Im Kreuz ist Heil

 

Kreuzweg nach Michael Kardinal von Faulhaber

 

Die Harfe, die einen reinen Klang geben soll, muss zuerst gestimmt werden. Auch für diese Andacht gilt die Mahnung der Heiligen Schrift: „Bevor du betest, bereite deine Seele und sei nicht wie ein Mensch, der Gott versucht!“ Jesus Sirach 18,23 Das Wort des Herrn, man solle anklopfen und warten, bis die Tür aufgetan werde, Lukas 11,9, sagt deutlich, man solle dem lieben Gott nicht mit der Tür ins Haus fallen.

Die Seele ist für den Kreuzweg bereitet, wenn sie Reue und Leid über ihre Sünden trägt, die das Kreuz Jesu mitgezimmert haben. Die Seele ist für den Kreuzweg bereitet, wenn sie die gute Meinung macht, in der Liebe zum Heiland zu wachsen und die kirchlich gewährten Ablässe zu gewinnen. Die Seele ist für den Kreuzweg bereitet, wenn sie ein großes Verlangen in sich trägt, bei jeder Station vom Heiland eine besondere Gnade zu erbitten. Die innere Andacht wird gefördert, wenn der Beter im Geist in Begleitung der Gottesmutter und seines Schutzengels sich auf den Weg macht.

 

I. STATION: Jesus wird zum Tode verurteilt

 

V. Welch eine Gerichtskomödie, da der römische Landrichter Pontius Pilatus den angeklagten Heiland zwar ausfragt, dann aber dem Geschrei der Gasse nachgibt und den Heiland der Welt den Juden ausliefert! Dreimal hat Pilatus feierlich erklärt: „Er hat nichts getan, was den Tod verdient!“ „Ich finde keine Schuld an ihm!“ Und doch überlässt er, im Widerspruch zu seiner besseren Überzeugung, den schuldlosen Heiland dem Hass seiner Feinde. Pilatus mag sich die Hände waschen, so viel er will, er bleibt für den Justizmord mitverantwortlich, weil er ein ungerechtes Urteil gefällt, gegen seine Überzeugung die Unschuld schuldig gesprochen hat.

A. So lag es im Plan Gottes, durch den blutigen Tod des Eingeborenen des Vaters die Welt zu erlösen.

V. Die göttliche Gerechtigkeit ließ sogar die himmelschreiende Ungerechtigkeit der Menschen walten, weil die Allmacht Gottes auch das Böse dem Werk der Erlösung dienstbar macht.

A. Wir wollen es dem Heiland zuliebe tragen, wenn ohne unsere Schuld böse Zungen über uns urteilen und richten, unsere Ehre schmähen und verleumden.

V. Wir selbst wollen aber, wo wir können, dem Unrecht wehren, die unschuldig Verurteilten und Verfolgten in Schutz nehmen, an unseren eigenen Mund eine Wache stellen, auf dass kein Wort aus unserem Mund der Ehre des Nächsten schade.

A. Wir wollen an unsere eigenen Fehler denken und nicht, wie das Sprichwort sagt, vor fremden Türen kehren und niemals so gewissenlos wie Pilatus über andere zu Gericht sitzen.

 

II. STATION: Jesus nimmt das schwere Kreuz auf seine Schulter

 

V. Die Henkersknechte holen aus der Folterkammer des Richthauses ein Kreuz herbei, um es dem Heiland aufzuladen. Schon von weitem streckt er dem Kreuz, dem längst ersehnten, die Arme entgegen und mit einem stillen „Ave“ schließt er es in seine Arme.

A. Die Menschen weichen dem Kreuz aus, wo sie können. Das Herz Jesu aber ist Feuer und Flamme für das Kreuz.

V. Von Menschenhand ist es gezimmert und dargereicht. Jesus aber nimmt es aus Gottes Hand entgegen. So ist es der Wille des Vaters, und dazu ist er in die Welt gekommen, dem Willen des Vaters gehorsam zu sein bis zum Tod am Kreuz.

A. Göttlicher Meister! Bilde unser Herz nach deinem Herzen und gib uns einen Funken deines Eifers, den Willen des Vaters auch in Stunden des Kreuzes zu erfüllen! Aus deinem Kreuz kommt uns die Kraft, das Kreuz des Lebens zu tragen.

V. Wir kennen das Wort: "Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Wir müssen also entweder den Christennamen ablegen oder die Kreuzesscheu. Wir müssen das Kreuz, wie es kommt, halbschwer oder ganz schwer, aus Gottes Hand entgegenzunehmen, auch wenn es uns von Menschenhänden aufgeladen wird.

