Wallfahrten 3

 

Inhalt:

 

61. Marienwallfahrtsort Absam

62. Mariazell

63. Unsere Liebe Frau zu Ellwangen

64. Maria zu Albendorf in Schlesien

65. Maria von der Eiche in Burgund

66. Die Einsiedelei Unserer Lieben Frau von Cillas

67. Mariaschein

68. Santiago de Compostela

69. Die Wallfahrt der Zigeuner - Saintes Maries de la Mer

70. Romfahrt 1575

71. Die Wallfahrt zum hl. Blasius in Kohlenbach

72. Die Marienwallfahrt in Oberbiederbach bei Elzach

73. Eine nicht auszurottende Muttergottesverehrung: Walsingham

74. Unsere Liebe Frau von Guadalupe

75. St. Anna in Kanada

76. Die Marienkapelle in Abtsgmünd

77. Maria Kirchental

78. Guadalupe in Spanien

79. Rocamadour

80. Tschenstochau

81. Maria Straßengel

82. Der heilige Berg von Varese - Sacri Monti

83. Alt, nicht veraltet!: Altötting

84. Mariä Rechberg

85. Die Muttergottes vom Mariahilf-Berg

86. Eine Pilgerfahrt nach Maastricht

87. Der Kreuzberg am Rhein

88. Das Alpenkirchlein

89. Der heilige Garten in Arenberg

90. Unsere Liebe Frau von der Rose

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61. Marienwallfahrtsort Absam

 

Von den vielen Tiroler Wallfahrtsorten gehört Absam zu den bekanntesten und besuchtesten. Seine Lage ist von der Natur auch bevorzugt. Das freundliche Dorf im Unterinntal liegt malerisch am Fuß des Salzberges. 632 Meter über dem Meer, in der Nähe der historischen Stadt Hall und ist von Innsbruck zu Fuß in zwei Wegstunden zu erreichen. Abseits des Verkehrs liegt der Gnadenort verträumt im fruchtbaren Tal und nimmt die leidbedrückten Pilger tröstend zu sich auf.

 

Die dem Erzengel Michael schon seit dem zehnten Jahrhundert geweihte Kirche wurde in gotischen Stilformen erbaut, bis ein Brand im Jahr 1413 das Gotteshaus zum großen Teil vernichtete. Die neuerstandene Kirche mit gotischen Grundformen erhielt in den nächsten Jahrhunderten den in diesen Gegenden so beliebten Barockcharakter im Inneren. Im Jahr 1670 wurde die Inntaler Gegend von einem schrecklichen Erdbeben heimgesucht, wodurch auch die Kirche großen Schaden litt. Nach Restaurierungen strahlt die Kirche heute in ihrer neugegebenen Pracht. Sie wurde zu einer der schönsten Kirchen Tirols gemacht, ein wahres goldstrahlendes Gotteshaus, eine Zierde Tirols.

 

Das Presbyterium zeigt am Hochaltar den heiligen Erzengel Michael. Auf der Epistelseite im Seitenschiff befindet sich der Gnadenaltar mit einem vergoldeten Tabernakel, auf dem die Worte stehen: „Qui me invenerit, inveniet vitam – Wer mich findet, findet das Leben.“ In der Mitte des Tabernakels steht das wundertätige Glasbild der Mutter Gottes. Das im Jahr 1797 im Bauernhaus Nr. 85 im Fensterglas erschienene Muttergottesbild wurde später in die Kirche zu Absam überführt, wo es nun von vielen frommen Pilgern besucht wird. Die beiden großen Tränen der Madonna verkünden das Leid der Mutter Gottes über ihren gekreuzigten Sohn. Das eigentliche Altarbild stellt die Jungfrau Maria als „die fürbittende Allmacht“ für alle Nöte der Menschheit vor der allerheiligsten Dreifaltigkeit dar. Der Seitenaltar auf der Evangelienseite zeigt das Bild der Heiligen Familie.

 

Bei einer Restaurierung wurde ein gotisches Freskogemälde hinter dem Gnadenaltar auf der Epistelseite entdeckt. Es stammt aus dem Jahr 1470 und stellt als Hauptfigur die Madonna mit dem Kind dar, ihr zur Linken die heilige Apolonia, die Schutzpatronin gegen Zahnschmerzen, was aus dem Attribut der Zahnzange hervorgeht, zur Rechten der Madonna befindet sich die heilige Ursula mit der Krone. Links zu Füßen der Mutter Gottes steht die heilige Ottilia, auf der anderen Seite die heilige Margareta. Die aus dem gotischen Fenster einer Kirche herausragenden Engel tragen als Hintergrund für Madonna und Kind eine farbenprächtige Draperie. Die Unterschrift nimmt Bezug auf das damals schon vorhandene Salzbergwerk in der Nähe Absams wie auch die darunter sich befindende Darstellung der gekreuzten Bergwerkshämmer.

 

Neben der Bedeutung als Wallfahrtsort hat Absam noch eine schöne alte Sitte, nämlich den Tiroler Brautleuten den Segen für die Ehe zu spenden. Fast täglich fanden in der Kirche zu Absam Trauungen statt; ein wahrhaft schöner Brauch, den Lebensbund und das ganze Leben der trostspendenden Mutter Gottes von Absam in die Hand zu legen.

 

Du trautes Dorf im schönen Tal des Inn,

Sei immerdar der kranken Menschheit Labsam,

Erwirb durch Pilgertrost und frommen Sinn

Dir deinen Himmel so, du edles Absam.

 

Absam

 

 

62. Mariazell

 

Maria-Zell in der Steiermark – Das Gnadenbild zu Maria-Zell

 

1. Besorgt für das Seelenheil der zerstreut wohnenden Untertanen seines Stiftes, fasste Otto, der siebente Abt von St. Lambrecht, den schönen Gedanken, einige Priester in entferntere Gegenden zu senden, um das Wort Gottes dort zu lehren und den Gläubigen die heiligen Sakramente zu spenden. So kamen fünf fromme Mönche in das „Avelenz-Tal“, und von denen wurde wieder einer gewählt, der ausschließlich denjenigen Teil des Tales, den seit Jahrhunderten das wunderherrliche Maria-Zell ziert, in seine geistliche Obhut nahm. Es war im Jahr des Heils 1157, am St. Thomastag, als er hier anlangte. Eine von Brettern zusammengeschlagene Hütte diente ihm zur Wohnung und auch zur Kirche. Seine ganze Habe bestand aber in einer aus Lindenholz geschnitzten Statue der heiligen Muttergottes, die er bereits im Kloster zum Gegenstand seiner besonderen Verehrung erkoren. Er stellte sie auf einen abgehauenen Baumstamm und verrichtete bei ihr seine tägliche Andacht.

 

2. Einige Zeit nachher wurden Wladislaw, der Markgraf von Mähren, und seine Gemahlin Agnes von einem schweren körperlichen Übel befallen, das beide eine geraume Zeit lang auf das Krankenbett warf und endlich den Ärzten als unheilbar erschien. Da ermunterte sie ein Traumgesicht: „Vertrauen zu der Fürbitte der allerseligsten Jungfrau Maria zu haben und, nach erhaltener Gesundheit, zum Zeichen der Dankbarkeit und zur Beförderung der Verehrung der göttlichen Gnadenmutter in einem noch wenig bekannten Tal der oberen Steiermark die daselbst schon errichtete Kapelle zu vergrößern. Den gleichen Traum sich gegenseitig erzählend, erkannten sie in ihm den Wink der göttlichen Vorsehung; schnell war daher das angedeutete Gelübde gemacht, schnell die Genesung erfolgt und ebenso schnell in der Begleitung von vielen Personen die Wanderung angetreten. – Aber wie vermochte man in den rauen, unwirtlichen Gegenden den heißersehnten Ort zu finden?! – Da erschien ihnen unbemerkt der heilige Wenzeslaus, und führte sie zu der Zelle des Mönches und zu seiner Marien-Statue auf dem abgehauenen Baumstamm. Gerührt brachten nun die Genesenden dem „Heil der Kranken“ ihr Dankgebet dar, ließen (um das Jahr 1200) mit großen Kosten eine steinerne Kapelle errichten und kehrten dann voll Verehrung und Andacht zur gebenedeiten Jungfrau Maria in ihr Land zurück. –

Seit dieser Zeit nahm die Zahl der Pilgrime hierher mächtig zu und der Ruf des gnadenreichen Bildnisses Unserer Lieben Frau in Zell verbreitete sich in alle Lande. –

 

3. Als die Türken Ungarn zu verheeren und in ihre Gewalt zu bringen vermeinten, hat sich allda der alte unüberwindliche König Ludwikus erhoben, und ist mit 20.000 Reitern und Knechten dem türkischen Heer entgegen gezogen. Da er aber die große Zahl der Feinde wahrnahm, deren ihrer mehr als 80.000 gewesen, hat er sich entsetzt und geglaubt, sein und der seinigen Leben mit der Flucht erhalten zu müssen. In dieser Traurigkeit überfiel ihn der Schlaf und es bedünkte ihm, was er von vielen zuvor gehört, wie nämlich die allerseligste Jungfrau Maria zu Zell mit gar großen Wundern und Gnadenzeichen geziert sei. Darauf ist ihm die glorwürdigste Jungfrau selbst erschienen, und hat ihr Bildnis auf seine Brust gelegt und ihm befohlen: „er solle nur beherzt den Feind angreifen und mit ihm eine Schlacht schlagen.“ – Als nun König Ludwig erwachte und das Bildnis Unserer Lieben Frau auf seiner Brust gefunden, hat er sogleich die Sache seinen Gefährten erzählt, die, hoch erfreut und gestärkt, mit ihm einen Angriff auf den Feind getan, und glücklich mit ihm den Sieg über sie errangen. Dann hat sich König Ludwig mit seinem ganzen Heer aufgemacht, und ist, wie er gelobt hat, gegen Zell zu Unserer Lieben Frau gezogen. Und da hier das Kirchlein zu eng und nicht zum besten gebaut war, hat er schnell dasselbe abbrechen und 1363 einen herrlichen Tempel auf seine Kosten aufbauen lassen. Auch opferte er damals das Bildnis Unserer Lieben Frau, das auf seiner Brust gelegen, mit Gold und Edelsteinen geschmückt, der Kirche. –

 

4. Als im Jahr 1529 die Türken die Hauptstadt Wien mit einer großen Macht belagerten, haben sich etliche Scharen unterstanden, gar bis nach Zell hineinzusetzen, der Meinung, sich dort einen großen Schatz zu holen. Nun sie aber zu derjenigen Marien-Säule, die gleich außerhalb des Marktfleckens auf der Wiener Straße sich erhebt, gekommen und der Türken Anführer mit großer Gewalt auf Unserer Lieben Frau Bild, das auf dieser Säule gestanden, losgerannt, um es herabzustürzen, hat er zwei Mal zurückweichen müssen. Endlich, wie er zum dritten Mal mit noch größerer Gewalt ansetzte, ist er verblendet worden und vom Ross zu Boden gefallen, so dass die übrigen Türken, hierüber erschreckt, wieder zurückgewichen sind, Zur selben Zeit hat man eine schöne glänzende Krone über der Kirche gesehen. Es ist aber bei diesem noch nicht geblieben, sondern des anderen Tages sind noch größere Scharen der Türken angekommen, welche den Markt Zell in Brand gesteckt und in Asche gelegt haben; und obgleich sie mit brennenden Pfeilen in das Kirchendach geschossen haben, hat doch nichts Feuer fangen wollen, sondern nur die Pfeile sind verbrannt, das Dach aber samt der Kirche ist unversehrt geblieben. Diese Türken sind alsdann zur wohlverdienten Strafe im Neuwald von den Christen geschlagen und alle getötet worden. –

 

Jetzt erst war Maria-Zell in die Zahl der großen Wallfahrtsorte eingereiht; dennoch dauerte es bis ins 16. Jahrhundert, das Maria-Zell der Privatandacht überlassen blieb; erst die steierische Linie des alten Regentenhauses nahm sich mit wahrhaft Marianischem Eifer dieser Gnadenstätte an. Dieser Eifer erkaltete auch in der neugegründeten Dynastie von Lothringen nur einen Augenblick unter Kaiser Joseph II., um desto heller unter Leopold II., Ferdinand und Franz Joseph aufzuflammen. –

 

Die Wallfahrten nach Maria-Zell (1866)

 

Der gewöhnliche Pfad der Wallfahrten, die von Wien oder seiner näheren Umgebung kommen, führt über Mödling, Heiligenkreuz, Lilienfeld und dem Annaberg nach Maria-Zell. Es ist dies die alte Wallfahrerstraße. Der Weg führt durch ein schönes romantisch-malerisches Stück Landes: da kommt man gleich, nachdem die Brühl bei Mödling, die sich mit den bizarrsten architektonischen Formen ihrer vielen Höfe und Landhäuser offenbart, durchschritten wurde, durch ein kühles schattiges Waldtal nach der alten Abtei Sattelbach, dem heutigen „Heiligenkreuz“. Diese Zisterzienser-Abtei ist eines eigenen Besuches wert. Wenn sich auch mancher Anbau zu dem mittelalterlichen Kern des Klosters nicht recht schicken mag, so bringt doch das Ganze der Baulichkeiten den günstigsten Eindruck hervor. Es ist so angenehm, im Dämmerlicht der kühlen schweigenden Kreuzgänge, deren Ruhe nur das Plätschern des vielmündigen Bleibrunnens stört, zu wandeln und die sinnigen Wandgemälde, deren Stoff dem Leben des heiligen Bernardus entnommen ist, zu betrachten, oder das Grabgewölbe des ersten österreichischen Dynastengeschlechtes der tatkräftigen Babenberger zu besuchen. Der berühmte Kreuz-Partikel, die Hauptzierde des Klosters und der Schwer- und Mittelpunkt des Ganzen, wird in einem Erker der Sakristei aufbewahrt. – Gegen „Lilienfeld“ steigen die Berge höher an, das umgebende Grün wird frischer, die ganze Gegend gewinnt an Farbe und Reiz. Nicht die spanischen und portugiesischen Mönche allein haben die schönsten und gesegnetsten Fluren zum Bau ihrer Klöster zu wählen verstanden, ihre deutschen Brüder teilten dieses Verständnis von der Schönheit und dem Reichtum der Natur. Gibt es reizendere Stellen im Land unter der Enns als jene, wo sich die Mönche vom Kloster Neuburg, Zwettel, Mölls, Göttweih, Heiligenkreuz und Lilienfeld ihre Klöster gründeten? Wer den Klostergarten von Lilienfeld besucht, glaubt in ein klösterliches Paradies zu treten. Man kann sich nichts Freundlicheres denken als diese hellgrünen Lauben, welchen sprudelnde Brunnen Kühlung zuwehen, als jene fremdländischen Pflanzen mit farbenprächtigen Kelchen mitten in der zaubervollen Gebirgslandschaft, als jene schattigen Bäume, aus dessen dichtem Gezweig ein hundertstimmiger Chor von Waldvöglein niedertönt. Über Lilienfeld hinaus liegen die einst so gefürchteten Berge St. Anna-, St. Joachims-, St. Josephs- und St. Sebastiansberg, die ehemals nur mit Lebensgefahr mit dem Wagen überschritten werden konnte. Seit die jäh abfallende Straße durch, in sanften Schlangenwindungen geführte, Wege ersetzt worden ist, gehört diese bange Furcht der Pilgrime des 18. Jahrhunderts der Geschichte an. – Das erste Grenzdorf auf steiermärkischer Seite wird ausschließlich von Protestanten bewohnt, und so berühren sich auch hier die Gegensätze auf eine merkwürdige Art, denn dieses protestantische Dorf ist gleichsam die Vorhut des nunmehr eine Viertelstunde entfernten erzkatholischen Wallfahrtsortes.

 

Noch wenige Schritte, und Maria-Zell, das wunderverherrlichte, hochberühmte, liegt vor uns. – Hier schallen täglich und stündlich Posaunenklänge und Paukenwirbel ankommender und scheidender Pilgerzüge. Kaum verlässt eine Schar das Gotteshaus, so verkünden Lieder und Musik, Glockengeläut, Kreuz und Fahne das Nahen einer anderen. Die Kirche wird von Sonnenaufgang bis kurz vor Mitternacht nicht leer von frommen Betern. Jedes Haus des bescheidenen Ortes wird zur Herberge, jeder Raum zur Schlafstelle für die Pilger. Weihrauch und Orgelton erfüllen den weiten Platz rings um die Kirche und dringen bei geöffnetem Fenster bis in die weit entfernt stehenden Wohnhäuser.

 

Es macht einen ganz eigentümlich hehren Eindruck, dem sich niemand so leicht entziehen kann, wenn die heiligen Gesänge noch durch die schweigsame Nacht von der Kirche herüberschallen, oder wenn der stille kaum heraufdämmernde Morgen schon mit festlichem Geläut begrüßt wird. Auch vermag sich der Besucher der Kirche, zu welchem Glauben er sich immer bekennt, bei dem Anblick so vieler und so heißer Andacht, bei so mächtigem Vertrauen und so innigen Gebeten der Teilnahme und Rührung nicht zu entziehen.

Die Kirche ist ein geräumiges, weitläufiges massives Gebäude, das mit seinen Türmen hoch über den niedrigen Häusern des Marktfleckens emporragt. Alte Gewohnheit hat die Reihe einförmiger Buden, die die Kirche halbmondförmig umgeben, errichtet. In den mehr als hundert Buden werden Rosenkränze, Heiligenbilder, Muttergottespfennige, unterschiedliches Rauchwerk, aus Gusseisen bestehende Weihbrunnenkessel, Kreuze, Ringe, dann silberne Andenken an Maria-Zell usw. feilgeboten. Alle diese Gegenstände, die die Pilger in ihre Heimat mitnehmen, werden vorher von den Priestern in der Gnadenkirche geweiht.

 

Wir haben bisher nur in der Vorhalle des Heiligtums verweilt; werfen wir nun auch einen Blick in das Innere. – Der an sich weite Raum des Kirchenschiffes, das dreiundfünfzig Schritte in der Breite und hundertzweiundvierzig Schritte in der Länge misst, wird durch die in der Mitte sich erhebende Gnadenkapelle verherrlicht. Das Innere der Kirche, dem schlichten Äußeren entsprechend, ist einfach; ebenso die uralte Gnadenkapelle, die aber in ihrem Inneren einen massenhaften Silberprunk enthält. Gitter und Altar, Lampe und Heiligenschrein, selbst der über der Kapelle schwebende Engel sind aus gediegenem Silber, die überlebensgroßen Statuen zu beiden Seiten des Altares bestehen aus gleichem Metall. Das Silbergeschirr wiegt 400 Mark, das von Franz Adam Schwarzenberg zum Grabdenkmal gestiftete Antipendium 200, zwei Engelsstatuen 47 und das halbe Dutzend hoher silberner Leuchter ebensoviel. Der Hintergrund der Kapelle ist blau bemalt und mit goldenen Sternen besät, die aber wieder von den vielen aus wirklichem Metall bestehenden Silberwolken verdunkelt oder doch eingehüllt werden. Das Gnadenbild selbst, die bereits erwähnte Statue Marias, aus Lindenholz geschnitzt, übergipfelt ein schwer seidener, reich vergoldeter Baldachin; das Marienbild selbst misst achtzehn Zoll und ist bekleidet; das kostbarste Gewand, mit dem es zeitweilig geschmückt wird, rührt von der geschichtlich bekannten Caroline von Neapel, der Gönnerin Nelsons und der Lady Hamilton, her. Dem Prachtgewand fügte Graf Stephan Almasy auch noch die Halszierde bei, die nur an Gold drei und sechzig und ein Viertel Dukaten wiegt. Außer diesem Schmuck dienen noch andere kostbare Halsbänder und Perlenschnüre zur Auszierung.

 

Am Feierlichsten erscheint die Kirche des Abends in der Fackel-Beleuchtung; bei den schwankenden Umrissen, die das Halbdunkel hervorbringt, wird in den Herzen eine ernste, mitunter wehmütige Stimmung erweckt, und man wird unwiderstehlich gemahnt ans Gebet für die Armen Seelen im Fegfeuer.

 

Hinter der Gnadenkapelle steht eine Mariensäule aus Marmor, mit Steingeländer umgeben; hier entflammt fromme Liebe täglich hundert und hundert Lichter zum Gedenken an die Armen Seelen und als Ausdruck des Flehens: dass Gottes Huld und Erbarmen, bewegt durch der Himmelskönigin mildeste Fürbitte, sie in das ewige Licht und in den ewigen Frieden aufnehmen möge. – Um diese Statue halten viele Pilger eine Bußprozession auf den Knien zur zeitlichen Sühne für manches begangene Unrecht. Wir sahen viele hundert Männer und Frauen, Rosenkränze in den Händen, laut betend und singend, oft auch weinend und schluchzend, auf den Knien den Weg um die Bildsäule zurücklegen. Der Anblick dieser Büßer ist ein herzerschütternder, und hat schon manchen Zuschauer, der eben noch aufrecht stand, gleichfalls auf seine Knie niedergeworfen. Andere strecken sich in Kreuzesform auf den Steinboden der Kirche hin und verharren unbeweglich viele Stunden im Gebet. Man sagte uns, dass namentlich die Slaven oft ganze Nächte in dieser Lage auf dem Pflaster der Kirche zubringen. Überhaupt muss bemerkt werden, dass es dieser Volksstamm jeder anderen Nationalität an den Übungen der Frömmigkeit im allerreichsten Maß zuvortut, nirgends bekundet sich innigere, fast schwärmerische Religiosität als bei den Pilgerzügen slavischer Herkunft.

 

Wahrhaft großartig ist der Eifer, der zu Maria-Zell exponierten Klostergeistlichkeit im Dienst der Seelsorge für die Pilger. Die Ausdauer dieser Priester ist staunenswert; sie hören oft von Sonnenaufgang bis abends zur Beichte und haben doch noch für das letzte Beichtkind ein freundliches Lächeln des guten Hirten, der das seither verirrte Schäflein versöhnt zum Herzen Gottes und auf die Weide Jesu Christi zurückführt. Alle die Tausende, die im großen Pilgerzug oder einzeln nach dem Gnadenort wandern, betrachten eine reumütige Beicht und würdige Kommunion, außer der andächtigen Empfehlung in den mütterlichen Schutz Marias, als den Hauptzweck ihres Hierseins; und es dürfte, mit Ausschluss der Kirchen Roms, wohl schwerlich einen Ort geben, wo so viele Bußfertige und Sakramentsbegierige zusammenströmen als zu Maria-Zell in der Steiermark.

 

Der Hochaltar steht mit der übrigen Ausschmückung des Tempels in Einklang; wie das zu Ausgang des 17. Jahrhunderts abgebrannte Gotteshaus selbst, wurde auch der Altar im Jahr 1693 wieder erhoben und teilt in seiner Ausführung das Gepräge des Zeitgeschmacks; jedoch trifft man auch an ihm einen großen Aufwand von edlem Metall an. Das mächtige Kreuz aus Ebenholz, die beiden silbernen Statuen des himmlischen Vaters und des gekreuzigten Heilandes, so wie die am Fuß des Kreuzes befindliche Weltkugel aus Silber sind Geschenke Carls VI., des letzten Habsburgers. Die beiden Figuren werden nach Angabe der Sachverständigen auf 600 Mark im Wert geschätzt. Der kolossale Silberglobus mit ziemlich richtiger geographischer Einteilung hat sechs Schuh im Durchmesser und wurde bisher als Sakramentshäuschen verwendet.

 

Zu beiden Seiten des Altars befinden sich Votiv-Bilder von geschichtlichem Interesse; sie sind Verehrungen des Brünner Magistrats. Das ältere Bild stellt die Belagerung Brünns durch die Schweden, das zweite die derselben Stadt durch die Preußen dar; als Anno 1742 im Winter das ganze Markgrafentum Mähren die „königlich preußischen und sächsischen Truppen überschwemmt hatten“, lautet die Inschrift des jüngeren Votiv-Bildes, an dem mit der roten Farbe nicht gespart wurde, um die Wildfeuer recht grell erscheinen zu lassen. Unter den zahlreichen Votiv-Gemälden führen wir noch dasjenige auf, das die Entwaffnung jenes Unglücklichen darstellt, der auf den damaligen kaiserlichen Kronprinzen von Österreich, Ferdinand, bei Baden ein zur rechten Zeit vereiteltes Attentat versuchte.

Vor einem der Gänge vom Hochaltar rechts gelangt man zu der in der gleichen Höhe gelegenen Schatzkammer. Man sieht hier eine Mannigfaltigkeit von Dingen, die teils historischen, teils künstlerischen Wert haben. – Das älteste Andenken sind wohl Schwert, Steigbügel und Sporen des Ludwig von Anjou und die Kleidung seiner Königin, jener später so unglücklichen Elisabeth. Das Grün des Damastbrautrockes ist verblichen und der Stoff so rissig, dass man mit leichter Mühe ganze Stücke lostrennen könnte. Die Königin muss, nach dem außerordentlich langen und umfangreichen Kleid zu schließen, von riesiger Gestalt gewesen sein. – Ein Stück von innerem Kunstwert ist die kleine Engelsfigur, die Matthias Corvinus schenkte; Metallwert hat dagegen das jüngste Geschenk, nämlich die Abbildung des Kardinal-Primas von Ungarn, Johana Szitowsky, in Silber, wie er den Graner Dom als Weihegeschenk der heiligen Gottesmutter von Maria-Zell darbringt; auf silbernem Aufsatz kniet der Kirchenfürst und trägt auf flacher Hand die neuerbaute Kirche von Gran, und vor ihm steht die Bildsäule der allerseligsten Jungfrau; die Figur des Kardinals hat Portrait-Ähnlichkeit. Diese auf 24.000 Gulden geschätzte Opfergabe wurde bei Gelegenheit des siebenhundertjährigen Jubiläums des Gnadenortes Maria-Zell im Jahr 1857 dargebracht. – Interessant ist die goldene Schreibfeder des deutschen Dichters Zacharias Werner, ursprünglich ein Geschenk des Primas Carl von Dalberg. Werner vermachte sie in seinem Testament dem Wallfahrtsort mit dem Bedeuten: „er wolle dasjenige Werkzeug der Gnadenkirche opfern, mit dem er am meisten gesündigt habe“; und verband damit den Wunsch, „dass ein jeder, der hier dieser Feder ansichtig würde, ein Gebet für seine arme Seele opfern möge“. – Noch verdient ein goldener Eichenzweig Erwähnung, in dessen Eichel die Kugel eingeschlossen ist, womit das schon erwähnte Attentat auf das Leben des Kronprinzen, des nachmaligen Kaisers Ferdinand, verübt wurde. Die Spende kam aus den dankbaren Händen der Kaiserin Maria Anna. – Ein Behältnis aus Schildplatt birgt einen Schleier. Es ist derjenige, den die Prinzessin Wasa während der Ablegung des katholischen Glaubensbekenntnisses trug, als sie in Brünn zur katholischen Kirche zurücktrat. – Von schöner Arbeit ist die silberne Monstranz, die Papst Pius IX. zur Jubiläumsfeier spendete.

Im südwestlichen Turm begegnet dem Auge des Pilgers ein religiöses Schauspiel, nämlich die plastische Darstellung der Krippe, des bethlehemitischen Kindermordes, der Hochzeit zu Kana und des ersten Menschenpaares im Paradies. Ein wahrhaft kindlich frommer Sinn spricht sich in allen Gruppierungen aus, und die Naivität, die das ganze gestaltet, ist köstlich. Z.B.: Die Stadt Bethlehem stellt sich als altehrwürdige deutsche Reichsstadt, ein anderes Nürnberg oder Regensburg, dar; sie ist mit zahlreichen Kirchen, Kapellen, Glockentürmen und Klöstern geschmückt. Die Landleute, die dem göttlichen Christkind ihre Ehrfurcht und Anbetung bezeugen, sind österreichisches Volk, und man trifft darunter, damit alle Nationalitäten vertreten sind, ungarische Rastelbinder, Kroaten, die mit Leinwand handeln, Zigeuner und böhmische Musikanten usw.

 

Noch verdienen die zwei Standbilder Erwähnung, die zu beiden Seiten des Eingangs zum Dom sich erheben. Es sind dies die Denkmale der Dankbarkeit Heinrichs des Mährers und Ludwigs des Großen von Ungarn.

 

Zu den geschichtlichen Ereignissen des Ortes werden die großen Wetterschaden, Wildfeuer und Besuche hoher und höchster Personen gezählt, jene als traurige Heimsuchungen, diese als die Mittel, den angerichteten Schaden wieder zu ersetzen.

Maria-Zell brannte wiederholt ab, der fromme Sinn der Gläubigen aber gewährte rasch die Mittel zum Aufbau. – Nach dem letzten furchtbaren Brand am 2. November 1827 eilte Erzherzog Johann persönlich herbei und verteilte binnen einiger Stunden achttausend Gulden aus seinem eigenen Besitztum an die schwer Betroffenen. – Noch wohltätiger hatte sich der Erzherzog Johann zehn Jahre früher erwiesen. Im Jahr 1818 wurde das Hochplateau von Maria-Zell von Hagel und Stürmen heimgesucht, während Überschwemmungen das Gelände der Niederungen gänzlich verdarben. Ein schreckliches Missjahr war die Folge dieser Unglücksfälle, die Lebensmittel stiegen zu unerschwinglichen Preisen, die Hungersnot mit ihrem grässlichen Gefolge von Seuchen stand bevor. Erzherzog Johann wandte nicht nur durch schnelle Unterstützungen das Übel ab, sondern bewahrte Maria-Zell und die Umgebung selbst vor der Wiederkehr. Augenblicklich wurde auf des Erzherzogs Betrieb der Anbau der Erdäpfel allgemein eingeführt und jeder einzelne Landwirt unentgeltlich mit den nötigen Samenknollen versorgt. Eine Lebensmittel-Unterstützungsanstalt wurde von dem echt christlichen Menschenfreund gleichzeitig gegründet und so eine Erneuerung dieser Gefahr unmöglich gemacht.

 

Wir behaupten, dass die regierende Kaiserfamilie von Österreich ihren besonderen Schutz dem Gnadenort angedeihen ließ. Die Beglaubigung hierfür finden wir in den zahlreichen Wallfahrten der Fürsten Österreichs und in den milden Spenden, die sie andächtig auf den Marien-Altar je niederlegten. – Carl VI., Maria Theresia, Leopold II., Franz I., Ferdinand und der jetzt regierende Kaiser Franz Joseph wallfahrteten nach dem Gnadenort, die nachmalige so unglückliche Königin von Frankreich Maria Antoniette, die Witwe eines französischen Kaisers Maria Louise, ihr Sohn, der Herzog von Reichsstadt, in der Kaisergeschichte Frankreichs Napoleon II. genannt, besuchten Maria-Zell. Die Namen der Erzherzoge Rudolph, Franz Carl und Johann verherrlichen die Gedenkbücher des Marktfleckens. Die vertriebene Königsfamilie Frankreichs, der Graf von Chambord und die verewigte Herzogin von Angouléme suchten an diesem Gnadenort Trost und Erhebung. Der letzte Polenkönig trug seinen Schmerz an die geweihte Stätte. Die arme Josepha von Bayern, die ungeliebte Gemahlin des in unseliger Verblendung reformatorischen Kaisers Joseph II. mochte hier zur heiligen Jungfrau gefleht haben, dass sich das Herz des Gatten ihr zuwende. – Der Adel des kaiserlichen Hofes folgte gleichfalls dem von oben gegebenen Beispiel. Die erlauchtesten Namen der österreichischen Aristokratie sind in den Aufenthaltsbüchern verzeichnet; manch reichgesticktes Messgewand, die Arbeit schöner hochadeliger Hände, manches stattliche Geschmeide wurde von den Lichtensteinen, Lobkowitzen, Schwarzenbergen, Esterhazy usw. in die Schatzkammer niedergelegt.

Was bei dieser überaus großen Begünstigung des Wallfahrtsortes durch Hoch und Niedrig merkwürdig bleibt, ist die fortdauernde Mäßigkeit der Preise, die Güte der Kost, die freundliche Aufnahme und höfliche Behandlung der Fremden. Es gibt kein Gasthaus in Maria-Zell, wo man überteuert wird; sind sie auch nicht gleichen Ranges, so ist doch der Wallfahrer und Reisende wohl besorgt. Die Kost ist einfach, aber in ihrer Einfachheit ausgezeichnet, der Wein gut und unverfälscht. Mit der Fülle der guten Gaben verbindet sich holländische Reinlichkeit.

 

Wie die Ankunft der Prozessionen durch Einholung mit Trompeten und Pauken, Fahnen und geistlichem Conduct geschieht, so wird auch der Abschied feierlich begangen. Wieder hallen die Glocken, tönen die Posaunen, wieder erscheint die Mariazeller Geistlichkeit mit Kreuz und Fahnen und geleitet die Scheidenden bis zum Urlaubs-Kreuz, das eine halbe Viertelstunde außerhalb des Ortes an der Wiener Straße aufgerichtet ist. – Wenn eine einzelne Gesellschaft von Maria-Zell Abschied nimmt, so gibt es zwar keine kirchlichen Zeremonien, dafür aber die umso eifriger befolgte Sitte des „BuschenAufsteckens“. Der Kutscher erhält nämlich von Seiten des Wirts einen goldglitzernden Strauß künstlicher Blumen, inmitten zumeist das Gnadenbildchen bergend, dessen Kosten auf die Rechnung gestellt werden. An diesem Busch ist jeder von Maria-Zell zurückkehrende Fuhrmann mit Zuversicht zu erkennen.

 

Auch ist eine Merkwürdigkeit Maria-Zells noch zu gedenken, nämlich des „Augenbrünnleins“. Am nordöstlichen Ende des Marktes, bereits auf einer Anhöhe, liegt eine Kapelle. An den Hörnern ihres Altars ist rechts und links je ein Engel angebracht, der eine Urne hält, aus der das klarste Gebirgswasser in marmorne Becken niederfällt, das aus der Höhe künstlich mit Röhren niedergeleitet wird. Diesem Wasser wird besondere Heilkraft für Augenübel zugeschrieben. Die Wallfahrer waschen hier die Augen, und fangen sorgsam den Wasserstrahl in zu Maria-Zell erkauften böhmischen Flaschen auf, um das Wasser als Heilmittel gegen alle Gattungen von Augenleiden für sich, Anverwandte und Freunde heimzubringen. Das Wasser ist in der Tat frisch, klar und schmackhaft und zum Labetrunk nach langer, mühevoller Wallfahrt geeignet.

 

Maria-Zell hat außer der Wallfahrtskirche sonst nichts Ausgezeichnetes oder Erwähnenswertes, desto reizender ist die Umgebung. Vom „Kalvarienberg“ oder von der „Bürgeralpe“ aus genießt man den freiesten Überblick der Gegend. Höhere Berge werden leicht aufgefunden, selten mannigfaltigere und schönere Formen; diese schimmernden Gipfel heben sich auf das Wundervollste von den frischgrünen Wiesenteppichen, die den Saum der Berge bilden, ab. Kristallhelle Bäche beleben das landschaftliche Gemälde, und die „Aflenzer und Zellerstaritzen“, mächtige Ausläufer der Schwabenkette, sorgen für einen des Gesamtbildes würdigen Hintergrund. Oft erscheinen die Spitzen der zuletzt genannten Alpen in einen glänzenden Schneemantel eingehüllt, während Wald und Flur im warmen Sonnenstrahl glitzern und leuchten und die Sonnenhitze den einsamen Wanderer niederdrückt. Alles, was zum Malerischen einer Landschaft beitragen kann, ist freigebigst über Maria-Zell ausgestreut, selbst Wasserfall und See mangeln nicht. Es hat dieser Gnadenort der Gebenedeiten des Herrn so etwas Liebliches und Trauliches, dass es die Neigung zum Wiederholen des Besuchs über kurz oder lang in der Brust des Pilgers wie des Reisenden erweckt. Vor allem ist ja die Pilgerfahrt dahin eine Wanderung zum Marien-Segen und zum Marien-Frieden! –

Mariazell

 

 

63. Unsere Liebe Frau zu Ellwangen

  

Unsere Liebe Frau zu Ellwangen (aus: Leben des P. Philipp Jeningen – um 1850)

 

1.

Ellwangen, ein freundliches Städtchen in Württemberg, war ehedem der Hauptort einer im 8. Jahrhundert gegründeten Benediktinerabtei, deren Abt im Jahr 1349 von Kaiser Carl IV. in den Reichsfürstenstand erhoben worden war.

 

Zur Zeit der sogenannten Reformation wurde dieses Fürstentum von der neuen Irrlehre fast ganz eingeschlossen: benachbarte Reichsstädte, wie Bopfingen, Aalen, Hall, Nördlingen, und einige Herren waren dieser Religion beigetreten. Die Fürsten von Ellwangen hatten Arbeit genug, sie von ihrem Gebiet fern zu halten, und einer von ihnen, Heinrich, Sohn des Kurfürsten Philipp von der Pfalz, ergriff gegen die offenen Anhänger des Luthertums strenge Maßregeln. – Da schickte der berühmte Kardinal Otto, Truchsess von Waldburg, Bischof von Augsburg und Propst von Ellwangen, den ehrwürdigen P. Petrus Canisius aus der Gesellschaft Jesu, der durch Predigten und Unterredungen mit den angesehensten Anhängern der Irrlehre mehr ausrichtete, als er von der Hartnäckigkeit der Einwohner erwartet hatte. Damit begnügte sich aber der eifrige Kirchenfürst nicht: als er in der heiligen Fastenzeit des Jahres 1568 selbst dahin ging, nahm er den P. Canisius wieder mit, und beide wirkten mit vereinten Kräften durch Predigten und Christenlehre an der Bekämpfung aller Irrtümer und an der Wiederbelebung des katholischen Glaubens mit so großem Erfolg, dass man sagen konnte: das Fürstentum sei für die wahre und alleinseligmachende Kirche Jesu Christi gerettet.

 

Es blieb indessen noch vieles zu tun übrig und die Irrlehre wollte sich von der Nachbarschaft immer aufs Neue hereindrängen. Daher wurden vom Fürsten Wolfgang von Hausen seit 1585 einige Male im Jahr Jesuiten von Dillingen berufen, um das Volk im katholischen Glauben zu unterrichten und dann zu erhalten. – Im dreißigjährigen Krieg drangen die Schweden auch hier vor, vertrieben den Fürsten Johann Jakob, aus der Familie der Blarer von Wartensee, von der Herrschaft und suchten das Gebiet zu reformieren. Als ihm nach der Schlacht bei Nördlingen die Rückkehr möglich geworden war, berief er, wie es seit 1611 die Fürsten sich es zur Gewohnheit gemacht hatten, zwei Jesuiten zu bleibendem Aufenthalt an seinen Hof; und diese waren P. Thomas Anreiter und P. Johann Heselin.

 

Diese gottesfürchtigen Männer beschäftigten sich schon längere Zeit mit dem Gedanken – irgendwo eine „Lauretanische Kapelle“ zu errichten. – Als sie nun eines Tages einen Spaziergang machten, kamen sie auf einem dem Schloss naheliegenden Hügel, den man ob der herrlichen Fernsicht, die er bietet, den „schönen Berg“ nannte. Er ist der Vorsprung einer fruchtbaren Ebene, die sich gegen Osten ausdehnt; gegen Süden fällt er ab und wird durch ein kleines Bächlein von dem mit jener Ebene zusammenhängenden Hügel getrennt, auf dem das Schloss steht; gegen Westen und Norden läuft er in das Jart-Tal aus, in dem Ellwangen liegt. Darüber hinaus gewährt er eine freundliche Aussicht bis nach den Bergen Hohenstaufen, Rechberg und Stuifen. – Dort ihre Kapelle zu errichten, beschlossen die ehrwürdigen Väter. Sie zimmerten sofort aus einem Tannenbaum ein schmuckloses Kreuz, stemmten in dessen Mitte eine Nische und stellten ein Muttergottesbildchen hinein. Dieses noch jetzt verehrte Gnadenbild, etwa drei Zoll hoch, ist aus bräunlicher Erde, wie sie am Berg gefunden wird, mit Reliquien von Heiligen untermischt, nach dem wundertätigen Marienbild zu Alten-Oettingen geformt und stellt die gebenedeite Mutter mit dem göttlichen Kind auf dem rechten Arm dar. Man steckte mit vier Pfählen die Länge und Breite der Lauretanischen Kapelle, die erbaut werden sollte, ab, bezeichnete einstweilen mit Tannenzweigen die Mauern und richtete endlich das Kreuz auf. Solches geschah am 14. August 1638, am Vorabend des Festes der glorreichen Himmelfahrt Marias.

 

In den nächsten Tagen geschah nichts weiter – als dass die beiden eifrigen Verehrer der Mutter des Herrn ohne Unterlass für das Gedeihen ihres Vorhabens um deren Fürsprache bei Gott flehten. – Und wirklich kamen zu dem so schlichten Bildstock bald die benachbarten Landbewohner, und suchten gleichfalls mit großem Vertrauen Hilfe in allerlei Nöten bei der Fürbitte Mariens. Ihr kindliches Vertrauen wurde vielfach belohnt, und aus Dankbarkeit steckten sie mitunter kleine Geldopfer in den Baum, um den Bau eines Kirchleins zu ermöglichen. – Da der Ruf von den vielen Wohltaten, die sich an den Besuch des Muttergottesbildes knüpften, immer größere Pilgerscharen herbeiführte, so beschlossen die Patres im Frühjahr 1639, obgleich kaum drei Gulden eingegangen waren, den Bau eines hölzernen Bethauses zu beginnen, damit die frommen Besucher wenigstens gegen die Ungunst der Witterung gesichert seien. Am 19. März schenkte der Fürst den nötigen Grund und Boden, und am 24. März war das hölzerne Gebäude bereits fertig. Man beeilte sich nämlich mit so großem Eifer, um das „Fest der Verkündigung Marias“, am 25. März, in dem neuen „Lauretanischen Haus“ feiern zu können. – Von diesem Tag an stellten die umliegenden Gemeinden zahlreiche Bittgänge auf den „Schönen-Berg“ an, und es ereigneten sich viele Wunder, die da immer neue Besucher – auch aus weiterer Entfernung – heranlenkten.

 

Ein so überraschend segensreicher Erfolg ermutigte die Patres, an die Erbauung einer steinernen Kapelle zu denken. Die Zeiten schienen allerdings einem solchen Unternehmen nicht günstig: die Gegend um Ellwangen war wohl seit der Nördlinger Schlacht von den Schweden befreit, aber sie hatte sich von deren Verheerungen, Brandschatzungen, den Durchzügen und Einquartierungen der Kriegsvölker noch nicht erholt. Und dennoch wagten die Patres den Versuch, von Haus zu Haus fromme Beisteuer zu erbetteln; und sie hatten bei der Einsammlung dieses „Marien-Almosens“ so glücklichen Erfolg, dass schon am Fest des heiligen Johannes des Täufers 1639 vom Fürsten der Grundstein zur neuen Kapelle gelegt werden konnte. Da sich während des Baues neue Wunder ereigneten, so wurde so viel geopfert, dass der Bau, selbst in jenen bedrängten Zeiten ununterbrochen fortgesetzt und die neue Kapelle am Fest Mariä Geburt desselben Jahres eingeweiht werden konnte. – Das vielverehrte Gnadenbild wurde nun in ein silbernes Gehäuse eingeschlossen, aber, wie bisher, in der Nische des Tannenbaums oberhalb des Tabernakels aufbewahrt, so dass es von allen gesehen werden konnte. – Weil jedoch der Raum dieses Kirchleins bald wieder zu eng wurde, baute man an den beiden Seiten Nebenkapellen an, die eine zu Ehren St. Joachims und St. Annas, der Eltern Marias, die andere zu Ehren des heiligen Johannes des Täufers und seiner Eltern Zacharias und Elisabeth; sie wurden am 6. Juni 1652 eingeweiht. Die jährliche Erinnerung daran wurde am Tag der heiligen Anna gefeiert, daher schreibt sich der von Papst Clemens IV. mit einem vollkommenen Ablass begnadete Wallgang, der jetzt noch immer von Ellwangen aus – am St. Annatag auf den „Schönen Berg“ unternommen wird.

