Selig sind, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott anschauen.

 

Die heilige Klara von Assisi - 11. August

 

Der selige Bruder Leo, der Freund und unzertrennliche Gefährte des heiligen Franziskus von Assisi, hatte einmal eine wundersame Erscheinung. Er sah zwei Leitern von der Erde zum Himmel aufragend, beide gleich hoch und gleich fest, über den Sternen in des Himmels weiten Räumen sich verlierend. Und doch waren die beiden Himmelsleitern so verschieden anzusehen: blutrot die eine, die andere glänzend in unbefleckter Weiße.

 

Verstehst du deren Sinn?

 

Die eine Leiter, die in der roten Farbe prangt, bedeutet das Martyrium, die weiße aber die Unschuld. An der roten steht geheimnisvoll angeschrieben die Inschrift: "Selig sind, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen; denn ihrer ist das Himmelreich"; an der weißen aber: "Selig sind, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott anschauen."

 

Auf der roten Himmelsleiter ist ein heiliger Laurentius emporgestiegen und mit ihm die ganze Schar der heiligen Martyrer. Tausende andere haben die weiße Himmelsleiter gewählt, um auf ihr emporzusteigen zur beseligenden Anschauung Gottes.

 

Auch aus diesen Scharen, die im hellstrahlenden Gewand der Unschuld auf der weißen Himmelsleiter in den Besitz und die Anschauung Gottes gelangt sind, müssen wir hier ein Heiligenbild betrachten. Ich wähle dazu aus den Heiligen eine arme Klosterfrau, die heilige Klara von Assisi.

 

Die heilige Klara entstammte einer höchst angesehenen, vornehmen Familie in dem umbrischen Städtchen Assisi, wo sie im Jahr 1194 das Licht der Welt erblickte. Ihre vornehme Abstammung, ihre außerordentliche Schönheit und ihr ungewöhnlicher Verstand hätten ihr leicht die große Welt mit all ihren Freunden und Genüssen geöffnet. Doch das war es nicht, wonach des jungen Mädchens Sinn und Sehnsucht ging.

 

In eben jenen Tagen, da Klara zur jungen Frau heranblühte, zog durch die Landschaft Umbriens und die Straßen Assisis ein Mann im braunen, härenen Bußkleid, Assisis berühmtester Sohn, der heilige Franziskus. Er hatte alles verlassen und die Armut zu seiner Braut gewählt. Sein Wort und Beispiel wirkte mächtig auf das fromme, empfängliche Gemüt der Jungfrau. Von heiliger Begierde ergriffen, es ihm gleichzutun, verteilte auch sie Hab und Gut unter die Armen, verließ heimlich das Vaterhaus, ließ sich vom heiligen Franziskus ihr schönes Haar abschneiden, nahm das braune, raue Kleid der Armut an und zog sich in ein kleines Klösterlein vor den Toren Assisis zurück, wo sie unter der geistlichen Leitung des heiligen Franziskus mit einer Anzahl gleichgesinnter Jungfrauen ein Leben der größten Armut und strengster Buße führte. 

 

Das war ein Beispiel für die Welt. Nicht bloß Männer wie ein Franziskus und seine Genossen, sondern auch Mädchen und Frauen fanden den Mut heldenmütigster Entsagung und Weltverachtung. Sie nahmen ihren Leib in strengste Zucht und machten Ernst mit dem Apostelwort: "Die, die Christus angehören, haben ihr Fleisch gekreuzigt samt seinen Begierden und Lüsten." (Galater 5,24) Der Geist der Abtötung und Selbstverleugnung bildete einen Zaun um sie herum, fester als die Klostermauern, die sie umgaben, durch den kein Weltsinn und Leichtsinn Einlass finden konnte. Hinter diesem Zaun war ein heiliges Seelengärtlein wohl verborgen und geschützt, in dem, einer Lilie gleich, die Himmelsblume der Unschuld und Reinheit blühte und duftete.

 

Der Duft und Glanz dieser Tugend der Reinheit drang von dem armen Klösterlein bald hinaus in die Stadt und die ganze Umgegend, und zahlreich kamen die Leute an die Klosterpforte, um in leiblichen und geistigen Nöten einen Rat oder eine Hilfe sich zu erbitten.

 

Gott zeichnete seine treue Dienerin durch mannigfache Wunder aus: allerlei Kranke erhielten durch ihr Gebet die Gesundheit und in der Zeit einer Hungersnot sättigte sie einmal mit einem halben Brot ihre ganze Schwesternschar.

 

Die heilige Klara ist uns ja nicht unbekannt. Dort vorn auf dem Hochaltar unter den Heiligengestalten, die den Thron des eucharistischen Heilands umgeben, steht auch ihr Bild: die Klosterfrau im braunen Habit und braunen Schleier, mit einem weißen Strick gegürtet, in der Hand eine kleine Monstranz haltend mit dem Allerheiligsten Sakrament. So wird die heilige Klara von der Kunst dargestellt. 