A. Wir müssen dem Bild des Meisters mehr und mehr gleichförmig werden und ebenso wie er tapfer und entschlossen sprechen: „Steh auf! Lasst uns gehen!“

 

III. STATION: Jesus fällt zum ersten Mal unter der schweren Last des Kreuzes

 

V. Wie ein Held hat der Heiland begonnen, seine Bahn zu laufen. Voll Würde und Majestät hat er die erste Strecke des Weges zurückgelegt. Die Menschen um ihn, zuerst neugierige Zuschauer, zum Teil von seinem Anblick ergriffen, werden von den Knechten des Hohen Rates aufgehetzt, immer lauter zu johlen, immer herzloser zu rasen. Einige wollen sich besonders hervortun im Heldentum der Rohheit. Sie drängen sich dicht an ihn heran, um ihn anzuspucken und anzuschreien und ihn mit Fäusten und Fußtritten zu stoßen. Christus, heute nicht gleich dem Löwen aus dem Stamm Juda, heute gleich einem wehrlosen Lamm unter den Wölfen, Christus rafft sich zusammen, um seine aufrechte Haltung zu bewahren. Bald aber wird sein Gang unsicher, seine Haltung gebückt. Das Kreuz ist schwer, belastet mit allen Sünden der gesamten Menschheit. Der Weg ist holprig, beschottert mit allen Steinen des Anstoßes, mit allen Ärgernissen der Weltgeschichte. Schritt für Schritt schleppt sich der gute Jesus weiter, während sein Atem immer heißer wird und der Schweiß ihm auf der Stirn steht. Da, auf einmal – sieht man ihn wanken und in die Knie sinken. Heldenmütig aber reißt er sich gleich wieder auf, um sich und sein Kreuz mit zerschundenen Knien weiterzuschleppen.

A. Im Geist knien wir neben dem knienden Heiland nieder und sprechen: „Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.“ Wir maledeien unsere Sünden, deren Schuldbrief er ans Kreuz geheftet und somit getilgt hat.

V. Mit dem ersten Fall wollte der Heiland im Besonderen die ersten Sündenfälle des Lebens sühnen, den Leichtsinn der Kinderjahre, die Verführungen der Jugend, das spielen mit der Versuchung, überhaupt alles, was das weiße Taufkleid in den Schmutz der Gasse zieht. Wie oft wird durch die erste schwere Sünde der ganze Himmel der Unschuld zertrümmert, das ganze Leben in eine Kette von Sünden geschlagen, die ganze Zukunft eines jungen Menschen auf ein falsches Geleis geschoben!

A. Durch den ersten schmerzlichen Fall wollte der Heiland aber auch die Gnade verdienen, Apostel für die Jugend zu erwecken, die alles daransetzen, sie in Reinheit und Ehrfurcht und Frohsinn zu erhalten und gefallene Jugend wiederaufzurichten.

 

IV. STATION: Jesus begegnet seiner betrübten Mutter

 

V. Immer größer wird die Menschenmenge, die sich um den Heiland auf dem Weg drängt. Immer lauter tobt sich die menschliche Bosheit aus. Die Zahl der Kreuzesfeinde war schon damals größer als die Zahl der getreuen Kreuzesjünger. Dazwischen aber begleitet den Heiland eine Gruppe guter Menschen, die es gut mit ihm meinen, die ihm ein Trost sein wollen, die aber freilich in dieser Stunde des Gerichtes ihm das Kreuz nicht abnehmen können. Er soll nach dem Wort des Propheten die Kelter des Zornweins allein treten und einsam das Werk der Welterlösung vollbringen. An die Spitze der Gruppe guter Menschen, die den Heiland trösten wollen, tritt die Mutter Jesu. Auch Maria war damals in Jerusalem und hörte von der Gefangennahme ihres göttlichen Sohnes. Die ganze Stadt redete von der Hinrichtung des Jesus von Nazareth. In der Zeit, da er öffentlich lehrte und Wunder wirkte, durfte Maria nicht dabei sein. Jetzt aber fordert sie das Recht der Mutter zurück, in den Stunden der Verfolgung ihrem Kind nahe zu sein.

A. Was für ein Meer von Bitterkeit flutet durch das Herz der Mutter, als sie auf dem Kreuzweg ihrem Jesus begegnet, mit dem blutigen Dornenkranz gekrönt, mit dem schrecklichen Kreuz beladen!

