatus

 

Nach einer alten Sage muss der römische Landpfleger als Buße für seine Verdammung des Herrn zum Kreuztod als Gespenst umherirren und Schuld und Fehl allen jenen bringen, die ihm auf seinem verderblichen Gang begegnen. Liegt in dieser naiven Fabel, die der ziemlich un geographische Volksglaube an die Gestade des schweizerischen Juwels, an den Vierwaldstättersee, verlegt, nicht eine tiefgründige Allegorie des modernen Atheisten?

 

Dieser, durch eigenen Willen von der Erkenntnis der wahren Lehre des Nazareners sich lostrennend, sündigt doch tausendfach bewusster als der durch Menschenfurcht, durch Standespflichten zu ungerechtem Urteil gedrängte Römer. Pilatus hatte vor der wie rasend tobenden Menge der Juden dennoch den Mut, zu sagen: „Ich wasche meine Hände in Unschuld an meinem Spruch über diesen Mann; nehmt ihr ihn hin.“ Seine Schuld war demnach mehr passiven, denn gewalttätigen Charakters. Und trotzdem büßt er nach den Worten der grauen Frau Sage alljährlich wieder seine fast zwei tausendfach verjährte Schuld!

 

Also auch an dir, aufgeklärtes Menschenkind des einundzwanzigsten Jahrhunderts, wird durch all den wie mit Zaubergewalt erwachenden Osterjubel der Natur und der Kirche diese Schattengestalt vorüberhuschen, doch wie wenigen ein Memento? Allen jenen gewiss nicht, die, angesichts des erblühten Frühlings (verfasst im Monat April), der Gloriafeier in den Tempeln des Herrn, dessen Existenz rundweg leugnen.

 

Und wie viele, viele der heutigen Menschen huschen, nein, schreiten recht selbstbewusst als solch ein Gottverurteiler, als ein das höchste Wesen in das Fabelland kleiner Kinder und erwachsener Idioten verwerfender Christusfeind an dir vorüber, tausendfach eitler und von ihrem Wert durchdrungener als der römische Landpfleger dem angeklagten Davidsohn gegenüberstand.

 

Diese Pilatusse, diese modernen Gottesleugner, die bergen unschätzbar mehr Gefahren bei einer Begegnung mit einem noch von allen Zweifelslehren unangetasteten, aber wankelmütig veranlagten Christenherzen in sich, als das Gespenst des Pilatus einem ruhigen, nüchternen Glauben bringen könnte.

 

Vielleicht würde heute so mancher der Aufgeklärten sich scheuen, in der Karfreitagsnacht diesem armen Schemen unter die Augen zu treten auf einsamem Bergpfad, aber er würde es mit seiner sozialen Stellung als modern-freigeistiger Mensch unvereinbar finden, den Umgang mit einem Menschen zu meiden, der sich ganz frei und offen als Atheist bekennt.

 

Es wird diesem solch ein Freimut sogar hin und wieder als Heldentat angerechnet; mein Gott, es kann doch jeder nach seiner Fasson selig werden und niemand wird in solch einem Apostel des Unglaubens einen modernen Pilatus schauen.

 

Oder müsst ihr nicht zugeben, dass Pilatus, der über Gott zu richten sich Anmaßende, tausendfach sein Gespensterhaupt erhebt aus den Spalten fast der gesamten modernen Literatur, von den Brettern der armseligsten Brettelbühne grinst es uns entgegen, denn, dass das Geschöpf seinen Schöpfer zu analysieren versucht, nicht nur im wissenschaftlichem Sinn, sondern auch zu verkleinern, zu persiflieren mit Hilfe oft der traurigsten Mittel, das ist auch ein eigenartiges Zeichen der Zeit des modernen Pilatus.

 

Wieder naht das gewaltigste der Vereinigungsfeste des kleinen Menschengebildes mitsamt der ihm väterlich geschenkten Natur, an deren Brust er lebt, mit eben jenem Herrschervater über Zeiten und Welten, mit seinem Gott!

 

Möchte nun der arme Pilatus der Volkssage endlich die verdiente Ruhe finden für sein friedlos Gebein, damit vielleicht dann auch die so mannigfaltige Spukgestalt des modernen Pilatus hinweggehaucht werde vom Zorn des Herrn, zum Frieden der österlichen Herzen, auf dass sie freier und glücklicher jubeln dürften ihr „Halleluja“!

