Inhalt:

 

1. Stundenuhr

2. Steine werfen?

3. Spott

4. Sehnsucht nach dem Erlöser

5. Selbsterkenntnis erbitten

6. Seele

7. Selig sind die Armen im Geist

8. Sorge um das Seelenheil anderer

9. Segnungen

10. Savonarola

11. Stigmatisation

12. Spanien

13. Strick

14. Selbstmord

15. Schutzengel

16. Staat und Religion

17. Salz

18. Seelenmessen

19. Schutzengel (2)

20. Schwarze Madonnen

21. Seele (2)

22. Seelenfeinde

23. Segnungen der Kirche

24. Stichprobe - ein Aberglaube

25. Stille Klöster im Lärm der Welt

26. Schwarz-Rot-Gold

27. Simon von Cyrene

28. Etwas Satire zur Bundestagswahl 2021

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1. Stundenuhr

       

Christliche Stundenuhr

 

1 Uhr – Ein Gott und Herr ist es; ihn allein bete an; ihm allein diene; auf ihn allein vertraue ganz!

 

2 Uhr – Zwei Gebote sind es, die du vor allen beachten sollst: Liebe Gott aus deinem ganzen Herzen über alles, und deinen Nächsten wie dich selbst!

 

3 Uhr – Drei Personen sind in Gott, und diese drei sind eins; drei Tugenden sollst du vor allen stets üben: Glaube, Hoffnung, Liebe.

 

4 Uhr – Denke immer an die vier letzten Dinge!

 

5 Uhr – Fünf Sinne hast du, die du zur Ehre Gottes anwenden sollst: verehre mit Andacht die fünf Wunden unseres Herrn Jesus Christus!

 

6 Uhr – In sechs biblischen Tagen, die fast 14 Milliarden Jahre gedauert haben, hat Gott Himmel und Erde erschaffen; danke dem Allmächtigen und Allgütigen für deine und der Welt Erschaffung! Bedenke, wozu du erschaffen bist!

 

7 Uhr – Sieben heilige Sakramente hat Jesus Christus für unser Seelenheil eingesetzt. – Verehre so oft wie möglich die sieben Schmerzen Mariä!

 

8 Uhr – Bemühe dich um die acht Seligkeiten!

 

9 Uhr – Erinnere dich immer an den Tod deines Herrn Jesus Christus!

 

10 Uhr – Zehn Gebote hat uns Gott gegeben, die du befolgen solltest, wenn du zum ewigen Leben eingehen willst. Denke auch öfters an die zehn Jungfrauen des Evangeliums, von denen fünf klug, fünf aber töricht waren.

 

11 Uhr – Sieh auf die fleißigen Arbeiter im Weinberg des Herrn, die dir Jesus im Evangelium vor Augen stellt; arbeite auch du fleißig mit ihnen in diesem Weinberg durch Gebet, Heiligkeit und gute Werke.

 

12 Uhr – Betrachte recht oft die zwölf Glaubensartikel, und bleibe ihnen stets treu!

 

Zwei Mal zwölf Stunden hat der Tag. Verwende sie zur Ehre deines Herrn Jesus und für dein ewiges Seelenheil! – Die Zeit vergeht und kehrt nie wieder zurück; ihr Verlust ist für alle Ewigkeit unersetzlich.

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2. Steine werfen?

 

Nur keinen Stein!

 

Wenn du siehst auf irren Pfaden

Schwestern oder Brüder gehn,

Schuld auf ihre Seele laden,

In der Feinde Reihen stehn,

Halt mit deinem Richtspruch ein!

   Wirf keinen Stein!

 

Wähne nicht, sie zu belehren,

Da du ihre Fehler zählst,

Sie zu bessern, zu bekehren,

Da du selber strauchelst, fällst!

Frag erst: Bin ich sündenrein?

   Wirf keinen Stein!

 

Füg zu ihres Unglücks Schwere

Nicht des Vorwurfs Bleigewicht;

Deinem harten Urteil wehre,

Duld`s in deiner Seele nicht!

Lade aufs Gewissen dein

   Nur keinen Stein!

 

Gleiche nicht den Pharisäern,

Die der Meister streng verdammt;

Nicht den tückisch argen Spähern,

Von des Hochmuts Geist entflammt.

Werde vor dir selber klein,

   Wirf keinen Stein!

 

Der der Sünderin vergeben

Und getröstet sie entließ,

Uns in Seinem Heilandsleben

Stets den Pfad der Liebe wies!

Wirf – willst du Sein Jünger sein,

   Nur keinen Stein! 

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3. Spott

       

Gott lässt Seiner nicht spotten

 

Aus Thüringen wird die folgende Geschichte erzählt:

 

In dem Städtchen Ermsleben, unweit von Ballenstädt, waren in der Franzosenzeit mehrere Maurer beschäftigt, die Decken und Wände der kleinen Kirche von den Marien- und Heiligendarstellungen, deren man sich nun schämte, zu befreien und auszuweißen. Einige der Gesellen ließen, als sie im Heiligtum zur Vesper sich niedergesetzt hatten, in kecker Weise ihren Hohn und Unglauben aus und witzelten in den schnödesten Gotteslästerungen. Ja, der frechste von ihnen ergriff sogar seinen Maurerpinsel, wandte die lange Stange um und stieß dem Kruzifix seinen „Speer“ höhnend in die Seitenwunde. „Da hast Du noch einen Stoß“ – rief er lachend und freute sich des höllischen Gelächters seiner Kameraden.

 

Sie arbeiteten bis zum Abend. Am anderen Morgen erschien der gottlose Ermslebener Geselle nicht auf dem Werkplatz. Man fragte nach ihm und erfuhr, er sei unwohl. Seit dem Abend des vorhergehenden Tages fühlte er einen brennenden, stechenden Schmerz in der linken Seite und gleichzeitig hörte er im Inneren die Donnerstimme: „Irrt euch nicht, Gott lässt Seiner nicht spotten!“ Seine Qual wurde von Tag zu Tag schrecklicher. Die schmerzliche Stelle brach auf und es entstand eine Wunde, der merkwürdigerweise nie Eiter, sondern nur eine Absonderung wie Wasser und Blut entfloss. So litt der Unglückliche fast ein Jahr lang, aber das Leiden wurde ihm zum Heil. Oftmals ließ er sich in die Kirche tragen und vor demselben Kruzifix niederlegen, vor dem er einst so schnöde gefrevelt hatte, und flehte unter Tränenströmen in inbrünstigem Gebet um Erbarmen.

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4. Sehnsucht nach dem Erlöser

       

Wer sehnte sich nach dem Erlöser?

 

Die Patriarchen:

Von unseren Stammeltern Adam und Eva an, durch die die Sünde in die Welt gekommen ist, brennt die Menschheit in der Sehnsucht nach Erlösung von der Sünde. Zugleich mit dem Fluch, den Gott über beide aussprach und mit dem er den Verführer in den Staub drückte, verband er die Verheißung der Erlösung. Die Stammeltern glaubten an diese Worte und nährten mit diesem Glauben ihre Sehnsucht. Ihnen folgt die ganze, ehrwürdige Schar der Patriarchen.

 

Die Propheten:

Mitten aus dem Dunkel der unerlösten Welt und Zeit erweckte Gott Menschen, deren seelisches Auge von ihm erleuchtet, tiefer drang und weiter blickte als das der übrigen Sterblichen, und diese sahen die Erlösung voraus in der vollen Herrlichkeit göttlicher Macht und in allen, der Erde angepassten Einzelheiten, Umständen und Zeitbestimmungen. Das ganze Werk stand vor ihren Augen, sie schauten und schilderten es, sie klagten und frohlockten, dankten und lobpriesen. Sie nährten ihre Sehnsucht nach der Erlösung durch das Schauen im Gebet.

 

Das auserwählte Volk:

An diese zwei Reihen auserlesener Vorkämpfer der Erlösung schließt sich das ganze Volk Juda an. Es muss der Vorsehung folgend, durch seine ganze Entwicklung und Führung vorbilden und vorbereiten und dem Plan folgen, den der Allmächtige ihm vorzeichnet. Es kennt seine Bestimmung, teilt den Glauben seiner Väter, fasst den Sinn der Propheten, sendet in Opfern und heiligen Gebeten seine Sehnsucht nach Erlösung zum Himmel, bindet sich an diesen seinen Beruf und nährt ihn durch Gehorsam gegen das Gesetz.

 

Die heilige Jungfrau:

Sie allein war makellos, daher auch ihre Sehnsucht die reinste. Sie flehte um die Erlösung, weil sie Gott liebte, dessen Heiligkeit beleidigt wurde, und weil sie die Menschen liebte, die durch die Sünde in Elend und Tod versunken waren. Diese zweiflammige Liebe entfachte ihre Seele zu verzehrender Sehnsucht, entrückte sie der Erwägung und Beschauung des eigenen Selbst und der Gnadenvorzüge, die ihr Gott gespendet hat, der außergewöhnlichen Wege, die seine Hand sie geführt hat. Wunderbare, übernatürliche Demut erfüllte sie, die nie gesündigt hat, nie den Trieb zur Sünde weder gekannt noch bekämpft hatte. Daher war sie allein würdig erfunden, mit ihrem reinen, heiligen Blut der Erlösung zu dienen.

 

Die heiligen Könige und Hirten:

Sie blickten auf zum Himmel, harrten eines Zeichens und nährten ihre Sehnsucht durch das Vertrauen, dass dieses Zeichen erscheinen und ihnen den Weg zum Erlöser weisen werde. Diese Hoffnung war der Stern, der ihnen leuchtete und sie führte, wunderbarer und strahlender noch als jener, den Gott vom Firmament herabschweben ließ und in dessen lichter Bahn sie zur Anbetung schritten.

 

Die Vorhölle:

Die Seelen aller Söhne und Töchter Adams, die den Keim ihrer Auserwählung nicht in persönlicher Sünde erstickt und die mit dem Tod die Strafe der Sünde erduldet hatten, harrten in der Vorhölle auf das befreiende Wort, das die Pforten ihres Gefängnisses sprengen und sie zur Anschauung ihres Schöpfers erlösen würde. Irdisches Wesen hielt ihr Auge nicht mehr gebunden, und der ganze allmächtige, gerechte und gütige Plan der Vorsehung Gottes seit der Schöpfung und dem Sündenfall lag vor ihren Blicken da. In klarer Erkenntnis sahen sie das Wesen Gottes und seines menschlichen Ebenbildes. Sie sahen die Größe der Sünde und kannten die Sühne, die die heilige Gerechtigkeit fordern und bieten würde, und diese Erkenntnisse nährte ihre Sehnsucht nach der Erlösung. Heiß und quälend brannte in ihnen die Sehnsucht. Konnten sie ja in keiner Weise mitwirken, um die Tage des Heils zu beschleunigen, mussten sie doch allein nur harren und in Fesseln liegen.

 

Die Erde:

Mit der ersten Sünde kam der erste Schmerz auf die Erde und mit ihm der erste Seufzer nach Erlösung. Der Mensch, weinend geboren, im Kampf lebend und durch den Tod besiegt, erduldet zahllose Leiden, ist gequält durch die Gewissheit der Trennung in allen seinen Freuden. Die Entfaltung seines Geistes und seiner Liebe ist ahnungsvoll aber lichtlos, der Widerstreit in seiner Brust erringt ihm die Siegespalme nie: dumpf, ernst und gebunden ist das einst reine, freie Gottesbild. Die Erde, auf der er lebt, die Natur, die er sich dienstbar zu machen versucht, ist mit gleichem Bann belegt. Sie trägt weder Lieblichkeit noch Schöne, die nicht zerstört würde und welk ins Nichts versänke. Krieg folgt auf Krieg in ihrem Schoß, und Vernichtung bergen die Schranken des Firmaments, die sie umschließen. Das ist der unerlöste Mensch auf unerlöster Erde. Schwäche und Hinfälligkeit nähren die Sehnsucht nach Befreiung, und aus Milliarden und aber Milliarden zerknirschter und zerschlagener Menschenherzen dringt der Schrei nach Erlösung auf zu Gott.

 

Der Himmel:

Die Anbetungsschar vor dem Thron sah zweimal Frevel üben an Gottes Ehre: im Sturz der Engel und im Sündenfall der Menschen. Erwartungsvoll schaute sie in die Fernen der Ewigkeit hinaus nach einer Tat der göttlichen Gerechtigkeit, die das angetastete Gut rächen werde. Anbetend sah sie der Vorsehung Pläne. Einzelne aus ihr wurden Werkzeuge und Boten des Heils durch die ganze Führung des auserwählten Volkes hindurch bis zur Verkündigung Mariä. Wo ein Weg bereitet wurde für den kommenden Erlöser, da schwebten himmlische Geister befehlend, ermahnend, tröstend, leitend, antreibend auf Gottes Geheiß herab, während ihre lichten Brüder vor Gottes Thron lagen in stetem Warten, flammend in seligem Sehnen nach dem Augenblick, wo Gott gebieten und sie herabbefehligen werde, um zwischen Himmel und Erde das neugeschehene, wiedergeborene Gloria zu verkünden.

 

Gott selbst nährte den Ratschluss, dass des Menschen Erlösung seine Ehre erhöhe: die Gerechtigkeit des Vaters, die Liebe des Sohnes und die Kraft des Heiligen Geistes verbanden sich in dreieinigem Erbarmen, um Undank, Sünde und Blindheit des Menschengeschlechtes zu tilgen und einen neuen Tag zu schaffen, an dem die göttliche Sonne der Liebe ungetrübt über der Erde strahlen würde. Die Huld des himmlischen Vaters wartete auf diesen Tag und zog in diesem heiligen, unaussprechlich hehrem Sehnen alle Seelen an sich, die im Verlangen nach Erlösung erglühten, gab ihrer Sehnsucht Kraft und Verdienst und schuf sie zu Mitarbeitern an dem Werk.

 

Und nun, liebe Seele! Der Erlöser liegt hier vor dir in der Krippe. Engel singen, Könige opfern, Hirten knien, Maria und Josef beten an, am Himmel leuchtet der Wunderstern, das Sehnen ist gestillt, die Gnade geschenkt: - freue dich im Anblick dessen, was Gott für dich getan hat!

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5. Selbsterkenntnis erbitten

       

1. Herr, lass mich meine Sünden so sehen, wie du sie sahst in deiner Traurigkeit auf dem Ölberg.

 

Traurig blicke ich zurück auf die ungezählten Male, wo ich gegen Gottes Willen und Gebot gefehlt habe. Ja auch traurig blicke ich in die Zukunft, denn du, mein Herr, sahst ja in dieser Leidensstunde alles, was ich in meinem kommenden Leben noch gegen deinen himmlischen Vater und gegen dich sündigen werde. Die Traurigkeit des Sünders – die Reue – gib sie mir, nimm sie nie von mir. Wenn sie wahr in mir lebt, so wird sie sich allmählich gestalten zur Leidensliebe, in der Sühne und Trost liegt. Denn das hilft tilgen, was als Vorwurf auf mir lastet.

 

In der Übertretung wurzelt der Schmerz der Reue. Aus dem Gehorsam erblüht der Trost: „Herr, nicht mein Wille, sondern der deine geschehe!“ Mit diesem Ruf heißt meine Seele das Leiden willkommen. Nicht was ich will, tue und suche ich, sondern was Gott will. Freiwillig sage ich mich los von meinem eigenen Wollen, um mich mit Verständnis und Gemüt in jenen Willen einzuleben, den ich vorher durch die Sünde missachtet und beleidigt habe.

 

2. Herr, lass mich meine Sünden so sehen, wie du sie siehst, wenn du in der heiligen Kommunion zu mir kommst.

 

Da siehst du sie

als mein Erlöser, der mir sein Blut gibt,

als mein König, der mir verzeiht,

als mein Arzt, der mich heilt,

als mein Lehrer, der mich unterweist,

als mein Freund, der mir treu bleibt,

als mein Hirte, der mich behütet,

als mein Gärtner, der mich pflegt und schmückt.

 

Als Erlöser siehst du, was ich durch die Sünde verloren und verscherzt habe, du siehst die Verunstaltung und Befleckung: so soll auch ich selbst mich sehen und erkennen.

 

Als König siehst du meinen Ungehorsam und meine Empörung, meinen Stolz und Trotz. Du vermisst meine Ehrerbietung und Dankbarkeit: mich vor dir niederwerfend, muss ich dies bekennen.

 

Als Arzt siehst du den Aussatz der Selbstliebe, der mich überdeckt, der alles ansteckt, was ich tue, meine Gedanken stört und meine Gefühle krank macht: Ekel soll mich erfassen vor mir selbst.

 

Als Lehrer prüfst du, ob ich die Grundsätze des Glaubens im Herzen behielt, und wirst gewahr, mit welch geringem Eifer ich mich unterrichte und in die Heilswahrheiten vertiefe, wie mein Leben, Denken und Sprechen dem zuwiderläuft, was der Heilige Geist in mir redet, was seine Gnade mir verlieh: überführt und beschämt muss ich schweigen: Rede, Herr, denn dein Diener hört!

 

Als Freund gedenkst du der Zeit, in der ich den ewigen Bund der Liebe mit dir schloss, des Genügens, das ich in deiner Nähe fand: konnte ich untreu werden und sein, konnte anderes mich an sich ziehen, konnte ich schwanken zwischen dir und der Welt und je vergessen, dass dein Herz mein Alles ist.

 

Als Hirte gehst du mit wunden Füßen mir nach, suchst mich und findest mich mit Freude: das zeigt mir, dass ich Irrwege betrat, das erinnert mich an die Wege der Gnade, die du mich geführt hast.

 

Als Gärtner siehst du, wie welk und erfroren deine Pflanzung ist, wie umwachsen von Unkraut. Nicht der Sonne kehrt sie sich zu, kein Tau erhält sie frisch, keine Farbe glüht an ihr, kein Duft entsteigt ihr: ach, meine Andacht und Liebe, wie gleicht sie diesem Bild! Werde ich Tränen der Reue haben, um die Himmelsblume damit zu benetzen und wieder blühend zu machen?

 

3. Herr, lass mich meine Sünden so sehen, wie du sie sehen wirst, wenn du mich einst richtest.

 

Da wird mich schauen deine Gerechtigkeit,

da wird mich treffen deine Strafe,

da werde ich mich sehen in voller Klarheit,

da werde ich erscheinen müssen als das, was ich bin.

 

Herr, gib mir schon jetzt dies zu fühlen. Dann werde ich von der Notwendigkeit der Buße so überzeugt sein, dass nichts, was du mir schickst oder nimmst, mir anders denn als gerechte Heimsuchung und Züchtigung erscheinen kann, die ich freudig, in sühnebereiter Demut hinnehme und ertrage. Dann werde ich mich getrieben fühlen, auch freiwillige Bußübung hinzuzufügen, selbst die Hand gegen mich zu erheben und strafend mir geistig und körperlich Schweres aufzuerlegen. Dann wird auch ein wahrhaftes Denken und Empfinden in Selbsterkenntnis möglich werden, und im Verkehr mit dem Nächsten, den ich so oft täuschte, vor dem ich mich besser zeigen wollte, als ich bin, vor dem ich meine Schwächen und Fehler verbarg, werde ich den aufrichtigen Willen haben, gekannt und erkannt zu werden.

 

Vor der heiligen Kommunion:

 

O Herr, nun soll ich treten

Zu dir als armer Gast –

Mein Weinen und mein Beten

Macht mich noch ärmer fast.

 

Das bleibt unausgesprochen,

Zu denken hab ich`s Not –

Dies Wunder, wie gebrochen

Die Liebe wird als Brot.

 

Ich fühle mich erschauern

In`s innerste Gebein,

Und sprech es aus mit Trauern:

„O Herr, ich bin nicht rein.“

 

Ich möchte still vergehen

Und scheu mich halten fern,

Da hör ich leise wehen

Die Worte meines Herrn.

 

Die locken mich und baden

In Reueflut mein Herz!

„Komm, komm, du bist geladen,

Ich stille deinen Schmerz.

 

Kommt all herbei, ihr Müden,

Und die ihr traget Last,

Und haltet schön im Frieden

An meinem Herzen Rast.“

 

Nach der heiligen Kommunion:

 

Ich habe dich genossen

Und du, du hast mit Macht

Des Himmels Licht ergossen

In meines Herzens Nacht.

 

Ein göttlich Sein durchleuchtet

In stiller Glut den Staub,

Und Gottes Blut befeuchtet

Der Seele dürres Laub.

 

O Herr – es wird zerstieben

Dies Erdgefäß – es bricht –

Trägt es dein ganzes Lieben

Und deine Gottheit nicht?

 

Und sprich, was kann ich geben

Worauf dein Auge schaut?

Mein Lied - - soll ich`s erheben

Zu heißem Dankeslaut?

 

Doch ach – wo find ich Töne!

Denn was die Erde bot –

Vor deiner Himmelsschöne

Scheint alles kalt und tot.

 

Anbetend kann ich neigen,

Mich neigen bloß darum

Und schweigen, schweigen, schweigen!

Die Liebe macht mich stumm . . .

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6. Seele

 

Die Seele - Gottes Ebenbild

       

Im Leben der Heiligen finden wir, dass sie alles Irdische und Vergängliche gering schätzten, aber alles Himmlische und Göttliche mit heißer Begierde erstrebten. In der Welt herrscht zumeist das umgekehrte Verhältnis: man sorgt für den Leib sehr ängstlich, vernachlässigt aber die Sorge für die unsterbliche Seele. Um uns vor dieser Verkehrtheit zu bewahren, achten wir die Seele als Ebenbild Gottes.

   1. Die Seele ist unendlich kostbar,

   2. und wird oft so gering geschätzt.

 

1. Ein Bild ist umso kostbarer, je tüchtiger und berühmter der Meister ist, der es verfertigte. Der Schöpfer unserer Seele ist der allmächtige und allweise Gott selbst. Begeistert ruft der heilige Ambrosius aus: „Lerne, o Mensch, warum du groß und kostbar bist. Oder kann etwas Größeres und Kostbareres gedacht werden, als dies Bildnis Gottes? Ein Geist, wie Gott, einfach wie Gott, lebendig wie Gott, unsterblich wie Gott.“ Willst du die Kostbarkeit deiner Seele erkennen, so frage deinen Erlöser. Frage ihn, warum er so arm wurde. Frage ihn, warum er seine irdischen Tage so mühevoll und verachtet durchlebt hat. Zähle die Tränen, die er geweint, die Geißelstreiche, die er empfangen hat. Betrachte die Dornenkrone auf seinem Haupt, die Nägel in Händen und Füßen, betrachte den schimpflichen Kreuzbalken, an dem der Gerechte und Edelste gestorben ist; frag ihn, warum er unter den grausamsten Martern gestorben ist? Deine Seele ist der hohe Preis seiner Leiden und seines Blutes. Wenn nun der eingeborene Sohn Gottes selbst so unendlich große Opfer der Liebe für die Menschenseele brachte, wieviel muss sie wert sein, zu wie großen Dingen muss sie bestimmt sein. – Je seltener eine Sache, desto höher ihr Wert. Wären Gold und Diamanten so gewöhnlich wie Sand und Steine, man würde sie gleichgültig mit Füßen treten, wie diese. Wenn nun Gold und Diamanten so hoch geschätzt werden, weil es wenig davon gibt, soll uns unsere Seele nicht unschätzbar sein, da wir nur eine einzige unsterbliche Seele haben? Gott hat dir zwei Augen zum Sehen, zwei Ohren zum Hören, zwei Hände zum Fühlen, zwei Füße zum Gehen gegeben. Was, wenn man dir ein Auge ausstechen, ein Ohr abschneiden, eine Hand abhauen, einen Fuß abnehmen wollte, würdest du es zulassen? Und doch könntest du noch sehen, noch hören, noch fühlen, noch gehen. Aber Gott hat uns nur eine einzige Seele gegeben. Wenn wir diese zu Grunde gehen lassen, wie können wir dann ewig glückselig leben? Möchte jederzeit unser Tun und Lassen beweisen, dass wir den Adel und die Kostbarkeit unserer Seele wohl zu schätzen wissen.

 

2. Leider achten wir die Kostbarkeit zu wenig. Der heilige Chrysostomus vergleicht manche Menschen mit einem Hausherrn, der sein Zimmer prächtig einrichtet, während er selbst schlecht und schmutzig gekleidet einhergeht. Ebenso – sagt er – machen es die meisten Menschen. Sie tragen alle mögliche Sorge für ihr Haus und vernachlässigen dabei den Hausherrn, sie sorgen für ihren Leib, so gut sie können, und vernachlässigen die Seele, die den Leib regiert. Auf den Leib, der über kurz oder lang eine Speise der Würmer wird, gehen vom Morgen bis zum Abend alle Gedanken hin, aber an die Seele, das unsterbliche Ebenbild Gottes, denkt man die ganze Woche kaum einmal. Dem Leib gibt man Speise und Trank alle Tage, die Seele lässt man monatelang Hunger und Durst leiden. Man wäscht und putzt und kleidet den Leib, die Seele aber vom Schmutz der Sünde zu reinigen, vergisst man. Man spart oft keine Unkosten, man opfert die Nachtruhe, um ein Vergnügen zu genießen, aber morgens und abends ein Viertelstündchen für sein Seelenheil zu verwenden, den zehnten Teil unnötiger Ausgaben den Armen mitzuteilen, davon weiß man sich zu entschuldigen. Erkrankt der Leib so ruft man eilig den Arzt, ist aber die Seele krank, so schiebt man die Bekehrung so weit als möglich hinaus. Um die Gesundheit wieder zu erhalten, nimmt man die ekelhafteste Arznei willig ein, aber um die Seele im Leben zu erhalten, will man nichts von Selbstüberwindung hören. „O Blindheit!“ – ruft der heilige Augustinus aus – „du beweinst den Tod eines Leibes, der ohnedies bald hätte sterben müssen; und den Tod einer Seele, die in alle Ewigkeit leben soll, beweinst du nicht.“ Heißt das nicht, seine Seele den Händen ihrer Feinde übergeben? – O mein Geist! Überall umlauern dich Feinde. Gedämpft, geduldet, gelitten muss werden, wenn du deine Seele retten willst. Aber wo zeigst du, dass dir der Verlust deiner Seele zu Herzen geht? Wenn ein zeitliches Unglück hereinbricht, dann weinst und klagst du, wo aber sind deine Tränen, deine Unruhe und Betrübnis, wenn deine Seele durch Sündigen verloren ging? Wenn dich ein Straßenräuber anfiele und dein Geld oder Leben forderte, würdest du ihm nicht dein Geld hingeben, um dein Leben zu retten? Wenn dich aber der Seelenräuber überfällt, dann opferst du ihm lieber das Leben deiner Seele, als ein irdisches Gut oder einen Sinnengenuss. Welch eine Raserei, wenn du die Sünde mehr liebst, als deine Seele, die du durch Sünde ins ewige Verderben stürzt. Willst du deine unsterbliche Seele, dies schöne Ebenbild Gottes, den Preis des kostbaren Blutes Jesu Christi durch die Sünde zu Grunde richten? Gott verhüte es! Amen.

