Inhalt:
1. Bettler
2. Beichte
3. Beschaffenheit des Gebetes
4. Bettler von Notre-Dame
5. Buße
6. Begegnung
7. Brille des hl. Petrus
8. Bischofsmesse in den Katakomben
9. Besprechen
10. Brief an Maria
11. Bienenlegenden
12. Böser Blick
13. Brief an den heiligen Erzengel Michael
14. Berlin
15. Bußordnung der Kirche
16. Brot
17. Bekennen des Glaubens
18. Büroschlaf
19. Bekehrung
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1. Bettler
Vierzig Jahre lang ein Bettler
Felix wurde im Alter von 32 Jahren ein Kapuziner. Die Kapuziner sind ein Bettelorden. Sie dürfen keine Felder und Wiesen haben und kein Geld zusammenbehalten. Was sie brauchen, müssen sie betteln, und wenn sie mehr haben, als sie brauchen, schenken sie es den Armen. – Weil Felix stark und groß war, bestimmte ihn der Vorgesetzte zum Bettler für das Kloster. 40 Jahre lang blieb Felix in diesem Amt. Jeden Morgen nahm er den Sack auf den Rücken und ging von Haus zu Haus, um Lebensmittel und Kleidungsstücke für seine Mitbrüder zu sammeln. Bettler sein, ist gewiss ein niedriger Stand, es gibt gar keinen niedrigeren, und doch ist jetzt Felix einer der berühmtesten Männer geworden. Wieso? Felix ist nämlich ein Heiliger geworden. Jedes Jahr, am 18. Mai, wird ihm zu Ehren ein eigenes Fest gefeiert und viele Priester lesen ihm zu Ehren an diesem Tag eine heilige Messe. Tausende und Tausende von Menschenkindern haben den Namen „Felix“ schon in der heiligen Taufe bekommen und viele Kirchen wurden dem großen Heiligen zu Ehren erbaut. So wird Felix schon auf Erden geehrt und wie wird er erst im Himmel von Gott selbst geehrt werden!
Wie aber hat Felix sich alle diese Ehren verdient? Einfach dadurch, dass er demütigen Herzens immer das getan hat, was Gott und die Vorgesetzten im Kloster von ihm verlangten. In diesem Streben, in allem Gottes heiligen Willen zu erfüllen, war Felix keine Arbeit zu gering, keine Mühe zu groß. Nie hat er über das harte Bettleramt, das man ihm aufgelegt hatte, geklagt, nie hat er gemurrt, wenn man ihn als unwillkommenen Bettelbruder beschimpfte und ohne Gabe fortjagte, hat alles Gott zuliebe getan und alles Gott zuliebe ertragen und seine demütigende Bettlerarbeit durch gute Meinung und fortwährende Selbstverleugnung geheiligt. – So wurden die niedrigsten Dienste, die Felix dem Kloster tat, Gott wohlgefällige Werke und der arme Klosterbruder ist jetzt ein großer Heiliger im Himmel. Am heiligen Felix haben sich die Worte so recht bewahrheitet: „Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht.“
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2. Beichte
Ach die leidige Beichte! Ist sie vergessen? Ist sie nicht mehr zeitgemäß? In manchen Kirchen erahnt man sie noch. Die Beichtstühle atmen noch etwas von dem einst selig- und glücklichmachenden Sakrament.
Schon der Heide Plato sagte: "Hat jemand ein Unrecht begangen, so muss er das Unrecht aufgeben, sich anklagen und die Missetat nicht verheimlichen. Man muss auftreten als der erste Ankläger seiner selbst."
Aber im 21. Jahrhundert gibt es doch keine persönlichen Sünden, keine eigene Schuld mehr, sagt man, denkt man, meint man. Es ist auch einfacher. Die Umstände, die Erziehung, andere Menschen, der Zufall war schuld. Ich doch nicht!
Luther schreibt nach seinem Abfall von der Kirche: "Die heimliche Beicht gefällt mir auf alle Weise und ist nicht allein nützlich, sondern auch notwendig... O wüssten wir, wie gnädig sie (die Beichte) Gott macht, wir würden sie aus der Erde graben und tausend Meilen weit her holen." Nehmen wir diese Worte Luthers als seinen Beitrag zum 100sten Jubiläum der Aufforderung Marias in Fatima zu Umkehr und Buße im Jubiläumsjahr 2017.
Lassen wir bezüglich der heiligen Beichte noch den von Hause aus protestantischen Dichter Goethe zu Wort kommen: "Beim Widerstreit natürlicher und religiöser Forderungen ist dem Katholiken ein herrliches Auskunftsmittel gegeben, seine Taten und Missetaten, seine Zweifel und Gebrechen einem würdigen, eigens dazu bestellten Mann zu vertrauen, der zu beruhigen, zu warnen, zu stärken, mit symbolischen Strafen zu züchtigen und durch Auslöschen der Schuld zu beseligen weiß.
Unser eigenes Vermögen wird wohl schwerlich alles darreichen, was zu Rat, Trost und Hilfe notwendig; dazu verordnet findet sich nun auch jenes Heilmittel für das ganze Leben."
Nach der Generalbeicht (Klemens Brentano)
Selig, wer solch Heil gefühlet,
Wer die sündenvolle Brust
In der Beichte hat erkühlet,
In der Reue frommer Lust.
O unendliches Erbarmen,
Ja, ich fühle mich Dir nah`,
Auch mich trägst Du in den Armen,
Dass ich Gottes Antlitz sah.
Zur Beichte geh`n die Sünder,
Schleppend eine tote Welt,
Aus der Buße wie die Kinder
Tummeln sie durchs Blumenfeld.
Alles wird zum Paradiese:
Mensch und Tier versöhnet sind,
Und die Blumen senden Grüße
Von dem süßen Jesuskind.
O, wie lacht der Garten heiter!
Funkeln nicht die Blumen schön?
Und der Himmel scheinet weiter
In der Vögel Lust Getön`.
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3. Beschaffenheit des Gebetes
Man hört sehr oft die Klage: „Ich kann noch so viel beten, ich werde doch nicht erhört. Ich habe geklagt und geweint und mir die Hände wund gerungen, aber ich habe weder Trost noch Hilfe gefunden. Der Himmel scheint für mich verschlossen zu sein.“
Woran liegt es? Hört Gott mich nicht? Oder habe ich nicht richtig gebetet und bin deshalb nicht erhört worden? Vielen Heiligen gewährte Gott fast jede Bitte in wunderbarer Weise. Wir wollen von ihnen lernen, wie unser Gebet beschaffen sein muss, damit es von Gott erhört wird. Wir müssen beten:
1. um gute Dinge,
2. als guter Mensch,
3. auf gute Weise.
1. Du musst beten um gute Dinge, die die Ehre Gottes und das Heil der Seele fördern. Im Vaterunser lehrt dich Jesus, was du erbitten sollst. In den sieben Bitten ist ja alles enthalten, was den Menschen glücklich machen kann für das Leben hier und in der Ewigkeit. Beten wir um solche Dinge, dann tragen Gottes Engel unsere Gebete zu Gottes Thron und steigen mit der Erhörung wieder zu uns herab. Wenn wir aber nur um Vermehrung von Hab und Gut, um Siege bei Sport und Spiel, um einflussreiche Ehrenstellen, um Befreiung von Krankheit, Kummer und Nachstellungen den Himmel bestürmen, dann dürfen wir keine Erhörung erwarten. Die Gewährung unseres Wunsches würde uns nur Schaden an unserer Seele verursachen. Würde ein König nicht unwillig werden, wenn man ihn um einen Cent bäte? Was du vom König des Himmels und der Erde erbittest, muss einen höheren Wert haben, als das niedere Erdengut. Sonst spricht der Heiland zu dir, wie zu jener selbstsüchtigen Frau: „Du weißt nicht, was du begehrst.“ Du möchtest in diesem Leben glücklich sein, aber dann würdest du vielleicht die ewige Glückseligkeit verlieren. Du willst Reichtum und Ansehen, ohne zu bedenken, dass du in die Fallstricke des Teufels fallen würdest. Du möchtest nicht länger krank sein, aber es ist vielleicht gut für dich, wenn du stark wirst in der Geduld. Du möchtest von Versuchungen und Verfolgungen frei sein, aber ohne Kreuz kannst du den Himmelslohn nicht empfangen. Deshalb erhört dich der weise und gütige Vater nicht. Er handelt wie eine zärtliche Mutter, die dem Kind das Messer wegnimmt, damit es sich nicht verletzt, wie ein vernünftiger Arzt, der dem Kranken das Hinausgehen in die kalte Luft und manche Speisen verbietet, um einen Rückfall zu verhindern. Lobe und danke daher Gott, wenn er deine leichtfertigen Bitten nicht erhört und dir vorenthält, was dir nur schaden würde. Fasse den entschiedenen Entschluss, ab jetzt nur das zu erbitten, was die Ehre Gottes und das Wohl deiner Seele befördert.
2. Wir sollen auch als gute Menschen, d.h. im Stand der göttlichen Gnade beten. Viele beten als Feinde Gottes, mit Sünden und Lastern im Herzen. Dürfen sie Erhörung erwarten? Können die Lippen richtig beten, wenn das Herz sich vom Herrn getrennt hat? Der Herr spricht durch den Mund Salomos: „Wendet einer sein Ohr ab, um die Lehre nicht zu hören, dann ist sogar sein Gebet ein Gräuel.“ (Spr 28,10) Anderswo sagt er: „Der Herr ist weit von den Sündern; die Gebete des Gerechten wird er erhören.“ Zahllose weitere Stellen in der Heiligen Schrift bezeugen, dass das Gebet des Gerechten wirksam, das Gebet des Lasterhaften aber kraftlos ist. Der fromme König Ezechias betete, schon dem Tod nahe, und sein Leben wurde um 15 Jahre verlängert; der böse Antiochus betete und wurde lebendig von Würmern gefressen. Der Prophet Elias betete nach dreijähriger Trockenheit und sogleich sammelten sich Wolken und ergossen sich über die dürstende Erde. In derselben Not betet das sündige Volk und es muss weiterschmachten. Die fromme Susanna betet, als sie eben gesteinigt werden soll, und ihre Unschuld wird strahlend offenbar. Es betet die sündige Frau Jeroboams um die Gesundheit ihres Sohnes, und als sie in ihren Palast zurückkehrt, stirbt ihr Sohn, wie es der Prophet ihr vorhergesagt hat. Auch unsere Gebete werden nicht erhört, unsere Tränen nicht getrocknet, unsere Bedrängnisse nicht beendet, solange wir in Sünden weiterleben. Ehe wir daher unsere Hände zum Gebet falten, erforschen wir uns, ob wir auch im Stande der Gnade sind, und wenn wir entdecken, dass wir durch schwere Sünde den Zorn Gottes auf uns geladen haben, dann versöhnen wir uns zuerst mit Gott durch die heilige Beichte oder durch die vollkommene Reue. So erst dürfen wir auf Trost und Hilfe von oben rechnen.
3. Wir müssen das Gebet auch auf gute Weise verrichten. Das Gebet muss demütig, vertrauensvoll, beharrlich und gottergeben, im Namen Jesu geschehen. „Das Gebet eines Menschen, der sich verdemütigt, durchdringt die Wolken, und er wird nicht weggehen, ohne dass der Allerhöchste auf ihn herabschaut.“ Jesus versichert: „Wenn ihr den Vater in meinem Namen um etwas bittet, so wird er es euch geben.“ „Betet ohne Unterlass!“ (Lk 18) Klopfen wir unaufhörlich an die Pforte des Himmels mit unseren dringenden Gebeten, dann wird unser bester Freund nicht lange auf sich warten lassen. Denn „das Himmelreich leidet Gewalt, und die Gewalt brauchen, reißen es an sich.“ Beten wir mit Ergebung in Gottes Willen, wie Jesus am Ölberg: „Vater, wenn es möglich ist, so lass diesen Kelch an mir vorübergehen, doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ Haben wir bisher so gebetet? Wir klopfen an die Pforte des Himmels, kehren aber gleich wieder um, wenn uns nicht sofort aufgetan wurde. Unser Sinn und Wandel passt nicht zu unserem Gebet. Verwundern wir uns darum nicht, wenn der Herr uns seine Wohltaten nicht in Strömen zufließen lässt, wundern wir uns vielmehr, dass Gott keine zerschmetternden Blitze auf uns herabschleudert. Beten wir in Zukunft im Geist und in der Wahrheit, beten wir um gute Dinge, beten wir als gute Menschen, beten wir auf gute Weise, demütig, beharrlich, gottergeben. Dann werden wir erfahren, dass dort oben ein mildes Vaterauge über uns wacht. Dann wird Gott alle unsere stillen Seufzer hören, alle unsere Not sehen, alle unsere Tränen zählen und seine Verheißung erfüllen: „Bittet und ihr werdet empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sein!“ Amen.
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4. Bettler von Notre-Dame
Seit einer Reihe von Jahren war er pünktlich jeden Tag vor dem Portal des herrlichen Pariser Domes, der Notre-Dame, erschienen. Jedermann kannte ihn unter dem Namen Jacques. Er war stets ernst und düster, sprach fast kein Wort, und selbst wenn ihm eine mildtätige Seele Almosen reichte, dankte er nur mit einer leichten Neigung des Kopfes.
In derselben Kirche pflegte ein junger Geistlicher, Abbé Paulin, täglich seine heilige Messe zu lesen. Wenn er in die Kirche ging und die Stufen zum Portal emporstieg, vergaß er nie, dem armen Jacques eine kleine Gabe zu reichen. Diese Wohltätige Gewohnheit war für den Abbé eine Lebensnotwendigkeit geworden. Spross einer vornehmen, reichen Familie, hatte sich der Abbé Gott als Priester gewidmet und verwendete sein ganzes Vermögen aus Liebe zu Gott nur für gute Werke.
Eines Tages fehlte Jacques an seinem gewohnten Platz, desgleichen am nächsten und übernächsten Tag, und da seine Abwesenheit länger währte, fürchtete der Abbé, es möchte dem Armen etwas zugestoßen sein. Er erkundigte sich nach dessen Wohnung, und eines Morgens, nachdem er die heilige Messe gelesen hatte, begab er sich in das Haus, wo Jacques wohnte.
Auf einem dürftigen Strohlager fand er Jacques, den Bettler, wieder. Bleich und mit gebrochenen Augen lag der Arme da . . .