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12. Presse ist glaubensfeindlich

 

Ein Bischofswort über die glaubensfeindliche Presse

 

Der hochwürdigste Bischof Dr. Gföllner von Linz sprach in der dortigen Piusversammlung am 23. Dezember 1915 u.a. folgende herrliche Worte:

 

„. . . Gegen die schlechte, glaubensfeindliche, kirchenfeindliche Presse gibt es für Katholiken nur eine mögliche Stellung: passive Resistenz, allgemeiner Streik. Lasset die Toten ihre Toten begraben! Wir werden doch nicht mit unserem mühsam ersparten Geld die Totengräber honorieren, die dem katholischen Glauben das schuhtiefe Grab der Vergessenheit graben, uns Katholiken gerne einen kahlen Leichenstein setzen möchten mit der Inschrift: „Ruhe still im Grabesfrieden auf Nimmerwiedersehen!“ Wir werden doch nicht mit unserem Abonnement die Leitartikel honorieren, die unser Kredo leugnen, wir können doch unmöglich auch nur einen Cent Unterhaltsbeitrag leisten für Romane, Annoncen, Theaterrezensionen, Kinoreklamen, die für ein 6. Gebet Gottes nur mitleidiges Lächeln kennen?

 

Katholiken! Übt passive Resistenz, erklärt, vom 1. Januar 1916 an in dauernden allgemeinen Ausstand zu treten aus dem erniedrigenden Sklavenverhältnis des Abonnements auf Blätter, die eure Geldmünzen umschmieden in Sklavenketten geistiger Abhängigkeit von Irrtum, Verleumdung und Entstellung der Wahrheit.

 

Das Abonnement auf schlechte Zeitungen ist Katholiken schon naturrechtlich verboten; darf man denn sein Geld zeichnen zur Kriegsanleihe gegen Religion, Sittlichkeit und Wahrheit? Das Abonnement auf „schlechte Zeitungen“ ist Katholiken auch durch das kirchliche Bücherverbot Officiorum ac munerum unter Leo XIII. ausdrücklich untersagt worden, und derselbe Papst beauftragte die Bischöfe, die Gläubigen aufmerksam zu machen auf Gefahr und Schaden solcher Lektüre. Wo Rom spricht, kann der Bischof nicht schweigen, können Katholiken nicht mehr anders urteilen und handeln. Heutzutage hat eben der Kampf gegen den Glauben und die Kirche modernere Formen angenommen; er wird nicht mehr geführt in der blutigen Arena, mit glühenden Eisen und Zangen, mit Folterqualen und Bestien, sondern auf dem geduldigen Papier . . . Katholiken des 20. Jahrhunderts, werdet keine Verräter am Glauben, indem ihr euch die christliche Presse, die katholische Tages- und Wochenpresse aus den Händen entwinden lasst; vertauscht das lautere Gold der katholischen Wahrheit nicht leichtfertig mit dem Talmigold der gegnerischen Presse. Erklärt ihr vielmehr den heiligen Krieg, macht Front gegen die ungerechtfertigten Grenzüberfälle des sogenannten Wissens auf das sakrosankte Gebiet des Glaubens, schreibt über eure Häuser: „Kirchenfeindlicher Presse – Eintritt strengstens verboten!“ Fasst es als eine Beleidigung eures katholischen Ehr- und Zartgefühls auf, wenn man euch zumutet, eure Hände zu beflecken mit dem Schmutz des Schmockes; für Katholiken ist das Beste gerade noch gut genug, nur inferiore Katholiken steigen in schmachvoller Selbsterniedrigung von der luftigen Hochwarte des Glaubens herab in die nebeligen Niederungen, wo licht- und luftscheue Skribentenseelen den Höhenflug des katholischen Glaubens mit dem Fernrohr ihrer kurzsichtigen Afterweisheit noch immer nicht zu erreichen vermögen.

 

Katholiken! Rafft euch aufgeht von der Defensive über zur Offensive, durchbrecht die Front der feindlichen Presse, erobert zurück das euch widerrechtlich entrissene Gebiet der Wahrheit und des Rechtes, entthront die schlechte Presse, entreißt ihr das Zepter der Bevormundung der öffentlichen Meinung, zerbrecht das Diadem der Lüge, zerreißt den Königsmantel der Heuchelei, in den sich alles hüllt, was sich als Feind der katholischen Wahrheit erklärt. Auf zur Tat! Zeichnet das Abonnement auf die christliche Presse, schafft euch einen Kriegsfonds, sammelt Liebesgaben für die wackeren Kämpfer an der Front unserer katholischen Presse; sie verteidigen eure heiligsten Güter, sie wehren dem Vordringen des allgemeinen Unglaubens, sie bilden die unbezwingliche Isonzofront – verdienen sie kein Christgeschenk von jenen, die im Hinterland die Segnungen des Friedens genießen? Seid keine Drückeberger, beteiligt euch am heiligen Krieg für Wahrheit und Recht; ihr könnt nicht alle die Feder führen, zu diesem schweren Felddienst seid ihr zu schwach; aber ihr seid tauglich zu leichteren Diensten; jedes Abonnement auf eine gute katholische Zeitung oder Zeitschrift stärkt unsere Reihen und erhöht die Wehrkraft, die den Sieg des Katholizismus garantiert . . .“