 

Das Brevier erzählt nämlich aus ihrem Leben: In jenen kriegerischen Zeiten, da Kaiser Friedrich II. gegen seine Feinde in Italien sich mit den Sarazenen verbunden hatte, kam einmal eine Abteilung dieser zügellosen heidnischen Soldaten vor Assisi und wollte des Nachts das Kloster vor den Stadtmauern, dem Klara als Äbtissin vorstand, überfallen und plündern. Schon stürmten sie mit wütendem Geheul heran; schon stiegen sie die Mauern hinauf und schauten in den Klosterhof hinein. Schreiend flüchteten sich die Klosterfrauen zu ihrer Äbtissin, die krank zu Bett lag. Sie allein blieb ruhig und nahm ihre Zuflucht zu dem, der in Brotsgestalt verhüllt in ihrem Klösterlein unter ihnen weilte. Ehrfürchtig nahm sie das Gefäß mit dem Allheiligsten Sakrament, ließ sich an die Klosterpforte führen, zeigte dem Heiland die drohende Gefahr und betete voll Inbrunst zu ihm: "Herr, gib die Seelen, die dir gehören, nicht den wilden Tieren preis und beschütze deine Dienerinnen, die du mit deinem kostbaren Blut erlöst hast!" Schon hörte man eine Stimme: "Ich werde euch allezeit beschützen." Die Sarazenen aber ergriff plötzlich ein geheimnisvoller Schrecken; wie geblendet stürzten sie die Mauern hinab; eine unsichtbare Gewalt trieb sie in die Flucht und das Kloster war gerettet.

 

Den letzten Teil ihres Lebens hatte sie viel unter schmerzhaften Krankheiten zu leiden. Aber bei allen Schmerzen und Heimsuchungen verlor sie die Heiterkeit und Sanftmut, dieses schönste Kennzeichen aller reinen Seelen, nicht und ließ sie nicht ab von ihrer Strenge gegen sich selbst. Die Kunde von ihrer ausnehmenden Heiligkeit drang bis zum Stellvertreter Christi nach Rom, und als ihre Krankheit gefährlich wurde, kam Papst Innocenz IV. selber nach Assisi, um sie zu besuchen und ihr die Generalabsolution zu spenden. Ganz ergriffen von so viel Tugend und Heiligkeit wandte er sich an die Umstehenden und sagte: "Wie glücklich wäre ich, wenn meine Seele auch so rein vor den Augen Gottes sein würde, wie die Seele dieser heiligen Tochter."

 

Als die Zeit ihrer Auflösung herannahte, ließ sie sich das Leiden Christi vorlesen und starb, das Kreuz an die Lippen führend, im Kuss des Friedens, am 12. August des Jahres 1253.

 

Es greift einem gewaltig ans Herz, wenn man in Assisi vor dem Grab dieser heiligen Jungfrau steht. In der Kirche Santa Chiara, die ihren Namen trägt, ist auch ihr Grabmal aufgebaut. In einem kostbaren Schrein liegt ihr sterblicher Leib, den sie im Leben so streng gehalten und vor aller Befleckung der Welt so sorglich behütet hat.

 

Ein heiliges "Noli me tangere, Rühr mich nicht an!" erscheint sie, hinter der Glasplatte des Sarkophags sorgsam geborgen, als die wahrhaftige Verkörperung jener Tugend, die der Heiland selig preist: "Selig sind, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott anschauen." 

 

Das ist ja eine Tugend, die zum Gedeihen und Blühen einen besonderen Boden braucht, die nicht recht aufblühen mag an den vielbegangenen Wegen, sondern die stillen Plätzchen bevorzugt und die Einsamkeit liebt; eine Tugend, die in der Klausur des strengen Klosters von Assisi einen besseren Schutz gefunden hat als auf den Straßen unserer Großstädte.

 

Das ist eine Tugend, die nicht bewahrt werden kann ohne lebenslange Anstrengung und Selbstverleugnung; eine Tugend, die unter dem Bußgürtel der heiligen Klara besser gedeihen konnte als unter den seidenen Kleidern der Weltdame und beim kargen Mahl der Klosterfrauen besser als an den reichbesetzten Tafeln der Weltmenschen.

 

O du kennst sie ja, diese geheimnisvolle Blüte, diese Königin unter den Tugenden. Du weißt es wohl, wen der Heiland im Auge hat, da er sagt: "Selig sind, die ein reines Herz haben!" Sie, die reinen, unschuldsvollen Seelen, die das Gewand der Taufgnade glänzend bewahrt haben; sie, die reinen Fußes über den schlüpfrigen Boden dieser Welt dahingeschritten; sie, die durch alle Anfechtungen den Schatz der Reinheit hinübergerettet; sie, die besonders von jenem Laster nicht angefressen wurden, das sich am edelsten Punkt des Menschen, am Herzen, einfrisst und es vergiftet; sie, die diese verborgene Werkstätte all ihrer Gedanken und Gefühle vor Verunreinigung und Befleckung treu bewahrt haben; sie sind es, die der Heiland selig preist: "Selig sind, die ein reines Herz haben!"

