Katholische Predigten 2

1. Für den Ostersonntag

2. Für den ersten Sonntag nach Ostern (Weißer Sonntag)

3. Für den zweiten Sonntag nach Ostern

4. Für den dritten Sonntag nach Ostern

5. Für den vierten Sonntag nach Ostern

6. Für den fünften Sonntag nach Ostern

7. Für den sechsten Sonntag nach Ostern

8. Für das heilige Pfingstfest

9. Über die christliche Klugheit (1. Kardinaltugend)

10. Über die Gerechtigkeit (2. Kardinaltugend)

11. Über die Mäßigung (3. Kardinaltugend)

12. Und nochmals über die "Mäßigung"

13. Über den Starkmut (4. Kardinaltugend)

14. Und nochmals über den "Starkmut"

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1. Für den Ostersonntag

 

Nun ist es endlich Frühling geworden. Der Winter und sein Todesreich sind überwunden. Der strenge, starre Bann, in den die Erde geschlagen war, ist gebrochen. Allüberall in der Natur ist das Leben aus langem Schlaf erwacht und ringt sich aus dunklem Schoß empor und quillt und wächst und grünt und blüht der Sonne entgegen. Der Lenz, auf den wir alle mit Sehnsucht gewartet haben, ist angebrochen. Die ganze Natur feiert ein seliges Auferstehen. Und wir Menschen nehmen freudigen Herzens an dieser Auferstehungsfeier teil.

 

Wir feiern auch eine Auferstehung, wir feiern ein Ereignis, für das die Frühlingsauferstehung in der Natur ein leibliches, aber doch nur ein schwaches Sinnbild ist.

 

Wir sind ja Christen, und wir gehören als Christen nicht mehr bloß dem Reich der Natur an, sondern wir sind durch die Taufe emporgehoben in das Reich der Übernatur, wir sind als Christen Bürger eines Reiches, das nicht von dieser Welt ist, eines Reiches, das hoch über allem Irdischen liegt: das ist das Reich der Gnade, das ist das Gottesreich, zu dem wir gehören, das ist das Reich, in dem Christus der Sohn Gottes als König mit dem Zepter ewiger Liebe herrscht. Und dieser unser König, Christus, der Sohn Gottes, ist von den Toten auferstanden. Das ist die Auferstehung, die wir heute feiern; das ist unser Ostern.

 

Surrexit Christus vere. Christus ist wahrhaftig auferstanden. Welch ein Sieg ist diese Auferstehung, welch ein Triumph! Wahrlich, das Erlösungswerk, um dessentwillen der Sohn Gottes als armer Pilger den Erdenweg gegangen war, hat einen göttlichen Abschluss gefunden. Durch welche Abgründe von Leiden und Schmach hatte dieser Weg ihn geführt! Als ein König war er der Welt verheißen; aber da er erschien, erkannte sein Volk ihn nicht, die Seinigen nahmen ihn nicht auf. Wohl kamen vornehme Weise von fernher, um ihm zu huldigen, - ein Stern hatte sie wunderbar an den Ort seiner Geburt geführt - und fragten nach dem neugeborenen König der Juden; aber ganz Jerusalem erschrak bei dieser Frage, und der Erlöser der Welt musste vor seinem eigenen Volk fliehen und seine Kindheit und Jugend in der Verbannung zubringen, weil man ihn sonst getötet hätte. Und als er dann endlich unter die Menschen ging, um ihnen in ihrem Elend zu helfen, um sie aus aller Not zu retten, als er die Traurigen tröstete, die Kranken heilte, als er Tote zum Leben erweckte, als er den reuigen Sündern all ihre Schuld vergab, - da war Verkennung, Verleumdung, Neid und Hass der Dank, mit dem die welt ihm lohnte. Wohl lauschte eine Zeitlang das schlichte Volk den Worten des Lebens, die sein Mund sprach; aber bald lieh es sein Ohr der Stimme des Gotteshasses, mit dem seine Demagogen es betörten; und der Ruf: Hosanna dem Sohne Davids! verwandelte sich bald in die grausame Forderung: Ans Kreuz mit ihm! Ans Kreuz mit ihm!

 

Und der Sohn Gottes, den die Liebe zu den Menschen in diese Welt geführt hatte, wurde ein Opfer des Gotteshasses. Und welch ein Opfer! Bis in den Staub erniedrigt, wie einen Wurm zertreten haben ihn seine Feinde. Ich brauche euch seine Leidensgeschichte nicht zu erzählen; ihr selber habt sie in diesen stillen, ernsten Tagen der heiligen Karwoche mit durchlebt. Ihr habt euren Erlöser gesehen in der tiefsten Erniedrigung des Leidens und der Schmach; ihr habt ihn gesehen am Ölberg niedergebrochen unter der ungeheuren Last seiner Trauer und Todesangst; ihr habt ihn gesehen, wie er von seinem eigenen Jünger verraten, von roher Rotte gefangen genommen, von Richterstuhl zu Richterstuhl geschleppt, durch falsche Zeugen beschuldigt und schließlich durch einen Urteilsspruch, der aller Gerechtigkeit Hohn sprach, dem grausamsten Tod überliefert wurde. Ihr habt ihn gesehen mit Dornen gekrönt, mit einem Purpurfetzen bekleidet, ein Rohr statt des Zepters in der Hand, wie er als ein Bild des Jammers und der Schmach dem Volk gezeigt wurde: Ecce homo! Seht da, einen Menschen! Ihr habt ihn auf seinem Todesweg begleitet, wie er, obschon zu Tode entkräftet, sein eigenes Kreuz zur Richtstätte tragen musste. Ihr habt ihn endlich sterben gesehen, wie ein Verbrecher inmitten von Verbrechern, von Gott und den Menschen verlassen. Das war sein Leben, und das war sein Tod.

 

Aber so durfte sein Erlösungswerk nicht enden. Alles, was er gelitten hatte, all seine Schmach hatte er freiwillig auf sich genommen; nicht weil er musste. "Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen." (Johannes 10,17-18) Nun sollte sich seine göttliche Kraft offenbaren, in der er Tod und Hölle und alle Bosheit überwand. So war es von Ewigkeit her bestimmt, und so hatte er es selber vorausgesagt. Und herrlich hat er seine Vorhersagung erfüllt. Drei Tage ruhte sein Leichnam im Schoß der Erde, und am dritten Tag erstand er aus eigener göttlicher Macht glorreich von den Toten. Und diejenigen, die seine Schmach besiegelt zu haben glaubten, indem sie sein Grab sorgfältig verschlossen und Wachen davor aufstellten, mussten wider Willen von seinem Triumph Zeugnis ablegen.

 

Das ist das große Ereignis, dessen Gedächtnis wir heute begehen. Aber wir feiern es nicht, wie wir andere geschichtliche Ereignisse feiern, die früher einmal geschehen sind, und dann für immer der Vergangenheit angehören und nur noch schwach in der Erinnerung der Gegenwart sich widerspiegeln. Wir feiern nicht eine menschliche Tat, wir feiern eine Gottestat. Und die Taten Gottes, die Ereignisse der Erlösungsgeschichte haben etwas von der Ewigkeit Gottes an sich, dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleich nahe sind. Sie veralten nicht, sie bleiben immer lebendig; und sie wirken beständig fort in ungeschwächter Kraft. 

 

Und diese Kraft ergreift auch unsere Seele, sie heilt und heiligt auch uns, und erweckt auch uns vom Tod zum Leben. Das ist die besondere Bedeutung des Osterfestes; das ist der besondere Anteil, den wir selber an der Auferstehung Christi nehmen. Christi Auferstehung ist die Bürgschaft unserer dereinstigen seligen Auferstehung. Christi Auferstehung wirkt aber schon jetzt unsere Auferstehung vom Tod der Sünde zum Leben der Gnade. "Um unserer Rechtfertigung willen ist er auferstanden", sagt der Völkerapostel.