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13. Petrus, der Fels

       

Eine Säule des Glaubens und göttlicher Kraft steht der erste Papstkönig – Petrus – vor den Augen aller Zeiten. Wohl erhob sich sein Thron noch in den Katakomben, aber von ihm aus strahlte das Licht des Glaubens sieghaft durch das stolze, heidnische Rom und die Christen weiter Reiche lauschten in Ehrfurcht den Worten des schlichten Bischofs von Rom, der da sprach und handelte wie einer, „der Macht hat“. Eine unerhörte Aufgabe hatte er zu lösen: das Christentum trotz tausend Gefahren und Hindernisse einzuführen in das Römische Reich. Und dass es ihm gelang, verkündet seit Jahrhunderten der mächtige Dom, der sich über Petri Grab wölbt, der Dom der heiligen Kirche Gottes, an der die wildesten Stürme und Wogen von Unglauben und Gotteshass machtlos zerschellten.

 

Wie eine Säule, sagten wir, steht Petrus vor uns – und doch – diese Säule ist in einer grausen Nacht gebrochen. Petrus heißt Fels – und dieser Fels hat in unseliger Stunde gewankt. „Ich kenne diesen Menschen nicht“, und er schwur zu Gott: „Ich kenne ihn nicht!“

 

In der Heiligen Schrift lesen wir weiter: „Da wurde Jesus aus dem Gerichtshaus geführt, wandte sich um und sah Petrus an. Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.“

 

Wohl hat der Heiland seinen guten, aber schwachen Apostel „Fels“ genannt, bisher war es ein leeres Wort. Aber in den unheilvollen Stunden dieser Nacht wurde der Felsgrund gelegt, der nimmer wanken sollte, und die Säule gestärkt, die nimmer brechen würde. – Der Heiland hatte den Verräter angeblickt. Welch ein Blick! Liebe, Vorwurf, schmerzlichste Trauer! Alle haben ihn verlassen, den göttlichen Meister, und er, den er am höchsten auszeichnete, hat ihn dreimal verleugnet. Es war ein Blick göttlicher Liebe, aber auch unendlichen Erbarmens. Wie Feuerfunken fiel er in die sündige Jüngerseele. Und plötzlich stand das Verbrechen nachtschwarz vor ihr. Durch diese gräuliche Nacht leuchtete aber auch schon verzeihend und begnadigend das Heilandsauge. Und da glühte ein Feuer auf in der Seele des treulosen Jüngers, ein Feuer, das nimmer erlöschen sollte -, bittere Liebesreue. Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich. Wo mag der Apostel herumgeirrt sein? Nicht achtend auf Wege und Menschen. Es heißt, er sei in einer Straße einer Schar Frauen begegnet – Maria und Jüngerinnen des Herrn -, die, von Johannes benachrichtigt, zum Gerichtshof eilten. In wortlosem Schmerz soll Petrus vor der Schmerzensmutter auf die Knie gefallen sein, und Maria, seine Schuld ahnend oder kennend, ihn leise und mild getröstet und Mutterworte in seine wunde Seele geflüstert haben – Maria, die Zuflucht der Sünder! Und weiter eilte Petrus. Wohin? Vielleicht in die schweigende Ruhe des Gartens Getsemani, und dort mag er mit sich gerungen haben – stundenlang. Ob nicht sein ganzes Leben an ihm vorüberzog und er es nun sah in anderem Licht, fast wie vor Gottes Gericht? Er sah den See Genezareth schimmern und sich als Junge und junger Mann Netze werfen. Und dann kam sein Bruder, ein Jünger des Täufers Johannes, ihn holen, weil der Messias komme. Er sah den Heiland und hörte seine Begrüßungsworte: „Du sollst Petrus, das ist Fels, heißen.“ Das Bild des Heilands unauslöschlich in seiner Seele, kehrte er zu seinem Handwerk zurück, bis – der Heiland selbst kam und Petrus nach dem wunderbaren Fischfang ausrief: „Herr, gehe hinweg von mir, ich bin ein sündhafter Mensch!“ Und doch nicht mehr weg konnte, sondern alles verließ und dem Heiland folgte auf immer. Nun kamen drei Jahre seliger Jüngerschaft. Er lernte den Herrn kennen und ihn über alle Maßen lieben, er sah seine Heiligkeit, seine Wunder, er hörte die göttliche Lehre und wunderbare Gottesworte, die ihm galten, ihm allein. Mit Johannes war er immer an der Seite des Heilands, besonders bevorzugt und geliebt. Wie von selbst erkannten alle Jünger ihn gleichsam als ihren Führer an und in ihrem Namen sprach er so stolz und frei, als viele den Herrn ob seiner eucharistischen Verheißungen verließen: „Herr, zu wem sollen wir gehen, du allein hast Worte des ewigen Lebens!“ Und ein andermal: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Mit seinem Heiland durfte er, nach seiner Einsetzung zum Oberhaupt der Kirche, in die Glorie des Tabors eingehen und für kurze Stunden ging sein Glaube in Schauen über. Dann wieder zog er vor dem Heiland her, das Volk auf sein Kommen, auf seine Gnaden vorbereitend. O, wie er den Heiland liebte, wie er für ihn kämpfen, arbeiten, ja selbst leiden wollte! Wie bei solchen Gedanken sich seine Glieder strafften und das Blut stolz und selbstbewusst durch die Adern schoss! Und da lag der Stein des Anstoßes, die Ursache des schmählichen Falles! So groß war die irdische Freundschaft und Liebe zum Herrn, dass sie, der eigenen Kraft bewusst, gar nicht auf Gnadenhilfe dachte. In dem Punkt musste Petrus geläutert werden, musste Nichts werden, um zu schwindelnder Höhe steigen zu können. War er nicht erst gestern so stolz und sicher vor den Herrn getreten: „Wenn sich alle an dir ärgern, so werde ich es nicht tun. Ich bin bereit, mit dir in den Kerker und den Tod zu gehen!“ – Der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch ist schwach.

