Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.

 

Die heilige Maria Magdalena - 22. Juli

 

Neben dem barmherzigen Samariter, unter dessen Reisemantel der göttliche Heiland selber und niemand anders sich verbirgt, gehört der gute Hirte zu den anziehendsten Bildern und Gleichnissen, unter denen uns der Herr seine Sorge um die Menschenseele vor Augen stellt.

 

Es ist uns von Jugend auf bekannt, das Bild des guten Hirten in der Tracht des morgenländischen Hirtenvolkes, den breitrandigen Hut auf den Schultern tragend. Ach, es hatte sich verirrt und war von der Herde abgekommen. Da ist er ihm nachgegangen bei Tag und Nacht, über Berg und Tal, durch Dornengestrüpp und Felsgestein. Er ist ihm nachgegangen unter unermüdlichem Rufen und Locken und hat nicht geruht, bis er es gefunden hat; und als er es gefunden hat, da treibt er es nicht mit Schlägen zur Herde zurück, sondern er nimmt es liebkosend auf seine Schultern und trägt es selber heim; und wenn er heimgekommen ist, ruft er gar seine Freunde und Nachbarn zusammen: "Freut euch mit mir, denn ich habe das Schaf gefunden, das verloren war" (Lukas 15,6).

 

Das ist des Heilands Freude über eine Menschenseele, die von ihren Irrgängen wieder heimfindet ins Vaterhaus. Auch einem armen, verirrten Menschenkind steht beim Heiland jederzeit die Tür offen; er nimmt es mit Freuden wieder auf und setzt es wieder ein in die alten Kindesrechte.

 

Ja nicht einmal aus dem Heiligenkalender sind die Büßer und Büßerinnen ausgeschlossen, die nach langem Umweg die Heimat wiedergefunden haben.

 

Darum darf auch in unserer Heiligengalerie, die wir vor uns aufstellen, das verlorene Schäflein nicht fehlen, das der gute Hirte auf seinen Schultern zur Herde zurückträgt; und als Erweis der göttlichen Liebe wollen wir heute eine Heilige betrachten, die an der Spitze der langen Bußprozession geht. Es ist die Heilige des 22. Juli, Maria Magdalena. 

 

Auf seinem gesegneten Gang durch die Städte und Flecken Galiläas war der Heiland eines Abends nach Naim gekommen und hatte dort vor dem Stadttor den toten Jüngling zum Leben erweckt und ihn seiner Mutter zurückgegeben.

 

Dort in Naim oder in der Nähe mag es wohl gewesen sein, wo Maria Magdalena zum ersten Mal dem guten Hirten in den Weg trat.

 

Die Heilige Schrift erzählt darüber: Ein Pharisäer namens Simon hatte den Heiland in sein Haus und an seinen Tisch geladen. Dieser Mann machte eine rühmliche Ausnahme von seinen Standesgenossen, die den Heiland schon lange mit Argwohn beobachteten und ihm besonders seinen Umgang mit den Zöllnern und Sündern nicht verzeihen konnten. Wenn der Heiland die Einladung annahm und in Simons Haus einkehrte, so dürfen wir gewiss besondere Gründe dafür suchen. So war es auch. Eine arme Seele war in der Nähe, die es zu retten galt. Einem sündigen Menschenkind zuliebe aber, das ihn suchte, ließ er sich gerne aufhalten unter Simons Dach.

 

Nicht lange stand es an, als der Heiland sich zu Tisch gesetzt, da ging die Tür auf und herein trat eine Frau mit einem Gefäß von Alabaster voll kostbarer Salbe und sie warf sich nieder vor Jesus und sie fing an zu weinen und weinte, so dass sie seine Füße mit ihren Tränen benetzte. 

