Der heilige Rosenkranz

 

 

Unserer lieben Frauen Rosenkranz

 

 

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Unter allen in der katholischen Kirche üblichen Gebetsweisen ist die verbreitetste und beliebteste unstreitig die des heiligen Rosenkranzes. So manche niedliche Feldkapelle scheint nur zu dem Zweck erbaut zu sein, um den zerstreut umher wohnenden ländlichen Nachbarn als Versammlungsort zu dienen, an dem sie allabendlich, wenn die Arbeit ruht, in Gemeinschaft den Rosenkranz beten kommen. Und in der hochgewölbten Kirche der Stadt ist es, als wolle das gläubige Volk durch sein wechselweises Beten des Rosenkranzes mit dem Chorgebet der Mönche und Kanoniker wetteifern, denn kaum ist deren abwechselndes Psalmengebet verklungen, so stimmt es, einem nachhallenden Echo gleich, seinen Rosenkranz an. Und begegnet uns im Freien eine Schar frommer Gläubigen, die zu einem Wallfahrtsort pilgern, was anderes ist ihr gemeinschaftliches Gebet als der heilige Rosenkranz? Und geht man in Gegenden, wo der Glaube noch lebendig, und seine Übung noch rege ist, in der Dämmerung des Feierabends an einem christlichen Haus vorbei, wie wohltuend klingen dann die bekannten Klänge des Rosenkranzes zu uns heraus durch die offenen Fenster - die vorbetende helle Kinderstimme und der tiefe Chor der müden Familienglieder! Welch größere Freude könnte man dem Kind bereiten, als zur Belohnung ihm erlauben, beim Rosenkranz vorzubeten? Und das alte Mütterchen, das sich nicht mehr fortbewegen kann vom Stuhl, wie wäre ihm der Tag noch doppelt so lang und öde, hätte es nicht seinen Rosenkranz!

 

Es muss ein besonderer Zauber in einem so allgemeinen Gebet liegen und es muss auf ganz besondere Weise den Bedürfnissen des Volkes entsprechen. Gleichwohl lässt man sich nur gar zu leicht gerade durch diese Eigenschaften des Rosenkranzes, die doch zu seinen höchsten Vorzügen gehören, verleiten, ihn für etwas gar zu Alltägliches und für eine bloße Sache des gewöhnlichen Volkes zu halten. Solchen Vorurteilen gegenüber sollen diese Berichte und Texte hier den heiligen Rosenkranz auch denen empfehlen, die ihn bisher nicht gebetet haben. Denen aber, die ihn wahrhaft lieben, soll der Rosenkranz im Erzählen über seine Schönheiten noch lieber werden. Allen soll dieses Gebet einen möglichst hohen Begriff von Unserer lieben Frauen Rosenkranz beibringen, um durch die Kenntnis seiner Erhabenheit eine um so andächtigere und glaubensfreudigere Übung desselben zu erzielen. 

 

 

Bei der Art und Weise, wie wir den Rosenkranz beten, müssen wir auf zwei Punkte unser Augenmerk richten: Auf die oftmalige Wiederholung des Ave Maria und auf ihre Abzählung an der Perlenschnur. Da gerade diese Punkte es sind, gegen die Unglaube und Unverstand seit jeher ihre Angriffe auf den Rosenkranz gerichtet haben, so muss unbedingt einiges in abwehrender Weise gegen die Einwendungen der Irrlehrer klargestellt werden. 

 

Seit seinem Ursprung war der marianische Psalter die Zielscheibe, gegen die Ungläubige und Irrgläubige und Spötter und alle, die mit der Kirche gebrochen haben, ihre giftigen Geschosse richteten. Ist ja sein Beten nichts anderes als ein ausführliches Credo der Rechtgläubigkeit, und sein bloßes Tragen schon ein offenes Bekenntnis des Katholizismus.