V. Mein Gott, wie haben sie ihn zugerichtet! In Bethlehem und Nazareth hatte die beste der Mütter das beste der Kinder gepflegt und wie ihren Augapfel behütet, und jetzt soll er einem schmerzlichen und schmachvollen Tod geweiht werden. Wortlos – tief – schauten Mutter und Sohn einander in die Augen.

A. Das Auge der Mutter betete in der Sprache der Tränen: „Gerechter Gott! Lass mich wenigstens mit ihm sterben! Ohne meinen Jesus ist das Leben schwerer als Sterben!“ Das Auge des Sohnes aber antwortete in der Sprache des Blutes: „Mutter! Die Stunde ist gekommen! Sei stark! Sei deines Sohnes wert und bete: Herr, dein Wille geschehe!“

V. Die Steine am Weg würden weinen, könnten die Menschen kalt wie Steine bleiben. Damals hat sich Maria zusammen mit dem göttlichen Heiland ein Anrecht auf unsere dankbare Liebe erworben.

A. Keine Menschenseele hat das Leiden Jesu so tief mitgelitten wie die Mutter.

V. Keine Seele kann deshalb so sehr wie die Mutter Maria wünschen, dass alle Seelen im Blut des Lammes reingewaschen und gerettet werden. –

„Heilandmutter! Komm auch uns als Trösterin entgegen auf dem Kreuzweg des Lebens und in der Not des Sterbens!“

A. Im Besonderen müssen jene Mütter, die um ein Kind Leid tragen, bei der schmerzhaften Heilandmutter sich Trost holen und mit der Königin der starken Seelen sprechen: Herr, dein Wille geschehe!

 

V. STATION: Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen

 

V. Die Feinde Jesu bekommen Angst, ihr Opferlamm könnte vor Schwäche auf dem Weg sterben. Darum halten sie einen Arbeiter an, der vom Feld heimkommt, das Rebmesser im Gürtel, von seinen beiden Söhnen begleitet, und „zwingen ihn“, eine Strecke lang das Kreuz zu tragen. Simon von Cyrene wehrt sich zuerst, das Kreuz anzurühren, das nach dem Gesetz ein Holz der Schande und des Fluches ist. Bald aber wird Simon durch den Anblick Jesu und dessen stillwirkende Gnade eines Besseren belehrt und innerlich umgewandelt. Als er das Kreuz zurückgibt, ist er ein freiwilliger Jünger des Kreuzes geworden. Der Heiland lohnt ihm den Liebesdienst mit reichem Lohn. Jene Viertelstunde war die größte Tat und größte Gnade seines Lebens.

A. Lernen wir von der fünften Station, in Geduld mit unserem Heiland das Kreuz zu tragen, das er mit seiner Hand berührt, mit seinem Blut gesalbt hat.

V. Mürrisches Wesen und verdrossenes Sichaufbäumen gegen die Fügungen oder Zulassungen Gottes machen aus jedem Kreuz ein Doppelkreuz. Der rechte und linke Schächer hatten das gleiche Kreuz zu tragen, und doch war ein Unterschied wie zwischen Himmel und Hölle. Dem einen wurde das Kreuz der Schlüssel zum Paradies, dem anderen, der seinem Kreuz fluchte und sein Gesicht von Jesus abwandte, zur Höllenlast. Ein Kranker, der in Wut seinen Verband von der Wunde reißt, hat damit seine Schmerzen nicht kleiner gemacht. Das Kreuz ist, dank dem Kreuz Jesu, heute nicht mehr ein Holz der Schande und des Fluches.

A. Sind wir dem Simon von Cyrene in der anfänglichen Kreuzesscheu nachgefolgt, müssen wir ihm auch in der Kreuzesliebe nachfolgen.

V. Stunden des Leidens sind Stunden der Gnade. An der Seite Jesu wächst die Kraft, Lasten zu tragen und böser Lust zu entsagen.

A. Herr, sende uns einen Simon, wenn wir einsam und verlassen leiden! Herr, erfülle aber auch uns selbst mit dem Geist Simons, damit wir in diesem Geist dem Nächsten auf dem Kreuzweg des Lebens das Kreuz tragen helfen!

V. Das Evangelium erwähnt, Simon von Cyrene war von seinen beiden Söhnen Rufus und Alexander begleitet. Auf dem Kreuzweg ist also auch die Kinderwelt vertreten, hier wie auch bei den weinenden Frauen. Die Gnade der heiligen Taufe, die Gnade der ersten Beichte, der ersten heiligen Kommunion, alle himmlischen Stunden der Kinderjahre wurden im bitteren Leiden des Heilands verdient. In seinen gesunden Tagen hatte er die Kinder mit besonderer Vorliebe gesegnet, und auch auf dem Kreuzweg hat er dem Vater im Himmel seinen schweren Opfergang für die Kinder aufgeopfert.