 

Die Heilige Schrift nennt nicht den Namen dieser Frau und nennt nicht ihre Heimat. Die Heilige Schrift sagt nicht, welche Schuld sie so bedrückte und ihren Augen einen Strom von Tränen entlockte. "Eine Frau kam herein", heißt es nur, und "sie war in der Stadt bekannt als eine Sünderin" (Lukas 7,37 ff). Das ist sie, das verlorene Schäflein: Maria ist ihr Name, Magdala ist ihr Heimatsort, weshalb sie auch den Beinamen Magdalena führt.

 

"Eine Sünderin" war sie, stadtbekannt als solche. Jedermann wusste, wie es um sie stand. Die Unkeuschheit war es, in deren schmählicher Knechtschaft die unglückliche Frau lag, die sie ganz umstrickt und sie so tief elend gemacht hat. Wir wollen heute nicht viele Worte von dieser Sünde machen und es lang und breit erzählen, wie dieses arme, unglückliche Geschöpf zum ersten Mal in die Hände der Verführer fiel, wie sie vielleicht anfangs noch sich sträubte und sich schämte, wie sie dann Wohlgefallen fand an der Sünde, wie das Laster sie immer fester und fester umkrallte, wie sie immer rascher und immer tiefer hinabsank, bis es soweit kam, dass sie stadtbekannt war als eine Sünderin.

 

Da kommt sie herein in das Haus des Pharisäers. Sie hat gehört, dass der Mann von Nazareth, der Totenerwecker von Naim, dort Einkehr genommen hatte. In ihrem Herzen steigt die Erinnerung auf an die unschuldsvollen Tage der Kindheit; in ihrer Seele klingt ein Glöcklein wieder aus längst vergangenen Zeiten. Die Gnade pocht an ihrem Herzen und sie setzt deren geheimnisvollem Wirken kein Hindernis entgegen. Sie kommt und wirft sich dem Heiland zu Füßen, benetzt sie mit ihren Tränen und trocknet sie mit ihren Haaren.

 

Gott sei Dank! Sie kann noch weinen über ihr Elend. O komm nur. Du hast an der rechten Tür geklopft. Die Welt will nichts von dir wissen und kann di nicht helfen. Aber hier wirst du nicht zurückgestoßen. Komm nur und lass deinen Tränen freien Lauf! Komm nur und weine dich aus vor deinem Heiland! Komm nur! "Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden." 

 

Die Pharisäer können es wieder einmal nicht verstehen, dass der Heiland mit den Sündern sich abgibt und der Hausherr selber, der ihn zu Tisch geladen hat, spricht bei sich: "Wenn dieser ein Prophet wäre, so müsste er wissen, was das für eine Frau ist, dass sie eine Sünderin ist." Mild weist der Heiland seinen Gastgeber zurecht. Dann aber wendet er sein Auge der armen Sünderin zu und vermöge seiner göttlichen Allwissenheit liest er in ihrem Herzen ihr ganzes Sündenbekenntnis ab - eine wahrhaftige Generalbeicht, wenn auch nicht in Worten abgefasst. Er sieht, wie aufrichtig ihre Reue und wie ernst ihr Vorsatz ist. Darum öffnet er zur Lossprechung seinen Mund und spricht das wunderbare Wort der Absolution: "Steh auf, deine Sünden sind dir vergeben; dein Glaube hat dir geholfen; gehe hin im Frieden!" Und sie steht auf, trocknet ihre Tränen, rafft ihre Haare zusammen, spricht ein Dankeswort und geht. Eine Sünderin, mit dem Malzeichen des Bösen an der Seele, ist sie ins Haus hereingekommen; eine Selige, geschmückt mit dem Gewand der heiligmachenden Gnade, geht sie von dannen. "Selig sind die Trauernden; denn sie werden getröstet werden."

 

Felices lacrimae, o ihr glücklichen Tränen! So möchte man Maria Magdalena nachrufen. Wohl waren es zunächst bittere Tränen, die sie weinen musste, Tränen der Reue und Selbstanklage, aber diese Tränen waren heilsame Tröpflein, ein gesegnetes Bad der Wiedergeburt für ihre Seele. 

