In monte oliveti . . .

 

Anna von Krane (Düsseldorf)

 

Palmsonntag! Ernst erklingen Psalmenchöre,

Die Kruzifixe hüllen Trauerflöre,

Violenfarben ist der Priester Kleid.

Die Orgel schweigt, es schweigen Knabenstimmen,

Nur feierliche Männersänge klimmen

Der Töne Staffeln, singend Christi Leid.

 

Vorbei der Umzug mit den grünen Palmen,

Wo alles Volk, gleich windgebeugten Halmen

Sich betend neigte mit Hosannaruf.

Der herbe Duft des Buchsbaums mengt sich leise

Dem süßen Hauch der Wölkchen, deren Kreise

Der Weihrauchfässer reges Schwingen schuf.

 

Vorüber die Passion, die Opferung vorüber,

Die Wandlung naht! - Der helle Tag wird trüber,

Er blickt nur matt durch Kirchenfenster her.

Und in dem grauen, feierlichen Dunkel

Erglänzt der Kerzen lichtes Goldgefunkel

Wie Sterne aus des Himmels großem Heer.

 

"Dies ist mein Leib! - Dies ist mein Blut! -" Die Menge

Liegt betend auf den Knien im Gedränge,

Und tausend Hände schlagen an die Brust.

Vom Turme her die Glockenrufe fliegen:

Der Herr ist zum Altar herabgestiegen,

Ihr Menschen, seid der Gnade euch bewusst!

 

Dann totenstill! Die Ehrfurcht betet schweigend,

Tief in der Andacht Inbrunst sich verneigend,

Kein Atem regt sich in dem weiten Raum.

Da horch! Vom Chor erklingt`s im Trauertone,

Die Klage singen sie vom Menschensohne,

Als tief im Staub lag seines Kleides Saum.

 

"In monte oliveti . . ." tönt die Klage,

Dass sie das ewig-neue Lied uns sage

Von Christi schrecklicher Verlassenheit.

Wie er am Ölberg litt in Angst und Bangen,

Indes die Häscher nahten, ihn zu fangen,

Und niemand ihm ein tröstend Wort geweiht.

 

"Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe

Der Kelch an mir vorüber! Doch ich flehe:

Mein Wille nicht! Der deine soll es sein!

Fiat voluntas tua . . ." Schmerzlich wallend

Verseufzt`s im Chore, lang und schwer verhallend

In übergroßer, namenloser Pein.

 

"In monte oliveti . . ." Wem im Leben

Ward diese höchste Prüfung nicht gegeben?

Wer von uns war nicht in Gethsemane?

Wer musste nicht in blut`gem Schweiße ringen,

Um Trost vom harten Himmel zu erzwingen,

Und blieb allein mit seinem bittern Weh? -

 

"In monte oliveti . . ." wird gelitten

In schwarzer Einsamkeit. Kein Flehn und Bitten

Hält unsre schlafbefangnen Freunde wach.

Sie schlafen, während wir in Qual versinken,

Indessen wir den Kelch der Trübsal trinken,

Indes wir sterben - stückweis - tausendfach!

 

"In monte oliveti . . .!" Kampf der Geister!

Der Jünger ist nicht über seinem Meister,

Was Christus litt, das ist auch unser Los.

Hast du mit ihm das eigne Ich verloren,

So wirst auch du als neuer Mensch geboren

Aus qualdurchzuckter Einsamkeiten Schoß.

 

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