A. Scheuen wir uns nicht, die Kinder in die Kreuzwegandacht erzieherisch einzuweihen! Man sieht, dass diese anschauliche Darstellung des bitteren Leidens gerade den Kindern oftmals tief zu Herzen geht und starkes Mitleid mit dem Heiland, also eine erste Form von Liebe zum Heiland, weckt.

 

VI. STATION: Veronika reicht Jesus das Schweißtuch dar

 

V. Eine vornehme Frau sieht vor ihrem Haus den Henkerzug vorüberziehen und reißt, da sie nichts anderes zur Hand hatte, den Schleier von ihrem Haupt und hält ihn dem Heiland hin, damit er sich den blutigen Schweiß aus dem Gesicht wische. Der Heiland lohnt diesen Liebesdienst, indem er sein Antlitz in blutigen Umrissen auf dem Schleier abdrückt. Die zarte Minne weiblichen Feingefühls spricht aus diesem raschen Tun Veronikas, und ebenso ist es eine mutige Tat, sich in diesem Augenblick als Jüngerin Jesu öffentlich zu bekennen.

A. Eben leistete Simon als Vertreter der Männer dem Herrn einen Hilfsdienst, indem er mit starken Männerarmen das Kreuz erfasste. Nun hat Veronika als Vertreterin der Frauen dem Herrn einen Liebesdienst erwiesen, indem sie mit zarten Frauenhänden den Schleier gereicht hat.

V. Seitdem ist der blutgemalte Christuskopf auf dem Veronikaschleier das heilige Wappenzeichen der christlichen Caritas und Fürsorge geworden. Die christliche Frauenwelt soll, wo immer sie einem Kreuzträger begegnet, in jedem Kranken, in jedem Verwundeten, in jedem Misshandelten ein Abbild des Heilands erblicken und Veronikadienste leisten. Was ihr dem Geringsten seiner Brüder tut, habt ihr ihm selbst getan.

A. Ebenso streng verpflichtet uns Veronikas Vorbild, in unserem persönlichen Leben das Bild Jesu immer deutlicher hervortreten zu lassen.

V. Kein Götzenbild darf uns das Bild dessen ersetzen, der für alle Herzensbildung das alleinige und ewige Vorbild bleibt.

A.

„Wie Du von Herzen milde

Und demutsvoll und rein,

So soll nach Deinem Bilde

Mein Herz gestaltet sein.“ Amen.

 

VII. STATION: Jesus fällt zum zweiten Mal unter der schweren Last des Kreuzes

 

V. Die Liebesdienste des Simon von Cyrene und der Veronika waren dem guten Heiland ein kleiner Trost. Nun aber umfasst er selbst wieder sein Kreuz und versucht, allein und ohne Hilfe es weiter zu tragen. Eine kleine Weile geht es. Dann aber beginnt er wieder zu wanken wie einer, der ohnmächtig wird, und er fällt zum zweiten Mal. Diesmal ganz zu Boden, nicht bloß auf die Knie. Und das Kreuz auf ihn.

A. In das Herz der Mutter bohrt sich ein neues Schwert, während aus dem herzlosen Menschenhaufen Hohngeschrei und Flüche den schmerzlichen Fall begleiten. Neue Qualen überfallen den Menschensohn am Boden.

V. Mit diesem zweiten Fall und diesen neuen Qualen wollte der Heiland für die Rückfälle in die Sünde Genugtuung leisten. Wie wankelmütig sind wir, wie kurzlebig sind unsere Vorsätze, wenn der Herr in seiner Gnade nach einer reumütigen Beichte oder nach vollkommener Reue Verzeihung gewährte! Und doch enthält jede Absolution zugleich eine Gnade, die Gelegenheit zur Sünde zu meiden und nicht immer wieder in die Sünde zurückzufallen.

A. Mit dem Schmerz des zweiten Falles hat der Heiland uns die Gnade verdient, auch als rückfällig gewordene Sünder wieder aufzustehen. Im Fehlen und Fallen zeigen sich menschliche Schwächen. Im Wiederaufstehen und Nichtliegenbleiben offenbaren sich göttliche Gnadenkräfte.

