Gefährliche Sargnägel

 

Unsere Welt ähnelt einem Krankenhaus. Man weiß allerdings nicht, bei welcher Krankheit, die dringend behandelt werden muss, man beginnen soll. Wo anfangen bei so viel Sünde und Elend, Jammer und Not, geistiger und leiblicher Zerrüttung. Wenn ein ganzes, großes Haus brennt - wo soll man mit Löschen anfangen? Wo ist die Gefahr am größten, welche Sünde wird am häufigsten begangen, welche beleidigt Gott am meisten, welche stammt aus der größten Seelenverwilderung und ist ein Zeichen von schlimmster Verkommenheit? Und wenn man es erkannt hat, dann muss dort zuerst Hand angelegt, geholfen, geheilt werden. Um dieses Böse kennenzulernen, geht man am besten dorthin, wo sich viele Menschen aufhalten: auf Jahrmärkte, Volksfeste, in Einkaufszentren, öffentliche Verkehrsmittel, Fußgängerzonen, Gaststätten aller Art und nach jedem Geschmack. Vieles kann man dabei lernen und erfahren. Auch welche die Hauptgebrechen sind, an denen die Menschen leiden und krank darnieder liegen. Meine Erfahrung ist: am meisten wird geflucht, bei jeder Frage und Antwort, bei jeder Beteuerung und Versicherung, bei jedem Ausdruck des Staunens und der Bewunderung, der Zuneigung und Abneigung, der Liebe und des Hasses. Die heiligen Namen: Gottes, Jesus, seines heiligen Kreuzes, der heiligen Sakramente, der lieben Gottesmutter und ihres Bräutigams, werden unzählige Male, tausend und hunderttausend Male unnötig, unehrerbietig, in Wut und Erbitterung, in Ungeduld und Zorn ausgesprochen.