 

Die Bäume des Gartens Getsemani flüstern leise. Todmüde Jünger schlafen unter ihnen und der Heiland ringt in Todesangst. Und welch trauriger Vorwurf in seinen Worten: „Simon, du schläfst? Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen?!“ Aber Simon Petrus schläft weiter. Der Anfang vom Fall! Der Heiland ist allein, verlassen in der bitteren Ölbergstunde. Dann aber kam all das Schreckliche. Petrus fuhr auf. „Die Stunde ist da, der Verräter naht!“ Wie in einem Wirbel von Blut und Schatten zuckten Lichter auf, Häscher drängten sich an den Heiland heran und nahmen ihn gefangen. Wo blieb sein Heldenmut? Oder hat er nicht das Schwert gezogen? Ist er nicht dem Herrn gefolgt? Ja – aber fern, zaghaft. – Und dann flammt ein Wachtfeuer auf, spielende Knechte herum -, eine Magd. „Der war auch bei Jesus!“ Da kam die Furcht, alle Erkenntnis ist wie geblendet von lähmender Scham: „Nein, ich kenne ihn nicht!“ Ein Hahn kräht und des Heilands Wort wird lebendig: „Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ – „Du bist auch einer von ihnen!“ – „Ich bin es nicht! Ich kenne den Menschen nicht!“ Und abermals schwur er: „Ich kenne ihn nicht!“ Der Hahn krähte zum zweiten Mal. Und dann ruhten zwei Augen auf ihm – und diese Augen strahlten einen Himmel von Liebe und Erbarmen.

 

So gingen in bitteren Gedanken und Tränen brennender Reue Stunden um Stunden dahin. Was Petrus da gelitten und wie er im tiefsten Innern erneuert und von der Gnade gestählt wurde, können wir nur ahnen. Das Irdische wurde von ihm abgestreift und ein neuer Mensch in Gottes Gnade und Kraft geboren. Ein Mensch, der nie wieder fallen würde. Groß und schwer waren die Verfolgungen, Gefahren und Aufgaben, die auf ihn, den Papstkönig, warteten. Petrus wird alles tragen können. Linder als das Feuer der Liebesreue in seiner Seele werden Rutenstreiche und Verfolgungen ihm dünken und den Tod wird er willkommen heißen, den Martertod, in dem er seines Lebens große Schuld wird sühnen dürfen. Es ist eine schwindelnde Höhe, die er bald wird einnehmen müssen, aber er wird vor Schwindel sicher sein. Seine Wangen werden lebenslang Reuetränen netzen, seine Hand wird immer die Brust finden mit den Worten: „Herr, sei mir armem Sünder gnädig!“ Solcher Demut kann kein Versucher zur Hoffart nahen. Und Petrus wird das echte Hirtenherz besitzen, das keinem Sünder, keinem armen, elenden Menschen verschlossen bleibt. Er wird Schmerzen lindern können, weil er selbst leidet, er wird von flammendem Eifer erfüllt sein, seinem Heiland Seelen zu gewinnen, die ihm treuer sein werden als er. Und das ist die schönste Genugtuung.