 

Im Altertum war vielfach die Ansicht verbreitet, die schönsten und kostbarsten Perlen, die die Schiffe aus Indien brachten, seien nichts anderes als Tränen. Wenn irgendwo ein Menschenkind heilige Tränen vergießt, dann würden sie, vom ersten Strahl der Morgensonne geküsst, in teure Perlen verwandelt.

 

Bei Maria Magdalena ist es wahr: die herrlichsten Perlen in ihrer Himmelskrone, das sind die Tränen, die sie einst geweint hat. "Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.

 

Doch lasst damit einstweilen die Frau mit ihren Tränen im Haus Simons des Pharisäers.

 

Wer fände nicht in Magdalenas Leben und Schicksalen ein Stück seiner eigenen Herzensgeschichte wieder wie in einem Spiegelbild!

 

"Eine Sünderin" war sie gewesen. Ach Gott, wo ist das etwas Unbekanntes? "Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns" (1. Johannes 1,8). 

 

Vielleicht ist es auch jene Sünde, die unter Christen nicht einmal dem Namen nach bekannt sein sollte, die Unkeuschheit, die auf deinem Gewissen lastet. Das ist ja die Sünde, die überallhin ihre schmutzigen Fluten wälzt und alle Jahrhunderte mit ihrem Pestgeruch erfüllt, die die meisten Opfer fordert und die größten Verheerungen anrichtet.

 

Vielleicht ist es irgendein anderer dunkler Punkt in deinem Leben, eine trübe Stunde, die du austilgen möchtest aus deiner Vergangenheit. 

 

Vielleicht hast du schon auf andere Art die Last von dir zu wälzen gesucht. Vielleicht suchtest du die Stimme des Gewissens zu übertönen durch den Klang eitler Vergnügungen, sie zu betäuben in den Fluten des Alkohols. Umsonst. Sie steht vor dir an jedem neuen Morgen und ruft dir zu: Ich klage dich an!

 

Keine Wunde ist so schmerzhaft, wie die Wunde des Herzens, die der Mensch durch seine Sünden selbst sich schlägt; keine Galle ist so bitter, kein Stachel so verletzend. Der Übel größtes ist die Schuld.

 

O so komm doch nur, mein Kind, und weine wie Magdalena, wenn vielleicht Magdalenas Sünde auch in dein junges Leben ihre schwarzen Schatten schon hineingeworfen hat!

 

Komm nur und trauere, du armer Sünder, wenn dich die Last der Sünden drückt und du nicht länger mehr sie kannst ertragen! Komm nur zu dem, zu dessen Füßen Magdalena kniet! Komm nur und hole dir deinen Teil von seiner Seligpreisung: "Selig sind die Trauernden; denn sie werden getröstet werden!"

 

So hat man seit alten Tagen das Wort des Herrn verstanden von der Trauer und den Trauernden.

 

Freilich, es fließen ja nebenher noch viele andere Tränenbächlein auf der Erde, es gibt noch viel Trauer, Schmerz und Leid unter der Sonne, die nicht getröstet werden. Wenn trotz und Ingrimm, wenn Stolz und Hochmut weinen, wenn die eitle Anhänglichkeit an irdische Güter Tränen vergießt, denen gilt das "Selig" der Bergpredigt nicht.

 

Die erste Trauer, die der Heiland seligpreist, ist die Trauer über die Sünde. Wenn eines wie Magdalena zu den Füßen Jesu in heiligem Reueschmerz sich niederlässt, wenn eines in aufrichtiger Beicht vor Christi Stellvertreter sein Inneres erschließt, wenn diese Trauer wie bei Magdalena verbunden ist mit der innigsten Liebe, dann kommt auch der Heiland wieder und trocknet ihm die Tränen und flüstert ihm zu: "Selig sind die Trauernden; denn sie werden getröstet werden."

 

Doch lasst uns die Lebensbeschreibung Magdalenas vollends zum Abschluss bringen.