 

Die Jesuiten hatten in der Wallfahrtskapelle bereits das vierzigstündige Gebet während der Fastnachtszeit, und die Segensandacht während der dreißig Tage nach dem Fest Mariä Himmelfahrt gehalten. Diese Feierlichkeiten hatten ihre Arbeiten auf dem „Schönen-Berg“ bedeutend vermehrt. – Um ihre dortige Tätigkeit zu sichern, wies der folgende Fürst, Johann Rudolph Freiherr von Rechberg, im Jahr 1658 einen beständigen Wohnsitz in Ellwangen selbst für vier Patres an: Einer von ihnen sollte täglich die Wallfahrt besuchen, die Heilige Messe lesen und Beichte hören. Da jedoch dieser eine Seelsorger nicht genügen konnte, sorgte er schon 1661 dafür, dass noch ein anderer Priester bestellt wurde, um auf dem „heiligen Berg“ wenigstens die Heilige Messe täglich zu lesen. – Je mehr man dem frommen Sinn der Wallfahrer Nahrung bot, in desto größerer Anzahl strömten sie aus immer weiterer Ferne herbei und der Raum der drei Kapellen genügte nicht mehr, sie zu fassen.

 

Darum dachte der Fürst-Propst Johann Christoph Freiherr von Adelmann daran, eine größere Kirche zu erbauen. Dieser fromme Fürst erwies sich von seiner frühesten Kindheit an als einen innigen Verehrer Marias: in den ersten Monaten seines Lebens dem Tode nah, war er von seinen Eltern der heiligen Muttergottes angelobt und durch sie auch erhalten worden, und, während seiner Kindheit noch einige Male von gefährlichen Krankheiten befallen, empfing er durch die Anrufung Marias stets die Gesundheit wieder. Zur fürstlichen Würde erhoben, zeigte er sich seiner großen Wohltäterin wo möglich noch dankbarer. Er feierte auf dem „Schönen-Berg“ seinen Geburtstag, den Tag des Gedenkens an die Rettung aus der Todesgefahr, ebenso beging er daselbst den Jahrestag seines Regierungsantritts; dann kam er jeden Samstag, und selbst bei ungünstiger Witterung, dahin, und ordnete daselbst verschiedene Andachten an. – Indessen wuchs auch, in Folge der in jenen Jahren geschehenen Wunder, der Zudrang der Fremden immer mehr, und sehnlichst wünschte Johann Christoph, recht bald an der mit so unzähligen Gnadenspenden gesegneten Wallfahrtsstätte eine größere und stattliche Kirche aufzuführen. Allein die Nachwehen des dreißigjährigen Krieges waren noch nicht ganz geheilt, und bereits hatte man wieder von Franzosen- und Türkenkriegen zu leiden oder zu fürchten. Es schien daher noch lange bei dem frommen Wunsch des Fürsten zu bleiben. – Da trat der Himmel selbst ins Mittel, und ließ den Fürst-Propst durch einen der getreusten Diener Marias zum Beginn des Baues bestimmen.

 

2.

Dieser Gottesmann und Marien-Diener ist P. Philipp Jeningen aus der Gesellschaft Jesu.

P. Jeningen hatte von seinen Obern den Befehl erhalten, sich nach Ellwangen zu begeben und die Besorgung der Wallfahrt auf den „Schönen-Berg“ zu übernehmen. – Gegen Ende des Mai-Monats 1680 kam er an, und übernahm mit umso größerer Freude den neuen Dienst, je mehr Arbeit er für Gott und Maria voraussah. Von hier ging die Tätigkeit aus, mit der er mehr als 23 Jahre, – so lange lebte er noch, und immer auf diesem Posten – an dem Wallfahrtsort, in der Stadt und auf dem Land, endlich in vier Diözesen zur Ehre Gottes, Marias und zum Heil der Seelen Erstaunliches gewirkt hat. Von Anfang an hatte er den Trost, in dem Fürsten Johann Christoph einen eifrigen Verehrer Unserer Lieben Frau, und einen auf das zeitliche und ewige Wohl seiner Untertanen stets ernstlich bedachten Regenten zu sehen. Die beiden Männer schlossen bald die innigste Freundschaft, und Johann Christoph wählte sich den P. Jeningen zum Gewissensrat und geistlichen Führer.

P. Jeningen übernahm mit aller Sorgfalt und Berufsfreudigkeit die Pflege des Marianischen Wallfahrtsdienstes auf dem „Schönen-Berg“. – Er sah jedoch bald ein, dass, was Fürst Johann Christoph und dessen Vorgänger schon gewünscht hatten, nämlich eine größere Kirche ein unabweisbares Bedürfnis sei. Allerdings zeigten die damaligen Zeitumstände alle nur möglichen Hemmnisse – einen solchen Bau zu verwirklichen; und dennoch hoffte er zuversichtlich: Gott werde seinem Wunsch zu Ehren Marias die Gewährung gestatten. Die gebenedeite Himmelskönigin hatte aber schon früher seine Bitten auf eine wundersame Weise erhört. So z.B. war er, noch in Dillingen sich aufhaltend, einmal nach Eckenbrunn gegangen, die Heilige Messe dort zu lesen. Der Küster, der ihm dabei dienen sollte, lag eben an einem Fieber krank zu Bett. Da lässt ihm P. Jeningen sagen: „er solle – im Namen Marias – sogleich aufstehen und die Heilige Messe dienen.“ Der Küster gehorcht und fühlt sich allplötzlich gesund. – Ein anderes Mal, im März 1680, als er ein neues Kleid für das Muttergottesbild in die Kapelle nach Eckenbrunn bringen wollte, drohte ein heftiger Regen dasselbe zu durchnässen: da fleht er zu Maria um gutes Wetter, und sogleich zerteilen sich die Wolken, so dass er, beim freundlichsten Sonnenschein, seiner himmlischen Mutter das Geschenk bringen konnte. – Jetzt hoffte er für den „Schönen-Berg“, so zu sagen, wider menschliche Hoffnung umso fester, je mehr die Ehre Marias und das Heil der Seelen durch den neuen Kirchenbau sollte befördert werden und je mehr die allerseligste Jungfrau – in einer Vision – ihm selbst für dieses Jahr besondere Gnadenerweisungen zugesagt hatte. Am 1. Januar 1681 nämlich war sie ihm in ungemein anmutiger Gestalt erschienen und hatte ihm verheißen: „Ich werde dich in diesem Jahr mit Gnaden segnen!“ Mit himmlischer Freigebigkeit hielt sie ihr Versprechen, und überhäufte mit mütterlichen Zärtlichkeiten aller Art den treuliebenden Sohn. Mit ihnen wuchs P. Jeningens Vertrauen und Hingebung und umso mehr nahm er Bedacht auf die größere Verherrlichung der heiligen Muttergottes, und umso unbeugsamer hoffte er, sie werde seinem Wunsch: „sie in einem prachtvollen Tempel auf dem Schönen-Berg verehrt zu sehen“, noch in diesem Jahr erfüllen.

 

Das waren seine Gedanken und Erwartungen, als er am 14. September 1681 den Fürsten auf dem Schloss besuchte. Sie standen eben an einem Fenster, von dem aus man die ganze Stadt vor sich liegen sieht, als sich ein gewaltiges Unwetter erhob, und ein Blitzstrahl das Haus eines wegen Fluchens übel angesehenen Bürgers, nahe beim Jart-Tor, in Flammen setzte. Da ein starker Wind ging, drohte das Feuer sogleich die nächstgelegenen Häuser zu ergreifen und einen großen Teil der Stadt in Asche zu legen. Der gute Fürst sah die Gefahr und mit tiefstem Schmerz rief er aus: „Wehe meiner Stadt! Wenn Gott nicht hilft, wird sie heute in Flammen aufgehen!“ – P. Jeningen hatte unterdessen inständigst gebetet. Der Erhörung sicher, beruhigte er den Fürst-Propst und hieß ihn guten Mutes sein: „Die gnädige Muttergottes, die er ja so sehr liebe, verlasse ihn nicht. Er solle ihr zu Ehren den Kirchen-Bau auf dem Schönen-Berg geloben, eines weiteren bedürfe es nicht, um die Stadt zu retten!“ P. Jeningens festes Wort belebte Johann Christophs Hoffnung: er warf sich auf die Knie nieder, bat die Gottesmutter auf dem Schönen-Berg um Beistand und Rettung aus der Gefahr, und gelobte: - „wenn das Feuer nicht um sich greife – den schon lang beabsichtigten Bau einer Kirche zu ihres göttlichen Sohnes und zu ihrer Ehre ohne weiteren Verschub zu beginnen.“ Sogleich legte sich der Wind, und das Feuer verzehrte nur das bereits ergriffene Haus. – Der dankbare Fürst eilte noch in derselben Woche, in der Maria sich ihm so gnädig gezeigt hat, drei Mal auf den Schönen-Berg, um zur Danksagung daselbst die Heilige Messe zu zelebrieren, und opferte vier große Kerzen, die – zur Erinnerung an die empfangene Wohltat – in der Lauretanischen Kapelle“ noch gar lange Zeit hindurch aufbewahrt wurden.

 

Indessen begann P. Jeningen mit heiligem Ungestüm den Bau zu betreiben, nachdem man vorher den Beschluss gefasst hatte, die Lauretanische Kapelle in den Tempel selbst aufzunehmen. Den Winter, der bereits sich eingestellt hatte, benützte man, um Holz, Steine und sonstige Bedürfnisse herbeizuschaffen. Marie, die „Hilfe der Christen“, ermangelte nicht, durch einige Wunder die Lust für die Arbeit zu erhöhen. Man machte nämlich bald die Wahrnehmung, dass es ein sicheres Mittel sei, die Gesundheit von Menschen und Vieh zu erhalten, wenn man unentgeltliche Arbeit an dem Kirchenbau gelobte, oder durch Opfer zu demselben beitrug. P. Jeningen förderte das Werk durch seine Worte, aber noch mehr durch sein demütiges und anhaltendes Gebet; unter anderem zeichnete er in seinem Tagebuch auf: dass auf die Anrufung Marias sich alsbald eine Wasserquelle gezeigt hat, nach der man damals gegraben habe.

 

Am 16. Juni 1682 wurde der Grundstein gelegt zu dem Bau, und zwar nach dem Riss des Baumeisters Thum aus Bregenz. Der Bischof Christoph von Freiburg aus Augsburg wohnte der Feierlichkeit an und segnete den ersten Stein, der von dem Fürst-Propst in den Grund gelegt wurde, und zwar an der mittägigen Seite, wo jetzt der Altar des heiligen Antonius steht. Hierauf wurde ein Hochamt gehalten, zu dem eine zahllose Menge Andächtiger sich eingefunden hatte. – Acht Tage später legte der Fürst-Propst auch den ersten Stein zu dem Turm, der sich gegen die Stadt wendet, und viele hohe Personen bedachten mit reichlichen Opfern das hehre Werk zum Preis Gottes und Marias.

 

Der Bau wurde mit allem Eifer fortgeführt. Dazu trug nicht wenig bei, dass bei der Grundsteinlegung mehrere Personen anwesend waren, die eben in jenen Tagen – auf die Anrufung der heiligen Muttergottes auf dem „Schönen-Berg“ – heilsame Hilfe erhalten hatten. – Mit der gleichen Anstrengung setzte man auch im folgenden Jahr, 1683, den Bau fort. Namentlich wurde die Wallfahrt in der dreißigtägigen Andacht nach Mariä Himmelfahrt ungemein stark besucht, weil damals die Türken Wien belagerten und ganz Deutschland in Furcht setzten. Sobald die Nachricht von dem wundervollen Sieg Sobieskys einlief, den man überall durch die angerufene Fürbitte Marias in der Christenheit erflehte, feierte das dankbare Volk eine zehnstündige Andacht auf dem „Schönen-Berg“, und beeiferte sich aufs neue, den Kirchenbau recht bald zum Ziel zu bringen. Die Vollendung des Innern verzögerte sich jedoch, da die Kirche mit viel Stuckatur-Arbeit geziert werden sollte.

 

Während der Ausführung des Kirchenbaues – ließ der Fürst-Propst auch die übrigen Teile des Gnadenberges zur Andacht und Zierde herrichten. Der Wald wurde gänzlich umgehauen und an dem Weg, der von der Stadt zur Kirche führt, setzte man zwei Reihen schöner Lindenbäume zur Verschönerung des Platzes und zur Kühlung der andächtigen Pilger dahin.

 

Im Herbst bereits stand die Kirche unterm Dach. – Doch der gottselige Fürst-Propst Johann Christoph Freiherr von Adelmann erlebte nicht mehr ihren inneren Ausbau. Das hatte ihm P. Philipp Jeningen auch vorhergesagt. – Am Fuß des „Schönen-Berges“ stand nämlich ein Kreuz, vor dem der Pater gar oft betete, wie er denn auch sonst an keinem Kreuz vorüberging, ohne eine Andacht zu verrichten. Als er eines Tages vor diesem Kreuz kniete, und für den Fürst-Propst um Gesundheit und langes Leben flehte, hörte er eine von dem Bild des Gekreuzigten ausklingende Stimme, die da sprach: „Ich werde ihn so lange am Leben erhalten, so lange mich Arme und Füße an diesem hölzernen Kreuz halten werden!“ Nicht lange nachher unterhielt sich Johann Christoph mit P. Jeningen über den Tod, und fragte ihn, wie lange er etwa noch leben werde? Der fromme Pater teilte die ihm gewordene Offenbarung ohne Zögern mit. Das Kreuz blieb zwei Jahre ganz unbeschädigt und der Fürst nicht weniger bei voller Gesundheit. Da erhob sich in einer Nacht ein gewaltiger Sturm, warf das Kreuz zu Boden, und das daran hängende Bild brach Arme und Beine, während die übrigen Teile unversehrt blieben. Als Johann Christoph hiervon Kunde erhielt, erinnerte er sich an P. Jeningens Weissagung und bereitete sich, obgleich er erst kurz vorher – achttägige geistliche Exerzitien gemacht hatte, die drei nächstfolgenden Tage auf das Sterben vor, wurde dann unversehens von einem Schlagfluss getroffen und endete sein frommes Leben mit einem heiligen Tod – am 28. August 1687. Nach seinem oft geäußerten Wunsch wurde er in der Kirche neben dem Baum beigesetzt, in dem das Gnadenbild der heiligen Muttergottes verehrt wird. –

 

P. Jeningens feurige Liebe zu dem göttlichen Christkind brachte es auch dahin, dass auf dem „Schönen-Berg“ noch eine kleine Kapelle zu Ehren der Geburt des Gottmenschen erbaut wurde. Als er bemerkte, dass die Gläubigen daran Wohlgefallen hatten und das Gnadenkind in der Krippe mit aller Demut verehrten, jubelte und weinte er vor Freuden und bat Gott: „Er möge – durch Mariens Fürsprache – Ellwangen zu einem kleinen Betlehem, und den „Schönen-Berg“ zu einem großen Berg und zu einer neuen Grundfeste der Frömmigkeit machen!“ – Damit dies geschehe, hielt er die bereits eingeführten Andachten aufrecht: seit dem Jahr 1681 wurde täglich die „Lauretanische Litanei“ gebetet; ebenso war von dem gottseligen Fürst-Propst Johann Christoph von Adelmann zur Abwendung von Kriegs- und anderen Gefahren ein Gebets-Bündnis eingeführt, das er alle Tage des Jahres unter die Mitglieder verteilte, damit an jedem Tag durch verschiedene fromme Übungen die Strafgerechtigkeit Gottes besänftigt, und die Ehre der jungfräulichen Gottesmutter vermehrt würde. Nebstdem wurde täglich für alle Angehörigen dieses „Lauretanischen Bündnisses“, Lebendige und Verstorbene, besonders aber für diejenigen, denen dieser Tag zugeeignet gewesen ist, eine Heilige Messe zelebriert.

 

Besonders war die Wallfahrtskirche an den Freitagen stark besucht. Man hatte nämlich bald bemerkt, dass Maria an diesen Tagen die meisten Gnaden austeilte. Als P. Jeningen den Grund hiervon wissen wollte, antwortete ihm die göttliche Mutter: „Wie einst (bei den Heiden) der falschen Liebesgöttin geweiht gewesen war, so wolle sie, die „Mutter der schönen Liebe“, ihn jetzt für sich in Anspruch nehmen. Ganz besonders wolle sie denjenigen gnädig sein, die von unzüchtigen Versuchungen geplagt seien. Auch alte Sünder wolle sie nicht verlassen, wenn sie das Andenken an das bittere Leiden ihres Sohnes und ihre Ehre auf dem Schönen.-Berg fördern wollten.“

 

Dies alles zu erzielen, blieb P. Jeningen an dieser Andachtsstätte unermüdlich im Predigen und Beichthören und Beten, und hatte die Freude zu sehen: dass schon im ersten Jahr nach der Erbauung der Kirche in ihr mehr als 2000 Heilige Messen gelesen wurden und mehr als 10.000 Gläubige die heilige Kommunion empfingen. Damit begnügte er sich nicht. Er hatte sich in sein Tagebuch geschrieben: „Auf den Schönen-Berg sollen wir unsere ganze Sorge richten. Aller Fleiß soll angewendet werden, dass der Schöne-Berg wirklich ein schöner Berg sei. Ich trage, und werde allzeit mit mir tragen die allerseligste Jungfrau Maria. Verehrt man sie nicht genug, so will ich mich darum bemühen. Verehrt man sie aber, so will ich frohlocken!“ – Zu dem Ende eilte er dann auf die Dörfer und in die Weiler, um allen Liebe und Vertrauen zu Maria einzuflößen. Wer ihm auf dem Weg begegnete, er mochte jung oder alt, wissend oder unwissend sein: in seinem glühenden Eifer und in seiner himmlischen Beredsamkeit wusste er allen etwas Angenehmes und Erhebendes zur Verehrung der „Königin aller Heiligen“ und der „Mutter des guten Rates und des besten Trostes in Not und Tod“ zu sagen. War eine Person, eine Familie oder eine ganze Gemeinde in irgend einer traurigen Lage, so wies er sie immer, und zwar unter dem freundlichsten, herzgewinnenden Lächeln der festesten Zuversicht, auf den „Schönen-Berg“, wo sie bei der göttlichen Gnadenmutter sicher die erflehte Hilfe fänden. - Dies– Hilfe hatte ihm in ihrer Huld Maria selbst zugesagt. –

 

3.

Auf Johann Christoph von Adelmann folgte Christoph Wolramsdorf. Der setzte den Bau fort, aber schon nach zwei Jahren starb auch er.

 

Der neue Fürst-Propst, Pfalzgraf Ludwig Anton, Hochmeister des Deutsch-Ordens, ein ganz besonderer Verehrer Marias, unterzog sich nun der gänzlichen Vollendung des Kirchenbaus auf dem „Schönen-Berg“. – Am Tag vor dem Fest der Verkündigung Mariä warf er sich vor dem Gnadenbild auf die Knie, flehte sie inbrünstig an, setzte dieses Anflehen auch schriftlich auf, unterschrieb es mit seinem eigenen Blut, schloss es in einer goldenen Kapsel, die ein Herz darstellte, ein und opferte es der heiligen Jungfrau. – Noch wird diese Kapsel in einem Kästlein neben dem Gnadenbild hinter dem Altar aufbewahrt.

Der Inhalt ist eine Anrufung der Mutter des Herrn, und am Schluss steht mit Blut geschrieben:

 

„O Maria! Ich unterschreibe mit eigenem Blut, was ich so oft mit dem Mund versprochen habe: dass ich nämlich mich und was immer mein ist, dir aufs Vollkommenste schenke – meine Seele, meinen Leib, Willen, Freiheit und alle meine Kräfte, meinen Orden, meine Propstei, alle meine Landschaften, mit einem Wort mich und all das Meinige! Ja, von diesem Augenblick an ist alles nicht mehr mein, sondern dein! Wenn es nun dein ist, so bewirke, dass ich tue und dass alles getan werde zu deiner und deines Sohnes Ehre und Glorie! Dies wäre sonst mein Wille, weil ich aber jetzt keinen Willen mehr habe, so soll es sein dein Wille und deines größten, armseligen Sünders, der seinen Namen mit Blut unterschrieben hat. Diesem hilf, diesen beschütze und bewahre, weil er dein ist!

Ludwig Anton.“

 

Dieser Fürst-Propst besuchte jeden Samstag die Wallfahrt auf dem „Schönen-Berg“ und vermachte ihr einen namhaften Teil seiner jährlichen Einkünfte. Er war der Vollender des Baues. –

 

Die Kirche hatte nun folgende Einrichtung: Die Loretto-Kapelle, die vierunddreißig Jahre ganz frei gestanden hatte, wurde mit vier Hauptmauern umfangen und nimmt samt ihren beiden Nebenkapellen den äußersten Raum gegen Morgen in der Kirche ein. Vor ihr gegen Abend erhebt sich der Hochaltar mit dem 46 Fuß langen und 58 Fuß breiten Chor. Die Länge der übrigen Kirche oder des Langhauses beträgt 220, die Breite 73, die Höhe 64 Fuß. An die ganze Länge des Chors reihen sich auf beiden Seiten die Sakristeien, deren eine für den Priester, die andere für den Fürst-Propst bestimmt waren. – In der fürstlichen Sakristei ist zu sehen ein aus Alabaster höchst künstlich gearbeitetes Bildnis Unserer Lieben Frau, das dem falzgrafen Ludwig Anton in Spanien verehrt wurde, da er seine Schwester als die Braut des Königs von Spanien dahin begleitete. – Die fünf Altäre waren sehr zweckmäßig gestellt und kunstvoll verziert, die zwei anderen warteten noch auf die reiche Ausstattung. – Der Hochaltar, der die ganze Höhe und Breite des Chors einnimmt, hat sein Gemälde als eine Verehrung von der deutschen Kaiserin Maria Theresia erhalten. Es stellt die Geburt Christi vor und ist ein von allen Kunstkennern bewundertes Bild, das in Wien um den Preis von tausend Talern verfertigt wurde. – Die Seitenaltäre, die verschiedenen Heiligen geweiht sind, wurden von mehreren Stiftern bedacht. Diese sind: Fürst-Propst Ludwig Anton, der die zwei Vordersten errichtete und mit den Bildnissen des heiligen Franziskus Xaverius und des heiligen Antonius von Padua, - Georg Jach, Ellwangescher Kanzler, mit dem Bild des heiligen Georg, - und Graf von Fürstenberg, Domherr, mit dem Bild des heiligen Joseph. – Hinter dem Chor der großen Kirche, oberhalb der Loretto-Kapelle, befindet sich ein weiterer Altar, gestiftet von Terstendorf, Dekan der Propstei Ellwangen, mit dem Bild des heiligen Ignatius von Loyola, Stifter der Gesellschaft Jesu. Er war ein Kriegsmann, und legte das Schwert nieder, um Geistlicher zu werden und seinen Orden zu gründen. Das Bild stellt nun den Augenblick, wo er auf dem Berg Montserrat in Spanien Gott und Maria seine Waffen als Büßer opferte, vor. Er fand einen Nachfolger in Ellwangen, denn an diesem Altar hängen Federhut, Halsring und Schwert eines Edelmannes, der der lutherischen Irrlehre abgeschworen hatte, seine Stelle als Hauptmann in dem hannöverschen Heer niedergelegt und Geistlicher geworden war.

Die Kirche hatte 22 hohe Fenster und ebenso viele kleine Oval-Öffnungen, die die besonders kunstreichen, mit schönen Gemälden verzierten Gipswände beleuchteten.

Es konnte nicht fehlen, dass dieses Prachtgebäude – als berühmter „Marianischer Wallfahrtsort“ – großen Zulauf hatte, und nicht nur aus der Nähe, sondern selbst aus Franken, Bayern, Böhmen, Pfalz, Tirol, dem Ober- und Niederrhein.

 

Indessen brach schon im Jahr 1709 ein gar schreckliches Unglück über den „Schönen-Berg“ ein. Am 22. April zog ein schweres Gewitter heran, und der einzige Blitz, der dem Gewölk entfuhr, schlug in die Kirche. Keine Hilfe war möglich, als der Dachstuhl in Flammen stand. Ein einstürzendes Türmlein schlug ihn durch, wodurch das Feuer in die Kirche selbst brach, um dort alles zu verzehren, was nicht in Sicherheit gebracht werden konnte. Doch rettete man alles kostbare Kirchengerät; das Gnadenbild, die Gemälde von zwei Altären und auch die Loretto-Kapelle blieben verschont, sowie der Altar des heiligen Ignatius und die beiden Altäre neben der Kapelle. In nur zwei Stunden war der Prachtbau vernichtet.

 

Der Fürst-Propst Franz Ludwig begann rasch mit dem Neubau, und noch in demselben Sommer wurde das Dach aufgesetzt, wozu von allen Seiten reiche Beisteuern flossen. Bald entstand das Gebäude wieder herrlich und Marias würdiglich aus dem Schutt, und treffliche Schildereien der Malerkunst gaben ihm eine noch freundlichere Gestalt.

Am 18. März 1729 geschah die Einweihung durch den Weihbischof von Augsburg, und es wurden gleichzeitig zehn Altäre eingeweiht: der Hochaltar zu Ehren der Geburt Christi und der Himmelfahrt Mariä. Das Altarblatt hierzu, das an Kunst dem Geschenk der Kaiserin Maria Theresia nicht nachsteht, stiftete Churpfalz. – Gegenwärtig befinden sich vierzehn Altäre in der Kirche, jeder zur Feier des hochheiligen Messopfers dienend.

Auf Bitten des Fürst-Propstes Franz Ludwig wurde – nebst vielen anderen auf gewisse Tage verliehenen vollkommenen Ablässen, Freiheiten und Privilegien der Altäre – vom Papst Benedikt XIII. ein gleicher vollkommener Ablass denjenigen erteilt, der einmal im Jahr diese Kirche besuchen, um dort ihre Andacht zu verrichten.

 

Dieser Fürst-Propst verschrieb der Kirche ein Brillanten-Kreuz im Wert von 12.000 Gulden, und schenkte einen reich mit Edelsteinen gezierten Ring, den er selbst getragen hatte, dem wundertätigen Muttergottesbild. – Auch errichtete er Stationen den „Schönen-Berg“ hinauf und erbat sich dann hierfür vom Papst verschiedene Ablässe für die frommen Besucher derselben.

 

Sein Nachfolger war Franz Georg von Schönborn. Der besuchte fast täglich die Wallfahrtskirche und verehrte mit andächtigen Küssen das Gnadenbild.

Die Stationen, die auf den „Schönen-Berg“ führen, bestehen aus fünfzehn Kapellen und geben dem Berg eine anmutige, hehre Gestalt. Zwischen ihnen ist zu sehen eine künstliche Grotte (Wasserhaus) mit Heiligenbildern verziert, und eine Kapelle des heiligen Joseph auf demselben Platz, wo früher die allererste „Loretto-Kapelle“ gestanden hatte, die man in dem sogenannten „Schleifhäuslein“ noch aufbewahrt. –

 

Viele Stürme sind über unser deutsches Vaterland verheerend und zerstörend dahin gebraust und haben vieles, gar vieles verändert. Auch Ellwangen verlor seinen Fürst-Propst und ist eine königlich württembergische Kreisstadt geworden. Aber die Wallfahrtskirche der heiligen Muttergottes blickt noch immer als eine Zufluchtsstätte friedlich und zierlich von dem „Schönen-Berge“ auf Ellwangen herab, und zahlreiche Pilger wallen jahraus und jahrein zu ihr hinan, um sich bei der gnadenreichen Himmelskönigin Trost und Segen für die Wanderschaft in die Ewigkeit zu erflehen.

 

Gar rührend ist auch der Anblick der stillen Beter, die sich durch ihre Andachtsübungen bei den Stationen den vollkommenen Ablass verdienen! –

 

Wallfahrtskirche Schönenberg

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64. Maria zu Albendorf in Schlesien

 

Trotz einer etwas unruhigen Nacht zogen wir doch frisch und wohlgemut diesen Morgen (6. September 1862) hinaus und hinauf in die romantische Bergwelt (Glatzer Gebirge in Schlesien), die im Morgenschleier gehüllt vor uns lag, und gerade durch diese geheimnisvolle Hülle, die halb zeigte, was sie verbergen wollte, uns noch mehr zum Wandern reizte. Nach mehreren Seiten hin, bald unter uns in den nahen duftigen Wiesen, bald neben uns auf den sanften Abhängen weideten bunte Herden, und läuteten im lieblichen Durcheinander ihre hellen Glöckchen uns zum Gruß. Ein fröhliches Hirtenmädchen sang ein heiteres Liedchen und begleitete sich dazu durch den geschickten Knall der Peitsche, und jagte sich dabei spielend und neckend bald mit einer Kuh, bald mit einer Ziege auf der Wiese herum. Der beginnende Herbst hatte schon an manchem Baum und Gesträuch seinen Buntdruck versucht und seine Blätter rötlich gefärbt.

 

Hätten wir nicht schon, ein jeder von uns in der Stille seines Herzens, mit freudigem Dank des Schutzes und der Gnade des Herrn gedacht, so hätte uns eine Wanderin daran erinnert. Vor uns her nämlich zog eine junge Frau, mit schwerer Bürde beladen, die Bergstraße hinauf. Als sie da vor einem steinernen Kreuz anlangte, warf sie sich mit ihrer Last auf dem Rücken nieder auf ihre Knie, bekreuzte sich und betete still, unbeirrt durch den Schritt der vorbeiziehenden Männer. Dieser Anblick eines gläubigen und innigen Gebetsopfers erfüllte uns mit solcher Scheu, dass wir möglichst still und geräuschlos vorüberzogen, um die Betende nicht zu stören. Es muss aber auch ein Menschenherz aller religiösen Gefühle entledigt sein, wenn es, selbst bei eigenem Unglauben, nicht vor dem scheute, der im Gebet auf seinen Knien liegt.

 

Einen wundersamen Anblick hatten wir, als wir die erste Berghöhe erreicht hatten, wo zu beiden Seiten des Weges ein junges, lichtes Fichten- und Kieferngebüsch uns umgab. In den einzelnen Zweigen nämlich, und von Ast zu Ast, von Bäumchen zu Bäumchen hatten tausende von Spinnen ihre kunstreichen Netze in den verschiedensten Geflechten gezogen. Auf die kleinen Tautröpfchen, die darauf hingen, fiel der Sonnenstrahl und schuf Millionen Diamanten. Wie hochherrlich ist Gott auch in den kleinsten seiner Werke. Wir mussten wiederholt stehen bleiben, um diese natürliche Ausstellung der kunstreichsten Gewebe zu bewundern. Wo ist eine Menschenhand, die solche Kunst versteht? Der feinste Faden der vorzüglichsten Maschine ist, durchs Vergrößerungsglas betrachtet, gegen den Faden der Spinne – ein rauer, holpriger Strick.

 

In Neuhaide, einigen an der Hauptstraße vereinzelt gelegenen Häusern, schlugen wir, da für uns die Festung Glatz, in deren Nähe wir uns befanden, keine Anziehungskraft hatte, den links abgehenden Weg nach Albendorf ein und schritten auf den Ausläufern der „Heuscheuer“ hin, die, da sie schon ziemlich hoch liegen, fast bei jeder Wendung des Weges neue, überraschende Aussichten bieten. Zumeist zog uns der etwas zerklüftete Rücken der „Heuscheuer“, auf die wir zuwanderten, selbst an. Die Gruppe der einzelnen, senkrechten, riesigen Felsen, die fast alle an dreitausend Fuß hoch sind, namentlich der „Backofen“ und der „Großvaterstuhl“, drängen sich in den Blick. Man wünscht vor Ungeduld Flügel, um auf diese luftigen Kuppen hinauffliegen zu können, besonders da man von der bereits errungenen Höhe wieder hinabsteigen muss ins Tal, wo der Wallfahrtsort „Albendorf“ liegt, berühmt durch sein Gnadenbild der heiligen Muttergottes.

 

Ich gestehe, dass ich erst hier die Bedeutung eines Wallfahrtsortes kennengelernt habe, ein solches Leben hatte ich mir nicht vorgestellt. Schon auf dem „Kalvarienberg“, an dessen Gehänge wir ins Tal hinabstiegen, begegneten uns drei Chöre von Prozessionen, weiter unten trafen wir auch noch vier andere. Jede Abteilung bestand etwa aus vierzig bis fünfzig Menschen, zumeist ältere Frauen und jüngere Mädchen und einzelne Burschen und ältere Männer. Ihrer Kleidung nach waren es Leute aus den ärmlichsten Verhältnissen, viele barfuß, andere in elendem, zerrissenem Schuhwerk, von abgetragenen und übel gestickten Kleidern umhüllt, zumeist hagere, blasse, krankhafte Gesichter, das Haupt der Männer unbedeckt, alle mit den Rosenkränzen in den Händen, und ein Bild der allerseligsten Jungfrau Maria an einer Schnur am Hals tragend, Ein Kreuz eröffnete den Zug, den sichtbar die herzlichste Andacht verklärte. Vorn, zuweilen auch in der Mitte des Trupps, ging der Vorsänger, der mit heller, kräftiger Stimme jede einzelne Strophe des Pilgerliedes vorsang, worauf dann der Chor einfiel, und unisono nachsang, und das bergauf, bergab unermüdet,- ohne alle Unterbrechung. So lange sie wallen und von einer Station zur anderen ziehen, singen sie, So verschieden nun die Länder waren, der diese Wallfahrer angehörten (denn die Leute kommen an fünfzig Meilen weit her, und noch weiter), so verschieden die Dialekte und Sprachen gewesen sind, in denen man sang, (außer deutsch war böhmisch und polnisch genau herauszuhören), so war es mir auffallend, dass alle nur eine Melodie vernehmen ließen. Aber diese eine Melodie hat den tiefsten Eindruck auf mich gemacht. Schon im Andante-Takt war sie so gemütlich, im Ganzen so schlicht, so kindlich fromm und hehr. Diese Melodie klang tagelang mir immer aufs Neue im Gedächtnis. – Wiederholt begegneten sich die Züge, die von den Stationen zurückkehrten, mit denen, die zur Gnadenkirche hinauf stiegen. Singend zogen sie aneinander vorbei, zwar in derselben Melodie, aber bald höher, bald tiefer im Ton, ohne dass ein Chor durch den anderen sich hätte irre machen lassen. Vor allem muss ich eines jungen Mädchens gedenken, von kräftiger, hoher Gestalt und blühendem Ansehen. Sie ging an der Seite des Chorsängers als Führerin des Zuges voraus, eine zweite Jungfrau von Orleans mit ritterlichem Anstand und begeisterungsvollen Augen. Ihre Stimme war so rein, voll und sonor, dass sie vor allen anderen herausdrang. Und wenn sie namentlich beim Beginn der letzten Zeile in das d einsetzte, drang dies wie ein Jubelruf in die Luft hinaus. Eine solche Frau trägt die Kreuzesfahne in den blutigsten Kampf. – Das ist die ritterliche, die romantische Seite dieser Prozession.

 

Der Ort Albendorf selbst soll, ähnlich wie das heilige Grab bei Görlitz, die Stadt Jerusalem mit ihren Umgebungen darstellen. Da sind denn zwölf Tore, die in das Städtchen hineinführen, der Bach, der die Gasse durchströmt, heißt „Cidron“. Der kleine Teich heißt „Bethesda“. Auch fehlt nicht das „Haus der heiligen Anna“, sowie das „Richthaus des Pilatus“.

 

Der „Kalvarienberg“ sieht von weitem aus wie die Lagerstätte eines wandernden Volkes, etwa wie die der Israeliten auf dem Zug nach Kanaan. Achtundfünfzig Kapellen, in denen die Leidensgeschichte des göttlichen Heilandes Jesu Christi Zug für Zug dargestellt ist, sind auf demselben erbaut, und bilden zugleich die Stationen, wo die Wallfahrten anhalten und ihre bestimmten Gebete verrichten. Rechnet man nur auf jede Station eine Viertelstunde, so gibt dies schon an fünfzehn Stunden, die ununterbrochen auf eine Prozession zu verwenden sind, die sich dadurch wahrhaft zu einer anstrengenden Buß-Fahrt gestaltet. Auf der Höhe des Kalvarienberges, zu der man auf siebenundvierzig Stufen hinaufsteigt (die Zahl der Blutungen, die nach der Tradition der Herr in seiner Leidenszeit aus seinen Wunden vergossen hat), ist „Golgotha“, die „Schädelstätte“ errichtet, mit ihren drei Kreuzen, von denen erzählt wird: dass das Kreuz zur Linken, das den unbußfertigen Schächer trägt, bei seiner Errichtung von selbst um einige Schritte zurückgewichen sein soll, um die Scheu des Bösen vor dem allerheiligsten Lamm Gottes auszudrücken.

 

Überraschender noch, als das alles, tritt die Wallfahrtskirche vor das Auge. Sie stellt den Tempel Salomos dar mit seinen Zinnen, dreiunddreißig breite und gewiss ebenso viel Ellen lange steinerne Stufen (zur Erinnerung an die dreiunddreißig Lebensjahre Christi auf Erden) führen hinauf. Da diese Stufen von den Gläubigen nur kniend und unter steten Gebeten erklimmt werden dürfen, so ist schon dieser Teil einer Wallfahrt nach Albendorf ein leibliches Kreuztragen im Geist der Buße und der Selbst-Kreuzigung. Der Anblick der einzelnen Gruppen, die hie und da die anstrengendste Kniewanderung vollzogen hat, besonders der Anblick eines alten Mütterchens, das sich von einem kräftigen Mädchen, vielleicht ihrer frommen Enkelin, jede Stufe halb hinaufheben ließ, weil den altersschwachen wandermüden Knien die Kraft gebrach, machte einen herzerschütternden Eindruck. Man dachte unwillkürlich an Simon von Cyrene, der dem unter der Kreuzeslast zusammensinkenden Heiland auf der „via dolorosa“ das Holz der Sühne mittragen half.

 

Das Ganze dieser Wallfahrtsstätte ist von wunderbarer Wirkung, und gewinnt dadurch, dass gerade hinter dem Tempel die prachtvolle Felsenmasse der „Heuscheuer“ ihr stolzes Haupt erhebt, noch an ergreifender Schönheit. – Und bedenkt man, dass hier alljährlich an siebzig- bis achtzigtausend Wallfahrer zusammenkommen, dass um die Zeit der Pfingsten und des Festes „Maria Heimsuchung“ zuweilen zwanzigtausend fremde Pilgrime an einem Tag hier übernachten, von denen Hunderte und Tausende im Freien, auf den dreiunddreißig Stufen, in den Nischen des Tempels und sonst auf hartem Boden die Nacht zubringen, so gewinnt man hier die beste und eindringlichste Einsicht von katholischer Pilger-Andacht, Bußfertigkeit und opferwilligster Selbst-Abtötung. Die Nähe des Gnadenbildes der gebenedeiten Himmelskönigin versüßt und erleichtert den frommen Marienkindern auch alle, selbst die bitterste Mühsal.

 

Ich rate jedem, der in die Nähe kommt, diesen berühmten Wallfahrtsort Albendorf zu besuchen. Geistig unerquickt wird er ihn gewiss nicht verlassen! –

 

 

65. Maria von der Eiche in Burgund

 

Wir erzählen eine Legende aus der Gegend, die unsere Heimat ist, eine Legende, von der allerseligsten Jungfrau Maria, die wir oft an den Abenden haben erzählen hören, wo unsere Großeltern ihren Enkeln die Geschichten vergangener Zeiten verkündeten. „Die von der Ferne zu uns gelangten Früchte“, bemerkt ein sinniger Lehrer, „können sehr süß sein, aber die Früchte unseres Vaterlandes, die Früchte unserer Heimat, sind noch viel süßer und köstlicher.“

 

Es ist schon sehr lange her. Die ältesten Eichen unserer Wälder waren noch nicht da, und es gab damals noch mehr Religion als jetzt.

 

Nun geschah es eines Tages, dass ein kleiner frommer Hirtenknabe vom Dörfchen Avaleur in Burgund seine Ochsen in dem Gehölz hütete, das man in unseren Tagen das „Gehölz Unserer Lieben Frau“ nennt, und das gleichsam das Haupthaar eines uralten Hügels ist. Dieser Hügel erhebt sich senkrecht über der kleinen Stadt, die zwischen ihm und der Seine sich ausbreitet, und er bedroht sie eher, als dass er sie beschützt. – Der junge Hirt nun, der mit den Ochsen seines Vaters, oder der „Comthurei“ im Wald sich aufhielt, hatte Stock und Hut beiseitegelegt und sich auf die Knie hingeworfen, um unter der schönsten Eiche des Waldes sein Gebet zu verrichten. Sein Herz war rein und seine Seele unschuldig, und sein Gebet stieg zu Gott empor gleich wohlduftendem Weihrauch. Seine Andacht kam, nach den Tränen, die seine Augenlider benetzten, zu urteilen, aus dem innersten Herzen. Vielleicht betete das arme Kind um die Heilung einer schon lange kranken Schwester, oder um die heiß ersehnte Rückkehr eines Bruders, der da in den Krieg gegen die Ungläubigen gezogen war. In der Inbrunst seines Gebets erhob der Hirtenknabe seine Augen und sah den Himmel an. – Und – was für eine selige Überraschung – er erblickt über seinem Kopf und in dem Stamm der Eiche, die ihn sanft mit ihren Schatten umgibt und ihn leise mit ihrem Blattgeflüster umsäuselt, eine anmutige Statue der heiligen Jungfrau Maria. Er steht auf, und sieht sie an und glaubt, dass ihr Antlitz die Farbe wechselt, wie das im Angesicht einer lebenden Person zu geschehen pflegt. Er nimmt mit zitternder Hand die Statue herab, und es scheint ihm, dass ihr Gewicht sich auch verändere, indem sie bald mehr und bald weniger schwer ist. Er fällt wieder auf die Knie und stammelt mit gefalteten Händen ein „Ave Maria“ und alles, was er sonst von Gebeten weiß.

 

Als der Abend eintrat, bemächtigte er sich des benedeiten Fundes und trägt ihn voller Freude in das Dörfchen, darin die väterliche Hütte stand. Und gerade an diesem Abend kam ihm seine Mutter entgegen, denn die Witterung war stürmisch geworden und sie fürchtete für ihr Kind von der Dunkelheit des Waldes und von der Raubgier der Wölfe. – Sobald ihr Sohn sie erblickt, läuft er zu ihr und übergibt ihr das heilige Bild, vor Entzücken hüpfend, wie der König David ehedessen vor der Bundeslade. Nachdem die Mutter ehrfurchtsvoll es geküsst und ihr Gebet zum Preis der Himmelskönigin davor verrichtet hatte, legte sie es in den alten wurmstichigen Kasten, in dem ihre, der armen Dörfnerin, Brautkleider und kostbarsten Sachen lagen. Wie die Frau im Evangelium, die die verlorene Drachme wiederfindet, ruft die Mutter des Hirtenknaben am nächsten Morgen in aller Frühe ihre Freundinnen und Nachbarinnen, um ihnen die „kleine Muttergottes“ zu zeigen, die ihr liebes Kind gefunden hat. – Aber siehe, das Bild ist verschwunden. – Der Hirtenknabe kehrte deshalb in den Wald zurück und zwar mit kummerschwerem Herzen und tränenfeuchten Augen. Er ging geradewegs auf die Eiche zu, wo er das Bild gefunden hatte, das am Abend vorher ihn so überaus glücklich gemacht hatte, und ihn jetzt mit Verängstigung peinigte. – Doch, o Wunder, das Bild war wieder an seine vorige Stelle zurückgekehrt. –

 

Als die letzten Strahlen der Sonne ihn an die Heimkehr mahnten und die Abenddämmerung bereits ihr Grau in das Dickicht des Waldes verwebte, streckte er aufs neue, wenn auch nicht ohne Furcht, seine Hand nach dem frommen Bild aus. Er bat es in kindlichster Weise um die Erlaubnis, es mitnehmen zu dürfen, und trat wieder in seines Vaters Hütte, freudetrunken über den Besitz des so wundersamen Bildes, das er im Triumph zurückbrachte.