Und die nach dem Fluchen am meisten verbreitete Sünde ist: die Unkeuschheit. Wieviel lüsterne Blicke, geile Grimassen, schändliche Reden, Anspielungen, Wortverdrehungen, Zweideutigkeiten, Witze und Zoten immer und überall von der Mehrheit der Menschen, von jung und alt - und, nicht zu vergessen, tagtäglich, von früh bis spät im Fernsehen, im Radio, im Kino, in den Zeitungen und der Werbung auf den Straßen und Bahnsteigen. Bereits die jüngeren Schulkinder sind diesen Eindrücken ununterbrochen ausgesetzt. Die jungen Leute sind davon angesteckt und vergiftet, und alle rufen wie im Chor: das Volk ist mündig, aufgeklärt und gebildet, man braucht darum auch keine Religion und keine Geistlichen mehr, man braucht die Menschen an keinem Gängelband mehr zu führen, das war einmal, sie können sich jetzt selbst führen. Ja, mündig sind die Menschen, das muss man ihnen schon lassen und zugestehen, mündig sind sie bis an die Ohren: sie reißen über alles und jeden den Schnabel auf und gaggern scheinweise über Dinge, von denen sie entweder nichts oder fast gar nichts verstehen. Mündig sind die Menschen, das muss man ihnen lassen: die Genuss- und Suchtmittel unserer Zeit wissen davon zu erzählen. Aufgeklärt sind die Menschen in unserer Zeit aber auch, denn man hat alles, was es es gibt ohne Schranken und Grenzen und ohne Anspruch auf Wahrheit in der Welt- und Kirchengeschichte, den Menschen beigebracht und ihnen dadurch die Achtung, die Ehrfurcht und die Pietät vor dem Göttlichen, Heiligen, Kirchlichen und vor der weltlichen Gewalt genommen. Man hat selbst der Heiligen Schrift das Göttliche und Wunderbare geraubt und sie zu einem nüchternen, abgewässerten Anekdoten- und Geschichtenbuch herabgewürdigt. Die Gottheit Christi und alle seine Wunder werden mit schlichten Worten regelrecht geleugnet. So recht nach dem Heine-Gedicht "Vaterland, freue dich, deine Nacht wird immer heller!", wird mit der Brandfackel des Unglaubens in jede Ecke hineingeleuchtet, mit dem fadenscheinigem Licht der Gottlosigkeit, Zuchtlosigkeit und Maßlosigkeit. Ja, die Menschen sind so sehr aufgeklärt, dass sie vor lauter Aufklärung nichts mehr glauben, alles kritisieren, an allem rütteln, Papst, Bischöfe und Priester zu Komödianten erklären. Und auch das muss man den Menschen zugestehen: gebildet sind sie. Wie könnte es auch anders sein, wenn man die Menschen schon im Kindergarten bis zum Seniorenheim ununterbrochen belehrt, dass sie der Kern der Menschheit sind, dass sie Grund- und Ecksteine sind, auf denen alles beruht, von denen alles abhängt, für die alles vorhanden ist. Was für ein wohliger Gesang: ich bin der Mittelpunkt, alles kreist nur um mich, ich darf alles tun und lassen ohne Rücksicht zu nehmen. Das ist schon bezaubernd! Aber leider ist es so ähnlich wie in der Fabel: Der Fuchs sprach zum Raben, der einen Käse im Schnabel hielt, nach dem der Fuchs gelüstete. "Wie herrlich ist Dein Gesang, Herr Rabe! Was für ein grandioser Opernsänger bist du!" sprach der Fuchs. "Lass sie einmal ertönen deine silberhelle Stimme!" - auf deutsch: krächze, damit dir der Käse aus dem Schnabel fällt. Und der Tölpelhafte glaubt dem heimtückischen Schmeichler, öffnet den Schnabel, krächzt und - lässt den Käse fallen, den nun der Fuchs heißhungrig aufschnappt und mit Appetit verzehrt. Wer die Menschen kennt, wer mit und unter ihnen lebt, der wird wissen, dass an all der Lobhudelei kein wahres Wort ist. Fast alle Menschen - mit wenigen Ausnahmen - sind durchaus nicht oder falsch gebildet, noch weit, weit zurückgeblieben. Es ist wie ein unförmiger Teig, der noch auf die Bildung wartet, der noch geformt, gebrannt, geschliffen und poliert werden muss. Einige Wenige, und sehr oft gerade die Schlimmsten, haben die Menschen in den Händen und bearbeiten sie zu ihren Zwecken, trichtern ihnen ihre Ansichten ein, schüchtern sie ein, jagen sie in das Bockshorn und - beuten sie aus und lassen durchs sie sich die gebratenen Kastanien aus dem Feuer holen. Und das waren nicht nur die Nazis oder die Kommunisten, längst vergangener Zeiten, sondern das sind auch heute die modernen Volksbeglücker, die Medien, herrschende Parteipolitiker, Konzerne mit ihren Hochverdienern, die sich am Schluss mit der vollen Kasse aus dem Staub machen. Das ist die Wirklichkeit, traurig zwar, aber wahr. Das Volk, "die da draußen", die sollen ruhig feiern und genießen: Brot und Spiele. Aber: "In vino veritas", im Wein liegt Wahrheit, der Wein löst die Zunge, der Mensch wirft die Maske ab, kennt keine Rücksicht und Zurückhaltung mehr und zeigt und gibt sich so, wie er ist. Das dieses Feiern und Grölen und Schlemmen auch etwas mit Sünde zu tun hat, davon weiß man nichts mehr, im Gegenteil: es erweckt allgemeine Heiterkeit und breite Zustimmung. Sünde? Wir leben doch im 21. Jahrhundert und nicht mehr im Mittelalter, wo man den Menschen diesen Bären noch aufbinden konnte.

 

Ach, und dann der Hochmut! Man sieht es vielen Menschen von Weitem an, wie sie sich fühlen, wie sie wichtig tun, wie sie mit ihren Einkünften prahlen und in coolen Klamotten oder schicken Anzügen einhergehen und in entsprechenden Autos lautstark auf sich aufmerksam machen. Wir können ferner die Wahrnehmung machen, dass bei all dem Stolz und Hochmut, bei all dem Feiern, den Drogen, der Unzucht, auch der Geiz und die Habsucht florieren. Man werfe ja keinen Stein auf andere Menschen wegen des Schachers, des Mammondienstes, des Betrugs und der Habsucht! Viele, viele, die sich noch Christen nennen, besitzen einen schmutzigeren Geiz als die anderen. Da wird gefeilscht und gehandelt, geschachert und auch beurteilt, ob der Bettler ein Almosen verdient hat oder nicht.

