Unsere Armen Seelen 2

 

Wer kommt ohne Fegfeuer in den Himmel?

 

Ein Mönch, der viele Wunder wirkte, wurde von seinem Obern gefragt, was er denn für außerordentliche Dinge tue, dass Gott ihm solche Gnaden erteile. Er antwortete: "Ich tue weiter nichts, als dass ich immerfort darauf bedacht bin, nur das zu wollen, was Gott will, und alles aus seiner Hand anzunehmen." - "Aber," fuhr der Abt fort, "hat dich der große Schaden nicht betrübt, den uns gestern unser Feind zugefügt hat?" - "Nein," erwiderte jener Mönch, "denn ich dachte, dass es Gott so gewollt habe, dass wir diesen Verlust erleiden."

 

Auch wir sollten immerfort beten: "Herr, Dein Wille geschehe!" Wenn wir am Morgen aufstehen, wenn wir uns am Abend zur Ruhe legen, wenn uns während des Tages etwas hart ankommt, wenn uns etwas Unangenehmes zustößt, wenn wir in der Kirche sind, wenn wir dem heiligen Messopfer beiwohnen, wenn wir die heilige Kommunion empfangen haben, oft sollen wir dieses Gebet wiederholen: "Herr, Dein Wille geschehe!" Wenn uns dann die Furcht vor einem schweren Leiden ängstigt, sollen wir sogleich ausrufen: "Herr, ich will was Du willst, mache mit mir und mit allem, was mein ist, wie es Dir gefällt." Die heilige Gertrudis wiederholte dreihundertmal des Tages die Worte: "Mein Jesus, nicht mein, sondern Dein Wille geschehe!"

 

Glücklich ist, wer sich allezeit dem Willen Gottes unterwirft. Ja er wird glücklich sein während seines Lebens, noch weit glücklicher aber dereinst in der Stunde des Todes. Der berühmte Geisteslehrer Ludwig Blosius sagt: "Wer im Augenblick des Todes einen Akt der Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes macht, wird nicht nur von der Hölle, sondern auch vom Fegfeuer befreit, wenn er auch noch so viele Sünden begangen hätte. Denn derjenige, der den Tod mit vollkommener Ergebung annimmt, erlangt ein Verdienst, das dem Verdienst der heiligen Märtyrer gleichkommt, die ihr Leben bereitwillig für Jesus Christus Gott zum Opfer brachten." Überdies stirbt derjenige, der ganz in den göttlichen Willen ergeben ist, dennoch zufrieden und freudig, wenn er auch die größten Schmerzen leidet. Sprechen wir darum oft - nicht bloß mit dem Mund, sondern auch mit dem Herzen: "Herr, Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden."

 

(Aus: Notburga, Nr. 7, 1897)

 

Herr! Dein Wille gescheh' - und tut's auch noch so weh!

Herr, Dein Wille gescheh' - wenn ich's auch nicht versteh!

 

 

Pater Odilo in Cluny, ein Wohltäter der Armen Seelen

 

Ein Pilger aus Aquitanien, der eben aus Palästina zurückkehrte, traf auf dem Weg einen frommen Einsiedler an. Von diesem gefragt, ob er die Abtei von Cluny und deren Abt Odilo kenne, bejahte er die Frage, wünschte aber zu wissen, warum der Einsiedler sich danach erkundigte. Da versicherte der Einsiedler, er wisse aus mehreren Offenbarungen, dass der Abt Odilo durch Gebete und gute Werke für die Seelen des Fegfeuers, die er selbst verrichtete und auch seinen Ordensbrüdern empfehle, viele dieser Seelen erlöse. Ja, er bat inständigst den Pilger, dies im Kloster von Cluny mitzuteilen und seine Bewohner anzuhalten, immer eifriger bei ihren Liebeswerken für die Armen Seelen zu bleiben. Wie Abt Odilo dies hörte, nahm sein Mitleid für diese noch mehr zu, und er sann auf ein Mittel, ihnen dauerhaft zu helfen. Da erließ er dann für alle Klöster seiner Kongregation die Verordnung, dass, wie am ersten November nach der Vorschrift der Kirche das Fest Allerheiligen gefeiert wird, so am Tag darauf das Andenken aller gestorbenen Christgläubigen mit Gebet und Almosen, besonders aber mit Darbringung des heiligen Messopfers begangen werde.

 

(Aus: Leben des hl. Odilo vom hl. Petrus Damian)

 

Diese Verordnung ist später von der Kirche gebilligt und über die ganze Christenheit ausgedehnt worden. 