 

Da die Protestanten gegen die katholische Mutter-Gottes-Verehrung überhaupt sich erhoben haben, so mussten sie natürlich in erster Lilie gegen die herrlichste aller Marienandachten, d.h. gegen den heiligen Rosenkranz, losgehen. "Bei der Reformation" - so sagt ein Protestant - "wurde gegen diese, dem Altertum ganz fremde Andacht des Rosenkranzes am stärksten geeifert, wie man aus Luthers Schriften, aus der Augsburger Konfession und den Schmalkaldischen Artikeln ersieht." Um nur eine der gewohnten Kraftstellen des "teuren Gottesmannes" Martin Luther anzuführen, so sagt er:

 

"Zwar vermaledeien alle Marias Frucht, die Christi Wort, das Evangelium und den Glauben vermaledeien und verfolgen, als jetzt tun die Juden und Papisten; daraus denn folget, dass jetzt niemand diese Mutter und ihre Frucht so fast vermaledeiet, als die mit viel Rosenkränzen sie benedeien, und das Ave Maria immer im Maul haben; denn sie sind es am meisten, die Christi Wort und Glauben am höchsten vermaledeien." (Luthers sämtliche Werke, Erlangen 1828, XV, 298)

 

Und doch widerlegt gerade der Rosenkranz ganz klar die Gründe, mit denen die Protestanten unsere Marienverehrung bekämpfen. Denn wir verehren die heilige Gottes-Mutter ja nicht anders, nicht weniger, aber auch nicht mehr, als der Erzengel Gabriel es im Auftrag der heiligsten Dreifaltigkeit tat. Wirft man uns also vor, wir beteten Maria an, so möge man diesen Vorwurf zuerst, wenn man den Mut dazu hat, dem Boten Gottes machen, dem wir das Ave Maria bloß nachsprechen. Und dass wir nicht von Maria als einer bewirkenden Ursache unser Heil erwarten, zeigt der heilige Rosenkranz wohl ganz deutlich, indem wir in ihm Maria ja nur um Vermittlung bei ihrem göttlichen Sohn anrufen, während er uns Christi Erlösungswerk zur Betrachtung vorführt. Jesus hat für uns das schwere Kreuz getragen, und Jesus ist für uns gekreuzigt worden; aber da er die gebenedeite Frucht des Leibes Marias ist, so wenden wir uns an sie mit den Worten: Mutter Gottes, bitte für uns. Und auch mit diesen Worten wenden wir uns erst an Maria, nachdem wir durch das Gebet des Herrn uns zuvor an den Vater, der im Himmel ist, und an seinen wesensgleichen Sohn gewandt haben. Dass wir Maria aber zehnmal anrufen und Gott nur einmal, erklärt sich gewiss genügend daraus, dass der Rosenkranz vor allem eben eine Andacht zur Verehrung Marias ist. Weil wir sie aber gleichwohl, auch wo wir sie vorzugsweise verehren, nicht von ihrem göttlichen Sohn trennen, ja nicht einmal von ihm getrennt denken - wie ja auch die Rosenkranzgeheimnisse uns das Leben Marias erst von da an und nur insoweit vorführen, als es mit dem Leben Jesu zusammenfällt - so leiten wir selbst da ihre Begrüßung mit dem Vaterunser ein. Dazu "sprechen die Leute manchmal gedankenlos so, als ob die Andacht zur Mutter etwas anderes wäre, als die Andacht zum Sohn, und als ob die Andacht zu beiden zwischen ihnen ihrer Würde gemäß geteilt werden müsste, etwa für Jesus ein Pfund und für Maria ein Quäntchen. Wenn solche Personen wirklich einsähen, was sie sagen - was aber nicht der Fall ist - so würden sie bald bemerken, dass sie gottlos sprechen." (Faber, Alles für Jesus, S. 180)

 

 

Dies waren die Einwürfe der Irrgläubigen gegen den Rosenkranz. Kehren wir uns jetzt gegen die, die uns von einem anderen Standpunkt aus, dem der Aufklärung, Vorwürfe machen. Es hat nämlich eine Zeit gegeben - und sie ist noch nicht lange vorüber -, die sich mit diesem Namen brüstete, und die ihr Hauptaugenmerk darauf richtete, die Kirche selbst, und vor allem ihren Kultus, mit den Forderungen der Zeit in Einklang zu bringen, und die es darum ernstlich in Angriff nahm, mit dem veralteten, nicht mehr zeitgemäßen Kram des katholischen Gottesdienstes, wie man es nannte, aufzuräumen. In Vorschlägen zur Abfassung eines neuen katholischen Katechismus dehnte man diese Bestrebungen sogar bis auf das Ave Maria aus, indem man sich nicht scheute, von diesem, dem größten Bestandteil des heiligen Rosenkranzes, zu sagen:

 

"Da das Ave Maria nur ein Privatgebet ist, und mit unserer Religion nicht wie das Gebet des Herrn in Verbindung steht, so muss im christlichen Religionsunterricht davon ganz geschwiegen werden." (Werkmeister, Über den neuen katholischen Katechismus, Frankfurt a. M. 1789, S. 109)