 

Bleiben wir in dem Leben seiner Gnade, wie auch er das Leben, das er in der Auferstehung erworben hat, nicht mehr verliert. "Wir wissen", sagt derselbe Apostel, "dass Christus, von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; der Tod hat keine Macht mehr über ihn." (Römer 6,9)

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2. Für den ersten Sonntag nach Ostern (Weißer Sonntag)

 

Heute, am "Weißen Sonntag", treten in vielen Kirchen die Kinder zum ersten Mal zum Tisch des Herrn. Wohl manchem schlägt da das Vaterherz, das Mutterherz höher in freudiger Rührung, wenn er den Sohn, die Tochter unter der glückstrahlenden Schar erblickt. O, wie schön, wie ergreifend ist die Feier der ersten heiligen Kommunion! - Nicht nur für die Eltern, nicht nur für die Angehörigen, nicht nur für den Seelsorger, sondern für jedes gläubige Christenherz - ja selbst für diejenigen, die mit der Jugend längst auch den frommen Glauben der ersten Kindheit verloren haben! O, wer denkt nicht beim Anblick dieser glücklichen Kleinen vergangener Tage! Wen mahnen nicht diese unschuldsvollen Angesichter an die eigene unschuldsvolle Jugend, an den glücklichen Tag der eigenen ersten heiligen Kommunion, an die selige Zeit glaubensvoller Unschuld? Es gibt eine Zeit in unserem Leben, an die wir meistens nur mit stiller Wehmut zurückdenken können: es ist die Zeit unserer unschuldsvollen Jugend. Fürwahr, eine selige Zeit, die Zeit der ersten Kindheit! Da ist das Herz noch lauter und frei vom Gift der bösen Leidenschaften, noch empfänglich für alles Gute und Schöne, da ist der Wille noch unverdorben, da ist das Gewissen noch ruhig und rein, da kann das helle Auge, in dem sich der Frieden der Seele spiegelt, noch froh und frei zum Himmel und furchtlos jedermann ins Antlitz blicken. "O selig, o selig, ein Kind noch zu sein!" O ihr lieben Kinder, die ihr eure Seele noch rein bewahrt habt von dem Schmutz der Sünde, ihr ahnt es nicht, welch kostbaren Schatz ihr in eurem Herzen tragt! Möge Gott und seine heiligen Engel euch allezeit behüten, dass ihr diesen Schatz, den Schatz eurer Unschuld, nie verliert! Möge nie die bittere Stunde über euch kommen, da ihr den Verlust eurer Unschuld zu beweinen habt! Wie leicht ist sie dahin, wie bald ist sie dem verloren, der sein Herz nicht bewacht, der nicht unablässig besorgt ist, dass niemand in seinem Herzen wohne als Jesus allein! Ihr Männer, Frauen, Jungen und Mädchen, wie viele sind wohl unter euch, die den kostbaren Schatz ihrer Taufunschuld stets unversehrt bewahrt haben? Ich fürchte, dass es nicht viele sind, ich fürchte, dass für manchen von euch die schönste Zeit des Lebens gar schnell vorübergegangen ist, ich fürchte, dass der Garten der Unschuld, die Lilie der Herzensreinheit in eurer Seele nicht lange geblüht hat, dass der Sturm sündiger Leidenschaften gar bald hereingebrochen ist in euer Herz durch die Tore der Sinne, die ihr nicht sorgfältig genug bewacht habt, und dass dieser Sturm die Lilie geknickt und den Garten verwüstet hat. Wie bedauernswert bist du, christliche Seele, der das geschehen ist. Wie ist es nur gekommen? Warum hast du dich nicht vorgesehen? Warst du denn nicht zufrieden im Stand deiner Unschuld? Bist du denn glücklich geworden, indem du Gottes Gebot übertreten hast? Ja, der Teufel flüsterte dir zu, dass du glücklicher werden wirst durch den Genuss der verbotenen Frucht. Aber ach, wie bitter fandest du dich getäuscht! Wohl kam die Freude, das Glück, das du im Sinnenrausch suchtest, aber augenblicklich, flüchtig, wie es gekommen war, war es auch wieder zerronnen, und statt der verführerischen Rosen, die du pflücken wolltest, blieb dir nichts, als die scharfen Dornen quälender Scham, bitterer Reue und folternder Gewissensangst.

 

Wohl hast du dich später wieder mit deinem Gott versöhnt, wohl hast du die Ruhe des Herzens durch eine aufrichtige, reumütige Beichte wiedergefunden. Wohl hast du in der Buße einen ähnlichen Frieden wiedergewonnen, wie der deiner ersten Unschuld war; und du wärst glücklich zu preisen, hättest du wenigstens diesen wiedererlangten Frieden der Buße nur bewahrt. Aber wie bald ging auch der wieder verloren durch den Rückfall in die Sünde; und so oft du dich auch in der Beichte wieder reingewaschen hast, so oft bist du nachher aber und abermals wieder in die alten Sünden zurückgefallen. Und je öfter sich dein Rückfall wiederholt, desto schwächer, desto unvollkommener wurden deine Bekehrungen; und der Herzensfriede, den dir die Beichte wiedergab, glich zuletzt nicht entfernt mehr demjenigen, dessen du dich in deiner ersten Unschuld erfreutest, noch auch dem, den du nach deiner ersten aufrichtigen Bekehrung wiedergefunden hast. Denn deine Abkehr von der Sünde, die sich in deinem Herzen festsetzte, wuchs von Fall zu Fall. Und bist du denn wenigstens seit deiner letzten Beichte standhaft geblieben? Oder bist du auch seitdem schon wieder gefallen, vielleicht mehr als einmal, vielleicht tiefer denn je? Was ist aus dir geworden, wenn du dich vergleichst mit dem, was du warst in den Tagen deiner Jugend? Wie ist dein Wille so schwach geworden, wie ist dein Verstand so abgestumpft gegen alle höhere Erkenntnis, wie ist deine Art zu Denken so niedrig, so weltlich geworden! Wie ist dein Herz so fried- und freudelos, so vom Sturm der bösen Leidenschaften verwüstet worden! Du weißt, wie dich die Sünde körperlich und geistig zugrunde richtet, und doch kannst du nicht von ihr lassen: du bist ein Sklave und ein Opfer deiner bösen Begierde geworden. Bist du glücklich? Verzeih mir diese Frage arme Seele, sie möchte dir wie Hohn klingen. Nein, ich weiß, du bist vielmehr tief, tief unglücklich, du fühlst dich elend und der Verzweiflung nahe in deiner Gottverlassenheit. Du hast oft Stunden, wo es dir ist wie einem, der in einer wilden, unwegsamen Wüste, fern von aller Hilfe, vor Hunger und Durst erschöpft, bald ohnmächtig zusammenbricht. Verzweifele aber nicht, das ist die Stunde des guten Hirten. Darauf hat der gute Hirt gewartet, dass du deine Hilflosigkeit einsehen solltest; dass du ablassen solltest, dort Hilfe und Trost zu suchen, wo keine Hilfe, kein Trost zu finden ist; dass du erkennen solltest, es ist kein Heil, keine Rettung mehr, außer sie werden dir vom Himmel gesandt. Rufe den guten Hirten, sobald du nach ihm verlangst, ist er dir nahe. Ja, er ist dir immer nachgegangen auf deinen Irrwegen, ohne dass du ihn bemerkt hast. Er ist ja der gute Hirt, der das verlorene Schaf sucht, bis er es findet.