V. Menschenwürde in anderen Seelen entwürdigen und in den Schmutz der Gasse treten, ist teuflische Bosheit. Einem gesunkenen Mitmenschen die Hand reichen, ihn wiederaufrichten, ist eine Heilandstat. Die Augen des Heilands sind auf Dich gerichtet und fragen:

A. Wo bleiben die Apostel, die meinen Aufruf und meine Gnade zu den Gefallenen weitertragen? Die ihnen die Hand reichen zum Wiederaufstehen?

 

VIII. STATION: Jesus begegnet den weinenden Töchtern Jerusalems

 

V. Der Anblick des Armensünderzuges ist so jammervoll, dass eine Gruppe von Frauen, die dem Zug begegnet, laut aufweint, und ihre Kinder, erschreckt und schreiend, sich an die Mütter klammern. Es ist zunächst rein natürliches Mitleiden „um ihn“, reine Gefühlssache in der Sprache der Tränen. Jesus aber lenkte das Mitleid und das Erschrecken auf die Sünden, die an seinem Leiden schuld sind. „Ihr Töchter Jerusalems,“ spricht er, „weinet nicht über mich, weint über Euch und Eure Kinder!“

A. Zum ersten Mal unterbricht der Herr sein Schweigen auf dem Kreuzweg. Schon deshalb müssen wir uns diese Worte tief zu Herzen nehmen, weil sie die einzigen Worte Jesu auf diesem Weg sind.

V. Seine Worte galten nicht den weinenden Frauen allein. Noch weniger war es ein „Trösten“, wie man mitunter lesen kann. Seine Worte waren eine Überschau über die ganze Weltgeschichte, ein Hinweis auf die Schrecken des Weltgerichts, die in den Augen Gottes in der Passion des Herrn ein Vorspiel haben. Der Karfreitag war zugleich ein Wetterleuchten des Weltgerichts. „Es werden Tage kommen, da wird man den Bergen zurufen: Fallet über uns! Wenn das am grünen Holz geschieht, was wird erst mit dem dürren geschehen?“ Die dürren Rebzweige, die im Gericht nicht am Weinstock Christus sind, werden in die Feuerglut der Hölle geworfen.

A. Natürliches Mitleid und billige Tränen sind dem Herrn nicht genug. Der Herr will den ernsten Kampf gegen die Sünde, die trotz seines Leidens in die Hölle stoßen kann.

V. Warnend erhebt er die Hand: Denkt an den bitteren Nachgeschmack der Sünde, an die Strafgerichte Gottes! Darum müssen wir uns selbst im Bußgericht richten, damit wir nicht gerichtet werden.

A. Darum müssen wir unser Gewissen erforschen und im Blut des Lammes reinigen und für die Zukunft rein bewahren.

 

IX. STATION: Jesus fällt zum dritten Mal unter der schweren Last des Kreuzes

 

V. Mehr eine Leiche als ein lebendiger Mensch, wankt der Heiland unter dem Kreuz in der Mittagshitze weiter. Mit dem willensstarken Gebet „Vater, wie Du willst“ spannt er seine letzten Kräfte an, um die letzte Strecke des blutigen Weges zu nehmen und die Höhe des Kreuzberges zu erreichen. Kurz vor dem Ziel aber fällt er zum dritten Mal, diesmal noch tiefer in den Staub als das erste und zweite Mal. Wie ein zertretener Wurm liegt er am Boden, und lange müssen die Henker an ihm herumreißen, bis er, todbleich und am ganzen Leib zitternd, wieder auf den Füßen steht.

A. Der dreimalige Fall auf dem Kreuzweg, tief und tiefer und ganz tief, war ein dreimaliger Fußfall vor der zürnenden Gerechtigkeit Gottes, ein dreimaliges, immer lauter gesprochenes „Kyrie eleison“ um Gottes Erbarmen, ein dreimaliges „Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa“ im Namen der Menschheit, deren Sündenlast das Kreuz so unerträglich schwermachte.

V. Auch Deine Schuld aus dem ersten und zweiten und dritten Jahrzehnt des Lebens war damals auf das Kreuz mitaufgeladen und ist damals vom Herrn mit abgetragen worden. Der dritte Fall sollte besonders jene Sünden büßen, die zum Himmel schreien und in ihrer Häufigkeit zu Gewohnheitssünden werden und Fallen für die Hölle legen.

A. Nützen wir die Gnade, die der kreuztragende Heiland durch den dritten Fall verdiente! Schrecken wir vor dem Leichtsinn zurück, der die Sünde wie Wasser hineintrinkt und gar nicht merkt, dass die Gewohnheitssünden Fallen und Fangschlingen der Hölle sind!