 

Dieses Mal verschloss man nun (o heilige Einfalt!) den Kasten mit doppeltem Schloss. – Unnütze Vorsicht, denn am anderen Morgen war keine Statue mehr da. Sie war noch einmal zu ihrer geliebten Eiche zurückgekehrt. Die Geistliche Obrigkeit wurde nun von diesen Ereignissen benachrichtigt. – Die Geistlichkeit der Stadt zog in Prozession hinaus in den Wald, um die heilige Jungfrau von der Eiche herabzuholen und in die Kirche zu führen, wo man für sie eine schöne Kapelle und einen Ehrenbogen bereitet hatte. Aber das holde Marienbild verlangte ebensowenig nach der Stadt als nach dem Dörfchen. Sie wollte nicht die Pfarrkirche und auch nicht die durchräucherte Hütte. Es war der Wald, der ihr dort fehlte, der grüne, friedliche Wald, den sie bewohnen wollte, und ihre alte Eiche war das Tabernakel, für das sie eine besondere Vorliebe hatte. Man fühlte sich also genötigt, sie dort zu lassen, und man baute eine Kapelle, die noch in unseren Tagen besteht, und in der die verehrte Eiche eingeschlossen ist, die die heilige Jungfrau auserkoren hatte, um dort ihren Wohnsitz aufzuschlagen. Die Nische für das heilige Bild ist in das Holz des uralten Baumstammes gehauen. Ohne Unterlass nimmt man von diesem Stamm beträchtliche Stücke, um daraus kleine Kreuzlein zu verfertigen. Es sind schon viele Jahrhunderte, dass man für besagte Kreuzlein den Stammausschneidet, und doch scheint der geliebte Baum Marias nicht abzunehmen. Tag und Nacht, Sommer und Winter bewohnt die Statue diesen Wald.

 

Nur wenn schwere Trübsale die Gegend heimsuchen, wenn der Himmel etwa wie in Wasser zerfließt, oder wenn er wie von Erz zu sein scheint, dass er kein Tröpflein Tau und Regen gibt, erwacht in allen umliegenden Landschaften ein Not- und Gebetschrei aus jedem Mund der Gläubigen und jeder verlangt eine Prozession und eine neuntägige Andacht zu Unserer Lieben Frau von der Eiche.

 

Und wenn der Hochwürdigste Bischof die im Namen aller Pfarrangehörigen durch den Pfarrer begehrte Prozession und neuntägige Andacht gestattet, dann wird Prozession und Andacht mit innigster Freude gehalten. Mit großer Pracht und Feierlichkeit trägt man die Marien-Statue aus ihrer Wald-Einsamkeit in die Stadt herunter. Maria empfängt da jeden Tag die inbrünstigsten Bitten um ihre milden Fürbitten bei Gott und zugleich auch die ehrfurchtsvollsten Huldigungen der Dankbarkeit. Nach der Vollendung der neuntägigen Andacht trägt man unter denselben Zeichen der Ehrfurcht und in Prozession die Statue in ihre friedliche Waldkapelle zurück. –

 

Das christliche Volk erzählt wundersame Dinge von dieser Marien-Statue, die es wie seinen „Hort und Schirm“ erachtet.

 

Und Tatsache ist es, dass in Folge von Prozessionen oder Wallfahrten und neuntägigen Andachten zu Unserer Lieben Frau von der Eiche zu Bar-sur-Seine in Burgund große Gnaden erlangt worden sind. Plötzliche Veränderungen in der Witterung sind zu oft in auffallendster Weise zusammengetroffen mit einer andächtig betenden und singenden Prozession zur heiligen Jungfrau Maria von der Eiche. – Man führt namentlich das plötzliche Aufhören der Regengüsse an, die Frankreich während des Frühjahres 1789 verwüsteten. Die Ströme des Regens hielten mit einem Mal inne, die Wolken zerstreuten sich und die Sonne erschien gerade in dem Augenblick, in dem die Marien-Statue aus ihrer Wald-Kapelle hervorging, begleitet von Jung und Alt, wie auch von allen National-Garden der Stadt und ihrer Umgebungen. Die National-Garden waren eben gebildet worden und einer ihrer ersten großartigen und zahlreichen Versammlungen fand für den Distrikt von Bar-sur-Seine bei dieser Gelegenheit statt. – Man hat sagen hören, dass selbst die Pariser Blätter das allplötzliche Aufhören des so furchtbaren und lang schon andauernden Regenwetters als etwas Außerordentliches hervorgehoben hatten, indem sie die Stunde bezeichneten, in der der Himmel wieder heiter geworden war. Diese zu Paris beobachtete Stunde war aber genau dieselbe, in der die Statue Marias von der Eiche, deren Waldstätte vierzig Meilen von Paris entfernt liegt, aus ihrer Kapelle gegangen war.

 

Ein Ereignis von ganz ähnlicher Art trug sich auch im Jahr 1816 zu. Die Prozession von Bar war ausgezogen, um bei sehr ungünstiger Witterung zu Unserer Lieben Frau von der Eiche zu gehen. Und kaum hatte die Marien-Statue die Waldkapelle verlassen, so warf die Sonne ihre prachtvollsten Strahlen auf die frommen Waller und beleuchtete auch noch freundlichst ihren ganzen Rückweg.

 

O wie wunderbar lieblich klingt darum aus dem englischen Gruß in dieser Kapelle, wenn es ihn vertrauensvoll der kindliche Glaube singt, das Trosteswörtlein hervor: „Maria, du bist voll der Gnade, der Herr ist mit dir.“ –

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66. Die Einsiedelei Unserer Lieben Frau von Cillas

 

Ungefähr eine halbe Legua (spanisches Längenmaß für Meile) von der Stadt Huesca in Aragonien liegt die alte Einsiedelei Unserer Lieben Frau von Cillas, die ihren Namen von dem in demselben Bereich ganz in der Nähe liegenden Ort Cillas empfing. Der Hochaltar und der Taufstein, die sich bis in unsere Tage erhalten haben, so wie das Recht, das sie genoss, alle Erstlinge der in ihrem Bezirk eingeernteten Früchte jeder Art für sich in Anspruch zu nehmen, beweisen, dass sie in früheren Zeiten eine Pfarrkirche gewesen sein muss.

 

In der Nähe dieser Einsiedelei entspringt eine Quelle, von den Bewohnern des umliegenden Landes die „heilige Quelle“ genannt, in der die Kranken und Gebrechlichen sich zu baden pflegen, weil, nach der allgemeinen Annahme, sie unter dem besonderen Schutz der heiligen Mutter Gottes sich befinde. Unter Anrufung ihres gebenedeiten Namens pflegt man in ihre Heilsfluten niederzusteigen. In der Tat sieht man auch bei der Quelle sowie in der Kirche zahlreiche Opferstücke aller Art, Medaillen und andere dergleichen Gegenstände von mehr oder minder großem Wert, auch Amulette aufgehängt, die die Kranken zum Beweis der ihnen zu Teil gewordenen Genesung zurücklassen. Bei dem Gnaden-Bildnis der allerseligsten Jungfrau Maria selbst prangen nicht minder und in noch größerer Zahl reiche Geschenke in Gold, Silber und kostbaren Steinen, als ebenso viele Zeugen der frommen Gesinnung oder dankbaren Anerkennung ihrer Geber.

 

Bei der Kirche befindet sich eine Art Kloster, oder vielmehr eine Bruderschaft mit dem Titel „Zu Unserer Lieben Frau zu Cillas“, die, nach den daselbst befindlichen Urkunden, zur Zeit des Königs Don Juan I. gestiftet wurde. Diese Bruderschaft besteht aus zwölf Priestern und dreiunddreißig Laien nebst mehreren überzähligen Brüdern, und ihr ist die Besorgung des Gottesdienstes darin und die Verwaltung ihrer Einkünfte übertragen.

 

Ehemals gingen die Brüder zu der Einsiedelei von Cillas jedes Mal am letzten Sonntag der Monate April und Oktober, und zwar in feierlicher Prozession. Die Teilnehmer gingen barfuß. Später aber wurde statt der jährlichen Prozessionen nur die eine gehalten, die auch jetzt noch am „Fest Mariä Geburt“ zur Ausführung kommt, und statt barfuß zu gehen, zahlte jeder der Teilnehmenden an jeden der Brüder zum Vorteil der ganzen Brüderschaft zwei Maravedis (es war eine Jahrhunderte lang in Spanien gebräuchliche Münze) in Silber, wie es auch jetzt noch alljährlich geschieht.

 

Bei dieser Prozession hat sich ein bemerkenswerter alter Gebrauch erhalten: nach ihrem Ausgang nämlich aus der Kathedrale wendet sie sich seitwärts, um unter einem Bogen durchzuziehen, der an das Universitätsgebäude stößt, wo ehemals der königliche Palast war. So lautet die Vorschrift in den alten Statuten, denn hier wohnten die alten Könige Aragoniens, und der jeweils regierende König pflegte sich hier der Prozession anzuschließen.

 

Nach Ankunft des feierlichen Pilgerzuges in der Einsiedelei findet Hochamt und Predigt statt, wozu immer eine große Volksmenge aus der ganzen Umgegend zusammenströmt.

 

Am größten ist aber der Zudrang, am lebhaftesten und interessantesten die Szene am Morgen der beiden großen kirchlichen Festtage St. Johannes und St. Petrus und St. Paulus. Gemäß einem bis in die frühesten Zeiten des Christentums reichenden Gebrauch, besuchen an diesen beiden Tagen die Einwohner der Stadt Huesca sowohl, als die in einem Umkreis von mehreren Stunden liegenden Orte das Bildnis der heiligen Jungfrau. Aber das sonderbare dabei ist, dass nach dem unter dem Volk dort herrschenden Glauben der Weg dahin bei Nachtzeit gemacht werden muss, so dass bei Sonnenaufgang die ganze Masse an dem geheiligten Ort zusammentrifft. „Das Wasser der heiligen Quelle“, sagen die Leute, „verliert seine Wirksamkeit, wenn es einmal vom Strahl der Sonne beschienen ist“. Und da drängen sich denn Gesunde und Kranke, um ja den rechten Augenblick nicht zu versäumen, herbei, um noch während der Nacht in der Quelle sich zu waschen, oder wenigstens ihre Glieder einzutauchen.

 

Dieses Gewühl von Leuten, die sich um die Wette stoßen und treten, um nur etwas früher ans Ziel zu gelangen, der Lärm und das wirre Durcheinander von Stimmen aus allen Ton-Höhen und Tiefen, Musik und Gesang und Zechgelage hart neben den Gruppen andächtig Betender, das Rollen der Wagen, Pferdegewieher: das alles ist hier auf einem Platz zusammengedrängt, und die schneidenden Kontraste, die diese Szene bietet, geben reichlichen Stoff zur Beobachtung des Volkes. Je näher man den unmittelbaren Umgebungen der Einsiedelei kommt, um desto geräuschvoller und bewegter wird das Treiben. Da wird gesungen, vor uns herrscht Freude, während hinter uns die Tränen der Wehklagenden fließen. Und ist man in der Mitte dieses Wirrwarrs bis zur Pforte glücklich durchgedrungen, so muss man notgedrungen noch in dem dichten Knäuel einen kurzen Halt machen, bis man den Eingang in die Kirche buchstäblich erzwingt.

 

Mit dem Eintritt aber in die Kirche ändert sich die Szene vollkommen: außen das tolle Getümmel, gleichsam ein Bild des Kampfes der menschlichen Leidenschaften, da innen aber der tiefste Ernst, ruhige Sammlung. Es ist die geweihte Stätte der Andacht und des Friedens, und im Haus Gottes muss die menschliche Leidenschaft verstummen und Buße tun. Ungeachtet des schnellen und innerlich gar nicht vermittelten Übergangs von der einen Szene zur anderen, war ich doch ganz ergriffen und fühlte mich in die ernsteste Stimmung versetzt. Tausend und tausend Lichter um das Gnadenbild der heiligen Jungfrau in symmetrischer Ordnung aufgestellt und sich wiederspiegelnd in den Edelsteinen ihrer reichen Gewänder erleichtern dem Beschauenden die aufmerksame Betrachtung. In den Räumen der gleichsam taghell erleuchteten Kirche sieht man zu Tausenden die Andächtigen hinknien und beten. – Es war ein Atmen wie im Himmel.

 

(aus: Skizzen aus Spanien von Victor Aimé Huber von Vandenhöck und Ruprecht 1828)

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67. Mariaschein

 

(Aus der „Geschichte des Wallfahrtsortes Mariaschein“, Andreas Prinz, 1855)

 

Da, wo die waldigen Anhöhen des Erzgebirges, gegen Mittag zu, in Obstbaumhügel sich verlieren, liegt, umsäumt von lieblichen Auen und fruchtbaren Feldern, wie in der Mitte eines großen Obstgartens in einer so zu sagen paradiesisch schönen Gegend, eine Stunde nordöstlich von der Badestadt Teplitz in Böhmen, der berühmte Wallfahrtsort – Mariaschein.

 

Tausend und abermals tausend leidende Christen haben ihren Mitchristen verkündigt, dass ihnen Gott durch die angerufene Fürbitte Marias hier, an dieser Stätte, außerordentliche Gnaden erwiesen habe. Gewiss ist es, dass Gott keinem Menschen, so wie zu keiner Zeit, so auch an keinem Ort der Erde seine Gnade versagt, schon deshalb, da eben er der unbeschränkte Herr der Gnade ist, so steht es ihm vollkommen frei, sie sowohl zu gewissen Zeiten, als an gewissen Orten, reichlicher auf den hilfsbedürftigen Menschen herabströmen zu lassen.

 

Die Geschichte unserer heiligen Kirche ist aber ganz besonders reich an wunderbaren Gebetserhörungen, die auf die Fürbitte Marias, Unserer Lieben Frau, geschehen sind.

 

Das Gnadenbild zu Mariaschein, die schmerzhafte Muttergottes darstellend kam aus dem ehemaligen Frauenkloster Schwatz bei Bilin, hierher.

 

Die grimmigen Hussiten stürmten nämlich im Jahr 1421 das genannte Kloster, und – außer der Plünderung und Zerstörung des Klosters – steckten sie alles, was sonst noch übrig geblieben war, in Brand. Die gottgeweihten Jungfrauen wurden teils ermordet, teils retteten sie sich durch eilige Flucht in das nahe Erzgebirge, und zwar in die Gegend, wo jetzt Mariaschein steht. Die Klosterfrauen hatten auf ihrer Flucht von Schwatz als ihr kostbarstes Gut – das Gnadenbild ihres Kirchleins mitgenommen. Hieraus lässt sich ermessen, dass man schon damals diesem Gnadenbild eine besondere Aufmerksamkeit und Verehrung gewidmet hatte. Die Gegend von Mariaschein war zu jener Zeit eine dichtverwachsene Wildnis, die den armen Vertriebenen wenigstens den Vorteil gewährte, dass sie sich vor den herumschweifenden Kriegsleuten verbergen konnten. Wie mühselig und jammervoll es ihnen ergangen sein mag, wird daraus ersichtlich, dass man den Aufenthaltsort Mariaschein nur „Maria im Elend“ nannte.

 

(Nach Vollendung des Baues der Gnadenkirche, wurde sie durchweg „Mariaschein“ genannt. Veranlassung hierzu gab das Dorf an der Gnadenkirche „Scheune“ oder „Scheine“ benannt. Vermutlich stand an der Stelle des Dorfes vor alter Zeit nur eine Scheune, in deren Nähe die Arbeiter sich nach und nach Wohnungen bauten. Sehr passend ist übrigens der Name „Mariaschein“ für einen Wallfahrtsort zur Ehre Marias, die von unserer heiligen Kirche ja der „Morgenstern“, und „schön wie der Mond“, „auserlesen wie die Sonne“ usw. genannt wird.)

 

Da die Hussiten unter Prokop dem Kahlen wild in der ganzen Umgegend hausten, Dux, Teplitz und Graupen einnahmen und verwüsteten, und alles, was sich als katholisch zeigte, ohne Schonung niedermetzelten, so mussten die armen Klosterfrauen am Tag in die wildverschlungensten Gebüsche sich verstecken, und konnten nur zur Nachtzeit sich herauswagen, um etwas Nahrung zu holen. Die Hussiten hausten so über zwölf Jahre lang, bis zum Jahr 1434, in dem sie am 30. Mai – also im Monat Mariä – eine entscheidende Niederlage erlitten, wodurch das unglückliche Land von dieser furchtbaren Plage befreit wurde. Während der Blut-Herrschaft der Hussiten durfte sich unter Lebensgefahr keine Klosterfrau blicken lassen. Es war deshalb nicht anders möglich, als dass die armen Nonnen ihrem Elend bald unterlagen und eine nach der anderen vom Tod hingerafft wurde. Die letzte der so schwer heimgesuchten Klosterfrauen verbarg vor ihrem Hinscheiden das Gnadenbild in einen Lindenbaum, es dem Schutz der göttlichen Vorsehung anvertrauend.

 

Wie viele Jahre das Gnadenbild sich in der Verborgenheit befunden hat, ist nicht bekannt. Ohne Zweifel war es vor der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, dass eine Magd aus der Bergstadt Graupen am 8. September, dem Fest Mariä Geburt, zu dieser Linde kam, an deren Fuß eine kräftige Quelle hervorsprudelte und üppiges Gras wuchs, um grünes Futter zu holen. Während sie Gras sammelt, springt eine furchtbare Schlange aus dem Gras auf und schlängelt sich um ihren entblößten Arm. Das entsetzte Mädchen lässt vor Schrecken die Sichel fallen und bricht in einen kläglichen Angstruf aus und fleht die heilige Muttergottes um Hilfe an. Während dieses Gebetes aber erhebt die Schlange ihren Kopf zu der Höhlung der Linde hin, wo das Gnadenbild der schmerzhaften Mutter verborgen war, und zischt zu ihm hin auf eine so grimmige Art, dass dies selbst dem schwerbedrängten Mädchen auffallend wurde. Nach langem Zischen und Pfeifen (Dieses Zischen der Schlange erinnert unwillkürlich an die Stelle der Heiligen Schrift, wo Gott Feindschaft zwischen der Mutter des verheißenen Erlösers und der Schlange setzt. Gen 3,15) fällt die Schlange, als wäre sie allplötzlich erlahmt, von ihrem Arm herab in das Gras, ohne die Magd im Mindesten verletzt zu haben, und verschwand spurlos. Wundersame Lichtstrahlen gingen aber von dem Lindenbaum aus. Das zuerst so unglückliche Mädchen, das hier sichtbar von Maria war beschützt worden, eilte heim, erzählte ihrem Dienstherrn das Geschehene, und diesem Mann schien hier Außerordentliches zu geschehen. Er besprach sich mit einem anderen Bürger in Graupen, und beide begaben sich zu der Linde, um die Sache näher zu untersuchen. Vielleicht hoffte er dort einen verborgenen Schatz zu finden, den, einem vielfach im Volk verbreiteten Aberglauben nach, eine Schlange zu bewachen pflegt. Einer der beiden untersucht die Höhlung der Linde und findet dort wirklich einen großen Schatz – zwar keinen irdischen – aber einen reichen Seelenschatz – das hier verborgene Bildnis der schmerzhaften Muttergottes. Von Ehrfurcht ergriffen getraute sich der Finder nicht, dieses Bild anzurühren, sondern begab sich mit seinem Begleiter zu dem Pfarrer von Graupen und beide erzählten ihm, was mit der Magd sich zugetragen hatte, und dass sie in einer hohlen, drunten im Tal stehenden Linde eine Statue der heiligen Muttergottes gefunden hätten. Das, was diese beiden, dem Geistlichen gewiss als Ehrenmänner bekannten Bürger, erzählt haben, ist ihm ein genügender Grund – eine feierliche Prozession anzuordnen, um auf eine geziemende Weise das Muttergottesbild in die Pfarrkirche nach Graupen zu übertragen. Die feierliche Prozession und Übertragung des Bildes wurde unter großer und andächtiger Teilnahme des Volkes abgehalten und der kostbare Schatz in der Graupener Pfarrkirche beigesetzt. Wie groß aber war das Staunen des Volkes, als das Bild am nächsten Morgen an seinem Platz nicht mehr zu finden war. Nachdem man es in der Kirche überall vergebens gesucht hatte, sah man wieder in der Höhle der Linde nach – und man fand es wieder an seinem alten Platz. Es wurde nun abermals feierlich in die Graupener Kirche übertragen, verschwindet wieder und wird aufs Neue in der Linde aufgefunden. Und so geschah es zum dritten Mal. Wie listig auch jemand es immer hätte anstellen wollen, das Bild heimlich in der Nacht aus der Kirche in die Linde zurück zu bringen, so ist es nicht denkbar, dass er dies bei der allgemein erregten Aufmerksamkeit der Stadtbewohner zum zweiten oder zum dritten Mal hätte durchführen können, ohne dass irgend ein Mensch etwas davon gemerkt hätte. Das Volk schrieb daher mit gutem Grund diese Übertragung unsichtbaren Händen zu, nämlich den Händen der Engel, als deren Königin wir Maria in der von der Kirche gebilligten Lauretanischen Litanei begrüßen.

 

Das Gnadenbild wurde nun an seiner Stelle in der Linde gelassen und die frommen Graupener Bürger bauten sogleich vor der Linde für die andächtigen Beter eine hölzerne Kapelle. Wahrscheinlich war die Bürgerschaft durch die Nachwehen der Hussiten-Bedrängnisse so sehr verarmt, dass sie eine Kirche nicht zu erbauen vermochte. – Gar oft pilgerten nun Preßhafte und Leidende zu dieser Stätte, riefen inbrünstig die schmerzhafte Muttergottes um ihre Fürbitte an, und es begannen jetzt jene wunderbaren Gebetserhörungen, die die Stätte hier als einen „Gnadenort“ bezeichneten. Der Ort wurde immer berühmter und besuchter, und bald stand an der Stelle der hölzernen Kapelle eine aus Stein. Der Dank derjenigen, die hier auf eine außerordentliche Weise Hilfe gefunden haben, kündete sich der Mit- und Nachwelt durch die fast unzähligen Votiv-Tafeln an. Das noch vorhandene älteste Votiv-Bild trägt die Jahreszahl 1433 und den Namen Wenceslaus Zyma von Nowosedt (Neusattel). Die Kleidung dieses Verehrers der schmerzhaften Muttergottes und sein Wappen lassen an ihm einen edlen Ritter seiner Zeit erkennen.

 

Zu der Kapelle aus Stein wurde 1500 ein Langhaus angebaut, so dass die alte Kapelle nur als Presbyterium blieb. Zu diesem Bau hat der ebenso fromme als geschäftskundige Kanzler des Königreichs Böhmen Albrecht Kolowrat auf Liebstein das meiste beigetragen.

 

Zur Zeit der sogenannten Reformation, die gleichfalls, wie ehedessen die Hussiten, den Bildersturm hervorrief, war das Gnadenbild zu Mariaschein in größter Gefahr, besonders weil der damalige Besitzer des Grundes sich zur lutherischen Lehre bekannte. Dieser Edelmann, Albrecht Kekule mit Namen, Besitzer der Geiersburg, führte einen gar unchristlichen Lebenswandel, so dass man ihn nur den „Epikuräer“, d.h. „Genussmenschen“, nannte. Er unterließ nichts, um das Zuströmen der Wallfahrer unmöglich zu machen und die Verehrung der heiligen Muttergottes gänzlich zu untergraben, ja er hätte überaus gerne die Kirche dem katholischen Gottesdienst entzogen, oder gar geschleift und das Gnadenbild zermalmt, wenn ihn die Furcht vor seinem katholischen Landesherrn nicht gezügelt hätte. Es grenzt wirklich ans Wunderbare, wie in jener stürmischen Zeit das Gnadenbild so vielen feindlichen Händen entgangen, erhalten und unverletzt geblieben ist.

 

Im Jahr 1584 kaufte der edle Georg Popel von Lobkowitz die Herrschaft Graupen. Sein Eifer für den katholischen Glauben und seine kindliche Andacht zu der göttlichen Gnadenmutter ruhten nicht, bis er die Kirche von Mariaschein außer Gefahr gebracht hatte. Auf seine Schilderung über den Zustand der Mariascheiner Kirche wurde sie von der Kammer des Königreiches im Namen des Kaisers Rudolph II. als unter seinem Patronat stehend erklärt. Sogleich ließ er die ruinierte, fast verfallene Kirche wieder herstellen, führte um sie herum eine Ringmauer mit sieben Kapellen auf, in denen die sieben Schmerzen Marias abgebildet waren. – Dies legte den Grund zu dem jetzigen schönen Kreuzgang mit seinen ansehnlichen Kapellen. Die Erneuerung der Kirche und der Bau der Ringmauer mit den Kapellen wurde von dem glaubenseifrigen Beförderer im Jahr 1590 vollendet.

 

Es war aber bis jetzt noch kein Priester an der Kirche angestellt. Damit nun das heilige Messopfer doch wenigstens manchmal hier gefeiert würde, machte der großmütige Wohltäter des Gotteshauses eine Stiftung, durch die in jeder Woche, und zwar an dem der heiligen Muttergottes geweihten Tage, dem Samstag, eine heilige Messe hier gelesen werde. Nach dem hierüber ausgefertigten Stiftungsbrief soll die heilige Messe dazu dienen: „um das Aufblühen der Andacht zu Maria, die Ausbreitung des heiligen katholischen Glaubens, Aufhebung der Glaubensspaltungen, Beendigung des Krieges zwischen den christlichen Fürsten und Abwendung aller Übel vom Königreich Böhmen, besonders der Pest, des Hungers und Krieges, von Gott zu erlangen.“ – Diese Stiftung besteht noch bis auf den heutigen Tag, und bereits mehr als viereinhalbhundert Jahre wird an jedem Samstag das heilige Messopfer auf die innig fromme Meinung des Stifters hier zelebriert.

 

Da jedoch die Pilger zu dieser Gnadenstätte auch an anderen Wochentagen als am Samstag kamen und aus Mangel eines hier weilenden Priesters der Gelegenheit entbehrten, die heiligen Sakramente zu empfangen, so glaubte Georg Popel von Lobkowitz diesem Missstand nicht besser abhelfen zu können, als wenn er die Kirche zur schmerzhaften Muttergottes den Vätern der Gesellschaft Jesu, für die er unlängst ein Kollegium in Komotau gegründet hatte, für immerwährende Zeiten übergebe. Dies wurde im Jahr 1591 ausgeführt.

 

Der hohe Adel von Böhmen an dessen Spitze der damalige Erzbischof von Prag Carl von Lamberg stand, gab 1610 allen Gläubigen ein recht erbauendes Zeugnis seines katholischen Glaubens und seiner Andacht zur heiligen Muttergottes durch die fromme Wallfahrt, die er am Fest Mariä Geburt nach Mariaschein unternahm. Dieses Beispiel hochgestellter Personen verlieh der Verehrung Unser Lieben Frau und dem Vertrauen auf ihre mächtige Fürbitte bei Gott einen neuen Aufschwung, und die andächtigen Pilger begannen nun sehr zahlreich zu werden.

 

Auf die Bitte der ehrwürdigen Jesuiten-Väter verlieh Papst Paulus V. den frommen Besuchern der Kirche von Mariaschein unter den herkömmlichen Bedingungen einen vollkommenen Ablass für das Hauptfest „Mariä Geburt“.

 

Mit dem Jahr 1618 brach ein furchtbarer Sturm über unser Vaterland los. Die Protestanten hatten in Böhmen die ihrem rechtmäßigen König Ferdinand geschworene Treue gebrochen und Friedrich von der Pfalz zu ihrem König gewählt. Die vorherrschend protestantischen Stände Böhmens wünschten mit ihrem protestantischen Afterkönig nichts sehnlicher, als den katholischen Glauben aus dem Land zu verdrängen. Eine ihrer ersten Beschlüsse war: eine Achterklärung aller Jesuiten in Böhmen. – Noch bevor der damalige Rektor des Komotauer Collegiums, P. Daniel Stigelius für die Sicherheit seiner in Komotau und Mariaschein befindenden Mitbrüder Anstalten traf, war er um die Rettung des Gnadenbildes besorgt. Er bat zu diesem Zweck den damaligen Dechant von Dur, Johannes Simonis von Rosenfels, ob er es nicht in seine Obhut nehmen könnte und wollte. Dazu erklärte sich der fromme Dechant sofort bereit. Beide ritten nun, der drohenden Gefahr wegen, in weltlichen Kleidern nach Mariaschein. Das Gnadenbild wurde gleich in aller Eile fortgenommen. – Aber schon hatte eiligst der berüchtigte Besitzer der Geiersburg Albrecht Kekule bewaffnete Leute gesammelt, und während der gewöhnlichen Zeit der Predigt die Kirche und die Jesuiten zu überfallen, die beide ihm sehr verhasst waren. Noch in der vorhergehenden Nacht hatten die Jesuiten die ankommenden Wallfahrer Beichte gehört, die heilige Kommunion gespendet und nach Mitternacht die Heilige Messe gelesen. Während der Pater Rektor von Komotau die Heilige Messe feierte, brachte ihm der Messner die Nachricht: die Bauern von Scheine (Scheune – der jetzige Ort Mariaschein) versammelten sich bereits im Wirtshaus. – Der Pater Rektor beendete ganz ruhig das heilige Opfer, konsumiert die vorhandenen konsekrierten Hostien (um sie vor gottesräuberischem Frevel zu schützen) und bereitete sich so, als ob er die letzte heilige Wegzehrung empfangen hätte, auf den Tod vor. Weil aber am Schluss des Gottesdienstes noch kein Bewaffneter erschienen war, gewann er die hinreichende Zeit, seinen vorausgeeilten Mitbrüdern nachzufolgen. Während der Zeit der Predigt stürmte der wüste Kekule mit seinem Anhang in die Kirche, und fand, zu seinem größten Verdruss, sowohl das Gnadenbild als auch die Jesuiten verschwunden; nur noch wenige Wallfahrer, die still und andächtig in der Kirche knieten, waren seinen Misshandlungen ausgesetzt. Nun war in Kekule der sehnlichste Wunsch, die Marianische Gnadenkirche zu einem protestantischen Bethaus zu machen. Aber eine gewisse Scheu und unwillkürliche Furcht hielt ihn auf eine unerklärliche Weise zurück, die Kirche selbst dem gestifteten Zweck zu entziehen. Er begnügte sich deshalb nur mit einer der größeren Kapellen.

 

Der Sieg, den die Katholiken im Jahr 1620 in der Schlacht am weißen Berg bei Prag, nachdem sie sich feierlich unter den Schutz Mariens gestellt hatten, erfochten hatten, brach die Macht der Sektierer in Böhmen, und nach einem Zeitraum von drei Jahren bezogen die Väter der Jesuiten in Mariaschein wieder ihre Wohnung, und zwar gerade an dem Tag (am Pfingstdienstag), an dem sie vor drei Jahren vertrieben worden waren. Kekule hatte in der Zeit der Unruhe seine Frevel gegen die Gnadenkirche nach Möglichkeit fortgesetzt. Aber schon am 21. August 1622 brachte ihn ein jäher, schauererregender Tod nach einem gar ärgernisvollen Leben vor den Richterstuhl Gottes. Es erhoben sich gegen ihn Klagen von allen Seiten. Nachdem das Gericht ihn als „Majestätsverbrecher“ verurteilt hatte, wurden seine Güter Geiersberg und Sobochleben eingezogen und später an Alexander Regniers Freiherrn von Bleyleben verkauft. Dessen fromme Gemahlin Maria Anna geborene Freiin von Pichelberg, die ihren Gatten und Sohn überlebte, vermachte in ihrer letztwilligen Anordnung diese ganze Besitzung dem Gotteshaus Mariaschein. Und so leitete es die göttliche Vorsehung, dass die Güter des ehemaligen Erzfeindes dieses Hauses dazu dienen mussten, es bald umso schöner zu erbauen und einzurichten.

 

Während des dreißigjährigen Krieges erbrachen in der Nacht vom 13. November 1632 sächsische Soldaten die Kirche und plünderten sie so vollkommen aus, dass nur sechs alte Messgewänder und ein alter Vespermantel zurückblieben. Diese Gegenstände schonte man aber nur, weil sie sich als unverkaufbar erwiesen. Das Gnadenbild wäre bei dieser Gelegenheit von den glaubensfeindlichen Soldaten wahrscheinlich zertrümmert worden, wenn nicht glücklicher Weise Carl Maximilian, Sohn des erwähnten Besitzers der Geiersburg, und Alexander Regniers, über die Annäherung der Feinde vorläufig verständigt, es in Sicherheit gebracht hätten. Sie sandten es nämlich, wohl verpackt, ehe noch jemand ernsthafte Furcht zeigte, nach Prag, wo man es den Patres der Jesuiten in der Altstadt übergab und es dort bis zum Jahr 1633 aufbewahrte. In jenem Jahr kam zwar das Gnadenbild an seine alte ehrwürdige Stätte zurück, musste jedoch 1639 aus Gefahr vor den Schweden wieder nach Prag gesendet werden. Im Jahr 1641 wurde es zuerst nach Komotau gebracht und von da in einem feierlichen Triumphzug unter dem Jubel der Bürger von Komotau, Brüx, Dux und Teplitz nach Mariaschein zurückgeleitet. Die Komotauer Bürgerschaft hatte einen herrlichen Triumphwagen für das Gnadenbild verfertigen lassen und sechs zierlichst geschmückte Schimmelpferde zogen ihn. Die Brüxer Bürger empfingen vom Schloss Landschwerdt aus mit einer dreimaligen Salve des großen Geschützes das Gnadenbild. Sie selbst aber waren zu Pferd und in militärischer Ordnung unter Trompetengeschmetter und Paukenschall dem Gnadenbild entgegengeeilt. Dieser Triumphzug war somit ein herrlicher öffentlicher Beweis für den frommen Sinn dieser Städte und besonders ihrer Andacht zu der göttlichen Gnadenmutter.

 

Der Wechsel des Kriegsglücks zwang jedoch während der Dauer des unglückseligen dreißigjährigen Krieges das Gnadenbild noch zwei Mal, seinen ursprünglichen Wohnsitz zu verlassen und eine vom Kriegsgetümmel entfernte, friedliche Stätte aufzusuchen.

 

Als die durch Alter und mehrfache Unfälle dem Einsturz nahe Kirche dringend einen Umbau verlangte, wurde das Gnadenbild innerhalb der Zeit, die der Bau der jetzigen Kirche in Anspruch nahm, in die Leitmeritzer Kapelle übertragen. In der neuen Kirche, die noch steht und ihre Gestalt nach der Angabe der Jesuitenväter erhielt, wurde der Hochaltar mit dem Gnadenbild gerade an jene Stelle gesetzt, wo einst die so merkwürdige Linde gestanden hatte. Der Neubau ging, aus Mangel an zureichenden Mitteln, nur langsam vor sich. Der wohltätige Sinn der ganzen Nachbarschaft, besonders des löblichen Stiftes Osseg, des hochwürdigen Dechants von Brüx, Johannes Franziskus Kometa, der Stadt Aussig, des Grafen Octavius von Cavriani (damaligen Besitzers von Priesten) hat sich bei diesem Bau aufs Neue bewährt. Nach einem Zeitraum von vier Jahren, nämlich 1706, war die Kirche in so weit vollendet, dass der Gottesdienst in ihr konnte gehalten und das Gnadenbild dahin zurückgebracht werden. Die Übertragung des Gnadenbildes in die neue Kirche geschah am 5. September 1706 unter Begleitung zahlreicher Priester und eines zahllosen Volkes und zwar mit einer großartigen Feierlichkeit.

 

Aber schon im Jahr 1707 musste das Gnadenbild – wegen Feindesgefahr – wieder in Sicherheit gebracht werden. Man sandte es nach Prag. Glücklicherweise kam es aber noch in demselben Jahr vor dem Fest Mariä Geburt an seine Wohnstätte zurück und diese Heimkehr geschah gleichfalls unter großem Jubel der Gläubigen und mit herzerhebender Feierlichkeit. Ein frommer Priester hatte von Prag aus zumeist mit seinen eigenen Händen das Gnadenbild nach Mariaschein getragen. Zum Lohn dafür wurde er von den heftigen Steinschmerzen, an denen er litt, befreit. –

 

Über dem herrlichen Portal der Kirche steht eine Statue der schmerzhaften Muttergottes von Stein, ihr zur Seite zwei ebenfalls steinerne Statuen von Engeln. Rechts erhebt sich das Standbild des heiligen Ignatius von Loyola und links das des heiligen Franziskus Xaverius. Ganz oben an der Frontseite der Kirche stehen die Statuen der heiligen Apostelfürsten Petrus und Paulus, an der Mittelseite jene der heiligen Ludmilla, des heiligen Wenzeslaus, des heiligen Johannes von Nepomuk und des heiligen Procopius, an der Mitternachtsseite die Statuen der heiligen Anna, des heiligen Vitus, des heiligen Joseph und des heiligen Adalbertus.

 

Tritt man nun durch das Haupttor in die Kirche selbst ein, so wird die Würde und die Lieblichkeit dieses Gotteshauses auf den Beschauer einen tiefen Eindruck machen.

 

„Wie lieblich bist du Gnadenort,

An dem Marias Liebe scheinet

Gleich einer Sonne fort und fort:

Wo Erd und Himmel sich vereinet!“

 

Der harmonische Bau misst in seiner Länge 170 und in seiner Breite 82 Fuß. Da über die ganze Breite der Kirche sich nur ein einziger Wölbungsbogen in einer schwindelnden Höhe schwingt, so ersetzt dies das Majestätische eines gotischen Baus – ohne das Anmutige zu verlieren, was ja einer Kirche unserer himmlischen Gnadenmutter nie mangeln soll.

 

Der Hochaltar macht einen großartigen, feierlichen und erhebenden Eindruck. Die Form eines auf vier Säulen ruhenden Triumphbogens ist imposant und sinnreich, sie erinnert uns an jenen Ehrentitel der lauretanischen Litanei, mit dem wir die heilige Gottesmutter die „Himmelspforte“ nennen. Das herrliche Schnitzwerk, das sich über die vier steinernen Säulen zum Gewölbe in der Gestalt von Blättern hinaufschwingt, erinnert an die merkwürdige Linde, die hier an jener Stelle wurzelte, wo jetzt der Hochaltar steht. An dem oberen Teil des Hochaltars begegnen unseren Blicken die Statuen der vier Evangelisten und mehrerer heiligen Engel, die die Leidenswerkzeuge des göttlichen Heilands tragen. Die Weltkugel mit dem schönen Kreuz, das den Altar mit dem Gewölbe verbindet, ziehen unwillkürlich Auge und Gemüt zu sich empor.

 

Wir lenken nun unsere ganze Aufmerksamkeit zu dem merkwürdigsten Gegenstand dieser Kirche, zu dem Gnadenbild der schmerzhaften Muttergottes, das in der Mitte des Altars über dem Tabernakel sich befindet. – Es ist eine kleine Statue – beiläufig fünf Zoll hoch und ein Pfund im Gewicht – anspruchslos wie alle Gnadenbilder Marias – eine lebendige Predigt der Demut. Der Stoff, aus dem das Gnadenbild besteht, ist eine Ton-Art, die, wie Chemiker nach gepflogener Untersuchung bezeugten, sich bei uns nicht vorfindet. Da im 11. Und 12. Jahrhundert die meisten Heiligenbilder aus Palästina gebracht worden sind, ja der Orden jener Klosterfrauen, von denen dieses Bild herrührt, aus Palästina stammt, von wo er durch die Sarazenen vertrieben worden ist, so hält man mit gutem Grund dafür, dass die „Gnadenstatue“ gleichfalls aus dem Heiligen Land sei. – Da man das Gnadenbild den Wallfahrern zum Küssen zu reichen pflegt, so wurde es 1709, um es gegen Abnutzung mehr zu schirmen, mit Goldblech überzogen. Der herrlich geschnitzte Hochaltar, der so eingerichtet ist, dass auch auf dessen Rückseite die Heilige Messe gefeiert werden kann, ist ein Werk des Andreas, Bildhauer aus Prag, und wurde mit seiner Vergoldung 1714 vollendet. Ringsherum an dem Altar stehen Statuen der heiligen Apostel. Ebenso befinden sich rings um den Altar, sowie auch bei den Nebenaltären, Kästen, bestimmt zur Aufopferung der Votiv-Tafeln und Opfer, die die Gläubigen aus Dankbarkeit für die Erhörung ihrer Gebete dargebracht haben.

 

Die zahllosen in der Kirche aufgehängten Votiv-Tafeln und die Jahresberichte von Mariaschein bekunden in den vielen und wunderbaren Gebetserhörungen: dass hier wirklich eine „Marianische Gnadenstätte“ sich befinde.

 

Wie groß mag erst die Zahl der wunderbaren Gebetserhörungen sein, die zu keiner öffentlichen Kenntnis kommen.

 

Wichtiger noch als die wunderbaren Heilungen körperlicher Gebrechen, sind die übernatürlichen Gnaden für die unsterblichen Seelen, besonders für jene, die in dem schauerlichen Schatten der Todsünden sich befinden, vor Gott, dem Allerheiligsten, und vor Maria, der Allerreinsten, also geistig tot sind. – Viele Personen, und unter denen auch Personen aus den höheren Kreisen der Gesellschaft, haben bekannt, dass sie an diesem „heiligen Ort“ innerlichst bewegt wurden – dass sie zur Erkenntnis ihres sündhaften Zustandes, zur vollkommenen Reue und einem ernstlichen Vorsatz der Besserung, sowie zu einer aufrichtigen Beicht ihrer von Kindheit an begangenen Sünden sich machtvoll angeregt fühlten. Die heiligen Schutzengel allein wären imstande, all jene zu zählen, deren Seelenwunden hier geheilt wurden, die den Frieden mit Gott, die Ruhe ihres Gewissens, das ist, das „übernatürliche Leben“ ihrer unsterblichen Seelen hier wieder finden. Es bleibt uns ja durch die Heilige Schrift verbürgt: „Gott ist reich für alle, die ihn anrufen“, Röm 10,12 „du gibt allen reichlich“ Jak 1,5.

 

Und dennoch wird mancher nicht erhört, obgleich er als Pilger kam und für sein Anliegen die Fürbitten Marias angerufen hat, nämlich:

 

1. Wenn er um irgendetwas bittet, was ihm schädlich wäre. Ach, wie viele törichte und gefährliche Wünsche hat der Mensch. Es ist nicht zu bezweifeln, dass gar manche ihr Seelenheil in Krankheit und Armut wirken, die die Gesundheit und den Wohlstand zu ihrem zeitlichen und ewigen Verderben missbraucht hätten. Gott nun kennt in seiner Allwissenheit dasjenige am besten, was uns wahrhaft frommt oder schadet. Manchen Betern müssten darum ernstlich die Worte des Herrn zugerufen werden: „Ihr wisst nicht, um was ihr bittet.“ Mt 20,22

 

2. Eine andere Ursache bezeichnet uns St. Jakobus mit dem Ausspruch: „Ihr bittet und erlangt es nicht, weil ihr in der üblen Gesinnung bittet, dass eure Lüste befriedigt werden.“ Jak 4,3

 

Wir bitten schlecht auch, wenn wir ohne Andacht, ohne Demut, besonders aber mit einem durch die Sünde verunreinigten Herzen bitten. In letzterem Fall müssen wir unsere Missetaten und Fehltritte erkennen, sie aufrichtig bereuen und besonders durch den würdigen Empfang des heiligen Sakramentes der Buße uns wieder in den Stand der Gnade Gottes zu versetzen trachten.