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7. Selig sind die Armen im Geist

       

Der Herr sprach einst zu seinen Jüngern: „Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Geld in euren Gürteln haben, auch keine Tasche auf dem Weg, noch zwei Röcke, noch Schuhe, noch Stab; denn der Arbeiter ist seiner Nahrung wert.“ (Mt 10,8-10) Dieser Aufforderung folgend, verließen viele Heilige alles, was das Menschenherz an diese Erde zu fesseln pflegt: Heimat, hohe Lebensstellung, Eigentum, alle Freuden und Genüsse der Welt, um als arme Ordensleute oder Einsiedler oder Pilger oder Bettler höhere, unvergängliche Schätze zu suchen. Solche preist der Heiland selig. „Selig sind die Armen im Geist, denn ihrer ist das Himmelreich.“

 

1. Was verlangt Gott in diesem Ausspruch?

 

2. Was dürfen die Armen im Geist von ihm verlangen?

 

1. Fern von aller Habsucht und unordentlicher Anhänglichkeit an irdisches Gut, soll die Menschenseele zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit suchen. Alles übrige wird ihm dazugegeben werden. Arm sind wir in die Welt gekommen, arm werden wir die Welt verlassen müssen. Ist es darum nicht die größte Torheit, jenen Gütern nachzujagen, die uns der Tod wieder entreißen wird? Was wir besitzen, ist ein anvertrautes Gut, mit dem wir wuchern sollen für die Ewigkeit, indem wir es in christlicher Weise verwenden. „Umsonst habt ihr es empfangen, umsonst gebt es hin!“ mahnt der Herr. Schälen wir unser Herz los von den irdischen Dingen, dann werden wir umso mehr himmlische finden. Christus erwählte die Armut, eine arme Jungfrau war seine Mutter, ein armer Zimmermann sein Nährvater, arme Hirten beteten ihn zuerst an, mit den Armen verkehrte er am liebsten, arme Fischer erkor er zu seinen Jüngern. Von sich selbst konnte er sagen: „Die Füchse haben ihre Höhlen, die Vögel ihre Nester, aber der Menschensohn hat nicht, wohin er sein Haupt hinlegen könnte.“ Wir dürfen uns demnach nur als Nutznießer der uns anvertrauten Güter ansehen, und sollen nie vergessen, dass wir einst strenge Rechenschaft über den Gebrauch oder Missbrauch derselben ablegen müssen. Wehe uns, wenn wir mit ihnen nicht gewuchert haben für die Ewigkeit.

 

2. Was dürfen wir von Gott verlangen? Den nötigen Unterhalt. „Der Arbeiter ist seines Lohnes wert.“ Wer für Gott arbeitet, darf nicht fürchten, dass es ihm an dem nötigen Unterhalt fehlen werde. Dies lehrt die Erfahrung. Als Jesus seine Apostel ausgesandt hatte ohne Geld, ohne Reisetasche, ohne doppelte Kleidung und sie von ihrer Sendung zurückgekommen waren, fragte er sie: „Hat euch etwas gemangelt?“ Und sie antworteten: „Nichts.“ (Lk 22) Uns allen ruft er zu: „Sorgt nicht ängstlich, indem ihr sagt: Was werden wir essen oder was werden wir trinken oder womit werden wir uns bekleiden? Sucht zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, alles übrige wird euch von Gott gegeben werden.“ (Mt 6) Gott schenkt dem christlichen Armen gewöhnlich einen großen Frieden des Herzens. Das Stücklein Brot schmeckt ihm besser, als dem Reichen die üppigste Mahlzeit. Nur eine Sorge hat er, dass er nämlich die Gnade und Freundschaft Gottes verlieren möchte; nur ein Verlangen hat er, nämlich die ewige Seligkeit. Er fürchtet den Tod nicht; denn er kann ihm nichts nehmen, vielmehr erscheint er als willkommener Freund, um ihn aus dem irdischen Jammertal in die Freuden des Paradieses hinüberzuführen. Warum sollten wir also murren, wenn uns Gott in den Stand der Armut versetzt hat, oder wenn wir ihm freiwillig ein armes, abgetötetes Leben angelobt haben? Haben wir Nahrung und Kleidung, so seien wir zufrieden. Hängen wir unser Herz nicht an eitle und vergängliche Dinge. „Selig der Mann, der nicht dem Geld nachgeht und nicht auf Geld und Schätze seine Hoffnung setzt! Wer ist dieser, auf dass wir ihn loben? Er wird Wunderbares wirken in seinem Leben.“ Amen.

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8. Sorge um das Seelenheil anderer

       

Jeder Christ ist dazu verpflichtet, für das Seelenheil anderer Sorge zu tragen. Betrachten wir zum einen die Verpflichtungsgründe und zum anderen die Arten der Sorge für das Seelenheil anderer.

 

1. „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!“ Dieses Gebot legt uns Jesus Christus selbst ans Herz. Die höchste Vollkommenheit Gottes besteht in seiner Liebe, die sich jederzeit zum Wohl der Menschen kundgab, und bald wie liebliches Glockengetön zum Dienst Gottes einlud, bald wie der rollende Donner eines unheildrohenden Gewitters die Widerspenstigen erschütterte. Wenn nun der himmlische Vater eine so große Sorge trägt für die Rettung seiner Kinder, sollten wir weniger Sorge hegen für unsere Brüder und Schwestern, die in die Irre gegangen sind? – Jesus Christus erklärt es für seine Aufgabe, zu suchen und selig zu machen, was verloren war. Er lehrte alle den Weg der Wahrheit, zeigte allen das erhabenste Beispiel und opferte sein Blut und Leben für uns, um uns den höchsten Beweis seiner Liebe zu geben. Sollte uns die Liebe Jesu nicht entflammen zur Liebe unserer Mitmenschen, die durch dasselbe Blut erlöst worden sind? – Auch der Heilige Geist sorgt unablässig für das Wohl der Menschheit. Kaum hatten wir das Licht der Welt erblickt, so goss der Heilige Geist im Sakrament der Wiedergeburt seine Gnade in unsere Herzen, er kommt uns zuvor und begleitet uns mit seinem Beistand, rät uns in zweifelhaften Fällen, führt uns auf den rechten Weg und lässt uns aus dem siebenfachen Strom seiner Gnaden schöpfen. Wenn uns nun der dreieinige Gott wie seinen Augapfel hält, dürfen wir dann unseren Nächsten geringschätzen, der ein auserwähltes Werkzeug in Gottes Hand und ein Erbe himmlischer Reichtümer ist? Kann es uns gleichgültig bleiben, ob unser Mitmensch seine Bestimmung erreicht oder schmachvoll zugrunde geht? – Das Hauptgebot des Christentums fordert nach der Liebe Gottes die Liebe des Nächsten. Was steht uns aber höher: der Leib oder die Seele des Nächsten? Ohne Zweifel die Seele, denn sie ist ein Hauch Gottes. Wir sind alle eines Ursprungs, mögen wir hoch oder niedrig gestellt sein. Deshalb sollen wir durch Werke der leiblichen, mehr aber noch der geistlichen Barmherzigkeit den Bedrängten zu Hilfe kommen. „Was nutzt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber Schaden leidet an seiner Seele?“ Oder was kann der Mensch wohl geben, um seine Seele wieder einzutauschen? Wenn Christus schon einen Trunk Wassers belohnt, den man in Liebe einem Durstigen reicht, um wie viel mehr wird er jenen belohnen, der eine unsterbliche Seele für das Himmelreich gerettet hat.

 

2. Auf welche Weise sollen wir für das Seelenheil anderer Sorge tragen? Ein sehr wirksames Mittel ist das gute Beispiel. Tausende und abertausende Menschen sind durch die glänzenden Vorbilder des Christentums für den Himmel gewonnen worden. Das Beispiel wirkt umso ergreifender, je höher jemand steht. Die Vorgesetzten, Eltern und Herrschenden gleichen einer Stadt auf hohem Berg, einem Licht, das auf einen Leuchter gestellt ist, damit es allen leuchte. „Lasst euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und den Vater preisen, der im Himmel ist!“ – Mit dem guten Beispiel soll sich das gute Werk verbinden. Wie oft zieht eine liebevolle Mahnung einen verirrten Freund von seinem böswilligen Vorhaben zurück! Wie manchmal weckt eine freundliche Vorstellung die schlummernde Gottesfurcht! Wie vielem Unglück beugt man durch einen guten Rat vor! „Ein gutes Wort findet stets einen guten Ort.“ Statt dessen verflucht und verdammt man den Fehlenden, man lässt sich von blinder Leidenschaft fortreißen und entzündet das verheerende Feuer des Zornes, man verdächtigt und verkleinert die Ehre des Nächsten, speit Gift und Galle gegen ihn und freut sich über den beklagenswerten Schaden am Seelenheil des Mitmenschen. – Das Christentum legt uns die heilige Pflicht auf, dem Gefallenen freundlich die Hand zu bieten, um ihn Gott und der Tugend wiederzugewinnen. Und welcher Gewinn könnte dem Gewinn einer unsterblichen Seele gleichkommen? Ist das Heil der Seele nicht wichtiger, als alle irdischen Güter? Beachten wir die Vorschrift des Evangeliums: „Hat dein Bruder gegen dich gesündigt, so verweise es ihm zwischen dir und ihm allein. Gibt er dir Gehör, so hast du deinen Bruder gewonnen. Gibt er dir aber kein Gehör, so nimm noch einen oder zwei zu dir, damit die ganze Sache auf dem Mund von zweien oder dreien beruhe. Hört er auch diese nicht, so sage es der Kirche! Wenn er aber auch die Kirche nicht hört, so sei er wie ein Heide oder öffentlicher Sünder.“ Hielten wir diese Ordnung ein, es würde vieles besser werden. – Möchten wir doch die geistige Wohlfahrt unserer Mitmenschen mit aller Sorgfalt fördern! Möchten wir allen durch ein gutes Beispiel voranleuchten, den Zweifelnden recht raten, die Betrübten trösten, die Irrenden freundlich zurechtweisen, die Gefallenen mitleidig aufnehmen, alle zur wahren Tugend und Gottesfurcht anregen, damit bald ein Hirt und eine Herde werde! Amen.

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9. Segnungen

 

Die kirchlichen Segnungen

 

Die Gegner der Kirche spotten viel über die kirchlichen Segnungen, und selbst manche Katholiken machen sich eine verkehrte Vorstellung von der Bedeutung und Wirksamkeit. Aber im Leben zahlloser Heiligen sehen wir, wie schon durch eine Besprengung mit Weihwasser, verbunden mit dem Gebet der Kirche, die Pest vertrieben, die Not beseitigt und reiche Gnaden gewährt wurden. Es wird nicht überflüssig sein, den Segnungen der Kirche eine kurze Erwägung zu widmen.

 

1. Warum segnet die Kirche? Sie segnet, weil sie es von Christus gelernt hat. Christus segnete in der Wüste Brot und Fische, beim Abendmahl nahm er das Brot, segnete und brach es, die Kinder nahm er auf seine Arme, legte ihnen die Hände auf und segnete sie, vor seiner Himmelfahrt hob er seine Hände über die Apostel und segnete sie. Auch seinen Aposteln gab er Gewalt über die unreinen Geister, sie auszutreiben und alle Krankheit und Schwachheit zu heilen. Diese übertragene Gewalt gebraucht die Kirche, um Unheil abzuwenden von der Erde, auf der noch der Fluch der Sünde ruht, um Dürre, Überschwemmungen, Hagel und Ungeziefer von den Früchten des Feldes fern zu halten und Segen und Gedeihen vom Himmel zu erbitten. – Was segnet die Kirche? Sie segnet das gläubige Volk am Schluss der Heiligen Messe, bei Aussetzung des allerheiligsten Sakramentes und bei feierlichen Prozessionen. Sie segnet die Kranken, die Mutter nach der Geburt, die Beichtenden vor Ablegung des Sündenbekenntnisses, die Täuflinge, das Brautpaar, die Leichen vor der Einsenkung ins Grab. Sie segnet Wasser, Salz, Lichter, Kräuter, Fahnen, kirchliche Gewänder, Wohnungen, Schiffe, Eisenbahnen und andere Sachen, um ihnen eine höhere Weihe zu geben und dem Menschen heilsam zu machen. – Durch wen segnet die Kirche? Durch den obersten Hirten, der vom Balkon der Peterskirche der Stadt Rom und dem ganzen Erdkreis seinen Segen erteilt, oder in Privataudienzen einzelne segnet, manchmal auch Entfernten zuwendet. So segnen auch die Bischöfe in ihren Diözesen und die Priester und Diakone, denen bei der Weihe gesagt wurde: „Alles, was ihr segnen werdet, soll auch gesegnet sein.“ So hat die Kirche dem Priestertum die Gewalt zum Segnen übertragen.

 

2. Was sollen die Gläubigen von den Segnungen halten? Sie sollen davon halten, dass sie im Glauben begründet sind. Christus hat seiner Kirche alle Gewalt übertragen mit den Worten: „Wie mich der Vater gesendet hat, so sende ich euch.“ Er hat ihr auch die Segensgewalt übertragen und sie spendet den Segen als eine heilige, vom Himmel überkommene Vollmacht. Der Katholik darf demnach die Benediktionen nicht für eine bloß menschliche oder gar abergläubische Sache halten, sondern muss sie als Gotteswerk anerkennen. Er wird alle Ehrfurcht gegen sie tragen, wie es sich für heilige Dinge geziemt. Die Gläubigen sollen auch die Wirksamkeit der kirchlichen Segnungen anerkennen. Was von Gott und der Kirche, seiner Stellvertreterin ausgeht, ist keine eitle Zeremonie, vielmehr hat es Kraft und Leben. Die Erfahrung beweist in zahllosen Beispielen, dass die kirchlichen Segnungen den Menschen vielfache Gnaden gespendet haben. Gewitter wurden beschworen, Überflutungen verhindert, drohende Krankheiten abgewendet, feindliche Angriffe zurückgeschlagen, Segen und Gnaden den Menschen gespendet. Darum wird der Katholik sich glücklich schätzen, einer Kirche anzugehören, der Gott die Macht und Fülle seines Segens übertragen hat. – Wie sollen die Gläubigen die Segnungen empfangen? Mit Andacht, wie es die Würde der Segnungen verlangt. Das Gebet und die Segnungen der Kirche sind etwas Erhabenes. Deshalb muss man sie mit Andacht und kindlicher Gesinnung gebrauchen. Und weil die Segnungen eine so große Kraft besitzen, wie wir es im Leben vieler Heiligen gesehen haben, deshalb sollen wir Vertrauen zu ihnen fassen. – Wie sollen die Gläubigen die geweihten Sachen gebrauchen? Ohne Aberglauben. Wenn die Kirche Rosenkränze, Kreuze, Medaillen, Kräuter und andere Sachen segnet, so will sie dadurch nie und nimmer den Aberglauben fördern, den sie hasst und verwirft. Der Christ darf darum die gesegneten Sachen nur zu dem Zweck verwenden, wozu die Kirche sie verwendet wissen will. Weil die benedizierten Sachen aus der gewöhnlichen Ordnung der Dinge herausgenommen und mit dem Segen des Allerhöchsten ausgestattet sind, deshalb soll der Gläubige sie mit Ehrfurcht gebrauchen. Man gebe solche geweihte Sachen nicht den Kindern zum Spielzeug und werfe sie nicht in staubige Winkel. Gebrauchen wir in dieser Weise die kirchlichen Segnungen, so werden sie uns reichen Gewinn eintragen. Amen. 

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10. Savonarola

 

Girolamo Savonarola

       

Eine umstrittene Figur der Kirchengeschichte

 

Eine der umstrittensten Figuren in der Geschichte der Kirche ist wohl Girolamo Savonarola gewesen, der große „katholische Reformator und Bußprediger“. Girolamo Savonarola wurde am 21. September 1452 in Ferrara geboren. Noch vor seinem Eintritt in den Orden der Dominikaner legte er durch seinen strengen religiösen Eifer und seine feurigen Gedichte Zeugnis ab von seinem Widerstand gegen die Entartung, welche die Renaissance nicht nur in Florenz, sondern sogar am päpstlichen Hof in Rom begleitete. Nach seiner Anstellung als Professor und Prediger in Florenz sagte er dem Verfall

 

Öffentlich den Kampf an. Ohne jemanden zu schonen, verurteilte er die Sünden. Er kündigte an, dass die Kirche gezüchtigt werden würde, und zwar bald. Aus diesen Katastrophen würde sie jedoch geläutert und erneuert wiedererstehen. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, reformierte er das Kloster von San Marco, dessen Prior er war, damit von diesem Zentrum aus ein guter Einfluss auf die Stadt am Arno und hierdurch auf ganz Italien, ja auf die ganze Kirche ausginge. So ist es auch geschehen. Durch die Initiative Savonarolas verstärkte sich die Reaktion auf die herrschende Korruption überall. Die Großen der sogenannten Gegenreformation haben sich lange nach seinem Tod von Savonarolas Arbeit inspirieren lassen.

 

Nicht alle jedoch haben Verständnis für die harten Wahrheiten gezeigt, die der Mönch ohne Ansehen der Person von der Kanzel und durch seine Schriften verkündigte. Schon bald geriet der Bußprediger in Konflikt mit Piero de Medici, dem Herrscher von Florenz, und Papst Alexander VI. Die Ursache dieses Zusammenstoßes muss aber nicht allein in der unbarmherzigen Kritik des allgemeinen Verfalls, sondern vor allem im politischen Meinungsgegensatz gesucht werden. Während Savonarola in der Ankunft des französischen Königs Karl VIII., der 1494 in Italien eingefallen war, eine von der Vorsehung gewollte Prüfung sah, welche die so dringend gewünschte Reformbewegung begünstigen würde, sahen Piero de Medici und Alexander VI. in Karl VIII. den Bedroher ihrer Macht. Der Papst schämte sich nicht, in diesem Streit seine geistige Autorität aus persönlichen Motiven geltend zu machen und seine politischen Gegner mit kirchlichen Strafen zu bekämpfen. Am 25. Mai 1498 wurde Savonarola in Florenz aufgehängt und verbrannt, wie er es vorausgesagt hatte. In einem Prozess, der ohne Zweifel eine Vergewaltigung des damals herrschenden Rechtes war, wurde der Bußprediger des Schismas und der Ketzerei schuldig befunden.

 

Heute, nach über fünf Jahrhunderten, da die Leidenschaften längst zur Ruhe gekommen sind und ein klareres Urteil möglich ist, hat sich in Italien eine Bewegung gebildet, die sich offen zu Gunsten Savonarolas ausspricht. Nicht mehr so sehr die Andersdenkenden, die den Dominikaner zeitweilig zu Unrecht als einen der ihrigen angesehen haben, als vielmehr unverdächtige Katholiken (unter anderen auch zahlreiche Mitglieder der Hierarchie) haben 1952 Savonarolas 500. Geburtstag zum Anlass genommen, die Ehre des „katholischen Reformators“ wieder herzustellen.

 

Wer in Savonarola nur den Aufständischen gegen die gesetzliche päpstliche Gewalt, den Schrittmacher einer konzilaren Bewegung, den Anhänger Joachims von Fiore und Vorläufer des Protestantismus, den unbeherrschten und stolzen Idealisten, den geschliffenen Politiker oder den großen Menschen sieht, wird unmöglich begreifen, dass hervorragende Dominikaner auf ihren Generalkapiteln 1935 und 1949 einen Seligsprechungsprozess gefordert haben oder dass eine Studie von Prof. S. Dezoni und seinen Mitarbeitern („Documenti eindirizzi“, Turin 1948) von zahllosen Katholiken, Laien und Priestern, zustimmend aufgenommen wurde. Diese Äußerungen können in ihrem Wert nur geschätzt werden von denen, die sie als logische Schlussfolgerung der ununterbrochenen Verehrung Savonarolas als katholischer Reformator und Bußprediger ansehen.

 

Tatsächlich datiert die Verehrung Savonarolas nicht erst aus der letzten Zeit. Sie geht zurück auf den 23. Mai 1498, als die Flammen um den Gehängten loderten und seine erhobene Hand der Volksmenge, die nicht ohne Zittern diesem grauenhaften Schauspiel zusah, den letzten Segen zu geben schien. Kaum waren die Flammen erloschen, da suchten schon Frauen, als Dienstmägde verkleidet, in der Asche nach Reliquien des „Martyrers“, während junge Burschen am folgenden Tag in den Arno tauchten, in den man die Überreste des Hingerichteten geschüttet hatte. Bevor noch das Quattrocento verstrichen war, wurde der Sterbetag des „Heiligen“ in einigen toskanischen Klöstern schon als ein Fest von hohem Rang und mit einem eigenen Officium gefeiert.

 

Es ist interessant, festzustellen, wie diese Verehrung sich trotz mancher Verbotsbestimmungen und strenger Strafen ausbreitete. In den ersten fünfzig Jahren nach Savonarolas Tod erschienen allein in Florenz und Venedig mehr als hundert Ausgaben seiner Predigten und Schriften, während Übersetzungen davon einen großen Einfluss auf die spanische Spiritualität ausübten. Namhafte Künstler, unter ihnen Sandro Botticelli und Bartolommeo della Porta, haben durch Kunstwerke, die meistens für Kirchen und Klöster bestimmt waren, öffentlich Zeugnis für diese Verehrung abgelegt. Mindestens zehn Priester oder Mönche, die später offiziell zur Ehre der Altäre erhoben wurden, haben Savonarola diese Ehre erwiesen. Anlässlich eines Besuches im Dominikanerinnenkloster von Prato wurden uns zahllose Reliquien und fromme Darstellungen des „Propheten, Lehrers und Martyrers“ gezeigt, die als solche von der heiligen Katharina de Ricci aus Dankbarkeit für die „wunderbaren“ Heilungen und andere Wohltaten, die sie nach eigener Aussage auf die Fürsprache Savonarolas von Gott erhalten hatte, benützt wurden. Als im achtzehnten Jahrhundert in Rom der Prozess zu ihrer Heiligsprechung geführt wurde, hat der Advocatus diaboli es nicht versäumt, diese Verehrung Savonarolas gegen sie ins Feld zu führen. Da aber andere Heilige nicht anders gedacht hatten als die Dominikanerinnen, wurde dieser Einwand nicht anerkannt.

 

Diese Formen der Verehrung fanden bis zu einem gewissen Grad Unterstützung in den Bemühungen, die aufgewendet wurden, um eine Heiligsprechung Savonarolas zu erreichen. Nachdem Papst Julius II. im Jahr 1509 sich schon in diesem Sinn geäußert hatte, wurden unter dem Pontifikat Clemens` VIII. die nötigen Vorbereitungen getroffen. Die Sache war schon so weit gediehen, dass der Generalobere der Dominikaner drei Officien anfertigen ließ, aus denen, sobald die so lange erwartete Heiligsprechung Tatsache würde, eines ausgewählt werden sollte. Dass es nicht so weit kam, lag am Widerstand Alessandro de Medicis, des Erzbischofs von Florenz, in dem noch die private Feindschaft Piero de Medicis gegen den „schrecklichen Mönch“ nachwirkte.

 

Als durch die berühmten Dekrete Urbans VIII. die Ehre der Altäre denen vorbehalten blieb, die offiziell selig- oder heiliggesprochen waren, war auch der öffentlichen Verehrung Savonarolas ein Ende bereitet.

 

Viel günstiger war das Los, das den Werken des großen Predigers und geistlichen Schriftstellers, denn das war Savonarola ohne Zweifel, zuteilwurde. Als Papst Leo X. – wie die Medici 1516 – die Predigten und Schriften auf den Index setzen wollten, sprach sich die Mehrheit der zu Rate gezogenen Theologen zu Gunsten Savonarolas aus. Fast noch mehr Aufsehen erregte die Anerkennung dieser Werke auf dem Konzil von Trient (1558), das im Zusammenhang mit dem sogenannten Index Pauls IV. eine Untersuchung angeordnet hatte. Bezeichnend für die Situation war die Haltung des heiligen Philipp Neri, der derartig gespannt auf den Ausgang der Beratung wartete, dass er den Tag, der die Entscheidung bringen sollte, im Gebet vor dem Allerheiligsten zubrachte. Plötzlich richtete er sich auf und rief den Anwesenden begeistert zu: „Wir haben gesiegt! Die Gegner haben Girolamo und seine Lehre ohne Erfolg angegriffen, sie bleibt unversehrt, bestätigt durch unseren allerheiligsten Herrn (den Papst) und die Kirche.“ Und so war es tatsächlich. Die Werke wurden freigegeben bis auf einen Abschnitt, der kommentiert werden musste.

 

Wenn auch die öffentliche Verehrung Savonarolas verboten wurde, so konnte sich doch die Wertschätzung seiner Schriften und damit die private Verehrung seiner Person ungestört erhalten. Davon zeugen die zahllosen Veröffentlichungen, Studien und Lebensbeschreibungen, die im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert erschienen, sowie zahllose Zeugnisse zu Gunsten des Reformers. Die eingangs genannte Bewegung in Italien ist nur auf dem Hintergrund dieser Tradition zu begreifen. Man hüte sich jedoch vor Übertreibungen. Eine Tradition wie die geschilderte ist nicht unfehlbar. Im Lauf der Jahrhunderte wurden auch viele Stimmen gegen den „Gottgesandten“ laut.

 

Wir möchten Savonarola trotz sehr ernster Bedenken, die wir noch gegen manche seiner Worte und Taten haben, als hochstehende, ja makellose Persönlichkeit ansehen. Vorsichtiger Zweifel erscheint uns daher nach wie vor geboten.

H. van Dongen O.P.

Aus „De nieuwe Eeuw“, Amsterdam,

abgedruckt in „Katholiek Vizier“, Amsterdam

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11. Stigmatisation

 

Ist Stigmatisation immer ein Wunder?

 

Die Stellung des Christen zu einem merkwürdigen Vorkommnis

 

Das Wort Stigmatisation geht auf das griechische Wort stigma zurück, was so viel bedeutet wie Stich, Flecken, Brandmal. Wir nennen einen Menschen stigmatisiert, wenn er die Wundmale Christi an seinem Leib trägt. Diese Wunden haben etwas ganz Merkwürdiges, das sie von allen anderen Wunden unterscheidet: Sie eitern nicht, entzünden sich nicht und sind für die ärztliche Kunst unheilbar. Zumeist sind mit den Stigmen viele andere anormale Phänomene verbunden. Stigmatisierte haben Visionen, die Gabe des Hellsehens und des Gedankenlesens, des Durchschauens der Herzen. Sie verstehen und sprechen fremde Sprachen, die sie nie gelernt haben. Sie leiden an psychogenischen Lähmungen und Erblindungen. Jahrelang können sie Nahrung und Schlaf entbehren. Louise Lateau aß von 1871 bis 1883 außer der hl. Kommunion keine andere Speise. Die Tirolerin Maria Furtner – gest. 1884 – hat jahrelang nur von Wasser gelebt. Therese Neumann von Konnersreuth nahm seit dem Jahr 1926 außer der hl. Hostie keine andere Nahrung zu sich.

 

Es ist eine ganz auffallende Tatsache, dass in den ersten zwölf Jahrhunderten des Christentums kein einziger Fall von Stigmatisation bekannt geworden ist. Zum ersten Mal hören wir davon zu Beginn des 13. Jahrhunderts. Es wird überliefert, dass Maria Oigne 1312 in ekstatischer Verzückung sich selbst die Wundmale Christi beigebracht hat. Im Jahr 1224 hat Franz von Assisi, zwei Jahre vor seinem Tod, auf dem Berg Alvernia von einem ihm erscheinenden gekreuzigten Cherub die Wundmale Christi empfangen. Die Echtheit dieser Stigmatisation wird uns von vielen Zeitgenossen und von zwei Päpsten bezeugt.

 

Von Franz von Assisi bis Therese Neumann zählt man 321 Stigmatisierte; 62 von ihnen sind heiliggesprochen. Weitaus die größte Zahl sind Frauen, stigmatisierte Männer sind selten. Die Stigmenträger sind zum größten Teil Katholiken.