 

Bei solchen Bestrebungen konnte der Rosenkranz selbst natürlich auch nicht verschont bleiben. In sogenannten "Beiträgen zur Verbesserung des äußeren Gottesdienstes in der katholischen Kirche" sagt man darum gerade heraus: "Den Rosenkranz wünschen wir ganz verbannt zu sehen, weil die Andacht unmöglich so lange anhalten kann. Das Abzählen der Körner ist bloßer Mechanismus, bei welchem das Herz gewiss leer bleibt." Selbst eine sogenannte Kirchenzeitung, die "Wienerische Kirchenzeitung" verspottete und verwarf den Rosenkranz, und bezeugte ihre große Freude, als der Kurfürst von Trier in seinem "vortrefflichen Hirtenbrief vom 1. Wintermonat 1783" gegen "Rosenkränze", "Segnungen", "Amuleter" und andern "Kirchenplunder" loszog. (I. Jahrgang 1784, Sp. 219 ff)

 

"Wienerische Kirchenzeitung", herausgegeben von Propst Wittola, IV. Jahrgang, 1787: Der Rosenkranz wird als etwas durchaus Verwerfliches hingestellt: "Wenn wir das Gute von ihm - dem himmlischen Vater - begehren sollen, wozu denn die Rosenkränze und das unaufhörliche Grüßen der hl. Jungfrau?", und ein "Oberhirte" wird damit gebrandmarkt, dass er "auf seinen Visitationen sich um nichts angelegentlicher zu erkundigen pflegt, als ob der hl. Rosenkranz in der Kirche abgebetet werde, so dass oft der einsichtigste Pfarrer, der das gelehrigste Volk und gute Lieder und Gebete hat, den Rosenkranz unter der Frühmesse zu unterlassen sich nicht getraut". Gewaltsam mit dem Rosenkranz zu brechen, erscheint dem Skribenten indes noch nicht geraten: "Ich begreife wohl, dass man nichts niederreißen soll, ohne dafür etwas besseres aufzubauen. Nehmen sie dem Volk seinen Rosenkranz, so weiß es gar nichts mehr zu beten, und wähnt wohl gar, man wolle es lutherisch machen. Aber könnte man, ohne die Rosenkränze geradezu abzuschaffen, sie nicht stillschweigend in Vergessenheit bringen?" In demselben Jahrgang wird "zum Lobe Böhmens" gesagt, "dass man daselbst das Scapulier-, Portiuncula- und Rosenkranzfest aus den Calendern schon verbannt, und dadurch die Wiener Calender selbst beschämt hat, wo diese drei Feste auch noch im heurigen Jahr prangen". 

 

Zur Beleuchtung dieser Angriffe auf den marianischen Psalter fügen wir nur hinzu, dass es dem Davidischen Psalter nicht besser erging, da man auch das Brevier von seinen "Heiligenlegenden" und allem "abergläubischen Kram" säubern und - wie man sich ausdrückte - "statt des alten jämmerlichen Gemengsels" ein neues deutsches Brevier einführen wollte. ("Beiträge zur Verbesserung des äußeren katholischen Gottesdienstes", S. 311)

 

 

Ist es wirklich wahr, dass es beim Rosenkranzgebet - wie die Aufklärer behaupten - an der Betrachtung fehlt? Und wenn es so ist, ist da ein bloß mündliches, aber andächtiges Gebet kein gutes Gebet? Es ist bekannt, dass die Erwägung über die Geheimnisse beim Beten des Rosenkranzes durchaus notwendig ist und zu seinem Wesen gehört, und wenn auch Papst Benedikt XIII. von dieser Betrachtung als einer Bedingung zur Gewinnung der Ablässe zu Gunsten ganz ungebildeter und ans Nachdenken nicht gewöhnter Leute glaubte absehen zu sollen, so fügte er gleichwohl die Bemerkung hinzu: "Indessen wollen wir durchaus, dass auch diese nach und nach angeleitet werden, die heiligen Geheimnisse unserer Erlösung nach Geist und Zweck des Rosenkranzes zu erwägen."