„Ah, Sie sind es, Herr Abbé“, begrüßte er den Priester, als er ihn bemerkte. „Das ist aber recht freundlich, dass Sie zu einem so elenden Menschen kommen, wie ich bin . . . ich verdiene Ihre Güte nicht.“
„Was sprechen Sie da, lieber Jacques“, begütigte der Priester, „wissen Sie denn nicht, dass der Priester der Freund der Armen und Unglücklichen ist? Außerdem . . .“, fügte er lächelnd hinzu, „sind wir ja alte Bekannte.“
„O Herr, wenn Sie wüssten!“ stieß der kranke Bettler hervor. „Wenn Sie mich kennen würden . . .! Sprechen Sie nicht so gut mit mir . . . ich bin ein Elender, von Gott verflucht . . .!“
„Von Gott verflucht?“ unterbrach ihn nun der Priester erschrocken. „Wie mögen Sie nur solche Gedanken haben! Gott ist die Güte, er verzeiht den Reuigen alles! Bereuen Sie etwa nicht, was Sie Böses getan haben?“
„Ob ich bereue?“ rief Jacques, sich im Lager aufrichtend und die starren Augen aufreißend; „o ja, ich bereue; dreißig Jahre lang nagt mir die Reue in der Brust, und doch – ich bin verflucht!“
Vergeblich versuchte der Priester ihn zu trösten und ihm Mut zuzusprechen. Er ahnte es, dass ein schreckliches Geheimnis auf dem Gewissen des Bettlers lasten müsse und die Verzweiflung ihm den Mund verschließe.
Da kniete Abbé Paulin an seinem Bett nieder und betete lang und innig . . . und endlich – durch die Gottseligkeit, Sanftmut und Güte des Priesters überwunden, erzählte Jacques mit sterbender Stimme seine Geschichte:
„Ich war“, so sprach er, „Schlossverwalter einer reichen Familie, als die blutige Revolution (des 19. Jahrhunderts) ausbrach. Meine Herrschaft war die Güte selbst. Der Graf, die Gräfin, ihre beiden Töchter, ihr Sohn . . ., sie liebten mich wie ihr Kind. Ich verdankte ihnen alles, Stellung, Erziehung, Vermögen. Da kam die Schreckensherrschaft der Revolution. Man suchte den Grafen und seine Familie, aber man fand sie nicht. Sie hielten sich verborgen, nur ich wusste, wo . . . Da ging ich zu dem Kommissar . . . ich habe sie angezeigt . . . Und warum? – Um ihre Güter zu bekommen, die man dem Anzeiger versprochen hatte. Dann wurden sie geholt, aus ihrem Versteck geschleppt . . . Nur der kleine Paulin, der noch zu jung war, durfte bleiben.“
Ein vor Entsetzen aus geschnürter Kehle gepresster Schrei entrang sich dem Mund des Priesters.
„Herr“, fuhr der alte Bettler fort, der die Aufregung des Abbé nicht bemerkt hatte. „O Herr, es ist entsetzlich! Ich habe zugehört, als das Todesurteil gesprochen wurde. Ich sah ihre vier Köpfe unter dem Messer fallen . . . O ich Ungeheuer . . .! – Ich . . . Ich Teufel! . . . Ich bin verflucht! – Seitdem habe ich weder Rast noch Ruhe! Ich weine, weine, bete für sie, ich sehe sie beständig vor mir . . . Dort, dort . . . sind sie! Dort . . . Herr Abbé . . . unter jener Leinwand!“
Der alte Bettler deutete mit zitternder Hand auf einen Vorhang, der einen Teil der Wand verhüllte. „O Gott! Ich bin der Verruchteste . .! Und wie endlos habe ich es bereut! Herr Abbé, haben Sie Mitleid mit mir, dem schändlichsten aller Sünder!“
Erschüttert, bleich wie der Tod, kniete der Priester am Bett; lange – lange – ohne ein Wort zu sprechen. Dann erhob er sich ruhig, machte das Zeichen des Kreuzes und zog den Vorhang vor der Mauer weg. Er erblickte drei Porträts. Der Bettler stieß einen markerschütternden Schrei aus, als er sie sah . . . und fiel auf sein ärmliches Lager zurück.
Der Priester, überwältigt von so viel Tragik, sank wieder zu Boden und weinte wie ein Kind . . .
„Jacques“, sagte er mit zitternder Stimme, „ich will Sie Beichte hören, um Ihnen die göttliche Verzeihung zu bringen. Jesus hat Sie lieb!“
Der alte Bettler beichtete reumütig seine übrigen Sünden, und nachdem die Beichte des Sterbenden vollendet war und er die Absolution erhalten hatte, fuhr der Priester fort: „Jacques, Gott hat Ihnen verziehen; aus Liebe zu ihm verzeihe – auch ich Ihnen . . .“
Der Bettler küsste mühsam die Hand des Priesters und tat im Frieden Gottes seinen letzten Atemzug.
Abbé Paulin aber lag noch lange zusammengesunken – starr und regungslos – denn, die der Bettler dem Tod überliefert hatte, waren . . . sein Vater – seine Mutter und seine zwei Schwestern!
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5. Buße
„Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe.“ (Ezechiel 18,23) „So wahr ich lebe“, spricht der Herr, „wenn eure Sünden rot wären wie Scharlach, sie sollen weiß werden wie Schnee; und wenn sie rot wären, wie Purpur, sie sollen weiß werden wie Wolle.“ (Jesaja 1,18) Das sind tröstliche Verheißungen für den tief gefallenen Sünder, der sich in aufrichtiger Buße wieder zu dem Allerbarmer zurückwendet. Das war auch die Rettung für viele Heilige, die voll aufrichtigen Reueschmerzes bekannten: „Meine Sünden sind zahlreicher, als die Haare meines Hauptes.“ Wie ernst es ihnen mit der wahren Besserung war, zeigten sie dadurch, dass sie von dem Zeitpunkt ihrer Bekehrung an, wo die erbarmende Gnade Gottes sie rief, nichts anderes begehrten, als durch strenge Bußübungen und einen sittenreinen Wandel die früheren Ärgernisse zu sühnen, dass die Märtyrer vor den heidnischen Richtern freimütig ihren Christenglauben bekannten und für ihn heldenmütig den Martertod erlitten. Für jeden in Sünde Gefallenen gibt es keinen anderen Weg zur Rettung, als die Buße. Erörtern wir die Notwendigkeit, die Erfordernisse und die Wirkungen der Buße:
1. Die Buße, die Abkehr von der Sünde und Hinwendung zu Gott voll inneren Reueschmerzes und festen Entschlusses, ist für jeden Sünder zur Erlangung der ewigen Seligkeit notwendig, denn „nichts Unreines kann ins Himmelreich eingehen“. Gott und der Teufel, Christus und Belial haben keine Gemeinschaft miteinander, man gehört entweder dem einen oder dem anderen an, aber beiden zugleich kann man nicht dienen. Wer der Augenlust, Fleischeslust und der Zügellosigkeit frönt, ist zerfallen mit Gott und muss mit Schrecken seinem Strafgericht entgegensehen. Darf er sich einen Platz unter den reinen Seelen des Himmels versprechen? Der heilige Täufer Johannes antwortet: „Ihr Schlangengezücht! Wer hat euch gelehrt, dem künftigen Zorn zu entfliehen? Bringt würdige Früchte der Buße! Die Axt ist schon an die Wurzel der Bäume gesetzt. Ein jeder Baum, der keine gute Frucht bringt, wird ausgehauen und ins Feuer geworfen.“ Auch unter den Christen gleichen manche den scheinheiligen Pharisäern, sie beobachten äußerlich die religiösen Vorschriften, beten, beichten, kommunizieren, aber ihr Herz verharrt im Hochmut, in Hass und Habgier, in Lug und Trug, in bösen Gedanken, Worten und Werken. Manche spotten wohl gar über alles Heilige, leugnen die Unsterblichkeit der Seele und das ewige Leben und jagen fortwährend den Reichtümern und Sinnengelüsten nach. Aber es kommt die Stunde, wo ihnen der Allvergelter mit Posaunenstimme zurufen wird: „Gib Rechenschaft von deiner Haushaltung!“ Wehe ihnen, wenn sich die Pforten der Hölle vor ihren erschreckten Augen öffnen! Von dort gibt es keine Erlösung. Wer diesem beklagenswerten Schicksal entgehen will, muss notwendig den Weg der Buße einschlagen, denn es gibt nur zwei Wege zum Himmel, den Weg der Unschuld, und für den Sünder den Weg der Buße.
2. Was fordert die Buße? Die Parabel vom verlorenen Sohn deutet uns an, was der Sünder tun muss, um wieder ein Kind seines himmlischen Vaters zu werden. Er muss umkehren aus seinem Sündenelend und sich wieder zu Gott wenden in Erkenntnis seiner Sünde, im Hass gegen die Sünde, im Geständnis der Sünde und in Genugtuung für die Sünde. So verlangt es die Menschennatur und die göttliche Gerechtigkeit. Das sind auch die fünf Stücke des heiligen Bußsakramentes: die Buße des Verstandes, d.i. die Gewissenserforschung; die Buße des Herzens, d.i. die Reue; die Buße des Willens, d.i. der Vorsatz; die Buße des Mundes, d.i. die Beichte; die Buße im Werk, d.i. die Genugtuung. Der Sünder muss also unter Anrufung des Heiligen Geistes die tiefsten Falten seines Gewissens aufdecken und prüfen, wie er sich gegen die heiligen Gebote Gottes und der Kirche und in seinen besonderen Standespflichten verfehlt habe. Bei der Erkenntnis seiner vielen Vergehungen fühlt sich das Herz verdemütigt und zerknirscht, und voll bitteren Seelenschmerzes ruft es aus: „Gott, sei mir armen Sünder gnädig!“ Der Rückblick in die Vergangenheit erfüllt ihn mit Abscheu über seine Verirrungen, aber beim Blick in die Zukunft fasst er den entschiedenen Entschluss: Ich will nicht mehr sündigen! Ist das Herz mit Reue erfüllt, dann sehnt es sich nach Bekenntnis, um die unerträgliche Last abzuwälzen. Dann ist er auch gern bereit, die verdiente Strafe zu erleiden und jede Genugtuung zu leisten. Mit der Sünde erlässt Gott im Bußgericht die ewige Strafe, aber eine zeitliche bleibt meist noch zurück, die der glückliche Büßer gern übernimmt, um die rechte Ordnung wiederherzustellen. Er versöhnt sich mit dem Beleidigten, er gewährt Schadenersatz dem Beeinträchtigten, er macht das gegebene Ärgernis wieder gut. Wie glücklich fühlt sich der Büßer, wenn er alle diese Bedingungen einer aufrichtigen Buße erfüllt hat und wieder die ewige Liebe seines himmlischen Vaters genießt.
3. Was wirkt die Buße? Die Rettung der Seele, die Vereinigung mit Gott. Das Bewusstsein, ich bin mit Gott versöhnt, wiegt tausendmal alle Beschwerden der Buße auf und gewährt ein unaussprechliches Gefühl von Seligkeit. Hast du das nicht selbst empfunden nach einer guten Beichte? Im Gottesfrieden, der allen Begriff übersteigt, konntest du wieder mit kindlicher Inbrunst beten: Vater unser im Himmel! Du warst wieder zufrieden mit deinem Stand, klagtest nicht mehr über deine Mühseligkeiten, kamst anderen freundlich entgegen. Auf deinem Gesicht spiegelte sich die innere Freude wieder. Und als du zum Tisch des Herrn gingst, da war dir wieder zu Mute, wie am Tag deiner ersten heiligen Kommunion, und Tränen des Dankes rollten über deine Wangen. Der Heiland grüßte dich: „Der Friede sei mit dir!“ und besiegelte den Freundschaftsbund mit seinem persönlichen Besuch. Du warst ein anderer Mensch geworden und lebtest wieder neu auf. Dies alles wirkt die aufrichtige Buße. Aber es ist nur ein Vorgeschmack dessen, was dir im anderen Leben aufbewahrt wird. Du sollst dich ewig erfreuen im himmlischen Vaterhaus und Gottes Engel werden mit dir jubeln, denn deine unsterbliche Seele ist gerettet. O glückliche Buße, die solche Glorie wirkt!
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6. Begegnung
Als das Postauto aus Ancona auf der kleinen Piazza des Bergdörfchens Corinaldo hielt, entstieg ihm ein unscheinbar gekleideter, bartloser alter Mann. Er erkundigte sich nach der Wohnung der Frau, der sein Besuch galt, gelangte in ein schmuckloses, bescheidenes Haus, erklomm dort eine steile Holztreppe und betrat schließlich eine geschwärzte Küche, wo eine uralte Frau, die Hände im Schoß gefaltet, in einem Lehnstuhl am Fenster saß. Bei seinem Eintritt wandte sie sich nach ihm um.
„Seid Ihr es, Sandrino?“ fragte sie. Und als der Alte nickte, meinte sie: „Kommt näher. Setzt Euch hier zu mir.“
Der Besucher folgte der Aufforderung. Er schien unsicher und befangen. Als er sich neben der Greisin niedergelassen hatte, dauerte es eine ganze Weile, ehe er ein Wort über die Lippen brachte. „Es ist sehr lange her, seit wir uns zuletzt sahen, Mamma Assunta“, sagte er schließlich.
„Ja“, erwiderte die Greisin und ließ den Rosenkranz durch die gichtstarren Finger gleiten, „sehr, sehr lange. Und wir sind alle beide inzwischen alt geworden.“ Dann, nach einer kleinen Pause, fügte sie hinzu: „Wir wollen Gott danken, mein Sohn, dass wir diesen Tag noch erleben durften.“
Mit unbeholfenen Worten begann der Mann nun von dem Leben zu erzählen, das er in den letzten Jahren im Kloster von Ascoli Piceno geführt hatte, und er sprach von dem Augenleiden, das ihn befallen, von den rheumatischen Schmerzen, die ihn zu quälen begonnen hatten.
„Wie ich Euch schon schrieb“, sagte er schließlich, „bin ich gekommen, weil ich aus dieser Gegend fortgehe. Und da wir uns wahrscheinlich in diesem Leben nicht wiedersehen werden, wollte ich Euch zuvor noch einmal aufsuchen und mich von Euch verabschieden, Mamma Assunta.“
„Geht in Frieden, mein Sohn“, erwiderte die Greisin und reichte ihrem Besucher die Hand.
Es war eine Begegnung, wie sie vielleicht noch nie vorher stattgefunden hatte – die Begegnung zwischen dem Mörder und der Mutter einer Heiligen. Die Greisin nämlich war Assunta Goretti, die neunundachtzigjährige Mutter der vor wenigen Jahren heiliggesprochenen Maria Goretti; der Mann aber, der gekommen war, sich von ihr für immer zu verabschieden, war Alessandro Serenelli, derselbe, der vor mehr als einem halben Jahrhundert in einem Sinnenrausch die junge Maria angefallen und die sich verzweifelt Wehrende getötet hatte.
Alessandro Serenelli hat für diese grausige Tat, die er einst als Zwanzigjähriger verübte, schwer gebüßt. Ein ganzes Menschenalter verbrachte er hinter Kerkermauern, bis er endlich, nach Verbüßung seiner Strafe, den Weg in die Freiheit wieder fand. Sein Opfer Maria Goretti, das seine Ehre mit dem Leben bezahlen musste, ist mittlerweile heilig gesprochen worden. Ihr einbalsamierter Leichnam liegt in gläsernem Sarg, von Scharen wallfahrender Gläubigen besucht, in einer Kapelle, die man eigens für sie bei dem Hafenort Nettuno errichtet hat, ebendort, wo einst ihr Leben von Mörderhand endete.