 

Der berühmte Berliner Arzt Virchow hat vor Jahren sein Urteil in die kurze Formel zusammengefasst: „Wunder oder Betrug“. Dagegen hat sich der berühmte Forscher im Reich des Okkultismus Du Prel gewandt mit der Behauptung: „Das Stigma ist eine Tatsache, die nur die Unwissenheit bestreiten kann. Alle Stigmen, die religiösen einbegriffen, sind psychologischen Ursprungs, d.h. sie haben im Seelenleben der betreffenden Personen ihren Grund.“ Bald taucht in der ärztlichen Wissenschaft als Erklärungsgrund das Wort Suggestion und Autosuggestion auf. Der belgische Arzt Warlomont, der im Auftrag der belgischen Regierung die Stigmatisation der Louise Lateau zu untersuchen hatte, erklärt sie als suggestive seelische Einwirkung auf das Körpergewebe. Aber wie kommt die Autosuggestion zustande? Es handelt sich um Persönlichkeiten, die sich in die blutige Passion des Herrn (Ölbergsleiden, Kreuzweg, Golgathageschehen) ganz intensiv versenken. Sie haben das Bestreben, ganz in Christus aufzugehen und teilzunehmen an seinen Qualen und Schmerzen. Von diesem gewaltigen inneren Sehnen nach Gleichförmigkeit mit dem leidenden und gekreuzigten Meister wird der Körper ganz von selbst in Mitleidenschaft gezogen, und im Überschwang religiöser Gefühle treten die Stigmen äußerlich sichtbar am Körper zutage. R. Schindler sagt: „Die Entstehung spontaner Blutungen durch den alleinigen Einfluss des Nervensystems ist erwiesen“.

 

Früher neigte man dazu, überall, wo die Wundmale Christi an einem Menschen sichtbar wurden, eine übernatürliche Einwirkung anzunehmen. Das einfache Volk ist auch heute noch sofort dabei, in solchen Fällen ein besonderes Wunder Gottes zu sehen.

 

Die katholische Kirche gibt den Christen volle Freiheit in der Beurteilung der Stigmatisation. Sie fordert von ihm so wenig Glauben an dieselbe wie an irgendeine Privatoffenbarung; er ist nur verpflichtet, das in Wort und Tradition niedergelegte und vom kirchlichen Lehramt verkündete Glaubensgut zu glauben. Die Kirche hindert ihre Gläubigen nicht, in der Stigmatisation rein natürliche und keine wunderhaften Vorgänge zu sehen. Freilich gibt sich der denkende Christ mit einer rein natürlichen Erklärung nicht in jedem Fall zufrieden. Wo die Stigmen aus tiefem Miterleben und Miterleiden des Kreuzestodes des Herrn hervorgehen, muss man die Stigmatisation als eine große Gnadengabe für die betreffende Person betrachten. Zugleich hat diese die Aufgabe, durch ihr Erleben der Passion des Herrn die Mitmenschen Christus näherzubringen. Viele Tausende von Menschen sind in den letzten Jahrzehnten aufs tiefste ergriffen und erschüttert von Konnersreuth weggegangen, ja viele als andere, als umgewandelte Menschen. Darum sagt der protestantische Pfarrer und Arzt Ferdinand Knote mit Recht: „Trotz aller Bedenken muss man vielen Stigmatisierten mit Ehrfurcht gegenüberstehen. In dem Getriebe und Gebrause des Weltlebens erscheinen diese stigmatisierten Männer und Frauen als lebendige Kruzifixe, hineingestellt in unsere Zeit, um uns immer wieder aufs Neue an das tiefste und heiligste Geheimnis der Menschen – das Opfer von Golgatha – zu mahnen.“

 

Der katholische Christ wird also diese außerordentlichen Dinge nicht geringschätzen, aber auch nicht überschätzen. Das Verhalten der Kirche ist hier vorbildlich. Wenn sie einen Stigmatisierten zur Ehre der Altäre erhebt, so geschieht das nicht auf Grund der Stigmatisation. Diese spielt sogar gar keine Rolle. Nicht ob ein Christ die Wundmale des Herrn an seinem Körper trug oder nicht, wird in Betracht gezogen, sondern einzig und allein sein heroisches Tugendleben. Damit bringt die Kirche deutlich zum Ausdruck, dass nicht außerordentliche Dinge den Menschen heilig machen, sondern nur der schlichte Weg der Nachfolge Christi.

Anton Fischer

„Mann in der Zeit“

Augsburg, 5. November 1949

 

Sind Stigmata ein Beweis für Heiligkeit?

 

 

Es wäre ebenso unklug zu glauben, dass alle Stigmatisierten Heilige sind, wie anzunehmen, dass alle Heiligen die Wundmale Christi getragen haben oder tragen. In Wirklichkeit hat die Stigmatisation an sich mit dem Begriff der Heiligkeit nichts zu tun. Niemals wird jemand nur deshalb Aussicht haben, selig- oder heiliggesprochen werden, weil er die Wundmale Christi getragen hat.

 

Stigmata im Laufe der Zeit

 

Das Wort Stigma ist griechischen Ursprungs. Es bedeutet einfach "Merkmal" oder "Kennzeichen". Diese Zeichen wurden in der heidnischen Antike, bei den Griechen und Römern, gebraucht, um Tiere, Sklaven oder auch Soldaten zu kennzeichnen. Es waren Brandmale. Im Neuen Testament erscheint das Wort Stigma (Wundmal) im letzten Satz des Briefes an die Galater. Der hl. Paulus ruft dort aus: "Ich trage an meinem Leib die Wundmale Jesu." 

 

Können wir deshalb den heiligen Paulus als einen "Stigmatisierten" im heutigen Sinn des Wortes betrachten? Keineswegs. Alle Bibelübersetzer stimmen darin überein, bei ihm das Wort "Stigma" als Wundmal zu übersetzen. Der Apostel spielt dabei auf die Narben an, die die Misshandlungen, die er im Namen Christi erduldete, an seinem Körper hinterlassen haben.

 

Wir bezeichnen heute den Menschen als Stigmatisierten, bei dem in der einen oder anderen Form die Wunden spürbar werden, die Christus zugefügt worden sind, als er ans Kreuz geschlagen wurde. Dieses "Spürbarwerden" ist nicht unbedingt ein "Sichtbarwerden". Es genügt, dass Schmerzen auftreten, selbst wenn sie äußerlich nicht erkennbar sind. Das bekannteste Beispiel unsichtbarer Stigmata ist die heilige Katharina von Siena. Ihr Biograph und Beichtvater, der selige Raimund von Capua, bestätigt, dass sie lebhafte Schmerzen an den Stellen der Wundmale Christi empfand, ohne dass äußerlich etwas davon zu sehen war.

 

Die vollkommene Stigmatisation ist auch äußerlich sichtbar. Sie zeigt sich an den Stellen der Wundmale Christi am Kreuz, d.h. an den Füßen, den Händen und an der Seite im Bereich des Herzens, und ist meistens blutig.

 

Der heilige Franz von Assisi

 

Es ist sonderbar, dass die Stigmatisation zu Anfang des 13. Jahrhunderts erstmalig in Erscheinung tritt. Die frühchristliche Zeit hat sie nicht gekannt. Man begegnet ihr weder bei den Heiligen der ersten Jahrhunderte noch bei den Mönchen der Wüste, bei den Styliten (Säulenheiligen) oder anderen Asketen. Der erste urkundlich bezeugte Stigmatisierte ist der heilige Franz von Assisi.

 

Die Tatsache der Stigmatisation des heiligen Franziskus wird in allen Lebensbeschreibungen ausdrücklich vermerkt. Wir können uns deshalb auf die des heiligen Bonaventura beschränken, der die früheren zusammengefasst hat: "Eines Morgens", schreibt er, "am Fest Kreuzerhöhung (14. September), als er auf einer Seite des Berges Alverna im Gebet verweilte, sich mit engelsgleicher Inbrunst zu Gott erhob und sich im Geist in Ihn versetzte, der durch das Übermaß seiner Liebe für uns hat gekreuzigt werden wollen, sah er, wie ein Seraph mit sechs glänzenden und feurigen Flügeln aus den Höhen des Himmels zu ihm herabstieg. Der Seraph kam im eiligen Flug ganz in die Nähe des Heiligen; dann erschien zwischen den Flügeln die Gestalt eines Gekreuzigten, dessen Hände und Füße ausgestreckt und an ein Kreuz geheftet waren. Der Seraph hatte zwei Flügel auf dem Kopf, von denen zwei zum Flug ausgebreitet waren, und mit den beiden anderen bedeckte er den ganzen Körper. Die Erscheinung ließ beim Verschwinden eine engelsgleiche Glut in seiner Seele zurück, und sein Fleisch wurde mit nicht weniger bewunderungswürdigen Eindrücken gezeichnet. Denn sofort begannen in seinen Händen und Füßen die Wundmale der Nägel zu erscheinen, die er soeben im Bild des Gekreuzigten geschaut hatte. Ja, man sah seine Hände und Füße in der Mitte von Nägeln durchbohrt. Die Köpfe der Nägel waren rund und schwarz; die Spitzen waren lang, verbogen und wie mit einem Hammer umgeschlagen, sie ragten aus dem Fleisch empor . . . und seine rechte Seite war wie von einer Lanze durchbohrt, durch eine rote Wunde geöffnet, aus der oft geheiligtes Blut herausfloss, welches seinen Rock und das Tuch, mit dem er seine Lenden umgürtet hatte, durchfeuchtete."

 

Dies trug sich im Jahr 1224 zu, zwei Jahre vor dem Tod des Heiligen. Am Tag nach seinem Tod erklärte Bruder Elias, der Nachfolger des heiligen Franz als Generaloberer des Ordens, feierlich, dass man ein solches Wunder bisher nicht gekannt hatte. "Ich verkünde Euch eine große Freude, ja, ein neues Wunder", schreibt er in einem Rundschreiben an die Provinzoberen. "Bisher hat man zu keiner Zeit von einem so großen Wunder gehört, außer von Christus, dem Sohn Gottes, unserem Herrn; denn kurz vor seinem Tod erschien unser Vater und Bruder Franziskus gekreuzigt, mit den fünf Wunden an seinem Körper, die in Wahrheit die Wundmale Christi sind; seine Hände und Füße waren wie von eigeschlagenen Nägeln durchbohrt, oben und unten, so dass die Wundmale offen blieben und schwarz wie Nägel aussahen, während seine Seite einen Lanzenstich erhalten zu haben schien, aus dem das Blut oft heraustropfte."

 

Es liegen so viele und eindrucksvolle Zeugnisse vor, dass die Wahrheit dieser Stigmatisation nicht in Zweifel gezogen werden könnte. Darüber hinaus hat die Kirche dieses Geschehen für authentisch erklärt, wie aus den Bezeugungen der Päpste von Gregor IX. und Innozenz IV. bei Pius XI. hervorgeht, sowie aus der Einsetzung eines liturgischen Festes am 17. September, das auch der neue Kalender wieder enthält. Dieses Fest war zunächst, seit der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, durch Erlass der Päpste Benedikt XI. und Benedikt XII. dem Franziskanerorden vorbehalten, dann wurde es auf Bitten des heiligen Robert Bellarmin im Jahr 1615 durch Paul V. auf die ganze Kirche ausgedehnt und, nachdem es unter Klemens XI. als verbindlich verkündet war, durch Klemens XIV. zu besonderem Ritus erhoben. 

 

Man kann mit Sicherheit sagen, dass die Stigmatisation des heiligen Franz von Assisi, die als erste glaubwürdig nachgewiesen und unbestreitbar mit der Heiligkeit verbunden ist, historisch ist. Ist es bei den anderen ebenso?

 

Die Anzahl der Stigmatisationen

 

Im 19. Jahrhundert hat der Arzt A. Imbert-Goubeyre versucht, die seit der Stigmatisation des heiligen Franz von Assisi bekanntgewordenen Fälle zu registrieren. P. Thurston wirft ihm jedoch vor, dass er nicht kritisch genug vorgegangen sei, zweifelhafte Fälle anführe, authentische Fälle weglasse und nicht berücksichtige, dass bei der Verschwiegenheit der Klöster dort sicherlich aufgetretene Fälle der Öffentlichkeit immer verborgen bleiben würden. Doch kann seine Aufzählung, wenn man sie da und dort berichtigt, als Grundlage dienen. Er führt 321 Fälle an, bei denen seiner Ansicht nach ein göttlicher Einfluss anzuerkennen wäre. Das ist zweifellos viel, aber wenig angesichts der Zahl der Heiligen, selbst wenn man nur die nach Franz von Assisi Heiliggesprochenen in Betracht zieht. Man wird nicht fehlgehen, an 330-350 erwiesenen Fällen festzuhalten. Etwa 80 davon entfallen auf Heilige; es gibt also viele Stigmatisierte, die nicht heiliggesprochen wurden.

 

Noch eine andere wesentliche Beobachtung ist festzuhalten. Die von Imbert-Goubeyre aufgestellte Liste enthält etwa 50 Männer und fast 300 Frauen, also überwiegend Frauen. Weiterhin glaubt P. Thurston, ein Spezialist auf diesem Gebiet, die Anzahl der stigmatisierten Männer sei stark herabzusetzen. Er wäre geneigt, nur den Fall des heiligen Franziskus und den in jüngster Zeit bekanntgewordenen Paters Pio in dem Franziskanerkloster von S. Giovanni Rotondo in der Nähe von Foggia (Italien) anzuerkennen und höchstens zwei, drei weitere Fälle hinzuzurechnen, den des seligen Karl von Sezze (1613-1670) und vielleicht auch noch den des P. Julien de la Croix, der 1663 gestorben ist.

 

Danach scheint also die Stigmatisation vorzugsweise bei Frauen aufzutreten. P. Thurston bemerkt hierzu: "Wenn wir die äußerste Strenge in der Lebensführung und die besondere Verehrung der Passion Christi bedenken, die bei den Heiligen Johannes vom Kreuz, Peter von Alcantara, Bernhard von Siena, Philipp Neri, Paul vom Kreuz, Leonhard von Porto Maurizio und Alfons von Liguori auffällig stark ausgeprägt sind, von den betrachtenden Orden, wie z.B. den Trappisten oder den Karthäusern, gar nicht zu sprechen, scheint uns diese Ungleichheit der Geschlechter im Erleben der Stigmatisation eine außergewöhnliche Tatsache zu sein."

 

Unter den Heiligen kann man übrigens auch erhebliche Unterschiede feststellen. Wir brauchen nur zwei fast zeitgenössische Heilige herauszugreifen: Therese von Lisieux (1873-1897) und Gemma Galgani (1878-1903), von denen die erste nicht, die zweite dagegen in sehr starkem Maße stigmatisiert war. Es wäre unmöglich anzunehmen oder überhaupt daran zu denken, dass die erstere die Passion des Heilandes weniger stark und mit geringerer Anteilnahme empfunden hätte als die letztere.

 

Man kann also aus dem Vorhandensein oder dem Fehlen der Stigmatisation keinerlei Folgerungen hinsichtlich der Intensität des mystischen Erlebens ziehen. So war Katharina von Siena - unsichtbar, wie wir bereits sagten - stigmatisiert, während die heilige Theresia von Avila, die mit Recht als große Mystikerin gilt, es nicht war, wenn man nicht die "Durchbohrung des Herzens" bei ihr als eine Art Stigmatisation betrachtet. Tatsächlich stellte man nach ihrem Tod bei der Öffnung des Körpers einen Riss im Herzen fest, der zweifellos der Wunde entsprach, die sie bei der "Durchbohrung des Herzens" durch den Erzengel erlitten hatte.

 

Interessant ist die Auffassung, die der heilige Johannes vom Kreuz bei Gelegenheit einer falschen Stigmatisation zum Ausdruck brachte, die aber so allgemein gehalten ist, dass sie auf die Mehrzahl der entsprechenden Fälle angewandt werden kann. Wir entnehmen unsere Darstellung dem Kapitel "Die Stigmatisierte von Lissabon" aus dem Buch von Msgr. Christiani über Johannes vom Kreuz.

 

Johannes vom Kreuz und die Stigmatisation

 

Im Frühjahr 1585 fand ein allgemeines Kapitel des Ordens der unbeschuhten Karmeliter in Lissabon statt. In dieser Stadt befand sich eine bekannte Stigmatisierte, Schwester Marie von der Heimsuchung, die Oberin des Klosters der Dominikanerinnen von Mariä Verkündigung. Alle Welt kam, sie zu sehen. Sie hatte Stigmata an den Händen, an den Füßen und an der Seite. In den Augen ihrer Bewunderer war sie eine echte Stigmatisierte, und ihr Fall wurde von den Theologen diskutiert wie in unseren Tagen der Fall der Therese Neumann. Die meisten waren der Ansicht, dass ihre Stigmatisation als Wunder anzusehen und auf göttlichen Einfluss zurückzuführen sei. Nur Johannes vom Kreuz hielt sich zurück. Seine Haltung überraschte seine Mitbrüder, die ihm daraus fast einen Vorwurf machten. Einer von ihnen, P. Augustin de los Reyes, lud ihn ein, mit ihm hinzugehen und sich die Nonne anzusehen. Johannes vom Kreuz wurde sehr ernst und antwortete darauf nur: "Warum wollt Ihr Euch einen Betrug ansehen? Schweigt, und Ihr werdet sehen, wie der Herr dieses Geschehen ins rechte Licht rücken wird!"

 

P. Augustin ließ sich nicht überzeugen und ging, die Nonne mit den fünf blutenden Wunden zu sehen. Bei der Abreise aus Granada war Johannes vom Kreuz von seinen Mönchen bedrängt und inständig gebeten worden, Reliquien von der Stigmatisierten aus Lissabon mitzubringen. Alle anderen taten es, Johannes vom Kreuz als einziger nicht. Bei der Rückkehr nach Granada merkte er, dass sein eigener Reisebegleiter, P. Bartolomé de San-Basilio, eindrucksvolle Erinnerungsstücke an die Stigmatisierte an sich genommen hatte: Wäsche, die von ihrem Blut gefärbt war, Fläschchen mit Wasser, in dem sie ihre Hände gewaschen hatte, und Bilder von ihren Wunden. Johannes vom Kreuz ließ alles wieder zurückgeben, und als er im Kloster de Los Martires, dessen Oberer er war, von seinen Mönchen wegen der portugiesischen Schwester mit Fragen bestürmt wurde, antwortete er fest: "Ich habe sie weder gesehen, noch habe ich sie sehen wollen, weil ich mich meines Glaubens geschämt hätte bei dem Gedanken, dass dieser nur durch ein Stück Wäsche oder ein Schauspiel dieser Art wachsen könnte!"

 

Tatsächlich wurde genau 3 Jahre später erkannt, dass die Nonne ihre unzähligen Besucher getäuscht hatte. Sie wurde durch die Inquisition zur strengsten Buße verurteilt und starb später gottergeben.

 

Man könnte noch einige andere Fälle anführen, die sich als "betrügerische Stigmatisation" erwiesen. Wir denken dabei nur an den Fall von Palma d`Oria (Kalabrien) unter Pius IX. In der Gesamtausgabe der Werke von Msgr. Barbier de Montault findet man einen Bericht über eine Privataudienz, die diesem von Pius IX. im Jahr 1875 gewährt wurde.

 

"Ich habe über Palma eine Untersuchung durchführen lassen", sagte ihm der Papst. "Auf Grund des mir vorgelegten Berichtes habe ich den Fall an das Hl. Offizium zurückgegeben, das alle Vorgänge als teuflisch erkannt hat. Das Hl. Offizium ist zum Schweigen verpflichtet, aber ich bin es nicht. Bewahren Sie also wohl, was ich Ihnen sagen werde. Was in Palma geschehen ist, ist das Werk des Teufels. Die angeblich wunderbaren Kommunionempfänge mit Hostien von St. Peter sind reiner Betrug. Alles Geschehen in Palma ist unecht. Ich habe in der Schublade meines Schreibtisches die Beweise dafür. Sie hat viele fromme und leichtgläubige Seelen getäuscht."

 

Schlussfolgerungen

 

Man könnte dieses Thema noch endlos lange fortsetzen. Wir begnügen uns hier damit, zwei interessante Überlegungen hervorzuheben, die in dem neuen Werk von P. Thurston "Die physischen Erscheinungen des Mystizismus" aufgezeigt sind.

 

Die von einigen Medizinern, wie z.B. Charcot, versuchten Erklärungen und die Ansicht derjenigen, die alles auf Hysterie zurückführen wollen, aber sind überholte Theorien, mit denen man sich nicht aufzuhalten braucht.

Nicolas Corte

"Ecclesia", Paris 1962

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12. Spanien

 

Ein Anruf beim Bischof von Lourdes

       

17. Oktober 1940, Der Bischof von Lourdes Exzellenz Théas, horcht gespannt ins Telefon. Ein Anruf von Montauban bittet ihn dringend an das Sterbelager des Expräsidenten von Spanien, Azaña y Diez.

 

Während der Wagen durch die Häuser davonschießt, sucht sich der Priester an die Gestalt des Mannes, der ihn ruft, zu erinnern: hochgewachsen, breitschultrig, grob geschnittenes Kinn unter einem harten, breiten Mund, dunkle Augen hinter den behornten Brillengläsern. Azaña war Schriftsteller, republikanisch-kirchenfeindlicher Politiker, Kriegsminister, Ministerpräsident und seit 1936 Präsident der roten Republik. Seine Politik zielte eindeutig auf die Vernichtung der katholischen Kirche. Im Parlament rief er aus: „Spanien hat aufgehört, katholisch zu sein“, ein andermal: „Ich trage in mir den Engel des Hochmutes!“ Bei dem Zusammenbruch der roten Diktatur des Proletariates war Azaña nach Frankreich geflüchtet. Nun liegt er im Sterben. Er will vor Gott treten, um Rechenschaft über seine Verwaltung abzulegen. Es waren die Jahre 1936-39, da in Spanien die Zahl der getöteten Priester, Mönche und Nonnen in die Tausende ging und Kirchen, Klöster und religiöse Symbole geschändet wurden. In der Landschaft Katalonien allein erlitten zwischen dem Juli 1936 und April 1937 einundzwanzig Kapuziner, 9 Laienbrüder und 7 Seminaristen den Märtyrertod. Vom Juli bis zum November 1936 verloren 28 Jesuiten in der Provinz Aragon das Leben. Die Benediktiner am Montserrat zählten 30 ermordete Patres. Am 1. Juli 1936 hatte ein Hirtenbrief der spanischen Bischöfe festgestellt, dass nicht weniger als 2000 Kirchen vollständig zerstört oder ausgeplündert und 6000 Weltpriester bis zu diesem Datum ermordet worden seien.

 

Azaña schickte sich also an, mit dem lieben Gott über diese Jahre zu sprechen. Wie weit er persönlich für jede Brandfackel und Kugel verantwortlich ist, wird sich dann klären. Im Augenblick ist nur eines wichtig, er ruft den Priester. Was will er? Der Bischof wirft den Wagenschlag zu und schreitet raschen Schrittes durch die Gänge des Hospitals, er klopft, er tritt ein.

 

Der Kranke richtet sich auf: „Dank, Monsignore, dass Sie gekommen sind! Ich wünsche in der katholischen Kirche zu sterben!“

 

Bischof Théas reicht ihm sein Kruzifix. Präsident Azaña küsst es mit den Worten: „Jesus, Verzeihung, Barmherzigkeit!“ Dann beichtet er.

 

War es diese Stunde, die Gott den jungen Laienbruder der Gesellschaft Jesu aus Kolumbien in Südamerika in jenem Gesicht schauen ließ, das er vor dem Tod hatte? Bruder Apaolaza litt an der Schwindsucht und bot Gott sein Leben an für die Bekehrung Azañas. Er starb mit der Gewissheit, sein Opfer sei angenommen.

 

Bischof Théas eilte aus dem Krankenzimmer. Als er kurze Zeit später mit der heiligen Wegzehrung und dem heiligen Öl zurückkommt, verweigert ihm ein Unbekannter den Eintritt: „Der Präsident ist herzleidend, und das kann ihm schaden!“

 

Fünfmal versucht der Bischof in das Zimmer einzudringen, fünfmal wird er abgewehrt. Da erreicht ihn um Mitternacht der telefonische Anruf von Frau Azaña: „Kommen Sie, bitte, sofort.“

 

Als der Bischof über die Schwelle tritt, brennt die Sterbekerze. „Ich bekenne vor Gott, dem Allmächtigen“, betet der Kranke mit letzter Kraft, und der Priester antwortet: „Es erbarme sich deiner der allmächtige Gott.“ Ein erschütternder Augenblick, der kleine Mensch und das große Erbarmen, Azaña stirbt mit Gott.

 

Als am anderen Tag der Konsul von Mexico, der auch das Hotel des Präsidenten bezahlt hatte, ohne die Witwe zu fragen, die zivile Beerdigung anordnete, ahnte das buntblasierte Volk um den Grabhügel nicht, welches Wunder Gott getan hatte.

 

Aus „Stadt Gottes“, Kaldenkirchen 1954

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13. Strick

 

Der Strick der Franziskaner

       

Die Welt kennt dieses Symbol nicht mehr

von Piero Bargellini

aus „Città di Vita“, 1949

 

In der „Legende der drei Begleiter“ steht in dem Kapitel, in dem erzählt wird, wie St. Franziskus, als er die Lehren und Gleichnisse des Evangeliums Christi gehört und begriffen hatte, das Gewand wechselte und ein neues inneres und äußeres Kleid der Vollkommenheit anzog, unter anderem: „Und von nun an benutzte er weder Stock noch Tasche oder Geldbeutel; er verfertigte sich eine verachtete, plumpe Kutte, warf seinen Ledergürtel beiseite und nahm ein Stück Hanfseil als Gurt.“

 

Seitdem ist der Strick das sichtbarste Zeichen des franziskanischen Geistes geworden, und sich mit dem Strick gürten bedeutet die Regel des heiligen Franziskus annehmen.

Um die ganze Bedeutung dieser Handlung zu verstehen, muss man sich daran erinnern, was der Ledergürtel im Mittelalter bedeutete.

 

Er war der sichtbarste Schmuck der männlichen und weiblichen Kleidung, so dass Dante, als er die raue Einfachheit der alten Florentiner loben wollte, sie „mit Leder und Bein gegürtet“ nannte. Er berief sich also nur auf diesen einzigen Teil ihrer Kleidung, den Ledergürtel mit beinerner Schnalle.

 

Wer sich im Mittelalter geschniegelt kleidete, besaß keine Innentaschen im Gewand, vielmehr wurde alles im Gürtel getragen, für den es die vielfältigsten Schließen gab. Noch heute heißt eine Straße in Florenz die der Gürtelschließenmacher (fibbiai). So war der Gürtel von höchster Bedeutung nicht nur als Schmuck, sondern auch als Träger der verschiedensten Gegenstände. An den mehr oder weniger verzierten und mehr oder weniger reich besetzten Gürteln unterschied man die Angehörigen der verschiedenen sozialen Schichten.

 

Die Adeligen trugen ihre Waffen am Gürtel, die Ratsherren Schlüssel und Siegel. Am Gürtel der Notare hingen Tintenfass und Feder oder Wachstäfelchen und Griffel, am Gürtel der Kaufleute die vom Geld schweren Beutel; nicht umsonst nannte man die Diebe „Beutelabschneider“ oder „Taschendiebe“. Am Gürtel der Stutzer aber hingen Handschuhe und bunte Tücher.