 

3. Eines der Haupthemmnisse der Erhörung unserer Bitten ist der Mangel an Glauben und Vertrauen für unsere glaubensarme, für den Dienst Gottes und Mariä gleichgültige, und in Sinnengenüsse tief versunkene Zeit. – Als Petrus, auf den Befehl des Herrn über dem Wasser wandelnd, zu zweifeln anfing, begann er auch unterzusinken, und der Herr machte ihm die Ursache davon in dem gegebenen Vorwurf kund: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ Mt 14,31

 

4. Endlich verschiebt Gott öfters die Gewährung unserer Bitte auf eine günstigere Zeit, die mehr in seine unerforschlichen Ratschlüsse und zu unserem wahren Heil passt. Dies ist uns besiegelt in dem Wort Jesu Christi: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Joh 2,4 Und da können wir nichts Besseres tun, als Gott alles anheimzustellen und nur mit gänzlichster Ergebung in seinen allerweisesten Willen unsere Bitten auszusprechen und der Huld Marias anzuempfehlen. –

 

Der Marienbrunnen entspringt unter dem Hochaltar in der Kirche, an jener Stelle, wo ehedessen die Linde stand, in der das Gnadenbild verborgen gewesen war. – Eben am Rand dieser Quelle hatte die Magd aus Graupen, durch die das Gnadenbild entdeckt wurde, Gras gesammelt. Die Quelle ist unterirdisch bis hierher geleitet und fließt mitten durch den Fußboden der ovalförmigen, schön gewölbten Halle. Durch vier runde Öffnungen, die am Fußboden der Halle angebracht sind, kann das helle frische und wohlschmeckende Wasser dieser reichlichen Quelle geschöpft werden. Das Gewölbe der Halle verliert sich in eine Kuppel, an deren Spitze ein vergoldetes Hirschlein prangt, erinnernd an die Worte der Heiligen Schrift: „Gleichwie der Hirsch nach Wasserquellen lechzt, so sehnt sich meine Seele nach dir, o Mein Gott!“ Psalm 41,2 Das Wasser wird sehr bezeichnend als ein Sinnbild der göttlichen Gnade dargestellt. Dahin bezüglich lautet die Weissagung des Propheten Jesaja: „Ihr werdet mit Freuden aus den Quellen des Erlösers Wasser schöpfen.“ Jes 12,3 Und gar tröstlich spricht Jesus Christus, der Verwirklicher dieser Verheißung, zu einem jeden von uns: „Wer von dem Wasser trinken wird, das ich ihm geben werde, der wird in Ewigkeit nicht dürsten. Das Wasser, dass ich ihm gebe, wird ihm zu einer Quelle werden, die in das ewige Leben hinüber strömt.“ Joh 4,13-14 – Das Wasser aber reinigt den Leib und löscht den Durst usw., die Gnade Gottes aber läutert und stärkt unsere Seelen und stillt ihren Durst nach himmlischen Dingen. Unsere Kirche nennt darum auch Maria die „Mutter der göttlichen Gnade“, weil, wie die heiligen Väter einstimmig sagen: der Gottmensch Jesus Christus, die durch seinen Opfertod am Kreuz verdiente Gnade durch die milden Hände seiner gebenedeiten Mutter ausspendet. Da nun das Wasser ein Symbol der Gnade ist, so erinnert es uns zugleich an die Mutter der göttlichen Gnade. Und es erweist sich geradezu als höchst merkwürdig: dass fast bei allen jenen Kirchen, in denen Maria auf eine besondere Weise verehrt wird, eine Wasserquelle hervorsprudelt. Das ist jedoch nicht so zu verstehen, als ob eine solche Quelle übernatürliches Wasser besäße, oder übernatürliche Wirkungen durch sich selbst hervorbrächte. Aber es ist ein Mittel: uns an die unbefleckt empfangene und stets allerreinst gebliebene Jungfrau, die die Mutter der göttlichen Gnade ist, zu erinnern. Der Trunk aus der Marienquelle soll uns zu dem Trunk aus der Gnadenquelle – durch kindliches Gebet und den Empfang der heiligen Sakramente – sinnig und anmutig gemahnen. Und es lässt sich auch nicht leugnen, dass Gottes Allmacht, auf die demütigst angerufene Fürbitte Marias, an dieser Quelle wunderbare Wirkungen bei vielen Menschen hervorgebracht hat, die allerdings ihr Herz im heiligen Bußsakrament durch die Gnade des Herrn von aller Sünde gereinigt hatten. Der geistigen Hilfe und Erquickung folgte bei den Pilgern zumeist auch die leibliche. Jedenfalls bezeugen die jährlichen Rechenschaftsberichte von Mariaschein viele wunderbare Heilungen, besonders an Augenkranken, die mittelst des Genusses des Wassers aus dieser Quelle erfolgt sind. Zum sichtbaren Ausdruck des Dankes dienen auch hierüber die vielen, vielen Votiv-Tafeln der von Gott durch Marias Fürbitte hier gesegneten und geheilten Pilger.

 

 

68. Santiago de Compostela

 

Moderne Lourdes-Pilger, die in komfortablen Reisebussen in ein oder zwei Tagen über Orléans, Tours, Poitiers, St. Jean d`Angly und Bordeaux an den Fuß der Pyrenäen gebracht werden, machen sich wohl kaum Gedanken darüber, dass sie einem Pilgerweg folgen, der schon Jahrhunderte alt ist. Über dieselben Straßen zogen in früheren Zeiten die Pilger des Mittelalters nach dem Lourdes ihrer Zeit: Santiago de Compostela. Die großen Pilgerkirchen an dieser Straße erinnern noch daran. Hier kamen die Pilger auf ihrer langen Pilgerfahrt nach Spanien nicht nur zum Beten zusammen, sondern diese Kirchen dienten auch dazu, den zahlreichen Pilgern für die Nacht ein Unterkommen zu gewähren. Aus Dankbarkeit für die gute Versorgung, die sie unterwegs empfangen hatten, ließen sie auf dem Rückweg einige der charakteristischen Compostela-Andenken zurück: Muscheln vom Strand von Galizien. So findet man an manchen Orten an diesem Weg noch die typischen Muschel-Verzierungen, die in Spanien so vielfältig vorkommen.

 

Fürsten, Herzöge und Grafen, aber auch Minderbemittelte aus den sich entwickelnden Städten sind einst als Büßer diesen Weg gegangen, um am Grab von St. Jakobus Vergebung ihrer Sünden oder eine andere Gunst zu erlangen. Im 11. Jahrhundert zog selbst der Erzbischof von Mailand als Büßer nach Compostela, weil er sich nicht an die Richtlinien Roms gehalten und deshalb vom päpstlichen Legaten eine Zurechtweisung empfangen hatte. Einige Jahrhunderte später begab sich die hl. Birgitta von Schweden, bevor sie ihren Orden stiftete, mit ihrem Mann, dem Edlen Ulf Gudmarssen, nach Compostela, um am Grab des hl. Jakobus zu beten.

 

Vor allem durch die Verbesserung der Straßenverhältnisse und die Entwicklung des französischen Ritterwesens wurde Compostela als Wallfahrtsort immer bekannter. Als das religiöse Empfinden der französischen Ritter immer feuriger wird, sind sie vor allem für die Äußerlichkeiten des religiösen Lebens empfänglich. Zum Teil durch religiöse Motive angeregt, aber auch von der Aussicht auf Abenteuer getrieben, ziehen sie über die Grenzen Frankreichs, um Rom, die hl. Orte in Jerusalem, vor allem aber um Compostela zu besuchen. Gelegenheit, ihren Heldenmut zu beweisen, erhielten sie hier mehr als genug, denn Santiago de Compostela, in der Nordwestecke Spaniens gelegen, war stets in Gefahr, in die Hände der Mauren zu fallen, die fast ganz Spanien in ihrer Macht hatten. In der Vergangenheit hatten die Bewohner von Compostela deren Macht schon zu spüren bekommen, als sie im Jahr 997 als Kriegsgefangene der Mohrenfürsten Ahnansor d. Gr. die Glocken ihres Heiligtums auf den Schultern nach Cordoba tragen mussten, wo sie als Leuchter in der Moschee verwendet wurden.

 

San Yago erhörte das Gebet derjenigen, die so treu sein Grab in Compostela besuchten. Galizien blieb den Christen erhalten. Die Ritter drängten die Mauren immer weiter zurück, und nach dem Fall von Cordoba im Jahr 1236 kehrten die Glocken, diesmal von maurischen Kriegsgefangenen getragen, wieder in das spanische Nationalheiligtum zurück.

 

Inzwischen war Compostela als Wallfahrtsort weit und breit bekannt geworden. Die meisten französischen, englischen und skandinavischen Kreuzfahrer besuchten es auf ihrer Fahrt ins Hl. Land oder auf dem Rückweg.

 

Durch Verleihung einer Anzahl Privilegien ermutigten die Päpste die Christen zum Besuch. Das wichtigste dieser Vorrechte ist ohne Zweifel das des Papstes Callixtus II., das später, im Jahr 1179, durch Alexander III. für immer verliehen wurde. Dieses Privileg schenkt Compostela das Recht, in jedem Jahr, in dem das Fest des hl. Jakobus auf einen Sonntag fällt, ein Heiliges Jahr auszurufen, das mit denselben Vorrechten ausgestattet ist wie das Heilige Jahr in Rom.

 

Die Kathedrale von Compostela ist der Reliquienschrein für die sterblichen Überreste des hl. Jakobus, die in einer Krypta unter dem Hauptaltar aufbewahrt werden. Durch einen engen, gewundenen Gang kann man in diese Krypta hinabsteigen. Unter einem romanischen Bogen, der von zwei granitenen Säulen getragen wird, befindet sich der kleine Altar mit den Gebeinen.

 

Einer Legende zufolge hat der Bischof von Iria, Flovia, einst, geführt von einem wunderbaren Stern, unter einer Eiche die Stelle entdeckt, wo der hl. Jakobus begraben lag; daher der Name Compostela (das Feld der Sterne).

 

Ebenso wie die römischen Jubiläums-Basiliken hat auch die Kathedrale von Compostela eine hl. Tür, die mit drei Hammerschlägen, unter dreimaliger Anrufung des Heiligen nur durch den Erzbischof geöffnet und geschlossen werden darf. Die hl. Tür liegt an der Rückseite der Kathedrale unter einer Doppelreihe von Zimmern, welche die Apsis umranden. Im Gegensatz zu der prunkvollen, mit vielen Ornamenten verzierten Vorderfront ist die Rückseite der Kathedrale streng und einfach gehalten.

 

In den Jahren, die zwischen den Jubiläen liegen, ist die hl. Tür mit einem Eisengitter abgeschlossen. Zu beiden Seiten sind in zwei Reihen Reliefs von Propheten und Aposteln angebracht. Über der Tür befinden sich drei Nischen. In der mittleren Nische steht eine Figur des hl. Jakobus, die sich nach vorne beugt, als ob sie die Pilger zum Eintreten einladen wolle. In den beiden Seitennischen stehen die Heiligen Theodor und Athanasius.

 

Auch im vorigen Jahr fiel der 25. Juli, der Festtag des hl. Jakobus, auf einen Sonntag, und damit war dieses Jahr für Compostela ein Heiliges Jahr.

 

Am Silvesterabend 1953 hat der Erzbischof, Kardinal Fernando Quirogay Palacios, umringt von sieben Kanonikern, die das seltene Vorrecht besitzen, das rote Kardinalskleid und die Mitra zu tragen, die heilige Tür geöffnet. Auch dieses Mal wurde die Zeremonie mit großer Feierlichkeit begangen, aber von der großen Pracht der Vergangenheit, die den Vergleich mit den Festlichkeiten der römischen Kathedralen aushielt, ging doch etwas verloren.

 

Die Basilika selbst trug ihren reichsten Schmuck. Die kostbaren Gobelins, die nach Entwürfen von Goya angefertigt wurden und sonst im Kapitelsaal hängen, zierten den Klosterhof neben der Kirche. Vom Gewölbe des Querschiffes der Kathedrale hing die Butafumeiro herab, ein riesiges einen Meter hohes Weihrauchfass, von dem sich die schweren Weihauchwolken durch die Schiffe der Kirche verbreiten.

 

Jeder Pilger, der im Heiligen Jahr Compostela besucht, geht dreimal durch die heilige Tür, um Vergebung seiner Sünden zu erlangen, und kniet betend zu Füßen des kleinen Altares in der Krypta nieder, wo die Gebeine des hl. Jakobus ruhen. Die Pilger besuchen auch den Kreuzgang der Gloria, an dem der Künstler Maestro Mattea 25 Jahre arbeitete. Zwischen den unzähligen Säulen dieses Ganges, die alle einfache romantische Formen zeigen, steht eine Säule, die in wunderlich bizarren Formen den Stammbaum der hl. Maria trägt. Jeder Pilger betet vor dieser Säule fünf Vaterunser und streicht dann, nach einem alten Brauch, mit der Hand über sie, so wie jeder Pilger in Rom den Fuß des bronzenen Petrus-Standbildes küsst.

 

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts, als der englische Seeräuber Francis Drake in Spanien einfiel, verbarg der Erzbischof von Compostela die Reliquien des hl. Jakobus. Unerklärlicherweise blieben sie danach einige Jahrhunderte unauffindbar. Erst 1887 wurden die sterblichen Überreste des Apostels wiedergefunden. Papst Leo XIII. erkannte nach einer genauen Untersuchung die Echtheit der Reliquien an, und seitdem erhielt Compostela, das stets ein nationaler Wallfahrtsort geblieben war, wieder mehr und mehr internationale Bedeutung.

 

Im Heiligen Jahr 1948 wurde Compostela von 700.000 Pilgern besucht. Der Höhepunkt war die internationale Wallfahrt der katholischen Jugend. Der Papst sandte aus diesem Anlass einen päpstlichen Legaten und sprach selbst über das Radio zu den jugendlichen Teilnehmern.

 

Vor allem unter den Nachkommen alter galizischer Familien in Süd-, Mittel- und Nordamerika lebt das Interesse an Compostela unvermindert weiter. Für sie unterhielt eine amerikanische Luftfahrtgesellschaft einen eigenen Flugdienst nach Nordspanien. Die englische Wallfahrt nach Compostela stand unter der persönlichen Leitung von Kardinal Griffin. Wie 1948 wurde auch im Jahr 1954 wieder eine große internationale Jugendwallfahrt veranstaltet. Alle möglichen Maßnahmen wurden getroffen, um den religiösen Charakter dieser Fahrt nicht zu gefährden. Das Besondere lag darin, dass die Jugendlichen wie echte mittelalterliche Pilger zum Grab des hl. Jakobus zogen. Die Hafenstadt Vogi war der Sammelpunkt. Dort erhielt jeder Pilger den traditionellen Pilgerstab und die Kalabasse. Von hier aus zogen sie dann, entlang den prächtigen Buchten der galizischen Küste, nach Compostela. 150 km legten sie dabei zu Fuß zurück. Die spanische Jugend sorgte für Übernachtungslager in Abständen von ungefähr 20 km.

 

Neue Zeiten brechen für Compostela an. Wenn die Pilgerzahl in Zukunft weiterhin ansteigt wie in den vergangenen Jahren, wird Compostela wieder das werden, was es im Mittelalter war, und wird wieder in einem Atemzug genannt werden mit Rom, dem Mittelpunkt der Christenheit.

Aus „Het Rijk“, Bergen op Zoom,

abgedruckt in „Katholiek Vizier“,

Amsterdam 1955

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69. Die Wallfahrt der Zigeuner - Saintes Maries de la Mer

 

Die seltsamste Pilgerfahrt der Welt: Die Wallfahrt der Zigeuner

 

Nur in wenigen Landschaften der Erde ist die Legende so lebendig geblieben wie in der Provence, in dem Gebiet um die Ufer der Rhône in Südfrankreich. Zahllose Heilige werden in den herrlich geschmückten Kirchen und Kapellen verehrt, und die Geschichte ihres Lebens erzählen die Großmütter noch heute in immer neuen Variationen ihren Enkeln. In all diesen Erzählungen taucht stets ein Brennpunkt christlicher Überlieferung auf: das kleine Fischerdörfchen Les Saintes Maries de la Mer am südlichsten Zipfel der Camargue, der durch das Rhônetal gebildeten Insel.Im Jahr 45 nach Christus wurde hier, so erzählt die Legende, an dem Strand des türkisfarbenen Mittelmeers ein Boot ohne Segel und Ruder angetrieben, dessen Insassen die Juden in Jaffa der See ausgeliefert hatten. Die Schwester der Muttergottes, Maria Jakobä, die Mutter der Apostel Jakobus und Johannes, Maria Salome und die Büßerin Maria Magdalena waren an Bord des gebrechlichen Nachens (Ein Nachen bezeichnet ursprünglich einen Einbaum, ein kompaktes, flaches Boot bzw. Kahn für die Binnenschifffahrt). Sie gaben dem kleinen Dorf, das später dort entstand, den Namen. Außer ihnen kamen der heilige Lazarus – der Bruder der Schwestern Maria und Martha, St. Maximin und die schwarze Dienerin Sara im gleichen Boot über das Meer. Von der Besatzung dieses kleinen Nachens wurde, so sagt die Legende, bald die ganze Provence für das Christentum gewonnen.

 

Drei der Geretteten blieben am Ort der Landung, Maria Jakobä, Maria Salome und ihre schwarze Dienerin Sara. Ihnen zu Ehren wurde im zehnten Jahrhundert eine Kirche gebaut, deren hohe Mauern und starke Stützpfeiler den Eindruck erwecken, es handelte sich um eine mittelalterliche Festung. An den Wänden des hohen Kirchenschiffes erzählen unzählige Votivtafeln von wunderbaren Heilungen und von Rettung aus höchster Not. Diese Kirche bot einst den Bewohnern des Dorfes Schutz vor den Seeräubern, die gerade hier durch das ganze Mittelalter bis vor zwei Jahrhunderten ihr Unwesen trieben. Sie birgt die Gebeine der beiden Marien, die der gute König René von der Provence im Jahr 1448 ausgraben ließ. In dem wuchtigen Turm, der aussieht wie die Kommandobrücke eines Schiffes, sind die Schreine aufbewahrt. Unten aber, in der Krypta unter dem Altar, ruhen die Gebeine der heiligen Sara (Sara-la-Kâli: Patronin der Sinti und Roma, Fest: 25. Mai), die mit ihnen das bittere Los der Verbannung freiwillig teilte.

 

Einsam liegen die freundlichen, hellen Häuser des Dörfchens hinter dem Deich. Manchmal fahren die Fischerboote mit spitzem Bug auf den Sand, die van Gogh hier so gerne gemalt hat, manchmal zieht eine Kette Flamingos über die roten Dächer, die in der Camargue ihre letzten europäischen Brutstätten haben, oder ein Gardien, ein Kuhhirt, reitet auf einem kleinen, stämmigen Grauschimmel über den Platz vor der Kirche. Schon wenige Meter hinter den letzten Häusern dehnt sich das Sumpfland der Camargue, dessen rissige Salzpfannen wie Narben in einem dichten Fell aussehen.

 

Zweimal im Jahr strömen unzählige Menschen in das einsame Fischerdorf. Zweimal im Jahr erwacht es zum Leben: im Mai und Oktober sind die Wallfahrten zu Ehren der beiden Marien. Während der feierlichen Eröffnungsmesse werden die Schreine mit ihren Gebeinen an langen, mit blutroten Nelken geschmückten Seilen aus dem Turm in das finstere Kirchenschiff hinabgelassen. In einer gewaltigen Prozession werden dann die Holzfiguren der beiden Marien im Nachen zum Meer hinausgetragen. Gardiens zu Pferde und Arlesierinnen in ihrer vornehmen Tracht geben ihnen das Geleit. Weit draußen vor den Dünen segnet der Bischof von Aix die See und bittet um Schutz für die Fischer, während der holzgeschnitzte Nachen von kräftigen Männern bis ins Wasser getragen wird.

 

Einen Tag vorher aber ist die Prozession der Zigeuner. Ihr Besuch gilt nicht den beiden Marien, sondern der schwarzen Dienerin Sara, die sie sich zur Schutzheiligen erkoren haben. Wagen um Wagen rollt in den Tagen um die schmucklose Stierkampfarena hinter dem Deich. Eine seltsame Stadt pulsiert hier. Neben uralten Pferdekarren stehen klapprige Veteranen aus den ersten Tagen des Automobils. Das Innere starrt vor Schmutz, die Vorhänge sind nichts als Fetzen, und die Gerätschaften sehen aus, als stammen sie aus der Bronzezeit.

 

Vor den Planen ihrer Zelte hocken die alten Frauen, rauchen Pfeife und bruzzeln über kleinen, eisernen Öfchen Fische, deren penetranter Duft wie eine giftige Wolke über der Zigeunerstadt liegt. Schmutzige Köter kläffen heiser und balgen sich mit noch schmutzigeren Kindern. In allen romanischen Sprachen und dem Dialekt der Zigeuner keifen die Frauen, die mit der Kleiderpeitsche ein eisernes Regiment über ihre ganze Sippe führen.

 

Kein Laut davon dringt durch die dicken Mauern in das Dunkel des uralten Kirchenschiffes. Ganze Bündel gestifteter Kerzen brennen und sind doch nur helle Pünktchen im mächtigen Gewölbe. Die Statue der heiligen Sara steht unten in einer feuchtkalten Krypta. Ihre seidenen Gewänder sind behängt mit unzähligen Medaillons, Ketten, Photographien und Schmuckstücken ihrer braunen Schützlinge. Die kommen und gehen, von den Kleinsten bis zu den Uralten, streicheln und küssen Gesicht und Kleider der schwarzen Statue, flehen stumm um ihre Hilfe und ihren Segen.

 

Auch die Gitanes tragen ihre Heiligen ans Meer und jubeln ihr zu. Es ist eine eigenartige Prozession: alles singt, lacht und schreit durcheinander. Die Kleinen kugeln durch die Dünen und balgen sich übermütig. Und doch liegt eine eigene Frömmigkeit über all dem bunten Treiben. Sie zeigt sich, wenn ein Vater sein kleines Kind hochhebt, dass es die feine Seide des Gewandes streicheln kann, wenn es die Hände küsst, die streicheln durften.

 

Um die dicken Mauern der Kirche drängen sich in zahllosen Buden und Ständen mit Heiligenbildern, Kerzen, Halstüchern und Andenken die Händler. Karusselorgeln dudeln, Banjos rasseln, Verkäufer preisen schreiend ihre Ware an. Die Zigeunerinnen mit blauschwarzen Haaren und dunklen Augen, in langen, grellbunten Satin- und Chiffonröcken, betteln und lesen jedem die Zukunft aus der Hand, der es nicht hartnäckig genug ablehnt. Die schönsten von ihnen tanzen in den Bars zu den Rhythmen ganzer Gitarrenorchester hinreißend in Grazie, Leidenschaft und Berechnung. In der Nacht flackern dann die Feuer der Zigeunerstadt. In Scharen kauern zerlumpte Gestalten vor den Wagen und Zelten, beraten, erzählen, singen uralte Flamencos mit seltsamen Harmonien, klatschen im Takt der rasselnden Gitarren. Hier verliert sich das Unterwürfige der Bettler und Wahrsager auf dem Rummelplatz, hier erwachen sie aus stumpfer Lethargie und werden stolze, freie Menschen.

 

Wenn die Schreine der beiden Marien wieder im Turm ruhen, beginnt das Volksfest der Provence. Arlesierinnen in ihrer alten Tracht tanzen mit den Gardiens der Camargue Volkstänze, in der Arena beginnen die unblutigen Stierkämpfe, in denen es gilt, dem Stier eine Kokarde von den Hörnern zu reißen, ein Schauspiel des Mutes, der Kraft und der Eleganz. Über eine Woche lang werden Wettkämpfe aller Art ausgetragen.

 

Eine merkwürdige Wallfahrt, eine Form der Heiligenverehrung, die fast an heidnischen Götzendienst gemahnt, ein Trubel, der unserm religiösen Empfinden fast wie Aberglaube und Fetischismus erscheint. Und doch kann sich niemand dem starken Eindruck entziehen, den diese Wallfahrt hinterlässt. Man muss nur in den Gesichtern der Andächtigen vor dem Bild der Sara lesen oder sehen, mit welch gläubigen Vertrauen die Zigeuner ihrer Schutzheiligen auf dem Weg zum Meer zujubeln. Mit tiefem kindlichem Vertrauen schauen sie zum Erzbischof von Aix auf, der täglich zu ihnen kommt und mit ihnen spricht. Sie bitten um seinen Segen und um kleine Medaillons, erzählen über ihre Fahrten und fragen ihn um Rat in allen Dingen, die sie bewegen.

 

Die südländische Einstellung zur Kirche unterscheidet sich eben wesentlich von der unseren. Und zum Leben des Zigeuners gehört es nun einmal, aus der Hand zu lesen, zu betteln und – sprechen wir es ruhig aus – auch mit seiner Schutzheiligen ein bisschen zu handeln. Der bunte Betrieb in Les Saintes Maries kann nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass gerade diese Wallfahrt der Zigeuner eine große Bedeutung für die braunen Kinder des Südens hat. Die Veräußerlichung, die so viele Wallfahrten mehr zu einem Schauspiel als zu einer Begegnung mit Gott macht, ist hier nur ein Rahmen, der den Lebensgewohnheiten entspricht, die wohl immer so bleiben werden.

 

Dahinter stehen echte Gläubigkeit und ein ursprüngliches religiöses Gefühl. So ist diese Wallfahrt religiöser Mittelpunkt für ein heimatloses Volk, das im wahrsten Sinne des Wortes in der Diaspora, in der Zerstreuung, lebt; im Land der Legende, im kleinen Fischerdörfchen Les Saintes Maries de la Mer auf dem Südzipfel der Camargue.

 

Traugott Malzan, „Michael“, Düsseldorf (nach dem 2. Weltkrieg)

 

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70. Romfahrt 1575

 

(Wie mühsam die Pilgerfahrt nach Rom in früheren Jahrhunderten war, kann man sich nach alten Reiseberichten und Tagebüchern ausmalen. Unsere Fahrten zum Hl. Jahr sind dagegen nur harmlose Vergnügungsreisen. Der Münchener Hofprediger Dr. Jakob Rabus, der in Dillingen konvertierte, , beschrieb in einer interessanten ungedruckten Handschrift, die bis zur Säkularisation im Münchener Augustiner-Eremitenkloster lag, begeistert seine Romfahrt 1575, die Karl Schottenloher 1925 in München in einem hübschen Büchlein herausgab. Wir entnehmen einen Auszug daraus dem wie alljährlich im Verlag Schnell u. Steiner erscheinenden „Baiernkalender“ für das Jahr 1950, der allen Freunden des bayerischen Volkes und Landes zugedacht ist.)

 

Johann Jakob Rabus hatte seine Jugendjahre in Straßburg und Ulm verlebt, studierte an den Hochschulen in Wittenberg und Tübingen und trat dann zur katholischen Kirche über. Er beendete seine Studien in Rom, betätigte sich in Löwen und Köln als Schriftsteller und wurde Hofprediger bei Herzog Albrecht V. in München. Nachdem Papst Gregor XIII. zur Feier des Jubeljahres 1575 eingeladen hatte, warb Dr. Rabus für eine bayerische Pilgerfahrt. Der herzogliche Jägermeister Hans Georg von Etzdorf schenkte ihm hierzu ein Maultier.

Die Romfahrt, der sich Geistliche und Laien anschlossen, begann am 18. Januar 1575. Die erste Nacht verbrachte man in Benediktbeuren. Keine Mühe und Beschwernis brachte die Pilger vom Ziel ab. In Florenz, das sie über Innsbruck, Bozen, Mantua erreichten, wurden die Pilger von der Herzogin Anna von Bayern und der Schwester Kaiser Maximilians II. gütig bewillkommnet. Als sie am 18. Februar Rom erblickten, stimmten sie das „Te deum laudamus“ an.

 

Die Pilgerschar betete eifrig auf ihrer Reise, aber auch für die unzähligen Kunstgegenstände und ihre Schönheiten war sie genauso wie für die christlichen Heiligtümer aufgeschlossen. Rabus schreibt z.B. von der Franziskanerkirche in Mantua: „Ist auch ein stattlich, sehr herrlich wunderbar Werk, der Hochaltar . . . dabei hatten die Pilgram nit weniger auch ihr Andacht und befahlen sich der Fürbitt der lieben Heiligen, deren Heiltumb allda rastet. Subtile Künstler mögen in diesem Gotteshaus solchen Altar neben dem Sakramentshäuslein fleißig beschauen. Da werden sie in die Schul geführt werden. Hab ich allda Mess gelesen und etliche Pilgram gespeist.“ In Modena ließen sich die bayerischen Pilger am Lichtmesstag Kerzenstücklein weihen, in Bologna sahen sie einen Dorn von der Krone des Herrn. Florenz aber zeigte sich in so herrlichem Ansehen, dass einer, der aus Deutschland hineinziehe, nicht anders meinen könne, als er sähe eine ganze Welt und gleichsam die große Stadt Babylon vor sich. Im Predigerkloster liegt Erzbischof Antonius (+ 1459) begraben, der von Papst Hadrian VI. zugleich mit St. Benno, dem bayerischen Landespatron, heiliggesprochen worden war. In Rom eilten die Pilger sofort zu „St. Peters Hauptkirchen und der gulden Pforten daselbst und sagten Gott Dank umb alle seine Gnaden“.

 

Rabus schildert fast alle Kirchen Roms, vor allem aber St. Peter und seine sechs Portale. „Die 6. Porten steht auch zur rechten Hand zum allerobristen, wird genannt aurea porta, die guldene Pfort, die steht nit allwegen, sondern nur alle 25 Jahr ein Jahr offen, wenn man nach alter christlicher Gewohnheit das Jubeljahr hält und den guldin, das ist höchsten Ablass austeilt und empfängt; wird hernacher, wann das Jahr verflossen, wiederumb zugemauert. Und wird diese hl. Porten mit folgenden Ceremonien geöffnet:

 

Auf dem hl. Weihnachtsabend, wann ein 25. Jahr vorhanden, nach Mittag, legt päpstliche Heiligkeit ihre gewöhnliche pontificalische Ornat an und verfügen sich allsdann alle Kardinäl, Bischof und Prälaten samt ihr Heiligkeit fürnehmbsten Hofgesind in Palast und begleiten ihr Heiligkeit in die Capell S. Sixti. Daselbst tut jeder männiglich dem h. h. Sacrament gebührende Reverenz und verrichtet sein Gebet. Und unter dem, dass päpstliche Heiligkeit also vor dem hl. Sacrament kniet, nehmen die Prälaten, Kardinäl, Bischof, Aebt, etc. angezündte große Dortschen (Fackeln) oder Windlichter, die werden ihnen von ihren Caplänen überreicht. Päpstliche Heiligkeit aber intoniert und hebt an zu singen den schönen Hymnus „Veni creator spiritus“, Komm du Schöpfer, o heiliger Geist. Den singen die Prälaten gar aus bis ans End. Darauzf nimbt ihr Heiligkeit auch ein brennende Fackel und geht also der Prozession fort bis zu der guldin Porten. Da setzt ihr Heiligkeit sich nieder und wartet, bis die Herren und Prälaten alle zusammen kommen. Wann das geschehen, steht ihr Heiligkeit auf, nimbt ein silbern Hammer in die Hand, geht für die Porten, schlägt mit dem Hammer daran und singt im Schlagen hernach folgende Versikel: Tut auf die Porten der Gerechtigkeit. Darauf antwortet ihr der Chor: Wenn ich durch sie hinein wird gehen, will ich den Herrn loben . . . Auf solches nimbt der obriste Poenitentiarius, dazumal der fromme Kardinal Hosius seligster Gedächtnis, auch ein Hammer und schlägt auch an die Porten. Die Mauerer aber brechen dazwischen die Stein aus und eröffnen dieselb, die wird bald mit Rauchwerk und Weihwasser besprengt. Und singt darauf die Klerisei den 65. Psalm Davids: „Jubilate Deo omnis ferra“ chorweis und umb einander. Der Papst aber, ehedann er durch die Porten hineingeht, singt zuvor noch etliche Versikel:

 

Dies ist der Tag, den Gott selbst gemacht hat.

Lasst uns dran frohlocken und fröhlich sein.

 

Nach diesem allen nimbt der Papst ein guldins Kreuz in die Hand und faht an zu intonieren den schönen Lobgesang Augustini und Ambrosii: Te deum laudamus, Herr Gott, dich loben wir; den vollführt die Klerisei und geht der Papst fort zum hohen Altar, da setzt er sich in sein gewohnlichen Stuhl und hört die Vesper, wie die zu S. Peter von den Thumbherren gehalten wird.“

 

Bis 4. Mai blieben Rabus und seine Pilgergesellschaft in Rom. Die Ewige Stadt beeindruckte sie sehr. Das antike, das kaiserliche, das frühchristliche Rom und die Stadt der damaligen geistigen Erneuerung nahm sie gefangen: „Rom ist einem jeglichen das, was er sich selber ist. Ist einer fromm, heilig, gottesfürchtig, so findet er der Leut dieshalben allen Vorrat, wie ers nur haben will. Ist einer gelehrt und sucht Gelehrte, so findet ers. Ist einer ein Weltmann und sucht Weltleut, so hat ers. Ist einer aber bös, unrein, üppig und begehrt seinesgleichen, so findet ers abermal. Wer dem Guten in Rom nachgehen und nachsetzen will, der wird in Deutschland von Rom gewißlich anders nichts denn alles Liebs und Guts wissen zu sagen“.

 

Venedig gefiel ihnen ungemein. „Ist eine lustige Fahrt von Chioggia dahin . . .“; unsere Pilger hatten allerdings auch große Schwierigkeiten auf der Seefahrt erleben müssen. „In der Stadt sein über die 8000 Gondole oder kleine Schifflin fein zugericht, darauf man zu Venedig durch die Gassen und sonsten hin und wider fährt, der Brucken sein 400, zum Teil aus Stein und zum Teil aus Holz gemacht.“ Ergreifend aber ist, wie dieser gelehrte Mann der Renaissancezeit den hohen Wert der Katakomben gegenüber der strahlenden Schönheit von St. Markus in Venedig erlebt hat.

 

„Denn wiewohl allhie, nämlich zu Venedig bei S. Marx, alles von Silber, Gold, köstlichem Gestein gleißt, dort aber zu Rom in bemeldten Oertern alles dunkel, unter der Erden, scheußlich, zerrütt und zerfallen ist, dass einem darb grausen möchte, der sie nur von außen ansieht, so hab doch ich in einer Viertel Stund mehr Andacht und Erquickung des Geistes darin gefunden, denn die Tag über und über, während wir zu Venedig still gelegen. Und also war mein Pilgramsbrüdern auch. Denn zur Erweckung des Geists tut ein Pilgram die alte Simplicität der hl. Martyrer, die vor den Tyrannen aus Forcht der untersten Teil der Erden sich zu ihrem Gottesdienst haben gebrauchen müssen, item ein alts zerbrochens Kapellin, das mit der hl. Märtyrers Blut vor Zeiten besprengt, befeuchtigt und consecriert worden, dergleichen wir oben viel beschrieben, mehr gut denn die schönste Kirche, die man finden mag. In dieser werden die Sinn des Menschen zerstreut, dort bleiben sie bei einander, da man auf kein Köstlichkeit der Gebäu oder ander Zier nit gaffen kann, und erheben sich einmütiglich zu Gott, dass der Mensch anders nichts tun kann, denn der Andacht pflegen wegen der Gedächtnis dessen, dass so viel heilige Leu tumb Christus willen an dergleichen Oertern überstanden und gelitten haben, dadurch der Mensch von Betrachtung zeitlicher Ding, meins Erachtens, mächtiglich abstrahiert und allein auf göttliche Ding erhebt wird.“

 

Über Sterzing zogen unsere Romfahrer den Brenner hinauf, und „wiewohl sonsten heiß war, so war es doch auf dem Berg so kalt, dass ich meine Winterkleider antun mußt“. Im Kloster Schäftlarn an der Isar wurde noch ein Dank-Amt gefeiert, und am 1. Juni trafen alle wohlbehalten nach viereinhalb Monaten in München ein. Rabus aber schreibt in seiner Handschrift „Mein Leben lang tat mir kein Scheiden weher, denn wie dieses Scheiden von Rom und von St. Peter getan hat“.

Aus „Baiernkalender“

Verlag Schnell und Steiner

München 1950

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71. Die Wallfahrt zum hl. Blasius in Kohlenbach

 

Kohlenbach ist ein Zinken der Gemeinde Kollnau bei Waldkirch. Er verdankt wohl Name und Ursprung der Ritterfamilie Koler. Diese wird im Jahre 1302 erstmals erwähnt: „her Walther der Kohler ritter und Kol sin sun“, der Ort 1341 als „Colenbach“. Noch im Jahre 1665 wird die „Castelbergische vogtey Collnauw mit dem zinken Collenbach“ angeführt.

 

Er gehörte bis 1805 zur Landgrafschaft Breisgau, Herrschaft Kastelberg, und ist seit 1805 badisch.

 

Hier ist eine vielbesuchte Wallfahrt zum heiligen Martyrer Blasius, Bischof von Sebaste in Kleinasien. Die Wallfahrt knüpft sich an ein merkwürdiges Bild des hl. Blasius, das sich heute auf einer Konsole an der rechten Seitenwand der Kapelle befindet. Kunstkenner rücken das Bild in das 12. Jahrhundert hinauf. Es stammt aus Mußbach, Amt Emmendingen. Die Kirche von Mußbach gehörte vor dem Jahre 1231 dem Markgrafen Heinrich I. von Baden und Hachberg. Bei der Osterfeier, der er 1231 im Kloster Thennenbach beiwohnte, hatte er sein Testament gemacht und sein Begräbnis bestimmt. Er schenkte den Ort und die Kirche Mußbach mit Wald und allem Zubehörde an das Gotteshaus Thennenbach. Da der Wald aber mit 30 Mark Silber und das Dorf mit 25 Mark Silber den Ufenbergern verpfändet waren, gestatteten Rudolf und Burkhard von Ufenberg, dass die Mönche von Thennenbach beides loskaufen durften.

 

Karl II., Markgraf von Hachberg, führte in seiner Herrschaft, zu der auch Mußbach gehörte, rücksichtslos den Protestantismus ein. Am 1. Juli 1556 ließ er im ganzen Gebiet die neue protestantische Kirchenordnung verkünden. In den beiden Filialen Mußbach und Brettental der Pfarrei Ottoschwanden, die unter Pfarrer Leonhard Mellinger abfiel, erlangten die geweihten Heiligenbilder durch Gottes Vorsehung besondere Bedeutung.

 

Die Statue des hl. Blasius, dem 12. Jahrhundert entstammend, wurde von Mußbach nach Kohlenbach bei Waldkirch übertragen. Ein Bürger von Oberbiederbach entzog unter augenscheinlichem Schutz von oben ein Marienbild in Brettental der Wut der Protestanten. Dasselbe ist jetzt auf dem Marien- und Wallfahrtsaltar in der Pfarrkirche Oberbiederbach.

 

Diese Übertragung des St.-Blasiusbildes und die Entstehung der Wallfahrt in Kohlenbach zu Ehren des Heiligen ist an der Seitenwand der Wallfahrtskapelle in folgenden Versen beschrieben:

 

Nach Luheri großem Abfall

Laßt St. Blasi in das Tal

Sich tragen durch einen fremden Mann,

Welcher weiter ihn nicht tragen kann,

Als von dem abgefallenen Mußbach

In das im Glauben nicht wankende Kohlenbach.

Und so lang er hier als Patron verehrt

Ist, wird gewiß jedem seine Bitte gewahrt.

 

Zunächst wurde die gerettete Statue in einem Bildstock am Wege aufgestellt. Die hier im 16. Jahrhundert entstandene Wallfahrt war gleich anfangs sehr stark besucht.

 

Im Jahr 1752 erbaute das Margaretenstift in Waldkirch weiter hinten im Tal die heutige Kapelle zu Ehren des hl. Blasius, an deren Seitenwand das altehrwürdige Bild angebracht wurde. 1810 sollte die Wallfahrt aufgehoben werden.

 

Der Religionsfonds in Freiburg hatte durch den Verlust österreichischer Kapitalien nach der Trennung von der Monarchie einen großen Ausfall erlitten. Durch Aufhebung verschiedener Wallfahrten, deren Kapellen als überflüssig erklärt wurden, und Einziehung ihres Vermögens und Vereinigung desselben mit dem Religionsfonds sollte der Verlust wieder ausgeglichen werden.

 

Dieses Schicksal stand auch der Blasiuskapelle bevor. Sie sollte versteigert und zu Wohnungen umgebaut werden.

 

Doch die Liebe der Waldkircher, der Kollnauer und Kohlenbacher zum hl. Blasius wandte die Aufhebung in letzter Stunde noch ab. Die Gemeinde Kollnau kaufte die Kapelle. Die Hälfte der Summe wurde durch die Kohlenbacher, die andere Hälfte durch die Kollnauer Bürger aufgebracht. Von den zwei Glocken wurde die eine nach Elzach, die andere nach Karlsruhe verkauft. Lange war das Kirchlein ohne Glocken. Etwa 1840 wurde eine neue aus dem Erträgnis des Opferstocks und einer Kollekte angeschafft.

 

Am 5. Februar 1855 wurde zum erstenmal wieder das heilige Opfer in der Kapelle dargebracht. Das Kirchlein wurde 1866 restauriert, hat 150 qm Flächenraum, ist stillos. Seither war die Wallfahrt im stetigen Steigen und steht heute, besonders seit der Erhebung Kollnaus zur selbstständigen Pfarrei 1910, in voller Blüte.

 

Jeden Mittwoch ist Wallfahrtstag. An St. Blasius (3. Februar) als Patrozinium, an St. Wendelin (11. Oktober), am letzten Werktag des Jahres sowie am Mittwoch nach Weihnachten und Pfingsten findet Predigt und Hochamt statt.

 

Von Pfarrer L. Heizmann

Freiburger Diözesan-Archiv, Band 22, 1921, S. 178

 

blaesikapelle

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72. Die Marienwallfahrt in Oberbiederbach bei Elzach

 

Biederbach wird erstmals 1324 erwähnt. Schon vor 1482 war es Eigentum der Junker von Rechberg. 1482 wird ein Heinrich von Rechberg genannt, dessen Stellvertreter ein Vogt Claus Ringwald, in Biederbach war. Im 16. Jahrhundert war es allein noch rechbergisch. Bis 1797 war es in Besitz der Freiherren von Wittenbach; bis 1805 gehörte es zur vorderösterreichischen Landgrafschaft Breisgau, seit 1805 ist es badisch. Kirchlich war es eine Filiale von Elzach. Die einfache Kirche (ad St. Mansuetum) wurde 1592 erbaut, 1761 nach der Jahreszahl über dem Hauptportal vergrößert. 1709 wurde die heutige Pfarrpfründe errichtet.

 

Auf dem Altar der Evangelienseite steht das Gnadenbild, eine Holzskulptur der Mutter Gottes mit dem Jesuskind auf dem Arm aus dem Ende des 16. Jahrhunderts.

 

Die Wallfahrt zum Gnadenbild der Himmelskönigin mit dem göttlichen Kind rührt aus der Zeit der Glaubensspaltung in der badisch-durlachischen Markgrafschaft Hachberg, in der Markgraf Karl II. rücksichtslos den Protestantismus einführte und am 1. Juni 1556 die neue protestantische Kirchenordnung verkünden ließ.

 

Kurz vorher hatte der katholische Pfarrer Leonhard Mellinger seine Pfründe Oberbiederbach mit der Rechbergpfarrei Ottoschwanden-Brettental vertauscht. Zu seinem großen Schmerz fiel die neue Pfarrei mit den Filialen Mußbach und Brettental unter dem Druck des Markgrafen von der katholischen Kirche ab.

 

Leonhard Mellinger besaß ein Marienbild, dass er beim Umzug in das fruchtbarere und schönere Brettental mitnahm und in der Filialkirche Brettental, die bisher keine Marienstatue besaß, auf den Altar stellte. Von diesem Bild erzählt nun die Volksüberlieferung, die wohl einen historischen Kern birgt.

 

Um der erregten Leidenschaft nicht zum Opfer zu fallen, musste der Geistliche plötzlich die Flucht ergreifen; sein teures Marienbild konnte er nicht mitnehmen, glücklich, das nackte Leben gerettet zu haben. Da die Wut der Abtrünnigen des Pfarrers nicht habhaft werden konnte, kehrte sie sich gegen das Bild, für welches er eine besondere Verehrung trug. Die Bilderstürmer steckten es mitten in ein Klafter Holz, das sie anzündeten. Doch eine höhere Hand beschützte es vor den Flammen. Unversehrt erblickte man es wieder in der Kirche.

 

Nun sollte es zu Brennholz gespalten werden; doch die Axt sprang ab und zwar gerade in den Fuß des Frevlers, so dass er sofort davon lief.

 

An der rechten Brust des Jesuskindes ist heute noch der Hieb zu sehen: ein ungefähr 3 cm langer und 1 cm tiefer Spalt.

 

Durch diese Warnung von oben ließ sich die Leidenschaft noch nicht belehren. Da man das Bild nicht vernichten konnte, warf man es unwillig auf den Kirchenspeicher.

 

Allein menschliche Verkehrtheit vermag die Absichten Gottes nie zu durchkreuzen. Um alle Pläne zu verwirklichen, findet er in seiner Weisheit Mittel und Wege.

 

So wählte sich die göttliche Vorsehung einen biederen, tiefreligiösen Landmann von Oberbiederbach, Johann Spath mit Namen, Hofbauern des Brühhofes, heute Muckenloch genannt.

 

Die merkwürdigen Schicksale des Bildes wurden überall, auch bei der späteren Generation bekannt.