Die Kapuzinermönche von San Serafino in Ascoli Piceno nahmen sich Serenellis an, als er aus der Strafanstalt entlassen wurde. Sie übertrugen ihm das Amt des Klostergärtners, das er in der Folge zwanzig Jahre hindurch zur allgemeinen Zufriedenheit verwaltet hat. Nur einmal verließ er in all der Zeit seine Zufluchtsstätte – damals nämlich, als er nach Rom reiste, um dort, unerkannt inmitten der Zehntausende, die den Petersdom füllten, der Heiligsprechung seines Opfers beizuwohnen.
Jetzt ist der Zweiundsiebzigjährige zu krank, um noch länger seine Arbeit zu verrichten, und so wird er seine Tage in einem Altersheim der Kapuziner in Macerata beschließen. Ehe er jedoch die Reise dorthin antrat, wollte er noch einmal die Mutter Maria Gorettis besuchen, die er an jenem verhängnisvollen Tag des Jahres 1902, an dem er seine Bluttat beging, , zum letzten Mal gesehen hatte. Kein Dichter hätte eine seltsamere Begegnung ersinnen können als die, die hier das Leben herbeiführte.
Aus „Sie und Er“, Zofingen/Schweiz 1954
(Assunta Goretti, die Mutter Maria Gorettis,
ist kurz nach dieser Begegnung
mit dem Mörder ihres Kindes gestorben.)
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7. Brille des hl. Petrus
Im Tapetensaal des Kunstmuseums in Boston (USA) hängt links ungefähr in der Mitte ein riesiger alter Wandteppich. In warmen, schönen Farben stellt er die Geschichte des Apostolischen Glaubensbekenntnisses dar. In der linken unteren Ecke befindet sich die Gestalt des hl. Petrus. An dieser Figur fällt etwas auf und erregt großes Aufsehen.
Man stelle sich vor, der hl. Petrus trägt eine Brille! Eine biblische Gestalt als Brillenträger erscheint den Museumsbesuchern denn doch etwas gewagt. Dauernd fragen sie im Flüsterton: „Damals gab es doch noch keine Brille, nicht wahr?“ „Wann wurde dieser Wandbehang denn hergestellt?“
Die Brille selbst hat eine sonderbare Gestalt, fast wie ein dickes, umgedrehtes Brustbein. Die runden, schweren Ränder der beiden Gläser sind durch ein dickes, gebogenes Verbindungsstück zusammengehalten, das sich nach oben bis zur Stirn verlängert, an der sein pilzförmiges Ende ruht. Im Gegensatz zu unseren Brillen ist diese Brille nicht gebaut, um auf der Nase zu sitzen, sondern scheint vielmehr an der Stirn zu hängen.
Es ist unwahrscheinlich, dass Petrus, ein einfacher Fischer, je einen solchen Luxusgegenstand wie eine Brille besaß. Wenn es überhaupt zu jener Zeit schon Augengläser gab, so galten sie sicherlich als Schmuck. Es könnte höchstens die entfernte Möglichkeit bestehen, dass ein Anhänger der neuen Lehre ihm eine geschenkt hätte.
Die erste geschichtliche Erwähnung von Brillen finden wir in den Schriften des Konfuzius ungefähr 500 v.Chr. Er behauptet, damit den Augen eines Schuhmachers geholfen zu haben. Man schrieb den Gläsern damals heilende Eigenschaften zu, aber es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass Konfuzius schon etwas von den Brechungsgesetzen gewusst hat. Marco Polo berichtet, dass die Leute Augenlinsen benutzten, als er 1270 China bereiste. Damals waren Aberglaube und Gesellschafssitten für ihren Gebrauch maßgebend.
Die Chinesen glaubten, dass Schildpattgestelle für die Brillen ihre normale Lebensdauer verlängern würden. Man trug Brillen als Zeichen der Stellung, des Besitzes, Berufes, der Intelligenz und sogar der Dummheit.
Von einem Mann der Ming-Dynastie (1260-1368) wird berichtet, dass er eines seiner besten Pferde gegen eine Brille vertauschte. Aber wenn auch die wenigen chinesischen Brillen, die noch in unseren Sammlungen aufbewahrt werden, gute Muster der Brillen jener Zeit darstellen, so müssen wir doch annehmen, dass diese schweren Quarzlinsen nur zur Zierde dienten. Das Gestell ähnelte der oben beschriebenen Brille des hl. Petrus, wurde jedoch durch lange Seidenbänder gehalten, die über und hinter den Ohren liefen und, durch Metallverzierungen beschwert, über die Schulter herunterhingen.
Der Wandteppich mit unserer Figur des hl. Petrus wurde gegen Ende des 15. Jahrhunderts in Brüssel verfertigt. Damals verkauften Straßenhändler in Europa die ungeschlachte Brille als Schmuck und Sehhilfe. Brillenmacher war ein Beruf geworden wie Schuhmacher und Hufschmied. Linsen wurden geschliffen, in Gestelle gefasst und auf den Straßen verkauft. Der Käufer suchte sich einfach eine ihm passend erscheinende Brille aus.
So muss man im Gegensatz zur vagen Möglichkeit, dass dem hl. Petrus schon Brillen bekannt gewesen sein können, annehmen, dass sie in weiten Kreisen bekannt und in Mode waren, als der Künstler vor 450 Jahren diesen Wandteppich schuf. Man muss sich auch daran erinnern, dass die Künstler oft reiche Gönner als Modelle wählten. Die Figur in der Ecke des Teppichs kann leicht das naturgetreue Portrait eines Gönners des Künstlers sein und weniger der Versuch, eine historische Erzählung über Petrus wahrheitsgetreu wiederzugeben. Anzunehmen, dass Petrus eine Brille als persönlichen Schmuck getragen habe, ist unvereinbar mit der Geschichte dieses bescheidenen und heiligen Mannes. Nebenbei gesagt, ist eine der ältesten Quellen über Brillen in Europa eine Inschrift auf einem Grabstein des Jahres 1317. Sie lautet: „Hier ruht Salvino d`Armato aus dem Geschlecht der Armati von Florenz, Erfinder der Brille. Gott vergib ihm seine Sünden!“
Katharina A. Dempsey
Zusammenfassung aus „Boston Sunday Globe“
Boston, 16. Oktober 1949
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8. Bischofsmesse in den Katakomben
Man hat mir gesagt, eine Pilgerreise sei ein Gebet mit den Füßen. Nun, nach einer Woche in Rom taten mir meine Füße ordentlich weh.
Als mir daher meine Begleiterin, Frau Rogers, vorschlug, die Katakomben zu besuchen, lehnte ich glattweg ab. Ich erinnerte mich nämlich noch ganz deutlich, dass ich von den Katakomben im Reiseführer gelesen hatte, dass sie, aneinandergelegt, eine Länge von 1500 km besitzen.
Da luden uns jedoch die amerikanischen Bischöfe Muench und Dworschak am Christkönigsfest zu einer hl. Messe in der Katakombe der hl. Domitilla ein. Nun konnte ich natürlich nicht mehr absagen.
So erhob ich mich beim Morgengrauen, nachdem ich mich erst in später Nachtstunde von gastfreundlichen Römern verabschiedet hatte. Unter solchen Umständen ist eine frühe Morgenstunde Ende Oktober in Rom genau so kühl und unfreundlich wie irgendwo. Ich fror, während ich mich anzog.
Am Eingang der Katakombe empfing uns ein Klosterbruder aus einem deutschen Orden, der die Katakombe „verwaltete“. Frau Rogers behauptete steif und fest, er sähe wie Johannes der Täufer aus. Später kam sie aber zur Ansicht, dass alle Klosterbrüder, die wir zu Gesicht bekamen, wie Johannes der Täufer oder der hl. Franziskus aussähen. Sie war ganz erleichtert, als sie endlich einen fand, der nach ihrer Meinung Cäsar glich. Im Gänsemarsch folgten wir dem Bruder durch die engen Gänge. Nach einer Weile wurden Frau Rogers und ein amerikanischer Konvertit, der sich in unserer Gesellschaft befand, zusammen mit Bischof Muench in einen Gang zu unserer Rechten geleitet, während ich Bischof Dworschak folgte. Bald kamen wir zu einer kleinen Zelle bzw. einem Gewölbe mit einem rohen Altar. Das eiserne Kruzifix stammte aus frühchristlicher Zeit. Die Kerzenhalter waren einfache Eisenspitzen. Über dem Altar lag ein Haufen Knochen in einer Nische, die Gebeine von Christen, die man in diesem Gewölbe begraben hatte. Vor dem Altar lag ein kleiner Teppich zum Knien für den Bischof. Ich blieb stehen. Sonst hätte ich nur die Wahl gehabt, mich auf den blanken, eiskalten Boden zu knien.
„In nomine Patris, et Filii, et Spiritus sancti . . .” Die hl. Messe begann.
Ich weiß nicht mehr genau, in welchem Augenblick der Bischofsmesse ich den gelblich-weißen Totenkopf erblickte, der aus der Nische über meiner rechten Schulter auf mich herabgrinste. Der Schädel lenkte mich ganz von der Messe ab und war ein unwiderstehlicher Anziehungspunkt für meinen Blick. Ich erwiderte das leere Stieren dieses Kopfes mit Tränen in den Augen und wusste, dass ich meinen letzten Feind oder Freund anschaute, den dunklen Kavalier, meinen letzten Liebhaber, meinen letzten Beichtvater. Meine Sinne bäumten sich gegen die Hässlichkeit, Wildheit, Brutalität und Schmach des Todes auf. Eine heidnische Verzweiflung schien sich meiner Seele zu bemächtigen.
„Wer wird mich erlösen von diesem Körper des Todes?“
„Sursum corda!“
Der Bischof war schon bei der Präfation, und plötzlich wurde auch mein Herz durch die gewaltige Kraft dieses Sakramentes, das zu gleicher Zeit Opfer und Kommunion ist, emporgehoben. Durch Den, der einst sprach: „Wenn ich von der Erde erhöht sein werde, werde ich alles an mich ziehen.“ Den, der mit den Worten „Es ist vollbracht“ starb. Den dessen Tod durch sein Sterben zum Tod des Todes wurde und der uns die Tür zum Leben, zu Christus dem König, dem Königs des Lebens öffnet.
In diesem Augenblick erkannte ich klar den Unterschied zwischen der alten Welt und der Welt, die mit der Stunde der Kreuzigung begann: die Heiden fürchteten den Tod, die Christen konnten höchstens noch das Sterben selbst fürchten.
Bei der hl. Wandlung schien es mir, als ob der Totenkopf mir zulächelte. Ich dachte: Wenn er sprechen könnte, würde er sicherlich die Worte eines Mannes gebrauchen, den er vielleicht in seinem Leben gekannt und seinen Freund genannt hat, des hl. Paulus: „Grab, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“
Hier in den Katakomben wurde es mir zum ersten Mal völlig klar, dass ich zur Gemeinschaft der Heiligen gehörte.
Als wir wieder emporstiegen, war ich, wie man sich denken kann, gleich allen anderen sehr froh. Wie zuversichtlicher Stimmung war ich jetzt! Ach, wie lange war es schon her, dass die junge Kirche ihre Gottesdienste in diesen Katakomben halten musste! Als ich so aus der Finsternis der Katakombe wieder in das goldene Licht eines Sonntagmorgens in Rom auftauchte, fühlte ich mich voller Zuversicht, Hoffnung und Glauben, wie ich bekennen muss. Ganz Rom schien mir ein gewaltiges Zeugnis für den Triumph des Christentums zu sein. Rom war selbst eine Auferstehung.
In der Ferne wölbte sich das Meisterwerk Michelangelos, die Kuppel von St. Peter, erbaut an der Stelle des Martyriums des galiläischen Fischers. „Martyrerblut ist Christensamen.“ Ja, das viele Blut, das hier strömte, war in die Adern des mystischen Leibes unseres Herrn, in seine Kirche geflossen. Es gibt heute, glaube ich, über 1 Milliarde Katholiken in der Welt, und ihre Zahl nimmt noch ständig zu. Die Kirche beweist ihre Lebenskraft. Das heißt, dass sie noch immer mit Erfolg gegen jenen Brand ankämpft, den die Selbstsucht, der Stolz, die Lust, die Gier und der Geiz entfachen und den die Menschen „Geschichte“ nennen.
Ich erinnere mich, dass wir am Bogen des Konstantin vorbeikamen, des Kaisers, mit dessen Bekehrung die Christenverfolgungen aufhörten. Dieser Bogen war wie ein großes Portal zwischen der heidnischen Verzweiflung und christlicher Hoffnung, zwischen Tod und unsterblichem Leben.
Von Clare Boothe Luce
Zusammenfassung aus „Pyton“
Juli 1950
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9. Besprechen
Kann man Krankheiten "besprechen"?
An der Tatsache ist nicht zu zweifeln: es ist uralter Volksglaube, dass Krankheiten und anderes Unheil dämonischer Herkunft seien und durch Zaubersprüche gebannt werden müssten. Wir haben es in diesem Zauberritus „Besprechen“, „Bereden“, „Besegnen“, „Überschreien“ oder „Brauchen“ genannt, mit einem über die ganze Erde verbreiteten Brauchtum zu tun. Gewissen Worten und Sprüchen in gebundener Form, besonders geschriebenen oder gemalten, wird Heilkraft zugeschrieben. In der Zauberliteratur aller Völker finden sich solche Zauber- und Bannformeln. Die ältesten sind die der Ägypter aus dem vierten Jahrtausend vor Christus, Beschwörungen gegen Krankheiten und Dämonen, gegen "das böse Auge“, gegen Krokodile und vor allem gegen Schlangen. Die Griechen und Römer brauchten vielfach Beschwörungsformeln mit Versen aus Homer und Virgil. In der deutschen Literatur sind uns alte Zaubersprüche erhalten als Wurm- und Bienensegen und in den zwei Merseburger Zaubersprüchen aus dem zehnten Jahrhundert in Fulda, einem der wenigen Überreste heidnischen Glaubens auf deutschem Boden. Im ersten werden die Walküren, die Schlachtenjungfrauen der nordischen Mythologie, die auf ihren Rossen die Gefallenen nach Walhall führen, zur Rettung eines Gefangenen, im zweiten die altgermanischen Gottheiten zur Heilung einer Pferdefußverrenkung beschworen. Diese Zauberformeln müssen, um besonders heilkräftig zu sein, geschrieben sein, man muss sie wie einen Talisman bei sich tragen oder verschlucken. Auch dürfen sie nach dem Volksglauben nicht laut und deutlich gesprochen werden, sondern leise, geflüstert, gewispert, um den Charakter des Geheimnisvollen zu verstärken. Vielfach wurde auch der kranke Teil mit der Zauberformel oder mit der flachen Hand oder mit einer Fuchszehe bestrichen. Dem Vieh wurden die Sprüche um den Hals gehängt, zum Schutz von Haus und Hof wurden sie über Türen, an die Wand, an Ställe, Bäume und Zäune geheftet. Vielfach sind es ganz sinnlose, orientalisch klingende Formeln, ein wahres Kauderwelsch ohne jeden vernünftigen Inhalt. Bekannt ist aus dem Mittelalter die Formel „abracadabra“. Mit der Wegnahme des jeweiligen letzten Buchstabens, so dass schließlich nur der letzte Buchstabe a zurückblieb, sollte auch die Krankheit schwinden. Daher der Name Schwundformel. Man schwörte geradezu auf diesen Unsinn. Gerade in dem geheimnisvollen Klang erblickte man die Wirksamkeit, und auf diese Sinnlosigkeit legte der Aberglaube großen Wert. Eine Unmenge derartiger Besprechungsformeln enthält das sogenannte „sechste und siebente Buch Mosis“, das heute noch auf dem Land in Umlauf ist. Vielfach wurden auch Zaubersprüche mit christlichen Namen und Wörtern oder mit Bibelsprüchen verbrämt, ein Missbrauch, den die Kirche immer scharf verurteilte. Auch suchte man die Zauberformeln durch das Anrufen des Namens Gottes und der Heiligen sowie durch das Kreuzzeichen in ihrer Wirksamkeit zu verstärken.