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3. Für den zweiten Sonntag nach Ostern

 

Es ist ein liebliches Bild, unter dem der göttliche Heiland im Evangelium vor unsere Seele tritt. "Ich bin der gute Hirt", spricht er. Der gute Hirt! - - wie tönt das so mild, so trostreich, so verheißungsvoll! Er der gute Hirt, wir seine Schäflein, die er liebt, die er beschützt, die er weidet, die er alle einzeln kennt und beim Namen nennt. "Ich bin der gute Hirt und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich . . . Und ich gebe mein Leben für meine Schafe." Der göttliche Heiland nennt sich hier nicht zu ersten Mal so.  Schon früher einmal hatte er sich mit einem guten Hirten verglichen, der in die Wüste dieser Erde hinabgestiegen ist, seine geliebten, irregegangenen Schäflein in seine treue Hut zu nehmen und dem himmlischen Schafstall sicher entgegen zu führen. Das war damals, als er zu seinen Jüngern sprach: "Der Menschensohn ist gekommen, um zu retten, was irregegangen war. Oder was scheint euch, wenn jemand hundert Schafe hat und es ist eins von ihnen verloren gegangen, lässt er dann nicht die 99 in der Wüste und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, so nimmt er es voll Freude auf seine Schultern und ruft, wenn er heimkommt, seine Freunde und spricht: Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf wiedergefunden, das verloren war. So wird auch im Himmel mehr Freude sein über einen Sünder, der Buße tut, als über 99 Gerechte, die der Buße nicht bedürfen."

 

Es ist ein Zeichen feinsinniger Aufmerksamkeit unserer heiligen Mutter, der Kirche, ein Ausfluss ihrer liebevollen mütterlichen Sorge, dass sie in der Ordnung des Kirchenjahres den Sonntag vom Guten Hirten angesetzt hat. Die österliche Zeit, die Zeit, in der jeder katholische Christ die heiligen Sakramente der Beichte und des Altars empfangen muss, will er anders der kirchlichen Gemeinschaft der Gläubigen einverleibt bleiben, geht ihrem Ende entgegen. Viele haben ihrer Osterpflicht bereits genügt. Sie sind durch den Ernst der heiligen Fastenzeit, durch die Betrachtung ihres leidenden Erlösers, dank der Gnade Gottes zur Einkehr in sich selbst, zur herzlichen Reue über ihre Sünden und zum festen Vorsatz gelangt, den lieben Gott nie wieder zu beleidigen: sie sind im heiligen Bußsakrament von ihren Sünden gereinigt und in der heiligen Kommunion mit dem Brot des Lebens gespeist worden. Aber andere, vielleicht gar viele, haben ihre Osterbeichte noch nicht gehalten. Darunter ohne Zweifel manche aus purem Leichtsinn, aus unentschuldbarer Nachlässigkeit, weil sie sich entweder um die Vorschriften der Kirche überhaupt nicht kümmern wollen, oder weil sie denken: Ich komme ja immer noch früh genug, wenn ich auch erst am letzten oder vorletzten Sonntag meine Ostern halte. Ob diese leichtsinnigen Menschen wirklich immer noch früh genug zur Osterbeichte kommen, ob sie überhaupt dazu kommen, und ob sie, wenn sie kommen, einen wirklichen Nutzen davon haben, darüber wollen wir weiter nicht reden. Aber neben diesen gibt es gewiss auch andere, die nicht eigentlich aus Leichtsinn von der Osterbeichte ferngeblieben sind. Sie nehmen die Sache ernster, ja, ihr Fehler ist gerade, dass sie die Sache zu ernst nehmen. Oder vielmehr, es ist ein falscher Ernst, mit dem sie die Sache betrachten. Vielleicht ist an manchen von ihnen die heilige Fastenzeit mit ihrem ergreifenden Ernst nicht ohne Eindruck vorübergegangen. Sie sind sich der Schuld ihres Abfalles von Gott gar wohl bewusst. Aber sie fürchten die Rückkehr zu Gott, ihnen graut vor dem Weg der Buße, der allein zu Gott zurückführt. Wenn sie an Gott denken, so denken sie allein an den gerechten Richter, dessen Rache sie verdient haben, und sie denken nicht an den barmherzigen Erlöser, der dem reumütigen Sünder auch die größte Schuld unendlich viel lieber verzeiht als der Sünder selbst nach der Verzeihung Verlangen tragen kann. Ihnen fehlt das Vertrauen, ihnen fehlt der entschlossene Mut, der aus dem Vertrauen entspringt, der Mut, der im verlorenen Sohn sich regte, als er zu sich sprach: "Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater zurückkehren und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir." Ja, ihnen fehlt der Mut des Bekenntnisses, der Selbstanklage: sie fürchten sich vor der Beichte.

 

"Was wird der Beichtvater von mir denken, wenn er die Sünden erfährt, die auf meiner Seele lasten. Meine Schuld ist größer, als dass ich Verzeihung verdiente" - - sprechen sie mit Kain. Das ist der alte Kunstgriff des Teufels, eine Seele, der er vor der Sünde die böse Tat als gering vorgespiegelt hat, nach der Tat zur Verzweiflung zu treiben, zur Verzweiflung an sich selbst und an der eigenen Besserung. "Was würde es di auch nützen, dich jetzt zu bekehren, deine Sünden zu beichten? Du wirst ja doch schon bald wieder in dieselben Sünden zurückfallen. Hast du es nicht schon oft genug versucht, bist du nicht jedes Mal nach kurzer Zeit schon wieder rückfällig geworden? Deine Leidenschaft ist stärker als du selbst - für dich gibt es keine Besserung mehr!" Wehe denen, die solchen Einflüsterungen Glauben schenken! Wehe denen, die ganz und gar auf Gottes Barmherzigkeit, auf die Macht und Hilfe seiner Gnade vergessen! Wehe denen, die sich jemals auf ihre eigene Kraft verlassen haben, die jemals geglaubt haben, das Werk der Bekehrung, die Standhaftigkeit im Guten werde allein aus eigener Kraft gewirkt, und wo diese nicht ausreiche, sei alle Mühe verloren. O wüssten sie doch, dass der Mensch aus sich selber nichts vermag, dass er aber alles vermag durch die Gnade Gottes, die ihm niemals fehlen wird, sobald er nur demütig und vertrauensvoll darum bittet. Dächten sie doch daran, dass ihr Erlöser unendlich bereit ist, nicht nur zu verzeihen, sondern auch bereit ist, ihnen mit seiner allmächtigen Gnade beizustehen, damit sie vor dem Unglück des Rückfalls in die Sünde bewahrt bleiben. O stellten sie sich doch den göttlichen Heiland als den guten Hirten vor, der dem verirrten Schäflein nachgeht, selbst wenn es in törichter Furcht vor ihm flieht, der nicht ruht und nicht rastet, sondern es sucht, bis er es findet, und der es dann auf seinen eigenen Schultern wieder heimträgt zur Herde. O ihr alle, ihr kleinmütigen, ihr verzagten, ihr verzweifelnden, ihr armen verirrten Sünder! Schaut an das Bild, das euch heute die Kirche zeigt, blickt auf zum "Guten Hirten"! Wollt ihr nicht auf seine sanfte Stimme hören? Wollt ihr vor ihm fliehen? Wollt ihr euch nicht von ihm heimtragen lassen aus der wilden Wüste, in die euch die Sünde führte, heim zu seiner Herde?

 

Es ist ja der gute Hirt, der die 99 Schafe in der Steppe zurücklässt, um das einzige verirrte zu suchen, bis er es findet.

 

Mein lieber Christ! Ja, der gute Hirt ist auch dir nachgegangen, auch dich hat er mit Schmerzen gesucht - und heute, heute hat er dich gefunden! So folge ihm denn zur Herde. Siehe, er züchtigt dich nicht, er schimpft nicht mit dir. Er will dich heimtragen. So lass dich denn von ihm tragen. Folge dem Zug seiner Gnade; folge ihm zum Richterstuhl der Buße. Da erst wird er dich von den Wunden, von der Schwäche, die du dir auf den Irrwegen der Sünde zugezogen hast, vollkommen heilen, indem er durch den Mund des Priesters über dich das Wort der Barmherzigkeit sprechen wird: "Absolvo te! Ich spreche dich los von deinen Sünden!"