 

Aber die Ansichten der übelgesinnten "Aufklärer" haben anders ausgesehen. Ein Geheimer geistlicher Rat und Oberschulinspektor sagt es bündig und deutlich: (G.L.C. Kopp, Die katholische Kirche im 19. Jahrhundert, und die zeitgemäße Umgestaltung ihrer äußeren Verfassung, Mainz 1830) "Der Rosenkranz war eine Erfindung der Jahrhunderte, wo das Volk nicht lesen konnte, wo es nur fähig war, eine bestimmte Anzahl von Ave abzukugeln; kommt nun noch die herabwürdigende, unverständliche Art und Weise dazu, wie der Rosenkranz vor- und nachgebetet wird, so ist er nur zu oft ein unverständliches Geschrei von den nämlichen Worten, wodurch die Seele keineswegs zur Andacht erhoben wird, sondern das Ganze auf das Gemüt des vernünftig Andächtigen einen üblen Eindruck machen muss." 

 

So versteht man, was der selige Bischof Martin von Paderborn in seinem Büchlein "Die Schönheiten des Rosenkranzes", Mainz 1876, im Vorwort sagte: "Eine Schrift über den Rosenkranz hätte noch vor etwa fünfzig Jahren selbst vor das große katholische Publikum nur mit Bangen und Zagen hintreten können. Es trägt der Rosenkranz den positiv christlichen Charakter zu ausgeprägt an seiner Stirn, als dass er vor der damaligen bilderstürmenden Aufklärung Gnade finden konnte. Wahrlich damals konnte man noch von Glück reden, wenn man nicht den Rosenkranz selbst von katholischen Priestern in ihren Predigten und Katechesen, öffentlich bekrittelt, bespöttelt, herabgewürdigt und zu altem Eisen weggeworfen sah."

 

Das ist dasselbe Urteil, das noch heute aufgeklärter Unverstand und vornehme Gedankenarmut über den heiligen Rosenkranz fällt. Man lästert über das, was man nicht versteht, denn nur wer glaubt, kann verstehen. 

 

Selbstverständlich entstammt der heilige Rosenkranz einer Zeit, in der das Volk nicht lesen konnte. Aber ist Lesen denn gleichbedeutend mit Beten? Und ist Betrachten gleichbedeutend mit Überfliegen einer wässerigen Lektüre aus der Aufklärungszeit? Oder ist das aus dem Erbauungsbuch durch die Augen erst in das Herz hineingehende Gebet auch nur besser als das ohne diese Vermittlung aus dem Herzen stammende, und durch den Mund sich luftmachende Gebet des Rosenkranzes? Das kann nur der bejahen, der nicht weiß, was beten ist. Oder ist Beten nicht eine Erhebung des Herzens zu Gott, ein Aufatmen der Seele nach oben? Wenn aber das, dann ist jedenfalls das Gebet, das aus der Fülle des Herzens quillt und aus seinem tiefsten Grunde hervorsprudelt, besser als das, das erst von außen angeregt, gleichsam erst ins Herz hineingetragen wird. 

 

 

Die Gebete des heiligen Rosenkranzes sind uns vollständig in Fleisch und Blut übergegangen, und bevor wir sie aussprechen, wissen wir, um was wir in ihnen bitten. Und wir wissen ebenfalls, dass es die besten Gebete sind, die es gibt, weil sowohl das Gebet des Herrn, als auch der Gruß des Engels den Heiligen Geist zum Verfasser haben, dessen Salbung in ihnen liegt. Kein Buch, in dem wir erst durch das Lesen erfahren, um was wir denn eigentlich bitten, bietet uns solche Gewähr; und dass diese besonders solchen Büchern abgeht, deren Gebete irgend ein Bücherschreiber zusammengeschrieben hat, zu dem edlen Zweck, Geld zu verdienen, oder seinen Namen einmal ganz vorne drauf auf dem Buch gedruckt zu sehen, bedarf nicht des Beweises.

 