Das Besprechen ist auch heute noch vielfach auf dem Land und in der Stadt anzutreffen, besonders das Blutbesprechen unter Anwendung geheimnisvoller Sprüche. Ein solcher Zauberspruch ist folgender: „Moses ging durch das Rote Meer, schlug mit dem Stab in die Flut, die Flut stand; so tu du, Blut!“ oder: „Blut steh still und vergiss deinen Lauf, wie unseres Heilandes Jesu Christi heilige fünf Wunden am Kreuze still stunden“. In Westfalen ist vielfach folgende Blutbesprechungsformel im Umlauf: „Abek, Wabek, Fabek“. Weiter verbreitet ist das Besprechen von Warzen durch allerlei Sprüche. Ein bekannter Warzenspruch, der bei zunehmendem Mond zu sprechen ist, lautet: „Mond nimmt zu, Warze nimmt ab“. Dabei hat man unverwandt in den Mond zu sehen. Die Wirkung dieses Besprechens ist tatsächlich oft verblüffend. Es braucht sich deshalb auch bei derartigen Besprechungen nicht immer um Aberglauben zu handeln oder um eine diesen Zeichen innewohnende Kraft, sondern es handelt sich um eine rein hypnotisch-suggestive Beeinflussung. Etwaige Erfolge dieses „magischen Heilverfahrens“ haben auch mit wunderbaren Krankenheilungen nichts zu tun, sondern beruhen auf Suggestion, die darauf ausgeht, in dem Kranken die Vorstellung zu erzeugen, dass gewisse Krankheitserscheinungen, Schmerzen, Lähmungen, Krämpfe, Blutungen nicht vorhanden seien oder bald verschwinden würden. Wahrscheinlich verdankte auch der sibirische Prophet und Wunderdoktor Rasputin seinen unheimlichen Einfluss am Zarenhof während des ersten Weltkrieges der suggestiven Kraft, mit der er auf den Zarewitsch, der bekanntlich ein Bluter war, einwirkte. Vielleicht ist das Besprechen von Warzen auch eine Art Blutbesprechung, wobei durch seelische Beeinflussung die Blutzufuhr für die Ernährung dieser für die Medizin noch rätselhaften Gebilde unterbunden wird, so dass sie absterben müssen.
Das Besprechen, besonders unter Verwendung religiöser Formeln, ist in seinem ganzen Wesen reiner Aberglaube. Selbst an und für sich einwandfreie Gebete und Segenswünsche erhalten durch die Art der Anwendung den Charakter abergläubischen Zaubers. Die Gebete richten sich dabei nicht an Gott selber, sondern an den zu bezaubernden Gegenstand, bitten nicht, sondern befehlen. Man würdigt in diesem Zauberwahn Gott zum Götzen herab, missbraucht seinen Namen und sucht ihn in magischer Weise rein irdischen Zwecken dienstbar zu machen. Es zeugt von dem großen Scharfblick der Kirche, dass sie in diesen Dingen keine Harmlosigkeiten, sondern eine Entehrung Gottes mit verhängnisvollen Folgen für die seelische und leibliche Gesundheit des Zaubersüchtigen erblickt, weshalb sie derartige Wahngebräuche immer bekämpft hat.
Philipp Schmidt S.J.,
Aus „Wochenpost“,
Missionsdruckerei in Steyl,
9. Jahrgang, Nr. 8.
Katechismus der Katholischen Kirche (2110-2111 und 2138) von 1993:
„Du sollst neben mir keine anderen Götter haben! – Das erste Gebot verbietet, neben dem einen Herrn, der sich seinem Volk geoffenbart hat, noch andere Götter zu verehren. Es untersagt Aberglauben und Unglauben. Der Aberglaube ist gewissermaßen ein abartiges Zuviel an Religiosität, der Unglaube ein Zuwenig, ein der Tugend der Gottesverehrung widersprechendes Laster.
Der Aberglaube ist eine Entgleisung des religiösen Empfindens und der Handlungen, zu denen es verpflichtet. Er kann sich auch in die Verehrung einschleichen, die wir dem wahren Gott erweisen. So wenn z.B. bestimmten, im übrigen berechtigten oder notwendigen Handlungen eine magische Bedeutung beigemessen wird. Wer die Wirksamkeit von Gebeten oder von sakramentalen Zeichen dem bloß äußerlichen Verrichten zuschreibt und dabei von den inneren Haltungen, die sie erfordern, absieht, verfällt dem Aberglauben.
Der Aberglaube ist ein Abweichen von der Verehrung, die wir dem wahren Gott schulden. Er zeigt sich in Götzendienst sowie in verschiedenen Formen der Wahrsagerei und Magie.“
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10. Brief an Maria
Ein Brief an die Muttergottes (1941) - Gedenke, o gütigste Jungfrau
Von Georg Schuster S.M.
Zusammenfassung aus „Apostle of Mary“
108 Franklin St., Dayton, Ohio, Juni 1941
Maria, himmlische Mutter! Vielen von uns scheint die Zeit gekommen, dass Du wieder in die Dinge hier unten auf Erden eingreifen solltest. Wir sind in einer furchtbaren Lage. Zwar fing es schon vor Jahrhunderten an, aber nun sind die Verwirrung und das Durcheinander himmelschreiend geworden. Bestimmt weißt Du um all das.
Immer mehr Menschen mit krankhaftem Sinn erhoben sich, die Deinen Sohn nicht mehr kannten, oder ihn, wenn sie ihn noch kannten, nur hassten. Sie liebten auch Dich nicht mehr. Mit den Jahren wurde ihre Zahl immer größer und ihr Hass immer stärker. Die Menschheit spaltet sich in zwei Lager, die, die Deinen Sohn und Dich liebten, und die, die Euch hassten. Immer mehr hat sich diese Spaltung verbreitet, so dass heute alle Menschen gegeneinander aufgespaltet sind. Wir glauben, dass dies die gefährlichste Krise ist, die die Menschen auf Erden je durchgemacht hatten.
Darum sagen wir, es sei an der Zeit, dass Du eingreifst. Wir armen Menschen haben versucht, Abhilfe zu schaffen, aber wir haben unsere Lage nur noch schlimmer gemacht, so schlimm, wie es nur Menschen fertigbringen können. Wir sind eigensüchtig, ungerecht und lieblos dabei gewesen, kleinlich, von niedrigem Sinn und unfrommer Denkart. Wir haben nicht genug Liebe gehabt. Und da wir so sind, haben wir keine Macht mehr über das Übel.
Wir erinnern uns aber daran, dass Du einst, als die Weinkrüge leer waren, an Deinen Sohn herantratst und sprachst: „Herr, sie haben keinen Wein mehr“ und für die Menschen batest, bis das erste Wunder geschah. Aber Kana war nur der Anfang, ein schwaches Vorbild Deiner geschichtlichen Rolle, nur ein kleines Anzeichen für das, was im Laufe der Geschichte kommen sollte. Jedes Mal, wenn der Kirche furchtbare Gefahr drohte, hast Du die Gefahr abgewendet und sie zum Untergang der Bedroher werden lassen. Wir wissen, dass Du mächtig bist in allen Lagen.
Denkst Du noch an Lepanto? Immer näher kamen die Türken dem Herzen der Christenheit. Es war wie eine immer enger werdende Umklammerung. Asien besaßen sie und Afrika. 80.000 Reiter in ihren europäischen Besitzungen warteten darauf, über die Grenzen der Christenheit hinwegzusetzen. 600 Galeeren waren bereit, die ungeschützten Küsten anzugreifen. Von Zypern bis nach Spanien sanken die Christen zusammen mit dem Heiligen Vater auf die Knie, um in dieser furchtbaren Lage zu beten.
Als sie sich wieder erhoben, kam ein Schiff aus dem Westen, auf dem Dein blaues Banner flatterte. Unter dem Banner stand ein Soldat, der das Gebet des katalanischen Kämpfers wiederholte: „Virgen santa, Madre mia, Trono de Gloria tu a la victoria nos Ileveras“ (Heilige Jungfrau, meine Mutter, Thron der Glorie, Du wirst uns zum Sieg führen). So zog er gegen Ali Pascha und seine Galeeren voller wilder Janitscharen aus, die noch nie den Fuß eines Siegers zu spüren bekommen hatten.
Nach 5 Stunden des Kampfes lag die grüne Fahne des Propheten zerfetzt im Meer, und Dein blaues Banner wehte hoch oben, heilig und unangetastet. Die wilden Horden hatten sich an ihm zerbrochen. Die Christen waren gerettet und mit ihnen die christliche Kultur. Ohne Zweifel war das Dein Werk gewesen. Die Christen schworen, dass Du es warst, die in letzter Stunde diese Hilfe brachte.
Und was geschah ein Jahrhundert später vor den Toren Wiens? Du weißt noch all die Einzelheiten jenes Jahres 1683. Der Halbmond flatterte vor Wien, und die Säulen der Christenheit wankten beim Dröhnen der Stimmen unzähliger Reiter, die Allah und seinem Propheten Mohammed mit lauten Rufen dafür dankten, dass er Wien in die Reichweite ihrer Kanonen gegeben hatte. Diesmal gab es niemanden mehr, sie aufzuhalten. Ja, Frankreich, der Mittelpunkt Europas und des Glaubens, hatte Wien den Ungläubigen ausgeliefert.
Da stand im Volk ein Mann auf. Weißt Du noch wie dieser Mann in Tschenstochau vor Deinem Bild auf die Knie sank? Ja, Du weißt es, wie das christliche Heer den Sieg errang, einen solchen Sieg, dass die fünffache Übermacht der Feinde von Österreich nach Asien zurückfloh. Aber die Christen waren gar nicht erstaunt. Sie fühlten so lebhaft, dass Du sie geschützt, geführt und mit ihnen gefochten hattest, dass Sobieski es als natürlichste Sache der Welt betrachtete, den Papst in Abänderung von Cäsars bekanntem Ausspruch mit den Worten „Veni, vidi, Domina vicit“ (Ich kam, sah und die himmlische Herrin siegte) über den Sieg zu unterrichten.
Verzeih unsere vielen Worte! Wir wollten nur in menschlicher Weise Dich daran erinnern, was Du schon in verzweifelten Lagen wie der unseren getan hast. Gelehrte, die es besser ausdrücken können, sagen, dass es sich heute um Jesus oder Jupiter, um Christus oder um den Antichrist handelt. Wahrhaftig, die Zeiten könnten nicht noch schlimmer sein. Darum siehst Du uns auf dieser kleinen, von Not erfüllten Erdenkugel auf den Knien liegen und den Himmel durch Dich bestürmen. Wir vertrauen darauf, dass Du auch für unsere Lage schon eine Lösung bereit hast.
Die bösen Vorzeichen häufen sich. Die Zeitungsüberschriften werden von Tag zu Tag größer und schwärzer. Wir aber erinnern uns, dass noch nie gehört worden ist, dass jemand, der zu Dir seine Zuflucht genommen, von Dir verlassen worden sei.
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11. Bienenlegenden
Die Geschichte der Imkerei geht weit über die Zeit der geschriebenen Geschichte zurück. Bienen, sowohl wilder als auch gezüchteter Abstammung, wurden offensichtlich in großem Umfang schon in den frühesten Tagen der Menschheit gehalten. In den alten keltischen Gedichten wird England oft als die Insel des Honigs bezeichnet. Der Met, das Honiggetränk, wurde damals von jedem, arm oder reich, getrunken. Es muss daher in jenen alten Tagen sehr viel Honig gegeben haben. Pythias von Marseille, ein Seefahrer, der 300 Jahre vor Christus lebte, besuchte Britannien und bemerkte, dass das Lieblingsgetränk der Bewohner aus Honig und Weizen hergestellt wurde.
Die alten Briten haben vielleicht schon gezüchtete Bienen gehabt, oder sie bekamen Honig von wilden Bienen. Aber wir wissen, dass die Römer Bienen in langen, engen Körben hielten, die aus geflochtenen Weiden oder aus zusammengehefteten Gerstenhalmen gemacht waren. Diese Körbe stellten sie in ihren Gärten zwischen den Obstbäumen auf. Die Regeln, die der römische Dichter Virgil über das Leben der Biene und die Bienenzucht aufschrieb, genügten Europa bis vor ungefähr 250 Jahren.
Die Sachsen, die sich in England unter einem landwirtschaftstreibenden Volk niedergelassen hatten, wurden erfahrene Imker, die anscheinend Bienenfarmen besaßen; denn wir finden viele Ortsnamen sächsischen Ursprungs, die mit Bienen oder Honig zusammenhängen.
So wichtig waren diese kleinen Insekten und ihr Erzeugnis in den Tagen des Mittelalters, dass es eine eigene Gesetzgebung für sie gab. König Alfred von England z.B. erlies ein Gesetz, dass ein Mann, wenn seine Bienen schwärmen, mit Metall klappern oder mit einer Schelle schellen müsse, um den Nachbarn dadurch wissen zu lassen, dass er den Schwarm verfolge und für sich beanspruche. Die Erinnerung an dieses Gesetz dauert auf dem Land noch an, wo die Bauern die Deckel von Tiegeln aneinanderschlagen und behaupten, der Lärm veranlasse den Schwarm sich niederzulassen.
In England und in vielen anderen Ländern wurde im Mittelalter die Pacht oft in Form eines Jahresmaßes an Honig bezahlt. Erst zwei Jahre nach Unterzeichnung der Magna Charta ordnete Heinrich III. an, „dass jeder Freie den Honig behalten darf, den er im Wald findet.“ Dies muss eine große Wohltat für Hunderte von Leuten gewesen sein, da Zucker erst im 16. Jahrhundert nach England eingeführt wurde.
Einst galt das plötzliche Niederlassen eines Bienenschwarmes über einem Menschen als ein Zeichen künftiger Größe. Als der heilige Ambrosius in der Wiege lag und ein Bienenschwarm darüber erschien, veranlasste das die entzückten Zuschauer, die künftige Rednergabe des Kindes vorherzusagen.