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4. Für den dritten Sonntag nach Ostern

 

Dass in der Welt nicht alles so ist, wie es sein sollte, wird niemand bestreiten. Wie viel Unglück aber die Menschen bedrängt, weiß Gott allein. Nur wem von Gott die besondere Gabe verliehen ist, der in den Seelen zu lesen versteht, und noch mehr wer berufen ist, als Arzt der Seelen sein forschendes Ohr an die kranke Brust der Menschheit zu legen, um ihren Atem und Herzschlag zu belauschen, nur der ahnt, wie tief das Weh ist, an dem die Menschheit krankt, ahnt, dass dieses Weh unermesslich ist wie das Meer, wie eine Sündflut, die ihre bitteren Wogen über die ganze Erde dahinrollt. O die Tränen, die ein Priester im Beichtstuhl weint, sind sehr bitter! Und nicht selten ist er versucht, mit Gott zu rechten und klagend auszurufen: Warum muss es denn sein? Ist denn Gottes Gnade nicht stark genug, der Sünde zu wehren, die die Menschen so unglücklich macht?

 

O nein, es muss nicht sein, und Gottes Gnade ist wahrhaft nicht schuld daran, dass es so ist. Aber das ist das größte Unglück, dass die Menschen ihr Unglück nicht als solches empfinden, wenigstens nicht in seinen wahren Ursachen erkennen, weder ihr eigenes, noch das ihrer Mitmenschen.

 

Ihr eigenes nicht. Wohl fühlen sie sich nicht glücklich, die Menschen unserer Zeit. Zufriedenheit, ruhiges, glückliches Genießen dessen, was nur trotz der Erbsünde und ihren auch für die Natur so verderblichen Folgen an Gutem und Schönem noch geblieben, ist schon lange nicht mehr heimisch in der Welt. Dafür hat eine stachelnde Unzufriedenheit, ein gewalttätiges Drängen und Jagen nach unbeschränktem Genuss der weit überschätzten Güter dieser Erde Platz gegriffen. Die grundstürzenden Tendenzen verblendeter Volksmassen, Blasiertheit oder Pessimismus in den Kreisen der oberen Zehntausend sagen uns zur Genüge, dass die Gesellschaft von heute sich nicht glücklich fühlt, nicht glücklich fühlen kann. Dass sie aber in unzähligen ihrer Glieder unsagbar unglücklich, dass sie sozusagen hoffnungslos krank ist, das kann nur der verstehen, der weiß, was vor allem anderen ihr fehlt, und wie verkehrt die Wege sind, die sie eingeschlagen hat, um das verlorene Glück wiederzufinden. Sie selbst versteht es nicht, denn sie ist blind, seit sie das übernatürliche Augenlicht, den Glauben, verloren hat. Und solange sie sich freut über diesen Verlust, statt ihn zu beklagen, gibt es für sie keine Rettung. - Sinite eos: caeci sunt et duces caecorum! Einmal freilich werden den Kindern des Unglaubens die Augen aufgehen. Aber dann ist es zu spät. Das "Ergo erravimus! Wir haben geirrt!" das an den Pforten der Ewigkeit sich ihren Lippen entringen wird, enthält das Geständnis eines Irrtums, der nie wieder gut gemacht werden kann, ist der Verzweiflungsschrei, von dem in Ewigkeit die Hölle widerhallen wird.

 

O wohl sieht es traurig aus in der Welt. Zu denken, dass auch nur eine unsterbliche Seele ewig verloren geht, ist schon entsetzlich. Und nun so viele! Und dennoch - haben wir überhaupt das volle Verständnis für ein solches Unglück unserer Mitmenschen? Tun wir, was an uns ist, um sie vor dem furchtbaren Schicksal zu bewahren? Hüten wir uns vor der falschen, heidnischen Auffassung, als ob wir uns um andere nicht zu kümmern hätten! Nachdem wir einmal Christen sind, ist auch der uns am fernsten Stehende unser "Nächster" - proximus! dem wir Liebe, werktätige Liebe schulden. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! 

 

So manchem begegnen wir auf unserem Lebensweg, der kraftlos am Wege liegt. Wir brauchen ihm nur unsere Hand zu reichen und er wäre gerettet. Ein herzliches Wort der Teilnahme, eine ernste Mahnung zur rechten Zeit, ein kleines Opfer an Liebe zu ihm gebracht, könnte ihn aufrichten, könnte ihn retten. Allein - wir "sehen und gehen vorüber" - nicht etwa aus Hartherzigkeit oder Grausamkeit, sondern weil uns in unserer grenzenlosen Kurzsichtigkeit und Oberflächlichkeit das Verständnis für sein Unglück abgeht - mit einem Wort, weil wir blind sind gegenüber dem Wert einer unsterblichen Seele und dem Unglück der Sünde.

 

So haben es uns die Heiligen nicht vorgelebt. Nicht Paulus, nicht Katharina von Siena, die "von der Liebe Christi gedrängt, wünschten verstoßen zu sein, um die Brüder und Schwestern zu retten"; nicht Dominikus, der sich jede Nacht für die Sünder blutig geißelte; nicht der Pfarrer von Ars, der Tag und Nacht mit glühendem Eifer für ihre Bekehrung betete und arbeitete. Wie weit sind wir von ihnen entfernt. Bitten wir sie, dass sie uns den Geist erbitten mögen, der sie beseelte, damit wir von unserer Blindheit geheilt werden.

 

O wie viel könnten auch wir für die Rettung unserer Mitmenschen tun, wenn wir nur die rechte Einsicht und den rechten Willen hätten, wie viel Segen könnten wir stiften, wie viel Unheil abwenden, angefangen bei denjenigen, die uns persönlich nahestehen, für die wir zu sorgen haben, derentwegen der ewige Richter gerade uns einst zur Verantwortung ziehen wird. Keiner von ihnen ist außer Gefahr, für viele ist die Gefahr die denkbar ernsteste. Wir aber tun, als wenn wir von ihrem Bestehen keine Ahnung hätten oder wir machen doch nur schwache Versuche, ihr entgegenzuwirken. Es ist wirklich erstaunlich, wie selbst Eltern geradezu blind sein können gegenüber den Gefahren, die ihre eigenen Kinder bedrohen. Das Werk der Erziehung ist immer ein ebenso schwieriges wie vielseitiges gewesen, zu keiner Zeit aber wie in unseren Tagen. Und doch sind wohl niemals verwerflichere Erziehungsgrundsätze aufgestellt und befolgt worden als gerade heute. Aber auch jene, die einer gottlosen modernen Pädagogik in der Theorie meilenfern zu stehen vermeinen, arbeiten ihr praktisch doch genug in die Hände. Sei es indem sie das religiöse Moment überhaupt viel zu sehr vernachlässigen oder indem sie vergessen, dass alle religiöse Erziehung wertlos ist, wenn sie nicht das eine erreicht: die Kinder fähig zu machen zu den drei großen Aufgaben des Lebens, die da heißen: Überwinden, entsagen, ertragen. Unsere ganze Erziehungsmethode ist zu weichlich geworden. Und das kommt zumeist daher, dass wir nicht streng genug gegen uns selber sind, dass wir uns selber keinen lockenden Genuss mehr versagen können. Wie können wir da von unseren Kindern Entsagung fordern, oder wenn wir sie von ihnen fordern, wie können wir erwarten, dass sie sie innerlich, mit Überzeugung üben, solange wir ihnen nicht mit gutem Beispiel vorangehen. Und dann wundern wir uns, wenn unsere Haare bleich werden unter dem Herzeleid banger Sorgen und bitterer Enttäuschungen. O ja, wir sind schon recht blind.