 

Dieser treue Marienverehrer machte mehrere Versuche – die Überlieferung spricht von 28 – um das Wunderbild vor fernerer Entehrung zu schützen und den Händen der Abgefallenen zu entreißen. Mehrmals entrann er mit knapper Not der Lebensgefahr.

 

Jedesmal entschlossen, nicht mehr zurückzukehren, trieb ihn die Gnade immer wieder das Leben aufs Spiel zu setzen.

 

Endlich sollte das Werk gelingen. Der starkmütige Hofbauer gewann den Mesner (Glöckner) der protestantischen Kirche mit einem Trinkgeld. Dieser stellte nachts eine Leiter in der Nähe auf, auf der der Bauer leicht zum Fenster gelangte und es eindrückte, um das liebe Kleinod abholen zu können.

 

Neben seinem Bauernhof stand ein Leibgedinghaus, Speicher genannt; dessen unterer Stock bildete einen schön gewölbten Keller. Dieser wurde zu einer Kapelle hergerichtet, in der das Gnadenbild zur öffentlichen Verehrung aufgestellt wurde. Jahrzehnte lang durfte das hl. Messopfer in dieser Kapelle dargebracht werden.

 

Bei der Kirchenvergrößerung 1761 wurde das Gnadenbild in die Pfarrkirche übertragen und zuerst auf dem Hochaltar aufgestellt. Pfarrer Joseph Gerspacher (+ 1868 als Pfarrer von Erzingen) wies ihm den Marienaltar an, wo es sich heute noch befindet. Im Jahr 1885 wurde die Pfarrkirche aus freiwilligen Beiträgen gründlich restauriert, dass hochverehrte Gnadenbild wieder neugefasst.

 

Die Rettung des Gnadenbildes fällt in die Mitte des 17. Jahrhunderts; denn Johann Spath stiftete für sich und seine Ehefrau im September 1688 einen Jahrtag in die Pfarrkirche.

 

Die Wallfahrt wird sehr besucht aus dem Elz-, Kinzig-, Schutter- und Münstertal, angeblich sogar von Protestanten aus dem Freiamt (?).

 

Wallfahrtstage sind alle Freitage des ganzen Jahres, sowie alle Marienfeiertage.

 

Von Pfarrer L. Heizmann

Freiburger Diözesan-Archiv, Band 26, 1925, S. 299

 

Wallfahrtskirche_Oberbiederbach

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73. Eine nicht auszurottende Muttergottesverehrung: Walsingham

 

Ein englischer Wallfahrtsort: Walsingham - walsingham

 

Im Jahr 1537 wurde in Walsingham in England der Superior der Augustinerchorherren, die seit Jahrhunderten das Muttergottesheiligtum von Walsingham betreut hatten, vor den Toren der Abtei aufgehängt, weil er sich der Aufhebung der Klöster widersetzte. Im folgenden Jahr wurden der Prior und der Rest der Klostergemeinschaft gezwungen, die Entfernung der berühmten Statue und die völlige Zerstörung des Heiligtums durch die Bevollmächtigten des Königs zu dulden.

 

Die erste uns bekannte Aufzeichnung des Wunderberichtes von Walsingham stammt aus dem Jahr 1465. Kurz nach der Eroberung durch die Normanen im Jahr 1066 lebte in Walsingham eine tugendhafte und edle Frau mit Namen Richeldis de Favreches, die Witwe des dortigen Gutsherrn. Sie träumte, die allerseligste Jungfrau führe sie nach Nazareth und zeige ihr den Ort, wo der Engel Gabriel ihr erschienen war, um ihr die Menschwerdung anzukündigen. Richeldis wurde im Traum aufgefordert, die Stelle auszumessen und eine Kapelle von gleicher Größe in Walsingham zu erbauen.

 

Sie befolgte diese Aufforderung, und bald wurde Walsingham zu einem Wallfahrtsort, dem kein anderer in England, nicht einmal Canterbury mit den kostbaren Reliquien des heiligen Thomas Becket, gleichkam.

 

Personen jeden Standes wallfahrteten nach Walsingham, Könige und Bettler, Heilige und Sünder. Die einen gingen, um die Muttergottes zu verehren, andere wegen eines bestimmten Anliegens, besonders um an den heiligen Quellen von Krankheiten geheilt zu werden, wieder andere zur Sühne für ihre Sünden. Natürlich gab es auch einige, die nicht aus den besten Beweggründen dorthin gingen, aber schließlich kann jedes gute Ding auch missbraucht werden. Daher ordnete die Kirche an, damit nicht die Menschen ihre Arbeit und ihre Familie verließen und zu nichts anderem als Bettlern würden, die vom Almosen der Gläubigen leben, dass jeder, der eine Wallfahrt machen wollte, erst die Zustimmung seines Bischofs einholen sollte. Diejenigen, die diese Erlaubnis erhielten, zogen das besondere Kleid des Pilgers an, mit einer Kapuze und einem breiten Hut. Man versammelte sich in der Pfarrkirche. Dort betete man, die Pilgertaschen und Pilgerstäbe wurden gesegnet, die heilige Messe gefeiert und am Schluss den Pilgern, die sich wieder auf den Weg machten, der Segen erteilt.

 

Die Wallfahrten der Könige und Adeligen wurden gewöhnlich unter Begleitung von Dienern und mit allen Bequemlichkeiten, die die damaligen Zeiten bieten konnten, unternommen. Das gewöhnliche Volk aber ging zu Fuß. Die Straßen waren schlecht, und die Pilgerreisen dauerten lange. In der Regel verbrachte man nicht mehr als eine Nacht an einem Ort. Lag ein Kloster in der Nähe der Straße, so ging man für die Nacht dorthin. Alle Klöster in der Nähe der Straße nach Walsingham, waren für die Übernachtung von Pilgern eingerichtet. Man legte keine große Entfernung am Tag zurück. Wenn man zu einer Kirche oder Kapelle kam, ging man hinein, um ein Gebet zu sprechen und sich im Anschluss daran auszuruhen. Ostengland ist voll mit Ruinen solcher Kapellen an den Landstraßen. Die Straße selbst wurde durch Steinkreuze markiert. Man hat mehr als hundert solcher Kreuze festgestellt.

An jedem Heiligtum erhielten die Pilger in jenen Zeiten des Glaubens Andenken aus Zinn oder Blei. Ein Pilger, der viele Heiligtümer besucht hatte, kam mit einer Mütze oder einem Rock nach Hause, der ganz mit solchen Abzeichen bedeckt war. Das bekannteste Abzeichen war das des Wallfahrtsortes des heiligen Jakobus von Compostela in Spanien. Es war eine Muschelschale, die allmählich zum allgemeinen Pilgerabzeichen wurde. Die Pilger, die vom heiligen Land zurückkamen, trugen ein Abzeichen, das eine Palme darstellte, weshalb der Name „Palmträger“ im Englischen die allgemeine Bedeutung „Wallfahrer“, „Pilger“ bekam. In Walsingham stellte das Abzeichen die Muttergottes mit dem Kind oder die Verkündigung dar, da die Wallfahrtskapelle diesem Geheimnis geweiht war.

Die Pilger, die sich im Mittelalter Walsingham näherten, sahen in der Ferne die vergoldeten Zinnen zweier Türme, die zum Himmel aufragten: der eine war der große Turm über dem Eingang, der andere erhob sich über dem Mittelpunkt der Kirche. Die Kirche selbst war ein Prachtwerk der gotischen Kunst. Sie maß 75 m vom Haupteingang bis zur Ostmauer das Hauptschiff war 9 m und die beiden Seitenschiffe 5 m breit. In den Türmchen am Ende der Ostmauer befanden sich Treppen, die zu den Lichtgaden des Mittelschiffes führten. Kostbare Wandbehänge, aus Damast und mit Stickereien versehen, hingen an den großen Festen von den Gängen herab.

 

Die Pilger kamen auch an der „Slipper Chapel“, einer Kapelle, die der heiligen Katharina von Alexandria, der Patronin der Pilger, geweiht war, vorbei. Sie ist eine der schönsten kleinen Kirchen Englands und eines der sehr wenigen Gebäude aus dem Mittelalter, die noch erhalten sind. Sie ist sehr klein, 8 ½ zu 3 ½ m, und ist nach Südosten ausgerichtet, so dass die Sonne am 25. November, dem Fest der heiligen Katharina, hinter dem Altar aufgehen kann.

 

Nördlich von der Klosterkirche stand die Kapelle Unserer Lieben Frau, die so breit war wie das Hauptschiff der Kirche und mehr als die Hälfte der Länge des Chores hatte. Am Ostende dieser Kapelle befand sich eine Steinerhebung, auf der das Schmuckstück Walsinghams und Englands stand, eine winzige Kapelle aus Holz von 7 m Länge und 3 ½ m Breite. Dies war das „Heilige Haus“, das die Gutsherrin Richeldis hatte erbauen lassen. Die Kapelle hatte an jedem Ende eine Tür, so dass die Pilger in einer nicht endenden Prozession hindurchziehen konnten. Nur wenig Tageslicht drang durch die Fensterchen, aber die Dunkelheit wurde durch das Licht der vielen Kerzen erhellt. Die Luft erfüllte der süße Duft des Weihrauchs und der frischen Lorbeerblätter, die auf den Fußboden gestreut waren.

 

In der Mitte der Längswand der Kapelle erhob sich ein Altar, auf dem inmitten brennender Opferkerzen die Statue der Gottesmutter stand. Dieses Bildnis war nicht wegen Größe, Material oder Kunstwert berühmt, sondern wegen der Gnaden, die denen verliehen wurden, die vor ihm knieten. Die Gottesmutter war mit ihrem göttlichen Sohn auf dem Schoß dargestellt. Mariens Fuß aber ruhte auf einem Edelstein, der wie eine Kröte aussah (das Symbol der Sünden). Von dieser Kröte sagte Erasmus: „Zu den Füßen der Jungfrau befindet sich ein Edelstein, dem bis jetzt noch kein Name in Lateinisch oder Griechisch gegeben worden ist. Die Franzosen aber nennen ihn „crapaudine“, d.h. Krötenstein. Und was das Wunder noch größer macht, ist, dass der Stein sehr klein ist; die Gestalt der Kröte ragt nicht heraus, sondern glitzert, als ob sie im Edelstein selbst eingeschlossen wäre. Schmutz, Bosheit, Stolz, Geiz und all die anderen menschlichen Eigenschaften sind von ihr unterdrückt, unter ihrem Fuß zertreten und vertilgt.“

 

Die Wände der Kapelle waren ganz mit kostbaren Gegenständen und Schmuck bedeckt, so dass Erasmus schrieb: „Wenn man hineinschaut, könnte man meinen, es sei die himmlische Wohnung der Heiligen, so glitzert es überall von Edelsteinen, Gold und Silber.“ Auf dem Altar waren einige der kostbarsten Gegenstände angebracht. Könige, Königinnen und Adelige wetteiferten miteinander in den Gaben, die sie dem heiligen Haus von Walsingham brachten.

 

Heute sind das Heiligtum und alle seine frommen Schätze, das Kloster und das Franziskanerhaus, wo die Pilger verpflegt wurden, verschwunden. Nichts blieb, um Zeugnis zu geben von jenem Ruhm Englands, den Walsingham bildete. Aber trotz drei Jahrhunderte langer Vergessenheit ist es Walsingham beschieden, seinen Platz im katholischen Leben Englands wieder einzunehmen.

 

Als der verstorbene Pater Philipp Fletcher in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Bruderschaft Unserer Lieben Frau von Ransom wieder begründet hatte, plante er zusammen mit dem Pfarrgeistlichen von King`s Lynn, George Wrigglesworth, die Erneuerung der Verehrung Unserer Lieben Frau von Walsingham. Die Ruinen des Heiligtums gehörten zur Pfarrei King`s Lynn. Da es zu jener Zeit nicht möglich war, in Walsingham eine Kirche zu errichten, errichtete man in der Kirche von King`s Lynn einen neuen Gnadenaltar und ein neues Heiliges Haus.

 

Mit Zustimmung Papst Leos XIII. wurde eine neue Holzstatue nach einem Bild in der Kirche Santa Maria in Cosmedin in Rom, der Titelkirche Kardinal Pooles, der der letzte katholische Erzbischof von Canterbury gewesen war, in Oberammergau geschnitzt. Im Februar 1897 wurde diese Statue vom Papst geweiht und nach King`s Lynn gebracht, wo sie am 19. August des gleichen Jahres feierlich aufgestellt wurde. Alle geistlichen Privilegien, die früher Walsingham als Wallfahrtsort verliehen waren, wurden jetzt King`s Lynn gegeben, und seit jener Zeit nimmt jährlich eine große Wallfahrt ihren Weg zu diesem Heiligtum.

Inzwischen kam die Slipper Chapel in Walsingham auf unerwartete Weise wieder in katholische Hände. Obwohl sie in zwei Hütten verwandelt worden war, stand sie noch, als Frl. Charlotte Boyd, eine Konvertitin, sie erwarb. Im Jahr 1904 ließ sie die Kapelle auf ihre eigenen Kosten gründlich instand setzen und baute daneben ein kleines Wohnhaus für einen Priester. Die Kapelle ist heute der Mittelpunkt der Verehrung Unserer Lieben Frau von Walsingham geworden. Der große Pilgerzug der amerikanischen Soldaten nach dem zweiten Weltkrieg war ein denkwürdiges Ereignis. Im September dieses Jahres (1947) fuhr ich von London mit einem mit einem englisch-polnischen Pilgerzug dorthin, in dem sich neben vielen englischen Katholiken Hunderte von Polen befanden. Von Cambridge aus nahm unsere stattliche Karawane von Omnibussen mit Hunderten von Pilgern, meist Männern und Frauen in polnischen Trachten, den alten Pilgerweg nach Walsingham über New Market. Am späten Nachmittag kamen wir in Walsingham an und zogen in feierlicher Sakramentsprozession zur Slipper Chapel. Dort wurde unter einem Baldachin in der um die Kapelle liegenden Flur der Segen erteilt, während die vielen Stimmen das altherkömmliche polnische Kirchenlied zu Unserer Lieben Frau von Tschenstochau sangen.

So mag es kommen, dass die so weit zurückliegende Zerstörung von Walsingham schließlich zum Anlass und Mittelpunkt einer noch tieferen und ausgedehnteren Muttergottesverehrung wird, als je zuvor in England eine bestanden hat.

 

Von Robert Wilberforce

Zusammenfassung aus „Epistle“

St. Paul`s Guild, 4. E. 73rd St., New York City, 21,

Sommer 1947

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74. Unsere Liebe Frau von Guadalupe

 

Von Juliette C. Pariseau

Zusammenfassung aus „Francican Herald“,

1434 W. 51st St., Chicago, III., 1947

 

Ich erinnere mich noch deutlich an ein Bild in meinem Lesebuch der 5. Klasse (oder war es die 4.?), das einen dunkelhäutigen Indianer zeigte, der einen Mantel hielt. Auf den Mantel war ein Bild der Muttergottes gemalt. Vom Mantel fielen eine Menge Rosen herab und bedeckten den Boden zu den Füßen des Indianers.

 

Die Geschichte, wie die liebe Gottesmutter den armen Indianer fortschickte, um im Winter Rosen zu pflücken, und wie sie den Bischof veranlasste, ihr zu Ehren eine Kirche zu errichten, blieb mir dauernd in Erinnerung. Als ich daher viele Jahre später eine eise nach Mexiko plante, war ich erfreut festzustellen, dass auch Guadalupe zum Reiseprogramm gehörte. Ich las nun alles, was ich über Guadalupe und sein wundertätiges Heiligtum finden konnte. Dabei merkte ich, wie vorsichtig, um es gelinde auszudrücken, die meisten Schriftsteller sind, wenn es sich um Übernatürliches handelt.

 

Zuerst gab es einmal solche, die absolut „neutral“ bleiben wollten. Zwar beschrieben sie die große Verehrung des mexikanischen Volkes und erzählten die Geschichte der Erscheinung, aber wenn man alles las, hatte man den Eindruck, als wollten sie einem sagen: „Das ist die Legende, so wie sie erzählt wird, aber bitte, fragen Sie nicht darnach, ob sie wahr ist. Schließlich sind diese Leute ja arme, ungebildete Mexikaner.“

 

Dann waren da die „aufgeklärten“ Spötter. Sie gingen von der Voraussetzung aus, dass Wunder natürlich unmöglich sind. Sie führten an, dass die Kirche noch nie eine unfehlbare Erklärung über das sogenannte „Wunder von Guadalupe“ gegeben habe. Mit der Herablassung eines Gelehrten stellten sie sogar großmütig fest, dass Maler und Handwerker nicht in der Lage gewesen seien, zu erklären, welche Art von Farben zu diesem Bild verwendet worden seien und wie ein so raues und ungeeignetes Tuch dazu gewählt werden konnte. Aber „zweifellos“ (welch passendes Wort!) handle es sich um irgendein altes aztekisches Geheimrezept, da die Eingeborenen sich ja sehr gut auf das Mischen von Farbstoffen verstanden. Oder aber man behauptete, dass die Farbe wiederum „zweifellos“, neu aufgetragen worden seien, was ihre dauernde Frische nach vier langen Jahrhunderten erkläre. Einige Schriftsteller mit noch mehr Phantasie erinnerten daran, dass Guadalupe schon ein heidnischer Wallfahrtsort gewesen sei und gaben der Vermutung Ausdruck, dass die ersten Missionare so schlau waren, ihn in ein christliches Heiligtum zu verwandeln! In diesem Stil ging es fort.

 

Cortez hatte Mexiko im Jahr 1519 erobert. Die „zwölf Apostel von Mexiko“, nicht die ersten, aber die berühmtesten der Franziskanermissionare, waren im Jahr 1524 in das Land gekommen. Dies ist das „Jahr, in dem der Glaube kam“, und die Indianer datieren alle Ereignisse von diesem Hauptereignis an. Jeder dieser zwölf Mönche soll nicht weniger als 100.000 Indianer getauft haben. 1531 hatte die Zahl der katholischen Indianer eine Million erreicht. Unter ihnen befand sich Juan Diego, ein 55jähriger Konvertit.

 

An einem Samstag im Dezember jenes Jahres eilte Juan zur Messe in die Franziskanerkirche der Stadt Mexiko. Da erschien ihm auf dem Tepeyac-Hügel die allerheiligste Jungfrau und schickte ihn mit der Botschaft zum Bischof, sie wolle an der Stelle, wo sie sich befinde, eine Kirche erbaut haben. Juan ging zum Bischof, dieser aber schenkte der Erzählung Juans keinen Glauben.

 

Wiederum erschien die Gottesmutter Juan an derselben Stelle und schickte ihn abermals zum Bischof. Da beauftragte der Bischof den Indianer, die Erscheinung um ein Zeichen zu bitten, wenn sie sich ihm wieder zeige. Juan versprach dies zu tun. Am Montag jedoch lag sein Onkel im Sterben. Am Dienstag, den 12. Dezember, bei Tagesanbruch, eilte Juan in die Stadt, um einen Priester zu holen. Da er von der Erscheinung nicht aufgehalten sein wollte, wählte er einen anderen Weg, aber die Muttergottes erschien ihm wieder. Sie beruhigte ihn und erklärte, sein Onkel werde geheilt (was auch eintrat). Wieder sprach sie von ihrer Kirche, und daher bat Juan sie ohne Zögern um ein Zeichen.

 

Da befahl sie ihm, einen nahen Felsen zu erklettern und oben Rosen zu pflücken. Obgleich es weder die Jahreszeit noch der Platz für Rosen war, fand er welche an der Stelle, wohin er geschickt worden war. Als er sie ihr brachte, legte sie sie in seine „Tilma“ (Mantel) und gebot ihm, sie so zum Bischof zu tragen.

 

So trug er sie sorgfältig in seinen langen Mantel eingeschlagen zum Bischof und überreichte diesem voll Freude das Zeichen. Als er den Mantel aufmachte, fielen die Rosen heraus, und er war ganz überrascht zu sehen, wie Bischof Zumarraga und seine Umgebung auf ihre Knie fielen. Als er hinabblickte, sah er auf seinem ärmlichen Mantel das Bild der Gottesmutter, so wie sie ihm erschienen war, aufleuchten. Das war wahrhaftig ein Zeichen! Ihr blumenbesticktes Kleid war rosarot, ihr Mantel bläulich-grün mit goldenen Sternen und Strahlen darauf.

 

Noch heute sind die Farben ganz hell und frisch, und was das Merkwürdige ist: das Gemälde scheint eine Mischung von Ölgemälde, Wasserfarben und Temperamalerei mit reichlichem Gebrauch von Gold zu sein.

 

Juans Mantel bestand aus zwei Stücken grobgesponnenen Tuches aus Pflanzenfasern, wie Sackleinwand. Er wurde durch ein paar armselige Stiche zusammengehalten. Noch sieht man die Naht in der Mitte der Figur, aber neben dem Gesicht vorbeigehend. Dieser arme Mantel aus Sackleinwand mit dem so kostbaren Wundergemälde wurde in der Hauskapelle Bischof Zumarragas aufbewahrt und verehrt, bis das vorläufige Heiligtum fertig war. Dies war ein einfaches Gebäude aus rotem Lehm. Immer und immer wieder wurde es neu erbaut, jedes Mal in größerem Ausmaß, bis schließlich an der Stelle die gegenwärtige Basilika errichtet wurde, die im Jahr 1907 fertiggestellt war.

 

Die erste Kapelle wurde im Mai eingeweiht. Die „Fiestas“ dauerten neun Tage, und viele geistliche und weltliche Würdenträger wohnten den Feiern bei. Die Häuser und Straßen der Hauptstadt waren beleuchtet und herrlich geschmückt. Der nächtliche Himmel war taghell beim Abbrennen der Feuerwerke. Die ganze Stadt Mexiko feierte, und Unsere Liebe Frau von Guadalupe wurde in echt mexikanischer Weise geehrt.

 

In der Folgezeit verbreitete sich die Verehrung des Bildes in allen Ständen. Erzbischöfe und Vizekönige zollten ihm ihre Verehrung. Von ihm ging ein gewaltiger Einfluss auf das sittliche Leben und die Gebräuche des Landes aus, es regte auch das Nationalgefühl an. Hatte nicht die himmlische Herrin erklärt, sie würde das Volk Mexikos schützen? Niemals zuvor hatte man eine solche Andacht und Frömmigkeit in der Neuen Welt gesehen.

 

Das Bild „Unserer Lieben Frau von Guadalupe“ wurde zum Symbol der nationalen Befreiung Mexikos. Die Verehrung nahm noch gewaltig zu, als sich die patriotischen Gefühle beim Triumph der Freiheitsidee mit der religiösen Andacht vermischten. Auch heute hat die Verehrung dieses Heiligtums nicht nachgelassen. Noch ist sie trotz der Verfolgungen der vergangenen Jahre lebendig und tief im mexikanischen Volk.

 

Es gibt viele Nachbildungen dieses Bildes in Mexiko, Mittel- und Südamerika; denn „Nuestra Señora de Guadalupe“, Unsere Liebe Frau von Guadalupe, gilt als die Patronin ganz Lateinamerikas. Ja, ihre Verehrung hat sich inzwischen in der ganzen Welt verbreitet. Auch die Vereinigten Staaten haben jetzt eine Kopie des Wunderbildes. Im Herbst 1939 wurde auch ein Ölgemälde in der Kathedrale von Paris angebracht und eine Figurengruppe, die das Wunder darstellt, in den Vatikanischen Gärten enthüllt.

 

Zwar hat die Kirche nie eine formelle Erklärung über die Echtheit des Wunders abgegeben. Ihre Überlieferung jedoch, sowohl die mündliche wie die schriftliche, hat von Anfang an niemals geschwankt. Schon Bernal Diaz, ein Begleiter von Cortez, erwähnt das Wunder in seinen Schriften.

 

„Qué importa“ (was tut es?), wie die Mexikaner sagen, ob der Glaube an die Erscheinung ein Glaubenssatz ist oder nicht, ob der Mantel aus pflanzlichen Faserstoffen oder einer wilden Palme oder aus grobem Wolltuch besteht? Ob ein Engel oder ein Azteke den Pinsel hielt und die Farben mischte? Was wichtig ist, ist die Tatsache, dass Maria im Himmel sich bereit zeigt, ihre Gnadengaben allen zu geben, die nach Guadalupe gehen und in ihrem Herzen sprechen: „Nuestra Señora de Guadalupe, Unsere Liebe Frau von Guadalupe, bitte für uns!“

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75. St. Anna in Kanada

 

Die berühmtesten Wallfahrtsorte in der „Neuen Welt“ befinden sich nicht in den Vereinigten Staaten, sondern in Mexiko und in Französisch-Kanada. Der eine ist der Unserer Lieben Frau von Guadalupe in der Stadt Mexiko, wohin bereits 1532 Wallfahrten kamen. Der andere ist St. Anna de Beaupré in der Nähe von Quebec in Kanada, nicht weit jenseits der Nordgrenze von USA. Dieser Wallfahrtsort ist das amerikanische Lourdes, der beliebteste Wallfahrtsort der Neuen Welt. Millionen Amerikaner haben diesen heiligen Flecken an den Ufern des St. Lorenz-Stromes aufgesucht. Mehrere Hunderttausend überschreiten alljährlich die Grenze, um sich dieses Heiligtum anzusehen und dort zu beten, und ohne Zweifel sind auch viele von denen, die nur hingingen, um es zu sehen, dann doch dort verweilt, um zu beten. Mindestens 80 Prozent der Pilger kommen jetzt im Auto an.

 

Father LeBlanc, der Leiter der Pilgerzüge, ist der Auffassung, dass die schöne neue Straße, die entlang dem St. Lorenz-Strom angelegt worden ist, noch viel mehr Besucher zu diesem Heiligtum bringen wird.

 

St. Anna de Beaupré ist ein Landstädtchen. Es besitzt viele mittelgroße Hotels und Andenkenläden, aus deren Mitte sich die majestätische Basilika emporhebt. Die Basilika ist ein mächtiger Granitbau, 100 m lang, 60 m breit, eindrucksvoll überragt von zwei Türmen, die sich 90 m in die Luft erheben. Hinter der Basilika liegt das große Klostergebäude, ebenfalls aus Granit. Auf der anderen Seite der Straße befinden sich an den Abhängen der Hügel eine Nachahmung des alten Heiligtums, lebensgroße Kreuzwegstationen, die Kapelle der heiligen Treppe und ganz oben auf dem Kamm der Hügel zwei Nonnenklöster.

 

Was tun die Pilger, wenn sie ihre Wagen auf einem der vielen Parkplätze abgestellt haben? In der Regel bleiben sie zunächst stehen und bewundern die herrliche Basilika. Treten sie dann in die Kirche ein, machen sie wiederum vor Staunen und Bewunderung halt, wenn sie den Hochaltar erblicken und, hoch über sich, von einer Allee von Säulen getragen, die strahlenden Deckenmosaiks.

 

Sie schreiten dann durch die weite, lichtdurchflutete Kirche vorwärts und kommen zum Gnadenbild der heiligen Anna, eine mit einem Diadem versehene Figur aus Eiche, die hoch über dem Marmorboden auf einem Monolithschaft von italienischem Onyx steht.

 

Dies ist der Magnet, der jedes Jahr eine halbe Million Besucher (1948) anzieht. Am Sockel dieser Statue, wo viele dankbare Pilger ihre Krücken hinterlassen haben, knien die frommen Besucher nieder. Die Inschrift am Sockel lautet: „Mutter unseres Landes, Heilige Anna, sei Du Säule der Kirche, Hüterin unseres Glaubens, Bewahrerin unserer Sitte; gewähre uns Frieden durch Deine Vermittlung.“

 

Nach diesem ersten Gebet schreitet der Pilger zum Altar der heiligen Anna. Auf beiden Seiten des Altars befindet sich auch hier eine gewaltige Ansammlung von Krücken und Prothesen mit schriftlichen Zeugnissen der früheren Besitzer, die der heiligen Anna für ihre Hilfe und Vermittlung Dank sagen.

 

Viele Pfarrvereine und Bruderschaften auf dem ganzen amerikanischen Kontinent schreiben an Father LeBlanc und bitten ihn, einen Tag für ihre Prozession und eine Stunde für die hl. Messe und hl. Kommunion zu reservieren. Über hundert solche Pilgerzüge kommen im Jahr. In der Regel verlässt ein solcher Pilgerzug den Ort noch am Tag der Ankunft wieder. Gewöhnlich ist die Wallfahrt von den eigenen Priestern begleitet, die auch die religiöse Leitung haben.

 

Die eindrucksvollste Feier ist die Lichterprozession um den Hügel. Diese Prozessionen werden besonders während der Novene des Festes der heiligen Anna gehalten. Während des ganzen Sommers finden ungefähr 25 solche Prozessionen statt. Jede macht den Eindruck, als ob sie irgendwie spontan aus der Frömmigkeit der Leute entstanden sei. An einem Sommerabend sieht man plötzlich Leute von der Basilika zu den Läden eilen. Bald tauchen sie mit angezündeten Kerzen wieder auf und versammeln sich im Hof des Heiligtums. Zwei Stunden lang windet sich nun ein Strom von Menschen, immer vier in einer Reihe, mit Kerzen in der Hand über die terrassenförmigen Hügel.

 

Gibt es wirklich Wunderheilungen in St. Anna de Beaupré? Father LeBlanc antwortet: „Jawohl, ohne Zweifel! Wir kehren zwar die Wunderheilungen nicht besonders heraus und veranlassen die Leute nicht, sie zu erwarten. Wir ziehen es vor, die religiösen Werte der Andacht und des Glaubens zu betonen. Aber trotzdem“, fährt er fort, „haben wir unbezweifelbare Beweise für Heilungen, die als Wunder betrachtet werden müssen. Sehr viele der Heilungen, die uns berichtet wurden, sind zwar wahrscheinlich auf Selbstsuggestion zurückzuführen, die durch die Hoffnung und die Erregung bei dieser Pilgerfahrt hervorgerufen wurde. Diese Heilungen sind natürlich, auch wenn sie nicht im wahren Sinn des Wortes Wunderheilungen darstellen, an sich eine sehr glückliche Belohnung für die Verehrung der heiligen Anna. Aber jedes Jahr gibt es mindestens zwei Fälle, die keinen anderen Schluss zulassen, als dass es sich um wirkliche Wunder handelt.“

 

Father LeBlanc weist darauf hin, dass Beaupré kein besonderes medizinisches Büro zum Nachprüfen der Wunder wie Lourdes besitzt. „Wir lassen uns lediglich das Zeugnis des Patienten und seines Hausarztes geben“, erklärt er.

 

Ein Freund von mir, Doktor der Philosophie Leonard Wolf, Leiter der Biologischen Abteilung der Universität Scranton, hatte das Glück, am St. Anna-Fest 1926 in Beaupré Zeuge einer Wunderheilung zu sein. Am Morgen dieses Tages hielt Kardinal Villeneuve, der Erzbischof von Quebec, einen Feldgottesdienst vor 30.000 Menschen aus allen Teilen des amerikanischen Festlandes. In der Menschenmenge befand sich ein Indianer aus dem hohen Norden Französisch-Kanadas, der von Gelenkrheumatismus so zusammengekrümmt war, dass er auf allen Vieren kriechen musste. Nach der Nachmittagsvesper kroch dieser Indianer in die Krypta und bahnte sich durch die drängende Menge seinen Weg bis vor zum Reliquienaltar. Dort küsste er ehrerbietig das Behältnis, in dem die Reliquien ausgestellt sind.

 

Plötzlich schrie jemand auf. Der Indianer hatte sich aufgerichtet und konnte gehen! In diesem Augenblick ergriff ein Taumel der Freude und Neugierde die betenden Pilger. Sie warfen die Stühle um, sprangen auf die Bänke, und tausend wilde und begeisterte Schreie ertönten: „Ein Wunder, ein Wunder!“ In der Tat, der Indianer war kein Krüppel mehr, sondern ging vor dem Altar, zaghaft zwar, aber aufrecht. Später erklärte er meinem Freund, er habe in dem Augenblick, da er die Reliquien küsste, gespürt, wie die heilende Veränderung durch seine Adern strömte.

 

Das Heiligtum verdankt seine Entstehung einem Ereignis, das als Wunder angesehen wird. Im Jahr 1650 befanden sich einige bretonische Seeleute auf dem St. Lorenz-Strom und gerieten in einen solchen Sturm, dass sie um ihr Leben bangten. Die Matrosen waren in der Nähe des großen Heiligtums der heiligen Anna in Auray in ihrer französischen Heimat aufgewachsen und hatten schon von Jugend auf eine fromme Verehrung für die heilige Mutter Marias. In ihrer Seenot flehten sie zur heiligen Anna um Hilfe und gelobten an der Stelle, wo sie sicher landen würden, eine Kapelle zu errichten. Zwei Tage später landeten sie glücklich in Beaupré und errichteten einige Jahre später eine Holzkapelle an der Stelle, wo heute die Basilika steht.

 

Father Thomas Morel, Missionspriester von Beaupré zwischen 1661 und 1678, schrieb einen Bericht über die wunderbaren Heilungen dort. Im Jahr 1662 wurden ein Epileptiker und eine Frau mit verkrüppelten Rückgrat nach einer Novene zu Ehren der heiligen Anna geheilt. Im Jahr 1647 wurde das gelähmte Bein eines Soldaten am fünften Tag einer Novene wieder heil.

 

Am 25. Juni 1680 schrieb Monsignore de Laval, der erste Bischof von Quebec, über Father Morels Bericht: „All dies ist wahr. Wir haben die Tatsachen so sorgfältig untersucht und nachgeprüft, dass sie der ganzen Welt mitgeteilt werden können.“

 

Inzwischen wurde die zweite Kapelle zweimal erweitert. Im Jahr 1876 wurde eine neue Basilika errichtet, die im Jahr 1922 niederbrannte. Ein Notheiligtum, das 1926 errichtet worden war, brannte ebenfalls ab. Die jetzige Basilika wurde im Jahr 1927 begonnen. Die ursprünglich kleine Zahl von Pilgern ist inzwischen zu einem mächtigen jährlichen Strom von einer halben Million (1948) angeschwollen, den weder Krieg noch Feuer noch Hochwasser aufhalten können.

von Austin J. App

Zusammenfassung aus „Magnificat“ 1947

131 Laurel St.., Manchester, N.H.

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76. Die Marienkapelle in Abtsgmünd

 

Wer von Hüttlingen nach Abtsgmünd wandert, sieht wenige hundert Meter vor Abtsgmünd in der Wiese eine Kapelle, die auffällt durch ihre Größe, durch ihre Anlage in Kreuzesform, durch eine dem Chor vorgebaute Sakristei und durch einen gefälligen Dachreiter auf dem Giebel. Auch das Innere der Kapelle ist nicht gewöhnlich. Sie birgt drei Altäre. Aus dem Hochaltar heraus ragt ein massiges Kreuz mit zwei Querbalken, dem ein kleines Muttergottesbild eingefügt ist. Das Gewölbe und die Seitenwände sind mit ansprechenden Stukkaturen verziert, die zum Teil größere und kleinere Gemälde umrahmen.

 

Die Kapelle hat ihre Geschichte. Kaspar Eberhardt, ein Abtsgmünder Getreidehändler, hatte auf einer Geschäftsreise im Jahr 1683 sich ermüdet hingelegt und seine Geldgurt mit 200 Gulden Inhalt abgeschnallt. Bei der Weiterreise ließ er seine Geldgurt liegen und bemerkte das erst nach zwei Stunden. Er kehrte wieder zurück, um sie zu holen und gelobte, wenn er sein Geld wieder antreffe, ein Passionskreuz zu Ehren der allerseligsten Jungfrau Maria errichten zu lassen. Der Mann fand seine Geldgurt unversehrt vor, die Erfüllung seines Gelübdes jedoch vergaß er! Nicht gar viel später, als er bei einer Geschäftsreise über den Rhein fuhr und das Schiff in Gefahr geriet, unterzugehen, erinnerte er sich seines nicht erfüllten Gelübdes und erneuerte dasselbe. Gleich nach seiner Rückkehr erfüllte er nun sein Versprechen, ließ ein großes, schweres Kreuz errichten, darin eine muschelförmige Höhlung aushauen und in ihr ein Muttergottesbild aufstellen. Von diesem Bild heißt es in der Beschreibung: „Dieses anmutige Bildnis ist von weißer Erde, etwa eine starke Spanne lang, auf der linken Hand trägt es das Kindlein Jesu, die Kron auf dem Haupt hält zu jeder Seiten ein Engel, also auch das End des Mantels, wiewohl alles aus einem Stück Erden formiert ist, so viel mir bekannt, nach der Abbildung des wundertätigen Gnadenbildes zu Maria Zell in Steiermark.“ Nicht sonderlich beachtet stand das Kreuz an der Straße, unweit der Ziegelhütte in Abtsgmünd. Anders wurde es im Jahr 1735. Der Bauer Matthäus Funk von Rötenbach, Pfarrei Hohenstadt, wurde von einem schlimmen Fußleiden, an dem er schon über ein Jahr krank gelegen war, geheilt, nachdem er eine dreifache Wallfahrt zu dem Kreuz bei der Ziegelhütte in Abtsgmünd versprochen und dann auch gemacht hatte.

 

Diese Heilung wurde bald weithin bekannt und eine Verehrung des Marienbilds in dem Passionskreuz setzte ein. Namentlich versammelten sich Kinder vor dem Kreuz und beteten dort den Rosenkranz. Der Wunsch wurde laut, es möchte eine Kapelle errichtet werden. Der Pfarrer von Abtsgmünd unterstützte die Sache, im Jahr 1735 noch wurde der Bau der Kapelle begonnen und im Jahr 1736 vollendet. Das Kreuz wurde in der Weise in den Altar eingebaut, dass das Muttergottesbild in der Kapelle auf dem Altar sichtbar war, während der obere Teil des Kreuzes zum Dach hinausragte. Rege war der Besuch der Wallfahrer, in allen möglichen Anliegen fanden sie Erhörung, wie in der Beschreibung der marianischen Gnadenkapelle aufgezeichnet ist. Mit dem Wachsen der Zahl der Wallfahrer wurde der Wunsch nach der Vergrößerung der Kapelle wach. Im Jahr 1740 wurde dem ersten Bau ein Langhaus angefügt. Vom Jahr 1743 an wurde ein regelmäßiger Gottesdienst in der Kapelle eingeführt und als am 21. Juni 1750 Kreuzwegstationen in die Kapelle eingesetzt wurden, waren bei der Feier etwa 6000 Besucher anwesend, und man zählte mehr denn 2000 Kommunikanten. Eine zweite Erweiterung der Kapelle erfolgte im Jahr 1765. Während des Baus wurde das Gnadenbild in die Pfarrkirche gebracht. Nach Vollendung desselben wurde es in großer Feierlichkeit wieder in die Marienkapelle übertragen. Mit Kreuz und Fahnen waren die Gemeinden Schechingen, Hohenstadt, Heuchlingen, Dewangen, Neuler und Hüttlingen zu der Feier gekommen.

 

Das war die Blütezeit der Wallfahrt. Noch hielt sie einige Jahrzehnte an. Aber der verderbliche Einfluss der Aufklärungszeit brachte die Wallfahrt zum Erlöschen. Während der Zeit des Neubaus der Pfarrkirche diente die Kapelle der Gemeinde als Gottesdienstraum. Ganz ist das Marienbild im Kreuz nie vergessen worden. Am Sonntag fanden sich immer fromme Seelen, welche den Rosenkranz in der Kapelle beteten, am Dominikusfest machte die Filialgemeinde Wöllstein immer eine Wallfahrt dorthin, in der Bittwoche zog die Pfarrgemeinde mit Kreuz und Fahnen zur Kapelle und seit der Marienweihe der Diözese im Jahr 1943 mehrte sich wieder die Zahl der Beter in der Kapelle, die in Kriegsnot ihre Zuflucht zur Gottesnummer nahmen. Möge die Kapelle auch fernerhin eine Gnadenstätte sein, von der Glaubenskraft und Trost in allem Leid ausgeht wie in früheren Zeiten.

 

J. Hahn, Pfarrer

Katholischer Volks- und Hauskalender 1946

93. Jahrgang

Schwabenverlag AG Stuttgart, Urbanstr. 94

 

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77. Maria Kirchental

 

Ein österreichisches Seitenstück zur „Weinenden Madonna von Syrakus“

 

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An der bekannten, südöstlich durch den Pinzgau führenden Wanderstrecke Lofer – Saalfelden – Zell am See – Großglockner liegt, drei Kilometer vom erstgenannten Ort entfernt, das alte Pfarrdörfchen St. Martin (635 m ü. M.). Hier mündet von Westen her ein Fahrsträßchen ein, das sich zum Wallfahrtsort Maria Kirchental (880 m ü. M.) emporschlängelt. Viele Fußgänger aus dem Westen ziehen freilich der Straße den Feldweg vor, der von Lofer nach Bad Hochmoos leitet und von da ab als „Tiroler Steig“ an der bewaldeten westlichen Berglehne hinaufklimmt. Es mögen insgesamt wohl 30 000 bis 40 000 fromme Pilger sein, die alljährlich dem beliebten Marienheiligtum zustreben. Sie kommen zumeist aus dem Salzburger Land, aus Tirol, Oberösterreich und Oberbayern. So ist es zum Beispiel Sitte geworden, dass jedjährlich neben zahlreichen Einzelwallfahrern aus Bad Reichenhall und seiner Umgebung eine Autobuskolonne mit mehreren hundert Teilnehmern aus den dortigen beiden Stadtpfarreien eintrifft.

 

Auf der Höhe angelangt, schreiten wir zwischen ein paar Gebäuden und Verkaufsständen hinunter in eine schmale, kurze Einbuchtung der Loferer Steinberge. Wald-, matten- und feldbekleidete Steilhänge umranden auf drei Seiten das Hochtälchen. Über dem Westabschluss starrt eine Partie schroffer, kahler Gipfel, Zacken und Grate der Steinberge gen Himmel, während rückwärts aus dem ferneren Südosten das Kammerlinghorn (gegen 2500 m) herübergrüßt. Zu Füßen der westlichen Halde aufragend, schimmert uns die Wallfahrtskirche Maria Kirchental in festlich-hellem Gewand entgegen. Mit ihrer einfachen, vornehmen, von zwei gedrungenen Türmen flankierten Fassade fügt sie sich glücklich in den ernsten, gewaltigen Bergrahmen ein. Wegen ihrer äußeren und inneren Schönheit und wegen ihres für die Landesverhältnisse ungewöhnlichen Fassungsvermögens - 2000 –is 2500 Personen – legt man ihr mancherseits auch den Nebentitel „Pinzgauer Dom“ bei.

 

Die lateinische Inschrift über dem schlichten Kirchenportal und ein Wappen künden, dass Johannes ernst Graf von Thum, Fürsterzbischof von Salzburg, als Bauherr dieses Gotteshauses fungierte. Wie kam der Kirchenfürst zur Aufführung eines solch imponierenden Werkes in einem weitverlorenen Erdenwinkel? Die Frage führt von selbst zu kurzer Schilderung der Entstehungsgeschichte dieser Wallfahrt.

 

Um 1670 herum errichtete ein biederer Bürger von St. Martin unweit der jetzigen Wallfahrtskirche eine kleine Holzkapelle. Nach seiner löblichen Absicht sollte sie eine Stätte der Andacht und Besinnlichkeit sein, und zwar in erster Linie für die „Kircher“. So bezeichnete man die Umwohner der Pfarrkirche St. Martin, die in dem besagten Hochtälchen Holz- und Weiderechte besaßen. Danach hieß das hochgelegene Tal „Kirchental“. Etwa 20 Jahre später ersetzten die 21 Interessenten der „Gesamtnachbarschaft“ von St. Martin das baufällige Kapellchen durch eine aufgemauerte Kapelle. Dahin übertrugen sie mit kirchlicher Genehmigung am 26. Juni 1688, dem Fest der Wetterheiligen Johannes und Paulus, ein vielverehrtes gotisches Marienbild, das seit 200 Jahren einen Seitenaltar der Pfarrkirche geziert hatte, im Zug des ausgehenden 17. Jahrhunderts aber mit der übrigen gotischen Ausstattung des Gotteshauses dem Barockstil hatte weichen müssen. Es handelt sich hier um ein 80 cm hohes Schnitzwerk. Auf einem Thron sitzend trägt Maria das Gotteskind auf ihrem Schoß und umfängt es mit ihrer Rechten. Das Kind hält in der einen Hand ein Vögelchen, ein Sinnbild der Seele, mit der anderen deutet es darauf hin, als wolle es diese Seele dem Schutz der Mutter empfehlen.