 

(Aus: Der Monat November, dem Gedächtnis der Seelen im Fegfeuer geweiht,

P. St. Dosenbach SJ, 1876 Freiburg im Breisgau, S. 7)

 

 

Groß und heftig sind die Leiden im Fegfeuer

 

Seneca, ein berühmter Philosoph des Altertums, war der Meinung, die Leiden dieses Lebens dürften den Weisen niemals zu Boden drücken, denn, sagt er, sind sie klein, so ist es nicht der Mühe wert, davon zu sprechen, sind sie groß, so haben sie nur kurze Dauer. Leider kann man das Gleiche nicht vom Fegfeuer sagen, wo die Schmerzen ebenso andauernd, als heftig sind. Dort erscheinen die Stunden wie Tage, die Tage wie Monate, die Monate wie Jahre, und diese wie Ewigkeiten. Im Fegfeuer wird nach dem Ausspruch des gottseligen Thomas von Kempen eine Stunde unerträglicher erscheinen, als hundert Jahre des strengsten Büßerlebens auf dieser Erde.

 

Einen erschütternden Beleg hierfür finden wir in den Annalen der Kapuziner. Der Pater Hipolytus von Scalvo, ein eifriger Diener Gottes, war von inniger Liebe für die Seelen seiner Mitmenschen und auch für die leidenden Seelen des Fegfeuers beseelt. Häufig opferte er seine Gebete und Abtötungen für letztere auf und suchte durch begeisterte Predigten in den Herzen seiner Zuhörer gleiche Liebe zu erwecken. Er wollte, dass die Erstlinge des Tages ihnen gehörten. Sogleich nach dem Aufstehen betete er das Totenoffizium für sie und hörte alsdann nicht auf, bis zum Abend für ihre Erquickung und Befreiung zu wirken. Aber er hatte nur einen unvollkommenen Begriff von den entsetzlichen Leiden des Fegfeuers. Folgende Erscheinung klärte ihn darüber vollständig auf. 

 

Er war als Generalbevollmächtigter nach Flandern geschickt worden, um dort, wo Irrlehren und Ketzereien von allen Seiten eindrangen, einige Klöster einzurichten, die den Glauben verteidigen und verbreiten sollten. Als er seine Mission erfüllt hatte, blieb er in einem der Klöster als Guardian und Novizenmeister. Mit äußerster Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt erfüllte er die Pflichten dieser doppelten Würde und bemühte sich, die jungen Ordensleute in allen Tugenden ihres Standes einzuführen und sie zu vervollkommnen. Einer von ihnen machte große Fortschritte auf dem Weg der Heiligkeit, als ihn eine tödliche Krankheit überraschte. Leider war der Pater abwesend und konnte ihm seinen Segen und die letzte Absolution vor dem rasch eintretenden Tod nicht mehr spenden. Das betrübte ihn sehr und bewog ihn, noch eifriger und anhaltender als gewöhnlich für die Seele des Hingeschiedenen, der das erste Jahr des Noviziates noch nicht vollendet hatte, zu beten.

 

In der ersten Nacht nach dem Tod des jungen Mannes war er nach dem Offizium in der Kirche zurückgeblieben, um zu beten. Er war ganz in seine andächtigen Betrachtungen versunken, als er plötzlich den Verstorbenen von feurigen Flammen umgeben vor sich sah. Seine Stimme ließ ihm keinen Zweifel über seine Person. Dieser wandte sich mit lauten Seufzern und Klagen an seinen früheren Obern und klagte sich über einen begangenen, geringen Fehler an: "Mein Vater, der du so voll Liebe und Barmherzigkeit bist, gib mir deinen Segen, um mich aus den Qualen, die ich für diese Untreue leide, zu befreien. Lege mir außerdem eine Buße auf. Der gütige Jesus gestattete mir, aus besonderer Gnade, sie erfüllen zu dürfen. Er ist es, der mich an dich verweist."

 

Der Pater Guardian war starr vor Entsetzen: Kummer, Mitleid und Schrecken überwältigten ihn, und er wünschte nur, der Geist möge ihn verlassen. Deshalb erwiderte er schnell: "Soweit ich es vermag, mein Sohn, spreche ich dich los und segne dich. Und da ich, wie du versicherst, auch die Buße bestimmen soll, so lege ich dir auf bis zur Prim etwa 8 Uhr morgens, im Fegfeuer zu bleiben." Der gute Pater glaubte äußerst mild zu verfahren, da er nur so wenige Stunden bestimmte. Aber der Verstorbene war wie vom Blitz getroffen und legte die äußerste Niedergeschlagenheit an den Tag. Laut rief er aus: "O Vater, du hast ein erbarmungsloses Herz und fühlst kein Mitleid mit deinem unglücklichen Sohn. Wie, so hart bestrafst du einen Fehler, für den du mir während meines Lebens kaum eine leichte Geißelung auferlegt hättest? Du kennst die Qualen des Fegfeuers nicht."