Die Bienen haben verschiedene Schutzheilige. In Cornwall ernannte man den hl. Bartholomäus dazu und erklärte, dass man an seinem Fest im Juni schleudern solle. In Britannien bringt man an jedem Bienenstock eine kleine Medaille des hl. Benedikt an. Frankreich sieht den hl. Medard, den Bischof von Noyon im 6. Jahrhundert, als den besonderen Patron der Bienen an.
Ob der hl. David von Wales wirklich selbst Bienen züchtete oder diese Arbeit an andere übertrug, wissen wir nicht, aber wir wissen, dass im Kloster von Glyn Rosen, dem „Tal der Rosen“, dem Lieblingskloster des hl. David, unter den 12 Klöstern, die er gründete, Bienen gezüchtet wurden.
Eine hübsche Geschichte wird von einem jungen Imker, dem hl. Domnoc, dem die besondere Liebe des hl. David galt, erzählt. Nach einigen Jahren Aufenthaltes im Tal der Rosen erhielt der hl. Domnoc den Befehl, nach Irland zu gehen. Dreimal versuchte er erfolglos, einem Bienenschwarm zu entfliehen, der ihn begleiten wollte. Hierauf ging er zum hl. David und bat ihn, die Bienen mit nach Irland nehmen zu dürfen. Da die Bienen offenbar entschlossen waren, mit ihrem Herrn zu gehen, segnete der hl. David den jungen Imker und prophezeite, dass die Bienen in Irland gedeihen, aber im Tal der Rosen schwächer würden.
Einer der ältesten Bienenheiligen, der selbst auch ein Imker war, ist der hl. Sossim in der Ukraine gewesen. Der Überlieferung nach soll er die Bienen in Europa eingeführt haben, hauptsächlich, um Wachs für Kerzen zu erhalten. In jener Zeit, so erzählt die Legende, hatte nur Ägypten Bienen, aber kein Ägypter wollte dem hl. Sossim welche geben oder verkaufen. Der Heilige wanderte durch Ägypten und trug ein hohles Schilfrohr als Stab. Eines Tages fing er eine Bienenkönigin und zehn Bienen und sperrte sie in das Schilfrohr ein. Die Ägypter, denen das anscheinend zwecklose Herumwandern des Heiligen in ihrem Land verdächtig vorkam, nahmen ihn gefangen und durchsuchten ihn. Als sie aber nichts fanden, ließen sie ihn wieder los. Schließlich erreichte er mit den kostbaren Bienen Europa. Der hl. Sossim muss ein fähiger Imker gewesen sein, und seine gefangene Königin war offenbar sehr tüchtig, da sie nach der Legende die Ahnherrin aller Europäischen Bienen ist.
Im Gebiet von Aidne lassen noch heute die frommen Imker aus dem Wachs ihrer eigenen Bienenstöcke Kerzen machen und diese an Lichtmess weihen. Dann werden diese Kerzen sorgfältig aufbewahrt und nur benutzt, wenn ein Familienmitglied stirbt. Die Imker von Saone-et-Loire zünden an den Bitttagen eine Kerze an, damit ihre Bienen gedeihen. Die Leute auf dem Land erzählen, dass zur Zeit der Mette die Bienen zu Ehren des Christkindes laut summen.
Überall ist es die Meinung des Landvolkes, dass man Bienenschwärme nicht verkaufen darf, sondern nur herschenken, wenn man auch in manchen Gegenden ein Gegengeschenk dafür annehmen darf.
An vielen Orten glaubt man noch, dass die Bienen dahinsiechen und sterben, wenn man ihnen einen Todesfall in der Familie nicht ansagt. Das Verfahren dieses „Ansagens“ ist da und dort verschieden. Gewöhnlich wird die Trauerbotschaft leise ein – oder zweimal am Eingang des Bienenstockes gewispert, und die Bienen werden gebeten, für den neuen Herrn zu arbeiten. Gelegentlich wird auch ein schwarzes Band oder Krepp um den Bienenstock geschlungen. Vor einem Menschenalter sagten die Landleute ihren Bienen auch noch die Taufen und Hochzeiten an. Der Gedanke, der all diesen Bräuchen zugrunde liegt, ist immer der gleiche: die Bienen haben einen beinahe menschlichen Verstand und nehmen an Freude und Leid der Familie ihres Herrn teil.
Nach einem ebenfalls weit verbreiteten Glauben gedeihen die Bienen nicht, wenn ihre Stöcke in der Nähe von Häusern streitsüchtiger Leute stehen. Sie wollen auch nicht von Leuten gepflegt werden die unsauber sind, deren Kleider beschmutzt sind, oder die roh in ihrer Stimme oder ihren Bewegungen sind. Wenn Imker ungehörige oder fluchende Ausdrücke vor den Bienen gebrauchen, werden die gekränkten Geschöpfe die entweihte Stätte verlassen, sobald sich eine passende Gelegenheit hierzu einstellt.
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12. Böser Blick
Vom Aberglauben des "Bösen Blickes"
Philipp Schmitt S.J.
Wort und Blick haben in den abergläubischen Vorstellungen aller Menschen eine Hauptrolle gespielt im Zauberwahn des Verwünschens mit seinen beiden Arten des „Bösen Blickes“ und des „Berufens“. Lautes Verwünschen ist das „Berufen“, stilles der „Böse Blick“. Der „Böse Blick“ ist eines der Übel, das der Büchse der Pandora, der ersten von Zeus im Zorn geschaffenen Frau entwich und Not und Elend ohne Maß unter die Menschheit brachte. Die Geschichte des „Bösen Blickes“ gehört zur Nachtseite der Kultur- und Völkergeschichte der Menschheit. In den abergläubischen Vorstellungen spielt der Glaube an die unheilvolle Zauberkraft der Augen wohl die Hauptrolle. Für den Naturmenschen ist der Blick von jeher etwas höchst Geheimnisvolles gewesen, und seine ungezügelte Phantasie hat ihm eine Menge von mystischen Kräften angedichtet, die „faszinierend“, bezaubernd wirken sollen. In immer neuen Variationen stoßen wir bei allen Völkern der Erde auf den weitverbreiteten Aberglauben des „Bösen Blickes“. Die ganze Literatur der Griechen und Römer, eine Unmenge von Inschriften, Darstellungen auf Sarkophagen, Reliefs, Bildern, Amuletten, staatlichen Gesetzen zeugen von der Verbreitung des Glaubens an die Bezauberung durch das „Schalksauge“, wie Luther es nennt. Meist galten Frauen als Trägerinnen des „Bösen Blickes“, die diese unheilvolle Macht absichtlich und bewusst ausübten. Die Zeit der Hexenprozesse, wo der „Böse Blick“ mit dem Teufelsglauben in Zusammenhang gebracht wurde, sah die höchste Betätigung des Augenzaubers mit all seinen entsetzlichen und furchtbaren Folgen. Im Hexenhammer, den die beiden Inquisitoren für Nord- und Süddeutschland, Heinrich Institoris und Jakob Sprenger 1484 herausgaben, ist immer wieder vom „Bösen Blick“ die Rede. Hexen waren die wirksamsten Werkzeuge des Bosheitszaubers. Schon Luther setzte in seinem lateinischen Kommentar zum Galaterbrief (1519) auseinander, wie die Hexen durch „Bösen Blick“ Kindern bezaubern, krank machen, besonders dann, wenn sie eine glückliche Mutter wegen eines auffallend schönen Kindes beneiden. Alles Unheil, selbst Winde, Hagel und Unwetter schrieb man ihnen als Wetterhexen zu, und vielfach war die angebliche Verzauberung durch das Auge der Grund für das Vorgehen gegen sie. Irgendein auffälliges Auge, ein „gezeichnetes Auge“, wie Triefaugen, Augen mit roten Lidern, schielende Augen genügte, um Frauen in den Verdacht der Hexerei und damit auf den brennenden Holzstoß zu bringen.
Dieser Wahn lebt in voller Kraft bei allen Kulturvölkern weiter und ist besonders noch in ländlichen Kreisen lebendig am Werk. So erhielt der Verfasser einen Brief von einem Bauern, in dem langwährendes Unglück unter dem Vieh, Verzopfung und Verfilzung der Schwänze von Pferden, Abmagerung des Viehs sowie Milchlosigkeit und Verhexung durch den „Bösen Blick“ zugeschrieben werden.
In Bayern nennt man heute das Ausüben des „Bösen Blickes“ „verlügen“ oder „verneiden“, in Norddeutschland „entsetzen“ oder „schieren“, in Steiermark „verschauen“ oder „verneinen“, in Böhmen „übersehen“.
In Italien, dem klassischen Land des „Bösen Blickes“, heißen die Bösäugigen „jettatori“ (wörtlich „Werfer“, von jettare „werfen“, Menschen, die ihre verderblichen Blicke wie Pfeile auf Personen oder Sachen werfen). In Italien an der unheimlichen Wirkung des „mal occhio“ zu zweifeln, wäre ein Verbrechen. Gebildete und Ungebildete leben in der Atmosphäre dieses Aberglaubens. Bei keinem Volk kommen Angehörige anderer Nationen so leicht und unbegründet in den Verdacht des „Bösen Blickes“ wie bei den Italienern. So galt z.B. der Dichter Heine mit seinen schielenden Augen und seinen gefärbten Brillengläsern als einer der gefürchteten Träger dieser gefährlichen Eigenschaft, ebenso der englische Dichter Lord Byron. Auch der verstorbene Exkaiser Wilhelm II. war für die Italiener ein Jettatore. Als eines Tages bei einem Besuch des Kaisers in Rom ein Festessen im Quirinal stattfand, fiel, als er gerade den Saal betrat, der schwere Kronleuchter herunter. Ein Abgeordneter und ein Staatsrat, die der Festlichkeit beiwohnten, sahen sich darauf entsetzt an, und der eine flüsterte dem anderen zu: „E proprio jettatore“ („er hat wahrhaftig den Bösen Blick“).
Der „Böse Blick“, die angebliche Eigenschaft gewisser Menschen, durch bloßes Ansehen Menschen, Tieren und Pflanzen zu schaden und selbst leblose Gegenstände wie Haus und Hof, Quellen und Brunnen und Lebensmittel zu verderben, wird meist als außerhalb des Bewusstseins liegend betrachtet. Er soll ein mehr magisches Wesen sein, das also auch ohne den Willen des Menschen wirkt. Nach abergläubischer Anschauung ist diese schreckliche Fähigkeit des Augenzaubers angeboren, kann aber auch durch besondere Umstände erworben werden. So soll man durch Trunkenheit, gewisse Krankheiten, wie Gelbsucht und Aussatz, zum jettatore werden können. Tieren, von der wildesten Bestie bis herab zum harmlosen Singvögelchen, werden ähnliche Wirkungen zugeschrieben, so den Schlangen, dem Marder, Wiesel, den Vipern, Spinnen, den sagenhaften Basilisken („Basiliskenblick“). Besonders hat von den Tieren nach abergläubischer Ansicht der Pfau den „Bösen Blick“. Auch dieser Wahn hat sich bis heute erhalten. „Wer Pfauenfedern im Haus hat, wird oft den Doktor rufen müssen“, sagt der Volksmund. Als vor einigen Jahren in London das Prince of Wales-Theater eröffnet wurde, in dem die Logenbrüstungen mit gemalten Pfauen geschmückt waren, weigerten sich die Schauspieler aufzutreten. Es blieb nichts anderes übrig, als den Schmuck wieder von den Logen zu entfernen.
Zu allen Zeiten hat der Volksglaube seine Schutzmittel ersonnen, um sich vor der überall vorhandenen Wirkung der Verzauberung zu bewahren, vor allem in einer Legion von Amuletten und Talismanen. Auch ausgeprägt suggestive Mittel wurden gegen den „Bösen Blick“ angewandt. Ein solches Mittel gibt der Talmud an: „Derjenige, welcher hineingeht in eine Stadt und sich vor einem bösen Auge fürchtet, der nehme den Daumen seiner rechten Hand und sage folgendes: Ich, N.N., Sohn des N.N., stamme ab von dem Samen Josephs, den ein böses Auge nicht beherrschen kann. Wenn er sich aber fürchtet vor seinem eigenen bösen Auge, so sehe er auf seinen linken Nasenflügel.“ Nach primitiver Anschauung galt der Grundsatz, dass dieselbe Kraft, die eine Wirkung ausübt, sie auch wieder aufzuheben vermag. Deshalb tritt uns in den Abwehrmitteln gegen den „Bösen Blick“ so oft die Darstellung eines Auges entgegen. Auge gegen Auge! Alle diese gegenzauberischen Mittel müssen aber nach den Anschauungen des Aberglaubens offen und möglichst sichtbar getragen werden, damit sie die Aufmerksamkeit des Bösäugigen von dem Träger ablenken und seinen Blick auf sich ziehen. So werden sie zum „Blickableiter“.
Wo liegen die Ursachen für die Entstehung dieses Zauberwahns? Die Philosophen des klassischen Altertums erblicken die Ursachen des „Bösen Blickes“ in „Neidstrahlen“, die wie vergiftete Pfeile aus dem Auge herausfahren, Kirchenväter wie Augustinus, Chrysostomus und Kirchenschriftsteller wie Tertullian in einer durch Hass und Eifersucht verderbten Seele. Die Scholastiker des Mittelalters sahen fast alle in dämonischer Beeinflussung die Ursache für den „Bösen Blick“. Nach dem hl. Thomas kann, wenn eine Seele heftig zur Schlechtigkeit erregt wird, ihr Blick giftig und schädlich werden, besonders für Kinder, die einen zarten Körper haben und deshalb für solche Eindrücke empfänglich sind. Möglich ist nach ihm auch, dass dies mit Erlaubnis Gottes oder mittels eines geheimen Paktes durch die Bosheit der Dämonen geschieht. Die letztere Anschauung, die den „Bösen Blick“ mit Teufelsglauben in Verbindung brachte, wurde allgemeine Schulmeinung und hat sich, wie schon erwähnt, in den furchtbaren Hexenverfolgungen in grauenhafter Weise ausgewirkt.
Bei der Verseuchung des ganzen damaligen Lebens mit astrologischem Geistesgut erblickten die Sterndeuter als Ursache für den „Bösen Blick“ das trügerische Gespinst einer schlechten Konstellation der Gestirne, besonders der Tierkreiszeichen und der Planeten. Wer im Augenblick der Geburt unter einem ungünstigen Gestirn stand, war von vornherein mit dem „Bösen Blick“ gezeichnet.