 

Die Andachtsstätte im Kirchertal erfreute sich wachsenden Zuspruchs. Bald verbreitete sich das Gerücht, Mariens Gesichtszüge auf dem Madonnenbild zeigten bisweilen Trauer, Tränen kämen aus ihren Augen und flössen über ihre Wangen. Der Erbauer der ursprünglichen Holzkapelle wollte diese Beobachtung zuerst gemacht haben. Das gleiche versicherten mehrere St. Martiner und Loferer, die an „Mariä Geburt“ und „Mariä Namen“ ins Hochtal aufgestiegen waren. Die Kunde davon zog natürlich noch mehr Menschen hinauf ins Kirchertal als bisher. Die kirchliche Oberbehörde in Salzburg wurde von all dem in Kenntnis gesetzt. Eine Kommission traf von dort zur Untersuchung des Tatbestandes ein, prüfte genau den Leumund der zu verhörenden Personen, weiterhin die Wahrnehmungen, die sie gemacht haben wollten usf. Die Kommission ließ sich von der festen Absicht leiten, Selbsttäuschung oder Suggestion auszuschließen oder solche herauszufinden. Die betreffenden Zeugen wurden eidlich vernommen. Dann erging am 22. Dezember 1690 seitens des erzbischöflichen Konsistoriums in Salzburg ein ausführlicher Bericht über die ganzen Vorgänge nach Rom zugleich mit der Anfrage, was in diesem Fall zu tun sei. Die Antwort aus Rom vom 20. Januar 1691 lautete, dem Inhalt nach, folgendermaßen:

 

Wegen so vieler eidlicher Zeugnisse dürfe man die Sache nicht einfach zurückweisen. Es wird daran erinnert, wie streng Rom bei der Untersuchung solcher Fälle vorzugehen pflege, und dass, wenn auch jeder Betrug ausgeschlossen sei, doch solche wunderbare Begebenheiten nicht positiv als wunderbar approbiert würden, sondern es jedem anheim gegeben bleibe, ob er es glauben wolle oder nicht; es wird auf die Norm hingewiesen, die Rom anlässlich ähnlicher Vorgänge in Padua (1617) aufgestellt habe. Dann heißt es wörtlich weiter: „... man soll die Sache so, wie sie ist, in aufrichtiger klarer Erzählung auseinandersetzen, so dass es jedem freisteht, auf welche Seite er sich neigen soll. So geschieht es, dass guten Menschen der Anlass zur Andacht unbenommen bleibt und böse Menschen keinen finden können, ihre Bosheit zur Geltung zu bringen.“

 

Und bei diesem klugen Bescheid ist es geblieben. Von jetzt an durften heilige Messen in der Kapelle gefeiert werden. Am 31. Oktober 1691 zelebrierte Fürsterzbischof Graf von Thum selbst vor dem Gnadenbild. Gelegentlich dieses Besuches beschloss er, an Ort und Stelle ein Priesterhaus zu errichten. Es sollte den Wallfahrtspriestern als Wohnung dienen. Außerdem war es als Herberge ausersehen für die vielen Wallfahrer, die sich in steigendem Maß aus dem Salzburger Land, aus Tirol, Bayern, der Steiermark und sogar aus Ungarn einfanden. Gleichzeitig beauftragte der Fürsterzbischof den berühmten Hofarchitekten und Barockkünstler Fischer von Erlach mit dem Bau einer großen Wallfahrtskirche. Sie sollte eine möglichst würdige Wohnung Gottes und ein hehres Heim des Gnadenbildes werden. Damit war auch die Umwandlung der Bezeichnung „Kirchertal“ in „Kirchental“ eingeleitet.

 

Das heute noch bestehende ansehnliche Priesterhaus wurde 1693 fertig. Die Konsekration der Kirche erfolgte am Fest Mariä Geburt 1701. Danach übertrug man das Gnadenbild in feierlicher Prozession aus der Kapelle in das neue Gotteshaus und setzte es auf dem Hochaltar ein. Die Krönung des Gnadenbildes Mariens und ihres Kindes fand am 23. Juli 1707 durch den Fürsterzbischof selbst statt, der trotz fortgeschrittener Erblindung zu diesem Zweck zum letzten Mal nach Maria Kirchental gekommen war. Er hat auch den Großteil des Geldaufwandes von Kirche und Priesterhaus aus eigenen Mitteln bestritten. Der Rest der Baukosten wurde durch anderweitige Spenden, durch Pilgeralmosen und dergleichen aufgebracht. Die Kosten wären noch bedeutend höher gekommen, wenn nicht sehr viele Wallfahrer ganze Lasten von dem bei St. Martin aufgestapelten Baumaterial (Sand, Ziegel usw.) in dort bereitliegenden Säcken opferwillig den abschüssigen Hang hinaufgeschleppt hätten.

 

Die nach Westen orientierte Kirche ist ein länglicher Zentralbau. Der quadratische, mit einem kuppelartigen, bemalten Kreuzgewölbe überdeckte Mittelraum streckt nach allen vier Himmelsrichtungen Arme aus. Wandpfeiler mit zierlichen Kapitellen aus Stuck gliedern die Wände. Den Obergeschossräumen sind sechs schöne Balkone vorgelegt. Geheimnisvolle Dämmerung hüllt das Ganze ein, da in der Hauptsache nur die kleinen Fenster des Obergeschosses den Lichteintritt ermöglichen.

 

Die übrige Innenausstattung datiert aus verschiedenen Zeiten. Daraus erklärt sich auch die Mischung des Barocks mit dem Rokokostil. Der jetzige Hochaltar stammt aus dem Jahr 1857; das Gnadenbild thront über dem Tabernakel in einem Säulentor zwischen Engeln, Palmen und Blumen.

 

Unter den Heiligenstatuen sei die der heiligen Elisabeth von Thüringen wegen ihres Zusammenhanges mit einer geschichtlichen Tragödie eigens hervorgehoben: Die Hofdame der am 10. September 1898 in Genf ermordeten Kaiserin Elisabeth von Österreich, Gräfin Szatray, die Begleiterin der Fürstin auf ihrem Todesgang, ließ die Statue hierherbringen; deshalb lehnt an den Knien der heiligen Elisabeth das Bild der unglücklichen Kaiserin. Wie nicht anders zu erwarten, sind in dem Gotteshaus Hunderte von Votivtafeln und -gegenständen angebracht, die in ihrer stillen Sprache der Fürbitte der Gottesmutter Hilfe und Gebetserhörungen in allen mögliche Nöten und Anliegen zuschreiben und von der innigen Liebe und dem unerschütterlichen Vertrauen des katholischen Volkes auf Macht und Güte der allerseligsten Jungfrau erzählen.

 

Die Kirche und Wallfahrtsstätte Maria Kirchental ist seit 1938 der Obsorge der Herz-Jesu-Missionare aus dem Missionshaus Liefering bei Salzburg anvertraut. Sie werden in ihrem eifrigen Wirken von Herz-Jesu-Missionsschwestern unterstützt, die die Wallfahrer und sonstigen Besucher auch in leiblicher Beziehung betreuen. In ihrem Gasthaus „Kirchentalwirt“ und ihm zugehörigen Gebäulichkeiten stehen etwa 80 Fremdenbetten zur Verfügung. In den sauberen Räumen des Kirchentalwirts fühlt man sich bei freundlicher Bedienung, preiswerter Unterkunft und Verpflegung bald „wie daheim“. Dazu die österreichische Gemütlichkeit im besten Sinn des Wortes, die herrliche Gottesnatur, die prickelnde Höhenluft, die völlige Ruhe und Abgeschiedenheit vom Lärm und Getriebe der Welt und nicht zuletzt die nächste Nähe der Wallfahrtskirche mit der Gelegenheit, täglich um 6 und 9 Uhr einer heiligen Messe anwohnen zu können – ein köstliches Plätzchen zu echter leiblicher und seelischer Erfrischung und Erholung! Kein Wunder, dass man dort in den letzten Jahren während der Monate Juni bis September neben der Flut der täglichen Pilger stets durchschnittlich 30 bis 50 Pensionsgäste, auch aus Bayern und dem weiteren deutschen Bundesgebiet, zählen konnte.

Dr. Heinrich Sambeth

Katholischer Volks- und Hauskalender 1956

Schwabenverlag AG Stuttgart

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78. Guadalupe in Spanien

 

Guadalupe, das Juwel der Estremadura

 

von P. Gerhard Hermes

in „Rosenkranz“, Heft 9+10, September+Oktober 1956

 

La Joya – das Juwel, so nennen die Bewohner des „äußersten“ südwestlichen Spaniens ihr Heiligtum und sein Gnadenbild. Andere Reichtümer haben sie nicht aufzuweisen, diese im jahrhundertelangen Kampf mit einer sonnverbrannten Scholle hart gewordenen und arm gebliebenen Menschen, es sei denn, man rechnete eine große und stolze Geschichte dazu und die zerfallenden Paläste und Eroberer von Mexiko und Perú. Ehern und rau klingt das Lied dieser einsamen Hochebene mit weglosen Schluchten und nackten Gebirgsketten, von heldenhafter Härte und unerhörter Kühnheit singt es, noch aus den Tagen des Bürgerkrieges, aber im Bergtal von Guadalupe wird es zart und innig und offenbart eine im tiefsten Grunde kindliche Seele. Da weiß es um die stete Sorge des um die Herde bangenden Hirten und um die Liebe des Vaters, die für das Kind blutet, und weiß um eine mütterliche Hilfe, die aus der Erde kommt und vom Himmel stammt.

 

Um das „Juwel“, um das Gnadenbild von Guadalupe schlingt sich das Lied und um dies Kleinod drängt sich aller Schmuck und Reichtum zusammen: das Gold und Silber der Könige und Granden Spaniens, die von seinen Fürstinnen gestickten perlenübersäten Gewänder, die Schätze der Kunst, die in allen großen Jahrhunderten der spanischen Geschichte darum rang, der Perle die geziemende Fassung zu geben, rundum dann die herrliche Bergkette der „Sierra de Guadalupe“, auch „Cordillera Marianica“ genannt, und der „Montes de Toledo“, über allem aber die Liebe, das Herz eines großen Volkes, das die Perle wie eine lebendig atmende Muschel umhüllt.

 

Die Geschichte Spaniens ist mit der seiner marianischen Heiligtümer untrennbar verknüpft. Wie die „Reconquista“, die Rückeroberung der Halbinsel, am Heiligtum der Covadonga in Asturien ihren Ausgang nahm, so ging sie zu Ende im Schatten des Heiligtums von Guadalupe; denn der Sieg am Salado, den Alfons XI., am 29. Oktober 1340 gegen eine ungeheure Übermacht mit ganz geringfügigen eigenen Verlusten errang, schwächte die Mauren so empfindlich, dass sie seither keine wirkliche Gefahr für Spanien mehr darstellten und dieser Erfolg war nach der einhelligen Überzeugung der Sieger der Hilfe Unserer Lieben Frau von Guadalupe zuzuschreiben. Nicht anders dachten die „Katholischen Majestäten“, Isabella und Ferdinand, über den Endsieg; denn nach der Einnahme von Granada kamen sie für längere Zeit in ihr neuerbautes Palais von Mirabel bei Guadalupe, um der „Siegerin in allen Schlachten Gottes“ Dank und Huldigung darzubringen.

 

Als die Schlacht am Salado geschlagen wurde, bestand Guadalupe erst wenige Jahrzehnte, Der Ruhm, den das im schwer zugänglichen Gebirge gelegene Heiligtum bereits genoss, ist am leichtesten zu erklären, wenn man die wunderbaren Begebenheiten, von denen die Gründungsgeschichte berichtet, wirklich als geschehen hinnimmt. Danach fand ein Hirte von Caceres nach dreitägiger Suche eine seiner Kühe am Hügel Altamiras, dort, wo sich heute das Kloster erhebt, verendet vor. Als er sie ausschlachten wollte, erschien ihm die heilige Jungfrau, erweckte das Tier zum Leben und befahl dem Hirten, der Geistlichkeit folgendes zu vermelden: Man möge eine hier vergrabene Statue ausgraben und ihr an Ort und Stelle eine Kirche errichten. Ein zweites Wunder, die Erweckung seines toten Töchterleins, überzeugte den (hier wie überall von Berufs wegen misstrauischen) Klerus; man ging daran, den Wunsch der Erscheinung zu erfüllen und erbaute für den Kult des tatsächlich aufgefundenen Bildes eine steinerne Kapelle und eine Einsiedelei.

 

Alfons XI. erwies sich, besonders nach dem Sieg über die Sarazenen von 1340, als freigebiger Schützer und Diener des Heiligtums und ernannte Don Pedro Barossa, nichts Geringeres als einen Kardinal der Römischen Kirche, zum ersten Abt der Einsiedelei. Unter dem Schutz aller spanischen Könige und durch die freudige Verehrung des Volkes entstanden im Lauf der Zeit ein Kloster, ein Dorf, Krankenhäuser, viele Bauernhöfe, Kollegien, Schulen, Gärtnereien, Viehzüchtereien und besonders eine kunstgewerbliche Industrie, wie es keine in ganz Spanien gab. Vor der Gründung des Eskorials war Guadalupe das reichste und berühmteste Kloster Spaniens, und vor dem Aufstieg Zaragozas im 17. Jahrhundert der nationalspanische Wallfahrtsort, dessen Ruhm bis nach Amerika ausstrahlte.

 

Heute ist Guadalupe, wenigstens für den deutschen Spanienreisenden, ein wenig bekanntes und höchst selten besuchtes verborgenes Kleinod. Die Hauptverkehrsstraße Madrid-Badajoz umgeht die „Cordillera Marianica“ nördlich in großen Bogen, und die Verbindungsstraße Mérida-Toledo, an der Guadalupe liegt, vielleicht die kurvenreichste in ganz Spanien, hat noch nicht überall eine Asphalt-Decke. Interessenten sei aber gesagt, dass sie, wenn auch nicht staubfrei, mit dem Personenwagen doch gut befahrbar und auch für Busse passierbar ist. Die Fahrt nach Guadalupe lohnt sich wahrhaftig, und ich habe es im August des vergangenen Jahres nur bedauert, dass wir statt zweier Tage nicht zwei Wochen Zeit zu Verfügung hatten – man wäre auch darin mit dem Schauen und Wundern noch nicht fertig geworden. Guadalupe ist ein steingewordenes Zeugnis der Geschichte und der Kunst Spaniens.

 

Das letzte große Ereignis vom Jahr 1936 ist noch lebendige Erinnerung bei den Franziskanermönchen und den Bewohnern des Ortes: die Befreiung von den Roten, die mit einer erdrückenden Übermacht (wenn ich mich recht erinnere, waren es 2000 Milizionäre gegen kaum hundert Verteidiger) den Ort belagerten, in den sich 5000 Menschen zurückgezogen hatten. Wir trafen gerade in jenen Augusttagen ein, in denen man das Gedächtnis daran beging, und Stadt und Kloster waren erfüllt von diesbezüglichen Gesprächen, in denen wir manche erschütternde Einzelheit erfuhren und vor allem dem Glauben begegneten: Auch diesmal war die Virgen von Guadalupe die Retterin.

 

Von einem andern, weiter zurückliegenden Ereignis, das ich allerdings mit dem nötigen Vorbehalt wiedergebe, hörte ich in der ärmlichen Peluqueria, wo ich mir die Haare kürzen ließ (ach, auch diese Maßnahme half nicht gegen die Hitze, die in den Gassen kochte und die Räume des Klosterhospizes zum Backofen machte, aber Gott segne den jungen Burschen, der ohne elektrisches Gerät höchstens ein Drittel der Zeit brauchte, die man in unseren vornehmeren Gegenden gewöhnt ist!). Die Franzosen unter Napoleon, so erzählte hier ein alter Mann, der mir bereitwillig den Vortritt beim Haarschneiden anbot, hätten bei ihrem Abzug eine Masse silbernes und goldenes Gerät mitgenommen, zehn Wagen voll, schwerbeladen.

 

Nun, auch jetzt ist der riesige Gebäudekomplex – Heiligtum, Festung, Kloster, Hospiz und Museum in einem – noch eine wahre Schatzkammer. Jahrhunderte haben daran gebaut, maurische und christliche Künstler; Königinnen gaben ihr Geschmeide und die Eroberer Amerikas das Gold der neuen Welt (vielleicht, um das Blut abzuwaschen, das so häufig daran klebte?) – man macht sich nur schwer eine Vorstellung davon, was alles an künstlerischen Schätzen oftmals „herrlich wie am ersten Tag“, hier die Jahrhunderte überdauert hat. Und alles vereint sich zu einem Geschmeide ohnegleichen für die „Königin der Estremadura“.

 

Dem Besucher der Kirche, zu der man auf einer Freitreppe von 22 weißen Granitstufen emporsteigt, zeigt sich das Gnadenbild in schier unerreichbarer Höhe, mitten in dem riesigen Altaraufbau, der die ganze Höhe des Chores einnimmt. Hier wird sie von den Volksscharen an den großen Wallfahrtstagen begrüßt. Wer sich aber sozusagen in Privataudienz begeben will, der bemüht sich weitere rund 30 Stufen höher, auf einer hinter dem Chor gelegenen Treppe, dann öffnet sich ihm der „Camarin“, die Kammer der hl. Jungfrau, ein wahrhaft fürstlich ausgestattetes kreisrundes Gemach. Der Pinsel des Lucas Jordán hat darin das irdische Leben der Himmelskönigin in neun farbenprächtigen Bildern geschildert, und noch ist sie dem Erdenpilger nahe: er steht nun auf gleicher Höhe mit dem Gnadenbild, das sich ihm zuwenden kann – es ist auf einem Drehpostament aufgestellt. Die Rückwand des goldstrahlenden Thrones kündet in 60 prachtvollen, erst in den letzten Jahren gefertigten Emailbildern die Wundertaten Unserer Lieben Frau von Guadalupe.

 

Die Legende weist dem Bild hohes Alter und hohe Herkunft zu: Papst Gregor der Große habe es seinem Freund Leander, dem Bischof von Sevilla, für seine Kathedrale mitgegeben. Vor den in Spanien einbrechenden Muselmanen habe man es 711 in die Berge von Guadalupe geflüchtet und dort begraben. Die Kunstgeschichte widerspricht, wie es nicht selten der Fall ist, der frommen Legende und hält das Bild für ein Werk des 13. Jahrhunderts. Das Gesicht der sitzenden, ganz von dem Prunkmantel bedeckten Statue, im Kerzenrauch der Jahrhunderte braun geworden, ist voller Hoheit und Majestät, aber dem Beter erschließt sich darin eine verborgene Süße und die „Schönheit der Königstochter, die ganz inwendig ist“.

 

Gelegentlich verstieg sich ein Bekannter von mir – nach einiger vierwöchigen Spanienreise – zu der Bemerkung: „Jetzt kenne ich Spanien!“ Ich weiß nicht, ob er den Blick, den ich ihm daraufhin zuwarf, richtig verstanden hat – er muss es wohl, wenn er sogar ganz Spanien in vier Wochen verstanden hat. Nein, so schnell geht es nicht. Man müsste Jahre in Spanien zubringen, und doch würde vieles dem Fremden ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Es gibt kaum ein anderes Land, dessen verschiedene Provinzen und Landschaften so verschieden untereinander sind und so kraftvoll ihre Eigenständigkeit bewahrt haben, wie das Land südlich der Pyrenäen. In Guadalupe macht einem schon die Sprache besondere Schwierigkeiten. Immerhin, wir fanden in den Franziskanermönchen und in einer Lehrerin von Cáceres, die am ersten Abend zufällig meine Tischnachbarin im Klosterhospiz war, freundliche und sachkundige Führer und konnten so wenigstens einen kleinen Einblick tun in Kloster und Städtchen Guadalupe.

 

Welch ein Wirbel von Leben um die gigantischen Bauten einer steingewordenen Geschichte! Wohl eine Stunde lang stand ich abends an der Brüstung der großen Freitreppe, verzaubert von dem Spiel, das auf dem Marktplatz vor der Basilika ablief. Die Sonne fiel nur noch in die östlichen Winkel des dreieckigen Platzes und in einem langen Streifen durch die westliche Zugangsstraße quer darüber auf den rauschenden Brunnen, aber ihre Glut war noch aus allen Steinen zu spüren. Zweirädrige Karren holperten über den Platz, schwerbepackte Esel und Maultiere stelzten mit stoischer Eleganz vorbei, Krambudenbesitzer und Obstverkäuferinnen warteten auf die letzten Käufer; ein Omnibus ältester Bauart rumpelte mit Pilgern heran, Frauen füllten am schießenden Wasserstrahl ihre Krüge, Männer standen in Gruppen da oder zimmerten an den Schranken, die den Platz für die Stierkämpfe absperren sollten.

 

Diese volkstümlichen, fast in jedem Städtchen Spaniens veranstalteten Stierkämpfe stellen etwas ganz anderes dar als die großen, von Managern organisierten und von berufsmäßig geschulten Kämpfern durchgeführten. Ich konnte einen solchen in Estella (Navarra) miterleben. Hier tritt der Mensch dem Tier ohne Waffe gegenüber – es ist fast die ganze männliche Jugend des Ortes, die ihre Kraft und Gewandtheit mit der des Stieres misst und dabei zerrissene Hemden und gebrochene Rippen riskiert. Es gibt für diesen Kampf, bei dem das Tier an Kraft, der Mensch an Zahl und Witz überlegen ist, nur die eine Regel: den Stier immer wieder von seinem Angriffsziel abzulenken. Wenn der Stier oder die Zuschauer des Kampfes müde sind, wird er von einem Leittier in sein Gehege zurückgeführt, nicht aber gequält und getötet wie bei den Berufskämpfen. Es ist ein Spiel, an dem man seine ungetrübte Freude haben kann. Es kommt aus dem Volk und wird vom Volk gestaltet und trägt nicht die verwerflichen Züge wie die großen Stierkämpfe (oder bei uns manche Boxveranstaltungen oder Rennen).

 

Die Männer, die an den Schranken zimmerten, mussten sich vorsehen, dass sie nicht versehentlich einen der Jungen, die wie kleine Affen daran herumturnten, die überall und nirgends waren, mit festnagelten. Wenn man wissen will, was spanisches Temperament ist, dann muss man die Jungen und Mädchen beim Tanz und die Kleinen, die ninos und ninas, beim Spiel sehen. Ich finde keinen passenderen Vergleich dafür als das Spiel der den Abendhimmel durchblitzenden Schwalben: siempre rapidisimo – immer im höchsten Tempo.

 

Wieviel verhaltene Leidenschaft musste in den Männern glühen, die mit lässiger Grandezza vorbeigingen oder in Gruppen beieinander standen, wieviel gebändigte Glut in den Herzen der Franziskanernovizen, die in betrachtendem Schweigen im Klosterhof und im Kreuzgang umherwandelten. Spanien ist ein Land fester, traditionsgebundener Formen; und wenn man die glühenden Farben seiner Landschaften in sich aufgenommen, die oft bizarren Bildungen seiner Kunst betrachtet und gelegentlich einen Ausbruch südländischen Temperamentes erlebt hat, dann versteht man, dass dies nicht anders sein kann, will der Spanier nicht sein ganzes Gemeinschaftsleben in Frage stellen. Wie sehr er auf gute Form Gewicht legt, erlebten wir beim Besuch eines vornehmen Hauses, in das wir durch Vermittlung der Lehrerin aus Cáceres Zutritt erhielten. Wir durften alles besichtigen – die Hausherrin selbst führte uns durch die verschiedenen glänzend sauberen Räume, über die breiten Treppen, auf den Balkon, in den säulenumstandenen Hof, wir durften alte Truhen, goldgestickte Gewänder, festlichen Schmuck und prachtvolle irdene Gefäße bewundern, kurz, die Dame war die Zuvorkommenheit selber. Als aber der etwa dreizehnjährige Neffe der Lehrerin sich einen Spaß daraus machte, einen der schönbemalten Teller von der Wand zu nehmen und sich wie einen Heiligenschein hinter den Kopf zu halten, stob es auf einmal wie ein eisiger Hauch zwischen uns, und die gute Lehrerin fand nicht genug Worte der Entschuldigung für das ungezügelte Benehmen ihres Neffen, eines prächtigen Burschen sonst, dem nur seine Lebhaftigkeit einen Streich gespielt hatte.

 

Der Spanier legt Wert auf die in Jahrhunderten gewachsenen und bewährten Formen und ist stolz auf die große Vergangenheit seines Volkes, in einem viel stärkerem Maß, als das hierzulande der Fall ist. Man versteht das, wenn man bedenkt, dass fast acht Jahrhunderte seiner Geschichte durch die Reconquista, die Wiedereroberung des alten Besitzes bestimmt waren. Man verstehe das, wenn man sich vor Augen hält, dass es die Stellung als Weltmacht, die es im 16. Jahrhundert besaß, seither nie mehr erlangt hat. Und man begreift das lebendig, wenn man einen Gang durch die Höfe, Kreuzgänge und Räume der gewaltigen Bauanlagen tut, die sich an die Basilika anschließen. Der eigentliche klösterliche Bau, mit Ausschluss also der Nebengebäude (königlicher Palast, Kolleg usw.), umfasst eine Fläche von 20 000 qm. Seine unregelmäßigen Bauten mit den vielen nachträglichen Änderungen, tragen die Merkmale des jeweiligen Zeitstiles. Der große, doppelstöckige Kreuzgang, der seinesgleichen in der Welt nicht hat, wurde unter Abt Yánez in den Jahren um 1400 gebaut. Zahlreiche Statuen und Bilder aus allen Epochen, darunter in der Sakristei die schönsten Werke Zurbaráns, ferner herrliche Reliquiare bilden den edlen Schmuck der verschiedenen Räume. Den wertvollsten künstlerischen Besitz des Klosters aber stellen zwei einzigartige Sammlungen dar: Die der Choralbücher und die Paramentensammlung.

 

Unter den Hieronymiten, denen Kloster und Wallfahrt seit 1389 bis zur Auflösung des Ordens im Jahr 1835 anvertraut war, bestand in Guadalupe eine berühmte Sängerschule, für deren Bedarf eine Reihe herrlich ausgemalter Choralbücher von riesigem Format in den Schreibwerkstätten des Klosters hergestellt wurden, die meisten im 15. Jahrhundert. Bei den Gottesdiensten sang die ganze Schola aus einem einzigen Buch, das auf einem riesigen, drehbaren Pult aufgeschlagen lag und geöffnet rund einen qm bedeckte. 89 solche Bücher sind in der Sammlung enthalten. Die prächtigen Miniaturen stellen mit besonderer Vorliebe Szenen aus dem Leben der hl. Jungfrau dar.

 

Die zweite, noch eindrucksvollere Sammlung, deren Stücke gleichfalls zum größten Teil in den Werkstätten des Klosters hergestellt wurden, ist die der kirchlichen Paramente: Der Messgewänder, Dalmatiken, Chormäntel, Altarbehänge, Fahnen. Ein einzigartiger, von Farben leuchtender, von Perlen und Edelsteinen blitzender künstlerischer Schatz bietet sich den Augen des staunenden Besuchers dar. Aber man brauchte Tage, um den ganzen Reichtum einigermaßen kennenzulernen. Jedenfalls erhält man davon eine lebendige Vorstellung von der Pracht der Gottesdienste, die an der heiligen Stätte, am ehemaligen National-Wallfahrtsort Spaniens sich entfaltete, und von der Verehrung und Liebe, deren Wellen hier an die „Berge Mariens“ brandeten.

 

Man kann allerdings auch nicht übersehen, dass die Baulichkeiten nicht allweg im besten Zustand sind, ja, dass manche Teile eher Ruinen zu nennen sind. Man kann nicht übersehen, dass eine große Vergangenheit noch nicht bewegende Gegenwart bedeutet. Das ist übrigens der allgemeine Eindruck, den man in Spanien auf allen Gebieten erhält, das religiöse Leben mit eingeschlossen. Es ist hier nicht der Platz, auf die Gründe einzugehen. Niemand weiß besser darum und um die Notwendigkeit eines erneuerten Katholizismus als der spanische Episkopat. Einer seiner Vertreter, Bischof Vicente Enrique Tarancón von Solsona, hat vor einem Jahr in einem inzwischen berühmt gewordenen Hirtenbrief ausführlich dazu Stellung genommen.

 

„Der Tradition“, so sagt er, „eignet eine starke formende Kraft und ungewöhnliche Mächtigkeit im Leben eines Volkes, sofern sie lebendige Tradition ist. Allein, sie ist äußerst gefährlich, sobald sie erstarrt ist, eine Tradition, die nach und nach ihren inneren Gehalt verliert.“

 

Und weiter: „Unser christliches Leben bedarf der Erneuerung. Es ist rachitisch und arm geworden. Wir haben es nicht verstanden, ihm die Stoßkraft und Lebendigkeit zu geben, die der historische Augenblick erheischt. Wir leben weithin unzeitgemäß. Daher hat das christliche Leben einen Teil seiner Wirksamkeit im persönlichen Bereich eingebüßt und fast seinen gesamten Einfluss im Hinblick auf die Gesellschaft verloren.“ – „Es gibt wohl nichts Schlimmeres für ein Volk als eine glorreiche Tradition, die es nicht weiterzuführen und zu erneuern versteht.“

 

So ist die Lage im katholischen, im marianischen Spanien im Wesentlichen nicht anders als bei uns: Wir müssen die Quellen des Lebens, die einer großen Vergangenheit alles bedeuteten, für unsere Zeit wieder neu erschließen, in engstem Anschluss an Maria, das Herz der Kirche, in treuer Befolgung der Weisungen unseres Heiligen Vaters, des sichtbaren Hauptes der Kirche, „für eine bessere Welt!“

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79. Rocamadour

 

Wo der Himmel die Erde berührt - Rocamadour

 

Einer der Namen, die man nicht mehr los wird, wenn man sie einmal gehört hat, einer von denen, die mit ihrem urtümlichen Klang den Widerhall aufwecken in den tiefsten Kammern der Seele, ein Name, so herb ansetzend, fortschreitend so machtvoll und endigend in der Süßigkeit einer vollen Wabe. Rocamadour!

 

Wir kamen von Spanien herauf, wo wir der uralten Pilgerstraße nach Compostela nachgezogen waren. Beinahe waren wir übersättigt von den Denkmälern des ewigen Heimwehs vergangener Geschlechter, sicher übermüdet von den Beschwerden der Reise unter der unbarmherzigen Augustsonne – und vielleicht war es nur der geheimnisvolle Klang des Namens, der uns letztlich dazu vermochte, den Wagen hinter Cahors von der Verbindungsstraße Toulouse-Brive nach rechts wegzulenken in die zerklüfteten Täler der Zuflüsse der Dordogne, um als letztes der großen Marienheiligtümer unserer Reise jenes zu erleben, das einst für die Santiago-Pilger den bedeutendsten heiligen Rastort in Südfrankreich darstelle: Rocamadour.

 

Malerische Landschaft, umwittert vom Geheimnis des Ursprungs, der Vorzeit der Legende, der Geschichte: tiefeingeschnittene, saftgrüne Täler, von ockerfarbenen Kreidefelsen über Eichen und Akazien gekrönt. Bäche, die plötzlich verschwinden und einige hundert Meter tiefer wieder emporquellen, unterirdische Seen und Höhlen, die noch Spuren eiszeitlicher Bewohner bergen. Schafherden im Ginstergestrüpp und darüber der wilde Schrei der Stoßvögel. Ortschaften mit seltsam bannenden Namen, mit wehrhaften Gehöften und farbenprächtigen Gärten – eine Landschaft, die das Große mit dem Lieblichen vereint, das Harte mit dem Linden, so wie es der Name und die Gestalt des Heiligtums tut, das jetzt wie eine Verzauberung vor uns aufsteigt: Rocamadour.

 

„Felsen der Liebenden“, so wird der Name gedeutet. Die Legende hält hartnäckig daran fest, dass er zurückgeht auf Zachäus, den Zöllner, der sich hier im Felsen niedergelassen und wegen seiner großen Liebe zu Jesus und Maria von den Bekehrten den Namen Amator erhalten habe. Die Aussage der Legende, dass er über Spanien hierhergekommen sei, verdankt sicherlich seinen Ursprung der Lage des Ortes am Pilgerweg nach Compostela. In dem Umstand, dass der nächste große Wallfahrtsort an dieser Straße Roncesvalles war, wo nach der Sage einst Rolands Horn Karl den Großen als Rächer seines jammervollen Todes herbeirief, mag der Kritische auch die Grundlage für die Überlieferung sehen, wonach schon Kaiser Karl und sein edelster Paladin an der heiligen Stätte ihr Knie gebeugt haben. Wahrscheinlich aber reicht die Verehrung Mariens in dem Felsenheiligtum des Tales Alzou noch weiter zurück – man vermutet, dass sie die Anbetung einer der beliebten keltischen Muttergottheiten ablöste.

 

Der Beginn der Pilgerfahrten lässt sich zeitlich nicht festlegen. Die berühmte kleine Glocke des Heiligtums stammt aus dem 6. oder 7. Jahrhundert. Urkunden aus Tulle vermerken Schenkungen im 10. Jahrhundert. Im Lauf des 11. Jahrhunderts wird die Wallfahrtskapelle zum Gegenstand eines langen Prozesses zwischen der Abtei von Tulle und der von Marcilhac, die endgültig im Jahr 1193 auf ihren Anspruch verzichten muss. Damals hatte die Wallfahrt bereits Weltruhm erlangt. Seit 1130 kamen, angezogen von den unzähligen Wunderberichten, die Pilgermassen aus ganz Europa zur Jungfrau im Felsen, darunter Heilige, Könige, kirchliche und weltliche Fürsten, so der hl. Bernhard, der hl. Dominikus, der hl. Engelbert von Köln, der hl. Antonius von Padua, weiter König Ludwig der Heilige und seine Mutter Blanche, seine drei Brüder: Philipp der Schöne, Karl IV., Philipp VI., Johann, Herzog der Normandie und Karl VII., Ludwig XI., Heinrich II. von England und viele andere große Herren. Sie alle kamen, um zu Füßen der Himmelskönigin zu beten und zu büßen.

 

Nicht alle Pilger fanden sich freiwillig ein, nur von ihrer Frömmigkeit getrieben, sondern häufig handelte es sich um eine Bußwallfahrt, die von den Gerichten zur Sühne für einen schweren Frevel auferlegt worden war. Seit dem Jahr 1130 z.B. ordneten holländische Tribunale in bestimmten Fällen an, dass die Übeltäter nach Rocamadour pilgern müssten. Weg und Unterkünfte waren dabei genau vorgeschrieben.

 

Wie konnte das Städtchen, das sich ungefähr noch in den früheren Grenzen auf der schmalen Talsohle an den Fuß des Felsens schmiegt, die Pilgermassen nur beherbergen? Zumal in den Tagen des „großen Nachlasses“ (grand pardon), der mit unzähligen Ablässen jeweils in den Jahren gewährt wurde, in denen Fronleichnam auf Johannes fiel! Nun, man half sich: man nächtigte in Zelten und im Freien, wie man es heute noch in größtem Umfang in Fatima erlebt. Sogar die heiligen Handlungen fanden unter freiem Himmel statt. Fast jeder Baum wurde zum Beichtstuhl, und die niedrigen Grenzmauern zwischen den verschiedenen Ackerstreifen dienten als Kommunionbänke, an die sich die Massen drängten.

 

Ein solches Jahr des großen Nachlasses, das außer der ordentlichen Reihe von Papst Martin V. gewährt wurde, bemerkten die Stadtregister von Cahors ausdrücklich in einem besonderen Zusammenhang: zur selben Zeit, als Jeanne d’Arc in Chinon ihre Mission begann, flehten in Rocamadour die Pilgerscharen um die Befreiung ihres Vaterlandes vom Joch der fremden Eroberer.

 

Sie vermochten hier mit besonderem Vertrauen um den Frieden beten: Auf die Wallfahrt von Rocamadour geht die Einrichtung des mittelalterlichen „Marienfriedens“ zurück, der dem Vorbild des Gottesfriedens folgte, der „treuga Dei“. Er bestand darin, dass es den Pilgern unter den Zeichen des Friedens möglich wurde, unbehelligt zwischen feindlichen Armeen hindurchzuziehen. Der Brauch bestand Jahrhunderte hindurch und wurde später auf eine Reihe anderer Marienwallfahrten übertragen.

 

An all das denken wir, während wir, an einer Straßenbiegung rastend, den Zauber des im ganzen mittelalterlichen Bildes in uns aufnehmen. Ein zarter Sonnenstrahl tastet sich aus der milchigen Wolkendecke hervor und streift wie kosend über die roten Ziegeldächer der gotischen und barocken Bürgerhäuser, über den grauen Schiefer der an den Felsen sich kauernden Heiligtümer, über die wehrhaften Zinnen der darüber ragenden Burg. Er weiß nichts mehr von der Zerstörung, die hier in den Religionskriegen des 16. Jahrhunderts wütete und vom Hass der „großen Revolution“ vollendet wurde. Er findet aber auch nur wenig vor von dem früheren Glanz der heiligen Stätte, den der Wiederaufbau durch die Bischöfe von Cahors nicht wieder konnte erstehen lassen. Auch die Wallfahrt hat ihre frühere Bedeutung nicht mehr erlangt.

 

Es ist schwer, einen Parkplatz in den winkligen, von Torbögen überspannten Straßen zu finden. Aber schließlich steigen wir die heilige Treppe der 216 Stufen zum Heiligtum hinauf. Die mittelalterlichen Pilger, auch Könige, machten diesen Weg auf den Knien. Davon berichtet eine Marmortafel, die an der Stirnmauer der Treppe angebracht ist. Aber die Stufen sind hier noch nicht zu Ende: auf und ab führen sie uns in das Halbdunkel der verschiedenen Heiligtümer, die unregelmäßig wie die Zellen einer Hummelwabe an den Felsen angeklebt sind: Die Kapellen des hl. Johannes des Täufers, des hl. Johannes Evangelist, der hl. Anna, des hl. Michael, die Kirchen des hl. Blasius und des hl. Amadour, und schließlich die Kapelle der hl. Jungfrau. Trotz aller Zerstörung – wieviele Erinnerungen bergen diese Mauern, wieviele Gebete wehen wie unsichtbare Flügel um uns!

 

Wir betrachten die Nachbildung des Durandarte des Helden Roland, das in einer Felsspalte steckende Schwert, stehen am Felsengrab des hl. Amadour und vor der Holztruhe, deren Schloss bis vor dreißig Jahren die weiblichen Pilger berührten, um Kindersegen zu erlangen, schauen auf zu der berühmten kleinen Glocke, die – das ist durch mehrere amtliche Protokolle überliefert – von selber läutete, wenn Schiffer in Seenot die Jungfrau von Rocamadour anriefen.

 

Und dann knien wir nieder vor dem uralten Gnadenbild, vor dem sich die Pilger drängen – leider auch die Touristen. Die Kapelle der hl. Jungfrau, nicht sehr glücklich wiederhergestellt, ist völlig dunkel, die Augen müssen sich erst gewöhnen. Oben längs des Gewölbes zieht sich ein schmaler Gang hin, zu dessen Seiten die Opfergaben aufgehängt sind: Fahnen, Militärorden, Brautkränze Krücken, Fesseln, Kerzen, Marmortafeln, Modelle von Segelschiffen und aus jüngster Zeit sogar das – eines Maschinengewehrs.

 

Auf dem neugotischen Hochaltar thront das Gnadenbild, uralte Nachbildung eines noch älteren von fast magischer, gewaltsamer Schönheit. Landläufiger Geschmack wird es geradezu abstoßend finden. Was aber zog daran – außer seiner Wunderkraft – die Pilger immer und immer wieder an? Hatten sie wohl noch den Blick für die strenge Güte, für die erbarmende Majestät, die aus dem Antlitz dieser Königin und dieses „kleinen Königs“ spricht? O du große, liebe Frau von Rocamadour, senke uns wieder das erhabene, das königliche Gesetz deines Sohnes in unser Herz, welches das Gesetz der Glieder überwindet und die friedlose Welt unter das Joch biegt, das süß, unter die Bürde, die leicht ist. Amen.

 

Gerhard Hermes

in „Rosenkranz“, Juni 1956

rocamadour

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80. Tschenstochau

 

Maria, Schutz und Schirm des polnischen Volkes

 

Zur 300-Jahrfeier des Sieges von Tschenstochau

 

Botschaft des Papstes an Kardinal Wyszinski und den polnischen Episkopat vom 8. Dezember 1955 im „Osservatore Romano“, veröffentlicht am 13. Januar 1956

 

Maria half in größter Not

 

Schon seit jeher hat gerade das polnische Volk zur glorreichen und in ungezählten Notzeiten stets siegreichen Königin, zur hehren Frau, mit der Sternenkrone im Sonnenkleid, aus der uns die Sonne der Gerechtigkeit aufgegangen ist, eine so tiefe Andacht und Verehrung bewiesen, dass sich kaum ihresgleichen findet. Diese Liebe und Hingabe ihrer Kinder hat auch die Mutter Gottes und der Menschen Mutter, die gleich mächtig wie freigebig ist, oft umso auffälliger mit ihrer Hilfe belohnt, je größer die Not und Gefahr waren, die sie bedrängten. Mögen sich hierfür in der Geschichte Polens viele Beispiele finden, bleibt als glänzendster Beweis doch immer das Geschehen, das sich nun vor 300 Jahren (2016 vor 360 Jahren) am heiligen Weihnachtsfest abspielte und für immer unvergesslich in die profane und Kirchengeschichte des Landes einging. Wir hielten es für angebracht, euch, geliebter Sohn und verehrungswürdige Brüder, sowie das ganze polnische Volk durch die Botschaft an diese erhebende Begebenheit zu erinnern, damit euch das Gedenken an diese eigenartige Hilfe des Himmels tröste in den Drangsalen, von welchen euer Vaterland heimgesucht wird, und eure Hoffnung auf einen guten Ausgang stärke, wenn ihr in unerschütterlichem Glauben, den keine Not zu leugnen imstande ist, eure Würde und Standhaftigkeit bewahret.

 

Der Regierung Vladislaus, unter der Friede und Wohlstand lange geblüht hatten, folgten schreckliche Zeiten voller Wirrnisse und Niederlagen. Fremde Völker drangen in Polen ein, unter ihnen religiöse Neuerer mit einem mächtigen Heer und großem Angriffsgeist, und es blieb euch, nachdem Warschau und Krakau ohne besondere Mühe in ihre Hände gefallen waren, als letztes Bollwerk eurer Freiheit nur noch der „Klare Berg“ bei Tschenstochau. Augustinus Kordecki, der Vorsteher des Klosters, ließ aber den Mut nicht sinken, sondern rief im Vertrauen auf Gottes und der Gottesmutter Schutz die Verteidiger zu entschlossenem Widerstand auf. Unerwartet wandte sich euer Geschick zum Besseren und euer Vaterland erlangte die verlorene Freiheit wieder. Daraufhin erkor König Johannes Kasimir die Jungfrau Maria zur Herrin seines gesamten Reiches und erklärte sie feierlich zu Polens Königin.

 

In der Folgezeit entsprach auch Unser Vorgänger (seligen Angedenkens) Pius XI., der euch als ehemaliger Apostolischer Nuntius in eurem Land besonders zugetan war, den Bitten vieler von euch und setzte ein Fest zu Ehren der Gottesmutter als der Königin Polens ein, das am 3. Mai jedes Jahres gefeiert wird.

 

Maria – Polens Hort auch heute

 

Diese Begebenheiten, immerwährenden Gedenkens würdig, beweisen fürwahr wunderbar, wie die Jungfrau Maria dem polnischen Volk in all seinen Nöten und Gefahren ihren Schutz und Schirm angedeihen ließ, besonders dann, wenn in seinem Land der katholische Glaube, der größte Schatz, der euch von den Vorfahren übergeben wurde, und die festen und engen Bande zum Apostolischen Stuhl, eures Volkes Kraft und Zier, in Gefahr schwebten. Diese freundschaftlichen Bande zu Rom als dem Hort der Wahrheit wurden auch lange Jahrhunderte hindurch, obwohl es an gegenteiligen Bestrebungen nicht gefehlt hat, nie gelockert oder gar gelöst; was dem polnischen Volk gewiss zur besonderen Ehre gereicht, aber auch mächtiger Ansporn sein muss, sich der Verkehrtheit des Atheismus mit aller Entschiedenheit zu widersetzen, der zu Unserem großen Schmerz das Volk, dass dem katholischen Glauben so ergeben ist, zu schwächen und zu verderben am Werk ist. Möge das polnische Volk, als Erbe der Tugend und Frömmigkeit seiner Vorfahren, in diesen Stürmen der Heimsuchung weder Mut noch Zuversicht verlieren, sondern Ruhe, Gleichmut und Würde bewahren im Vertrauen auf Gott, dem Höchsten und Ewigen, dessen Wirken keine Grenzen gesetzt sind und der das Mächtige und Stolze mit schwachen Mitteln und Kräften zu besiegen weiß . . .