 

Darauf verschwand die Erscheinung. Der Pater aber fühlte, wie sich die Haare auf seinem Haupt sträubten. Reue, Staunen und Furcht stritten in seinem Herzen. Er dachte auf ein Mittel, seinen Ausspruch zu ändern. Gott gab ihm den Gedanken ein, die Brüder zum Chorgebet zu rufen. Als sämtliche Patres versammelt waren, erzählte er das Vorgefallene und befahl, sogleich trotz der frühen, ungewohnten Stunde das Offizium zu beten. Man begann unverzüglich mit der Prim. - Aber während der fünfundzwanzig Jahre, die er noch lebte, schwand die Erinnerung an diese Nacht niemals aus seinem Gedächtnis, und oft wiederholte er in seinen Predigten das Wort des heiligen Anselmus: "Die geringste Pein des Fegfeuers ist größer, als alles erdenkliche Leid des Lebens."

 

(Aus: Beilage zum Monatsheft "Unsere Liebe Frau vom heiligsten Herzen", 15. Januar 1886)

 

 

Das menschliche Herz findet Trost in der Lehre vom Fegfeuer

 

Ein junger Schottländer, dessen Bruder während eines Festmahles plötzlich an seiner Seite tot zusammengestürzt war, geriet darüber in die tiefste Traurigkeit. Wissend, dass nichts Unreines in den Himmel eingehen könne, (Offb 21,27) befiel ihn, da sein Glaube von keinem Mittelzustand zwischen Himmel und Hölle wusste, eine furchtbare Angst über das ewige Schicksal seines Bruders. Die quälende Unruhe verfolgte ihn Tag und Nacht, so dass er zusehends abnahm. Endlich machte er auf den Rat der Ärzte eine Reise nach dem Festland und erklärte dann an einem Allerseelentag dem Abbe Gaume: "Aus Liebe zu meinem Bruder will ich euern Glauben annehmen. Ich werde wieder aufatmen, wenn ich für meinen Bruder beten kann. Euer Glaube bewirkt, dass man sich auch nach dem Tod noch unterstützen kann. Eure Gebete nehmen dem Grab sein furchtbares Schweigen. Ihr verkehrt noch mit jenen, welche aus dem Leben geschieden sind. Ihr kennt die menschliche Schwachheit, jene Schwachheit, die kein Verbrechen, aber auch nicht die Reinheit ist. Zwischen Himmel und Erde hat euch Gott einen Abbüßungsort geoffenbart. In ihm befindet sich vielleicht mein Bruder. Ich will katholisch werden, um ihn daraus zu befreien. Das wird mich hienieden trösten und mir die Last erleichtern, die mich niederdrückt; ich werde sie nicht mehr fühlen, wenn ich für ihn beten kann." Und er wurde katholisch. 

 

(Aus: Handbuch für Beichtväter, Dr. J. Gaume, Regensburg 1841, III. S. 236)

 

 

Anders sind die Urteile Gottes

 

In einem Franziskanerkloster Italiens starb ein Ordensmann, der ein so auferbauliches Leben geführt hatte, dass seine Mitbrüder allgemein in den Ruf ausbrachen: "Unser Heiliger ist gestorben." Überzeugt, dass er zu gewiss grade himmlischen Freuden teilhaft geworden sei, fingen sie gleich an, ihn um seine Fürbitte anzurufen und dachten gar nicht daran, für die Seelenruhe eines so heiligen Mannes zu beten. Während sie so von seinen großen Tugenden sich unterhielten, sahen sie plötzlich seine Gestalt vor sich; Flammen umgaben sie, und sie hörten die Worte: "Anders sind die Urteile Gottes, anders die Urteile der Menschen; ach, betet für mich, denn ich leide im Fegfeuer große Pein." Darauf sprach die Erscheinung noch: "Niemand glaubt es, wie genau Gott richtet, und wie streng er im Fegfeuer straft auch wegen der geringsten lässlichen Sünden." Nach diesen Worten verschwand die Erscheinung, und die erschreckten Brüder werden sich wohl beeilt haben, ihrem vermeintlichen Heiligen beizuspringen.

 

 

(Aus: Juvavium Animarum In Purgatorio. Das ist: Helffenburg Der Armen Seelen in dem Fegfeuer, Felix Fossa, Salzburg: Johann Joseph Mayr, 1718, S. 113)

 

 

Eine alte Legende

 

Ein Landmann, welcher eben ein Bäumchen pflanzte, hörte unsern Jubelgeschrei und Frohlocken wie von vielen Stimmen. Als er dem verwundert zuhörte, vernahm er die Worte: "Noch 100 Jahre, dann wird dieses Bäumchen als großer Baum gefällt werden; daraus werden dann Bretter gesägt, und aus einem dieser Bretter wird man eine Wiege machen, und in diese wird ein Kind zu liegen kommen, und dieses Kind wird Priester werden, und bei seiner ersten heiligen Messe werden wir erlöst werden." Und wieder vernahm er Jubelgeschrei, so sehr freuten sich die Armen Seelen auf diese - so ferne Erlösung.

 

(Augustin Scherer, Exempel-Lexikon, 1884, S. 966)