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5. Für den vierten Sonntag nach Ostern

 

Vor einigen Jahren trug sich in der Nähe von Düsseldorf ein beklagenswertes Unglück zu. Einige Düsseldorfer Familien waren bei Gelegenheit eines gemeinsamen Ausfluges in einem ländlichen Restaurant eingekehrt. Während nun die Eltern und die erwachsenen Geschwister sich drinnen gütlich taten, vergnügten sich die jüngeren Kinder draußen im Freien. Sie bestiegen dort ein kleines Boot, das am Ufer eines nahegelegenen Teiches angekettet war, und fuhren bald lachend und scherzend auf dem Wasser umher. Das lebhafte Ungestüm der Jugend trug die Schuld daran, dass das leichte Fahrzeug plötzlich umschlug und sämtliche Insassen elendiglich ertranken. Als sich die Eltern nach einiger Zeit zum Aufbrechen rüsteten, riefen sie vergebens nach den Kindern; erst der mit aufwärts gerichtetem Kiel auf dem Wasser treibende Nachen sagte ihnen, was geschehen war. Stellt euch die Verzweiflung der Eltern vor, als sie sich des entsetzlichen Unglücks klar bewusst wurden, das sie durch ihre Fahrlässigkeit verschuldet hatten. Während sie drinnen saßen in lärmender Fröhlichkeit, rangen ihre Kinder draußen in nächster Nähe mit dem Tod; während sie beim Genuss geistiger Getränke leichtfertige Reden austauschten, erstickten die kalten, unerbittlichen Fluten des stillen Wassers das Hilfegeschrei und das Todesröcheln der unglücklichen Kleinen; während die Erwachsenen in selbstsüchtiger Unterhaltungslust ihre Kinder vergaßen, war der letzte Gedanke der Kinder vielleicht ein Fluch gegen die Grausame Gleichgültigkeit der Eltern, deren überlaute Fröhlichkeit wie Hohn an das Ohr der Sterbenden klang.

 

An diesen erschütternden Vorfall muss ich mich immer erinnern, wenn ich über die ahnungslose Gleichgültigkeit nachdenke, mit der die Menschen so vielfach an den Gefahren und der geistlichen Todesnot ihrer Mitmenschen und oft der Nächststehenden vorübergehen. Jeder Mensch ist in Gefahr, unterzugehen in den Stürmen dieses Lebens. Nicht sowohl sein irdisches Heil steht auf dem Spiel als vielmehr das Leben seiner Seele, die an Wert alles Irdische unermesslich überragt. Das menschliche Leben ist ein Kampf gegen ungeheure Gefahren, - Gefahren, angesichts deren einst die Jünger des Herrn wohl mit Grund schaudernd ausrufen konnten: "Herr, das sind aber wenige, die gerettet werden!" Der Heiland, der durch seine Schilderungen diesen Eindruck bei ihnen hervorgerufen hatte, suchte ihn keineswegs dadurch zu mildern, dass er seine vorigen Worte durch Einschränkung des Sinnes abzuschwächen suchte - das, was er über die sittlichen Gefahren der Welt und über die Schwäche der Menschen gesagt hat, bleibt im vollen Umfang bestehen - der einzige Trost, die einzige Beruhigung, die er seinen Jüngern bieten kann, liegt vielmehr allein in dem Hinweis auf die Allmacht der Gnade Gottes, durch die immerhin noch gerettet werden kann, was bereits dem sicheren Tod geweiht schien. Die Gefahren selbst aber sind und bleiben, in sich betrachtet, riesengroß. 

 

Freilich, wir sehen diese Gefahren nicht; denn sie sind geistiger Art und können daher durch unsere sinnliche Erfahrung nicht wahrgenommen werden. Allein deswegen sind sie nicht weniger wirklich vorhanden; wie denn überhaupt das Geistige sogar weit mehr Wirklichkeit besitzt als das Sinnfällige. Und es gibt ein Erkenntnislicht, das Licht des Glaubens, das uns über das Dasein und Wesen dieser unsichtbaren Gefahren, die unserer Seele drohen, viel zuverlässigeren Aufschluss gibt, als auch das schärfste natürliche Erkenntnisvermögen. Der hl. Glaube sagt uns, dass von drei Seiten der menschlichen Seele Gefahr droht, von Seiten des Teufels, der Welt und des eigenen Fleisches. Der Glaube lehrt uns mit den Worten des hl. Petrus: Dass von Anbeginn der Welt der Teufel wie ein brüllender Löwe umhergeht und sucht, wen er verschlinge. Der Glaube sagt uns, dass der Teufel mit seinem unablässigen Bemühen, die Seelen ins Verderben der Sünde zu stürzen, nicht soviel Aussicht auf Erfolg haben würde, wenn nicht durch die Erbsünde das Verderben in unser eigenes Innere eingedrungen wäre. - Und was der Glaube lehrt, das bestätigt die tägliche Erfahrung. Wer nur einigermaßen die Welt, das Leben und - sich selber kennt, der weiß, welche Wachsamkeit der Mensch braucht, welche Charakterstärke, welch ernste Religiosität, welch lebendigen Glauben, um sich der verderblichen Einflüsse, die rings auf ihn eindringen, zu erwehren; um gefährliche Triebe, die in seinem Innern oft plötzlich und mit elementarer Gewalt erwachen, rechtzeitig zu unterdrücken und niederzuhalten, ehe sie ihn zu verbrecherischen Werken hingerissen haben.

 

Aber weil so viele sind, denen es an Glauben und Religiosität gebricht - und denen es darum auch an der rechten Welt- und Menschen-Kenntnis mangelt, - darum sind so wenige, die von dem wahren Zustand ihrer eigenen Seele, geschweige denn von dem Seelenzustand ihrer Mitmenschen auch nur eine Ahnung haben. Darum geschieht es tausend und tausendmal, dass ein Mensch dasteht mitten im lachenden Leben, wie ein spielendes Kind auf einer Blumenwiese, und er merkt nicht, dass dicht neben ihm langsam, lautlos sein eigener Bruder im Sumpf modernen Unglaubens und moderner Sittenlosigkeit untergeht. Und er streckt die Hand nicht aus, er rührt keinen Finger, um den Sinkenden zu retten. Ein einziges warnendes Wort hätte den Irrenden aufhalten können auf der Bahn des Verderbens; ein einziges tröstendes, ermunterndes, verzeihendes Wort hätte vielleicht dem Tiefgefallenen, dem an sich selber Verzweifelnden das notwendige Selbstvertrauen, den Glauben an die Menschen und die Zuversicht auf Gottes Barmherzigkeit wiedergegeben. Allein das Wort blieb ungesprochen und der Unglückliche seinem Schicksal überlassen. Fehlte es denn anderen an Liebe? War er zu grausam, dass er seinem Mitbruder nicht zu Hilfe kam? Nein, er war nur blind, entsetzlich blind und weiter nichts! Er ahnte ja gar nicht, dass sein Bruder in Todesgefahr ist. Er glaubt alles in bester Ordnung. Erst der Knall des Revolvers weckt ihn aus seiner Stumpfheit, und die bleiche, blutende Stirn des Toten sagt ihm, dass hier ein Mensch eine Verzweiflungstat verübt hat, weil er niemand gefunden hat, der seine Seelenqual mit ihm tragen wollte.

 

Nicht immer, Gott sei Dank, spitzen sich die Verhältnisse so zu, dass Selbstmord die Lebensbahn unserer irrenden, schiffbrüchigen Mitmenschen endet, obwohl es öfter vorkommt, als die Welt zugeben möchte. Man braucht nur die Selbstmordchronik unserer Großstadtzeitungen zu verfolgen.

 

Auf dem Grabstein einer Kirche nahe dem norddeutschen Meeresstrand sieht man das Bildnis eines Knaben und darüber die Inschrift: Aquis submersus incuria servi - In den Wassern untergegangen durch die Fahrlässigkeit des Dieners. Theodor Storm hat Idee und Titel seiner berühmtesten Novelle daher entnommen. Wie viele sind, deren Schicksal man eine ähnliche Inschrift geben könnte: Aquis submersus incuria parentum - incuria fratris - incuria amici! - In den Fluten des Lebens untergegangen durch die Sorglosigkeit der eigenen Eltern - dirch die Sorglosigkeit der Nahestehenden!