V. Pflanzen wir das Kreuz auf den „breiten Weg“ des Verderbens, damit die Menschen, die in das ewige Verderben rennen, stutzig werden und wenigstens in der letzten Stunde ihre Seele retten!

A. Christus ruft nach Aposteln, die den tief Gefallenen, den Opfern der Leidenschaft oder der Verführung, wieder aufhelfen.

 

X. STATION: Jesus wird seiner Kleider beraubt

 

V. Endlich ist der Henkerzug auf der Höhe von Golgatha angekommen. Während die Schergen die letzten Vorbereitungen treffen, den Hammer und die großen Schmiedenägel zurechtlegen und die Stelle am Boden ausheben, wo der Fuß des Kreuzes eingesenkt werden soll, betet der Heiland nochmals sein Opfergebet: „Nimm auf, heiliger Vater, allmächtiger, ewiger Gott, dieses Opfer“. – Dann werden ihm die Kleider vom Leib gerissen, so roh und gewaltsam, dass die Wunden wieder zu bluten anfangen, in deren Blut die Kleider festgeklebt waren. Noch größer aber als der Wundenschmerz ist die Beschämung seines Zartgefühls, als sein reinster Leib dem lüstern gaffenden Volksshaufen zur Schau gestellt wird. Es ist die Stunde, in der das sittliche Feingefühl des Heilands gekreuzigt wird. –

Jene Zeit hatte die Sitte, den Verbrechern vor der Hinrichtung einen Trank zu reichen, der aus Wein, Galle und Myrrhe gemischt war, um das Schmerzgefühl zwar nicht vollständig, aber doch ein wenig zu betäuben. Jesus „kostete davon“, um für die Sünden der Gaumenlust und Trunksucht Sühne zu leisten, wollte aber den Becher nicht austrinken, um bei vollem Bewusstsein die Schmerzen der Kreuzigung zu kosten.

A. Der Gesalbte des Vaters, der die Blumen des Feldes kleidet und den Seelen das Lichtgewand der Gnade und Herrlichkeit Gottes anzieht, wurde seiner Kleider beraubt.

V. Der Heiland wollte Genugtuung leisten für die Schamlosigkeit in Bildern und Reden, für unsittliche Rohheiten und Ärgernisse in irgendeiner Form. Der Herr wollte eine vierfache Gnade verdienen: die Gnade, durch Selbstzucht und Selbstbeherrschung die sittliche Würde zu bewahren. „Die, welche Christus angehören, haben ihr Fleisch gekreuzigt mitsamt den Leidenschaften und anderen Trieben.“

A. Die Gnade, den alten Menschen auszuziehen und den neuen Menschen anzuziehen, der nach Gott erschaffen ist.

V. Die Gnade, allen Schamlosigkeiten im öffentlichen Leben entgegenzutreten und an der Heilung der Trunksucht, dieser Totengräberin des Familienglücks und der Volksgesundheit, mitzuarbeiten.

A. Die Gnade, in apostolischem Geist jene Seelen zu retten, die dem sittlichen Verderben anheimgefallen und im Sumpf der Sinnlichkeit versunken sind.

 

XI. STATION: Jesus wird ans Kreuz genagelt

 

V. Bisher lag das Kreuz in den Armen Jesu. Jetzt wird Jesus auf die Arme des Kreuzes gelegt. Malen wir uns im Geist dieses grausame Bild aus, wie der Heiland an Händen und Füßen auf das harte Kreuzholz genagelt wird! Ein Henker legt den einen Arm auf den Querbalken, setzt mit der linken Hand den dicken Nagel in die Handfläche und schlägt mit weitausgeholten Hammerschlägen den Nagel durch die Hand in den Kreuzbalken. Der ganze Körper des Opferlamms zuckt zusammen. Die Brust hebt sich in tiefen Atemzügen. Der Mutter Jesu und den anderen Freunden des Herrn gehen die Hammerschläge durch Mark und Bein. Der Heiland streckt von selbst die andere Hand dem Henker hin, und dann werden auch die Füße angenagelt, und jedes Mal schießt ein Blutstrahl aus der Wunde empor. Die Hände, die im Leben so vielen Kranken aufgelegt waren, die Füße, die sich auf der Suche nach den verlorenen Schäflein müde gelaufen, sind nun am Kreuz festgenagelt. Die Henker ahnen nicht, was für ein Geheimnis vor ihren Augen sich vollzieht, als die gekreuzigte Hostie zwischen Himmel und Erde schwebt.