Es ist ungefähr derselbe Unterschied zwischen diesen beiden Arten des Betens und der Andacht, wie zwischen einer Quelle, die in munterem Strahl aus dem Felsen springt, und einem Brunnen, dem das Wasser erst durch mühsames Pumpen abgenötigt werden muss. Zweck der Gebetbücher kann darum nur der sein: die Andacht des Herzens anzuregen, und ihr rechter Gebrauch muss sich deshalb darauf beschränken, unserem Beten da nachzuhelfen, wo die innere Andacht, sei es aus Mangel an Sammlung, oder durch geistige Trockenheit, oder aus was immer für einem Grund, ausgegangen ist. Der irrt sich also gewaltig, der bloß deshalb, weil er mit seinem in Samt gebundenen und mit Silber beschlagenen Gebetbuch oder mit dem modernen, woken, gegenderten, klimaneutralen und geschlechtervielfältigen "Zu-Gott*-sprech-Buch" daher kommt, sich über das alte Mütterchen hinwegsetzt, das mit dem Rosenkranz in der Hand neben ihm sich zur Kirche schleppt. Eine Eigenschaft, die zu einem guten Gebet erforderlich ist, hat dieses Mütterchen von vornherein ihm voraus, und das ist - die Demut. Sie trägt die Eitelkeit wenigstens nicht sogar bis in das Mittel ihrer Andacht hinein. Und dass das Beten des Rosenkranzes selbst demütiger ist, folgt schon daraus, dass viele ihn bloß deshalb nicht beten, weil sie zu stolz dazu sind. Ja, der Rosenkranz ist das Gebet der Geringen, der Unwissenden, der Armen Christi. Aber gerade deswegen sollten wir gern unser Gebet dem ihrigen, nicht dem des Pharisäers, ähnlich sehen.

 

"Wir sollen erschrecken" -sagt Kardinal Wisemann- "bei dem Gedanken, dass wir einst als Gebildete, als Wohlunterrichtete, als Büchermenschen gerichtet werden könnten, die stolz auf die armen Pilger an der Kirchentür herabsahen, die nur ihre Vaterunser und Gegrüßet seist du, Maria wiederholen konnten. Wir sollten mit Furcht daran denken, dass wir werden gefragt werden, was wir aus unseren Gebetbüchern geschöpft haben, was nicht auch der einfachen alten Bäuerin im Hintergrund der Kirche ihr Rosenkranz bot, - ob wir dadurch eifriger, inbrünstiger, demütiger, andächtiger gewesen sind. Wir sollten uns davor hüten, dass auf uns die Worte Anwendung fänden, die ein alter Kirchenvater ausrief: "Die Ungelehrten stehen auf und reißen das Reich Gottes an sich, und wir werden mit unserer Gelehrsamkeit in der Tiefe begraben." ("Vermischte Schriften", a.a.O. S. 291)

 

Nicht als ob wir die Gebetbücher überhaupt verurteilten, aber wir möchten deren Schätzung und Gebrauch auf das richtige Maß zurückführen, und vor allem die hochmütige Art zurückweisen, in der man beten als gleichbedeutend mit lesen im Gebetbuch hinstellt, und in der man den heiligen Rosenkranz schon deshalb verurteilt, weil er auch von jedem Menschen gebetet werden kann, der nie lesen gelernt hat, weil er aus einer Zeit stammt, in der das Volk nicht lesen konnte.

 

 

Wer vom heiligen Rosenkranz bloß deshalb so geringschätzig spricht, weil er "eine Erfindung der Jahrhunderte ist, wo das Volk nicht lesen konnte", der kennt ebenso wenig die Geschichte jener Zeit, als er weiß, was beten ist. 

 

Den von der oftmaligen Wiederholung des Ave Maria hergenommenen Tadel des Rosenkranzes könnte man kurz mit der Frage abtun: Wenn das Ave Maria an sich ein so besonderes und schönes Gebet ist, weshalb soll es dann nicht oft wiederholt werden können? Wenn es einmal gut ist, weshalb soll es zehnmal nicht noch besser sein? Oder könnte aus der Zusammenzählung guter Dinge je etwas Schlechtes als Summe herauskommen? Nach einem feststehenden Grundsatz der Philosophen ändert das Mehr oder Weniger am Wesen der Dinge nichts.

 

Aber sagt man, "die Andacht kann unmöglich so lange anhalten!" "Das Herz wird dabei keineswegs zur Andacht erhoben!" Ob wohl diejenigen, die so reden, bei sich selbst diese Erfahrung gemacht haben? Dass die "Aufklärer", die in so wegwerfender Weise vom Rosenkranz sprechen, sich selbst herabgelassen haben sollten, es auf einen Versuch mit ihm ankommen zu lassen, ist nicht wahrscheinlich. Das aber ist sicher, dass, wenn sie einmal den Rosenkranz gebetet haben und zu einem solchen Resultat gelangt sind, sie ihn dann in einer Weise gebetet haben, die mit Recht jene scharfen Vorwürfe verdiente, die sie mit so großem Unrecht anderen machen. Hören wir statt dieser unberufenen Kritiker die, die Gott selbst zu Wächtern seiner Kirche gesetzt hat. So vernehmen wir z.B. von Papst Klemens VII., "dass der Rosenkranz eine unserer Religion förderliche und fruchtbringende Sache sei, von der sehr viel Gutes herrühre und noch täglich herkomme, infolgedessen sowohl Geistliche als Laien, Männer wie Frauen, zu einer solchen Inbrunst der Andacht gelangt seien, dass Gott und die heiligste Jungfrau, zu deren Ehre er von Anfang an eingeführt worden ist, sie nicht bloß mit Gnaden geziert, sondern sogar mit überaus zahlreichen Wundern und Zeichen zu schmücken sich gewürdigt hat." ("Etsi temporalium" d. d. 8. Maj. 1534: Bullar. Ord. Praed. IV. 524)