 

Zweimal berichtet uns die Heilige Schrift, dass der Heiland nach seiner Auferstehung ganz besonders mit Petrus sprach. Das erste Mal heißt es nur: „Er erschien dem Petrus.“ Ganz allein, niemand kennt die Seligkeit dieses Wiedersehens. In Liebe und Reue aufgelöst, wird Petrus die Füße des strahlenden Erlösers umschlungen und von ihm Worte der Liebe und Verzeihung empfangen haben. Neiden wir nicht Petrus diese Beicht und Osterkommunion?!

 

Und Wochen später. Im Frühlicht schimmerte der See Genezareth und der Herr erschien den Aposteln an dessen blütenreichem Ufer. Der Heiland sprach: „Simon, Sohn des Jonas, liebst du mich mehr als diese?“ Und dreimal fragte er Petrus, ob er ihn liebe. Jedes Mal erwiderte Petrus: „Herr, du weißt, dass ich dich liebe“, und zum dritten Mal wurde er traurig, da er meinte, der Heiland glaube seinen Worten nicht. Die Fragen aber sollten den demütigen, reuevollen Apostel nur zum seligen Bewusstsein seiner Gottesliebe bringen. „Mehr als diese!“ Der Tiefgefallene liebte mehr in schmerzlicher Reue als die getreuen Jünger. Welch wunderbare Wirkung der Liebesreue! Und jetzt war der Felsgrund so tiefgegründet und das Priesterherz von so überirdischer Liebe und Hingabe erfüllt, dass der Heiland seinem Stellvertreter auf Erden sein Teuerstes anvertrauen konnte: die Menschenseelen mit den Worten: „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe!“

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14. Palestrina

 

Giovanni Pierluigi da Palestrina

 

Die ergreifende Klage der Karwoche

 

Wie die berühmte Komposition „Popule Meus“ von Palestrina entstand

 

Über die Ewige Stadt Rom warf die Augustsonne des Jahres 1555 vom wolkenlosen Himmel ihre unbarmherzigen, glühend heißen Strahlen herab, als wollte sie alles Leben wie in einer Feuersglut ersticken und töten. Auch die Abende waren ohne Kühle, und kein einziges Lüftchen brachte auch nur ein wenig Erfrischung.

 

In dem dunklen eines älteren Hauses nahe der Engelsburg lag ein Mann auf dem Krankenlager. Er mochte die Dreißig nur wenig überschritten haben. Seine Hände bewegten sich unruhig, aber regelmäßig wie im Takt, und die Augen starrten unbeweglich zu der Decke des Zimmers empor. Das Fieber brannte wie Feuer in seinem Innern, und die Lippen waren trocken und ausgedörrt, während der Schweiß perlengleich über die eingefallenen Wangen auf den kurzen Bart herabsickerte.

 

Dieser Mann, der da fieberkrank litt, war der berühmte Tonmeister Giovanni Pierluigi da Palestrina.

 

Nun bewegten sich plötzlich seine Lippen. Ein schmerzlicher Zug prägte sich auf seinem bleichen Angesicht aus, und wie von weither sprach der Mund halblaut die Worte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? – “

 

In diesem Augenblick trat ein Besucher, der schon einige Zeit schweigend den leidenden Meister beobachtete, mit vorsichtigem Schritt an das Krankenlager heran.

 

„Freund“, sprach er, nachdem er des Kranken Hand in die seine genommen hatte, „Freund, glaube mir, Gott hat dich gewiss nicht verlassen!“

 

Palestrina wandte das Haupt herum, ein prüfender Blick, und ein leises Lächeln überflog seine Züge: „Pippo Buono!“

 

„Ich bin´s!“ Ja, es war der „gute Philipp“, wie man ihn allgemein in der Ewigen Stadt nannte: Philippus Neri.

 

Wie leicht lag dem Heiligen sonst immer ein Scherzwort auf den Lippen. Hier aber erkannte er auf den ersten Blick, dass er damit nichts Gutes erwirken würde. Hier galt es, den Kranken erst von inneren Lasten zu befreien.

 

„Freund“, begann wiederum Philippus Neri, indem er sich ans Krankenbett setzte, „sag mir einmal, was drückt dich da drinnen? Erzähl mir doch kurz deinen Kummer!“

 

Und Palestrina, der Meister, erzählte zuerst langsam, dann immer leidenschaftlicher von seinem tiefen inneren Leid. „Ihr wisst doch, Pippo,“ sagte er, „dass ich auf ausdrücklichen Befehl des Papstes Julius in die Kapelle der päpstlichen Sänger aufgenommen worden bin. Das war im Januar dieses Jahres.“

 

„Ich weiß es“, sagte Philippus Neri.

 

„Nun aber starb mein Gönner auf dem päpstlichen Thron, und auch sein Nachfolger Marcellus, der mir ebenfalls gewogen war, starb schon nach wenigen Wochen.“

 

„Ich weiß es“, wiederholte ruhig Philippus Neri.