Vielleicht liegt dem Wust all dieser Erklärungen wie so manchen abergläubischen Formen irgendeine richtige Beobachtung und damit ein Körnchen Wahrheit zugrunde. Wir sprechen ja auch von „niederschmetternden“, „durchbohrenden“, „verachtenden“, „verweisenden“, „tötenden“, „beglückenden“ Blicken. Jeder weiß, wie der scheele, neidische Blick vergiftend wirken und das ganze Innere in Unruhe und Aufregung versetzen kann. Es gibt jedenfalls eine seelische Willenseinwirkung eines Menschen auf den anderen, wie man aus dem Einfluss des starren Blickes des Hypnotiseurs weiß. Doch erklärt diese Suggestivwirkung noch nicht die Entstehung des über die ganze Erde verbreiteten Zauberwahns. Falsch verstandene anatomische und physikalische Beobachtungen an Menschen- und Tieraugen, wie der funkelnde und phosphorisierende Blick gewisser Tiere, führten zu dem Glauben, dass das Auge der Sitz der Seele sei, die unter Umständen ihren Sitz verlassen und in die Außenwelt treten könne, um dort ihre unheimliche Faszinationskraft zu entfalten.
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13. Brief an den heiligen Erzengel Michael
Michael, heiliger Erzengel, wir müssen dich um Verzeihung bitten, wir Nachfahren jener stolzen Geschlechter, die in dir ihren machtvollen Schutzherrn und ihr hohes Vorbild verehrten. Zu unserem Schaden teils du das Los einer Reihe von Heiligen, die, im Mittelalter hoch angesehen, im Laufe der Zeit aber fast der Vergessenheit anheimgefallen sind. Von deinem Namen, der unsere Ahnen zu christadeligem Leben verpflichtete, ist uns geblieben, dass man uns den „deutschen Michel“ nennt und darunter einen schlafmützigen Trottel, einen beschränkten Spießbürger versteht. Die Fahne mit deinem Bild, die den Vätern voranwehte zu glaubenschützender Tat, ist uns längst entglitten, und mit ihr sank hin der christliche Ernst, die Einheit unseres Volkes im Glauben, ja der Glaube an Christus und den lebendigen Gott.
Dabei ist es höchste Zeit, dass wir uns wieder auf dich besinnen! Bist du nicht der Führer der himmlischen Scharen, die sich für Gott gegen Luzifer erhoben und in deinem Namen „Mi-cha-el“, das heißt: „Wer ist wie Gott?“ zu ihrem Schlachtruf wählten? Du bist es doch, der nach der Geheimen Offenbarung die heilige Kirche gegen den siebenköpfigen Drachen verteidigt und den Drachen vom Himmel stürzt.
Allerdings: wie deine Gestalt immer mehr den Augen unseres Volkes entschwand, so nahm eine angeblich aufgeklärte, fortschrittsgläubige Zeit – zu unserem Unglück! – den Drachen, deinen Gegenspieler, nicht mehr ernst. Im Denken zu vieler Menschen verblasste der Teufel zu einem unwirklichen Schatten. Sie unterschätzten oder übersahen den, mit dem du solch heftigen Zweikampf zu bestehen hattest, der selbst unsern Herrn versuchen durfte. Während nach St. Augustins geistesgewaltigem Buch „Über den Gottesstaat“ die Weltgeschichte nichts anderes ist als das Ringen des Teufels und seines Anhangs gegen Gott und Gottes Diener, verharmlosten wirklichkeitsfremde Toren leichtfertig das dunkelmächtige Dasein des „Menschenmörders von Anbeginn“ und stellten es außer Rechnung.
Wundert´s uns, dass sie sich verrechnet haben? Der zu einem dürren Kinderschreck verniedlicht wurde, ist mächtig geworden in der Welt! Dass man seine Existenz in Abrede stellte, dieser fürchterliche Selbstbetrug kam ihm nur zugute. Unbeachtet hat er inzwischen einen Großangriff vorbereitet und holt in unseren Tagen zum Schlag aus. Ist die Ordnung der Welt nicht auch deshalb aus den Fugen, weil der Diabolus, der Durcheinanderwirbler, zu lange ungestört sein Handwerk treiben, die Fundamente der Ordnung aushöhlen konnte? Ist die Menschheit nicht darum zu Tode krank, weil Satan unbemerkt sein Gift in unser Blut geträufelt hat? Menschen glaubten auf der Erde leben zu können, als gäbe es weder Gott noch Teufel; als ließe sich das Tränental allen Mängeln zum Trotz in ein Paradies verwandeln. Welche Täuschung! Welch ein Erwachen für die Enkel der kurzsichtigen Weltverbesserer: sie wachsen nicht in einer Welt auf, die dem Garten der Wonne gleicht, sondern in einem Dschungel, durch den todbringend die alte Schlange schleicht. Lange Zeit hinter dem Schleier freiwilliger menschlicher Blindheit versteckt, schreitet die Macht des Bösen heute offen einher. Der Lauf der Welt, vordem als steter Fortschritt in eine immer lebenswertere schöne Zukunft gepriesen, scheint auf einmal sinnloses Schicksal. Die Propheten des Fortschritts sind verstummt. Den Weisen der Gegenwart umschnürt Angst das Herz, sie sagen dunklen Untergang voraus. Angesichts des Teufels befällt selbst die Mutigen lähmende Hoffnungslosigkeit und tödlicher Zweifel.
In dieser Stunde der Finsternis hoffen wir, St. Michael, auf dich! Lass uns unter dem würgenden Zugriff des Teufels, vom Gifthauch des Drachens getroffen, deiner Wirklichkeit wieder inne werden, deine Nähe erfahren! Ist Satan mächtig geworden, so ist doch auch deine Macht nicht geschmälert. Droht er uns unter sein Joch zu beugen, so stehst du bereit, für unsere Freiheit einzutreten. Da der Widersacher heute mehr denn je umhergeht wie ein brüllender Löwe, der sucht, wen er verschlinge, verteidige du uns in dem Kampf, der unsere Kraft übersteigt! Wie du einst mit ihm um den Leib des Moses gerungen hast, schirme heute ihm gegenüber den geheimnisvollen Leib Christi, die Kirche.
Uns aber wolle Gott auf deine Fürsprache geben, dass deine lichte Gestalt ihre formende Kraft über unsere Herzen entfalte! Dass wir, klarsichtig wie du, mit dem Teufel rechnen! Mehr aber noch mit Gott! Wir haben erkannt: die Erde ist kein Niemandsland, sondern ist Gottes oder des Teufels, je nachdem wir uns entscheiden. Wir können uns nicht in bequemer Neutralität der Entscheidung enthalten; wenn wir nicht wählen wollen, haben wir schon gewählt: denn wer nicht für Christus ist, der ist gegen Ihn.
Durch eine angstgeschüttelte Christenheit klingt dein Name „Wer ist wie Gott?“ als ein Ruf unzerstörbarer Zuversicht. Dass er in unseren Herzen die Nebel des Zweifels zerstreue, kleinmütige Furcht verbanne, hochgemute Tapferkeit wecke und göttliche Siegesgewissheit verbreite, darum bitten wir dich, unüberwindlich starker Held, St. Michael!
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14. Berlin
Bildnis einer Stadt
Von Otto Heinrich von der Gablentz
Gekürzt aus „Hochland“, Kösel-Verlag, 1948, Nr. 4
Hier wirkte einst der Großstadtapostel Dr. Sonnenschein
Dem aufmerksamen Beobachter und dem Berliner selbst ist es schon früher schwergefallen, die Stadt als Einheit zu erleben. Wo Berlin anfängt, kann keiner genau sagen. Die Verwaltungsgrenze liegt weit draußen in den Wäldern und Rieselfeldern. Dann kommen zum Beispiel im Norden die Gartenstädte, dann das Fabrikviertel von Reinickendorf, das Wohnviertel, dann die langen Straßen des Bezirkes Wedding mit den Wohnungen in den Vorderhäusern und den Betrieben in den Hinterhöfen, und am Stettiner Bahnhof beginnt die innere Stadt. Aber hier geht es weiter wie vorher: endlose Straßen und schließlich wieder lockere Siedlung und wieder Vororte, und dann ist man draußen. Vor lauter Straßen und Häusern sieht man keine Stadt. Genauso ist es, wenn man von Süden hereinkommt, von Wannsee über Zehlendorf und Dahlem in die geschlossene Siedlung von Steglitz und Wilmersdorf, von Westen her aus Spandau nach Charlottenburg, von Osten aus Köpenick oder Friedrichshagen. „Stadtmitte“ heißt ein Untergrundbahnhof. Aber wenn man aussteigt, da findet man nur Straßenkreuzungen zwischen Trümmern und um diese fiktive Mitte herum Bahnhöfe: Friedrichstraße, Alexanderplatz, Potsdamer-, Anhalter-, Stettiner-, Lehrter Bahnhof. Am Friedrichstraßenbahnhof stehen einige Theater, am „Alex“ das Stadthaus. Alles scheint für den Durchgangsverkehr, für den Besuch von Behörden oder Veranstaltungen, nichts für den Aufenthalt berechnet. Es ist schon immer bemerkt worden, dass Berlin keine Mitte hat wie die alten gewachsenen Hauptstädte, wie die Cité von Paris, wie der erste Bezirk von Wien. Es gab mindestens zwei Zentren, am Kurfürstendamm und bei der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche für die modernen Geschäfte und Vergnügungsstätten, und um die „Linden“ herum für die Ministerien und Banken. Selbst die große Anlage auf der Spree-Insel: Schloss, Dom und Museum, war kein echtes Zentrum geworden, sondern nur eine Anhäufung von Sehenswürdigkeiten. Der Osten hatte seine Mitte am „Alex“ mit dem Polizeipräsidium, den Hochhäusern und Treffpunkten der Unterwelt. Nur der Norden hatte überhaupt kein Zentrum. Hier lagen die großen Betriebe: Siemens, A.E.G., Bergmann, Borsig und Löwe – dazwischen Hafen, Bahnen, Wohnungen und Freigelände.
Das symbolische Bauwerk Berlins ist das Brandenburger Tor. Also wieder ein bloßer Durchgang! Aber hier gerade hatte Berlin eine wirkliche Mitte. Allerdings, es waren nicht Straßen und Bauten. Es war der Tiergarten. Wenn man die Erinnerung der Politiker und Diplomaten aus dem neunzehnten Jahrhundert und noch aus der Zeit um 1900 liest, dann ist immer wieder davon die Rede, dass man sich beim Reiten im Tiergarten getroffen und Informationen ausgetauscht hat. So ist es noch bis in den zweiten Weltkrieg hinein geblieben. Die ganzen Prominenten ritten noch; aber wichtiger waren die Gänge durch den Tiergarten. Wenn die Männer aus den Ministerien, deren Gärten zum Teil noch bis an den Tiergarten heranreichen, im Diplomatenviertel zwischen Tiergarten und Zoo zu tun hatten, wenn die Offiziere aus der Bendlerstraße, die Geschäftsführer aus dem Verbandsbüro am Landwehrkanal eine Mittagspause machten, dann traf man sich, verabredet oder zufällig, im Tiergarten. Manches wichtige Gespräch ist dort zwanglos geführt worden, manche persönliche Beziehung geknüpft und gelöst, unter den hohen Bäumen, auf den Bänken im Rosengarten oder auf der Rousseau-Insel, mitten zwischen Berlinern und Berlinerinnen aller Schichten, beim Füttern der zahmen Finken und Eichhörnchen. Ein Stück Wald als Mitte der Millionenstadt – das ist das zentrale Geheimnis von Berlin gewesen.
Dass man heute über die kahle Fläche des abgeholzten Tiergartens hinweg plötzlich in Stadtbezirke hineinsieht, die man früher niemals als benachbart erlebt hat: von Moabit zur Tiergartenstraße, vom Brandenburger Tor nach Charlottenburg – das verbindet sie nicht etwa, sondern macht nur noch deutlicher, dass alles nicht so recht zusammengehört. Berlin hat Behörden, aber kein Behördenviertel. Es hat Lokale, wo schnell gegessen wird, aber keine Treffpunkte. Es hat Geschäfte, aber keine Geschäftsviertel. Geschäfte und Lokale, aber auch Theater und Konzertsäle sind zu reinen Betrieben geworden, die man für die Zeit benutzt, in der sie etwas darbieten, dann aber sofort verlässt, ohne dass sich Gespräche oder menschliche Beziehungen anspinnen können.
Ganz Berlin besteht heute nur noch aus Wohnungen und Betrieben. Es werden lauter Funktionen ausgeübt, aber es ist keine Einheit und keine Mitte da. Doch kann es vorkommen, dass an einem Frühlingstag am Sonntagnachmittag die Menschen durch die Trümmer nach einem Platz im alten Zentrum streben, der an Wochentagen fast verlassen ist. Da ragt die alte gotische Marienkirche zwischen Schloss und Rathaus, östlich der Spree, im russischen Sektor, jetzt, nach der Zerstörung des Domes, die einzige repräsentative Stätte des evangelischen Gottesdienstes. Wenn der evangelische Bischof Dibelius am „Tag der Kirche“ über die „politische Verantwortung der Kirche“, über „die soziale Verpflichtung der Kirche“ spricht, dann füllen Tausende die alte Kirchenhalle, Tausende wandern hinüber zu einer Parallelversammlung in einer Nachbarkirche, Tausende, die keinen Platz fanden, singen auf dem Platz zwischen den Trümmern Choräle zu Glockenklang und Posaunenchor.
Die Kirche wird wieder sichtbar in Berlin. Aber ist es eine echte Erneuerung oder ein Aufflackern im Kampf der Auflösung? Die Berliner Marienkirche ist eine der wenigen Kirchen in Deutschland, in der ein mittelalterlicher Totentanz erhalten ist. Was ist nun das eigentliche Symbol? Dass die Kirche steht und die Menschen sie füllen, oder dass es die Kirche des Totentanzes ist, die stehengeblieben ist?
Die Marienkirche ist eines der wenigen Denkmäler aus der mittelalterlichen Geschichte Berlins. Es gab schon früher in Berlin nicht viele; heute ist sie fast das einzige Denkmal dieser Art. Der Berliner weiß nicht viel von seiner alten Geschichte. Dass es Markgrafen und Kurfürsten gegeben hat, das hat er einmal gelernt. Aber es ist keine lebendige Gestalt unter ihnen. Es gibt auch kein altes Rathaus mehr. Es gibt keinen Bürgermeister, kein Patriziergeschlecht, die dem Stadtbild oder der Erinnerung ihr Siegel aufgeprägt hätten. Die Geschichte der Kurmark ist im Gedächtnis der Nachfahren nur die Vorgeschichte des preußischen Königtums. Berlin liegt in der Mark. Aber es ist keine märkische Stadt. Der Berliner kennt seine Umgebung und liebt sie. In guten Zeiten ist er viel gewandert und geradelt, gerudert und gesegelt. Nach allen vier Himmelsrichtungen reicht Berlin in den Wald hinein. Im Norden kann man, ohne den Wald zu verlassen, von der Stadtgrenze dreißig Kilometer bis zu den riesigen Revieren der Schorfheide wandern. Im Süden schließt die Großbeerener Heide an die Rieselfelder der Stadt an. Im Westen gehört der Grunewald zum Stadtgebiet und jenseits die breite Havel mit dem Wannsee, im Osten Müggelsee und Müggelberge. Ein großer Teil des Stadtgebietes ist noch Feld. Man ist erstaunlich schnell auf dem Dorf, wenn man aus Berlin heraus ist.