 

Selbst ein Protestant gesteht: "Der Rosenkranz machte früher oft den wertvollsten Teil des Brautschatzes aus und diente namentlich dem weiblichen Geschlecht ebenso sehr zum Schmuck, als zur Beförderung der Andacht. Denn wie häufig auch das letztere von einseitigen Protestanten bezweifelt worden ist, so spricht sich doch in dem Antlitz vieler, die wir in den stillen Räumen der Kirche knien und den Rosenkranz beten sahen, eine so fromme Demut und so kindliche Zuversicht auf die Kraft des Gebetes aus, dass wir an der Andacht, mit der sie beten, nicht zweifeln können." (Alt, Der christliche Kultus  nach seinen verschiedenen Entwicklungen und seinen einzelnen Teilen, Berlin 1843, S. 64 - Leider ist das unmittelbar Folgende in diesem Buch von "alten geifernden Weibern" "mit giftigen Blicken" und "zahnlosem Mund" wieder von unwürdiger Galle diktiert.)

 

Ja, wir wollten getrost an alle, die mit Liebe ihren Rosenkranz zu beten pflegen, die Aufforderung stellen, zu gestehen, ob wohl je die so oftmalige Wiederholung derselben Gebete in ihm Schuld an der Erschlaffung ihrer Andacht war. Wir sind gewiss, dass wir vernehmen würden: je andächtiger wir beteten, um so mehr sagte gerade die Wiederholung uns zu, und wenn etwas die Andacht in uns unterhielt, so war es gerade diese Wiederholung.

 

 

Freilich ist auch der Rosenkranz der Gefahr ausgesetzt, gewohnheitsmäßig und gedankenlos gebetet zu werden. Aber er ist dies vielleicht weniger wie jedes andere Gebet - eben, weil er der Seele mehr Anregung, allen ihren Fähigkeiten mehr Anhaltspunkte bietet wie jedes andere Gebet. Und sollte auch die Aufmerksamkeit nicht während des ganzen Gebetes gleichmäßig gespannt bleiben, wäre dies denn etwas gar so Tadelnswertes? Welcher Mensch - wir sagen nicht, welcher Engel, aber welcher Mensch - könnte das Recht zu einem solchen Tadel für sich in Anspruch nehmen? 

 

Gesetzt, der Rosenkranz wird ohne irgend einen guten Gedanken während des Betens hergesagt - was, wie gesagt, bei jedem anderen Gebet mindestens ebenso gut eintreffen kann - ist er dann in jeder Beziehung verwerflich? Ist denn nicht wenigstens die Absicht, in der das Gebet begonnen wird, gut und lobenswert? Oder ist es nicht ein Bekenntnis unserer Abhängigkeit von Gott, ein Akt der Religion, so oft wir uns zum Gebet auch nur entschließen? Was aber auf jeden Fall zu bestreiten ist, ist die Behauptung, dass die oftmalige Wiederholung des Ave Maria als solche die Andacht beim Rosenkranz erschwert oder unmöglich macht.

 

So haben Milliarden von Gläubigen, indem sie beim Gebet des heiligen Rosenkranzes sich in das Leben ihres Heilandes versenkt und ihre Sorgen auf ihn geworfen haben, in dieser frommen Andacht schon Trost, Erleichterung, Erquickung gefunden, und Millionen finden sie noch täglich darin. Wer möchte sich einer Übung verweigern, auf der ein solcher Segen ruht, und die auch dem erleuchtetsten Beter in dem Leben seines Heilandes einen immer neuen unerschöpflichen Gegenstand der Betrachtung und der Anbetung darbietet. (Aus "Unser Lieben Frauen Rosenkranz, Fr. Thomas Esser, Paderborn 1889)