 

Aber muss es denn bis zur Katastrophe kommen, ehe uns die Augen geöffnet werden? Wollen wir erst an Rettung denken, wenn es zu spät ist? Müssen wir erst Blut und Wunden sehen - ein blindes Antlitz und brechende Augen, ehe wir an Gefahr glauben? Suchen wir doch der Gefahr zu begegnen, da sie noch im Entstehen begriffen ist. Und wiederum: Jedes Menschen Seele ist in Gefahr! Da wir nun nicht für jedes Menschen Seele sorgen können - obwohl wir für alle Menschen beten sollen - so sorgen wir wenigstens für diejenigen, die von Gott unserer Sorge anvertraut sind, oder die durch die Bande der Freundschaft oder des Blutes ein Anrecht auf unsere Liebe und Sorge und Hilfe haben.

 

Und das geht zunächst die Eltern und Erzieher an. Christliche Eltern und Erzieher! Wacht über die Seelen eurer Kinder! Wer weiß wie viele von ihnen in geistiger Todesgefahr sind, und wie viele in dieser Todesgefahr umkommen, wenn ihr ihnen nicht augenblicklich zu Hilfe kommt! Welch ein Paradiesgarten ist so eine Kinderseele! Ihr seid als Paradiesengel der Kinderunschuld und Jugendgnade bestellt. Werdet euch dieser eurer Würde bewusst bei Ausübung eures schweren Amtes. Möge euch Gott erleuchten und stärken, dass ihr die rechten Grundsätze der Erziehung erkennt und durchführt.

 

Und vor allem: Betet! Das Gebet reicht über die Sphäre persönlichen Einflusses weit hinaus. Wo Warnungen und Bitten sich als machtlos erweisen, da ist das Gebet noch allmächtig. Betet, dass ihr alle, die Gott euch geschenkt hat, einst wiederfinden möget an seinem Thron - gerettet für alle Ewigkeit.

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6. Für den fünften Sonntag nach Ostern

 

Schon seit langen Jahren ist der Maimonat der lieben Mutter Gottes als besondere Verehrungszeit zugeeignet. Anfang des neunzehnten Jahrhunderts kam dieser Sonderkult der heiligen Jungfrau in Italien auf und verbreitete sich von hier aus, nachdem er auch die Billigung und besondere Huld des Päpstlichen Stuhls empfangen hatte, mit großer Schnelligkeit über alle katholischen Länder.

 

Mit hoher Weisheit hat aber die katholische Kirche gerade den Maimonat zum Marienmonat erkoren.

 

Denn was kann auch schöner sein, was mehr für Gott und die heilige Jungfrau begeistern, als dieser Monat, wo das Licht der Sonne Quellen und Blumen weckt, wo es goldig-grün um Wald und Feld flimmert, wo die ganze Erde im schönsten Brautkleid prangt!

 

Auf Schritt und Tritt begegnen wir im Wonnemonat der Meisterhand Gottes; von Feldern und Fluren, von Wiesen und Auen, aus dem Wald und der Heide scheint uns der Ruf entgegenzuschallen:

 

"Öffne deine Augen, Menschenkind, bewundere und bestaune in der Herrlichkeit der Natur auch diejenige Gottes und der hehren Maienkönigin!"

 

Betrachten wir uns im Sinn der Größe des Schöpfers und der heiligen Jungfrau die Mainatur etwas näher!

 

Warm und erquickend flammen die Sonnenstrahlen vom blauen Himmelsdom nieder: erfrischend weht die Mailuft über die Erde hin und spielt mit den Halmen der Saatfelder, die schon hoch emporgeschossen sind. Zwischen diesen Halmen sind Blumen in schönster Zier gestreut, wie wenn unser Herrgott den Menschen zu den nützlichen Gewächsen auch noch die erfreulichen zu Ehren der heiligen Jungfrau spenden wolle.

 

Mit buntem Saum ziert der Kornblume himmelblaue Blütenkrone das Feld, der schöne Rittersporn und der wilde Mohn drängen sich ebenfalls herzu, um schmücken zu helfen. In den Kelchen dieser bunten Blumen suchen Bienen und Hummeln nach Honig, und aus den Halmen lockt das Rebhuhn, ruft die Wachtel. An den Wegen entlang und über die einzelnen Feldarbeiten zerstreut stehen die blühenden Obstbäume; ihre Äste und Ranken sind mit Blüten wie mit Schnee überrieselt und bieten Hunderten von Vöglein sichere Hut oder süßen Aufenthalt.

 

In ähnlicher Weise wie die Ackerflächen, predigt die Wiese im Mai die Größe Gottes und Marias. Reizend liegt sie im Wonnemonat da, gehüllt in den goldenen Glanz der Sonne. Wie ein weites, mit leuchtenden Smaragden überdecktes Feld nimmt sie sich aus, über das die Sonnenstrahlen einen leichten, duftigen Goldschleier spinnen, in das die Blumenwelt ihre reichsten Bilder flicht. Auf sonnigen Hügelwiesen grüßt uns der Himmelsschlüssel, die liebliche, vielbesungene Blume; in den Niederungen der Wiese sprießen zahllose Hahnenfußarten, die wie Goldkörner aus der Ferne sich ausnehmen. Neben ihnen ziehen wieder Schaumkraut und Steinbrech lange, weiße Straßen in die grünen Grasflächen, während bescheiden das Maßliebchen, das Hirtentäschel und das Hungerblümchen in ihrem schüchternen Weiß vereinzelt blühen. Unter den vielen Blumen verschwindet fast das Grün, da auch die kleinen Gräser ihre mattfarbigen Blüten nach oben schicken. Mit dem langen, geschwungenen Bogen des Mannagrases kreuzt sich anmutig der kürzere Halm des Schwingels; Rossgras und Windhalm lassen ihre Fahnen lustig im Wind wehen. Und welch herrliches Naturkonzert hat sich der Schöpfer auf seiner Wiese hergestellt! In den grünen Büschen der Weiden, die am Rand des Wiesenbächleins stehen, ruft die tiefe Stimme der Amsel, klagt abends in schmelzenden Lauten die Nachtigall; hoch oben in den Lüften aber singt die Lerche ihre schönen Lieder; Grillen zirpen, Schmetterlinge schwirren über die Blüten, und in den blütenbesäten Ranken des duftigen Wildrosenstrauches zwitschert der Zeisig und die gelbbrüstige Ammer.

 

Einzig schön hat der liebe Gott auch den Wald im Wonnemonat gestaltet. Duftiger, würziger Waldduft zieht uns hinein, muntere Vogelstimmen grüßen uns aus Büschen und Bäumen entgegen. Grasmücke und Meise singen im Klein- und Unterholz, im Wipfel der Bäume Pirol und Häher; Finkenschlag und Drosselpfiff erschallt und weit aus der Ferne tönt der Ruf des Kuckucks. Dazu blühen die Blumen so sorglos bunt umher, wie das Maiglöckchen, das bescheidene Veilchen und die Anemone. Blumenplätze wechseln lieblich ab mit moosbewachsenen Stellen. Die zierliche Eidechse schlüpft darüber hin, auch wohl einmal ein Haselmäuschen, das jedoch ängstlich zwischen den Wurzeln der Bäume wieder verschwindet. Rings stehen, wie zum Reigen verschlungen, die Eichen, die trotzigen Waldhünen und die Buchen, die säulengleich ihre schlanken Stämme zum Himmel ragen lassen. Die Birke, in schneeiges Kleid gehüllt, wiegt ihre niederhängenden grünen Wipfel im Licht der Sonne und dazwischen recken sich Tannen oder Fichten mit stolzem Anstand hoch in die Lüfte. Frisches Geißblatt und Efeu ranken lustig an den Stämmen der Bäume empor. Schmetterlinge, Libellen und Käfer flattern über die Farnkräuter hin, die überall üppig wuchern. So schön und wundersam ist die mailiche Waldespracht, dass selbst die goldenen Sonnenstrahlen es sich nicht versagen können, hier und da durch das Baumgeäst in sie hineinzuschauen. 