A. Wortlos, ohne den Mund zu einer Klage oder Anklage zu öffnen, lässt sich das Lamm auf der Schlachtbank opfern. „Gehorsam bis zum Tod am Kreuz.“

V. Alle Schmerzen seiner menschlichen Natur, alle Dunkelheiten seines menschlichen Verstandes, alle Verzagtheiten seines menschlichen Willens lösen sich auf in der vollkommenen Hingabe an den Willen des Vaters. Darum wollen wir um die Gnade beten, alle unsere Affekte und Seelenkräfte mögen auf das eine Ziel eingestellt bleiben, den Willen Gottes zu erfüllen und keinen Fingerbreit und keinen Augenblick lang von diesem Ziel abzuweichen.

A. Gebe uns der Herr, der gehorsam war bis zum Tod am Kreuz, diesen geradlinigen, unwandelbaren Gehorsam! Auch dann, wenn es ganz Dunkel in uns und um uns wird, und wir meinen, jetzt seien alle Sterne vom Himmel gefallen, muss dieser Gedanke: Ich muss dem Willen Gottes gehorsam sein!, der leuchtende Stern unseres Weges bleiben.

 

XII. STATION: Jesus wird am Kreuz erhöht und stirbt

 

V. Um die neunte Stunde ruft der Herr mit lauter Stimme: Es ist vollbracht! Die Weissagungen der Propheten sind bis aufs Jota erfüllt. Die Worte, die er den Menschen verkünden sollte, sind verkündet. Die Wunder der Liebe sind gewirkt. Alles, was der Vater ihm aufgetragen, ist vollbracht. Noch ein Wort der Verzeihung an seine Feinde: „Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun.“ Noch ein Wort der Verheißung an den reumütigen Schächer, das Findelkind der letzten Stunde. Noch ein Wort liebender Fürsorge an die Mutter, und nun empfiehlt er seine Seele in die Hände des Vaters.

A. Mühevoll waren die letzten drei Jahre seines Lebens. Unendlich viel seelisches Leid durchwühlte seine Seele, als er von einem Jünger verraten, von einem andren Jünger verleugnet, dann im Narrenkleid verspottet und nichts an Schmerz und Schmach ihm erspart wurde.

V. Das Allerbitterste aber war in den letzten drei Stunden durchzumachen. Doch nun ist es vollbracht. Die schwerste Todesnot, die jemals ein Sterbender zu erleiden hatte, ist ausgelitten, und in der eigenen Todesnot hat er zugleich die Todesnot seiner Jünger dem Vater aufgeopfert. Es ist vollbracht.

A. Halten wir aus in Krankheit und Sorge, in beruflichen und seelischen Schwierigkeiten, bis wir dem Meister dieses Wort nachsprechen können: Es ist vollbracht!

V. Der Meister hat sein Kreuz nicht vorzeitig weggeworfen, ist nicht vom Kreuz herabgestiegen, bevor es vollbracht war. Auch wir dürfen auf unserem Kreuzweg weder Halt machen, noch umkehren.

Es ist nicht genug, Anlauf zu nehmen, eine Zeitlang auszuhalten, dann aber auf halbem Weg stehen zu bleiben und bei den ersten Hindernissen kehrtzumachen.

A. Wir müssen in der Gnade des gekreuzigten Meisters treu bleiben bis in den Tod. „Lasst uns mit ihm gehen und mit ihm sterben!“

V. Die Sonne hat sich verfinstert. Am hellen Tag hat sich dunkle Nacht auf die Erde herabgesenkt. Drunten in der Vorhölle aber, wo die Seelen der Gerechten der Vorzeit auf die Stunde der Erlösung warten, ist ein Licht aufgegangen, als die Seele Jesu dorthin die Botschaft der Erlösung brachte.

A. So fließen immer noch Ströme des Lichtes vom Kreuz in den Reinigungsort, wo die Armen Seelen in der Leidensnacht auf die Stunde der Erlösung warten.

 

XIII. STATION: Der Leichnam Jesu wird vom Kreuz abgenommen und in den Schoß seiner gebenedeiten Mutter gelegt

 

V. Bis zur zwölften Station waren im Kreis der treuen Jünger die Frauen in größerer Zahl vertreten als die Männer. Jetzt aber treten die Männer in Tätigkeit, Josef von Arimathäa, Nikodemus und der heilige Johannes. Josef hat den Mut, zu Pilatus zu gehen und um die Überlassung des Leichnams Jesu zu bitten. Nach römischem Recht ist die Leiche nach Vollzug des Urteils freizugeben, und so „schenkt“ der römische Landrichter ihm den Leichnam, sobald das wirkliche Ableben des Herrn amtlich festgestellt ist. Die Feinde Jesu haben sich, geschreckt durch die Wunder beim Tod Jesu, aus dem Staub gemacht. Die Freunde Jesu setzen Leitern am Kreuz an, ziehen die Nägel heraus und lassen an einem langen Tuch den heiligen Leichnam vorsichtig zu Boden.