 

Senkt sich dein Haupt bei dieser Schilderung? Gehörst du nicht zu diesen Glücklichen? Stellen sich aus deinem Leben schwere Sünden der Unreinheit zwischen dich und diese Seligpreisung? Dann verdemütige dich, aber verzage nicht daran, auch noch einen Anteil an dieser Seligkeit gewinnen zu können. Nicht nur die Reingebliebenen, auch die Wiedergereinigten haben Zutritt. Auch du kannst noch Gott schauen, wenn du nur von jetzt an aller Unreinheit widersagst und dein Herz bewahrst vor den aus der Welt anstürmenden Fluten der Unreinheit. Dann gilt auch dir noch: "Selig sind, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott anschauen."

 

Die reinen Seelen werden Gott anschauen. Wer will es erklären, was das heißt! Wer will es verstehen, der es nicht selber erlebt hat!

 

Unser leibliches Auge sieht ihn ja noch nicht. "Niemand schaut Gott und lebt." Aber das innere Auge, das Seelenauge, wenn es nicht durch Unreinheit getrübt ist, sieht ihn jetzt schon. Das ist das Vorrecht einer reinen Seele, dass sie hier schon durchwogt ist von dem Licht der Gottheit und das Glück genießen darf, das einen Vorgeschmack der ewigen Seligkeit bildet.

 

Wenn aber die körperliche Hülle einmal fällt, wenn alle irdischen Schranken aufgehoben sind, wenn das offene Seelenauge ganz eingetaucht ist in die Glorie Gottes, dann wirst du es erst einmal recht verstehen, was es heißt: "Selig sind, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott anschauen."

 

Willst du nicht auch dieses Glückes teilhaftig werden?

 

Ja, du willst es!

 

Vielleicht hast du auch dein Glück schon auf anderen Wegen gesucht, denn der Seligkeitszeiger der Welt weist nach einer anderen Seite. Die Welt preist die selig, die dem Sinnengenuss sich hingeben können. Aber auf diesen Wegen voll Schlamm und Schmutz ist das Glück nicht zu finden. Nur der ist der rechte Weg nach oben, den St. Klara gegangen ist. "Selig sind, die ein reines Herz haben."

 

Dann mach auch du es zur Tat! Es ist zwar nicht leicht, aber lohnend. So gut als das schwache Mädchen von Assisi musst auch du imstande sein, den Kampf aufzunehmen gegen alles Unedle in dir und um dich und den Schatz der Reinheit und Gnade unversehrt über alle Fährnisse hinüberzuretten.

 

Ein mächtiger Helfer steht dir zur Seite. Nicht umsonst trägt die heilige Klara das Sanctissimum in der Hand, die Monstranz mit dem Allerheiligsten. Wohl ist es eine befremdliche Erscheinung auf den ersten Anblick, das heilige Sakrament so gehalten zu sehen. Aber bei St. Klara hat es eine tiefe Bedeutung. Der Allerheiligste unter den Menschenkindern und die allerschönste unter den Tugenden gehören zusammen. Jesus im Sakrament und die heilige Herzensreinheit ziehen sich an. Seitdem beim letzten Abendmahl der unschuldsvolle Jünger Johannes an der Brust des Herrn hat ruhen dürfen, ist der Reinheit der Ehrenplatz gesichert vor dem Tabernakel und an der Kommunionbank. Das reine Herz ist die lebendige Monstranz. Das heilige Sakrament des Altares ist "ein Weizen der Auserwählten und ein Wein, der Jungfrauen sprosst und gebiert". 

 

Willst du die heilige Reinheit dir bewahren, so hole dir die Kraft dazu aus dem Speisekelch des Tabernakels. Willst du einmal Gott anschauen von Angesicht zu Angesicht, so nähere dich oft der Kommunionbank und vereinige dich mit dem göttlichen Heiland. So oft du kommst, hörst du ihn sagen: "Selig sind, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott anschauen."

 

So möge uns St. Klara heute den Weg zum Himmel weisen. Ihr Weg führt hinauf bis in die unmittelbarste Nähe des göttlichen Lammes. Der heilige Johannes hat es gesehen, wie eine besonders auserwählte Schar um den Thron Gottes versammelt war. "Wer sind die, fragt er seinen Begleiter, die dem Lamm folgen, wohin es geht und ein Lied singen dürfen, das den anderen zu singen nicht vergönnt ist?" "Das sind die, bekam er zur Antwort, die sich nicht mit Frauen befleckt haben; sie sind jungfräulich und folgen dem Lamm, wohin es geht" (Offenbarung 14,4). 

 

Ja wahrlich, "selig sind, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott anschauen." Amen.

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