 

Wir brauchen gar nicht erst von den Gürteln der Frauen zu reden, an denen besonders sich aller Schmuck und alle Pracht entfalteten. Hier fanden sich Goldbeschläge, kunstvoll gearbeitete Schließen, kleine Spiegel, gesteppte Börsen, gestickte Tücher, Amulette und Medaillen.

 

Der Gürtel war also Symbol der Vornehmheit und des Reichtums, des Ansehens und der Macht sowie der Kultur und Eleganz.

 

Als Franziskus den vornehmen Gürtel auszog und sich stattdessen einen einfachen Strick um den Leib gürtete, wollte er mit dieser einen Handlung gewissermaßen alles von sich weisen und verweigern, was sich mit diesem Gürtel verband: Waffen und Schreibgerät, Geldbörse und Schlüssel, Tand und Putz und alle Bequemlichkeiten des vornehmen Lebens. Er tat damit kund, dass er unbewaffnet bleiben wollte unter Bewaffneten, arm unter den Reichen, gering und verachtet unter den Stolzen, bescheiden unter den Mächtigen, einfach und unverbildet unter den Gelehrten, abgehärtet und natürlich unter den Verweichlichten.

 

Das Schwert am Gürtel bedeutete materielle Macht und Gewalttätigkeit der Gesinnung. Franziskus dagegen legte sich und seinen Jüngern das Gelübde des Gehorsams und der Erniedrigung auf. Die Börse bezeichnete den Reichtum und den Geiz; Franziskus aber legte mit seinen Jüngern das Gelübde der Armut ab. Der Schmuck schließlich bedeutete den Luxus, Franziskus und seine Jünger dagegen gelobten ewige Keuschheit.

 

Ein Mädchen aus Assisi begriff diese franziskanische Lehre und wollte diesem Beispiel der freiwilligen Erniedrigung folgen. Auch sie, Klara, wird den reich verzierten Gürtel der Frauen jener Zeit getragen haben, mit kostbaren Beschlägen und Anhängseln, darunter die „französischen Börsen“ (so genannt, weil sie mit der französischen Mode ins Land gekommen waren). Klara jedoch zog eine andere Mode vor, die franziskanische des Sohnes des Pietro Bernardone. Auch sie legte den vornehmen Gürtel aus Leder mit seinen kostbaren Edelmetallbeschlägen ab und gürtete ihre zarten, keuschen Hüften mit dem rauen Hanfseil, dem Zeichen des Verzichts, der Buße und des Opfers. So wurde auch sie eine Heilige.

Dante spricht von der ersten franziskanischen Gemeinschaft und nennt den Strick, das gewöhnliche Hanfseil, als ihr gemeinsames Band:

 

So, mit der Gattin, in der Brüder Mitten,

Die frommer Demut Strick gegürtet schon,

Ist, Vater er und Meister, vorgeschritten.

(Paradies XI, 85-87)

 

Sicherlich war auch der Dichter Mitglied des franziskanischen Dritten Ordens und trug den Strick um die Hüfte, wie er an einer anderen Stelle seiner göttlichen Komödie, in der Begegnung mit Gerau, merken lässt:

 

Mit einem Stricke hatt‘ ich meine Lende

Gegürtet, da des Panthers Krallen drohten,

Dass er das Tier im bunten Fell mir bände.

 

Der Panther gilt nach der üblichen Bedeutung als Symbol des Luxus‘, dessen Dante an verschiedenen Stellen gedenkt, d.h. den er zu überwinden hofft. Doch S. Franziskus überwand nicht nur eine der drei Bestien, sondern fing sie alle drei in der Schlinge seines grauen Strickes.

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14. Selbstmord

       

Vom Regen in die Traufe

 

Von Richard Ginder

Zusammenfassung aus „Our Sunday Visitor“,

Huntington, Indiana, 11. April 1948

 

Zeiten der Verwirrung und der Not sind immer auch Zeiten häufiger Selbstmordfälle. Man hört dann Redensarten wie „er hat seine Ruhe“, „er hat es besser“ oder, wenn der Selbstmord mit irgendeinem öffentlichen Ereignis im Zusammenhang stand, „er ist ein Märtyrer seiner Sache geworden“.

 

All dies ist Unsinn! Selbstmord ist Feigheit! Man wird nicht dadurch zum Märtyrer, dass man von einem Wolkenkratzer herunterspringt, wenn die Lage kritisch ist. So billig wird man nicht zum Märtyrer.

 

Sich selbst das Leben nach eigener Entscheidung zu nehmen, ist an sich eine Todsünde. Wir sagen ausdrücklich „an sich“, weil es aus dem einen oder anderen Grund Fälle geben kann, dass einem Selbstmord nicht das Verwerfliche einer solchen Handlung zukommt.

 

Im Alten Testament befiehlt das fünfte Gebot: „Du sollst nicht töten!“ „Das heißt weder deinen Nächsten noch dich selbst“, bemerkt der heilige Augustinus dazu, „denn der, der sich selbst umbringt, tötet ja auch ein menschliches Leben.“

 

Der Mensch besitzt nur ein indirektes Eigentum über seinen Körper, der ihm gegeben wurde, um Gott zu verherrlichen und nach Gottes Vorsehung sein Seelenheil zu erreichen. Daher muss sich der Mensch Gottes Willen unterwerfen und es ihm überlassen zu entscheiden, wann sein Leben auf Erden zu Ende geht. Sonst würde ja der Mensch sich anmaßen zu versuchen, Gottes Plan zu vereiteln. Durch den Selbstmord beendet der Mensch nicht nur die ihm gegebene Gelegenheit, sich noch mehr Verdienste für die Ewigkeit zu erwerben, sondern verliert Gott und zieht sich die Verdammnis zu, mit anderen Worten, er verpfuscht damit in nicht gutzumachender Weise seine ganze Existenz.

 

Dazu kommt noch die andere Tatsache, dass kein Mensch für sich allein lebt. Jeder lebt als Mitglied seiner Familie und der Gesellschaft. Jeder hat eine Aufgabe in der Gemeinschaft, selbst wenn diese nicht anerkannt würde. Der gesunde Mensch kann, sagen wir, Schreiner, Arzt, Straßenkehrer sein. Der kranke kann durch geduldiges Leiden Gnade erwerben. Alle diese Aufgaben werden durch den Selbstmord vernichtet, der, wie Chesterton sagt, eine Beleidigung und eine Herausforderung Gottes darstellt.

 

Die gewöhnlich gegen die christliche Einstellung zum Selbstmord erhobenen Einwendungen sind die folgenden:

 

1. Der Mensch gerät oft in eine so schlimme Lage, wird von Schmerzen und Not so gepeinigt und niedergeschlagen, dass es gerechtfertigt erscheint, lieber den Tod zu wählen als eine lebendige Hölle. Aber der Selbstmörder übersieht in solchen Umständen den Zweck des Lebens. Der Mensch ist in erster Linie nicht hier auf Erden, um das Leben zu genießen oder sogar, um nur ein Minimum an natürlichem Glück zu haben. Sein erster Daseinszweck ist, seine Seele zu retten, ganz gleich in welche äußeren Umstände er nach Gottes Zulassung gerät. Ich bin mir zwar wohl bewusst, dass ich dies in einem bequemen Studierzimmer inmitten all der Annehmlichkeiten eines Gelehrtendaseins schreibe. Aber ich habe die Überzeugung, dass Gott uns so viel Gnade und Stärke sendet, wie zu jeder Heimsuchung gehört. Niemand wird über seine Kräfte versucht. Und außerdem ist es eine Tatsache, die wir in der Nachkriegsliteratur in vielen Beispielen finden, dass Menschen auch hinter dem Stacheldraht der Kzs Gipfel heroischer Tugenden erstiegen haben. Natürlich gab es auch solche, die den schrecklichen Prüfungen, denen sie ausgesetzt waren, erlagen. Nur Gott kann ein barmherziges und gerechtes Gericht über ihre Taten und ihre Beweggründe fällen.

 

2. Ist Selbstmord nicht der Schande vorzuziehen?

 

Durchaus nicht. Wird ein Mensch ungerecht beschuldigt, so nimmt ihm ja der Selbstmord jede Möglichkeit, seine Ehre wieder herzustellen. Sind die Anklagen aber wahr, dann nützt es ihm auch nichts, wenn er freiwillig von der Bühne des Lebens abtritt. Das Vernünftigste ist dann, in einem solchen Fall seinen guten Namen dadurch wiederherzustellen, dass man ein ehrliches und gerechtes Leben zu führen beginnt.

 

3. Bei drohender Vergewaltigung hat manche Frau schon den Tod vorgezogen.

 

Die Reinheit ist aber eine übernatürliche Tugend, die in der Seele wurzelt. Sie wird nicht durch das beeinträchtigt, was der Körper unter Zwang erleidet. Dies wird nur unvernünftiger Weise als eine gesellschaftliche Schande angesehen. Schließlich ist zu bedenken, dass niemand eine Sünde begehen darf, um Schande oder Bemitleidung durch andere zu vermeiden.

 

4. Hoffnungslos Unheilbare sind oft sich selbst und den Menschen ihrer Umgebung eine Last. Es bedeutet für die anderen eine Wohltat, wenn sie sich selbst umbringen, sagt man.

 

Doch auch die Unheilbaren haben als lebende menschliche Wesen einen Ehrenplatz auf der Welt. Durch geduldiges Leiden vermehren sie ihre eigenen Verdienste und ziehen Gottes Gnade herab auf die Welt. Für ihre Umgebung aber bedeuten sie eine Gelegenheit, geduldiges Ertragen und Nächstenliebe zu beweisen. Ihr Leben wird dadurch fruchtbarer im Übernatürlichen.

 

Mit unserem Urteil über einen Selbstmörder müssen wir immer zurückhalten. Ein solch armer Mensch kann geisteskrank oder außer sich vor Vorwürfen und Angst gewesen sein. Er mag auch nicht unterrichtet genug in der christlichen Lehre oder überhaupt kein Christ gewesen sein. Wir können nur beten, dass Gott sich seiner Seele erbarmen möge.

 

Der Selbstmord aber ist immer der falsche Ausgang. Hier kommt man stets vom Regen in die Traufe. Er ist eine so hässliche und unnatürliche Sünde, dass die Kirche dem Selbstmörder das kirchliche Begräbnis verweigerte.

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15. Schutzengel

 

Ein Brief an meinen Schutzengel

       

Brief eines Singhalesen: J.P. De Fosenka

Aus „Ceylon Catholic Messenger“

Colombo Ceylon

 

Wenn ich diesen Brief geschrieben habe, nehme ich mir nicht die Mühe, ihn Dir mit der Post zu schicken, da ich weiß, dass er auch so zu Dir kommen wird, ohne dass ich ein höheres Porto zahlen oder „mit Luftpost“ darauf schreiben muss.

 

Ich kann ihn in Englisch schreiben, kann ihn aber auch – vorausgesetzt, dass ich es fertigbringe – in Latein, Griechisch, Hebräisch oder irgendeiner anderen Sprache schreiben.

 

Ich weiß, dass Du alle Sprachen verstehst, ohne dass Du Dich erst bemühen musst, sie zu erlernen. Ich armer Mensch aber muss die Regeln der Grammatik und des Stils beachten. Den Schutzengeln in schlechtem Latein zu schreiben, hätte aber wohl keine andere Wirkung als die, ihnen ein wenig Zerstreuung zu verschaffen inmitten der Plagereien, die sie mit ihren Schützlingen haben.

 

Die gewöhnliche Formel, deren Gebrauch die Kirche empfiehlt, ist jetzt das fromme tägliche Gebet zum Schutzengel geworden. Man spricht es allgemein vor dem Einschlafen, und es beruht auf dem durchaus einwandfreien Glauben, dass die Engel nicht schlafen.

 

Du wirst verstehen, wie schwer, um nicht zu sagen beinahe unmöglich es für uns armselige irdische Wesen ist, sich einen Begriff davon zu machen, was ein Engel ist, wozu noch kommt, dass eine Reihe Menschen so völlig aufgehen in den Dingen der Erde, dass sie die Vorstellung eines Geistes überhaupt ablehnen. Freilich versuchen künstlerische Werke – Frucht der begrenzten Phantasie der Menschen – uns dabei zu helfen, indem sie die Engel nach unserem Bild- und Gleichnis darstellen, ihnen jedoch noch Flügel anheften. Dieses Verfahren trägt den schrecklichen Namen „Anthropomorphismus“ (Vermenschlichung des Göttlichen). Welche Verwirrung wäre das für euch und auch für mich, wenn wirklich ein solcher Engel in menschlicher Gestalt mich überall begleiten würde und wenn alle meine Brüder in gleicher Weise von den ihrigen begleitet würden!

 

Diese Engel der künstlerischen Schöpfung bieten jedoch den Vorteil, uns an eure Existenz zu erinnern, die wir nur zu leicht immer wieder vergessen. Ich kann Dich weder sehen noch hören noch fühlen, aber ein himmlischer Wohlgeruch strömt sicherlich von Deiner beständigen Nähe aus.

 

Um mir Deine Gegenwart vorzustellen, muss ich mich über mich selbst erheben, und wenn ich versuche, Dich mir vorzustellen, zerbricht fast mein armer Kopf, denn sich ein geistiges Wesen vorzustellen bedeutet eine Anstrengung, die an die Grenzen unserer Natur reicht. In der Lebensbeschreibung eines Heiligen unserer Zeit, eines frommen französischen Priesters, P. Lamy, schildert uns der Verfasser, wie sehr sich diese heilige Seele der Gegenwart der Schutzengel anderer, bewusst war. Wenn P. Lamy einen Christen grüßte, sagte er zu ihm: „Seid gegrüßt beide“. „Beide“ sollte heißen: der Angeredete und sein Engel. Ebenso sagte er, wenn er von sich sprach, nicht „ich“, sondern „wir“, nämlich er und sein Engel. So sagt er z. B.: „Wir freuen uns, euch zu sehen“ oder „Wir wollen jetzt spazieren gehen.“

 

Man sagt, dass dieser heilige Mann gewöhnlich seinen Schutzengel sah, was in der Tat den Gebrauch der Mehrzahlform besonders rechtfertigte. Aber dies war eine außerordentliche Gnade. P. Lamy jedoch sah bei all seiner Bescheidenheit darin nichts Anormales.

 

Verleihe uns gewöhnlichen Sterblichen, die wir nicht diese Gabe des P. Lamy haben, dass wir von Zeit zu Zeit an Dich denken! Lass uns zum Bewusstsein werden, dass, wenn wir unseren Fuß nicht an einen Stein gestoßen haben, dies daher kommt, dass Gott seine Engel beauftragt hat, alle unsere Schritte zu bewachen. Der berühmte Psalm 90 veranlasst uns, uns immer an die Dienste zu erinnern, die ihr Schutzengel treu eurer Aufgabe der Beschützung, die ihr vom Himmel erhalten habt, ohne Unterlass erfüllt. Der Psalm versichert, dass ich dank dieses Schutzes über Schlangen und Nattern schreiten und den Kopf des Löwen und des Drachen zertreten kann. Normalerweise wäre dies ein tollkühnes Unternehmen, aber dieses Versprechen könnte sich bewahrheiten, wenn mein Vertrauen auf Dich felsenfest und von der Art wäre, wie es Pater Lamy hatte. Derselbe Psalm von den Engeln spricht von Gefahren wie „den Schrecken der Nacht“ und „dem fliegenden Pfeil bei Tag“ und dem „Angriff und dem Dämon des Mittags“. Die Menschen, welche die schrecklichen Jahre des zweiten Weltkrieges erlebt haben, wissen, dass das keine bloßen rednerischen Ausdrücke sind. Auch die Worte Jakobs, Judiths und des Tobias und das 23. Kapitel des zweiten Buches Mose lehren mich deutlich, dass Du immer an meiner Seite bist. Der hl. Bernhard sagte: „In jedem Zimmer, in jeder Ecke bezeigt eure Ehrfurcht eurem Engel. Wollt ihr es wagen, vor ihm das zu tun, was ihr nicht wagen würdet, wenn ich euch sähe?“

 

Der heilige Thomas von Aquin, den man den Engelgleichen nannte, der aber trotz seiner beispiellosen Intelligenz noch weit, sehr weit von der Vollkommenheit der wahren Engel entfernt war, gab auf Fragen über die Natur der Engel folgende Antworten: „Kann ein Engel der Tätigkeit des Teufels entgegenarbeiten oder sie zuschanden machen? Ja. Haben die Menschen einen Schutzengel? Ja. Einen für jeden einzelnen. Sind alle Menschen ohne Ausnahme dem Schutz eines Engels anvertraut? Ja, so ist es. In welchem Augenblick wird dieser Engel dem Menschen zugeteilt? Im Augenblick, in dem der Mensch auf die Welt kommt.

 

Verlässt der Engel den Menschen zuweilen? Nie, bis zum letzten Augenblick, den der Mensch auf Erden verbringt. Ist es ratsam, sich oft und in allen Lagen seinem Engel anzuvertrauen? Ja, das ist etwas Ausgezeichnetes.

 

Kann man unfehlbar seines Schutzes sicher sein, wenn man ihn anruft? Ja, vorausgesetzt, dass die Bitte im Einklang mit den ewigen Beschlüssen Gottes steht.

 

Sind die Engel traurig über die Sünden derer, die sie beschützen? Nein. Nachdem sie versucht haben, was in ihren Kräften steht, dass die Sünde nicht begangen wird, beten sie, wenn sie doch begangen worden ist, auch darin wie in allen Dingen die Geheimnisse der göttlichen Vorsehung an.“

 

Aber es ist vergebens, euch all dies zu sagen, sogar mit den Worten eines heiligen Thomas. Ihr Engel wisst, was im Menschen ist; der Mensch aber muss lernen, den Engel zu verstehen.

 

Ein Engel kann kein besserer Engel werden, aber ein Mensch kann sich in einen besseren Menschen verwandeln. Gib mir Deine Hilfe, o Engel, damit ich mich bessere. Bekommen die Engel eine neue Aufgabe, wenn ihre Mission zu Ende ist? Sind in diesem Fall alle Dienste, die sie im Lauf der Jahrhunderte geleistet haben, in Büchern aufgeschrieben? Das sind Fragen, die ich mir vorlege. Ich habe noch niemals eine Lehre darüber gefunden, auch nicht beim heiligen Thomas. Auf jeden Fall wäre ich neugierig, zu wissen, wer der Schutzengel des heiligen Thomas war.

 

Und damit grüße ich dich.

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16. Staat und Religion

       

Alle Weltweisen der alten Kulturvölker waren sich einig darüber, dass ein Staat ohne Religion zu Grunde gehen muss. Die Begriffe Gott, Unsterblichkeit, Gerechtigkeit, Sünde, Erlösung sind nach ihrer Überzeugung keine Erfindung der Priester, sondern Begriffe, die auf der Wirklichkeit beruhen und ganz ernst genommen werden müssen. Nicht bloß vom Einzelnen, sondern auch vom Staat. Diese Überzeugung haben besonders die Philosophen des kulturell hochstehenden Volkes der Griechen eindringlich gelehrt. Der große Aristoteles zum Beispiel nennt die Sorge für die Religion die erste Aufgabe des Staates. Platos Schriften sind voll von Hinweisen auf die Unentbehrlichkeit der Religion für die Staaten. Er will, dass man die schwersten Strafen über diejenigen verhänge, welche das Dasein der Gottheit leugnen oder vorgeben, sie bekümmere sich nicht um die Menschen. Ja, er behauptet, ein wohlgeordneter Staat müsse vor allem für die Pflege der Religion sorgen. Wer immer die Religion zerstört, vernichtet die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft. Bei Xenophon spricht Sokrates: „Siehst du nicht, dass die Staaten und Nationen, welche den größten Ruhm der Weisheit und langen Bestehens besitzen, diejenigen sind, welche sich durch Frömmigkeit und Gottesverehrung ausgezeichnet haben, und dass der Mensch nie geneigter ist, Gott zu dienen, als in dem Alter, in welchem die Vernunft die größte Herrschaft über ihn ausübt?“

 

Der Geschichtsschreiber Herodot meint: „Es ist klar, dass Kambyses verrückt geworden war, sonst würde er sich nicht vermessen haben, über Gottesdienst und religiöse Sachen zu spotten . . .: so etwas tut nur ein Verrückter.“ Plutarch nennt die Religion das Band jeder Gesellschaft und die Grundlage der Gesetzgebung. Er ist der Ansicht, eher sei eine Stadt ohne Grund und Boden möglich, als ein Staat ohne den Glauben an die Gottheit. Nach dem römischen Geschichtsschreiber Cicero haben die Römer mehr nach ihrer Religiosität als durch ihre Tapferkeit und Weisheit die Herrschaft über die Völker errungen; ohne Pietät gegen Gott, meint er, könne weder Treue noch Gerechtigkeit bestehen. Diese Anschauung von der Notwendigkeit der Religion war in Rom seit der Gründung der Stadt so selbstverständlich, dass Valerius Maximus sagen konnte: „Immer war es Grundsatz unserer Stadt, der Religion vor allen sonstigen, auch den höchsten und ruhmreichsten Gütern den Vorzug zu geben.“

 

Um auch ein Zeugnis aus neuerer Zeit anzuführen, so erklärte Washington in der Eröffnungsrede an den Kongress: „Die Religion und Moral sind die unentbehrlichsten Güter der Staatswohlfahrt: vergeblich würde der sich seines Patriotismus rühmen, welcher diese beiden Grundpfeiler des gesellschaftlichen Gebäudes umstürzen wollte. Warum hat auch Napoleon nach Niederwerfung der Revolution den Glauben an Gott und die Religion wieder mit allen Mitteln, freilich nach seiner Weise, aufzurichten gesucht? War es nicht die sichtbare Überzeugung, dass ohne Religion ein Staat nicht bestehen kann?“

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17. Salz

 

Kein Salz verschütten!

  

Dichtung und Tatsachen um Chlor-Natrium von James C. G. Conniff

Zusammenfassung aus „Columbia“, 45 Wall St., New Haven, Conn. Mai 1948

 

Ich kenne jemand, der sein Gedächtnis dazu benützt, ganz ungewöhnliche Tatsachen aufzustapeln. Er behauptet, dass ihm das helfe, im Leben vorwärtszukommen. So weiß er z.B., dass es in Borneo fliegende Küchenschwalben gibt, die 30 cm lang sind. Eine Million Pfennige würden eine Linie von 18 Kilometer bilden. In der Sowjetunion sprächen die Einwohner 146 Sprachen einschließlich Russisch. Von den letzten 4000 Jahren seien nur 268 frei von Kriegen gewesen. Noch vielerlei derartige Dinge weiß dieser gute Mann.

 

Im letzten Winter war er einmal abends in seinem Wohnzimmer beim Zeitunglesen. Ihm gegenüber stopfte seine Frau friedlich seine Socken. Von Zeit zu Zeit unterbrach ihre sanfte Stimme das häusliche Idyll, um von den vielen Problemen einer Hausfrau zu berichten, die sie während des Tages beschäftigt hatten. Mein Freund ist alt genug und kennt das schon, aber plötzlich ritt ihn der Teufel, und er holte aus seinem großen Gehirnvorratsraum eine seiner beliebten Raritäten hervor. Mit einem stillen Lächeln auf den Lippen senkte er die Zeitung und fragte ganz harmlos: „Weißt du, dass es noch heutzutage ferne Gegenden gibt, wo sich der Mann um die kleine Büchse Salz im Wert von 10 Pfennig, die du im Küchenschrank stehen hast, eine Frau kaufen kann?“

 

Als er danach wieder aus dem Krankenhaus herauskam, befasste sich mein Freund etwas näher mit dem Kochsalz. Er kam dabei darauf, dass dieser Stoff wunderbarer und wirksamer ist, als er es träumte. So war er zunächst einmal überrascht, dass er selbst von den 8 Millionen Tonnen Salz, die jährlich von 4 oder 5 großen Bergwerksgesellschaften in USA gewonnen werden, im Durchschnitt 12 Pfund konsumiert. Das ist um die Hälfte mehr, als der Durchschnittseuropäer braucht, um seine Nahrung im Jahr zu würzen. Mein Freund war schon wieder versucht, seine Frau mit dieser Neuigkeit zu überraschen. Dann besann er sich aber doch noch schnell eines Besseren, ging in die Küche hinaus und trank ein paar große Gläser Wasser. Wie er so an der Wasserleitung stand, dachte er an einige der 14.000 bekanntgewordenen Gebrauchsarten des Salzes, die er aufzählen konnte, wenn er es je hätte tun müssen.

 

Es fiel ihm ein, dass seine Frau ihm Salz zum Zähneputzen gab, wenn sie einmal vergaß, Zahnpasta zu kaufen. Er weigerte sich hartnäckig zuzugeben, dass er es jetzt sogar lieber hatte und es heimlich benutzte, auch wenn eine volle Tube Zahnpasta auf dem Toilettentisch lag. Aber ob sie wohl wusste, dass sie, wenn sie etwas Salz in die heiße Pfanne streuen würde, bevor sie ihr Fleisch darin briet, damit verhindern könnte, dass das Fett spritzte? Sein Wissen machte ihm selbstgefällige Freude. Und dann der Trick mit dem Teelöffel voll Salz im Wasser, wenn man beschädigte Eier siedet, um zu verhüten, dass das Eiweiß ausläuft. Aber diesen Trick würde sie wahrscheinlich doch kennen, so wie sie wohl auch wissen würde, wie gut Salz ist, um die Flecken im Kaffeetopf abzureiben. Aber er bezweifelte, ob sie auch wusste, dass ein paar Esslöffel davon im Waschwasser verhindern, dass die Wäsche an kalten Tagen an der Leine anfriert, oder dass eine Mischung von Salz mit der gleichen Menge doppelkohlensauren Natrons in Wasser gegen Schnakenstiche hilft.

 

Er hatte schon gesehen, wie sie nach einem harten Tag mit vielen Besorgungen ein heißes Fußbad in Salzwasser genommen hatte, und er selbst hatte erst am Abend vorher sich die Schmerzen im ganzen Körper damit vertrieben, dass er eine ganze Packung Tafelsalz in sein dampfendes Badewasser geschüttet hatte. Dieses kleine Geheimnis wollte er ihr auch verraten, aber erst, nachdem er festgestellt hätte, dass sie seine Bemerkungen, wie z.B. auch die, dass eine lauwarme Salzwasserlösung ein Mittel gegen müde, blutunterlaufene Augen darstellt, nicht übelnehmen würde.

 

Am nächsten Morgen setzte er die Kinder am Frühstückstisch in Erstaunen, als er etwas Salz in seinen Kaffee tat und leicht über seine Grapefruit streute. „das erhöht den Kaffeegeschmack“ strahlte er, „und macht die Grapefruit süßer“.

 

Der Mann an der Tankstation lächelte ungläubig, als ihm mein Freund erklärte, dass es ohne Salz wohl überhaupt kein Benzingeschäft gebe. „Nanu?“ sagte der Mann. „Wieso das?“

 

„Ganz einfach“, antwortete mein Freund, „man braucht Salz, um die Stahlteile der Autos zu härten, um das Leder zu gerben und zu beizen, um Textilien für die Polsterung, synthetischen Gummi für die Reifen und Maschineneinfassungen, Lenkräder aus Kunstharzen und Frostschutzmittel herzustellen und besonders um das Benzin zu raffinieren. Sind Sie sich dessen bewusst“, mein Freund senkte die Stimme, als ob er ein großes Geheimnis verrate, „dass es ohne Salz kein Bleitetraäthyl gäbe?“

 

„Was für ein Zeug?“ fragte der Mann.