 

Palestrina aber fuhr nach einer Pause fort: „Da ward Giovanni Pietro Caraffa, der gefürchtete, überstrenge Kardinal zum höchsten Lenker unserer Kirche erhoben. Kaum hatte er sich Paul IV. genannt, da berief er vor wenigen Wochen einige Sänger aus unserer Kapelle zu sich und verhörte sie: ob in der päpstlichen Kapelle auch alles nach den Vorschriften des letzten Conciliums geschehen würde? Man antwortete: Ja! – Der Papst fragte weiter: Wie es mit der Sittenreinheit der Sänger stehe, er habe hören müssen, es seien in der Kapelle einige Sänger, die nicht Priester seien, ja nicht einmal die niederen Weihen besäßen sie, das sei doch ganz und gar gegen die Vorschriften. Man antwortete: es seien zwar drei verheiratete Laien unter den Sängern, aber des Papstes Vorgänger hätten diese drei Sänger ausdrücklich auf Lebenszeit in die Kapelle berufen.“

 

„Freund,“ unterbrach hier Philippus Neri den Kranken, „zu diesen drei Sängern gehörst wohl auch du?“

 

„Gewiss! Leonardo Barre, Domenico Ferrabosco und ich! – Aber nun hört weiter! Der Papst machte ein ernstes Gesicht, und nachdem er den Segen gegeben, sprach er, in Bälde werde er kundtun, wie er darüber denke. . .“

 

Palestrina schwieg. Philippus Neri aber fragte: „Und jetzt?“

 

Mit einem Ruck fuhr der kranke Meister in seinem Kissen empor: „Und jetzt? – Was ich schon längst geahnt – gestern, den 30. Juli, hat es der Heilige Vater durch ein Motuproprio uns eröffnet: Entlassen hat uns der Papst aus seiner Kapelle! Entlassen! – Da nehmt! – Hier – lest selbst!“

 

Nachdem Philippus Neri den Kranken mit sanftem Zwang wieder in die Kissen zurückgebettet hatte, nahm er die Abschrift des päpstlichen Schreibens zur Hand: Die drei verheirateten Individuen – hieß es da –, die zum Skandal des Gottesdienstes und der heiligen Kirchengesetze mit den Sängern der päpstlichen Kapelle zusammenlebten, würden aus dem Sängerkollegium ausgestoßen. Doch solle jeder der drei Entlassenen aus der Kasse auch weiterhin pro Monat 6 Skudi erhalten.

 

„Und jetzt!“ begann Palestrina in neuer Erregung. „Und jetzt? – Sechs Skudi nur für den Monat! Aber meine Frau und meine Kinder Rodolfo, Angelo, Iginio . . . Warum hat man mir das angetan? Warum? – Ist das so schlimm, dass ich verheiratet bin? Hab ich nicht dennoch in der päpstlichen Kapelle treu gedient?! –“

 

„Freund,“ begann der Heilige, „hör mich ruhig an! – Fürs erste: Das Gesetz besteht nun einmal so, dass kein Verehelichter in der päpstlichen Kapelle singen darf. Und wenn ein Unrecht je geschehen ist, dann war es dies, dass jenes Gesetz bei euch drei Sängern einst durchbrochen ward! – Fürs zweite: Wenn nun der Papst jenes Gesetz ganz genau durchführt, so tut er den drei Ausgestoßenen hierdurch sicherlich kein Unrecht, und keiner von euch soll glauben, man habe ihm wehtun wollen. Sieh, die Gesetze und ihre Erfüllung erscheinen bisweilen sehr hart, doch wirken sie letztlich als Heil! – Sieh hier, Pierluigi, den Erlöser am Kreuz, und dann bete zu ihm: Sanctus Deus! Sanctus Fortis! Sanctus Immortalis – miserere nobis! – Heiliger Gott! Heiliger Starker! Heiliger Unsterblicher – Erbarme dich unser!“

 

Palestrina schaute unverwandt auf das Kruzifix, das ihm der Heilige vor Augen und Seele hielt, und je länger, desto mehr glätteten sich seine Züge, das arme Herz wurde ruhiger, ja seine Hände falteten sich langsam, und ein wohltuender, erlösender Schlummer umfing den gequälten Meister der Töne.

 

Philippus Neri aber gab ihm seinen Segen und entfernte sich leise. –

 

Als Palestrina nach Stunden erwachte, war der Bann in ihm gebrochen. Energisch verlangte er von seiner Gattin Lucrezia Notenpapier, Tinte und Federkiel, und langsam reihte sich Note an Note: aus eigenstem Leid geboren, aber auch von göttlicher Tröstung erleuchtet, schuf Palestrina sein berühmtes, unsterbliches „Popule meus, quid feci tibi – O du mein Volk, was tat ich dir?“

 

Der kranke Meister genas und erhielt auf den 1. Oktober des gleichen Jahres 1555 die Kapellmeisterstelle an der Kirche St. Johann im Lateran.