 

Nachdem sie in Simons Haus den Heiland gefunden hat, verlässt sie von da an den Tröster ihres Herzens nicht mehr. Unter der Schar von frommen Frauen, die dem Heiland auf seiner Pilgerschaft folgten und ihm dienten, ist auch Maria Magdalena. Sie zieht mit ihm hinauf nach Jerusalem, als er seinem Leiden entgegengeht. Sie steht am Kreuzweg, als er mit dem schweren Kreuz beladen nach Kalvaria hinaufzieht. Sie bleibt in jenen denkwürdigen drei Stunden unter dem Kreuz. Während die Apostel vor Angst geflohen sind, steht Maria Magdalena als starke Frau neben der Muttergottes auf Golgatha. Und wie sie einst im Hause Simons die Füße des Herrn umfasste, so wirft sie sich auf Kalvaria noch einmal nieder, umschlingt das harte Kreuz, bedeckt es mit ihren Küssen und benetzt es mit ihren Tränen. Sie hält dem Toten noch die Treue. Sie hilft seinen Leichnam vom Kreuz abnehmen und begleitet ihn am Abend des Karfreitags in stiller Trauer zum Grab. Sie sucht am Ostermorgen mit Tränen in den Augen den ganzen Garten nach ihm ab. Sie fleht in ihrem Schmerz und Heimweh den fremden Gärtner an: "Sag mir doch, wo du ihn hingelegt hast, damit ich kommen und ihn holen kann."

 

O lass dein Trauern, lass dein Weinen!

 

- - "Maria!" - -

 

An dem einen Wort und seinem Klang erkennt sie den auferstandenen Heiland und nochmals sinkt sie vor ihm nieder und stammelt: "Rabbuni, mein Meister!"

 

"Selig sind die Trauernden; denn sie werden getröstet werden." Wohl bleibt ihr auch nachher Erdenleid und Heimsuchung nicht erspart. Wohl muss sie gar, wie die alte Legende berichtet, die Heimat verlassen und nach dem fernen Gallien hinüberfahren, wo sie in wilder Gegend ein strenges Büßerleben führt, aber den süßen Trost des inneren Friedens kann nichts mehr aus ihrem Herzen reißen. "Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten gereichen."

 

Auch bei uns nimmt die Absolution im Beichtstuhl nicht alles Leid und alle Not hinweg. Auch bei uns fließen, wenn schon die Sünde von der Seele weggenommen ist, die Tränen weiter und blüht weiter die Schattenblume der Trauer.

 

Lass sie fließen, lass sie blühen! Wenn nur erst die rechte Trauer, die Trauer über die Sünde, das Herz erschüttert. Wenn nur erst die rechten Tränen, die Tränen übernatürlicher Reue, das Gewissen abgewaschen haben, dann kannst du, wie ein Kind, auch unter Tränen lächeln, dann scheint auf dieser Erde schon die Sonne des Trostes in das Gewölk hinein, dann sind auch alle Leiden und alle Trauer dieses Lebens eingeschlossen in des Herrn Verheißung: "Selig sind die Trauernden; denn sie werden getröstet werden."

 

Ganz auswirken freilich kann sich das Heilandswort hienieden nicht. Dein letztes Lebenszeichen auf dieser Welt wird die Träne sein, die deinem brechenden Auge entquillt. Dein Abschied von der Welt wird die Trauer sein, die dein Grab umsteht. Der letzte und beste Trost ist aufgespart auf jenes andere Land, das hinter dem Grab liegt. Dort wird "eure Trauer in Freude verwandelt werden und eure Freude wird niemand von euch nehmen" (Johannes 16,20). Dort "wird Gott abwischen alle Tränen von den Augen und der Tod wird nicht mehr sein noch Trauer noch Klage noch Schmerz" (Offenbarung 7,17). 

 

Ja, "selig sind die Trauernden; denn sie werden getröstet werden". Amen.

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