 

„Kein Bleitetraäthyl“ wiederholte mein Freund mit Nachdruck. „Das würde bedeuten, dass es kein klopffreies Benzin gäbe. Und vielleicht auch“, fuhr er gedankenvoll fort, „keine Kriege mehr.“

 

Die Leute im Büro waren froh, dass die Zeit um war. Sie fühlten sich ganz schwach vor lauter Reden über Salz. Einer meinte, es würde ihn nicht wundern, wenn er heute Abend beim Zubettgehen Salz in seinen Schuhen finden würde. Der Chef hatte keinen rechten Genuss an seinem Abendessen, weil er immer daran denken musste, wie sehr er vom Salz abhängig war, das seine Speisen würzte, damit das Wassergleichgewicht in seinen Drüsen auf der richtigen Höhe gehalten würde. Immerhin beschloss er, im nächsten Sommer in seinem Betrieb Salztablettenautomaten einrichten zu lassen und einen verchromten Salzbehälter in den Konferenzsaal zu stellen, damit niemand durch übertriebenes Schwitzen aus Salzmangel einen Zusammenbruch erleiden würde.

 

Auf seinem Heimweg traf sein Freund einen alten Bauern, den er kannte, und fragte auch diesen, ob er wisse, wie wichtig es sei, dass das Vieh jederzeit an Salz kommen könne.

 

„Alte Weste“, brummte der Bauer. „Ich habe mehr 50-Pfund-Salzblöcke auf meinem Besitz verteilt, als ich im Februar Eier von meinen Hühnern bekomme.“

 

„Ah“, rief mein Freund aus, „die Tiere lecken wohl an den Salzblöcken, wenn sie welches brauchen, was?“

 

„Versteht sich“, murmelte der Bauer, „die Kühe haben mehr Verstand als mancher neugescheite Mensch!“

 

An jenem Abend hatten mein Freund und seine Frau einen Professor und dessen Frau als Gäste. Während des Bridgespiels brachte mein Freund seine ganze Weisheit über das Salz an. Die groben Kristalle streuen Eisenbahner und Hausmeister auf Schienen und Gehsteige, um das Eis aufzutauen. „Und Salz von der nämlichen Größe“, erzählte er seinen Partnern, „wird auch dazu benützt, um das Speiseeis gefrieren zu lassen.“

 

„Ach was?“ murmelte der Professor. „Zwei Treff.“

 

„Das Gold in Ihrem Ehering“, erzählte er dann der Frau des Professors, „hätte ohne Salz nicht gereinigt werden können. Und denken Sie, Ihre Tageszeitung wäre ohne Salz, welches das Zeitungspapier bleichen muss, einfach unleserlich.“

 

„Meine Güte!“ rief die gute Frau aus. „Ich passe.“

 

„Derselbe Stoff, der die Brezeln hier auf dem Tisch schmackhaft macht“, fuhr mein Freund unverdrossen fort, „wird mit Erde oder Ton gemischt, um den Schotter auf den Landstraßen fester zu machen. Sie können das Salz in den Regalen Ihres Krämers in seiner natürlichen Würfelform oder in Form von Flocken oder unregelmäßigen Kristallen finden, je nachdem es verarbeitet worden ist. Für die Damen mag es nützlich sein, zu wissen, dass man beim Kochen einen gehäuften Teelöffel Flockensalz für einen gestrichenen Teelöffel Würfelsalz braucht.“

 

„Tatsächlich?“ murmelte seine Frau, „Herz zwei.“

 

„Salz wird, wie Sie wissen, - ich passe -, noch heute nach der alten Verdampfungsmethode am großen Salzsee in Utah gewonnen, wo die Sonnenstrahlen seichte Salzwasserlaken eindunsten, so dass das Salz als Niederschlag am Boden zurückbleibt. Aber das meiste Salz wird entweder mittels Maschinen aus tiefen Höhlen im Bergwerksbetrieb herausgeholt, wobei es in Riesenblöcken zutage kommt, oder es wird in Form von Sole aus Bohrschächten gepumpt. Körniges Salz erhält man meist durch Eindampfen der Sole in luftleeren Pfannen.“

 

„Ich probierte es auf meiner Windschutzscheibe aus, das Eis mit Salz zum Tauen zu bringen“, sagte der Professor. „Und als es wieder wärmer wurde, fand ich heraus, dass sich die salzige Kruste, die zurückgeblieben war, in die Farbe der Motorhaube gefressen hatte.“

 

„Da hätten Sie freilich vorsichtiger sein sollen. Denken Sie an die Fußböden! Wenige Frauen wissen, dass Böden, die man mit einer starken heißen Sole schrubbt, mithelfen, Motten aus den Teppichen und Läufern herauszuhalten. Die Motten hassen das Salz.“

 

„Das kann ich mir vorstellen“, antwortete der Professor.

 

„Aber“, sagte mein Freund, „wenn Sie einen Parkettboden mit Salz reinigen, ruinieren Sie das ganze Parkett. Eine alte Sache. Genauso wie beim Entfernen von Tintenflecken aus Kleidern. Salz in Wasser ist großartig dafür, aber die Leute warten, bis der Flecken tagealt ist, und jammern dann, wenn der Trick mit dem Salz nicht mehr hilft.“

 

„Viele alte Bräuche sind wohl mit dem Salz verbunden“, meinte der Professor mit einem Seufzer.

 

„Das will ich meinen! Man wirft zum Beispiel ein bisschen Salz über die Schulter, um Unglück abzuwehren, wenn man Salz verschüttet hat, weil man meint, der Teufel stehe hinter der linken Schulter und verursache solche Unfälle. Die Menschen als das Salz der Erde zu bezeichnen, wie es Christus tat, ist eine hohe Auszeichnung. Ein guter Arbeiter, sagt man, verdient sich sein Salz.“

 

„Da werden Sie wohl auch wissen“, unterbrach ihn der Professor, „dass das Wort Salz vom lateinischen „sal“ kommt?“

 

„Und“, fuhr mein Freund triumphierend fort, „auch das englische Wort salary für Lohn kommt von diesem lateinischen „sal“, weil die römischen Soldaten einen Teil ihrer Löhnung in Salz erhielten!“

 

Der Professor lächelte und legte seine Karten nieder. „Haben Sie auch schon gehört, dass Leute um und durch Salz gestorben sind?“

 

„Oh, schon oft! Im amerikanischen Bürgerkrieg griffen die Truppen der Union Saltville im Staat Virginia an und fochten eine schwere Schlacht, um die Stadt dann zu plündern und ihr Salzbergwerk zu zerstören. Auf dem Rückzug von Moskau starben die Soldaten Napoleons eines schrecklichen Todes, weil ihre Wunden wegen Salzmangels in den Speisen nicht heilten. Weiße Händler in Südamerika, Afrika und der Südsee starben durch die Hände der Eingeborenen, mit denen sie kostbares Salz gegen Gold, Edelsteine und Elfenbein vertauschten, wenn die Eingeborenen, wahrscheinlich wegen Salzmangels, tobsüchtig wurden. Während des ersten Weltkrieges kostete es bei der Offensive der Russen viel Blut, um das größte Salzbergwerk der Erde, das von Wieliczka in Polen, einzunehmen, wo Millionen Tonnen Salz gewonnen worden sind, seitdem diese Salzlager ungefähr um 1000 n. Chr. Entdeckt worden sind. Heute besitzt es an die 100 Kilometer Gänge in sieben Stockwerken von 80 bis 300 Metern unter der Erde.“

 

„Ich habe es einmal gesehen“, erzählte die Frau des Professors. „Es gibt sogar ein ganzes Eisenbahnnetz darin, und Fähren tragen die Passagiere über die Salzseen, die sich in der Dunkelheit ausbreiten. Aber das Wunderbarste darin ist doch die Kapelle, die mit Altar, Gitter und Stühlen ganz aus festem Salz gehauen ist.“

 

„Wir haben etwas Ähnliches auf der Insel Avery vor der Küste von Louisiana, wo 20 Meter hohe Säulen aus Salz ein Dach tragen und kleine Werkstätten und Bürogebäude für die Verwaltung des Bergwerkes ebenfalls in Salz gehauen sind.“ Nach einer Pause fuhr mein Freund fort: „Aber um auf das zurückzukommen, was der Professor eben sagte: Eines der berühmtesten Beispiele für die üble Vorbedeutung des Salzverschüttens ist wohl, denke ich, das „Letzte Abendmahl“ von Leonardo da Vinci, auf dem der Künstler das tiefe Entsetzen über den Verrat des Judas dadurch ausdrückt, dass er ihn mit einem umgeworfenen Salzfässchen neben der Faust, die den Beutel mit dem unheilvollen Silber umklammert, malt.“

 

Der Professor hörte schweigend zu, als mein Freund diese wenig bekannte Tatsache erzählte, fing aber schließlich wieder zu reden an, wobei er seine Karten aufnahm und sagte: „Nein, das war es nicht, was ich im Kopf hatte. Ich dachte daran, ob Sie wissen, dass das Salz, das für unser Wohlbefinden ein so kostbarer Stoff ist, dass es unsere Regierung während des letzten Krieges auf die Liste der notwendigsten Güter setzte, eine Mischung aus zwei tödlichen Giften, Natrium und Chlor, ist. Wirklich tödlich!“ Ein merkwürdiges Lächeln huschte über seine Lippen. „Kommen Sie mal in mein Laboratorium, John. Da werde ich Ihnen zeigen, was ich meine. Drei Pik!“

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18. Seelenmessen

 

Die Heilige Messe für die Verstorbenen

  

Der heilige Matthäus berichtet uns im 27. Kapitel seines Evangeliums folgendes: „Christus rief abermals mit lauter Stimme und gab den Geist auf. Die Gräber öffneten sich und viele Gestalten der entschlafenen Heiligen standen auf. Und nach seiner Auferstehung gingen sie aus den Gräbern, kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen.“

 

Das Opfer Christi hat also ohne Verzögerung Früchte getragen, die nicht den Lebenden, sondern den Verstorbenen zufielen, jenen Gerechten nämlich, die in der Vorhölle auf die Opferverdienste Christi warteten. Diese Erstlingsfrucht des Kreuzopfers war schon im Voraus verkündet im 9. Kapitel des Propheten Sacharja: „Im Blut deines Bundes wirst du deine Gefangenen aus dem Kerker entlassen.“ Der Kerker der Gefangenen Christi seit seiner Auferstehung ist der Ort, in dem die Überbleibsel von Sünde und Strafe gleich Resten von Schmutz und Staub durch reinigenden Schmerz „weggefegt“ werden. Der Glaube daran ist so alt wie die apostolische Lehre, und selbst Martin Luther sah sich gezwungen, das Vorhandensein eines Fegfeuers zuzugeben. „Ich glaube ganz fest,“ sagte er beim Leipziger Religionsgespräch, „ja ich dürfte sogar sagen, ich weiß bestimmt, dass es einen Reinigungsort gibt, und ich gebe leicht zu, dass in der Heiligen Schrift davon Meldung geschieht.“ Von jeher hat die katholische Kirche durch die Zuwendung der Opferverdienste Christi in der Heiligen Messe den Verstorbenen Hilfe zu bringen gesucht. Das Blut Christi soll die strafenden Flammen des Reinigungsortes auslöschen. Die Art und Weise, wie die Kirche das tut, gibt davon Zeugnis, wie edel und nachsichtig, wie gerecht und weise das Herz dieser Völkermutter ist.

 

So wenig die Kirche auch die Höchstgestellten von Welt und Kirche an ihrer Gruft kurzweg seligspricht, so weit geht sie in ihrer Milde denen gegenüber, die zwar Mitglieder der Kirche waren, aber sehr wenig christlich gelebt haben. Nach der Überzeugung einiger Gottesgelehrter bekehrt sich eine namhafte Zahl von Sündern noch in ihren letzten irdischen Augenblicken und ihr letzter Seufzer ist vielleicht ein gewaltiges Anklammern der Hoffnung an die unendliche Barmherzigkeit Gottes und ein Stöhnen um Schonung, nur von demjenigen verstanden, der die Herzen ergründet. Der heilige Johannes Chrysostomus sagt in einer seiner Predigten: „Wenn dein Freund als Sünder gestorben ist, so musst du ihm vor allem zu Hilfe kommen nicht durch Tränen, sondern durch Gebete, Almosen und Opfer. Nicht umsonst erwähnen wir der Toten in den göttlichen Geheimnissen. Nicht fruchtlos nahen wir dem Altar und beten für sie zu dem Lamm, das hinwegnimmt die Sünden der Welt. Es erwächst ihnen daraus irgendein Trost. Wenn Hiob seine Kinder reinigte, indem er für sie ein Opfer darbot, um wie viel mehr muss das große, erhabene Versöhnungs-Opfer, das wir darbringen für die Toten, ihren Zustand erleichtern? Es kann selbst geschehen, dass wir für die Verstorbenen vollständige Verzeihung erlangen durch die Gebete und die Gaben, die wir in Gemeinschaft mit der ganzen Kirche für sie darbringen. Kann eine so große Gnade nicht auch für den erlangt werden, den du beweinst?“ Von solchen Gesinnungen erfüllt, lässt die heilige Kirche das Opfer Christi unter bedingungsweiser Zuwendung der besonderen Früchte auch für solche darbringen, deren schweren Ungehorsam sie zu beklagen hatte.

 

Die Seelengottesdienste bekämpfen jede Selbstüberhebung und fördern christliche Verdemütigung. Ob ein armer Taglöhner vor das Gericht Gottes gerufen wurde oder ein prunkender Staatsmann oder das Oberhaupt der Kirche selbst, ob das heilige Opfer als einfaches Amt in einer bescheidenen Dorfkirche oder unter den sinnreichsten Zeremonien in einer kaiserlichen Hofkapelle dargebracht wird, immer ist es der gleiche Ton, der aus den Gebeten der Kirche spricht: „Verzeih, o Herr, der Seele deines Dieners! Gedenke, dass er stets an dich geglaubt, auf dich gehofft hat!“ Vom hochseligen Papst Leo XIII. hat einer seiner Gegner öffentlich erklärt: „Ich hätte gern irgendeinen Schatten auf dieses Lebensbild aufgetragen, aber es war mir unmöglich, auch bei den entschiedensten Feinden der Kirche irgendeinen Tadel über ihn aufzutreiben.“ Wie hat man nun einen Mann von solcher Makellosigkeit behandelt, als man ihn in die Gruft senkte? Auch beim ihm wurde keine Ausnahme gemacht, sondern fünfmal das gebräuchliche, flehende Bittgebet wiederholt: „Tritt nicht ins Gericht mit deinem Diener, o Herr, denn niemand kann gerechtfertigt werden, wenn du ihm nicht alle Sünden nachlässt.“ Also spricht die Kirche am Grab ihrer „unfehlbaren“ Päpste. Trotz aller Ehrenbezeigungen gegenüber dem Stellvertreter Christi vergisst sie niemals, dass er ein Geschöpf ist, das die Freiheit besitzt, sich zu retten oder sich zu verdammen. Daher dieser Ausruf, der auch am Grab des Papstes fünfmal gesungen wird: „Entreiße seine Seele den Pforten der Hölle!“ So erfüllt die Kirche ihre Beteuerung, dass ihr im Angesicht der göttlichen Gerechtigkeit alle Verstorbenen gleich viel gelten, ob nun ihre Hand das zierliche Zepter der Macht oder das rohe Werkzeug der Arbeit gehalten hat. Wie an dem Trauergerüst des Fürsten muss der Diener des Altares auch an der Bahre des armen Bauern beten und singen.

 

Wie schön und herzrührend ist dieses Gebet an der Bahre des Verstorbenen! Bald ein Ausruf des Schmerzes, bald ein freudiges Wort der Hoffnung! Wenn die Verse des Psalmisten und die Klagen des schwergeprüften Hiob ertönen, ist es gleichsam der Tod selbst, der betet und seufzt, der klagt und zittert, der hofft und sich freut. Der große Name „Christ“ macht im Tod alles gleich und der Stolz des mächtigsten Monarchen kann der Religion kein anderes Gebet entreißen als dasjenige, das sie auch dem Bettler darbringt. Der „Arme“ des Evangeliums wird in dem Augenblick, da er seinen Atem aushaucht, ein geheiligtes und ehrwürdiges Wesen, umkleidet von der Hoheit, die dem Tempel des Heiligen Geistes gebührt. Wenn der Kirchenbesucher während der ganzen Dauer eines Seelengottesdienstes auch nichts anderes tun würde als nachdenken über die erschütternde Ausgleichung durch den Tod, über die edle Kraft des letzten religiösen Liebesdienstes an unseren verstorbenen Angehörigen und über die Erhabenheit der Kirche, mit der sie armselige Standesvorurteile verwirft, so müsste ein redlicher Geist durch solches Nachdenken allein schon aufs tiefste und heilsamste bewegt werden.

 

Von den kirchlichen Feierlichkeiten, die an Werktagen stattfinden, gehören die Seelengottesdienste zu den häufigsten, notwendigsten und ergreifendsten. Von allen anwesenden Leidtragenden steht der amtierende Priester der betrauerten Seele am nächsten. Er ist der Mittler zwischen ihr und den betenden Hinterbliebenen. In den vorhergehenden Tagen und Wochen ist der Seelsorger auch in anderem Sinn ein Mittler gewesen. Er hat sich abgemüht im Ausgleich zwischen göttlicher Gerechtigkeit und menschlicher Gebrechlichkeit. Je mehr ein Schwerkranker seinen hoffnungslosen Zustand erkennt, desto zarter und inniger schmiegt sich seine Seele an das Herz des pflichtgetreuen Seelsorgers an. Keiner von denen, die in lockerer Gesinnung über den Priesterstand spötteln, kann versichern, dass nicht auch seine letzten Blicke dankend und bittend jener Gestalt sich zuwenden, die mit violetter Stola geschmückt an seinem Schmerzenslager stundenlang ausharrt.

 

Immer hat er milde Worte

Von der Welt, die quält und kränket,

Von der Welt, die sühnt und sänftigt,

Trostvoll ihm ins Herz versenket,

 

Hat ihm dargereicht das letzte

Liebesmahl, die Himmelsspeise,

Und die wandermüden Füße

Ihm gesalbt zur letzten Reise.

 

Draußen harret auf die Sichel

Reicher Fluren goldne Spende;

Drinnen ist des Todes rauhe

Schnitterarbeit schon zu Ende.

 

Das ist es, was das Gemüt des zelebrierenden Priesters durchzittert. Und wie ein Gelöbnis liegt es in jedem Wort, das er betet, in jedem Ton, den er singt: „Wenn alle die Deinigen Dich vergessen sollten, ich werde Deiner stets eingedenk bleiben.“

 

Während der Priester die Geheimnisse der Versöhnung feiert und zum Schluss ein letztes Mal in den lauten Ruf ausbricht: „Sie ruhen im Frieden“, sehen die Anwesenden diesen Frieden verkörpert in der Kinderschar, die nahe beim Altar steht, eine Gruppe so selig und traulich, so unbekümmert und unberührt, als gäbe es für sie niemals etwas anderes als Jugend und Unschuld, Licht und Frieden. Und so mancher, dem wahrer Herzensfrieden schon längst fremd geworden ist, vernimmt die einladende Stimme dieses Friedens im demütigen Gesang des Kyrie eleison, in den flehenden Tönen des Agnus dei und in den beruhigenden und schmeichelnden Schlussworten nach der Kommunion: „Das ewige Licht leuchte ihnen, o Herr; denn du hast väterliches Erbarmen (quia pius es).“

 

Da fangen die Paradiesesglocken der frommen Kinderjahre in seinem Gemüt zu läuten an und er, in dessen irdischer Hülle der erste Todeskeim sich eingenistet hat, bringt von der Totenfeier hinweg den Lebenskeim der nahen Bekehrung in sein Haus mit. Wahrlich nicht umsonst schweben Schutzgeister über der Trauerversammlung, Friedensboten aus lichten Höhen, die Wächter und Hüter der Gottesfurcht und des Eifers, des Erbarmens und des Starkmutes, der Kindesliebe und der Dankbarkeit, der Freundschaft und der Versöhnung.

 

Um den Frieden fleht der Priester;

Auf die Knie sinken alle.

Friedensgeister, Gottes Engel

Schweben durch die stille Halle.

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19. Schutzengel (2)

 

Die heiligen Schutzengel

       

Das heilige Schutzengelfest am 2. Oktober erinnert uns an eine der größten Liebestaten des Himmels. Gott hat nämlich dem Menschen auf seiner Erdenwanderschaft einen Engel als Führer und Schützer zur Seite gestellt. Erwägen wir daher: die Würde unseres Schutzengels, den Dienst, den uns dieser heilige Engel leistet und unsere Pflicht gegenüber dem heiligen Schutzengel.

 

Die Würde unseres heiligen Schutzengels.

 

Das geistige Band, das Gott zwischen uns und den heiligen Engeln geknüpft hat, indem er ihnen befahl, über einen jeden von uns zu wachen, ist einer der kostbarsten Vorteile dieses Lebens. Seinen Engeln hat er deinethalben befohlen, sagt der Psalmist, dich zu behüten auf allen deinen Wegen. Aber wer sind unsere Schutzengel? Sie sind reine Geister, erschaffen weit vollkommener als wir, nach dem Ebenbild Gottes, mit einer Schönheit, einer Macht, Behändigkeit und einem Verstand begabt, die unsere Begriffe weit übersteigen. Sie sind in Bezug auf Gott und den Himmel, was die Fürsten und Großen eines Reiches in Bezug auf den König oder Kaiser und seinem Hof waren. Der Engel also, der Tag und Nacht an deiner Seite steht, ist ein Fürst des himmlischen Hofes, unvergleichlich mächtiger, als der gewaltigste Herrscher auf Erden. – Denkst du aber auch allezeit daran? Wenn du allein bist, urteilst und handelst du nicht vielfach, als wäre niemand Zeuge deiner Gedanken, Worte und Werke? Wenn dein Glaube in diesem Punkt lebendiger wäre, wie vielen Trost, wieviel Freude fändest du im Verkehr mit diesem ausgezeichneten und unvergleichlichen Freund, deinem heiligen Schutzengel, indem du ihm all deine Leiden und Trübsale mitteilen, ihn in Zweifeln um Rat, in Leiden und Versuchungen um Kraft und Mut bitten könntest. So lesen wir ja im Leben vieler Heiligen, dass ihr lebendiger Glaube und ihre innige Verehrung zum heiligen Schutzengel ihnen die Gnade erwarb, ihn zu sehen und mit ihm vertraulich zu verkehren, z.B. im Leben des heiligen Kamillus, der heiligen Cäcilia, der heiligen Franziska Romana, der heiligen Rosa von Lima usw.

 

Welchen Dienst leisten uns die heiligen Schutzengel?

 

„Seinen Engeln hat er deinethalben befohlen, dich zu behüten auf allen deinen Wegen.“ Kraft dieses Befehls wachen unsere Schutzengel 1. mit der zärtlichsten Sorgfalt über das Leben unseres Leibes, das so vielen Gefahren ausgesetzt ist; 2. mit weit größerer Sorgfalt über das Leben unserer unsterblichen Seele. Sie unterweisen uns, zeigen uns die Fallstricke, die uns der böse Feind legt, flößen uns Mut ein und unterstützen uns in unseren geistlichen Kämpfen. Sie suchen uns durch Vorwürfe, die sie unserem Gewissen machen, von Fehlern abzuhalten und durch sanfte Ermahnungen zur getreuen Erfüllung unserer Pflichten anzuspornen. 3. Wie der Erzengel Raphael den jungen Tobias, so geleiten sie uns auf der Reise dieses Lebens mitten durch alle Gefahren, besonders aber 4. stehen sie uns zur Seite in der Stunde unseres Todes. – Bewundern wir, da wir das erwägen, hierbei besonders drei Dinge und ahmen wir sie nach Kräften nach: 1. die Vollkommene Bereitwilligkeit dieser heiligen Geister zu allem, was ihnen aufgetragen wird; 2. ihre Sammlung und Reinheit mitten im Gewühle und Verderben der Welt; 3. ihren unzerstörbaren Frieden trotz des so oft missglückten Erfolges ihres Schutzes. Möchte es auch uns gelingen, zu jener Vollkommenheit zu gelangen, die wir an den heiligen Engeln bewundern! Beten wir zu diesem Zweck recht oft und andächtig das kleine Schutzengelgebetlein, das die Päpste Pius VI. und VII. mit Ablässen versehen haben, das da lautet: „Heiliger Engel, du mein Beschützer, da die göttliche Liebe mich dir empfohlen hat, beschütze, lenke und führe mich.“

 

Welche sind unsere Pflichten den heiligen Schutzengeln gegenüber?

 

Der heilige Bernhard führt sie auf 3 Hauptpflichten zurück: Hochachtung, Dankbarkeit, Vertrauen. Hochachtung ihnen gegenüber ist uns geboten wegen ihrer Gegenwart, denn sie begleiten uns ja immer und überall. Dankbarkeit und Liebe wegen der Dienste, die sie uns leisten. Vertrauen wegen der Sorgfalt und Wachsamkeit mit der sie uns jederzeit begleiten. Dies sind gewiss unstreitbare Pflichten. Aber der größte Teil der Menschen denkt nicht daran, nicht einmal an dem hohen Fest, das die Kirche zu Ehren der heiligen Schutzengel eingesetzt hat.

 

Möchte diese Betrachtung etwas dazu beitragen, dass wir die Anstrengungen künftig verdoppeln, um unseren heiligen Schutzengeln 1. unsere Hochachtung zu bezeigen, indem wir jederzeit, ganz besonders aber, wenn wir allein sind, uns an die Gegenwart unseres heiligen Engels erinnern und uns dabei immer so betragen, als ständen wir vor einer hochangesehenen Person. Denn unsere Engel werden einst Zeugnis ablegen für oder gegen uns, je nachdem wir gelebt haben; 2. unsere Dankbarkeit, indem wir die Einsprechungen des heiligen Engels mit großer Gelehrigkeit anhören, befolgen und ihm jeden Abend für alles danken, was er während des Tages für uns getan hat; 3. unser Vertrauen, indem wir den heiligen Schutzengel anrufen in allen unseren Anliegen mit der festen Überzeugung, dass wir es niemals vergeblich tun werden.

 

Beten wir mit unserer Mutter, der heiligen Kirche: „O Gott, der Du nach Deiner unaussprechlichen, geheimnisvollen Vorsehung Deine heiligen Engel zu unserer Beschützung zu bestimmen Dich würdigst, verleihe dem Bittenden, dass sie durch ihre Beschirmung bewahrt werden und ihrer Gesellschaft sich ewig erfreuen. – In heiliger Freude über die Festfeier Deiner heiligen Engel haben wir Deine Heilsmittel empfangen. So verleihe uns nun, o Herr, dass wir kraft ihres Schutzes vor allen Versuchungen unserer Feinde mächtig beschirmt werden und von allen Gefahren unangetastet bleiben mögen durch Jesus Christus, Deinen Sohn, unseren Herrn. Amen.“

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20. Schwarze Madonnen

 

Vom Geheimnis der Schwarzen Madonnen

       

(Von: Dr. Franz A. Schmitt, Katholischer Digest, Dezember 1948, S. 26)

 

Wer kennt nicht die schwarzen Madonnen in den Wallfahrtskirchen Deutschlands und vieler anderer Länder Europas, wer kniete nicht einmal vor einem der oft seit Jahrhunderten verehrten Bilder, die Gesicht und Hände der Gottesmutter und des Kindes in seltsam dunkelbrauner oder schwarzer Farbe zeigen? Altötting, Würzburg und Köln sind einige Stätten in Deutschland, zu denen aber eine stattliche Zahl in anderen Ländern kommt. Nicht weniger als 272 meist sehr alte Bildnisse und Skulpturen Schwarzer Madonnen sind in ganz Europa nachweisbar, von denen dann an vielen Orten des Ursprungs- oder Nachbarlandes Nachbildungen aufgestellt wurden, die zu neuen Mittelpunkten gläubiger Verehrung geworden sind. Frankreich besitzt mit 188 Schwarzen Madonnen die meisten Beispiele für ihre weite Verbreitung. In Italien sind es 17, in Belgien 16, in Spanien 14 und in Russland 8, um nur einige Länder zu nennen.