 

Sein Popule meus (auch „Improprien“ genannt), das ihm zum Tor der Genesung geworden, bewahrte er noch jahrelang als sein ureigenstes Geheimnis verborgen. Erst am Karfreitag 1560 sang er dieses Werk zum ersten Mal mit seinen Sängern im Lateran. Die wenigen, aber in ihrer Einfachheit so rührenden Akkorde ergriffen die Zuhörer so mächtig, dass später Papst Pius IV. dieses mächtige Popule meus von Palestrina auch von seiner päpstlichen Kapelle singen ließ, was bis zum heutigen Tag an jedem Karfreitag geschieht.

 

(Aus: „Kath. Sonntagsblatt d. Diözese Rottenburg“, Stuttgart, 2.4.1950, von A. Bopp)

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15. Zurück ins Paradies

 

Aus: Tiere unterm Regenbogen", von Aloysius Roche, Berlin 1954:

 

Im ersten Garten, ja – da hatten alle Tiere ihre herrliche Zeit! Sie nahmen gegenseitig hübsch Rücksicht aufeinander, und auch unsere ersten Eltern gingen liebevoll mit ihnen um. Und wenn wir die Geschichte mancher Heiligen lesen, haben wir das Gefühl, mit ihnen sei noch einmal ein Stückchen von jenem Garten zurückgekehrt, und wir dürften hineinschauen... Besonders stark ist dieser Eindruck beim heiligen Franz von Assisi. Man spürt, dass die Güte, die in ihm war, rings um ihn her eine freundliche Atmosphäre schuf, so dass Zutrauen und Furchtlosigkeit die schöne Folge waren – genau das, was das Paradies für die Tiere gewesen war. Man hat Franziskus den christlichen Orpheus genannt. Orpheus war einer der Heroen der alten, heidnischen Dichtkunst. Nach ihren Versen war er der wunderbarste Sänger aller Zeiten. Die Kraft und Süße seiner Stimme waren derart, dass er auch die wildesten Tiere einfach dadurch zähmte, dass er vor ihnen sang. In der einst ganz verschütteten Stadt Pompeji bei Neapel gibt es ein kleines Wandgemälde, auf dem er dargestellt ist. Er sitzt da zwischen den Felsen einer wüsten Gegend, von allen möglichen Tieren umgeben, unter denen sogar ein Elefant ist, und singt und begleitet sich auf seiner Leier.

 

Ohne Gesang beschwichtigte Franziskus die Furcht oder auch die Wildheit all der Geschöpfe, die da laufen, fliegen oder kriechen. Im Winter versorgte er die Bienen mit Wein und Honig und behütete Fasanen und Hasen, wo immer er nur konnte. Kam er an einer Schafherde vorbei, dann begrüßte er die Tiere als seine Geschwister; er war nicht wählerisch, hielt Spatzen und Krähen in Ehren und entfernte sogar Würmer von den Wegen, wo ihnen Unheil drohte.

 

Etwa 300 Jahre später gab es einen Mann, der ihm darin ähnlich war, das war aber in Brasilien. Es war der Jesuiten-Missionar Joseph Anchieta. Er konnte eine ganze Reihe von Sprachen, dichtete selber und führte bei den Eingeborenen der Neuen Welt die Schauspielkunst ein. Diese Brasilianischen Eingeborenen nannten ihn den neuen Adam, weil er die gleiche freundliche Herrschaft über die Tiere ausübte, die der erste Adam verloren hatte, als er Gottes Gebot verletzte. Wo immer er ein Tier fand, das den Eingeborenen Schaden tat, machte er sich daran, ihm das abzugewöhnen. Er tat das, indem er einfach ein paar Zeichen machte und wenige Worte sprach. Niemals brauchten die Tiere zweimal ermahnt zu werden. Die armen Landleute hatten sich ganz daran gewöhnt, nach ihm zu schicken, wenn sie Schwierigkeiten mit Wespen, Schlangen, Geiern, Füchsen oder dergleichen hatten. Ein Pflanzer zum Beispiel beklagte sich über einen riesigen Affen, der ihm das Zuckerrohr beschädigte. Joseph ging zur Plantage und „machte den Affen fertig“, wie wir heute sagen würden: „Das ist aber nichts Gutes, was du hier tust! Ich verstehe ja, dass du hungrig bist. Aber wenn du künftig wieder Hunger bekommst, dann hab’  etwas Geduld, du wirst sehen, es wird dir schon jemand zu essen geben.“ Und siehe da, der Affe erschien täglich bei der Pflanzung, rührte aber keinen Zucker mehr an. Der Pflanzer indessen sorgte dafür, dass der Affe regelmäßig eine gute, ordentliche Mahlzeit erhielt.