Es gibt keine eigenständige Stadt in der Umgebung. Potsdam ist doch eine Art Vorstadt geworden. Brandenburg und Frankfurt an der Oder waren nie etwas anderes als Kleinstädte mit angeschwollenen Bevölkerungszahlen. Auf dem Land hat man Erholung gesucht, aus dem Land versorgt man sich mit Kartoffeln und Gemüse, so gut es geht. Ein Teil der Berliner, doch kein sehr großer mehr, hat dort Verwandte. Aber kaum jemand hat dort Heimat. Der Berliner fühlt sich auch nicht als Märker, wie der Wiener sich als Österreicher, der Münchner sich als Bayer fühlt. Es gibt auch kaum so etwas wie ein märkisches Stammesbewusstsein. Engere Heimat, Dorf oder Kleinstadt, und dann kam gleich Preußen. Diese Haltung entspricht ganz dem Bild, das der Reisende gewinnt, wenn er nach Berlin kommt. Mit der Bahn oder auf der Autostraße geht es stundenlang durch die Wälder und Felder, ohne dass man eine echte Stadt berührt. Und dann kommt Berlin als etwas völlig anderes: eine Riesenstadt mitten in einer stadtlosen Landschaft, aber dabei wieder eine Stadtlandschaft für sich ohne einen eigentlichen Kern. Dieses ungegliederte Nebeneinander von Land und Stadt, dieses grenzenlose Auswuchern der Stadt in die Landschaft hinein ist sehr verschieden von den Formen auch der großen Städte im westlichen und südlichen Europa. Das ist östlich, das Zerfließen in die Breite, das Fehlen einer klaren Gliederung der Landschaft, einer Übersichtlichkeit in der Stadt selber. Berlin in der Mark, das ist auch heute noch ein Ausdruck für die Lage an der Grenze.
Die Marienkirche ist ein gotischer Bau aus der Markgrafen- und Hansezeit der Stadt. Ihre innere Ausstattung ist barock, die Kanzel von Schlüter, die Grabmäler kurfürstlicher und königlicher Generäle und Geheimräte. Wenn man an dem Totentanz der Vorhalle vorbeigeschritten ist, dann kommt man in preußische Luft. Preußen reicht weiter als die Mark. Es weist weiter nach Osten in die Landschaft, von der der Staat seinen Namen hat, und in das polnische Land, an das so viele Namen von guten Berlinern erinnern. Aber es weist auch nach Westen. Das Königreich Preußen hat sich von Anfang an über ganz Norddeutschland erstreckt, und mit dem Kalvinismus haben die Kurfürsten auch manches an Sitte und vieles an Gesinnung, an nüchterner Geschäftstüchtigkeit vom Niederrhein und aus Westfalen nach Berlin gebracht. So mischt sich auch in der Bevölkerung mit dem märkischen Blut vieles aus den östlichen und westlichen Provinzen Preußens. Aber auch die Achse von Norden nach Süden ist zu sehen. Es gab doch Zeiten, wo die Ostseebäder als Vororte von Berlin galten und ebenso auf der anderen Seite die schlesischen Kurorte, etwa Schreiberhau im Riesengebirge. Von Pommern kamen nordische Züge in die Berliner Bevölkerung und verstärkten das Niedersächsische im Märker.
Schlesien liegt nicht nur südöstlich, sondern es hat auch wirklich südliche Züge als katholisches Land, durchtränkt von dem Einfluss des alten Österreich. Pommern und Schlesier, Ostpreußen und Westdeutsche wurden in Berlin zu Preußen umgeschmolzen; aber die Elemente differenzieren sich heute wieder. Vor allem hat das katholische Element in Berlin, das sich auf dreihundertfünfzigtausend Gemeindemitglieder stützen kann, an Bedeutung gewonnen, je mehr die preußische Bindung weggefallen ist.
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Über den Verfasser des Artikels Otto Heinrich von der Gablentz:
Der Offizierssohn Otto Heinrich von der Gablentz wurde am 11. September 1898 in Berlin geboren. Seine Jugendjahre waren geprägt durch die Traditionen des pommerschen Pietismus auf väterlicher und des national-liberalen Calvinismus auf mütterlicher Seite.
Nach dem Notabitur 1915 wurde er als Fahnenjunker im Ersten Weltkrieg schwer verwundet. 1917 kehrte Gablentz nach Berlin zurück und begann das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften mit Schwerpunkt der Volkswirtschaftslehre. Neben einer engen Verbindung zur Jugendbewegung lernte er während des Studiums den „konservativen Sozialismus“ kennen und engagierte sich mehr und mehr auch im Kreis der Religiösen Sozialisten um Paul Tillich.
1920 schloss er sein Studium mit der Promotion im Fachgebiet Volkswirtschaftslehre in Freiburg im Breisgau ab. Ab 1925 fand er eine Anstellung im Statistischen Reichsamt in Berlin, die ihn in enge Verbindung zum Reichswirtschaftsministerium brachte.
Im kirchlichen Bereich schloss er sich der Evangelischen Michaelsbruderschaft an, durch die er Theodor Steltzer kennenlernte. 1929 nahm er als Referent an einer Tagung der schlesischen Arbeitslagerbewegung teil.
Auf Betreiben der NSDAP wurde Gablentz nach der Machtergreifung der Nazis von seiner Position im Reichswirtschaftsministerium entfernt und war ab 1935 - gemeinsam mit Horst von Einsiedel - in der Reichsstelle Chemie tätig.
Nachdem Gablentz durch die Vermittlung Einsiedels Moltke näher kennenlernte, arbeitete er seit 1940 im engeren Kreisauer Kreis mit. Er nahm an den Anfangsgesprächen des Kreises über allgemeine Fragen der Staatslehre, insbesondere der Wirtschafts- und Verfassungsfragen, teil. Hier trat er für einen Mittelweg zwischen dem ökonomischen Liberalismus und der marxistisch geprägten Planwirtschaft ein.
Auf Grund seiner ökumenischen Kontakte stellte er die Verbindung zum Weltkirchenrat in Genf her. Bereits 1937 war Gablentz, in Abstimmung mit Gerstenmaier, an der Vorbereitung der Weltkirchenkonferenz in Oxford beteiligt.
Nach dem 20. Juli 1944 konnte Gablentz einer Verfolgung durch die NS-Behörden entgehen, da sein Name bei den Nachforschungen der Gestapo unentdeckt blieb.
1945 war er gemeinsam mit Steltzer, van Husen, Lukaschek und anderen Mitbegründer der CDU in Berlin. Er war als politischer Publizist tätig und gehörte dem Rat der Evangelischen Kirche an. Nachdem er sich 1949 an der Freien Universität Berlin habilitiert hatte, lehrte er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1966 als Professor für politische Wissenschaft. Zeitweilig war er Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät und Institutsdirektor. 1965 trat er aus der CDU aus, der er mangelnde innere Reformbereitschaft vorwarf.
Am 27. April 1972 starb Otto Heinrich von der Gablentz in Berlin.
Quelle des Lebenslaufes: Kreisau-Initiative (https://www.kreisau.de)
Wir sprachen von „unserer“ Stadt. Von Berlin . . . Wir sind der Stadt und ihrem Asphalt verpflichtet und lieben ihre Menschen . . . Leuchttürme müssen stehen über dieser Stadt! Unentwegt! Die in der schwarzen Nacht ihre Lichter werfen und den Fliegern ihre Bahn zeigen. Glocken müssen läuten, den verirrten Wanderern die Wege weisen. Wege fachlicher Arbeit. Wege weltanschaulichen Sinnes. Wege geistiger Höhe. Es muss letzte Führung geben. Kirchen, die darauf verzichten, begeben sich ihres Rechts. Ich will, dass meine Kirche ein Leuchtturm sei, der zu jeder Stunde leuchtet und führt.
Aus „Weltstadtbetrachtungen“ von Dr. Carl Sonnenschein
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15. Bußordnung der Kirche
Die Bußordnung der Kirche in den ersten Zeiten der Christenheit
Die kirchlichen Gebräuche bei Schluss der Bußzeit
Am Gründonnerstag wurde an einem nahe dem Haupttor der Kirche hergerichteten Altar für die Büßer eine heilige Messe gelesen. Im Anschluss daran mussten sie beichten. Die dazu verordneten Priester hatten genau zu erforschen, ob und wie die Büßer bisher ihre auferlegte Buße verrichtet hatten. Der Bischof und die Beichtväter berieten sich hierauf, welche von den Büßern würdig seien, wieder in die Kirche aufgenommen zu werden. Die Würdigen wurden bekanntgegeben.
Darauf warfen sich der Bischof – im Festornat gekleidet – mit den dienenden Priestern auf die Stufen des Altares nieder und beteten die sieben Bußpsalmen mit der „Allerheiligenlitanei“, währenddessen die Büßer mit nackten Füßen vor der Kirchentür knieten und „ausgelöschte“ Kerzen in den Händen hielten. Bei der Bitte: „Alle heiligen Patriarchen und Propheten, bittet für uns“ – wurde die Litanei unterbrochen. Zwei Priester (Subdiakone) begaben sich mit „brennenden“ Kerzen hin zu den Büßern, zeigten ihnen die Lichter unter dem Gesang: „So wahr ich lebe, spricht der Herr, ich will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe“.
Die Litanei wurde wieder fortgesetzt. Bei der Bitte: „Alle heiligen Märtyrer, bittet für uns“, wiederholten die zwei Diakone die gleiche Zeremonie unter dem Gesang: „Tut Buße, spricht der Herr, denn es naht sich das Reich Gottes.“ – Bei der Bitte: „O Lamm Gottes, das du hinwegnimmst die Sünden der Welt“, musste der erste dienende Priester – Archidiakon genannt – mit einer großen brennenden Kerze zu den Büßern gehen und singend auffordern: „Neigt eure Häupter in Demut vor Gott.“
Nach dieser ergreifenden Zeremonie begab sich der Bischof mit allen anwesenden Priestern in die Mitte der Kirche. Die Priester stellten sich, wie am Aschermittwoch, in zwei Reihen bis zur Kirchentür auf. Der Archidiakon rief den Büßern zu: „Verharret im Stillschweigen!“ – und bat den Bischof, beginnend mit den Worten: „Die Zeit der Gnade ist gekommen“ – um Wiederaufnahme der Büßer in die Gemeinschaft der Kirche. Der Bischof erklärte sich nach einer kurzen Ermahnung an die Büßer – „in Zukunft ein christliches Leben führen zu wollen“ – freudig bereit, sie auf Grund der Barmherzigkeit Gottes in die Kirche zurückzuführen, und rief darauf dreimal: „Kommet“, „kommet“, „kommet“. Bei diesen Worten erhoben sich die Begnadigten, machten bei jeder Einladung eine Kniebeuge und warfen sich in der Kirche vor den Füßen des Bischofs auf das Angesicht nieder. Der Archidiakon erneuerte nochmals die Bitte um die Aufnahme der Büßer. Daraufhin fragte der Bischof: „Weißt du, ob sie der Wiederaufnahme würdig sind?“ – „Ja, ich weiß und bestätige es, dass sie würdig sind.“ – Bei diesen Worten erhoben sich die Büßer, reichten sich gegenseitig die Hand und wurden in einer Reihe vom Bischof, der die Hand des ihm zunächst stehenden Büßers ergriff, in die Kirche geführt und dadurch wieder in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen. Nach einigen Gebeten wurde die allgemeine Lossprechung erteilt, die ganze Büßerschar vom Bischof mit Weihwasser besprengt, auch beräuchert und mit einer Warnung vor dem Rückfall in die Sünde entlassen. Nun wurde der Gottesdienst des Gründonnerstag fortgesetzt und die Begnadigten empfingen nach der Kommunion des Priesters den heiligen Leib des Herrn und wurden so durch die Buße aus dürren wieder grüne Zweige am Baum der gnadenreichen, von Jesus Christus gestifteten, heiligen Kirche.
Im Hinblick auf diese rührende, aber auch demütigende Art der Bußübungen in alter Zeit müssen wir dankbar anerkennen, wie leicht uns die Wiederversöhnung mit Gott und die Tilgung der Sündenstrafen gemacht ist. Jeder von uns kennt seine Schuld und weiß, dass sie einmal gesühnt werden muss.
„Entweder büßen oder brennen.“ Darum „erkennen wir“ mit dem heiligen Paulus (Römer 13), „dass die Stunde nun da ist, wo wir vom Schlaf erwachen sollen. Lasset uns ablegen die Werke der Finsternis und anziehen die Waffen des Lichtes“ – in der nächsten Bußzeit durch eine aufrichtige, reumütige Beicht und treue, freudige Beobachtung des so leichten, kirchlichen Fastengebotes.
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16. Brot
Das Kreuz auf dem Brot
In manchen Gegenden herrscht bei den Katholiken der schöne Brauch, dass der Vater oder die Mutter, bevor sie ein Brot anschneiden, erst das heilige Kreuzzeichen darübermachen. Es wird hierdurch sinnreich angedeutet, dass der gekreuzigte Gottessohn das Brot geheiligt hat, indem er sich selbst und in Brotsgestalt als Speise unserer Seelen gibt. Er wird durch dieses Kreuzzeichen auf dem Brot geehrt und zugleich liegt darin die Bitte, wenn auch nicht mit Worten ausgesprochen, er wolle uns das irdische Brot zum Heil des Leibes und der Seele gereichen lassen.
Schon bei den alten Heiden, lange vor Christi Geburt, war es üblich, den kuchenartig gebackenen Broten zwei Einschnitte einzuprägen, derart, dass auf jedem dieser runden Brote das Zeichen des Kreuzes erschien. Freilich dachten die Heiden nicht an das Kreuz, sondern machten diese Einschnitte, um das Brot leichter in vier Teile brechen zu können. Das Brot wurde nämlich nicht zerschnitten, sondern mit den Händen zerbrochen, wie es jetzt noch im Morgenland üblich ist. So haben schon die Heiden durch die Figur des Einschnittes, ohne es zu wissen, angedeutet, dass das Brot einst durch den sich am Kreuz opfernden Welterlöser geheiligt werden würde. Es ist daher erklärlich, dass die Christen gleich anfangs die Hostie des Abendmahles mit dem üblichen Kreuz bezeichneten, teils zur Beibehaltung der alten Sitte, teils aber auch, weil sie dem Kreuzzeichen nun die hohe, auf Jesus Christus bezügliche Bedeutung gaben. Daraus entstand auch bei den Christen des Abendlandes der fromme Brauch, jedes Brot mit dem heiligen Kreuzzeichen zu bezeichnen, bevor es zum häuslichen Bedarf angeschnitten wird.