 

Die Schwarzen Madonnen sind längst ebenso eine Tatsache wie der bunte Legendenkranz, der sie umgibt, oder die mannigfaltigen Erscheinungsformen ihrer religiösen Verehrung. In ehrwürdigen Kapellen stehen sie an erhöhter Stelle eines Altars. Prächtig ausgeschmückte Gewänder mit reichem Edelsteinglanz kennzeichnen sie. Als älteste Darstellungen erkannte man die sitzenden Madonnenstatuen aus dem 11. und 12. Jahrhundert, jünger sind jene, die Maria stehend mit oder ohne Kind zeigen. In den einzelnen Ländern lassen sich leicht charakteristische Formen unterscheiden.

 

Zunächst fällt auf, dass England keine einzige Schwarze Madonna besitzt, ebenso Schweden, Norwegen und Dänemark, während Holland, wie jene ein protestantisches Land, 5 Schwarze Madonnen aufweist. In Österreich und in der Tschechoslowakei findet man Nachbildungen der Schwarzen Muttergottes von Loreto in Ancona (Italien) oder jener auf dem Montserrat bei Barcelona. Italien zeigt einige sehr alte Madonnen in Statuen- und Bildform. Im Osten herrscht fast ausnahmslos die Bildform vor, so in Polen, Russland, Griechenland, Syrien und auch in Palästina. Spanien und vor allem Frankreich sind überreich an Bildern, insbesondere aber an Statuen Schwarzer Madonnen.

 

Überall auffallend ist sodann die Tatsache, dass die Wallfahrtsstätten mit Schwarzen Madonnen sich häufig auf Bergeshöhen und in der Nähe vom Meer, von Flüssen oder Quellen befinden. Die ältesten Darstellungen besitzen Italien, Frankreich und Spanien. Berühmt ist auch jene von Notre-Dame de Halle in Belgien, eine sitzende Madonna aus schwarzem Holz, die 1264 von der heiligen Elisabeth von Ungarn geschenkt wurde. Auf Grund der Forschung gehören die ältesten Madonnen, die sitzenden Statuen dem 11. und 12. Jahrhundert an, obwohl die Legenden sie bis in die ältesten christlichen Zeiten und vielfach auf die Meisterhand des heiligen Lukas zurückgeführt wissen wollen. Das 12. Jahrhundert hat vor allem in Frankreich viele schwarze Statuen hervorgebracht, wie die umfangreiche wissenschaftliche Untersuchung „Etude sur l´origine des Vierges Noires“ von Marie Durand-Levèvre (Paris 1937) darlegt. Die dem heiligen Lukas zugeschriebenen gemalten Madonnen zeigen alle die Madonna in dunkelbrauner oder schwarzer Gesichtsfarbe. Die Bilder sind meist auf Holz oder auf goldenem Hintergrund gemalt und insbesondere in Russland und Italien anzutreffen. Schon ihre große Zahl lässt die Auffassung nicht zu, nach welcher sie von einem einzigen Menschen angefertigt sein sollen. Allein in Rom gibt es 12 solcher Bilder, die nach der Legende auf das in Jerusalem befindliche wirkliche Originalbild aus der Hand des hl. Lukas zurückgeführt werden. Die wissenschaftliche Forschung indessen hält heute daran fest, dass kein zeitgenössisches Werk des Heiligen auf uns gekommen ist. Von Interesse bleibt ferner, dass die ältesten Madonnen, die auf einem Thron oder Sessel sitzend dargestellt sind, meist ein kleines Schränkchen für Reliquien enthalten. Als Material für die Skulpturen finden wir gewöhnliches Holz, zuweilen auch Zedern- und Ebenholz. Gelegentlich ist Stein und Marmor, selten Metall verwendet worden.

 

Die religiöse und kunstgeschichtliche Forschung hat sich in allen Ländern erst in neuerer Zeit eingehend mit den Gründen befasst, die man zur Erklärung der schwarzen Farbe zu unterscheiden haben wird. Die neuesten Ergebnisse führen zu fünf Ansichten:

 

1. Äußere Gründe für die gelegentliche oder zufällige Schwarzfärbung. Sie wird erklärt durch Bekleidung mit silbernen Platten oder infolge mehrerer aufeinander angebrachter Lagen von Firnis, durch natürliche chemische Umwandlung der Farben, besonders des zur Herstellung der Fleischfarbe verwendeten Zinnobers und Mennigs sowie des Silbers als Untergrund, die mit der Zeit nachdunkeln und tiefbraun werden. Auch Waschungen mit Öl oder Wein nach einem religiösen Ritus konnten das Nachdunkeln hervorgerufen haben. Andere Erklärungen nennen den längeren Aufenthalt an einem feuchten Ort, die jahrzehntelange Einwirkung des Staubes, des Rauchs der Kerzen und des Weihrauchs, schließlich Einwirkung von Feuer bei Kirchenbränden und Veränderung des Holzes bei hohem Alter.

 

2. Die Erforschung eines zeitgenössischen Urbildes. Diese Hypothese, die in der Literatur viel erörtert wird, fußt auf der Behauptung, der hl. Lukas habe das Bild der Gottesmutter nach der Natur gemacht und dabei den Typus judäischer Frauen als Vorbild genommen. In enger Beziehung mit dieser Erklärung steht die Ansicht, dass Marias Antlitz auf der Reise zur Zeit ihrer Flucht nach Ägypten von der Sonne gebräunt wurde und dass die Darstellung des hl. Lukas hierauf Bezug nehme.

 

3. Auch orientalischer Ursprung auf Grund der Verbreitung eines aus Asien gekommenen Modells wird zuweilen angenommen.

 

4. Auf antike Glaubensvorstellungen glaubte man die christlichen Schwarzen Madonnen zurückführen zu müssen, nämlich besonders auf die Isis-Horoslegende und somit auf die ägyptische Sonnenkönigin, die Mutter des Sonnengottes Horos. Doch kann diese Theorie in der christlichen Literatur keine Stütze finden, da kein direkter Einfluss von schwarzen Göttinnenbildnissen auf die christliche Verehrung der allerseligsten Jungfrau vorstellbar und nachzuweisen ist. Die Ansicht, dass die christlichen Schwarzen Madonnen mit dem Christentum an die Stelle der einstigen antiken Gottheiten gerückt seien und hiermit auch die Farbe der überwundenen, einst verehrten Bilder und Gestalten übernommen hätten, widerspricht der Lehre und dem Standpunkt der katholischen Kirche. Der Grund der Schwarzfärbung kann nicht in altheidnischen Vorbildern im Hinblick auf die schwarze Isis oder die ebenfalls schwarze Diana von Ephesus gesucht werden, die vom Christentum abgelehnt wurden.

 

5. Schließlich ist die symbolische Bedeutung, die auf den oft erwähnten Stellen des Hohen Liedes beruht, vielfach als Erklärung der schwarzen Fleischfarbe herangezogen worden. Im Hohen Lied Salomos (1,4-5) heißt es von der Braut Salomos, als Vorbild der allerseligsten Jungfrau und als Symbol für die Kirche: „Ich bin schwarz, aber schön, ihr Töchter Jerusalems, schwarz wie die Zelte Cedars, schön wie die Teppiche Salomos. Seht mich nicht an, dass ich schwarz bin. Denn die Sonne hat mich verbrannt.“ Zur Erklärung sei hier vermerkt, dass Cedar ein Nomadenvolk in Nordarabien war, dessen Zelte wie heute noch die der Beduinen schwarz waren, indem man Ziegenfell gebrauchte. Auf diese Hohe Lied-Stelle nimmt z. B. auch der Dichter Konrad von Würzburg im 13. Jahrhundert in seinem Lob der Jungfrau Maria geschriebenen „Goldenen Schmiede“ Bezug, wenn er sagt:

 

„du sprichst, vrouwe reine,

daz du swarz unt schoene sist.“

 

Weder das Evangelium von Lukas noch jenes von Johannes geben uns einen Anhaltspunkt über das Aussehen der Mutter Gottes. Auch bei Augustinus finden wir keine Erwähnung eines wirklich vorhanden gewesenen, authentischen Bildes Marias. Von ihm wurde uns vielmehr überliefert (De Trinitate, lib. CIII, c. V.), dass das wirkliche Antlitz Marias unbekannt ist. Das älteste Marienbild (Ende des ersten, spätestens erste Hälfte des zweiten Jahrhunderts) in der Priscilla-Katakombe in Rom an der Via Salaria, das auch den Propheten Jesaja zeigt, ist jedenfalls nicht schwarz, und auch andere alte Marienbilder aus den ersten Jahrhunderten enthalten keinen Hinweis auf die dunkle Hautfarbe der Madonna oder des Kindes. Erst im fünften Jahrhundert kommen schriftlicher Überlieferung nach, die ersten Marienbilder auf, die dem hl. Lukas zugeschrieben werden, von denen wir aber nichts Näheres wissen. Die berühmte Maria Hodigitria, die 438 nach Jerusalem gebracht wurde, soll auch von seiner Hand sein, ebenso die vielen Marienbilder rein byzantinischen Charakters.

 

Die Verehrung Schwarzer Madonnen hat in ganz Europa einen weiten Legendenkreis hervorgebracht. Bestimmte Namen sind jeder Madonna beigegeben worden. Eine gewisse Rivalität unter den einzelnen Wallfahrtsorten mit solchen berühmten Madonnenbildern ist feststellbar. Wundertätige Stätten, vor allem wiederum in Frankreich, sind oft am Ort der Auffindung oder Aufstellung Schwarzer Madonnen entstanden. Wunderbare Heilungen werden aus Frankreich aus dem späten Mittelalter ebenso häufig überliefert wie Wallfahrten und andere religiöse Verehrungsweisen zu bestimmten religiösen Feiertagen des Kirchenjahres. Daher erklärt sich auch die große Zahl von Nachbildungen altehrwürdiger Madonnen dieser Art, vor allem jener von Tschenstochau in Polen (auf Zypressenholz gemaltes Muttergottesbild mit dem Kind, byzantinischen Ursprungs, mit dunkelbrauner Gesichtsfarbe, schon 1382 erwähnt), von Notre-Dame von Liesse in Frankreich (Aisne), von Loreto in Ancona (Italien), von Altötting und von Einsiedeln in der Schweiz, um nur einige der bekanntesten zu nennen. Von der schwarzen, hölzernen Madonnenstatue von Einsiedeln aus dem 16. Jahrhundert schreibt Adam Fuetscher, als er ihre Farben 1799 erneuerte: „Das Angesicht war durchaus schwarz, doch ist diese Farbe nicht dem Pinsel, sondern dem Dampf der Lichter und Ampeln, welche seit so vielen Jahrhunderten in der hl. Kapelle immer brannten, zuzuschreiben. Denn ich fand und sah es augenscheinlich, dass es ursprünglich fleischfarbig war.“ Auch das Altöttinger Madonnenstandbild war ursprünglich nicht schwarz, was um 1850 bei einer Abformung deutlich erkannt wurde. An einigen Stellen sprang die dunkle Kruste ab, und man sah die alte Bemalung in der natürlichen Fleischfarbe. Ungewiss ist allerdings der Zeitpunkt der Schwärzung. Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart konnte man nach dem Vorbild der Madonna von Altötting 38 Nachbildungen in deutlich schwarzer Farbe und 13 in heller Farbe feststellen.

 

Keine der erwähnten Vermutungen für die Entstehung der Schwarzen Madonnen ist völlig zufriedenstellend. Die Legenden und Deutungen, die eine gelegentliche oder zufällige Schwarzfärbung annehmen, die sich um die Vorstellungen volkskundlichen, orientalischen oder antiken Ursprungs oder um die symbolische Sinngebung auf Grund des Hohen Liedes drehen, überschneiden sich und ermöglichen keine eindeutige und wissenschaftlich unanfechtbare Erklärung. Dennoch lassen die Untersuchungen einzelner Legenden sowie des urkundlichen Quellenmaterials einzelner Bilder und Statuen deutlich den Einfluss der einen oder anderen Vorstellungsweise hervortreten. Historiker, Archäologen und Theologen haben in vielen Arbeiten diese Einzelwege der Entstehung und Überlieferung, der Ausbreitung und Abwandlung eines bestimmten Madonnenbildes untersucht. Die vor allem von französischen Forschern vertretene Spezialliteratur zählt heute weit über 200 wissenschaftliche und volkstümliche Darstellungen, die das Geheimnis der Schwarzen Madonnen ergründen wollen, wo immer feste Anhaltspunkte für die Entstehungs- und Verehrungsgeschichte gegeben sind. Der Gedanke des Einflusses des Hohen Liedes zur Begründung und Erklärung der Schwarzen Madonnen in Gestalt ursprünglich schwarz gemalten Bildern und Statuen ist sicherlich weit verbreitet und von gewisser Volkstümlichkeit. Der Glaube an die Originalität der bildlichen Darstellung aus der Hand des hl. Lukas oder an die getreue Kopie eines dieser Originale hat vor allem den christlichen Legendenkranz von Jahrhundert zu Jahrhundert mit neuen Blüten bereichert. Schließlich hat der Glaube an die wunderbare Errettung eines ursprünglich hellfarbigen Bildes aus Feuersnot, das seit jenem Ereignis dann ein dunkelgefärbtes Antlitz zeigte oder seine natürlich vor sich gegangene, jetzt aber nicht mehr erklärbare Schwarzfärbung oder seine im Gewirr von religiöser Sage und frommer Legende begründete geheimnisvolle Auffindung dazu beigetragen, dass die Schwarze Madonna gerade wegen ihres so auffallenden äußeren Andersseins schnell überall zum Mittelpunkt besonders gläubiger Verehrung und ungezählter Wallfahrten geworden ist.

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21. Seele (2)

 

Im Weinberg deiner Seele

 

Unsere Seele ist der Weinberg, in dem jeder von uns treue Arbeit leisten soll.

 

Unsere Seele soll wie ein lieblicher Weinberg vor Gottes Augen blühen und edle Frucht bringen für eine ganze Ewigkeit.

 

Unsere Seele! – Wer denkt an sie mit dem Ernst, mit dem Eifer, wie es sein sollte?

 

Wenn der Leib hungert – das fühlt man sofort und sucht bald nach Sättigung. Wenn ein Glied schmerzt, geht man gleich zum Arzt und sucht Heilung. Aber die Seele kann verkümmern aus Mangel an geistiger Nahrung, sie kann schwach werden in Gleichgültigkeit und Lauheit, sie kann sterbenskrank werden in Sünde und Gottlosigkeit. Ihr leises Klagen wird überhört, ihre Not nicht gestillt, ihr Leiden nicht behoben. Die Pflanze, die welk wird, begießt man, dem Tier, das leidet, verschafft man Linderung, aber der eigenen, von Sünde und Schuld bedrückten Seele erbarmt sich so mancher nur selten oder überhaupt nicht.

 

Und doch ruft Gott, der himmlische Gärtner, von dem die Seele geschaffen, für den die Seele bestimmt ist, uns allen zu: „Geht auch ihr in meinen Weinberg!“

 

Mensch, geh in den Weinberg deiner Seele!

 

Ist Ordnung darin, wie es in einem Garten sein soll? Seit der Kindheit Tagen wachsen in der Seele neben guten Anlagen auch schlechte Triebe. So oft müssen wir es beklagen, dass sich Selbstsucht, Eigensinn, Zorn, Unwahrhaftigkeit, Genusssucht immer stärker regen. Wenn solche Triebe nicht immer wieder wie Unkraut ausgejätet werden, wird bald der ganze Garten verwildert sein. In aufrichtiger, reumütiger, heiliger Beicht wollen wir unser Herz immer wieder reinigen von den giftigen Gewächsen ungeordneter Leidenschaft!

 

Der richtige Weinberg ist mit einer steinernen Mauer umzäunt.

 

Machen wir eine Mauer um unser Herz, damit nicht die Tiere des Feldes eindringen und im Innern Verwüstung anrichten! Als Hüter stellen wir an die enge Einlasspforte den starken, gewissenhaften Willen! Ein guter Vater nimmt nicht allerlei verdächtiges Gesindel bei sich auf. Wir dürfen nicht alle möglichen Gäste in unseren Herzensgarten hineinlassen. Was unserer Seele schadet, was sie in Verwirrung bringt, was das Wachstum und Blühen des Guten in uns hemmt, das muss draußen bleiben. So verlangt es die rechte Sorge für unsere Seele.

 

Zur Arbeit des Winzers gehört auch das Beschneide der Reben. Die Schossen werden verkürzt, damit die Kraft des Weinstockes sich nicht unnütz in zu vieles Laub vergeude, sondern recht viele Trauben hervorbringe.

 

Dies auf das innere Leben angewandt, heißt: Lerne ertragen und entsagen! Alle erfahrenen Eltern und Lehrer wissen, dass Kinder, denen alle Wünsche erfüllt werden, nur immer begehrlicher werden. Je weichlicher einer erzogen ist, desto schmerzlicher empfindet er die kleinen und großen Stöße und Verwundungen im Leben.

 

Verzärteln wir uns selber nicht. Es ist noch kein Mensch ohne Leid und Kampf durchs Leben gegangen. Wollen wir die einzige Ausnahme sein? Die Prüfungen, die uns treffen, sollen nach der Absicht Gottes uns innerlich reifer, besser machen. Unverständige Kinder seufzen wohl über ihre Schularbeit, die ihnen ganz zwecklos erscheint. Wir sollten die Mühen und Sorgen des Lebens mit freudigem Mut auf uns nehmen. Wenn wir sie richtig, mit Liebe zu Gott ertragen, dann müssen sie uns zum Besten gereichen.

 

Beschneiden wir unsere Wünsche und Erwartungen! Wollen wir sicher das Böse meiden, dann müssen wir bisweilen auch dem Erlaubten entsagen können. Der Soldat muss sich auf dem Übungsplatz für den Ernst des Krieges vorbereiten. Durch tägliche kleine Opfer der Selbst Überwindung erwerben wir uns die nötige Kraft und Übung zum Widerstand gegen das Böse.

 

Die Reben werden an Spaliere gebunden. Wir müssen uns selbst an das Gesetz Gottes binden. Wie die Rebe, die im Staub dahin kriecht, vom Ungeziefer zerfressen wird und keine Frucht bringen kann, so muss jedes Menschenleben ohne Heil und Segen bleiben, das sich loslöst vom heiligen Willen Gottes. Zerstört nicht Hass und Wut das Glück Unzähliger? Führt nicht Unzucht zur Zerrüttung und Vergeudung edelster Lebenskräfte? Gleicht nicht der Gerechte, der in allem das Gebot Gottes vor Augen und im Herzen hat, dem Fruchtbaum, dessen Blätter niemals welken? Im Gehorsam gegen Gottes Gebot wächst die Seele aufwärts, wie die Rebe am Spalier sich in Luft und Sonnenschein badet.

 

Arbeiten wir im Weinberg unserer Seele! Was ein jeder vor Gott ist, das ist sein wahrer Wert. Unser Besitz, unsere Stellung, das Ansehen, das wir genießen, wird einmal von uns abfallen, wie die Puppenhülle vom Schmetterling abgestreift wird.

 

Nur Gott lieben, seine Gebote halten, nach seinem Willen für die Ausbildung und Heilung der Seele sorgen – das gibt unserem Leben Ewigkeitswert. Nur ein solches Leben ist Arbeit im Weinberg Gottes, nur einem solchen Tagewerk kann einst der ewige Lohn werden.

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22. Seelenfeinde

       

Welt und Satan sind wie zwei Verbündete, die sich verschworen haben, uns zu verderben. Die Welt lockt uns mit Glanz und flimmerndem Gold und man hat Mühe, seine Augen zu hüten, damit sie nicht, von diesem Glanz geblendet, ihre Sehkraft verlieren, denn die Welt weiß, was das Gold vermag. Es ist wie eine schillernde Schlange, die uns in allen Farben lockt, so dass gar viele den Edelstein der Tugend wegwerfen, um elenden Reichtums willen. Satan aber, der weit gefährlichere Feind, sucht uns irre zu führen mit allen möglichen sinnlichen Freuden. Lässt man sich aber von ihnen betören und steigt den Gipfel verderblicher Lüste hinan, so stößt uns der schadenfrohe Feind mit grausigem Hohnlachen in die schauerlichste Tiefe hinab.

 

Die Welt hat freiwillige und unfreiwillige Sklaven, die ihr dienen. Unfreiwillige, das heißt solche, die zwar, weil sie in der Welt leben, teilweise auch mit ihren Fluten fortgerissen werden, ohne aber mit ihr eines Sinnes zu sein, diese behandeln sie mit Fußtritten und Peitschenhieben. Die freiwilligen, ihre Günstlinge dagegen, überschüttet sie mit allen Gütern, von denen viele zwar giftig sind, aber doch erwünscht werden.

 

Wir sollen die Welt zwar lieben um der Werke willen, die Gott geschaffen hat, sollen sie aber auch verachten wegen der Sünde, die sie beherrscht!

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23. Segnungen der Kirche

       

Die Kirche segnet

 

Wenn Scharen von Mäusen die Felder verwüsten, so fleht die Kirche: „O Herr, wir bitten Dich, erhöre barmherzig unser Gebet. Wegen unserer Sünden erleiden wir diese Plage. Um Deines Namens und Deiner Barmherzigkeit willen befreie uns davon. Vertreibe sie, mache, dass sie unsere Felder und unser Land in Frieden und Ruhe lassen, so dass die heranwachsende Ernte Deiner Majestät dienen und uns in unserer Not ernähren möge. Durch Christus, unsern Herrn.“

 

Mit geringfügigen Änderungen dient dieses Gebet auch gegen Heuschrecken, Termiten und anderes Ungeziefer. Es ist typisch für viele von der Kirche gebrauchte Segnungen. Dabei wird um Hilfe in einer Notlage gefleht und ausgedrückt, dass Gott seinen Ruhm vermehre, wenn er die Wohltat gewährt.

 

Außer über Insekten erhebt die Kirche ihre segnende Hand über rund 200 Dinge, darunter Druckpressen, Schreibmaschinen, Feuerspritzen, Flugzeuge, Eisenbahnzüge, Brot, Eier, Wein, Wasser, Salz, Käse, Bandagen, Tragbahren, Krankenbetten, Bibliotheken, Brunnen, Hochöfen, Funkgeräte, Baumwolle, Kalk, Viehfutter, Ställe, Scheunen, krankes Vieh, Brücken, Kuchen und sogar Bier.

 

Doch es gibt auch einen allgemeinen Segen für alles nur Denkbare, der „Ad omnia“ (für alles) genannt wird.

 

Die Kirche kennt drei Arten von Segen: den begründenden, den anrufenden und den vermittelnden. Der begründende weiht den Gegenstand, d.h. er sondert ihn für den Dienst Gottes ab. Dieser Segen verändert also den Zustand des geweihten Gegenstandes. Kelche und Kirchen werden so geweiht, aber auch die Mönche. Wird ein Mönch zum Abt eines Klosters gewählt, so weiht ihn der Bischof, und diese Weihe steht einer Bischofsweihe an Feierlichkeit nur wenig nach.

 

Vermittelnde Segnungen machen gewisse Gegenstände zu besonderen Werkzeugen des Heils, ohne sie unwiderruflich zu weihen. Hierher gehören z.B. gesegnetes Salz, geweihte Kerzen.

 

Der Segen aber, der das größte Interesse für das Volk hat, ist der anrufende. Er fleht Gott um eine besondere Gnade oder Wohltat an, ohne dabei den Zustand des Dinges zu ändern. Wenn ein Priester ein Kind segnet, wird es dadurch nicht zu einer geweihten Person. Aber es empfängt einen besonderen Gnadenerweis Gottes. Wenn wir unsere Speisen segnen, bevor wir uns zu Tisch setzen, so machen wir sie dadurch nicht nahrhafter, noch vermehren wir sie oder sondern sie für einen heiligen Zweck ab. Sie werden dadurch nur für alle, die sie genießen, zu einer Quelle der Gnaden.

 

Die Kirche will, wie jede gute Mutter, uns als ihre Kinder vor Unglück bewahren. Gott weiß, dass sich mit Autos, Zügen und Flugzeugen, in Fabriken, Wohnhäusern und anderen Gebäuden viele Unfälle ereignen. Auch für alle, die an Maschinen, Hochöfen usw. arbeiten, hat die Kirche einen besonderen Segen. Sie weiß, dass der Bauer, um leben zu können, gesunde Tiere braucht, und so segnet sie Pferde, Kühe, Schweine und Hühner.

 

Die Segensformeln, die dabei verwendet werden, haben eine schöne Symbolik und erinnern uns an viele Dinge. Wenn die Kirche für Menschen, die sich auf das Meer hinaus begeben, eine Reise antreten oder zum Fischen ausfahren, zu Gott fleht, so erinnert sie an die Arche Noahs, an Petrus, der auf dem Wasser wandelte, und an das Wort Christi, dass seine Apostel Menschenfischer seien. Wenn sie einen Wagen oder Zug unter Gottes Schutz stellt, dann erinnert das Gebet an die Geschichte des Philippus, der in den Wagen des Äthiopiers stieg, um ihm die Heilige Schrift auszulegen, und herausstieg, um das Wasser der Taufe auf das Haupt des Äthiopiers zu gießen. Der Segen einer Tragbahre spricht von dem Gelähmten, den man vom Dach eines Hauses hinabließ, damit unser Herr ihn heile. Der Segen von Verbänden erinnert uns an die Geschichte jener Frau, die geheilt wurde, als sie den Saum des Kleides unseres Herrn berührte. Mancher Segen erscheint sogar humorvoll, wie z.B. der Hinweis auf die drei Jünglinge im Feuerofen beim Segen einer Feuerspritze.

 

Auch die Heiligen kommen in vielen Segen vor, wodurch wir daran erinnert werden, dass wir zu ihnen in unserer Not flehen sollten. Der heilige Antonius der Einsiedler, der Patron der Haustiere, ist beim Segnen aller Pferde dabei. Der heilige Antonius von Padua, der große Freund der Natur, segnet die Lilien. Der heilige Bernard von Menthon ist der besondere Behüter der Bergsteiger, und so wird ihre Ausrüstung unter Hinweis auf ihn gesegnet. Werden Krankenhäuser geweiht, so bringt uns die Segensformel zwei große Freunde der Kranken, den heiligen Kamillus von Lellis und den heiligen Johannes von Gott, in Erinnerung.