 

Erhebet außerdem, um von aller Wirrnis frei zu werden mit neuer Andachtsglut eure Augen zur Gottesmutter und eurer Königin, die mit ihrem jungfräulichen Fuß den höllischen Feind zertreten und so jedes heiligen Sieges Walterin und Mehrerin ist. Meine geliebten Polen sind ja, wie ihr berühmter Dichter Adam Mickiewicz sie nennt, Streiter Mariens und leben unter ihrem Namen; so wird sie, ihre gütigste Mutter, euch nicht verlassen, wenn sie nur selbst, im Bekenntnis des katholischen Glaubens stark, die Standhaftigkeit und das ruhmreiche Erbe ihrer Vorfahren sich angelegen sein lassen. Unter ihrem Schutz und Schirm wird dann nach der gegenwärtigen Trübsal ihres Vaterlandes das goldene Licht und der Glanz einer glücklichen Zeit wiederkehren.

 

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Die Muttergottes der Polen

 

Von Maria Winowska

 

Zur Tausendjahrfeier der Christianisierung Polens

 

Aus: "Ecclesia", Paris, 1965

 

Unsere Liebe Frau von Tschenstochau - wer kennt sie nicht wenigstens dem Namen nach? Die Verehrung für die altehrwürdige Ikone der Schwarzen Muttergottes, Ziel einer der bedeutendsten Marienwallfahrten der Welt, ist in den Herzen des ganzen polnischen Volkes lebendig. Das Heiligtum der Schwarzen Muttergottes aber erhebt sich auf der "Jasna Gora", dem "hellen" oder "strahlenden Berg".

 

Nach dem Rhythmus der Jahreszeiten und Feste sind die Straßen, die zu diesem Heiligtum führen, seit Jahrhunderten überfüllt. Das ist der äußere Anblick, der besonders dem Fremden auffällt, die nicht an katholische Massenveranstaltungen gewöhnt sind. Dazu muss man wissen, dass in Polen die Kirche die Massen nie verloren hat. Die Wechselfälle der Gegenwart lassen sie ihr im Gegenteil noch begeisterter anhängen.

 

Während die "Elite", d.h. die Oberschicht, schwankt, leisten die Bauern und Arbeiter mit der Kirche Widerstand gegen den kommunistischen Atheismus. Die Wallfahrten nach Tschenstochau sind eine Form, diesen geistigen Widerstand sichtbar werden zu lassen. Obwohl sie immer in Blüte standen, haben diese Wallfahrten, seit der christliche Glaube in Gefahr ist, einen Umfang angenommen, der den oberflächlichen Beobachter verwirrt. Es scheint, als ob keine Kraft der Welt diese pilgernden Scharen aufhalten könnte. Fliegt man am Vorabend eines Marienfestes über das Heiligtum hinweg, so erkennt man deutlich die Überfüllung der Straßen, die diese unwiderstehlichen Wogen auf der Jasna Gora zusammenführen. Von Warschau und Krakau, von Breslau und Lublin kommen die Pilger zu Fuß herbeigeströmt.

 

Das schließt selbstverständlich andere Verkehrsarten nicht aus. Kranke, alte oder körperlich weniger leistungsfähige Menschen nehmen den Zug. Die Jungen und Gesunden aber lassen sich die Pilgerschaft zu Fuß nicht nehmen. Diese ist Ausdruck einer jahrhundertealten Überlieferung, die noch von offiziellen Aufrufen unterstützt wird. Sonderzüge stellt das marxistische Regime nur ungern zur Verfügung, so dass heute oft nur die Wahl bleibt, daheim zu bleiben oder auf die Landstraße zu gehen. Also begibt man sich gemeinsam zu Fuß auf den Weg. Die Pilgergruppe aber heißt wie in alter Zeit noch "kompania", Gesellschaft.

 

Die Pilgerschaft beginnt in dem Augenblick, da man sich in Bewegung setzt. Dabei bleibt nichts dem Zufall überlassen, weder die Gebete noch die Gesänge. Führer wachen über das rechte Befinden von Leib und Seele und geben Auskunft über technische Einzelheiten, wie Rastzeiten, Verpflegung, Unterbringungsorte. Ein Priester, oft barfuß, eröffnet die Marschgruppe. Ihm folgen die Gemeindeältesten, dann Frauen und Männer getrennt. Trotz des improvisierten Stils jeder "kompania" herrscht gute Ordnung. Herz und Geist sind auf den Turm des Heiligtums ausgerichtet, dessen Auftauchen am Horizont helle Begeisterung und Freudentränen auslöst. Merkwürdigerweise ist dieses Erlebnis selbst den Pilgern, die jedes Jahr mitmachen, immer wieder neu, und sie empfinden die Nähe des Pilgerortes mit immer neuem Entzücken und kindlichem Herzen.

 

Im Jahre 1956 feierte Tschenstochau ein großes Jubiläum: Seit der berühmten Belagerung durch die Schweden und dem heldenmütigen Widerstand des Klosters waren drei Jahrhunderte verstrichen. Am 3. Mai dieses Jahres, dem Fest "U. L. Frau, Königin der Polen", verkündete der polnische Episkopat ein Marienjahr, woraufhin die ganze "Kirche des Schweigens" die Augen auf die himmlische Königin richtete. Öffentliche Kundgebungen waren allerdings verboten. Dass die Marxisten das "Wunder von Tschenstochau" aus den polnischen Schulbüchern verbannten, kommt nicht von ungefähr; denn die Himmelskönigin bereitet ihnen nicht weniger Sorge als seinerzeit dem schwedischen General Müller. Damit aber hatte es folgende Bewandtnis:

 

Karl XII. von Schweden, ein Neffe Gustav Adolfs, erhob Ansprüche auf die Krone Polens, wobei er sich auf seine Verwandtschaft mit den polnischen Königen berief. Infolge innerer Streitigkeiten erkannte das von seinen Führern verführte und verratene polnische Heer im Namen des Landes die Herrschaft der Schweden an. Der rechtmäßige König Kasimir ging in die Verbannung. Der polnische Staat lag in Trümmern. Banden von Plünderern durchzogen das Land. Alles schien verloren, und das Volk wagte nicht, das fremde Joch abzuschütteln. Als einziger stützte in dieser verzweifelten Lage Papst Alexander VII. den rechtmäßigen König. Er ermutigte ihn mit Briefen, beschwor ihn, die Hoffnung nicht aufzugeben, und riet ihm, "sich durch ein Gelübde an die Muttergottes zu wenden, um ihre Hilfe und ihren Schutz zu erlangen".

 

Plötzlich verbreitete sich die Nachricht: "Das Heiligtum von Jasna Gora wird belagert." Das wirkte wie der Einschlag einer Bombe und brachte das Land von einem Ende zum anderen zum Erzittern. Nun erst erwachten die Massen; denn an Tschenstochau zu rühren, bedeutete an die Seele Polens zu rühren.

 

Um diese Aufregung, ja diesen Aufstand auf die Nachricht der Belagerung Tschenstochaus hin zu verstehen, muss man die Geschichte des Gnadenbildes kennen, das bis auf den heutigen Tag Mittelpunkt und Symbol der Seele eines ganzen Volkes ist. Die schriftliche Überlieferung datiert zwar erst vom 14. Jahrhundert, doch die Ursprünge reichen weiter zurück. Nach den neuesten Forschungen weiß man darüber folgendes zu berichten:

 

Das Bild, wie man es heute sieht, stammt aus dem 15. Jahrhundert. Doch ist es auf das Holz einer älteren Ikone gemalt. Die eingebrannten Farben beweisen, dass das ursprüngliche Gemälde aus einer Zeit stammte, da diese Technik vor allem in Byzanz auf ihrem Höhepunkt war. Gewichtige Gründe lassen vermuten, dass es in das 8. Jahrhundert zurückreicht. Das aus dem 15. Jahrhundert stammende heutige, mit Wasserfarben gemalte Bild muss nach den Untersuchungen eine getreue Nachbildung der an Ostern 1430 von Banditen, die das Kloster überfielen und plünderten, beschädigten Ikone sein. Drei zinnoberrote Schrammen auf der rechten Wange beweisen, dass man die Erinnerung an jenes tragische Ereignis bewahren wollte.

 

Die aus Byzanz stammende Ikone wurde 1362 von Fürst Ladislaus auf der Jasna Gora inthronisiert und den Einsiedlermönchen des hl. Paulus anvertraut. Seit dieser Zeit hat das Bild das Heiligtum nicht mehr verlassen. Der Ruf und das Ansehen dieser berühmten Ikone waren es, die auf die Nachricht von der Belagerung Tschenstochaus hin die Männer begeisterten, ihr Leben einzusetzen, um "ihre Königin" zu retten. Denn die schwarze Muttergottes von Jasna Gora ist für die Polen mehr als nur ein Gemälde oder eine verehrte Reliquie. Sie suchen und finden darin - und das ist überhaupt das Geheimnis der östlichen Ikonenverehrung, die dem Westen unbekannt ist - eine geheimnisvolle Gegenwart, wie wenn die himmlische Königin wegen der Verehrung "ihres" Bildes wirklich ihren Sitz in Jasna Gora aufgeschlagen hätte.

 

Was geschah in jenem November 1655 weiter? Der Prior des Klosters, P. Augustin Kordecki, lehnte die Aufforderung der Schweden zur Übergabe ab. Seine Weigerung wirkte wie ein Donnerschlag, der bis an die äußersten Grenzen Polens widerhallte und einen gewaltigen Umschwung herbeiführte. Man hat diese Tat mit dem Befreiungswerk der Jungfrau von Orleans für Frankreich verglichen. Aber die historische Wirklichkeit ist viel einfacher und schöner als alle Legenden. Als er die Tore des Klosters vor den schwedischen Unterdrückern schloss, erfüllte der Prior nur seine Pflicht; denn es war ausdrückliche Aufgabe des Ordens, das Heiligtum zu schützen. Die Garnison in dem belagerten Kloster aber bestand lediglich aus 160 Soldaten, größtenteils Bauern, wozu noch 70 Mönche, 5 Adelige mit Dienerschaft und eine Anzahl Flüchtlinge aus der Umgebung kamen. 

 

Tag und Nacht stürmten die Belagerer gegen die Mauern an. In seinem heroischen Widerstand war P. Kordecki fast ganz auf sich allein gestellt. Doch er zählte auf die Hilfe des Himmels, insbesondere der himmlischen Königin, in die er sein ganzes Vertrauen gesetzt hatte. Unablässig tröstete er die Menschen, ermutigte sie und wurde allen alles. Mit dem Allerheiligsten zog er, religiöse Lieder singend, in Prozession durch die Gänge des Klosters. 

 

Eines Tages traf eine in Jasna Gora abgefeuerte Kugel das Zelt des schwedischen Generals und tötete dessen Neffen auf seinem Feldbett. Und das Wunder geschah: an Weihnachten gaben die Schweden die Belagerung auf und verschwanden wie die Diebe in der Nacht. Bei Tagesgrauen hatte Schnee die Umgebung der Klosterfestung mit einem weißen Tuch bedeckt. Freudig und dankbar eilten die Bauern der Umgebung herbei.

 

Die schwarze Muttergottes und ihr Heiligtum waren gerettet. P. Kordecki aber war zum Nationalhelden geworden. Der rechtmäßige Herrscher des Landes kehrte zurück und beschloss, sein Land der Muttergottes zu weihen und sie offiziell zur "Königin Polens" zu ernennen. Am 1. April 1656 nahm König Kasimir in der Kathedrale von Lemberg in Gegenwart des Apostolischen Nuntius, des polnischen Reichstags und der Vertreter des Adels den feierlichen Akt vor. Die Weihehandlung sollte die ganze polnische Nation durch ein Gelübde binden. Dabei ertönte unter den Gewölben der Kathedrale, angestimmt vom Nuntius, zum ersten Mal der neue Titel U. L. Frau von Tschenstochau: "Regina Poloniae ora pro nobis!" 

 

Die Verteidigung Tschenstochaus hatte das Wunder der Wiederaufrichtung der polnischen Herzen vollbracht. Selbst die schwedischen Geschichtsschreiber verbergen ihr Erstaunen über diesen plötzlichen Umschwung nicht, der von heute auf morgen aus einer geschlagenen und in Auflösung begriffenen Armee eine disziplinierte Truppe von unerhörter Kühnheit und Opferfreudigkeit machte. Unter dem Banner seiner neuen Königin hatte das erneut geeinte polnische Volk den Sieg errungen.

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81. Maria Straßengel

 

Es blickt von steiler Höhe

Ein Kirchlein in das Tal,

„Straßengel“ ist sein Name,

Gepriesen tausendmal.

Du Stätte süßen Friedens

Du wundervoller Wald!

Euch wählt die Mutter Gottes

Sich aus zum Aufenthalt.

 

Hier strömt ihr reichster Segen

Auf euch, die krank ihr seid,

So Herz wie Seele stärkend

In stiller Einsamkeit.

Zieht gläubig, fromme Pilger,

Empor zum Gnadenort!

Ihr naht euch schwerbeladen

Und geht erleichtert fort.

 

Eugen Graf Aichelburg

 

Einer der lieblichsten Wallfahrtsorte der grünen Steiermark ist das nahe von Graz an der Südbahnstation Judendorf gelegene Gnadenkirchlein Maria Straßengel, das in seiner Schönheit als leuchtendes Diadem den dunklen Waldhügel krönt.

 

Die schöne landschaftliche Lage des im Sommer vielbesuchten Kurortes Judendorf mit ihren bewaldeten Höhen, besitzt als besonderes Juwel den in den Vordergrund tretenden Hügel Straßengel, mit seinem uralten, wunderlieben Kirchlein, das als eines der prächtigsten Bauwerke gotischen Stiles in Österreich gilt.

 

Die Gründung Straßengels reicht bis in die Zeit der berühmten Ottokare, der regierenden Markgrafen von Steier. Ottokar VII. (reg. 1129 bis 1164), der an dem leider misslungenen zweiten Kreuzzug teilnahm, brachte ein auf hartem Holz gemaltes Marienbild mit, das die genaue Nachbildung eines Gemäldes zu Jerusalem darstellte, das Maria in ihrer frühesten Jugend zeigt und der heilige Lukas mit eigenen Händen noch bei Lebzeiten der allerseligsten Jungfrau entworfen haben soll. Ottokar ließ dieses teure Kleinod in der von ihm auf dem dicht bewaldeten Hügel „Straßindel“ einige Jahre vorher erbauten hölzernen Kapelle zur allgemeinen Verehrung aufstellen und schenkte (1157) die Kapelle samt den umliegenden Besitzungen dem Gerlach von Dünkenstein, dem ersten Abt des Klosters zu Rein.

 

Ottokars Eltern, Markgraf Leopold der Starke und Sophia Herzogin von Bayern, gründeten 1128 das Zisterzienserkloster Rein ( http://www.stift-rein.at/ ), das gegenwärtig das einzige ist, das von den zur Zeit des heiligen Bernhard gestifteten noch besteht und in dessen imposanten Kirche der Gründer begraben ruht.

 

Etwa hundert Jahre nach der Errichtung der Marien-Kapelle, trug sich an einem der die Kapelle umgebenden Bäume ein großes Wunder zu. Aus einer Tanne wuchs, deutlich und sichtbar, das Bild des gekreuzigten Heilands hervor. Rasch verbreitete sich diese seltsame Kunde. Unter großer Feierlichkeit und in Gegenwart des damaligen Erzbischofs von Salzburg, wurde dann das wunderbare Kruzifix vom Baum losgelöst und in die Marien-Kapelle übertragen.

 

Der Ruf und die Verehrung dieser Waldkapelle verbreiteten sich immer mehr und der Zudrang der Gläubigen wurde immer größer. Da beschloss Abt Hartwig von Rein eine neue Kirche zu erbauen und so wurde 1346 der Grundstein zur jetzigen Kirche gelegt. Sie wurde im Jahr 1355 unter Abt Seyfried vollendet. Voll Verwunderung betrachtet der Beschauer das herrliche Kirchlein, mit seinen zierlich-schlanken, wunderbaren Turm, der das Staunen aller Kunstfreunde erregt. Im Kronprinz Rudolf-Werk: „Die Österr.-Ungar. Monarchie in Wort und Bild“ steht über den Turm: „welcher mit seinem durchbrochenen Steinhelm, den die Laternenfenster überdeckenden Wimpergen mit dazwischen auf Säulchen postierten Engelsfiguren und den die unteren Geschosse zierenden Bogenfriesen, Wappen und Blendmarkwerken ebenso geistreich in der Entwicklung, wie reizend in seiner Durchbildung ist.“

 

1754 wurde die Kirche durch den Zubau der St. Anna-Kapelle und Sakristei erweitert, aber leider nicht in der erhofften Weise verschönt.

 

Unter der Regierung Kaiser Josef II. drohte im Jahr 1788 der Kirche die Gefahr der Demolierung und nur auf inständiges Bitten des Volkes, das sich an den Kaiser selbst wandte (Dekret vom 11. Jänner 1789), wurde das kostbare Heiligtum vor der Vernichtung gerettet.

 

Unter Abt Vinzenz wurde in den Jahren 1868-1870 die Kirche nach außen einer gründlichen Renovierung unterzogen, desgleichen 1884 und 1885 das Innere unter demselben Abt.

 

Dieser Renovierung ist es zu danken, dass die edle Schönheit der Gotik zur vollen Geltung kam. Konservator Joh. Graus schrieb 1885 im „Kirchenschmuck“: „Wir wüssten kein anderes Bauwerk Steiermarks, das den Charakter der entwickelten Gotik so klar und wohltuend zum Ausdruck bringen könnte, wie das jetzige Straßengel.“ Aus den letztgenannten Jahren stammt auch der schöne Marmor-Hochaltar, auf dem sich das wunderbare heilige Kreuz und das Gnadenbild befinden. Maria ist auf diesem Bild als sogenannte Ährenkleid-Madonna abgebildet; einer seltenen alten Darstellung im langen, blauen, mit goldenen Ähren übersäten Kleid. „Es ist zu wissen, dass dies Bild von Unserer Lieben Frau, als sie im Tempel war und die Engel ihr dienten, ehe sie fand Josef . . .“

 

Eine große Verehrung wird in Straßengel der heiligen Mutter Anna dargebracht. Vor allem durch die 1667 von Abt Balthasar errichtete St. Anna-Bruderschaft.

 

Die überlebensgroße Statue, der mit echten Gewändern bekleideten hohen Heiligen, zeigt hier eine seltsame Darstellung. Die heilige Anna trägt nämlich auf dem rechten Arm das Jesuskindlein, auf dem linken das Kindlein Sankt Johannes des Täufers. Hier in der St. Anna-Kapelle ruht in einem Glasschrein der Leib des heiligen Märtyrers Bonifatius, der vordem in den römischen Katakomben begraben war.

 

Zahllos sind jährlich die frommen Pilger, die entweder einzeln oder in Pilgerzügen hierher kommen, große Gnaden erlangend, wie dies die vielen Votivgeschenke bezeugen.

 

Vor wenigen Jahren erhielt das liebe Kirchlein eine neue Orgel; und so vereint sich alles in schöner Harmonie zum Preis des Höchsten und seiner himmlischen Mutter.

 

Bericht aus dem Jahr 1911 im Monatsheft für Marienverehrung „Ave Maria“

 

Das Hochaltarbild Madonna im Ährenkleid in der Wallfahrtskirche zu Maria Straßengel, das aus den Jahren um 1430/1440 stammte, wurde leider 1976 gestohlen, dann durch eine Kopie ersetzt.

 

wallfahrtskirche-judendorf-strassengel

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82. Der heilige Berg von Varese - Sacri Monti

 

Unmittelbar hinter dem Gallarate zweigt links die Simplonstrecke (Mailand-Arona-Domodossola) ab, während die elektrische Vollbahn nunmehr rechts das fruchtbare Olonatal betritt. Zur Linken schiebt sich in die Ebene ein langgestreckter Moränehügel vor, auf dessen Rücken die Dorfschaften Cajale, Albizate, Gazzada thronen. Hier beginnt nun das eigentliche Varesotto, d.h. die fruchtbare und dorfreiche Voralpenlandschaft zwischen Langen- und Luganersee mit dem Hauptort Varese.

 

Schon auf der letzten Station Gazzada strahlt der heilige Berg mit seinem Heiligtum herab über den an seinem Fuß liegenden Villenkranz und das Kreisstädtchen Varese mit seinen 7-8000 Einwohnern. 382 Meter über dem Meeresspiegel auf einer Moräneschicht gelegen, umgeben von Seen, Wäldern, Bergen und Hügeln, ist der Ort eine beliebte Villegiatur der Mailänder und eine klimatisch günstige Übergangsstation für Frühjahr und Herbst. Verkehrswege nach Norden und Süden, Osten und Westen, das erstklassige, prächtige, von deutscher Bedienung geleitete „Grandhotel Excelsior“ mit Restauration, sowie andere gute italienische Gasthöfe führen alljährlich zahlreiche Gäste hierher. Von Lugano führt das Schiff bis Porto Ceresio und von hier die elektrische Bahn von Luino entweder über Laveno oder über Bettole durch das Valgana in 1½ Stunden nach Varese, während die Nordbahn vom Comersee in zwei Stunden den Ort erreicht. Die kürzeste Verbindung ist immerhin die von Mailand nach Varese in einer Stunde.

 

Kaum der elektrischen Bahn entstiegen, ladet der vor dem Bahnhofsgebäude stehende elektrische Tram mit dem Schild „Sacro Monte“ zum Einsteigen ein, um die Wallfahrer alle 20 Minuten in einer halben Stunde bis zur Felskuppe des heiligen Berges zu fahren. Das Geleise läuft durch das Städtchen mit der dreischiffigen Stiftskirche, ein Bau Pellegrinis (1580) und ihrem 75 Meter hohen Glockenturm, vorbei an den reichen Parkanlagen aufwärts durch die Ortschaften Bettole, Sant Ambrogio (460 Meter), Fogliaro, die Weiler Rabarello und Velate in großer Steigung zur prima capella, zur ersten Kapelle (750 Meter), von hier durch einen Tunnel zur Drahtseilbahn (funicolare), die zur Spitze des heiligen Berges in die Nähe der Wallfahrtskirche hinaufträgt.

 

Wer aber, wie ich, den Weg der vierzehn Kapellen zu Fuß (1 Stunde) machen will, steige bei der ersten Kapelle aus und gehe rechts den Weg hinauf, wo sich vor dem Plateau des niedlichen Kirchleins der unbefleckten Gottesmutter eine überraschende Aussicht bietet über die anmutige Landschaft des Varesotto, das wie eine ausgebreitete Reliefkarte vor dem staunenden Auge liegt. Alle fünf Vareser Seen, ein Teil des Langensees, Mailand mit seinem Dom, Turin mit der Superga, die zahlreichen Ortschaften der lombardischen Ebene grüßen freundlich herauf.

 

Das eben genannte, in schönen Proportionen von Bernasconi 1609 erbaute Kirchlein eröffnet den eigenartigen Rosenkranzstationenweg zum heiligen Berg. Im Innern der achteckigen Rotunde ist über der Tür ein Gemälde des Trienter Konzils angebracht, das die Unbefleckte Empfängnis begünstigte. Acht Standbildern von Kirchenlehrern, die über dieses Geheimnis schrieben, schauen aus Nischen herab. Die Psalmworte: Fundamenta eius in montibus sanctis (Ihre Fundamente liegen auf heiligem Berg) strahlen im Giebelfeld und geben dem Pilgerweg längs der Rosenkranzkapellen das gläubig-fromme Gepräge. Noch vor etwas mehr als dreihundert Jahren war der nach beiden Seiten schroff abfallende schmale Grat des Berges eine fast unzugängliche Wildnis. Da fasste 1604 der arme Kapuzinerpater Giovanni Battista Aggugiari von Monza, als er in Varese predigte, den Plan, einen breiten, gepflasterten Weg zum uralten Wallfahrtsort auf der Kuppe des heiligen Berges zu bahnen. Durch Sammlung milder Beiträge und zahlreiche Arbeitskräfte aus der Umgebung unterstützt, wurde es ihm möglich, den jetzigen wohlgepflasterten breiten Weg anzulegen und an den Kehren der einzelnen Windungen Kapellen zu errichten, die dann im Laufe der Zeit die Zahl vierzehn erreichten. Sämtliche Kapellen, geräumig und verschieden in der Anlage, enthalten neben lebensfrischen Freskenmalereien lebensgroße bemalte Freigruppen in Ton, manchmal recht realistisch, im ganzen aber ansprechend und treuherzig-fromm gehalten, die die Geheimnisse des Rosenkranzgebetes verherrlichen.

 

Die fünf freudenreichen Geheimnisse beginnen mit einem prächtigen Eingangstor, dessen Dachfirst das Standbild der Rosenkranzkönigin krönt, umgeben links vom heiligen Dominikus, dem Begründer des Rosenkranzgebetes, und rechts vom heiligen Franz von Assisi.

 

Es folgen sich nun in angemessenen Abständen an den Kehren des Weges fünf Kapellen: die Verkündigung mit 2, der Besuch bei Elisabeth mit 10, die Geburt Jesu mit 14, die Darstellung Jesu im Tempel mit 17, das Wiederfinden Jesu unter den Schriftgelehrten mit 22 Statuen, sämtlich von Christoforo Prestinari und Francesco Silva gearbeitet. Die Fresken an den Wänden, die die Hauptszene erläutern oder ergänzen, stammen von Chianda da Como, Panfilo und Andrea Villa.

 

Die fünf schmerzreichen Geheimnisse eröffnet ein Torbogen, auf dessen Höhe das Standbild des heiligen Karl Borromäus, des eifrigen Pilgers zum heiligen Berg, thront.

 

In der 6. bis 10. Kapelle sind die Ölgartenszene mit 9, die Geißelung mit 10, die Dornenkrönung mit 10, die Kreuztragung mit 18, die Kreuzigung mit 40 Statuen verherrlicht.

 

Zu den fünf glorreichen Geheimnissen führt ein Tor mit dem Standbild des heiligen Ambrosius, des angeblichen Gründers des Heiligtums auf der Bergesspitze.

 

Die Auferstehung Christi mit 9, die Himmelfahrt mit 16, die Sendung des Heiligen Geistes mit 15, die Himmelfahrt Mariä mit 21 Statuen sind in den letzten vier Kapellen dargestellt, während das 15. Geheimnis, Mariä Krönung, durch das Gnadenbild in der Wallfahrtskirche selbst die fünfzehn Rosenkranzstationen abschließt. Wie vorher, sind auch diese Statuen ein Werk Silvas; die Fresken dagegen verdankt der Berg den Malern Morazzone, Busca, Lampugnani, Rechi, de Grandi, Legnanino u.a.

 

Drei künstliche Brunnenhäuser, an den drei Torbögen kräftiges Bergwasser in Röhren vom seitlichen Monte delle tre Croci spendend, bieten auf dem zuweilen etwas steilen, schattenlosen Weg kühlende Labung und mehrere sauber gehaltene Wirtschaften gewähren längs des Weges weitere Stärkung: köstlichen Wein, frische Milch, leichtes Vareser Bier u. dgl.

 

Der Stationenweg geht durch das enggebaute Pfarrdörfchen mit ungefähr 400 Einwohnern zur Kuppe des Felsberges (867 Meter hoch), wo links die Wallfahrtskirche, im Rokokostil umgebaut, sich erhebt. Den Freskoresten in der Kuppel wird ein hohes Alter zugeschrieben, besonders aber gilt dies von jenen in der alten Krypta, die sich unter dem Hochaltar befindet. Das Gnadenbild, 1½ Meter hoch, vom Alter geschwärzt und die gekrönte Himmelskönigin mit dem Jesuskind auf dem Arm darstellend, thront über dem Hochaltar. Das Innere des dreischiffigen Gotteshauses ist von vergoldeten Skulpturen, Stuck und zahllosen Fresken (von Fiammenghieno und Paolo Ghianda) stark überladen.

 

In der Kapelle des rechten Seitenschiffes ruhen über dem Altar die Leiber der seligen Katharina von Pallanza (1437-1478), der Gründerin des anstoßenden Klosters, und ihrer ersten Gefährtin, der seligen Juliana Puricelli von Verghera in der Lombardei (1427-1501).

 

Das mit der Kirche verbundene Kloster der Augustinerinnen stammt aus dem Jahr 1471.

 

Noch wird im Innern des Klosters in ihrem ursprünglichen Zustand die Zelle (1,80 Meter hoch, 3 Meter breit) bewahrt, die die selige Katharina als Klausnerin neben dem Wallfahrtsort lange Jahre bewohnte. Eine getreue Nachbildung derselben steht dem Pilger zur Besichtigung allezeit offen in einer an die äußere Klosterwand angebauten Kapelle. Im Kloster besteht unter der Leitung der Klosterfrauen eine Erziehungs- und Unterrichtsanstalt für Töchter besserer Stände.

 

Der Gnadenort selbst als Madonna del sacro Monte ist indessen bedeutend älter als Kirche und Kloster. Urkundlich wird bereits 1017 ein Erzpriester auf dem heiligen Berg erwähnt. Der Mailänder Erzbischof, der heilige Galdmus (1166-1176, also zur Zeit Barbarossas), bestritt die vom Vareser Stiftspropst vorgenommene Ernennung des der Häresie verdächtigen Erzpriesters Landolfo und ersetzte ihn durch den Mailänder Domherrn Pietro da Bossolo, der auf dem heiligen Berg von fünf Kanonikern und mehreren Geistlichen umgeben war. Es musste also das Heiligtum der Gottesmutter bereits zu einer hohen Blüte gelangt sein, wenn ein solcher Stab von höheren und niederen Geistlichen dort funktionierte.

 

Die örtliche Überlieferung verlegt tatsächlich die Gründung desselben in die Zeit des heiligen Ambrosius, der zum dankbaren Andenken an den Sieg der Katholiken über die Arianer das Heiligtum errichtete, den Altar weihte und das heutige Gnadenbild darüber aufstellte.

 

Im schönen Maimonat und an den Festtagen Unserer Lieben Frau strömt das fromme lombardische Volk in zahlreichen Scharen von nah und fern herauf, den Rosenkranz betend und heilige Lieder singend. Ein Erzpriester mit mehreren Geistlichen versieht den heiligen Dienst.

 

Es ist ein ganz eigenes Bild, das sich da an solchen Festtagen bietet. Neben feinen Herren und eleganten Damen in allen erdenklichen Sommertoiletten ist es besonders das schlichte Landvolk der Lombardei in hellen, leuchtenden Farben mit dem Schmetterlingsartigen, das sich so anmutig ausnimmt. Dann wieder das männliche, solide Bauernelement, das sich in seinen besten Sonntagsstaat geworfen und stundenweit herbeigeeilt ist: ein farbensattes Bild, wie es nicht packender auf der Bühne zu sehen ist. Dann die rührende Andacht dieses schlichten Landvolkes zur Madonna mit dem göttlichen Kind auf ihrem Arm. Ein oberflächlicher Beobachter könnte die Art der Andacht etwas gar zu äußerlich finden, allein diese ungenierten lebhaften Äußerungen sind Begleiterscheinungen des südlichen Blutes; wem es vergönnt war, in das Herz dieses tiefgläubigen Lombardenvolkes zu blicken, der versteht sich in die Volksseele dieser Landkinder hineinzudenken und ihre äußere Andacht richtig zu würdigen. Dem Volk ist die Gottesmutter mit dem Jesuskind auf dem Arm so hoch und heilig, so gütig und mächtig, dass ihr am Himmelsthron keine Bitte versagt wird. Darum eilt es in allen Nöten des Lebens so gern und anhaltend hin zur Mutter mit dem Gotteskind. „Durch Maria zu Jesus“ ist seine Losung auf dem kurzen Pilgerzug durchs Leben.

 

Zur Freude der Andacht gesellt sich dann hier oben der Genuss seltener Naturschönheit bei klarem Wetter. Die Fernsicht ist überraschend. Zu Füßen der malerischen Vareser See, 9 Kilometer lang und 2 Kilometer Durchschnittsbreite, die weiteren viel kleineren Nachbarseen, offenbar Reste eines ehemals größeren Seebeckens, zur Linken der Comersee mit den ihm vorgelagerten Bergen, zur Rechten der Langensee und die über ihm thronenden Westalpen mit den Gletscherzinnen, im Vordergrund nach Süden die lombardische Ebene wie ein grüner Teppich von den weißen Punkten der Ortschaften durchwirkt, im Rücken nach Norden das malerische Valgana, wo die strenge Alpenwelt sich in die sanften, weichen Linien der Kastanienhügel und Ahornberge auflöst, wo aus dem dunkelgrünen Schatten der Wälder Dörfchen und Landhäuser hervorleuchten. Und dieses herrliche Panorama, übergossen von der Fülle des goldenen Lichtes und dem Zauberglanz des südlichen Himmels. Da empfindet der fromme Pilger in seinem Herzen, wie an diesem Ort der Gnade Himmel und Erde wetteifern, ihn durch die Reize der Naturschönheit, der Kunstfreude und den Trost der Andacht zur wahren Heimat und zu dem, was in der heiligen Religion das Lieblichste und Erhabenste ist, zu erheben, nämlich zur hehren Jungfrau mit dem göttlichen Kind auf ihrem Arm, durch Maria zu Jesus hinzuleiten.

 

Georg von Dintesheim

 „Ave Maria“, Heft 3, März 1911

 

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83. Alt, nicht veraltet!: Altötting

 

Von P. Cölestin Muff

Benediktiner des Stiftes Einsiedeln

Kevelaerer Marien-Kalender, 1898

 

„Schrecklich! Nicht mehr Mode, veraltet!“ sprach Tante Lisabet bei sich, und schob ein Altes, aber noch gut erhaltenes Seidenkleid zuhinterst in den Schrank. Onkel Fritz hatte bisher mit einer alten, guten Kielfeder geschrieben; jetzt aber warf er sie eines Tages in den Papierkorb, indem er rief: „Die passt nicht mehr, die ist veraltet!“ Und noch ein ähnliches Stücklein! In der Stadt N. kam der Rat zusammen und beschloss, das neue elektrische Licht einzuführen; denn das alte Gaslicht sei eben veraltet, nicht mehr zeitgemäß.

 

So geht’s auf allen Gebieten; das Alte, Gute ist den modernen Leuten nicht mehr gut, weil es veraltet sei. Ja, auch die bald 19hundertjährige (1898) katholische Kirche soll in unsre Zeit nicht mehr passen, soll altfränkisch, veraltet sein. Und was von der Kirche im allgemeinen, das wird besonders auch gesagt von ihren Gebräuchen und Einrichtungen, ihren Klöstern, Wallfahrten und Gnadenorten.

 

Nun eben von einem solchen Gnadenort möchten wir erzählen und da zeigen, dass er zwar alt, aber nicht veraltet ist. Dieser Ort liegt draußen im lieben Bayernland, dort, wo in der Nähe die bläuliche Donau des Inns dunkle Wasser aufnimmt, die von den Schweizer- und Tirolerbergen mutwillig heranstürmen. Dort erhebt sich inmitten eines freien Platzes, der von Kirchen und sonstigen Gebäuden umgeben ist, eine mit steilem Satteldach versehene, altertümliche Kapelle. Die Stelle des Chores nimmt ein Turmbau ein, der in ein Zeltdach ausläuft; rings um die Kapelle führt ein Rundbogengang, der dem Ganzen ein eigentümliches Gepräge verleiht. Es ist die Gnadenkapelle von Altötting, das Kleinod der Diözese Passau und des Bayernlandes, das deutsche Loretto, der Mittelpunkt der Verehrung Mariens aus nah und fern.

 

Altötting! Nomen est omen, sagt der Lateiner, d.h. die Bedeutung des Ortes liegt in seinem Namen. Denn wirklich der Ursprung der Kapelle und der Ortschaft ist alt, uralt. Einer glaubwürdigen Überlieferung gemäß soll der Turmbau einstens in den Zeiten der Römer ein heidnischer Tempel gewesen sein. Im 6ten Jahrhundert sodann kam der heilige Rupert (+ 27. März 718), ein Franke von Geburt, in die Gegend von Oetting, verwandelte den heidnischen Tempel allhier in eine christliche Kirche und stellte in ihr das mitgebrachte Muttergottesbild auf. Seither befindet sich in der heiligen Kapelle dies so berühmt gewordene Gnadenbild, das wegen seiner wundertätigen Wirkungen die Gläubigen in Menge anzog.

 

Das Bild ist aus Holz geschnitzt, 66 cm hoch und in Farben gefasst. Der Gesichtsausdruck ist so lieb, mild und anmutig, dass man sich nie sattsehen kann; wahrhaft heiliger, himmlischer Sinn spricht aus der ganzen Darstellung. Die Statue ist für gewöhnlich in weißseidenes Gewand gekleidet, darüber ein schwarzsamtnes Skapulier, das mit Diamanten und kostbaren Perlen und Kleinodien besetzt ist.

 

Alt wie das Bild und die Kapelle ist auch der Wachtdienst, der bei ihnen unterhalten wird. Die ersten, die diesen Dienst versahen, waren die Söhne des großen, heiligen Ordensstifters Benediktus. Um 876 baute ihnen König Karlman bei der heiligen Kapelle ein schönes Kloster samt einer großen Kirche. Von da an begann der Aufschwung Altöttings und es erreichte bald einen hohen Grad von Berühmtheit und Wohlstand. Denn von Altötting aus ging die Verbreitung des Christentums und der Kultur in die ganze Umgegend; dort weilten oft fromme Fürsten und Kaiser und verursachten dadurch den Zusammenfluss der Großen und Edlen geistlichen und weltlichen Standes aus ganz Deutschland; dort wurden auch viele Fürsten- und Volksversammlungen, Hof- und Gerichtstage gehalten; dorthin endlich richtete sich die Verehrung des gläubigen Volkes und dorthin strömten die Wallfahrtszüge von nah und fern.

 

Allein bald brach eine furchtbare Schreckens- und Leidenszeit über die Gnadenstätte herein. Die damals noch heidnischen Ungarn, die halb Europa mit Raub, Brand und Mord heimsuchten, kamen 910 auch nach Altötting, wo sie den ganzen Ort, die Stiftskirche samt dem Benediktinerkloster und alle übrigen Gebäude plünderten und niederbrannten. Mönche und Einwohner fielen unter dem Schwert oder wurden als Sklaven mit fortgeschleppt. Aber welch ein Wunder vom Himmel! Die heilige Kapelle blieb in diesem schrecklichen Brand und während all der folgenden, mehr als 50 Jahre dauernden Streifzüge der Ungarn ganz unversehrt.

 

Ja wohl! Und schon damals zeigte Gottes sorglich waltende Hand, dass Altötting trotz seines Alters nicht veraltet sei. Aus dem Schutt erhob sich wieder neues Leben. Begünstigt von Fürsten und beschützt von den Bischöfen, konnte die Wallfahrt bald wieder neuen Aufschwung nehmen, indem an Stelle des zerstörten Benediktinerklosters ein Chorherrenstift errichtet wurde (1228). Fürsten und Bischöfe wetteiferten in Schenkung von Gütern und Erteilung von Rechten und Privilegien an die neuaufblühende Stiftung. So gelangte sie im Laufe der Zeiten zu hohem Ansehen; sogar Söhne bayerischer Herzöge bekleideten die Würde eines Stiftspropstes, und einer dieser Pröpste wurde zum Kardinal erhoben. Groß war der Segen, den dieses Stift zur Beförderung der Andacht zur Mutter Gottes am altehrwürdigen Gnadenort verbreitete. Immer stärker wurden die Wallfahrten zur heiligen Kapelle von Altötting nicht nur aus Bayern, Schwaben und Franken, sondern auch aus Österreich, Böhmen, Ungarn, ja selbst aus Frankreich und Italien. Der Raum der Stiftskirche wurde bald zu klein und aus den reichen Opfergaben der Wallfahrer musste der Bau einer größeren Wallfahrtskirche in Angriff genommen werden; Propst Johann Mayer legte am 1. August 1499 den Grundstein dazu.

 

So wirkte das Chorherrenstift einige Jahrhunderte hindurch mit großem Segen. Doch abermals begann ein Sturm zu toben und mächtig zu rütteln an den Grundpfeilern der Gnadenstätte. Allein auch er hatte nach Gottes weisem Ratschluss nur den Zweck, vor aller Welt den Beweis zu erbringen, dass jene Grundpfeiler zwar alt, aber nicht morsch und veraltet seien. Dieser Sturm wurde eben heraufbeschworen durch die Lehre Luthers im 16ten Jahrhundert. Auch in Bayern, auch in der nächsten Umgebung von Altötting wurde das verderbliche Gift nicht ohne Erfolg verbreitet. Schon so weit war es gekommen, dass in der Nähe Altöttings das Bauernvolk die heiligen Bilder zerstörte, die Pfarrer zur Spendung der heiligen Kommunion unter Weinsgestalt förmlich zwang und einen Priester, der mit einem Kreuz nach Altötting wallfahrtete, tödlich misshandelte.

 

Da waren es nun Herzog Albrecht von Bayern und sein Sohn Wilhelm V., die Gottes Hand auserkor, um das brave Bayernvolk vor dem Abfall zu bewahren und dem katholischen Deutschland seine Gnadenstätte Altötting zu erhalten. Ersterer Fürst berief die Jesuiten, darunter besonders den hochberühmten, seligen Canisius, nach Ingolstadt, München und Landshut, die nun die festeste Schutzwehr für die Erhaltung der Rechtgläubigkeit bildeten. Wilhelm V. erlangte sodann auch für den Wallfahrtsort Altötting einige Väter aus der Gesellschaft Jesu. Hiermit war sein sehnlichster Wunsch erfüllt, denn Altötting erkannte er als das Herz des Landes, da sollte drum der alte Glaube, der nie veraltet, und die alte Verehrung Mariens wieder neu belebt werden.

 

Kurz vor dem Ende des Jahres 1591 trafen die berufenen Väter aus der Gesellschaft Jesu am uralten Gnadenort ein. Bald gewann er eine ganz veränderte Gestalt. Unterstützt von den Mitgliedern des immer noch fortbestehenden Kollegiatstiftes, gaben sich diese Väter alle Mühe, um durch gründliche Belehrung auf der Kanzel und im Beichtstuhl das Volk zu gewinnen. Sie führten unter anderem das 40stündige Gebet an den Fastnachtstagen ein und die Marianische Kongregation, um so auf das Familienleben einzuwirken. Am schönsten aber gab sich ihr aufopfernder Seeleneifer kund in der grausigen Pest, die im Jahr 1649 Altötting und dessen ganze Umgebung verwüstete.

 

In der sturmbewegten Zeit des 30jährigen Krieges wachte Marias Schutz und Gnadenhilfe ebenso auffällig wie früher in ähnlichen Schreckenstagen, über die heilige Kapelle und ganz Altötting. Zwar musste das Gnadenbild wiederholt versteckt werden, und wiederholt war die Gefahr der gänzlichen Verwüstung des Gnadenortes aufs Höchste gestiegen, - immer aber wandte Gottes schützende Hand die Katastrophe ab, und das Gnadenbild wurde gerettet.

 

Der Westfälische Friede brachte wieder ruhige Zeiten, und war dadurch für das kirchliche Leben von den wohltätigsten Folgen. Namentlich zeigte sich dies in den zahlreichen Besuchen der Gnadenkapelle zu Altötting aus nah und fern, so sehr, dass selbst die vermehrte Zahl der Jesuitenpatres und der Chorherren den immer sich steigernden Ansprüchen der Wallfahrt nicht mehr zu genügen vermochte. Darum bewirkte der fromme und eifrige Propst, Graf von Wartenburg, im Jahr 1653 die Errichtung eines Franziskanerklosters. Ebenso gründeten auch die Väter Kapuziner, die Kurfürst Maximilian I. im Jahr 1600 nach Bayern berufen hatte, in Altötting eine Niederlassung. So wirkten die Söhne der heiligen Ignatius und Franziskus und die Chorherren des Stiftes eifrig zusammen in der segensreichen Besorgung der Wallfahrt. Nur der spanische Erbfolgekrieg, in den auch Bayern verwickelt war, brachte in das stille Wallfahrtsleben eine vorübergehende Störung.