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17. Bekennen des Glaubens
1. Mannhaftes Bekenntnis vor dem Herrscher.
Während eines Marsches im Gebirge ging König Friedrich II. einmal, ungeduldig über das langsame Nachkommen der Artillerie, einen Hohlweg zu Fuß bergan, ihm zur Seite Generalleutnant Graf v. Schmettau. Um seinen Unmut irgendwie auszulassen, wandte er sich an seinen Begleiter mit der Frage: „Nun, Schmettau, hat Er gute Nachricht von seinem Beichtvater aus Berlin?“ Der General erwiderte ruhig und fest: „Ich weiß, wen Eure Majestät meinen, der Mann ist, wie man mir sagt, ein recht gelehrter und würdiger Geistlicher. Aber ich kenne ihn zufälligerweise gar nicht und kann ihn also durchaus nicht meinen Beichtvater nennen.“ „Höre Er, Schmettau“, sagte der König spöttisch, „wenn sein Beichtvater merkt, dass Er ihn gegen mich verleugnet, da nehme Er sich in Acht!“ So folgten noch einige spöttische Bemerkungen über den Glauben des Generals. Sobald Schmettau wieder zu Wort kommen konnte, sagte er gefasst: „Majestät sind sehr viel witziger als ich und auch sehr viel gelehrter, überdies sind Sie mein König. Der geistige Kampf zwischen Ihnen und mir ist also in jeder Hinsicht ungleich. Dennoch können Sie mir meinen Glauben nicht nehmen. Und gelänge Ihnen das auch, so hätten Sie mir zwar unermesslich geschadet, aber zugleich doch auch sich selbst nicht unbedeutend mit!“ Da blieb der König stehen, in seinen Augen blitzte es gefährlich auf. „Was soll das heißen, Monsieur Schmettau?“ rief er: „Ich sollte mir schaden, wenn ich Ihm seinen Glauben nähme? Wie meint Er das?“ Mit unerschütterlicher Ruhe entgegnete der General: „Majestät, Sie glauben jetzt einen guten Offizier an mir zu haben, und ich hoffe, Sie irren sich nicht! Könnten Sie mir aber meinen Glauben nehmen, dann hätten Sie ein erbärmlich Ding an mir, ein Rohr im Wind, darauf nicht der mindeste Verlass wäre, weder im Kriegsrat noch in der Schlacht.“ Der König schwieg und ging eine Zeitlang nachdenklich weiter. Dann fragte er in freundlichem Ton: „Sage Er mir doch, Schmettau, was ist eigentlich sein Glaube?“ „Ich glaube an die göttliche Erlösung von meinen Sünden!“ sagte Schmettau freudig: „ich glaube an eine göttliche Vorsehung, die jedes Haar auf meinem Haupt zählt, und an ein ewiges seliges Leben nach dem Tod!“ „Das glaubt Er wirklich?“ fragte der König, „so recht mit voller Zuversicht?“ „Ja, wahrhaftig, Majestät!“ bekräftigte Schmettau. Da fasste der König nach der Hand des Generals, drückte sie stark und sagte: „Er ist ein sehr glücklicher Mensch!“ Dann ging er schweigend weiter.
2. Vor dem Richter.
Es war während der wütenden Christenverfolgungen in China zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ein junger Christ stand vor Gericht, der bei der Verteidigung der Kirche gefangen genommen wurde. „Verlass deinen Glauben“, sagte ihm der Richter, „kehre zurück zur Religion deiner Väter, und du sollst frei sein!“ Der junge Mann aber, getragen von dem Mut der unerschrockenen Streiter Christi, rief ihm zu: „Ich sollte zum Verräter werden an meinem Glauben? Nie werde ich eine solche Schmach auf mich laden. Ihr könnt mir den Kopf abschlagen, ihr könnt meinen Leib in Stücke reißen: jedes Stück wird, wenn ihr es fragt, euch die Antwort geben: Ich bin ein Christ!“ Auf dieses stolze Bekenntnis hin erhielt er den Todesstreich.
3. Im Anblick des Todes.
Edmund Campion, ehemals anglikanischer Geistlicher und später Jesuitenmissionar, wurde am 30. November 1581 mit zwei Gefährten wegen seines Bekennermutes und seines Wirkens gegen die Glaubenserneuerung Heinrichs VIII. zum Tod durch den Strang verurteilt. Bei dem Prozess, der ihm gemacht wurde, sprach er vor Gericht: „Wenn ihr uns verurteilt, brecht ihr den Stab über alle eure Ahnen, ebenso wie über eure Priester, Bischöfe und Könige, denn was haben wir gelehrt, das nicht auch sie geglaubt und verkündet hätten?“ Freilich, das Urteil stand schon vor der Verhandlung fest: er musste sterben. Am 1. Dezember 1581 wurde er zum Galgen geführt. Er hatte schon den Strick um den Hals, da rief er mit letzter Stimme in die umstehenden Massen: „Ich sterbe als treuer Katholik.“
4. In der Gaststube.
In einer rheinischen Großstadt saßen einige junge Männer in einem Gasthaus. Sie waren fröhlich und guter Dinge. Die Kellnerin bringt die bestellte Suppe. Da bricht auf einmal die laute Unterhaltung ab, so dass es den anderen Gästen auffällt. Die jungen Männer machen das Kreuzzeichen und beten, ganz wie sie es zu Hause gewohnt sind. Dann füllt wieder ihr frohes Lachen den Raum. Kurz darauf bringt ihnen die Kellnerin Kartoffeln, Fleisch, Gemüse und Bier dazu. Die jungen Leute schauen einander erstaunt an. „Aber, Fräulein, wir haben doch nur Suppe bestellt.“ Da lächelt die Kellnerin und deutet auf zwei deutsche Offiziere, die im Hintergrund sitzen. Die jungen Männer stecken die Köpfe zusammen, dann gehen zwei von ihnen zu den Offizieren. Etwas verlegen fragt der eine von ihnen, wieso sie zu dieser „Extrazulage“ gekommen seien. Die Antwort der Offiziere lautete militärisch kurz: „Wegen tapferen Verhaltens.“
5. Bei der Prozession.
Es war Fronleichnamsprozession. Ein Protestant stand am Rand des Gehsteigs und sah der vorüberziehenden Prozession zu. Vor ihm stand ein Katholik, der ihm die Aussicht versperrte. Es kam zu einem kleinen Wortwechsel, in dessen Verlauf der Katholik, der den Protestanten kannte, bemerkte: „Sie gehören eigentlich gar nicht hierher.“ Der Angesprochene aber antwortete prompt: „Ich schon, aber Sie nicht, Sie gehören nämlich in die Prozession hinein.“
6. Bekenntnis in Tönen.
In der F-Moll-Messe von Anton Bruckner wird neunmal das Credo als Finalmotiv wiederholt, neunmal in wechselnden Harmonien das felsenfeste Bekenntnis in die Welt gesungen: „Credo . . . et vitam venturi saeculi!“ Ein Biograph (Ernst Decsey) schreibt dazu: „Das ist nicht Flucht zur Kirche auf die alten Tage, nicht Gebetbuch-Pietismus, kein Kopf-Christentum, das ist strahlende Gewissheit des Bekenners.“
(Aus: Homiletisches Handbuch, Anton Koch, 1951, Band 12, Seite 15)
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Kloster Heiligkreuztal - Johannes ruht an Jesu Brust
18. Der Büroschlaf
Der Büroschlaf ist einer der wichtigsten Grundpfeiler des Staats- und Wirtschaftslebens. Ohne ihn würden alle von der Managerkrankheit vorzeitig dahingerafft: die Prokuristen und Buchhalter, die Chefs, Lehrlinge und Angestellten, die Beamten und Sekretärinnen, die Minister und Fraktionsvorsitzenden, die stillen und lauten Teilhaber, die Dichter (soweit sie sich ein Büro leisten können) und die Journalisten, die Planwirtschaftler und die Schwundgeldtheoretiker, die Liberalen und die Kommunisten, die Generäle und die Zahlmeister, die Anwälte, die Richter, Dramaturgen, Intendanten, Ghostwriter, Lagerleiter, Rundfunkressortchefs, Bauunternehmer, Staatschefs, Gemeinde- und Pastoralreferentinnen. Diese Liste erhebt keinen Anspruch darauf, vollständig zu sein. Wichtig für unsere Untersuchung ist auch nicht die Masse der Büroschläfer, sondern der Büroschlaf selbst und seine charakteristischsten ausführenden Organe.
Wie jeder Schlaf beruht auch der Büroschlaf nicht nur auf einfachen physischen Tatsachen. Allgemein ist man der Ansicht, seine Hauptursache sei Sauerstoffmangel im Gehirn und erhöhter Blutdruck im Gesäß. Neueste Forschungen haben jedoch ergeben, dass auch die charakterliche und seelische Konstitution eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Auch die Macht der Tradition muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Der Büroschlaf ist einer der wenigen kulturellen Riten, die sich über alle sozialen Umschichtungen hinweg jahrtausendelang in ihrer ursprünglichen Form erhalten haben. Schon in den Wechselstuben der Römer gehörte das unterdrückte Schnarchen neben dem Geklimper der Münzen zur Geräuschkulisse. Und bei vielen historischen Anlässen bis in die jüngste Zeit muss das Weltgewissen dem Büroschlaf gehuldigt haben - es sähe sonst besser aus auf dieser nicht ganz runden Erde.
Doch beschränken wir uns in unserer Betrachtung auf den gewöhnlichen Büroschlaf, in Fachkreisen auch "somnum officiale vulgare" genannt. Er, von Generation zu Generation weitergereicht, steht heute noch in gleicher Blüte wie vor vielen tausend Jahren, als die Hieroglyphenschreiber kleine Bildchen in die Wände meißelten statt der Weizenabrechnung für die Bauern. Ihm müssen wir unsere konzentrierte Aufmerksamkeit widmen.
Es stimmt zwar, dass Lehrlinge meistens erst im zweiten oder dritten Lehrjahr vom Büroschlaf befallen werden, aber es ist falsch, ihn deshalb als Infektionskrankheit zu bezeichnen. Das Gegenteil trifft eher zu. Akute Erkrankungen des Zentralnervensystems, wie Fleiß, Munterkeit, Aufmerksamkeit und Schaffensfreude, werden durch den Büroschlaf erst geheilt. Die Behandlung, von den älteren Angestellten vorgenommen, erstreckt sich natürlich über eine längere Zeit. Ist die Büroluft von Strebertumbakterien verseucht, kann es sogar Rückfälle mit nachhaltigen schweren Schäden geben. Auch ein umherwanderungslustiger Chef kann die Heilung verzögern. Sein Auftreten verursacht Schrecksymptome und nervöses Händezittern.
Der voll ausgebildete normale Büroschläfer frönt dem rhythmischen Schlaf. Sein Geist versinkt und taucht auf in regelmäßigen Abständen; seine Hand bringt Buchstaben und Zahlen zu Papier, ruht, schreibt, ruht, schreibt, ruht, schreibt.
Schlafbedürfnis und Betätigungszwang werden rationell auf den Tagesablauf verteilt. Munter ist der normale Büroschläfer nur während der Frühstückspause und nach Feierabend.
Der fortgeschrittene routinierte Büroschläfer entwickelt häufig eine andere Technik. Er installiert in seinem Unterbewusstsein eine rote Birne, die immer dann aufleuchtet, wenn sich ein Vorgesetzter nähert. Dieses seelische Radargerät befähigt den Schläfer, seinen Kopf auf den Schreibtisch zu legen und in den Tiefschlaf zu versinken, der ja viel gesünder ist als das oberflächliche Gedöse des Anfängers. Die Hand ruht währenddessen griffbereit auf dem Federhalter und setzt sich automatisch hastig in Bewegung, wenn die rote Birne im Gehirn aufleuchtet. Niemals wird der Tiefbüroschläfer bei seinem illegalen Tun erwischt. Zum Teil liegt das daran, dass er vielfach zu den gehobenen Gehaltsempfängern gehört, von denen man sowieso kein Übermaß an Arbeit erwartet.
Die Genies unter den Büroschläfern endlich haben es zu einer Vollkommenheit gebracht, vor der mancher Yoga-Schüler vor Neid erblassen würde. Sie dösen nicht und legen das Haupt nicht auf den Schreibtisch. Ihnen ist es möglich, im Beisein des Chefs fest zu schlafen, ohne die Arbeit einzustellen. In tiefer Trance sitzen sie vor ihrer Schreibmaschine, schreiben Rechnungen oder behördliche Anordnungen - ja, sie führen gelegentlich sogar Telefongespräche, während ihr Geist in Morpheus` Armen ruht. Sie können in diesem Zustand wichtigste Entscheidungen treffen, an Konferenzen teilnehmen und, wenn es nötig ist, die Welt revolutionieren. Nichts außer dem Feierabend kann sie wecken. Sie stehen schlafend über den Dingen.
Der luxuriöse Büroschlaf endlich ist dem Chef vorbehalten. Dem Chef an sich. Er hängt ein Schild an seine ledergepolsterte Arbeitszimmertür, und auf diesem Schild steht: "Wichtige Besprechung. Nicht stören!" Und hinter dieser Tür schläft er bequem den Schlummer des Gerechten. In Amerika soll bereits die kombinierte Drehschreibtischcouch erfunden worden sein. Falls es nicht stimmt, müsste sie jedenfalls erfunden werden.
Eine humorvolle Betrachtung von Richard Wulff
Aus "Rheinischer Merkur", Köln, 1955
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19. Bekehrung
Schon manche Sünder hat die Furcht vor den Übeln dieses Lebens zur Besinnung gebracht. Wie kommt es aber, dass die Furcht vor den Übeln des zukünftigen Lebens dies nicht vermag, oder beinahe gar keinen Eindruck auf uns macht? Die Ursache hiervon ist, weil wir sie nur in der Ferne oder mit einem flüchtigen Blick betrachten oder weil wir als sinnliche Menschen die Strafen der Ewigkeit nicht mit leiblichen, sondern nur mit den geistigen Augen des Glaubens zu schauen vermögen. Es ist demnach unmöglich, dass selbst die schrecklichsten Wahrheiten kräftig auf unser Herz wirken, wofern wir sie nicht stets unserm Geist vorhalten und sie uns durch reifliche Betrachtung vergegenwärtigen. Daher kommt es, dass die Bekehrungen, die in der Krankheit geschehen, fast niemals aufrichtig sind. Man sehe nur auf das Verhalten derjenigen hin, denen Gott die Gesundheit wieder geschenkt hat. Fallen sie nicht stets wieder in dieselben Fehler, in dieselben Gewohnheitssünden? Der heilige Augustin erzählt uns deshalb eine Begebenheit, die hier angeführt zu werden verdient. Zu Konstantinopel sah man eine außerordentliche Lufterscheinung, die Anlass gab, dass einige prophezeiten, die Stadt würde durch Feuer vom Himmel verzehrt werden. Die Bewohner, von Schrecken ergriffen, taten Buße nach dem Beispiel der Niniviten: sie verließen mit dem Kaiser die Stadt und zogen an einen entfernten Ort. Als der bestimmte Tag, an dem die Erfüllung dieser Vorhersage geschehen sollte, vorüber war, schickte man hin um zu sehen, was aus der Stadt geworden sei. Da sie hörten, dass die Stadt noch steht, kehrten sie zurück und fuhren fort zu leben, wie vorher. Dies ist das Bild der Sünder, von denen wir geredet haben. Ihre guten Entschlüsse verschwinden, sobald die Gefahr vorüber ist.
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