 

Neben den allgemeinen Gebeten und Segnungen gibt es im Rituale, dem Buch für die kirchlichen Gebete und Handlungen, auch Segen für besondere Feste. Und allen ist das Osterwasser vertraut, das am Karsamstag geweiht wird. Wird am 27. Dezember, dem Fest des heiligen Johannes des Evangelisten, Wein geweiht, so wird dabei ein besonderes Gebet gesprochen, das die Erinnerung daran aufrechterhält, dass dieser Apostel einst einen Kelch mit vergiftetem Wein ohne Schaden trank. Daher fleht das Gebet um seine besondere Mitwirkung, damit der Wein uns nicht schade. Am 23. Juni, dem Vorabend des Festes des heiligen Johannes, wird ein besonderes Gebet über das Feuer gesprochen. Darin ist eine Anspielung auf den großen Propheten enthalten, der wie eine Fackel in der Wüste den Weg des Herrn bereitete. Wir alle wissen, dass am Fest Mariä Reinigung, dem Fest des heiligen Blasius, unser Hals gesegnet wird. Aber mancher wird überrascht sein zu erfahren, dass es einen eigenen Segen für das Brot gibt, das man am Fest der heiligen Agatha zu sich nimmt. So geht es weiter durch das ganze Kirchenjahr.

 

Viele der Segensformeln des Rituale haben geradezu etwas Rührendes, z.B. der Segen für ein krankes Kind, der Segen für Neugeborene, der Segen für Medizinen, der Segen für Bienen, Trauben, Brot und Kuchen. Schön ist der Segen für werdende Mütter oder der für die Kräuter am Himmelfahrtstag.

 

Für uns, die wir keine Pilgerfahrten zu fernen Heiligtümern in fernen Ländern machen können, ist das Alltagsleben eine Pilgerreise, und wir können dazu den Segen verwenden für die, die sich auf die Reise zu heiligen Stätten begeben. Dieser erinnert uns an viele Reisen: an die Israeliten, die trockenen Fußes durch das Rote Meer zogen, an Abraham, der seine Heimat verließ, um in das Gelobte Land Kanaan zu ziehen, an Johannes den Täufer, der den Weg des Heils für alle Menschen vorbereitete, an die Heiligen Drei Könige, die auf ihrem Weg nach Bethlehem durch die Arabische Wüste zogen, und an den jungen Tobias, der auf seinem weiten Weg den Erzengel Raphael als Begleiter und Beschützer hatte. Das Gebet fleht zu Gott, er möge sich erweisen als Trost der Landfahrer, als Schatten gegen die Hitze, als Zuflucht vor Stürmen und schließlich als sicherer Hafen.

 

(Von Joseph M. Miller, aus „Messenger oft he Sacred Heart“, 515 E. Fordham Road, New York City, 58. Mai 1950)

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24. Die Stichprobe - ein Aberglaube

 

(Philipp Schmidt SJ, 1953)

 

In den „Bekenntnissen“ des hl. Augustinus lesen wir: „Ich hörte eine Stimme singenden Tones, die immer wieder rief: Nimm und lies! Ich dachte nichts anderes, als dass Gott mir befehle, ein Buch zu öffnen und zu lesen, worauf zuerst mein Auge schaue. Ich öffnete die Briefe des hl. Paulus, und schweigend las ich die Stelle: Lasset uns ehrbar wandeln wie am Tage, nicht in Schmausereien und Trinkgelagen, nicht in Unzucht und Ausschweifungen, nicht in Streit und Eifersucht! Da kam ein Licht der Zuversicht und Gewissheit in mein Herz, und alle Nacht des Zweifels war zerstoben.“ Bekanntlich wurde dieses zufällige Aufschlagen der hl. Schrift dem Heiligen zum Anlass der Bekehrung.

 

Auf diese Begebenheit beruft man sich immer wieder zur Rechtfertigung eines alten, weitverbreiteten Aberglaubens, des sog. „Bibelstechens“. Man sticht dabei mit einem spitzen Messer, einer Nadel oder sonst einem passenden Gegenstand ungezielt auf gut Glück in die Bibel, schlägt die Seite auf und legt mit geschlossenen Augen den Finger auf eine beliebige Stelle, in der sicheren Hoffnung, auf bestimmte Fragen, Zweifel und Wünsche die gesuchte Antwort oder doch einen andeutenden Hinweis zu erhalten. Diese Sitte wird auch „Däumeln“ genannt, da man die Seite mit dem Daumen festhält.

 

Was ist von diesem Bibelstechen zu halten? Während der hl. Augustinus auf eine göttliche Anregung hin, wie er ausdrücklich betont, die Bibel aufschlug, kommt er später als Bischof im Kampf gegen Wahn- und Aberglauben auch auf das „Nadelstechen in das Neue Testament“ zu sprechen, das die Christen jener Zeit eifrig betrieben, und tadelt es mit den scharfen Worten, aus diesen „geringfügigen Schicksalswendungen“ den Finger Gottes erkennen zu wollen, heiße, „die göttlichen Orakel, die für das ewige Leben bestimmt sind, für die Nichtigkeiten des Zeitlichen umdeuten.“ Lange vor Augustinus wurde das Buchorakel in dieser Form schon geübt. Zu seinem Gebrauch wurden fast nur Werke bedeutender Verfasser verwandt, so bei den Griechen Homer, bei den Römern Vergil, bei den Mohammedanern der Koran oder der Diwan des Hafis, ein Werk des persischen Dichters Schemseddin Muhammed (14. Jhdt.), das Goethe als Vorbild für seinen Westöstlichen Diwan diente. Christen gebrauchten für die Stichprobe die Bibel, das Messbuch oder andere oder andere bekannte Erbauungsbücher. So schreibt Goethe in einer Note zum Westöstlichen Diwan: „Der in jedem Tag düster befangene, nach einer aufgehellten Zukunft umschauende Mensch greift begierig nach Zufälligkeiten, um irgendeine weissagende Andeutung aufzuhaschen. Der Unentschlossene findet sein Heil nur im Entschluss, dem Ausspruch des Loses sich zu unterwerfen. Solcher Art ist die überall herkömmliche Orakelfrage an irgendein bedeutendes Buch, zwischen dessen Blätter man eine Nadel versenkt und die dadurch bezeichnete Stelle beim Aufschlagen gläubig beachtet. Wir waren früher mit Personen genau verbunden, welche sich auf diese Weise bei der Bibel, beim Schatzkästlein und ähnlichen Erbauungsbüchern zutraulich Rats erholten.“ Goethe denkt wohl hier an seine Mutter und deren Freundin von Klettenberg. Goethes Mutter hielt nämlich große Stücke auf diese Stichproben, besonders seit sie 1768 bei der Rückkehr ihres kranken Sohnes aus Leipzig in Jeremias 31,5 den Vers aufgestochen hatte: „Du sollst wieder Weinberge bauen an den Bergen Samarias; pflanzen wird man sie und ihre Früchte genießen.“ Sie erblickte in diesen Worten ein glückliches Vorzeichen für die Zukunft ihres Sohnes. Das „Güldene Schatzkästlein“, von dem hier Goethe spricht und das seine Mutter gebrauchte, war ein damals weitverbreitetes Erbauungsbuch mit Versen aus der Hl. Schrift, das seit 1754 immer wieder neu aufgelegt wurde.

 

Bei der Herrnhuter Brüdergemeinde, gestiftet 1722 vom Grafen von Zinsendorf, wurde das Bibelstechen mit einer Art religiöser Weihe vorgenommen. Außer dem eigentlichen Bibelstechen wurden auch aus einem mit Bibelversen angefüllten Zettelkasten in Buchform willkürlich Bibelworte gelost. Für den Stifter und all seine wichtigen Entscheidungen galt dieses Orakel als eine Art göttlicher Offenbarung.

 

Von einem interessanten Versuch des Bibelstechens erfahren wir aus der Geschichte der Merowinger. Als der aufständische Sohn des fränkischen Königs Chlotar I., Chramne, die Stadt Dijon 557 belagerte, versuchten Geistliche durch dreimaliges feierliches Stechen in die Bibel, die auf dem Altar lag, über die Zukunft der Stadt Auskunft zu erhalten. Beim ersten Stich stießen sie auf Jesaja 5,4: „Warum hat der Weinberg Herlinge gebracht, da ich auf Trauben wartete?“ Die zweite Probe ergab Matthäus 7,26: „Da strömte ein Platzregen, es kamen Stürme und Fluten und warfen sich auf jenes Haus. Es stürzte ein und sein Fall war groß.“ Die dritte Stichprobe traf auf 1. Thessalonicher 5,2: „Ihr wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht.“ Ein dreimaliges Omen also, das den Fall der Stadt androhte! Wenn hier Geistliche die Bibel geradezu als Wahrsagebuch missbrauchten, so muss zur Erklärung gesagt werden, dass das religiöse Leben zur Zeit der Merowinger noch sehr schwach entwickelt und vielfach erst ein rein äußeres Christentum ohne tiefere Gesinnung und Haltung war. Hatte doch König Chlodwig erst 490 nach seinem Sieg über die Alemannen das Christentum angenommen! Die Kirche des Frankenreiches hatte noch durch viele Jahrhunderte mit tief im Volk verwurzelten Überresten des römischen und keltischen Heidentums zu tun. So musste das Konzil von Agde 506 unter dem Vorsitz des Cäsarius von Arles selbst Kleriker von der Kirche ausschließen, die unter dem Deckmantel der Religion sich mit Weissagungen, die sie sortes sanctorum (Lose der Heiligen) nannten, abgaben oder die Heilige Schrift zur Verkündigung zukünftiger Dinge missbrauchten. Ebenso belegte 511 das Konzil von Orleans Kleriker und Mönche, die Weissagungen in lügnerischer Weise aös sortes sanctorum ausgaben und alle, die daran glaubten, mit der Exkommunikation. Mehr als 200 Jahre später musste der hl. Bonifatius auf dem Konzil von Leftinä im Hennegau (743) wiederum gegen Wahrsagen aus der Hl. Schrift als Aberglauben und eine Vermengung von Heidentum und Christentum einschreiten. Auch in den Kapitularien, d. h. Bestimmungen kirchlichen Inhalts Karls d. Gr. Vom Jahr 789 (Aachen) wird der „gebrauch der Hl. Schrift zum Weissagen“ verboten. Sicher ist die Hl. Schrift für jede Lebenslage ein Trostbuch und ihr gläubiger Gebrauch und ihre fromme Lesung bietet seelische Beruhigung. Aber in dem Brauchtum des Bibelstechens mit seinem magisch zauberischen Erleben und seinen Anklängen an alte mystische Kultformen haben wir es hier mit einem reinen Aberglauben zu tun, nämlich dem Versuch, in harmlosen Vorgängen und Zufälligkeiten gute oder ungünstige Vorzeichen zu erblicken. Man will durch dieses Vorgehen die Zeichen des Schicksals gleichsam herausfordern und das feine unter einer Decke verborgene Geäder desselben bloßlegen und es durch etwas rein Zufälliges zwingen, sich demselben als Notwendigkeit zu offenbaren. Diese weit verbreitete Sitte des Bibelstechens oder auch der Bibelloserei (Bibellotterie), die an und für sich einem dem Schicksalsaberglauben völlig entgegengesetzten Gedanken entsprungen ist, ist also eine völlig unchristliche, mit dem Zufall spielende, abergläubische Wahrsagekunst, bei der die Hl. Schrift zu einem Wahrsagebuch herabgewürdigt wird.

 

 

Man kann verstehen, dass dieses Ausdeuten der Zukunft auf Grund des heiligsten aller Bücher auch heute noch bei Schwachgläubigen in Ehren steht und seine Übung höher geschätzt wird als das plumpe Voraussagen aus Kartenlegen, Handlinien, Salzverschütten, aus dem Zusammentreffen mit schwarzen Katzen u. dgl. Es ist eine bedauerliche Tatsache, dass sich der Aberglaube mit Vorliebe in das Heiligtum der Religion einschleicht und sich hier religiös verbrämt, oft in seinen verzerrtesten Formen zeigt, wie beim Gesundbeten, Kettenbriefschreiben, Gottesurteil (Ordale), Besprechung unter Anwendung von Beschwörungsformeln usw. Falsch verstandene Frömmigkeit und Unwissenheit verbunden mit Zukunftslüsternheit reichen sich hier die Hand. Schwacher Glaube öffnet immer magischem Hokuspokus das Tor und lässt christliche und heidnische Vorstellungen in verworrenem Gemisch nebeneinander bestehen, so dass ein solcher Christ von heute – natürlich unbewusst – gleichzeitig auch ein Heide von einst ist. Die Kirche hat von jeher jeden abergläubischen Offenbarungszauber, alle Wahrsagerei und jede Methode okkulter Zukunftsschau, besonders religiös verkleidete Arten derselben und damit also auch das Bibelstechen als Vergehen gegen die Tugend der Gottesverehrung verboten. 

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25. Stille Klöster im Lärm der Welt

 

(Aus: „Katholisches Sonntagsblatt der Diözese Rottenburg“, 1954)

 

Ein amerikanischer Trappist, P. James Fox, beleuchtet in einem Artikel die auffallende Tatsache, dass seit dem Krieg in den USA der Zustrom zu den strengsten Klöstern, denen der Trappisten, besonders groß ist und immer noch zunimmt. Seine Schilderung zeigt in bewegter Weise, welch hochherzige Entschlüsse die Gnade in den Seelen junger Amerikaner aufblühen lässt, mitten in der Zivilisation des Fortschritts, der Technik und des Komforts:

 

Trappisten gibt es in den USA schon seit 104 Jahren, aber erst nach fünfzig Jahren sah man einen im Land geborenen Amerikaner, der im Trappistenkloster blieb. 1944 zählte man drei Klöster der Trappisten in den Vereinigten Staaten, heute (1954) sind daraus schon zehn geworden. Die Zahl der Mönche stieg von 325 auf 850, und sie wächst immer noch. Der Trappistenorden in der ganzen Welt hat gegenwärtig (1954) 775 Novizen und Postulanten; von ihnen befinden sich 350, also fast die Hälfte, in den Vereinigten Staaten.

 

P. Fox spricht dann im Besonderen vom Gethsemani-Kloster in Kentucky, dem ältesten in den USA, dem er selbst angehört, und berichtet von seinen Erfahrungen. 1935 erhielt dieses Kloster zum ersten Mal einen amerikanischen Abt. Es zählte damals 75 Mönche. 1944 waren es 145. Und seitdem sind von Gethsemani aus vier neue Klöster gegründet worden. 125 Mönche gab das Mutterkloster für diese Gründung ab, aber immer noch sind 270 Mönche in Gethsemani. Das bedeutet, dass sein 1944 also 250 neu eingetreten sind.

 

Der Geist weht, wo er will

 

Was sind das für Menschen, und woher kommen sie? Manche treten nach dem 25. Lebensjahr ein. Aber gegenwärtig gibt es in Gethsemani nur neun Mönche über 70 Jahre. Fünfzig sind jünger als 21 Jahre. Es gibt welche, die erst 15 und 16 Jahre zählen. Und mehrere schreiben, man sollte ihnen einen Platz reservieren, bis sie das vorgeschriebene Alter hätten, weil sie erst 12 Jahre alt sind! 25 Mönche in Gethsemani sind Konvertiten. 31 sind von anderen Orden gekommen, und einige waren vorher Weltpriester. 116 von den Mönchen haben Universitätsprüfungen abgelegt oder Hochschulen besucht, und zwar nicht nur katholische. Es werden nicht alle Bewerber aufgenommen, im Durchschnitt nur die Hälfte. Etwa 60 Prozent der Eingetretenen harren im Kloster aus. Menschen aus 30 Nationen und allen Rassen sind im Kloster vertreten. Es kommen junge Leute aus Südamerika, den Philippinen, Japan, Deutschland, Kanada und Irland. Einer der Mönche ist ein konvertierter Jude. Es kommen mehr Kandidaten aus der Stadt als vom Land. Unter den Mönchen von Gethsemani sind 50 ehemalige Frontkämpfer, darunter solche mit hohen Dienstgraden und Auszeichnungen. Es gibt unter ihnen ferner frühere Ingenieure, Architekten, Rechtsanwälte, Ärzte, Bankleute und Makler. Mehrere waren Vorstand in ihrem Sportklub oder Studentenführer an ihrer Hochschule.

 

„Ich will alles geben“

 

Was führt diese jungen Leute, diese Männer, diese Priester ins Trappistenkloster? Es gibt hier nichts, was sie, vom natürlichen Gesichtspunkt aus, anlocken könnte. „Eines Tages“, so erzählt P. Fox, „kam ein junger Mann zu mir, um mir seinen Entschluss, ins Kloster einzutreten, mitzuteilen. Er war Flieger gewesen, Major im Krieg, und im Augenblick unserer Unterredung leitete er ein Büro im New Yorker Bankviertel. Er war Mitglied der Börse und des Klubs von New York. Sein Einkommen betrug 20.000 Dollar im Jahr. Er war noch nicht 30 Jahre alt. Man konnte sagen, es lag eine große Zukunft vor ihm. Ich sprach sehr deutlich mit ihm und sagte: Also, mein lieber Thomas, Sie wollen Trappist werden. Lassen Sie mich Ihnen etwas von unserem Klosterleben erzählen! Es wird für Sie keinen Baseball mehr geben, kein Tennis, kein Schwimmen, kein Polospiel, kein Billard, keine Karten. Es wird zum Essen kein Fleisch mehr geben, auch keinen Fisch noch Eier, außer im Krankheitsfall. Es wird nie mehr Zeitungen geben, nie mehr Illustrierte, Radio und Fernsehen. Sie werden nicht mehr rauchen und trinken. Es gibt auch keine netten Unterhaltungen mit anderen mehr. Sie können nie mehr in Urlaub fahren an die See oder in die Berge, Sie können nicht einmal ihre Angehörigen besuchen, selbst nicht beim Tod Ihres Vaters oder Ihrer Mutter, und auch Ihr erstes Messopfer nicht daheim feiern, wenn Sie bis dahin aushalten. Es wartet keine glänzende Laufbahn als Prediger oder Lehrer auf Sie. Ihre Angehörigen dürfen Sie nur einmal im Jahr hier besuchen. Sie dürfen vier Mal im Jahr heimschreiben und nur vier Briefe von Daheim empfangen, ganz dringende Fälle ausgenommen. Es gibt keine Hoffnung, von einem Trappistenkloster in ein anderes überzuwechseln, weil jedes Kloster selbstständig ist. Mein lieber Thomas, es wird immer das gleiche regelmäßige Leben sein, ob Ostern, Weihnachten oder ein nationaler Feiertag ist . . . Dann schaute ich dem jungen Flieger und Bankier fest in die Augen und fragte: Tom, wollen Sie jetzt eintreten? Ohne Zögern antwortete er: Ich will es. Ich will Jesus alles geben.“

 

Er wollte Exerzitien machen

 

„Da war“, so berichtet P. Fox weiter, „ein anderer junger Mann, noch in den zwanziger Jahren, der bei der Armee Hauptmann gewesen war und jetzt eine Schlüsselstellung bei General Motors innehatte, mit einem sehr verlockenden Gehalt. Er kam, um kurze Exerzitien mitzumachen, nichts weiter. Am ersten Tag sagte er zu einem anderen Teilnehmer: Eins ist sicher, hier ist nicht mein Platz. Am zweiten Tag meinte er: Wenn man es recht nimmt, ist es gar nicht so schlecht. Am dritten Tag bemerkte er: Ich werde vielleicht mit dem Vater Abt sprechen. Am vierten Tag kam er zu mir. Ich beschrieb ihm das Leben im Kloster und sagte: Mein lieber Heinrich, zum Schlafen bei Nacht kann ich Ihnen nur einen Strohsack auf Brettern anbieten. Wir gehen um 7 Uhr zu Bett und stehen um 2 Uhr nachts auf. An Sonntagen erheben wir uns um halb 2 und an bestimmten Feiertagen schon um 1 Uhr, um mit dem Chorgebet fertig zu werden. Als Chormönch werden Sie sechs bis sieben Stunden beim Chorgebet und Gottesdienst zubringen. Dazu kommt die Zeit für die geistliche Lesung und das private Gebet. Auch als Priester müssen Sie Handarbeit leisten auf dem Feld, in den Werkstätten, ganz wie der Zimmermann von Nazareth. Mit anderen Worten, Sie werden sich ganz Jesus opfern müssen, nicht nur zu 95 %, sondern zu 100 %! Und der junge Mann antwortete mir: Ich gebe 100 %. In sechs Monaten komme ich wieder. Er kehrte schon nach drei Monaten zurück. Woher hat der junge Mensch diese klare Erkenntnis und die Willenskraft genommen inmitten des Luxus, des Erfolges, der Vergnügungen und Sympathien in der Welt? Nur die Gnade Gottes kann dies erklären.“

 

„Ich will Jesus finden“

 

P. Fox erzählt noch einmal von einer Begegnung. „Ich fragte einen jungen, glänzend begabten Mann, der aus einer großen Stadt kam: Dick, was treibt dich, in deinem Alter und mit deinen Talenten, dazu, Trappist zu werden? Er antwortete ganz schlicht: Ich bin gekommen, um Jesus zu finden. Er sagte nicht auf eine allgemeine, unpersönliche Art, dass er Gott oder Christus suchen wolle, nein, er sagte es in dieser intimen Weise: Ich will hier Jesus finden! Das hat er nicht in einem Buch gelesen, das ist etwas, was aus dem Innersten seiner Seele kam.“

 

Und zum Schluss erwähnt P. Fox noch eine Tatsache, die nach seiner Ansicht die auffallendste Erscheinung am amerikanischen Klosterleben ist, nämlich die Demut, mit der die jungen Menschen in großer Zahl auf das Priestertum verzichten, um das verborgene Leben eines Bruders zu führen. „In einem Trappistenkloster ist die Hauptsache der Chordienst und das Messopfer. Die Chormönche sind weiß gekleidet, die Brüder braun. Und doch sind von unseren 270 Mönchen 142 Brüder und nur 128 Chorpatres. Von 150 Novizen in Gethsemani sind 90 Brüder-Novizen, und unter diesen neunzig sind mehr als 35 Akademiker mit Examina als Juristen, Ingenieure usw.“ P. Fox schließt seinen Artikel mit dem Hinweis darauf, dass die in so großer Zahl ins Trappistenkloster eintretenden Amerikaner am wohltuendsten das streng geregelte Leben und das absolute Stillschweigen empfinden, „dieses Schweigen, das nicht nur eine Bußregel oder eine erworbene Gewohnheit ist, sondern eine Atmosphäre, in der man Jesus atmet.“

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26. Schwarz-Rot-Gold

 

Da in drei Monaten Bundestagswahl ist (ich schreibe diesen Artikel im Juni 2021), sollten wir uns rechtzeitig so manches Ereignis der letzten Jahre in Erinnerung rufen. Zum Beispiel die Äußerungen der Parteien zur Abtreibung (Tötung) von ungeborenen Menschen und andere für uns Christen wichtige Wegmarken, die wir bei unserer Wahl nicht außer Acht lassen dürfen. Hier die Erinnerung an die Fahne der Bundesrepublik Deutschland: Seit im Jahr 2013 Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Feier nach ihrem Wahlsieg aus unerfindlichen Gründen dem damaligen Generalsekretär der CDU Hermann Gröhe auf der Bühne ein schwarz-rot-goldenes Fähnchen heftig aus der Hand riss und wie angewidert wegwarf, ist die Fahne selbst wieder mehr ins Augenmerk gerückt. Interessant ist die Geschichte der deutschen Fahne. Hans Armin Schrey hat über sie im „Katholischen Digest“ von 1962 folgenden Artikel veröffentlicht:

 

 

„Seit 1949 führt die Bundesrepublik wieder Schwarz-Rot-Gold als Farben der Nationalflagge, wie vorher schon die Weimarer Republik von 1919 bis 1933 und der erste deutsche Bundesstaat von 1848 bis 1850. Vor 1818 gibt es in Deutschland keine schwarz-rot-goldene Fahne im heutigen Sinne, doch lassen sich die Spuren dieser Farbenverbindung bis in das hohe Mittelalter zurückverfolgen.

 

Das wohl älteste Zeugnis der drei Farben nach getrennten Symbolen ist den Kaiserzügen des 12. Jahrhunderts zu danken. Dem Kaiser wurde u.a. eine Standarte vorangetragen, die einen schwarzen Adler auf goldenem Grund zeigte, sowie die rote Lehens- oder Blutsfahne. Das erste gemeinsame Auftreten der drei Farben, die später im Volksmund aus unerfindlichen Gründen die „alten deutschen“ genannt werden, ist in der Manessischen Liederhandschrift festzustellen, die um 1300 entstanden sein dürfte. Dort zeigt das Wappen auf dem Bildnis von Heinrich VI. einen schwarzen Adler mit roten Krallen auf goldenem Grund. Eine zeitliche Parallele hierzu findet sich in der Züricher Wappenrolle, deren kaiserliches Adlerwappen die gleiche Farbgebung aufweist. Nicht anders ist es auf einer Habsburger Ritterfahne des frühen 13. Jahrhunderts im Berner Historischen Museum. Wenn auch schon sehr verblichen, so ist doch noch deutlich die gelbe Farbe (Gelb und Gold sind in der Heraldik gleich) des Fahnentuches erkennbar, auf dem ein rotbewehrter schwarzer Adler steht. Auch das Hohenstaufen-Hauswappen lässt eine schwarz-rot-goldene Spur erkennen. Ursprünglich bestand es aus drei übereinanderliegenden schwarzen Löwen auf Goldgrund. Als der letzte Staufer Konradin 1268 enthauptet wurde, wandelten sich, so sagt die Legende, die Vorderpranken des Löwen in Rot. Ein Stadttor im allgäuischen Wangen trägt solch ein Wappen noch heute.

Banner der Jenaer Urburschenschaft 1815 mit Schwarz-Rot-Gold

 

In einem Kommentar zum „Sachsenspiegel“, dem ältesten mittelalterlichen Rechtsbuch, heißt es schon im Jahr 1221: Tume anderen het dat Ryke eyn Bannyr, darynne steyt eyn Arn, an deme steyt eyn Crucze vor dy brust. . . Tum drudden het he eynen Vanen, dy is vor roth unde hindene ghel. . . Diesem Hinweis gibt der „Codex Balduini“ etwa 100 Jahre später farbiges Zeugnis. Bischof Balduin, Bruder Heinrichs VII., ließ in dieser Schrift den Italienzug des Kaisers 1312 schildern. Hier begegnen wir mehrfach dem vorerwähnten Kaiserbanner mit dem schwarzen Adler, der roten Lehensfahne und, in 13 Bildern, einem langen Wimpel über dem kaiserlichen Reiterzug, der „vorne rot und hinten gelb“ ist.

 

Ebenfalls in der Manessischen Handschrift führt neben einigen Siegeldarstellungen – schwarzer Adler auf gelbem Grund mit roter Umrandung – der Ritter von Honberg eine Fahne, deren Schaft rot ist, während der goldene Wimpel drei schwarze Adler trägt. Nun ist dies ganz gewiss keine kaiserliche Fahne, aber warum sollte nicht ein Ritter aus Gefolgstreue für den Kaiser dessen Wappensymbol in geziemender Verkleinerung übernommen haben? Diese Fahne führt auch der Form nach geradewegs zur Reichssturmfahne, die Kaiser Ludwig der Bayer am 3.3.1336 dem Grafen Ulrich von Württemberg verlieh: . . . daz wir unsern und dez riches sturmvanen empfohlen haben dem Edlen man Ulrichn Grafen zu Wirtenberg . . . und daz der vorgenant Graf Ulr. von Wirtenberg und sin erben, die sun sint, uns und unsern nachkomen an dem riche, Kuenigen und Keisern, oewiklichen die dienst sullen getriwlichen, die man do von zu recht und billich tun sull.