 

Und schließlich wird auch und immerfort großartig gelogen, gelogen, dass einem die Augen überlaufen möchten, gelogen wie in den öffentlich rechtlichen und anderen Medien, so dass einem Hören und Sehen vergeht. Ja es wird gelogen, gelogen im Scherz und im Ernst, mutwillig und in Verlegenheit, für Spaß und Zeitvertreib, zum eigenen Nutzen und zum Nachteil des Nächsten. Arme, arme Menschen! Wie weit haben euch eure "guten Freunde", die Damen und Herren Quacksalber, Marktschreier und Volksbeglücker gebracht! Dahin führt es, wenn man meint, es gehe auch ohne Religion. Freilich geht es, aber bergab, rückwärts, im Kriechgang. Es gibt eben kein anderes Mittel, den Menschen zum Menschen, gebildet und gesittet zu machen, als die christliche Religion. Darum muss gerade in unserer offenbar gottlosen Zeit durch die Religion, und zwar schleunigst, geholfen werden, sonst werden die Augen zu spät aufgehen. Selbst der Bluthund Robespierre, der doch gewiss nicht im Verdacht steht, ultramontan oder bigott gewesen zu sein, hat zur Schreckenszeit der Französischen Revolution im Nationalkonvent 1793 gesagt: "Wenn es keinen Gott gäbe, so müsste man ihn erfinden." So notwendig sind Glauben und Religion!

 

Nun ist sicher deutlich geworden, welche die gefährlichsten Sargnägel in unserem Weltkrankenhaus sind. An Medizin und Therapiemöglichkeiten fehlt es ganz sicher nicht, diese Schäden zu heilen und ebensowenig an Operationsbesteck, Pinzetten und Zangen und Scheren, diese Nägel herauszuziehen. Wer geheilt sein will, der wird geheilt. Aber darum dreht es sich noch: die Hauptkrankheit, aus der die anderen entspringen. Sie muss aufgefunden werden. Ist sie geheilt, so ist es leicht, auch die anderen zu finden und zu heilen. Ist die Wurzel abgehauen, so stirbt der Stamm, samt Ästen, Zweigen und Blättern, von selbst ab. Und welches diese Hauptsünde ist, an die vor allem die Axt gelegt werden muss, nennt der Apostel Johannes in seinem 1. Brief, 2,16-17: "Denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und das Prahlen mit dem Besitz, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Die Welt und ihre Begierde vergeht; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit." Es gibt also drei Haupt- oder Wurzelsünden, aus denen alle übrigen hervorgehen: die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und das Prahlen mit dem Besitz, d.h. Geiz und Hochmut. Es liegt nahe, dass der Hochmut die Quelle der beiden anderen ist. Das bestätigt auch der Heilige Geist durch den Mund des weisen Jesus Sirach: "Der Hochmut ist der Anfang aller Sünden." Und der heilige Gregor sagt: "Wenn der König der Laster, der Hochmut, ein besiegtes Herz ganz gefangen genommen hat, so übergibt er es unverzüglich den sieben Hauptlastern, als gleichsam ebenso vielen Feldherren, die ihm dienen, um es zu verwüsten. Den Oberbefehl aber behält der Hochmut und folgt den Scharen, die er führt, weil ohne Zweifel aus ihnen eine ungestüme Menge von Lastern entspringt." Und der heilige Bernhard sagt: "Der Hochmut hat viele Engel aus dem Himmel und die ersten Menschen aus dem Paradies vertrieben." Der Hochmütige erhebt sich gegen Gott und über Gott, er will selbst Gott sein, er lehnt sich auf gegen die Heiligen Gottes, er fragt nicht nach Gott und seinem heiligen Willen, er verachtet Gott, er spottet seiner, er hasst ihn und leugnet ihn. Das ist das Wesen des Hochmutes, und darum wird durch den Hochmut jeder Sünde Tür und Tor weit geöffnet.