 

Jetzt kam die Zeit der französischen Revolution, jene Zeit, von der ganz besonders die Worte gelten: „Das Neue drängt herein mit Macht, das Alte, das Würdige scheidet.“ Doch der Gnadenstätte vermochte das schlimme Neue nichts anzuhaben. Von Gottes Hand beschützt, blieb Altötting, blieb alt, nicht veraltet. Einen schweren Schlag erlitt es allerdings, da ihm durch Aufhebung des Jesuitenordens (1773) seine treuen Wächter entrissen wurden, und als das Aufhebungsdekret aller Klöster Bayerns im Jahr 1803 auch die dortigen Ordens-Familien der Kapuziner und Franziskaner und selbst das Chorherrenstift auf den Aussterbe-Etat versetzte. Seit dem Jahr 1826 jedoch durften die Väter Kapuziner in Besorgung der Wallfahrt wieder ihre volle Tätigkeit entfalten und wurden zugleich unterstützt von einem Kollegium von Wallfahrtspriestern. Bischof Heinrich von Passau berief 1841 die Kongregation der Redemptoristen, die zur Förderung der Wallfahrt aufs segensreichste wirkten bis zu ihrer Verdrängung durch den Kulturkampf (1873). Seither besorgen die Väter Kapuziner in zwei Klöstern die Wallfahrt und zwar mit bestem Erfolg. Zeugnis dafür ist die Tatsache, dass sich die dortige Wallfahrt von Jahr zu Jahr hebt, und dass die jährliche Kommunikantenzahl durchschnittlich die Höhe von 230.000 erreicht und in einzelnen Jahren weit übersteigt.

 

* * *

 

Altötting ist alt, aber nicht veraltet; das lehrt seine Geschichte, das lehrt aber auch die Geschichte seiner Wallfahrt. Groß war die Verehrung, die alle Schichten der Bevölkerung Bayerns und des Auslandes der Gnadenmutter Altöttings von jeher entgegenbrachten. Darunter waren namentlich die bayerischen Fürsten selber, wie z.B. Herzog Albrecht V., Wilhelm V., der große Kurfürst Maximilian I. und seine erste Gemahlin Elisabetha von Lothringen; ebenso die Kurfürsten Maximilian Emanuel und Karl Theodor und in neuerer Zeit auch König Ludwig I.

 

Nicht minder wetteiferte dann auch das benachbarte Haus Österreich mit dem bayrischen Fürstenhaus in der Verehrung U. L. Frau von Altötting, und zwar durch andächtigen Besuch und kostbare Weihegeschenke. Und wenn so Fürsten und Könige sich auszeichneten, ist es selbstverständlich, dass auch die hohe und niedere Geistlichkeit nicht zurückblieb. Ja sogar eines päpstlichen Besuches kann sich Altötting rühmen. Am 25. April 1782 traf nämlich Papst Pius VI. auf seiner Reise nach Wien abends 5 Uhr dort ein unter Glockengeläut und Kanonendonner und unter Paradierung von Infanterie und Kavallerie.

 

So erscheint diese Gnadenstätte als einer der berühmtesten Wallfahrtsorte der Welt und wird mit vollem Recht Loretto in Italien, Maria-Einsiedeln in der Schweiz, Maria-Zell in Steiermark, Kevelaer im Rheinland und Lourdes in Frankreich würdig an die Seite gestellt. Das finden wir noch mehr bestätigt durch die Verehrung U. L. Frau von Altötting von Seiten der Städte, Dörfer und Gemeinden, die dorthin wallfahrteten und die kostbarsten Opfergeschenke dort niederlegten. Das katholische Volk bewies eben von jeher und beweist auch heute noch, dass es jenen Gnadenort als nicht veraltet betrachtet. Kommt ja doch seit 1839 alljährlich am 1. Sonntag im Juli ein stattlicher Pilgerzug (900 bis 1000 Teilnehmer zählend) aus der Hauptstadt zur Patrona Bavariae nach Altötting. Die Großartigkeit dieses Zuges, der feierliche Gottesdienst, der dabei gehalten wird, das andächtige, bis in die spätesten Abendstunden fortgesetzte, laute Beten der Münchener wirkt ergreifend und nachhaltig auf die Herzen der Teilnehmer.

 

Wenn wir dann erst noch die vielen Wunder und außerordentlichen Gebetserhörungen und Bekehrungen überblicken, die Gott seit mehr als einem Jahrtausend auf die Fürbitte seiner Mutter an ihrem Gnadenort gewirkt, dann müssen wir von ihm sagen: „Großes hat an ihm getan, der da mächtig und dessen Name heilig ist.“ Deswegen kann dieser Ort nicht veralten, und mag er noch so alt werden. Zwar finden wir viele Jahrhunderte hindurch keine urkundlichen Aufzeichnungen von Wundern, aber gleichwohl müssen sie zahlreich gewesen sein. Das ergibt sich aus der Tatsache, dass dieser Gnadenort zu allen Zeiten eine so außerordentliche Berühmtheit gehabt hat. Gewiss haben die Benediktiner viele dieser wunderbaren Begebenheiten aufgezeichnet, aber mit der Zerstörung ihres Stiftes sind auch die Schriftstücke verloren gegangen. In späteren Sammlungen jedoch finden wir hundert und hundert wunderbare Heilungen, außerordentliche Gebetserhörungen und Bekehrungen aufgezeichnet. Dazu kommen noch die zahllosen, an allen Wänden der heiligen Kapelle innen und außen hängenden Votivtafeln, die uns den ausgebreiteten Ruf dieses Gnadenortes erklärlich machen.

 

Und so sprudelt der Gnadenborn Altöttings auch heute wie ehedem unversiegbar fort, und erweist sich Maria ohne Unterlass als die mächtige und gütige Gnadenspenderin und Helferin in allen Anliegen des Leibes und der Seele.

 

Eine ganz besondere Eigentümlichkeit dieses Gnadenortes besteht darin, dass dort die Herzen der bayerischen Fürsten in der heiligen Kapelle beigesetzt sind. Es spricht sich in dieser Tatsache eine Bestätigung der göttlichen Worte aus: „Wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein“, sowie das besondere Vertrauen auf den mächtigen Schutz der Himmelskönigin für den großen Tag der Auferstehung. Die ersten, deren Herzen ihrem Verlangen gemäß hier bestattet wurden, sind: Herzog Albrecht (+ 1666) und dessen Gemahlin Mechtildis; ferner Kurfürstin Elisabeth (+ 1635) und Kurfürst Maximilian I. (+ 1651); die letzten sind: König Ludwig II. (+ 1886) und Königin Maria (+ 1889). Ebenso ruht dort das Herz des großen Tilly.

 

Sorgen wir also auch dafür, dass unsere Liebe und unser Vertrauen zu Maria, unserer Mutter, die sich zu Altötting wie an all ihren Gnadenorten so mächtig erweist, nie veraltet, nie schwach werde, sondern stets neu bleibe und zunehme. Denn auch Marias Mutterliebe bleibt ewig jugendfrisch, sie zeigt sich alt, aber nicht veraltet.

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84. Mariä Rechberg

 

Katholisches Sonntagsblatt

Bistumsblatt der Diözese Rottenburg

Stuttgart, 26. September 1937

88. Jahrgang, Nr. 39, S. 654

 

Der Sonntag, an dem die Kirche die äußere Feier des Siebenschmerzenfestes begeht, war in diesem Jahr ein Ehrentag für die „Schöne Maria vom Rechberg“. Denn auf diesen Tag war die große Männerwallfahrt des Neckargaus und Jagstkreises angesetzt. Den beiden Wallfahrten, die die katholischen Männer in früheren Jahren nach Weingarten und nach dem Schönenberg gemacht hatten, reihte sich diese Wallfahrt auf den Rechberg würdig an. Nach der Zahl der Beteiligung wie vor allem nach ihrem religiösen Gehalt war sie ein Akt männlicher Frömmigkeit, der, so Gott will, dem einzelnen Teilnehmer wie der Kirche und dem Volk reichen Segen gebracht hat. Wo man selbst eine so große Gemeinschaft war, dachte man mit besonderer Innigkeit all der Gemeinschaften, in denen der einzelne steht: der Familie, des Volkes und der Kirche, vor allem der Kirche Christi im deutschen Vaterland. Neben den gemeinsamen Feiern und Gebeten blieb dem einzelnen noch Zeit genug, der Gnadenmutter seine ganz persönlichen Anliegen vorzutragen.

 

Schon äußerlich stand der Tag unter einem guten Stern. Herrlicher Sonnenschein begleitete die Wallfahrer beim Gang den Berg hinauf. Wenn sich dann auch gegen Mittag immer stärker die Wolken zusammenzogen, so konnte man doch die zweite Feier am frühen Nachmittag mit einer nur kleinen Abkürzung zu Ende führen. Drei Sonderzüge, jeder mit durchschnittlich tausend Personen, fuhren von Stuttgart, von Süßen und von Aalen zur Bahnstation Hohenrechberg. Da war jedes Abteil eine betende und singende Gemeinschaft. Es war ein schönes Bild, wie dann die drei großen Gruppen nacheinander den Berg hinauf wallten, begrüßt von den Glocken der Kirche, voraus ein Kreuz oder eine kirchliche Fahne, die man aus dem heimatlichen Gotteshaus mitgebracht hatte. Gegen Ende des Weges stellte sich der hochwürdigste Bischof, begleitet von mehreren Geistlichen und von Kreuz und Fahnen, an der Spitze des Zuges und führte ihn auf die weite Fläche um das Kriegergedächtniskreuz, wo der Altar und die Kanzel aufgeschlagen waren. Wie die Männer von den Sonderzügen kamen, da schien es, als wollten sie gar keinen Platz mehr finden. So viele waren aus der näheren und weiteren Umgebung zu Fuß oder mit Autos gekommen.

 

Um 10 Uhr begann dann die heilige Messe, die der Bischof mit den Wallfahrern feierte. Lieder und gemeinsam gesprochene Gebete brachten die Teilnahme der Beter am heiligen Geschehen zum Ausdruck. Bischof Dr. Sproll hatte auch die Predigt übernommen. Sie stellte den Hörern die Grundwahrheiten der katholischen Lehre, den Glauben an einen persönlichen Gott und an Christus, eindringlich vor Augen und verteidigte sie gegen alte und neuere Irrtümer. Er nannte dann die Aufgaben, die sich für den katholischen Mann aus dem Glauben an Gott und Christus und aus seiner Liebe und Treue zur katholischen Kirche und ihren Hirten ergeben. In einem gemeinsamen Gebet wurde hierauf um wahre Liebe zu Gott und um das rechte Verständnis seiner Heimsuchungen und um Kraft und Gnade für die Priester und Bischöfe der Kirche, für das deutsche Volk und die Lenker seiner Geschicke gebetet. Ergreifend war das am Schluss der Messe allgemein gesprochene Gebet um Segen und Kraft zur Arbeit, das so recht aus der Wirklichkeit genommen ist, in der Bauer und Arbeiter Tag für Tag stehen. Mit dem Segen des Bischofs und mit dem gemeinsamen „Großer Gott“ schloss die Messfeier.

 

Nach der Mittagspause stellten sich die Tausende von Männern zur eucharistischen Prozession auf. Unter dem Gesang von Liedern, das vom Bischof getragene Allerheiligste in der Mitte, zog die Prozession in Zehnerreihen den Rand der Bergeshöhe entlang in großem Bogen um die Kirche herum zum Gefallenenkreuz. Jetzt konnte man sehen, wie groß die Zahl der Teilnehmer war, die bestimmt 12.000 Männer erreichte. Zahlreich waren auch die Frauen, welche zu beiden Seiten der Prozession Spalier bildeten. Von der Kanzel aus hielt Landespräses Miller, der Leiter der Wallfahrt, eine Ansprache, bei der er den Sinn der Wallfahrt und die Aufgaben des christlichen Lebens kennzeichnete. Dann drangen die Worte des Treuegelöbnisses katholischer Männer und des Weihegebetes an Maria feierlich in die Weite. Nach der Erteilung des Segens mit dem Allerheiligsten wurde der Bischof zum Portal der Kirche geleitet. Mächtig erklang hier zum Abschluss das „Großer Gott“. Ein Marienlied brachte der Herrin der Wallfahrtsstätte den letzten Gruß der dankbaren Wallfahrer. Und noch Stunden nach dem Schluss der Feier war die Kirche voll von Betern, die Frieden und Hilfe suchten in allem, was ein gläubiges Herz bedrückt.

 

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85. Die Muttergottes vom Mariahilf-Berg

 

Von Dominic Kortil

Zusammenfassung aus „Perpetual Help“,

Mount St. Alphonsus, Esopus. N. Y.

Februar 1948

 

Soweit die Menschen zurückdenken können, haben die Bürger von Amberg in Bayern schon immer die Muttergottes von der immerwährenden Hilfe verehrt. Der Berg, der sich über der Stadt erhebt, trägt den Namen „Mariahilf-Berg“. Hoch oben auf dem Berg hat man eine große Wallfahrtskirche erbaut, auf deren Hauptaltar das wundertätige Bild strahlt. Unzählige Gnadenerweise, ja Wunder, wurden den Pilgern gewährt, die den Mariahilf-Berg hinanstiegen und vor dem Bild der Muttergottes knieten. Unzählige Votivgaben, die die Pilger zum Dank für Gebetserhörungen gaben, hängen in einer eigenen Seitenkapelle.

 

Das Folgende ist die Geschichte der Familie Krieger, Vater, Mutter und 11 Kinder, die einst in der Nähe Ambergs auf einem schönen Bauernhof lebten. Wie die Bürger Ambergs, wurden auch die Kriegers in der Verehrung der Muttergottes von der immerwährenden Hilfe großgezogen. Die Mutter Gottes aber hatte für diese Familie besondere Gnaden. Als Margaret, eine der Töchter, drei Jahre alt war, wurde sie blind. Der Hausarzt erklärte, dass ohne eine Operation die kleine Margaret ihr ganzes Leben lang in einer Welt der Dämmerung leben müsste. Aber Mutter Krieger hatte ihre eigenen Pläne. Sie nahm zwei wollene Schals, machte daraus eine Art Wiege für ihre Kleine und trug sie auf dem Rücken von ihrem Bauernhof nach Amberg und dann die Windungen der Straße hinauf zum berühmten Heiligtum auf dem Mariahilf-Berg. Sie brauchte drei Tage dazu. Die kleine Margaret war still, als sie den Berg hinanstiegen und als sie in der Wallfahrtskirche waren. Aber auf dem Rückweg nach Amberg plauderte sie glücklich, stellte Fragen über die große Kirche und zeigte auf die Kirchtürme unten im Tal. Frau Krieger brachte das Mädchen zum Arzt zur Nachuntersuchung. Der Doktor sah in Margarets blaue Augen, runzelte die Stirn und murmelte, , halb zu sich selbst: „Margaret, du siehst auf einmal so gut wie alle Leute!“ Verwundert schüttelte er den Kopf.

 

Anna war jünger als Margaret, ein rosiges kleines Ding mit strohblonden Locken, aber aus irgendeinem Grund wollte sie nicht Gehen lernen. Als sie schon über drei Jahre alt war, kroch sie immer noch auf allen Vieren. Wiederum machte Frau Krieger eine Wallfahrt zur Muttergottes von Mariahilf. Am dritten Tag ihrer Novene begann die kleine Anna zu laufen.

 

So mehrten sich die Gnadenerweise in der Familie Krieger. Es war ein Tag, als ob die Welt einstürzen würde, als der Pfarrgeistliche eilends mit den hl. Sterbesakramenten von Amberg zum Kriegerhof kam. Mutter Krieger war todkrank. Ihr Mann war ganz außer sich und dachte an die 11 kleinen mutterlosen Kinder. Er ließ sie an diesem Tag von der Schule zu Hause und zog mit ihnen in einer kleinen Prozession auf den nahen Hügel zur Kapelle von der immerwährenden Hilfe, wo sie alle niederknieten, den Rosenkranz beteten und die Muttergottes baten, ihnen die Mutter zu erhalten. Wie konnte Maria diesen bittenden Augen der 11 Kleinen, die zu ihr aufschauten, etwas abschlagen? Frau Krieger wurde wieder gesund. Sie sah ihre Kinder heranwachsen, ihre Jungen in den Krieg ziehen und erlebte noch, sie alle nach dem Waffenstillstand im Jahr 1945 wieder daheim zu begrüßen. 76 Jahre wurde sie alt.

 

Die Geschichte der Erbauung einer Flurkapelle auf dem Grundstück der Krieger, geht auf den preußisch-bayerischen Krieg zurück. Die Kapelle ist wirklich ein Kriegsdenkmal der Familie. Der Urgroßvater Krieger hatte, als seine vier strammen Söhne zum Kriegsdienst für ihr Land eingezogen wurden, der Muttergottes von der immerwährenden Hilfe ein Gelübde gemacht: Wenn sie sie beschützen und sie wohlbehalten nach Hause kommen lasse, werde er auf seinem Besitz eine Flurkapelle bauen. Kaum waren die vier Jungen wieder gesund zurückgekommen, als man mit der Arbeit begann, und binnen kurzem war die Kapelle, fast 5 Meter hoch, fertig, eine kleine Kirche mit einem Altar, und darauf unter Glas eine Nachahmung des Wunderbildes der immerwährenden Hilfe.

 

Die Kapelle war immer ein Lieblingsplätzchen für die Kriegerkinder. Sie veranstalteten Prozessionen dorthin, einer der Jungen spielte den Priester, die Mädchen trugen Blumenkränze, und alle sangen Kirchenlieder, vielleicht ein bisschen falsch, vielleicht auch mit selbsterfundenen Worten. Im Sommer verging fast kein Tag, an dem nicht eines von ihnen einen neuen Blumenstrauß zur Kapelle brachte. An jedem großen Fest wurden Rosen und andere Blumen aus Frau Kriegers und der Nachbarn Garten in die Kapelle gebracht. Das Heiligtum war beinahe so schön geschmückt wie der Altar in der Mariahilf-Kirche. Die Nachbarn folgten dem Beispiel der Familie Krieger und hielten am Nachmittag eine Prozession, wobei man Lieder sang und den Rosenkranz betete. Ja, sogar wenn der Schnee auf dem Hof der Krieger lag, brannten die Kerzen hell vor dem Bild der Muttergottes.

 

Da kamen die Kriegswolken von 1914, und fünf Krieger-Jungen wurden eingezogen. Am Morgen, an dem er Abschied nahm, ging jeder erst den Pfad hinauf zur Flurkapelle, um die Muttergottes zu bitten, ein Auge auf sie zu haben und ihn wieder heimkehren zu lassen. Schließlich zog auch Joseph, der Jüngste, in den Krieg. Nun war es einsam auf dem Kriegerhof, fünf Jungen draußen an der Front und zwei Mädchen, Margaret und Anna, als Klosterfrauen in Amerika. Fünf Kerzen brannten in der Kapelle. Frau Krieger wartete, und einer nach dem anderen, kamen die fünf Jungen endlich gesund wieder heim.

 

Am 15. August, dem Fest Mariä Himmelfahrt war die Kapelle wie immer mit Blumen geschmückt, und am Nachmittag schlossen sich wieder die Nachbarn den Kriegers in einer Prozession an, beteten mit ihnen den Rosenkranz und sangen Muttergotteslieder. Diesmal war es eine Dankprozession, und in den Augen von Frau Krieger waren Tränen, als sie sah, wie ihre kräftigen fünf Söhne den Rosenkranz mitbeteten. Sie wusste, welche Gedanken ihnen durch den Kopf gingen. Gerade an diesem Morgen war Joseph, ihr „Kleiner“, zurückgekommen.

 

Der junge Joseph war verwundet und bewusstlos als tot auf dem Schlachtfeld zurückgeblieben. Als er wieder zu sich kam, bedeckte er das Gesicht mit dem Helm und wartete geduldig bis zum Einbruch der Nacht. Dann begann er vorsichtig, gegen die Linien des Niemandslandes zu kriechen. Er brauchte zwei Tage, bevor er in Sicherheit war, und die ganze Zeit hatte er dabei an die Kapelle daheim gedacht und gebetet, dass er sie wiedersehen möge. Ein ganzes Jahr war er danach im Lazarett gelegen, und nun war er wieder gesund. Jetzt war er zu Hause und ging mit der Prozession zur kleinen Flurkapelle. Das war im Jahr 1918.

 

Nicht allzu lang danach kam wieder ein Krieg. Über dem Mariahilfberg mit seinem Heiligtum und dem Hof der Krieger brummten fliegende Festungen auf ihrem Zerstörungsflug. Wiederum wurden junge Krieger eingezogen, so wie einst ihre Väter und Großväter. Aber wiederum kamen sie alle zum väterlichen Hof und zur Kapelle auf dem Hügel zurück.

 

Unversehrt vom Krieg, steht die Kapelle noch auf dem Besitztum der Krieger. Im Frühling pflückt eine neue Generation der Krieger Veilchen für Maria, und an den großen Festtagen ziehen wieder Prozessionen mit Litaneien und Rosenkranz zur Kapelle. Die Männer erzählen von der Vergangenheit. Joseph Krieger erzählt, wie man ihn einst als tot aufgab und wie er doch wieder nach Hause kam. Sein alter Helm hängt in der Kapelle. Dort hängen auch noch andere Votivgaben der Krieger für Gnadenerweise der Muttergottes: Helme von 1870, 1918 und 1944, ein langer hölzerner Rosenkranz, zwei Silberkränze, die zwei Klosterfrauen von St. Dominic in Amerika sandten, die eine zum Dank dafür, dass sie Augen besitzt, mit denen sie sehen, und die andere zum Dank für ihre Füße, mit denen sie gehen kann. Anna und Margaret haben nach so vielen Jahren in Amerika Amberg, den elterlichen Bauernhof und die Kapelle auf dem Hügel nicht vergessen. Sie haben nun schon über ein Vierteljahrhundert in der Neuen Welt verbracht und viele Kinder die Liebe zur Muttergottes gelehrt, so wie Frau Krieger einst auch sie am Fuß des Mariahilf-Berges lehrte.

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86. Eine Pilgerfahrt nach Maastricht

 

Die Heiligen sterben nicht

 

Von W. V. D. Randel

Aus „De Katholieke Illustratie“

Nassaulaan 51, Haarlem, Holland, 1948

 

(Die Hauptstadt von Limburg, die Stadt „Mariae des Meersterns“, die Stadt des heiligen Servatius, die civitas regia, das Rom Hollands, die Stadt der 21 heiliggesprochenen Bischöfe, hielt ihre alle sieben Jahre stattfindende Heiligtumsfahrt, bekannt, berühmt und verehrt nicht allein im Süden bis weit in das Land von Lüttich, sondern auch im Norden, in ganz Holland.)

 

So habe ich dich wiedergesehen, königliche Stadt, civitas regia, du Rom der Niederlande, und habe mich geborgen gefühlt innerhalb deiner prächtigen römischen Wälle. Deine milde Luft durfte ich atmen, die duftet nach Weihrauch, Wein und „Maastrichts aaid“, von dem Werumeus Buning einst sagte, dass er fast wie Wein sei.

 

Mit Trauer sah ich deine einst so schöne alte Maasbrücke und mit frohem Herzen den Traumwald deiner Türme.

 

Wie gewöhnlich konnte ich nicht vorbeigehen an der grauen Basilika der mittelalterlichen Burg, ohne sie zu grüßen, Maria „Meerstern“, die dort steht mit ihrem göttlichen Kind, einer Königin gleich, in einem Meer von Kerzen, mit einem stets wechselnden Hof andächtiger Verehrer zu ihren Füßen.

 

Den uralten Bittweg entlang hörte ich das Murmeln der Gebete und das leise Rascheln der Rosenkränze. Denn deine Kinder sind, Gott sei´s gedankt, noch tief gläubig, und sie schämen sich nicht, dies in der Öffentlichkeit zu zeigen.

 

Ich durfte dich wiedersehen zur Zeit der Heiligtumsfahrt, in den Tagen deines höchsten Glanzes, wenn deine Kinder Gott, Maria und St. Servatius zu Ehren beten und singen.

 

Ich habe in der jahrhundertealten St.-Servatius-Kirche verweilt, die von Monulphus und Gondulphus auf dem Grab des „Großen Herrn von Tricht“ erbaut wurde. Da war der Kaisersaal, das Wunder der Baukunst, und mein Herz erfreute sich beim Anblick der romanischen Pforte und ihrer Heiligen, die dort in ehrwürdiger Hierarchie aufgestellt sind.

 

Noch immer steht die dunkle Krypta, wo sich der vergoldete Reliquienschrein des heiligen Servatius befindet. Hier ruhten einst auch die Erbauer des Heiligtums, und die Legende erzählt, dass Monulphus und Gondulphus auf Gottes Befehl aus ihrem Totenschlaf aufstanden und mit ihren dürren Gebeinen in der Nacht nach Aachen gingen.

 

Du kannst die Ehre in Anspruch nehmen, den ersten Bischof der Niederlande in deinen Mauern gehabt zu haben. Es war St. Servatius, dem ein Engel den Bischofsstab in die Hand gab. Dies geschah Jahrhunderte bevor der heilige Willibrord und der heilige Bonifatius ihren Fuß auf den Boden der rauen Küste Nordhollands setzten, um den Heiden das glorreiche Evangelium zu verkünden. Einundzwanzig Bischöfe haben hier residiert, und alle sind sie heiliggesprochen worden. Von St. Lambertus, der der zweitletzte war – er lebte im 5. Jahrhundert –, erhielt der heilige Willibrord viel Unterstützung bei der Christianisierung des Nordens.

 

An dieser heiligen Stelle, in dieser halbdunklen Krypta, standen Kaiser und Könige und ehrten die Heiligen der Maasgaue. Hier beteten fast alle Merowinger und Karolinger Fürsten, von Chlodwig (um das Jahr 500) angefangen bis zum letzten Karolinger, der im Jahr 1001 in St. Servatius begraben wurde. Deutsche Kaiser und Könige, Burgunder und Habsburger, bis zu Philipp II. von Spanien, stiegen einst in diese Gruft hinab.

 

Du königliche Stadt, die, wie der erste niederländische Ritter-Dichter Hendrick van Veldecke sagt, „in eijnem dal schon ende liecht … daer twee water tsamen gaen … dats de jeker en die mase“ (in einem Tale, schön und licht … da zwei Wasser zusammengehn, das ist die Jeker und die Maas) liegt, du zeigst uns deine Kostbarkeiten und Reliquien als Höhepunkt der alle sieben Jahre stattfindenden Pilgerfahrt, wie du es mit kurzen oder längeren schmerzlichen Unterbrechungen seit mehr als tausend Jahren getan hast. Nicht nur, dass du uns durch deine Priester diese Schätze zeigen lässt, du lässt sie auch durch alle Straßen tragen, und auch die Schätze deiner Schwesterstädte Tongern, Aachen, Lüttich und Visé. Denn du weißt, du Schöne und Weise, dass für die streitende Kirche und die Gemeinschaft der Heiligen Staatsgrenzen nicht die geringste Bedeutung haben.

 

So zog dieser glanzvolle Zug durch deine reichgeschmückten Straßen, angeführt durch Herolde, die die nach Tausenden zählenden Pilger zu Gebet und Betrachten auffordern. Tausende deiner bittenden und singenden Kinder folgten. Die Trösterin der Betrübten und Königin des Friedens, der Meerstern, wurde mitgetragen und das prächtige schwarze Kreuz von Wijk. Auch die goldenen und silbernen Brustbilder der Heiligen und die unzähligen Reliquien. All deine Kostbarkeiten und die deiner Schwesterstädte zeigst du uns. Auch der Notschrein von St. Servatius war diesmal wieder dabei, so genannt, weil du ihn in Zeiten großer Not mittragen lässt.

 

In all seinen Heiligen wird Gott verherrlicht auf diesem Hochfest, und wir, die streitende Kirche, die Glieder in der Gemeinschaft der Heiligen, hoffen, dass Gott uns erheben möge zu der Heiligung, die unsere Bestimmung ist.

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 87. Der Kreuzberg am Rhein

 

Nahe dem sagenumklungenen Siebengebirge grüßt Bonn, die Gartenstadt am Rhein, reichlich von frischem Grün umfriedet. Mit fünf Türmen ragt ehrwürdig das Münster, das bereits die heilige Helena begründet haben soll; im Innern leuchtet das lebensgroße Bild dieser frommen Kaiserin, wie sie das wiedergefundene Kreuz des Erlösers in Händen hält. War`s nicht, als wollte sie mir damit den Weg weisen zum nahen Kreuzberg? Im Schatten der Kastanienbäume wandelt sich`s leicht hinaus zum alten Friedhof und hinauf zur sanften Höhe; dort oben steht die Wallfahrtskirche des Heiligen Kreuzes und daneben die Kapelle der Heiligen Stiege, die vom Erzbischof Klemens im Jahr 1746 errichtet wurde. Ich dachte lebhaft an die Scala santa zu Rom, deren geheimnisvolles Dunkel mich ernst an jenen Leidensgang unseres Herrn in Jerusalem erinnert hatte. Die Nachbildung der Heiligen Stiege hier sehen wir im freien Tageslicht. Pilger wallen kniend die 28 Marmorstufen hinan. Am Gewölbe verkündet das farbenfrische Gemälde sinnreich die frohe Botschaft: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn dahingab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.“ Gott Vater, im Strahlenkranz himmlischer Herrlichkeit thronend, teilt den treuen Engeln mit, er wolle den gefallenen Menschen Barmherzigkeit erweisen. Die Weltkugel wird von der Schlange noch unheimlich umringelt, aber schon erscheint im reichsten Glorienglanz das Werkzeug der Erlösung:

 

Kreuz, o du herrliches,

Schimmerndes Zeichen,

Purpurwein triefender

Baum ohnegleichen!

 

Hell wie die Sonne

Strahlt deines Stammes

Schaft vom geheiligten

Blute des Lammes.

 

(Franz Eichert)

 

Die Ehrenwacht am Heiligtum halten Söhne des heiligen Franziskus, der auf Alvernas Höhen ja wunderbar die Wundmale des Gekreuzigten empfangen hat. Einer von den Brüdern waltet als gottbegnadeter Künstler, wie freute es mich, ihn aufzusuchen! Frau Damascen lautet sein Name, der an den heiligen Johannes von Damaskus erinnert, jenen eifrigen Verteidiger der kirchlichen Bilderverehrung. In der lichten Zelle fand ich das Heimatshaus des Künstlers abgebildet, aber auch das trauliche Waldkirchlein, dabei Studienköpfe, recht aus dem Leben herausgerissen. Von inniger Andacht verklärt erscheint das Bild des heiligen Antonius von Padua, der seligen Kreszentia von Kaufbeuren. Vor allen leuchtet das Bild der himmlischen Mutter. Möge Frau Damascen recht nacheifern dem Frau Angelico, dem seligen Johannes von Fiesole, dessen frommes Schaffen der deutsche Sänger Guido Görres sinnig schildert:

 

In der Zelle heil`gem Frieden,

Von dem Lärm der Welt geschieden,

Malt ein Bruder, fromm und mild,

Betend ein Marienbild.

Seinem Auge lichterfüllet

Scheint die Erde nachtumhüllet;

Bilder einer höhern Welt

Schaut sein Geist, von Gott erhellt.

 

Der gute Bruder Damascen gewährte mir auch Einblick und Eingang in den Klostergarten. Da stimmen die Bilder des Kreuzwegs, kunstreich aus grauem Stein gemeißelt, zu dankbarer Betrachtung, zumal da sinnig an jeder Station das entsprechende Vorbild des Alten Bundes erscheint, z.B. der Dulder Hiob, der ägyptische Joseph. Vom Garten eröffnet sich aber auch lichter Ausblick weithin ins herrliche Rheinland. Sieh dort ferne das Kloster Vilich, wo gemäß einer Stiftung der heiligen Adelheid täglich 15 Arme gespeist wurden! Wenn der Himmel sich ganz aufheitert, so grüßt schon freundlich das heilige Köln mit der Kreuzrose seiner Domtürme.

 

Und fern, verschwimmend in Duft,

Erhaben und allein,

Blühet das Rosenpaar

Des Doms in den Himmel hinein.

 

Von Josef Liensberger,

in Ave Maria,

Illustriertes Monatsheft für Marienverehrung,

Heft 4, April 1911, XVIII. Jahrgang

 

kreuzberg-bonn

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88. Das Alpenkirchlein

 

(Von I. Liensberger in "Ave Maria", Heft 5, 1911)

 

In einem Hochtal Tirols steht das St. Silvester-Kirchlein, ein gar merkwürdiger Bau. Die Sage meldet, hier hätten die alten Heiden ihre Opferstätte errichtet, die später ins christliche Heiligtum sei umgewandelt worden. Aus der ehrwürdigen Stiftskirche von Innichen wurde das Bildnis des heiligen Silvester hinaufgebracht und von den Hirten hochverehrt. Doch allmählich drohte dem alten Bau der Verfall. Da nahm sich Stiftspropst Walter tatkräftig des Kirchleins an, es stilgerecht zu erneuern.

 

Von Innichen aus ging ich gern den Bergweg hinan, der gegenüber den mächtigen Zinnen und Zinken der Dolomiten zum würzigen Fichtenwald und weiter ins stille Hochtal führt. Hoch über dem klaren Forellenbach ragt der steile Felsen und bildet den festen Grund fürs Kirchlein. Im Kirchlein selbst erfreuten mich die Wandgemälde aus dem 15. Jahrhundert. Wer möchte wohl so herrliche Blüten der Kunst in solcher Alpengegend erwarten? Die Bilder sind voll lieblicher, lichter Klarheit und Zartheit, wie sie eben nur das innige, sinnige Mittelalter bieten kann. Sie verkünden das Lob der lieben Gottesmutter. Seht das Bild Mariä Verkündigung und Mariä Heimsuchung! Das Bild Betlehems: „Die Hirten an der Krippe“ stimmt besonders gut für dieses Heiligtum im stillen Hirtental. Die Kapelle hoch auf dem Felsen, wie lebhaft erinnert sie an Uhlands allbekanntes Lied:

 

Droben stehet die Kapelle,

Schauet still ins Tal hinab;

Drunten singt bei Wies und Quelle

Froh und hell der Hirtenknab.

 

innichen/silvesterkapelle

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89. Der heilige Garten in Arenberg

 

(Von Josef Liensberger in „Ave Maria“, Februar 1915)

 

An den Rhein, an den Rhein, zieh nicht an den Rhein!

Mein Sohn, ich rat dir gut.

Da geht dir das Leben zu lieblich ein,

Da blüht dir zu freudig der Mut!

 

Trotz dieser schalkhaften Warnung des Dichters beschloss ich, im Sommer 1905 getrost die Rheinreise zu wagen. Vom goldenen Mainz stromabwärts, vorüber an alten Städten und Burgen, die von Sang und Sage reich umklungen erscheinen – welch frohe Wanderschaft! Das rebenumkränzte Koblenz lud mich aber auch freundlich zu frommer Wallfahrt ein, hinauf durch das lauschige Tälchen nach Arenberg. „Zum roten Hahn!“ Merkwürdig schien mir diese Bezeichnung der Wallfahrtsstätte. Früher mag wohl ein Gasthaus auf der Höhe so geheißen haben. Damals stand in Arenberg nur ein kleines Kirchlein, das kaum einige hundert Menschen fasste. Im Jahr 1834 kam Johannes B. Kraus als Pfarrer daher. Seinem erleuchteten Eifer gelang es, die große Wallfahrt zu begründen, freilich mit großen Opfern, wie er treuherzig meldet: „Gleichwie der Herr im Blut des Martyriums seine lebendige Kirche erwachsen ließ und verherrlichte, gleichwie er selbst die Erlösung der Menschen in großen Leiden vollbrachte, so ließ er auch diesen Tempel aus vielen Leiden erwachsen.“

 

Nahe dem herrlichen Haus Gottes pflanzte Pfarrer Johannes den lieblichen Garten Gottes, den heiligen Garten, wahrhaft geheiligt durch zahlreiche Bilder und Kapellen. Sehen wir die Einsiedelei des heiligen Franziskus von Assisi, wie traulich die Tiere des Feldes und die Vögel des Himmels ihm nahen, als verstünden sie seine Mahnung, den allmächtigen und allgütigen Schöpfer dankbar zu loben. Als treuen Jünger des heiligen Franziskus sehen wir den heiligen Antonius, dargestellt am Weiher, wo zwischen schneeweißen Seerosen munter die Fischlein spielen. Das Bild erinnert lebhaft daran, wie St. Antonius einst am Gestade des Meeres den Fischen predigte, um hartherzige Menschen zu beschämen.

 

Vor allem erfreuen uns im heiligen Garten die Erinnerungen an unseren göttlichen Heiland und seine reinste Mutter. Auf einem Hügel steht, von immergrünen Pflanzen umrankt, ein einfaches, armes Haus, erbaut aus Ziegelsteinen: die Nachbildung des heiligen Hauses von Nazareth. Da kniet betend die allerseligste Jungfrau und vernimmt demütig die frohe Botschaft des Engels. Rings um das heilige Haus leuchten in Bildern die Geheimnisse des heiligen Rosenkranzes. Nahe den freudenreichen Bildern erblühen weiße Blüten, an den schmerzhaften blutrote, an den glorreichen goldgelbe. Die sinnreiche Anordnung der Farben mahnt ans freundliche Lied:

 

Meine Mutter liebt die Rosen,

Rosen, weiß und purpurfarben,

Goldig wie des Abends Glühen,

Wie des Sommers lichte Garben.

 

(M. v. Greiffenstein)

 

Wahrlich ein Paradies, ein Garten der Wonne. In seiner Nähe finden wir aber einen anderen Garten, den Garten des Leidens.

 

Getsemani! Ernst ragen hier Rottannen. Über der Gruppe der drei schlafenden Apostel glüht die Beleuchtung wie geheimnisvolles Abendrot. Die Angstgrotte selbst ist mit braunen Steinen und grauen Kristallen bekleidet. Wie tiefergreifend wirkt das Bild des blutschwitzenden Heilandes, der sein seelenvolles Auge bittend zum Himmel richtet und doch voll kindlicher Ergebung den Kelch des bitteren Leidens annimmt!

 

"Lass mich deine Leiden singen,

Dir des Mitleids Opfer bringen!“

 

So ertönt es aus Herz und Mund der Pilgerschar beim Anblick der nächsten Kapellen: hier steht Jesus, mit Stricken gebunden, dort im weißen Spottkleid. Durch die Birken-Allee führt der ernste Weg zur Halle der Geißelung. Unter dem Bild des Heilands, der mit Dornen gekrönt worden ist, steht die Bitte geschrieben: „O Jesus, als König verhöhnt, erlöse mich!“

 

Folgen wir jetzt unserem Erlöser auf seinem Kreuzweg nach. Wie sind die Stationen hier errichtet? Jede Station erscheint als Kapellchen, aus Sandstein erbaut. Das Relief besteht aus gebranntem Ton. Darunter zeigt ein trauernder Engel die aufgerollte Inschrift. Das Ablass-Kreuzchen ist aus Olivenholz gebildet, das von Jerusalem hergesandt wurde. Wie lebhaft mahnte mich hier alles an meine Pilgerfahrt ins Heilige Land! Auch die Stätte der Himmelfahrt fehlt nicht: Auf Felsen ragt ein Kapellchen aus schneeweißem Quarz. Da weist die Lichtgestalt des Engels mit der einen Hand zum Himmel, mit der anderen auf unseres Herrn Fußspuren: „Willst du zum Himmel gelangen, so gehe des Heilands Weg!“

 

Gar sinnreich erscheint auch die Kapelle des Herzens Jesu. Sie hat 7 Fenster, teils mit blauem, teils mit rotem Glas. Das Glasgemälde mitten im Chor stellt das göttliche Herz dar, glühend vom Feuer der barmherzigen Liebe. Blickst du durch die blauen Fenster des Vorraumes, so starrt dir düster ein Winterbild entgegen, als fiele kalter Mondschein auf schneereiche Zweige. Blickst du durch die roten Fenster des Chores, nahe dem Herz-Jesu-Bild, so lacht dir fröhlich ein Frühlingsbild entgegen, als scheint warmer Sonnenglanz auf Blumen und Blüten. So findest du hier anschaulich dargestellt, was sinnig P. Franz Hattler SJ erklärt im Buch „Garten des Herzens Jesu“: „Nahe dem warmen, lichtreichen und lebensvollen Gottesherzen gedeiht alles. Wenn aber jemand sein Herz von Jesu Liebe weg zur Weltliebe neigt, da wird es eiskalter Winter in seinem Herzen. Fern vom Herzen Jesu verkümmert alles.“

 

Suchen wir auch unseren Heiland selbst heim, der voll Liebe seines Herzens in der Wallfahrtskirche thront. Viel Sinnreiches bietet diese Kirche. Wir gehen aber sogleich zum Hochaltar. Da glänzt am Tabernakel tröstlich das Bild des Herzens Jesu, verkündet klar, dass im Tabernakel das Sakrament der Liebe bleibt:

 

Drinnen die Sonne, die ewig glüht!

Drinnen ein Frühling, der ewig blüht!

 

Über dem Altar ragt die Gruppe der Kreuzigung. Am Kreuz rankt ein Weinstock mit roten Trauben hinan und bezeichnet den göttlichen Heiland als den geheimnisvollen Weinstock, der auf der Kelter des heiligen Kreuzes all sein Herzblut zum Heil der Seelen sich auspressen ließ:

 

Jesu Herz, dich preist mein Glaube,

Dich mein einzig höchstes Gut.

Wahrer Weinstock, süße Traube,

Strömend ew`ge Lebensglut!

 

kloster-arenberg.de/kloster

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90. Unsere Liebe Frau von der Rose

 

In der Stadt Lucca in Italien steht eine zur Andacht einladende Kirche, die vor Zeiten außerhalb der Mauern der Stadt sich befand, jetzt aber innerhalb sich erhebt. Die Stadtmauer bildete damals die Rückwand einer kleinen Kapelle, auf der man das Bild Unserer Lieben Frau mit dem Jesuskind auf ihrem Arm und mit drei Rosen in ihrer rechten Hand gemalt sah.

 

Ein junger Hirt, der gewöhnlich seine Schafe auf den Stadtgraben in der Nähe dieser Kapelle führte, konnte sich nicht genug wundern, da er merkte, dass kein Schaf es wagte, sich einem Platz zu nähern, der mit überaus schönem, grünen Gras bewachsen war, ja, dass sie vielmehr alle die Flucht ergriffen, sobald sie in die Nähe kamen, wie wenn sie verfolgt wären. Diese seltsame Erscheinung machte ihn neugierig, und er versuchte die Sache näher zu erforschen.

 

Es geschah dies im Monat Januar, in dem man keine Rosen auf den Feldern zu finden pflegt. Wie er sich aber dem Platz nähert, fand er unter Dornen eine Rose, so frisch und rot, wie man sie nur im Frühling hätte pflücken können. Er nahm sie und brachte sie seinem Vater. Der kleine Hirt war bisher stumm gewesen. In dem Augenblick aber, als er seinem Vater die Rose darbot, konnte er sprechen.

 

Der äußerst erstaunte Vater ging zum Bischof von Lucca und erzählte ihm alles, was sich zugetragen hatte. Der Bischof wollte den Jungen selbst sehen und aus seinem Mund die ganze Wahrheit erfahren. Damit noch nicht zufrieden, ließ er sich auf den Platz führen, wo die Rose gepflückt worden war. Und da er ernsthaft nachforschte, was der Grund einer so merkwürdigen Erscheinung sein möchte, fand er, dass dies genau die Stelle war, auf die die Augen des Bildes sich richteten.

 

Bald verbreitete sich überall die Sage von dieser Merkwürdigkeit. Jedermann wollte das wunderbare Bild sehen, und es geschahen dort viele Gebetserhörungen durch die erbetene Fürsprache der heiligen Jungfrau. Mit der Zeit erbaute man die so sehr schöne Kirche, in der noch heute Unsere Liebe Frau von der Rose andächtig verehrt wird.

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