 

Die Reichssturmfahne bestand aus goldenem Tuch mit schwarzem Adler und hing am roten Schaft. Zeitgenössische Darstellungen haben sich vielfach im Ludwigsburger Schloss erhalten, die schönsten Zeugnisse jedoch finden sich im Chor der Tübinger Stiftskirche. Auf der Gedenktafel für Herzog Eberhard im Bart ist die Reichssturmfahne zweimal dargestellt, und einen Schritt daneben hat sie auf dem Sarkophag des Herzogs Eingang gefunden. Schwarz und Rot und Gold sind als ihre Farbenelemente bis auf den heutigen Tag hervorragend erhalten geblieben. Noch in späterer Zeit erscheint die Reichssturmfahne in einem Feld des Württembergischen Königswappens.

 

 

Zwei weitere Spuren, von der Wissenschaft bis jetzt kaum ausführlich gewürdigt, weisen auf die Farbenverbindung von Schwarz, Rot, Gold hin. Da ist zunächst einmal der Adler auf dem Zeremonienschwert der Reichsinsignien, heute in der Wiener Schatzkammer, der eindeutig die Farben Schwarz, Rot, Gold aufweist. Zum anderen ist ein erst vor wenigen Jahren freigelegtes Fresko in der gotischen Kapelle von Zeil am Main anzuführen, das dem späten 14. Jahrhundert zugeschrieben wird. Es zeigt Heinrich II. und seine Gemahlin Kunigunde mit dem Modell des von ihnen gestifteten Bamberger Doms. Über dem Herrscherpaar ist der kaiserliche Adler angebracht, auf schwachem Goldgrund ein Schwarzer Adler mit roten Krallen.

 

 

Diese wohl ältesten Zeugnisse von Schwarz, Rot, Gold aus der Geschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation lassen sich an der Schwelle zur Renaissance fortsetzen. Der Mantel des Reichsherolds im Germanischen Nationalmuseum trägt auf Vorder- und Rückseite den schwarzen Adler mit roter Wehr auf goldenem Grund. Der fast mannshohe Schild von Karl V. in Augsburg ist farblich ebenso gestaltet. Der Knauf des Heroldsschwertes, in dessen Schutz Luther freies Geleit zum Reichstag nach Worms erhielt, war mit schwarzen, roten und goldenen Lederriemen umzogen. Wir finden die alten Farben sowohl auf alten Holzschildern wie auf wenigen noch erhaltenen Reichshumpen des 16. Jahrhunderts, wir sehen sie in den berühmten Glasfenstern des Züricher Landesmuseums und in Siegelschnüren von Karl V. Sie standen auf dem Mastkorb des Flaggschiffs des gleichen Kaisers, als er nach Tunis segelte. Sogar die aufständischen Bauern sollen sich nach einer (umstrittenen) Chronik diese Farben zum Sinnbild ihres zu erkämpfenden „Göttlichen Rechtes“ gemacht haben: Am 24. August 1524 zogen ihrer 1200 gen Waldshut, die schwarz-rot-gelbe Reichsfahne voran, einen früheren Soldaten, Johannes Müller von Bulgenbach, an ihrer Spitze. Auch vom kaiserlichen Reichswassergericht in der Wetterau, einem Teil des heutigen Hessen, lassen sich Spuren ableiten. So heißt es in einem Bericht aus dem Jahr 1799: Das Gerichtspersonal ist mit rothen, gelben und schwarzen Schärpen gezieret, ebenso der justiznagel. Weiter wird dort bemerkt: Der Müller gibt freie Zehrung, Logis und Fütterung für die Pferde, sodann 30 Ellen roth, 30 Ellen gelb und 30 Ellen schwartz Band. Und aus dem Jahr 1684 berichtet eine Chronik aus Vilbel: Als der Wasserpfahl an das gegrabene Loch gebracht war, sind die Herren Wasserhauptmann und Richter, den Justiznagel vor sich hertragen lassend, der mit Rosmarin und kaiserlichem Libereiband rot, gelb und schwartz gezieret, desgleichen die Herren Wasserrichter an ihrem rechten Arm auch waren, zu dem genannten Ort gegangen.

 

 

Im 19. Jahrhundert erneuern sich die Farben in der Uniform der Lützower, nunmehr zum politischen Symbol für Einheit und Freiheit gewandelt. Schwarz war der Waffenrock, rot Vorstoß und Kragen, golden schimmerten die Knöpfe. Friedrich Ludwig Jahn, Lützows Ajutant, gab diesen Farben den sinnbildhaften Gehalt: Schwarz wie die Nacht der Knechtschaft, Rot wie das Blut des Kampfes, Golden wie die Freiheitssonne! Aus der großen nationalen Bewegung der Befreiungskriege sollte ein geeintes Deutschland hervorgehen unter den gemeinsamen Farben Schwarz-Rot-Gold. So idealistisch jedenfalls dachten viele Studenten, als sie sich 1815 in Jena zur ersten deutschen Burschenschaft zusammentaten und die geliebten Farben übernahmen. Ihr rot-schwarz-rotes Banner war von goldenen Fransen umzogen und trug inmitten einen goldenen Eichenzweig. Daraus entwickelte sich schließlich die erste schwarz-rot-goldene Fahne der deutschen Geschichte, als sich Vertreter von 14 Universitäten 1818 zur Allgemeinen Deutschen Burschenschaft zusammenschlossen. Aber diesen Farben war kein langes Leben beschieden: sie wurden radikal verboten, als der Student Sand 1819 den Staatsrat und Dichter August Kotzebue erstach. Jene im Zeichen von Schwarz-Rot-Gold von der Burschenschaft verfolgte liberale Bewegung, deren Forderungen in einem freien und einheitlichen Deutschland gipfelten, war den Fürsten der 38 deutschen Kleinstaaten verhasst. Doch gerade durch dieses Verbot wurde das freiheitliche Gedankengut in breiteste Volksschichten getragen und kam 1832 beim Hambacher Fest, angestachelt durch die Revolutionen von Warschau und Paris, zum elementaren Durchbruch. Damals zogen 30.000 Menschen durch ein Meer von schwarz-rot-goldenen Fahnen, angetan mit Schärpen und Rosetten, Kokarden und Armbinden in den gleichen Farben, zur Hambacher Burgruine und verlangten stürmisch eine freiheitliche Verfassung in einem vereinigten deutschen Vaterland. Dreimal hoch die vereinigten Staaten Deutschlands und ein konföderiertes Europa! lautete eine der Devisen jenes Tages, dessen politische Prophetie erst heute voll gewürdigt werden kann. Noch heute hängt im Museum zu Neustadt a. d. Weinstraße jene historische Hambacher Fahne in Schwarz-Rot-Gold mit der mahnenden Inschrift „Deutschlands Wiedergeburt!“

 

Zwar wurde vielen Teilnehmern am Hambacher Fest der Prozess wegen Aufruhrs gemacht, aber der politische Liberalismus, vom Bürgertum ausgehend, war nicht mehr totzuschweigen. Wiederum von der Pariser Revolution im Februar 1848 angestachelt, kam es im März in Deutschland allenthalben zu Aufständen mit dem Ziel, die politische Gleichberechtigung des Bürgertums durchzusetzen. Überraschend beschloss der von den Fürstenhäusern delegierte Frankfurter Bundestag am 9. März 1848: Ebenso werden die Bundesfarben der deutschen Vorzeit zu entnehmen sein, wo das deutsche Reichspanier schwarz, rot und golden war. Schon am 10. März wehte die schwarz-rot-goldene Flagge vom Thurn- und Taxis-Palais in Frankfurt, am 13. März zeigte sich Kaiser Ferdinand in der Wiener Hofburg mit den neuen Farben, die auch vom Stephansdom weit ins Land grüßten. Am 19. März flatterten sie vom Kölner Dom. In Berlin war es am 18. März zu blutigen Unruhen gekommen, als das Bürgertum die vom König längst versprochene Verfassung forderte. 183 Tote blieben zurück, angesichts derer König Friedrich Wilhelm IV. verkünden ließ: Ich habe heute die alten deutschen Farben angenommen und Mich und Mein Volk unter das ehrwürdige Banner des Deutschen Reiches gestellt. Den weiteren Verlauf des Tages schildert ein Zeitungsbericht: Soeben reitet unser König mit der dreifarbigen Fahne durch die Straßen. Das Volk jubelt ihm von allen Seiten entgegen. Der König selbst hat ein schwarz-rot-goldenes Band um den Arm geschlungen. Zugleich wurde auf dem Turm des Schlosses eine große Fahne in den Farben Schwarz-Rot-Gold aufgezogen.

 

 

 

Am 18. Mai zog Deutschlands erstes vom Volk frei gewähltes Parlament in die Frankfurter Paulskirche ein. Über 7000 schwarz-rot-goldene Fahnen grüßten Deutschlands geistige Elite, die eine freiheitliche Verfassung ausarbeiten sollte. Am 31. Juli 1848 wurden Schwarz-Rot-Gold feierlich als Farben der nationalen Fahne empfohlen, und Erzherzog Johann von Österreich zog kurz darauf als deutscher Reichsverweser unter einem Baldachin schwarz-rot-goldener Fahnen in Frankfurt ein. Vor dem Parlament, das die ersten deutschen Grundrechte festlegte, hielt der greise Turnvater Jahn seine berühmte Schwanenrede: Ich will hier meinen Schild künden, da ich ihn nicht aushängen kann. Mein Schild führt die Farben Schwarz, Rot, Gold, und darauf steht geschrieben: Einheit, Freiheit, Vaterland! Noch immer trage ich die deutschen Farben, so ich im Befreiungskrieg aufgebracht habe, nachdem sie seit dem unglücklichen Bauernkrieg verschollen gewesen.

 

Aber die so sehr ersehnte deutsche Einheit scheiterte an den unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen Preußen und Österreich. Nur bis zum 2. September 1850 wehten über der Frankfurter Paulskirche die schwarz-rot-goldenen Farben. Im Bruderkrieg von 1866, als die kleindeutsch-preußische Idee über den gesamtdeutsch-österreichischen Gedanken in der Schlacht bei Königgrätz triumphierte, gingen mit schwarz-rot-goldenen Armbinden auch die süddeutschen Verbündeten Österreichs unter, zugleich die letzte Chance für eine deutsche Einheit begrabend.

 

Bismarck ersetzte 1861 Schwarz-Rot-Gold durch das willkürliche Schwarz-Weiß-Rot, das er aus Preußens Schwarz-Weiß und dem Weiß-Rot Brandenburgs und der Hansestädte zusammenfügte. Nach einigen Jahrzehnten der Blüte ging das zweite Kaiserreich in den Materialschlachten des 1. Weltkrieges unter. Es ist hier festzuhalten, dass die dem Kriegsende folgende Anarchie unter der roten Fahne des internationalen Kommunismus erst wieder 1919 durch das Ordnungsprinzip der Weimarer Republik abgelöst wurde. Dieser aus allen Wunden blutende Staat gab sich am 3. Juli 1919 wieder eine nationale Fahne: „Die Reichsfarben sind Schwarz-Rot-Gold.“ Unter diesen Farben konnte sich das geschlagene Deutschland langsam wieder aufrichten. Doch selbst um die nationale Fahne erhob sich ein hässlicher Flaggenstreit, der dazu führte, dass die deutsche Handelsflagge wieder Schwarz-Weiß-Rot wurde und nur in der oberen Ecke Schwarz-Rot-Gold trug. Ein Jahrzehnt später blieb es dem Hakenkreuz vorbehalten, Europa in einen Kriegsschauplatz und Deutschland in ein Trümmerfeld ohnegleichen zu verwandeln. So mag es fast schicksalhaft anmuten, dass in der Stunde tiefster Not Schwarz-Rot-Gold wieder an einem deutschen Neubeginn stand, als am 8. Mai 1949 der Artikel 22 des Grundgesetzes formuliert wurde: „Die Bundesflagge ist Schwarz-Rot-Gold.“

 

Damit schließt sich der Kreis über sechseinhalb Jahrhunderten deutscher Geschichte. Der deutsche Kaiseradler in der Manessischen Handschrift kehrt im heutigen Bundeswappen in abgewandelter Form wieder; beiden Symbolen ist die schwarz-rot-goldene Farbgebung eigen. Im Zeichen der alten Farben hat sich das neue Deutschland wieder Achtung und Gleichberechtigung unter den freien Völkern der Welt errungen. Erneut musste Deutschland seinen jahrhundertealten schicksalhaften Weg gehen: aus schwarzer Nacht durch endloses Opferblut in das Wunschbild einer goldenen Freiheit, in die auch unsere Schwestern und Brüder im Osten eingeschlossen sind im Zeichen der alten deutschen Farben

 

Schwarz-Rot-Gold.

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27. Simon von Cyrene

 

Das Neue Testament hat eine fast aufregende Art, eine Person zu erwähnen, uns eine knappe, interessante Information über sie zu geben und dann mit keinem Wort mehr auf sie zurückzukommen. Ist es nicht geradezu quälend, wenn der heilige Paulus von seinem "lieben Stachys" (Römer 16,9) - also offenbar einem alten Freund - spricht und wir dann kein Wort mehr über diesen hören? 

 

Genau so erregt es unsere Wissbegierde, dass wir nicht wissen, wer der nackte Jüngling war, von dem der heilige Markus erzählt, dass er sich im Garten Gethsemani befand. Könnte es nicht der Evangelist selber gewesen sein? (Markus 14,51-52) Und da wir gerade dabei sind, wer war überhaupt Markus? War er die gleiche Person wie der junge Mann mit dem Namen Johannes, "auch Markus genannt", der Neffe des Barnabas und die Ursache einer Unstimmigkeit zwischen seinem Onkel und dem heiligen Paulus? Oder: wer war Tertius, jener hochmütige Sekretär, der seinen Namen in den Brief des heiligen Paulus an die Kirche in Rom einschmuggelte? (Römer 16,22) 

 

Fragen wie diese reizen immer wieder zu Spekulationen und Nachforschungen. Wir wollen in diesem Zusammenhang eine uns allen gut bekannte Person herausgreifen: Simon von Cyrene, der Christus das Kreuz tragen half. "Als sie ihn abführten", berichtet der heilige Lukas, ergriffen sie einen gewissen Simon von Cyrene, der vom Feld kam, und legten ihm das Kreuz auf, dass er es hinter Jesus trage."

 

Wie viele Millionen Christen haben Simon darum beneidet, dass er das Glück hatte, unserem Herrn im Augenblick seines größten Leidens helfen zu dürfen! Aber vielleicht war Simon selbst damals keineswegs von dieser Einstellung erfüllt. War er ein Anhänger Jesu? Wir wissen es nicht. Höchstwahrscheinlich hielt er ihn für einen Verbrecher, der zum Tode verurteilt worden war. In eine öffentliche Hinrichtung verwickelt zu werden, war wohl das letzte, was er gewünscht hätte, als er von der Tagesarbeit nach Hause eilte. Doch es gab kein Entkommen für ihn, die Soldaten zwangen ihn. 

 

Vielleicht war das seine anfängliche Einstellung. Dann aber muss allmählich etwas anderes über ihn gekommen sein. Niemand hat Jesus jemals mehr gegeben, als er dafür von ihm erhielt. Simon von Cyrene lieh ihm ein paar starke Schultern und erhielt dafür den Glauben und das ewige Leben. Er wurde Christ, auch wenn wir nicht genau wissen, wann. Dass er es wurde, ist sicher. Wir finden seine Söhne Alexander und Rufus später als wohlbekannte Mitglieder der jungen Kirche. Der heilige Markus erwähnt sie in seinem Evangelium (15,21), was den Schluss nahelegt, dass sie in Rom lebten, wo das Markusevangelium entstand.

 

Aber ist das alles? Haben die Verfasser des Neuen Testaments uns wieder nur angeregt und dann die ganze Geschichte auf sich beruhen lassen, ohne uns auch nur noch einige Andeutungen zu machen? Ich glaube nicht.

 

Der liebe alte Stachys war nämlich nicht der einzige, den der heilige Paulus am Ende seines Briefes an die Römer grüßte. Es waren auch noch andere darunter. "Grüßt Rufus, den im Herrn Erwählten, und auch seine Mutter, die auch die meine ist." Hier sind wir wirklich auf einer Spur. Nicht nur Rufus kam nach Rom, sondern auch seine Mutter, die Frau des Simon.

 

Vielleicht war Simon um diese Zeit schon tot, und seine Frau lebte bei ihren Söhnen und leistete apostolische Arbeit. Doch das waren keine gewöhnlichen Freunde von Paulus, denn die Mutter des Rufus war, wie er berichtet, gleichsam auch eine Mutter für ihn. Also eine bevorzugte Familie! Unwillkürlich fragen wir uns, wo und wie es dazu kam. Nicht in Rom, weil Paulus nicht dort war, und auch nicht in Jerusalem, weil seine Besuche in dieser Stadt jeweils nur sehr kurz und zweckbestimmt waren, wobei er keine Zeit haben konnte, sich nach einer Frau umzusehen, die ihn betreute. Nein, es muss ein anderer Ort gewesen sein. 

 

Schauen wir wieder in die Bibel! Wir können vermuten, dass Simon nach der Kreuzigung und Auferstehung weiter in Jerusalem lebte, sein Feld vor der Stadt bestellte, aber auch Anteil nahm am Leben der jungen christlichen Kirche. Er beteiligte sich wohl am Gebet und am Brechen des Brotes und lauschte der Unterweisung der Apostel. Er war auch nicht der einzige aus Cyrene in Jerusalem, durchaus nicht. Im Gegenteil, die Leute von Cyrene hatten ihre eigene kleine Synagoge, und Simon war vielleicht bemüht, ein paar seiner Landsleute zu bekehren, z.B. Lucius von Cyrene, der später ebenfalls erwähnt wird. (Lucius von Cyrene gehörte zu den ersten Christen. Er wird in der Apostelgeschichte erwähnt als einer der „Propheten und Lehrer“ in Antiochia (Apg 13,1). Offenbar stammte Lucius ursprünglich aus Cyrene und soll entweder dort oder in Laodicea Bischof geworden sein. Lucius wird zu den Siebzig Jünger gezählt und als Heiliger verehrt. Sein Gedenktag ist der 6. Mai. - Zeno.org)

 

Dieses friedliche Leben der frühen Kirche sollte nicht lange dauern. Der heilige Stephanus fand den Martertod. In der anschließenden Verfolgung wurden, wie die Apostelgeschichte berichtet, "alle mit Ausnahme der Apostel in die Gegend von Judäa und Samaria zerstreut". Da musste wohl auch Simon mit den übrigen die Stadt verlassen. Wo ging er hin?

 

Diesmal er halten wir einige Kapitel weiter einen hilfreichen Wink. "Jene aber, die sich wegen der Bedrängnis, die mit Stephanus gekommen war, zerstreut hatten, kamen auf ihrer Wanderung bis Phönizien und Cypern und Antiochien, wobei sie nur den Juden das Wort verkündeten. Es waren aber unter ihnen Männer aus Cypern und Cyrene, die nach ihrer Ankunft in Antiochien auch zu den Hellenen sprachen und die Frohbotschaft vom Herrn Jesus verkündeten. Und die Hand des Herrn war mit ihnen: eine große Zahl wurde gläubig und bekehrte sich zum Herrn."

 

Hier finden wir den Anfang der großen Gemeinde von Antiochien, die größtenteils von Cyrenäern aus Jerusalem gegründet war. Natürlich wissen wir nicht, ob Simon unter ihnen war. Doch wenn wir ein wenig später die Namen der ersten Lehrer von Antiochien lesen, stutzen wir und trauen unseren Augen kaum: "In der zu Antiochien bestehenden Gemeinde waren als Propheten und Lehrer Barnabas und Symeon (Simon), genannt Niger, und Lucius von Cyrene, sowie Manahen, der mit dem Vierfürsten Herodes erzogen worden war, und Saulus."

 

"Niger" bedeutet nichts anderes als schwarz, und das passt hier gut. Cyrene liegt in Afrika, und ein Mann aus Cyrene war daher wohl etwas dunkler als normal und konnte den Spitznamen "der Schwarze" bekommen. Ich möchte jedenfalls annehmen, dass Simon der Schwarze in Antiochien kein anderer war als unser Simon von Cyrene aus Jerusalem.

 

Wir fragten uns oben, wo es wohl gewesen sein konnte, das Simons Frau das Glück hatte, dem heiligen Paulus eine zweite Mutter zu werden. Die Antwort ist klar: in Antiochien. Auch Paulus war dort, wie wir eben erfuhren. Aber zu dieser Zeit war er noch ein junger Mann, der gerade mit seiner apostolischen Tätigkeit begann. Er musste irgendwo wohnen, und was war für Simon, den alten Presbyter, natürlicher, als dem jungen, feurigen Prediger ein Zimmer in seinem Haus anzubieten? Seine Frau konnte Paulus betreuen, ihm seine Kleider ausbessern und ihm die mütterliche Pflege bieten, die er brauchte.

 

Wenn unsere Schlüsse richtig sind, dann ist diese Geschichte leicht zu Ende zu führen. Simon wurde alt. Er hatte dem Herrn das Kreuz getragen, das Wort Gottes gepredigt und mitgeholfen, Antiochien zu bekehren. Er dachte wohl kaum mehr daran, noch einmal woanders hinzuziehen. Vielleicht begab er sich zum Konzil nach Jerusalem und sprach dort sogar, weil sein Name in dem Bericht darüber erwähnt wird. Sein Leben auf Erden war jedenfalls ein erfülltes Leben gewesen. Wenn der Tod nahte, brauchte er ihn nicht zu fürchten. Er hatte dem Herrn auf Seinem Weg zum Tod geholfen. Würde der Herr nicht das gleiche nun auch für ihn tun?

Adrian Hastings

"Catholic Digest"

St. Paul/Minnesota 1958

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28. Etwas (Satire) zur Wahl am 26.9.2021

 

Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen, mir scheint, dass wir uns ein bisschen mehr um unsere Politiker und Politikerinnen kümmern müssen. Sie machen für uns die wichtige Politik, sind immerfort tätig für uns, was aber tun wir für sie? Natürlich bezahlen wir sie, sogar ganz gut, aber das genügt nicht.

 

Denn hört, was einer von ihnen, der gerade noch so im Amt ist, gesagt hat: „Ich werde gerne für euch arbeiten, aber danach will ich nur noch mit meiner elektrischen Eisenbahn im Keller spielen.“ Eine andere sagt: „Ich will mich ganz und gar einsetzen für euch, aber ich wünsche mir dabei und danach auch noch etwas Zeit zum Lesen und Denken.“ Das sagt sie, und Deutschland hält den Atem an, weil es nicht richtig gehört zu haben glaubt. Hätte die Frau doch eine Puppe zum Spielen verlangt, so wie der Mann eine elektrische Eisenbahn! Nein, Zeit zum Lesen und Denken. Was für ein Anspruch! Was für ein Mut aber auch! Mut, etwas ganz Natürliches einzufordern. Hätte ich Auszeichnungen zu vergeben, so bekäme sie dafür die schönste mit goldenen Buchstaben auf hellem Grund.

 

Ihre Forderung kann doch nur bedeuten, dass eine Politikerin die Zeit zum Lesen und Denken nicht hat. Wenn das so ist, was wird dann aus unseren Politikerinnen? Und was wird aus uns?

 

Unsere Politiker im Land kandidieren, amtieren, diskutieren, signieren, dirigieren, deklarieren, separieren, referieren und konferieren. Sie reisen, werden empfangen und empfangen selbst. So treiben sie es unermüdlich. Tag für Tag. Woche für Woche. Aber warum? Gönnt denn das Amt ihnen keine Ruhe? Oder gönnen sie sich selbst keine?

 

Bekennen wir: Wir sind nicht ganz unschuldig daran. Wir klatschen ihrer Unermüdlichkeit im Kampf gegen alles Populistische und Böse und Bitterböse noch Beifall. Denn wir haben sie gewählt oder werden sie am 26. September noch wählen, und dann wollen wir aber auch was sehen! Welch ein Unfug! Es täte uns besser, liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen im ganzen Land, wenn unsere „Politiktreibenden“ nicht so unermüdlich arbeiten müssten. Denn nicht unermüdlich, sondern gut wollen wir regiert werden. Oder wollen wir vielleicht unaufhörlich Wichtigtuerei, hektische Betriebsamkeit und dauerndes Einstimmen in das immer gleiche Lied vom Klimawandel und vom permanenten deutschen Rassismus? Dazu führt heutzutage unvermeidlich ein hohes Amt in unserem Land, das keine Zeit mehr lässt zum Lesen und Denken. Es ist daher ein schlechtes Amt, schlecht für die, die es ausüben; Frau Baerbock, Herr Scholz oder Herr Laschet, schlecht für die Arbeit, die er oder sie tut, und schlecht für das Volk da unten, in dessen Auftrag (?) gearbeitet wird.

 

Wenn wir daher etwas für unsere Politiker und Politikerinnen tun wollen – und damit sicher auch etwas für uns –, so haben wir dafür zu sorgen, dass sie mehr Zeit haben zum Lesen und Denken, reichlich Zeit, ganz, ganz viel Zeit, damit sie zu sich selber kommen und nicht nur die Lieder einer Einheitspartei singen, immer wieder Abstand gewinnen, die Frische im Gesicht beim Arbeiten und den Überblick behalten über die Realität. Sonst können sie ja auch später im Kanzleramt nicht den richtigen Hebel im richtigen Moment finden, worauf es ja mehr ankommt als darauf, dass dauernd an den gleichen Hebeln der politischen Korrektheit herumgedrückt wird.

 

Aber was sollen die Damen und Herren Politiker in ihrer Freizeit lesen? Vielleicht Grimms Märchen, Winnetou, Goethe, Pater Brown, die Bibel oder Freud. Ach, sie sollen lesen was sie wollen, bloß keine politischen Kommentare, Gesetzesvorlagen oder getürkte Lebensläufe ihrer Mitkandidaten, dazu ist schließlich die Amtszeit da!

 

Bedeutsamer kann die Frage sein: Was sollen sie denken? Ich denke, auch was sie wollen. Was ihnen gerade so in den Sinn kommt, sobald sie einmal von den Medien allein gelassen werden. In diesem Fall aber können wir sie als Politiker wirklich nicht gebrauchen.

 

Zeit! Zeit, höre ich einige sagen. Zeit haben wir alle nicht. Allerdings wäre es dann Zeit, dass auch uns bald geholfen wird. Aber unsere Arbeit ist oft nicht so folgenschwer wie die der Politiker. Eher folgenlos. Es hängt nicht so viel davon ab.

 

Ja, sagen andere, bezahlen wir unsere Politiker und Politikerinnen denn fürs Arbeiten oder fürs Nichtstun? Sie sollen nicht denken, sondern sie sollen regieren! Wir haben nach Corona und diversen Migrationskapriolen kein Geld mehr für solch einen Luxus! Die einzig richtige Antwort darauf ist: Das Doppelte an Geld sollten wir unseren Politikern und Politikerinnen geben, mit Lust und Laune, wenn sie sich bloß verpflichten würden, nur halb so viel zu arbeiten. In diesem Punkt sollten wir besonders bei Frau Baerbock, Herrn Laschet oder Herrn Scholz nicht kleinlich sein. Es würde günstiger und preiswerter für uns und für alle, die nach der Amtszeit mit ihrer elektrischen Eisenbahn im Keller spielen möchten. 

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