A. Ein Schwert des Schmerzes bohrt sich in das Herz der Mutter, als ihr der tote Leib ihres Sohnes in den Schoß gelegt wird.

V. Dieses Bild der schmerzhaften Mutter, das Vesperbild, ein Lieblingsbild der christlichen Kunst, wurde zum Gnadenbild für alle, die einen schweren Todesfall oder sonst einen großen Schmerz erlebten.

A. Stellen wir uns im Geist vor, wie die Mutter Jesu von dem Haupt voll Blut und Wunden behutsam die Dornenkrone ablöst, und bitten wir die schmerzhafte Mutter, uns diese heilige Krone einen Augenblick aufs Haupt zu setzen.

V. Vor dieser Dornenkrone, die der Herr in unendlicher Demut getragen, müssen Hochmut und Ehrgeiz sterben, muss die Demut nach dem Vorbild Jesu aufleben.

A. Auch diese Gnade möge die Schmerzensmutter uns erbitten, - um des Leichnams willen, den Pilatus umsonst herschenkte, - dass den Menschen, die uns nahestehen, Christusglaube und Christusliebe nicht feil seien um ein paar Judas-Silberlinge oder gar wie etwas Wertloses umsonst preisgegeben werden.

 

XIV. STATION: Der Leichnam Jesu wird ins Grab gelegt

 

V. Josef von Arimathäa hat sich schon bei Lebzeiten in seinem Garten ein Felsengrab aushauen lassen. Dieses neue Grab, noch von keiner Menschenleiche berührt, stellt er der Mutter Jesu zur Verfügung. Nun setzt sich der kleine traurige Leichenzug in Bewegung: drei Männer, der heilige Johannes, Josef und Nikodemus, und vier Frauen, die Mutter Jesu, Maria Magdalena und zwei Apostelmütter. Dazu als weitere Umgebung der Hauptmann und die Soldaten, die den Leichnam Jesu bewachen sollen.

A. Wir können heute nicht aus der Ferne das heilige Grab mit Blumen schmücken, um dem Herrn für die unendliche Liebe in seinem bitteren Leiden und Sterben zu danken. Aber wir können unserem Heiland und Erlöser einen größeren Liebesdienst erweisen, wenn wir ihm eine reine und würdige Wohnung bereiten, sooft er in der heiligen Kommunion in unsere Seele Einkehr nimmt.

V. Diese Wohnung des heiligen Fronleichnams soll nicht kalt und hart sein wie das Felsengrab im Garten Josefs von Arimathäa. Diese Wohnung soll mit glühender, dankbarer Liebe ihm zubereitet werden.

A.

„Nicht in Felsen sollst Du wohnen,

In den Seelen sollst Du thronen,

König, in der Kommunion.“ Amen.

 

Schlussgebet

 

V. Seitdem der Herr im Grab gelegen, sind alle Tränen um die Toten geweiht, ist jedes christliche Grab eine weihevolle Stätte geworden. Auch für die christliche Grabpflege gilt das heilige Wort: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan, habt ihr mir getan.“

A. Sooft wir den Kreuzweg beten, treten wir in eine geistige Kommunion, in eine Art seelischer Gemeinschaft mit dem Heiland. „Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an uns offenbar werde.“

V. Die Stunden des Kreuzes waren für Jesus Stunden der tiefsten Ohnmacht und Schmach, aber auch Stunden der höchsten Kraft und des unendlichen Sieges. – Der Apostel sagt: „Wenn er auch gekreuzigt wurde in Schwachheit, lebt er nun doch aus Gottes Kraft. Und wir, sind wir auch schwach in ihm, werden doch mit ihm leben aus Gottes Kraft.“ Das ist der tiefste Sinn der Kreuzwegandacht: Anteil am Kreuz Jesu ist Anteil an des Kreuzes Kraft.

A. So erheben wir uns von dieser trostvollen Andacht. Unsere Seele ist neu gestärkt. Eine große Kraft ist vom kreuztragenden Heiland ausgegangen. Auch wenn wir einen schweren Weg vor uns haben, beten wir: Herr, Du gibst uns viel von Deinem Leiden. Gib uns auch viel von Deiner Leidenskraft! Amen.