 

Wohin nur immer das Auge schaut, überall in der Welt sieht es im Mai die Größe Gottes, bewundert es die hohe Liebe des Herrn zur Himmelskönigin, für die er die Welt aufs wunderbarste herausgeschmückt hat.

 

Wie dankbar müssen wir hierfür sein, mit welch kindlicher Liebe sollen wir deshalb stetig aufblicken zu jener hehren Himmelsfrau, die der Allmächtige so unendlich hoch begnadet hat, die er so außerordentlich auszeichnet!

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7. Für den sechsten Sonntag nach Ostern

 

Die ewige Weisheit, der Geist des Vaters und des Sohnes, will sich uns mitteilen, wenn wir unser Herz ihm bereiten. Was er uns bringen will, sagt er selbst im Buch der Weisheit: "Die Weisheit lehrt Maß und Klugheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit, die Tugenden, die im Leben der Menschen nützlicher sind als alles andere." (Weisheit 8,7) Durch die Rechtfertigung werden wir Kinder Gottes, Glieder Christi und eine Wohnung des Heiligen Geistes; wir empfangen und üben die göttlichen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und Liebe, die unser Verhalten zu Gott regeln. Durch die Mitteilung jener vier sittlichen Grundtugenden werden wir, wie der Apostel sagt, von Gott belehrt, dass wir als Kinder Gottes auch seiner würdig leben, unsere Gesinnung und Handlungen nach Gottes Wohlgefallen einrichten und heiligen. Nichts ist dem Menschen nützlicher als dieses. Denn was ist der Mensch ohne Tugend? Und ohne diese vier Tugenden sind alle übrigen entweder nur Scheintugenden, oder sie sind unvollkommen. Betrachten wir also zunächst ihren Namen, ihren Zusammenhang und ihre Wichtigkeit.

 

Diejenigen Tugenden, die unser sittliches Verhalten regeln sollen, haben zur Grundlage die vier Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit und Starkmut. Das Wort Kardinal stammt vom lateinischen cardo, Türangel oder Achse, um die sich etwas dreht. Wie eine Tür in den Angeln hängt und ein Rad sich um seine Achse dreht, so ist jede echte Tugend verbunden mit den Kardinalstugenden, bekommt von ihnen Halt, Kraft und Maß. Welch schöne Tugend ist z.B. der Eifer für die Ehre Gottes. Welch ein Zerrbild aber wird so oft aus ihr, wenn ihr die Klugheit fehlt; da wird sie zum blinden Eifer, der mehr Schaden als Nutzen stiftet. Schön ist ferner die Freigebigkeit; sie hört jedoch auf, eine Tugend zu sein, wenn sie sich nicht in der Angel der Gerechtigkeit bewegt. Die Bußfertigkeit ist gewiss notwendig, sie muss aber das rechte Maß einhalten. Und was nützte jede andere Tugend ohne den Starkmut, der jedes Hindernis zu überwinden weiß. - So haben alle sittlichen Tugenden in den vier Kardinaltugenden ihren Halt und ihr Maß. Alle bewegen sich um sie wie um ihren Mittelpunkt, eine jede ist auf eine von ihnen zurückzuführen und in ihnen beschlossen. Daher heißen sie auch Haupt- oder Grundtugenden, weil auf ihnen das ganze Gebäude der Tugendhaftigkeit beruht. Was bei einem Gebäude die vier Grundmauern sind, das sind für das christliche Leben diese vier Grundtugenden. Ein Gebäude, das solide und dauerhaft sein soll, muss vor allem gute Fundamente haben. So muss, wer wahrhaft tugendhaft werden will, vor allem für die vier Grundtugenden sorgen. Ihm gilt das Wort des Herrn: "Ich will euch zeigen, wem ein Mensch gleicht, der zu mir kommt und meine Worte hört und danach handelt. Er ist wie ein Mann, der ein Haus baute und dabei die Erde tief aushob und das Fundament auf einen Felsen stellte. Als nun ein Hochwasser kam und die Flutwelle gegen das Haus prallte, konnte sie es nicht erschüttern, weil es gut gebaut war." (Lukas 6,47-48) "Dieses Haus aber", so erklärt der heilige Gregor, "besteht aus vier Winkeln oder Ecken, weil nämlich das Gebäude unseres vollkommenen Geistes auf der Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Stärke beruht. Auf vier Ecken also ruht dieses Haus, weil der ganze Bau eines guten Werkes (echter Tugend) auf diesen vier Tugenden sich erhebt."

 

Die vier Kardinaltugenden gehören notwendig zusammen; in ihrer Vereinigung machen sie die christliche Vollkommenheit aus. Nicht ohne Bedeutung ist ihre Vierzahl. Beschreibt doch auch der heilige Paulus die Vollkommenheit der Liebe Christi mit den Worten: "Ich bitte zu Gott, er möge euch aufgrund des Reichtums seiner Herrlichkeit schenken, dass ihr in eurem Innern durch seinen Geist an Kraft und Stärke zunehmt. Durch den Glauben wohne Christus in eurem Herzen. In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet, sollt ihr zusammen mit allen Heiligen dazu fähig sein, die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe zu ermessen und die Liebe Christi zu verstehen, die alle Erkenntnis übersteigt. So werdet ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle Gottes erfüllt." (Epheser 3, 16-19) "Wohl jedermann begreift", so erklärt der heilige Prosper, "dass die Vierzahl der Vollkommenheit geweiht ist. Der ganze Erdkreis findet sich von Osten und Westen, Norden und Süden als von vier Seiten begrenzt. Aber auch die vier Flüsse, die aus der Quelle des Paradieses ausfließen, oder die vier Evangelien, die vier Räder des göttlichen Wagens, die vier Tiere mit ihren vier Flügeln (in der Apokalypse) bezeugen die Würde dieser Zahl. Daher müssen wir diese Tugenden, die schon ihrer Zahl nach eine so große Vollkommenheit entfalten, sorgfältig betrachten und erkennen, welche große Heiligkeit sie einem christlichen Gemüt verleihen, und wie es nirgends etwas Vollkommenes gibt, was nicht in diesen Tugenden ist." "Halte dich", so mahnt deshalb der heilige Hieronymus, "in diesen vier Himmelsgegenden eingeschlossen. Dieses Gespann der vier soll dich als Fuhrmann von Christus zum Ziel emportragen." "Das ist", sagt der heilige Canisius, "der vornehme Wagen, auf dem wir zum Himmel fahren."

 

Von ihrem Zusammenhang sagt der heilige Bernhard: "Die Gerechtigkeit sucht, die Klugheit findet, der Starkmut eignet sich an, die Mäßigkeit besitzt." Sie müssen zusammen wirken, wenn wir den guten Kampf bestehen sollen, - eine erleuchtet, zur Unterscheidung des Wahren vom Falschen - die Klugheit; die andere stärkt zur Verachtung aller Schwierigkeiten und Opfer und zur Beharrlichkeit - der Starkmut; die dritte lehrt Selbstverleugnung und Unterdrückung verbotener Lüste - die Mäßigkeit; die vierte erhält auf dem schmalen Pfad zum Himmel, dass man nicht rechts und links abweiche - die Gerechtigkeit.