 

Als der Missionar einst eine ganze Zeit lang völlig im Wald leben musste, hielt er sich immer einen Vorrat von Bananen, für den Fall, dass seine Tierfreunde ihm vielleicht einen kleinen Besuch machen würden. Unter anderem Getier erschienen zwei Panther und nahmen die Bananen aus seinen Händen.

 

Einmal reiste er durch den Dschungel, von eingeborenen Indianern begleitet. Da erschien eine Giftschlange. Die Eingeborenen machten sich alle aus dem Staub. Aber der Missionar rief sie energisch zurück, und als sie da waren, setzte er sich auf einen Baumstumpf und nahm die Schlange in die Arme. Das Tier war ganz zufrieden und ließ sich sogar streicheln – woraufhin Joseph seinen Leuten eine Predigt hielt, in der er ihnen erklärte, wir Menschen können schlecht von den wilden Tieren erwarten, dass sie tun, was wir ihnen befehlen, wenn wir selber uns weigern, zu erfüllen, was Gott von uns verlangt. Dann segnete er die Schlange und ließ sie davonkriechen.

 

Ein anderer Heiliger, der außergewöhnliche Macht über wilde Tiere hatte, war St. Laumer. Eines Abends betete er sein Brevier in einer Lichtung nahe beim Wald von Perche, als er ein Wildkalb sah, das von einem ganzen Rudel Wölfe gejagt wurde. Im Allgemeinen nimmt man an, dass Priester ihr Offizium nur mit sehr gutem Grund unterbrechen – er muss diesen Anblick aber für einen solchen gehalten haben, denn er machte das Buch zu und lief zwischen die Wölfe und ihre Beute. Sie waren so verblüfft, dass sie stillstanden. Dann mussten sie zuhören, wie St. Laumer ihnen ganz genau sagte, was er von ihnen hielt. „Zurück mit euch in eure Höhlen“, schloss er, „und lasst dies arme Tier in Ruhe!“ Und sie gingen davon. Sie knurrten erst etwas – aber das war nur, um sich das Gemüt zu erleichtern.

 

Was Wölfe betrifft, so war Columban, der Ire, durch und durch „Spezialist“, er hielt sie für etwa so gefährlich, wie wir einen Korb voller Welpen. Im Jahre 585 kam er nach Frankreich und ließ sich in den gefahrvollen Waldeinsamkeiten der Vogesenberge nieder. Er lebte von essbaren Kräutern, Rinde, Beeren und gelegentlich von etwas Brot, das ihm ein Vorüberziehender schenkte. Sein Messer und sein Holznapf werden heute noch aufbewahrt, und während langer Zeit war dies außer den Kleidern, die er auf dem Leibe trug, sein ganzes Eigentum. Seine erste Wohnung dort war eine Bärenhöhle – mit dem Bären darin, wenigstens meistens! Die Vögel folgten ihm, die Eichhörnchen sprangen vom Baum herunter auf seine Schultern und ausgestreckten Arme. Einmal aber geriet er unterwegs doch in die Enge:

es umringten ihn zwölf Wölfe zugleich. Er verlor jedoch nicht einen Augenblick die Fassung, sondern in aller Einfachheit rief er den Namen Gottes. Das war genug für die Wölfe. Sie fingen an, dumme Gesichter zu machen und an ihm vorbeizusehen, als ob sie nie etwas Böses im Schilde geführt hätten. Dann kamen sie heran und beschnüffelten seine Kleider. Zuletzt zeigte ihr verlegener Ausdruck, dass sie gern gesagt hätten: „Verzeihung, wir hielten Sie für jemand anders –„, und damit trollten sie sich.

 

Ganz sicher geht vieles von diesen Begebenheiten einfach auf die Güte dieser Menschen zurück; es gibt ein Sprichwort: „Bei Unserem Herrn sind alle Tiere zahm“, das scheint sich auch bei denen zu bewahrheiten, die viel von Seinem Geist empfangen haben. Sie sind denen gleich, von denen der Mann in der Bibel redet, der da sagt: „Die wilden Tiere sollen in Frieden sein mit dir.“ Das erklärt wahrscheinlich auch, warum der heilige Pachomius in einer Höhle friedlich schlafen konnte, die voll von Giftschlangen und Skorpionen war. Aber die Furchtlosigkeit spielt mit. Die eigene Angst steckt sogar einen Hund an, der alles andere als bösartig ist, Furcht macht uns unzuverlässig. Der Hund spürt das, wird infolgedessen unruhig, misstrauisch und dann sogar auch bissig.

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