 

Aus all diesem wird schon deutlich, wie wichtig und notwendig die vier Kardinaltugenden sind. Ohne die wahre Klugheit ist der Mensch jeglicher Torheit, Sünde und Elend preisgegeben, er weiß nicht, was ihm zum Besten dient. Darum mahnt der Prophet: "Nun lerne, wo die Einsicht ist, wo Kraft und wo Klugheit, dann erkennst du zugleich, wo langes Leben und Lebensglück, wo Licht für die Augen und Frieden zu finden sind." (Baruch 3,14) - Nur die christliche Gerechtigkeit gibt Gott was Gottes ist und den Menschen was ihnen gebührt; besorgt die Wohlfahrt des Leibes und der Seele und bewahrt den Menschen vor jener Gewissenslosigkeit, die in Befriedigung der Leidenschaft nicht nach Recht und Gesetz fragt. - Die Mäßigkeit lehrt uns das Irdische erstreben ohne Gier, besitzen, als besäßen wir es nicht, und entbehren ohne Störung des Herzensfriedens. Das Glück besteht nicht darin, was man hat und genießt, sondern darin, was man ertragen und entbehren kann. Weil unsere Zeit das nicht begreift, daher die Unruhe und Unzufriedenheit trotz aller Genüsse. - Die Tugend ist endlich ein beständiger Kampf gegen das Laster, wir dürfen ihn nie aufgeben; sie ist eine beständige Übung und Arbeit, die nie ermüden darf; sie ist der Weg zur Vollkommenheit, wir dürfen darauf nicht stillstehen. Dazu kommen die Leiden und Prüfungen aller Art, die uns reinigen sollen. Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur die Gewalt gebrauchen, reißen es an sich. Unsere Zeit zumal bringt so viel Gefahren und Kämpfe, dass jetzt mehr als je das Wort der Offenbarung gilt: "Hier ist Geduld der Heiligen notwendig." Wie notwendig ist also da der Starkmut, der ausharren lässt bis zum Ende.

 

Sind die vier Grundtugenden uns so notwendig und ist wirklich dem Menschen nichts nützlicher als diese, dann möge der gute Geist uns erleuchten, damit wir erkennen, was uns darin nottut und uns beistehen, damit wir ernstlich danach ringen.

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8. Für das heilige Pfingstfest

 

Glückselig der Mensch, der Weisheit erlangt hat und reich ist an Klugheit. Besser ist ihr Erwerb als der von Silber, und wertvoller als echtes und reinstes Gold ihr Gewinn. Kostbarer ist sie als alle Schätze, und alle wünschenswerten Kleinode vermögen ihr nicht gleichzukommen. Langes Leben ist in ihrer Rechten, in ihrer Linken Reichtum und Ehre. Ihre Wege sind liebliche Wege und alle ihre Pfade Wohlfahrt. Sie ist ein Lebensbaum für die, die sie ergreifen, und wer sie festhielt, ist beglückt. (Sprichwörter 3,13-18) Diese herrlichen Lobsprüche spendet der Geist des Lichtes und der Heiligkeit der Weisheit der Heiligen, jener Weisheit, die unter den vier Kardinaltugenden den ersten Rang einnimmt als Führerin und Lenkerin aller übrigen sittlichen Tugenden. Was haben wir darunter zu verstehen?

 

Der sehnlichste Wunsch und stärkste Drang eines jeden Menschenherzens ist das Verlangen nach Glück. Die Klugheit lehrt uns nun, das wahre Glück vom falschen und trügerischen unterscheiden und die Mittel ergreifen, die uns zu unserem wahren Ziel führen. Das vollkommene Glück erwartet uns im Himmel. Die christliche Klugheit lehrt uns also, bei all unserem Tun und Lassen dieses unser letztes Ziel im Auge behalten und alle Dinge in ihrem Wert oder Unwert nach der Beziehung schätzen, in der sie zu diesem Ziel stehen. Sie lehrt uns nur das als Gewinn betrachten, was uns diesem Ziel zuführt, und als Verlust, was uns davon abführt. Sie lehrt uns die Gefahren und Hindernisse erkennen und meiden, die sich uns entgegenstellen. Sie lehrt das Wort des Herrn verstehen und zur Richtschnur des Lebens machen: "Euch aber muss es zuerst um das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit gehen. Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen?" (Matthäus 6,33; 16,26) Diese Klugheit, die von oben stammt, lässt uns die Freundschaft Gottes über alles schätzen und lieber alles leiden oder hingeben, als Gottes Gnade aufs Spiel setzen. Sie kennt kein anderes wahres Übel als die Sünde und geht ihr sorgfältig aus dem Weg. Sie ist eifrig darauf bedacht, sich Schätze zu sammeln für die Ewigkeit, die Rost und Motten nicht verzehren, Diebe nicht stehlen können; sie wird gleich den klugen Jungfrauen ihre Lampe mit dem Öl der guten Werke zu füllen trachten. Die irdischen Güter lässt sie betrachten und wertschätzen als Mittel, um unsere Aufgabe in der Welt zu erfüllen und uns ddie ewigen Güter zu erwerben nach der Mahnung des Herrn: "Ich sage euch: Macht euch Freunde mit Hilfe des ungerechten Mammons, damit ihr in die ewigen Wohnungen aufgenommen werdet, wenn es mit euch zu Ende geht." (Lukas 16,9) Die christliche Klugheit lehrt uns, rechtzeitig unsere Sünden büßen und wieder gut machen, damit wir nicht nach dem Tod in die Hände der göttlichen Gerechtigkeit fallen, eingedenk der Mahnung des Herrn: "Schließ ohne Zögern Frieden mit deinem Gegner, solange du mit ihm noch auf dem Weg zum Gericht bist." (Matthäus 5,25) Sie lehrt uns, der Menschen Urteil, Gunst, Tadel oder Hass geringachten und Gott allein fürchten, wie der Heiland sagt: "Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann." (Matthäus 10,28) Sie leitet uns an, bei allem gleich den Heiligen zu fragen: Was nützt, was schadet mir dies für die Ewigkeit? Sie lässt uns mit Bewunderung auf die Vorbilder des christlichen Lebens schauen, die Heiligen Gottes, und in ihre Fußtapfen eintreten. Sie zeigt uns schon im voraus alles im Licht der Sterbekerze, vor dem aller falscher Schein verblasst.

 

Die christliche Klugheit ist vorsichtig und wachsam, entdeckt rechtzeitig die Gefahren und Versuchungen, weicht ihnen aus, hält sich stets gerüstet, sie zu bekämpfen; sie lässt sich nicht verleiten durch den Schein des Guten, entdeckt die Täuschungen der Eigenliebe, die Fallstricke der Welt und des Satans. Sie ist umsichtig, beachtet bei allem Zeit, Ort und Umstände, von denen die Erlaubtheit und der Erfolg des Handelns abhängt. Sie ist bedachtsam, überlegt vorher, lässt sich nicht durch Leidenschaft zu vorschnellen Entschlüssen hinreißen; hat sie einen wohlüberlegten Entschluss gefasst, so lässt sie sich nicht leicht wieder darin wankend machen. Sie benutzt den gegenwärtigen Augenblick und denkt immer an das Ende.

 

Wie verschieden von ihr ist die Klugheit der Welt, die nur das Irdische, Vergängliche im Auge hat. Die Kinder dieser Welt, so sagt der Heiland, sind in ihrer Art klüger als die Kinder des Lichtes. Warum? Weil sie eifriger nach den Gütern der Welt trachten, als diese nach den ewigen Gütern. Die christliche und weltliche oder fleischliche Klugheit stehen im handgreiflichen Gegensatz. Was die eine erstrebt, ist der anderen gleichgültig oder zuwider. Ein heiliger Aloisius, der auf die Grafenkrone verzichtete und alles, was ihm an Erdengütern, Ehren und Freuden in die Wiege gelegt war, preisgab, um im Kloster Gott allein zu dienen, erscheint der Welt als überspannter Tor, während die christliche Weisheit ihn bewundern lehrt, weil er es verstanden hat, für eine irdische Krone die himmlische zu erwerben. Ein Mädchen, das eine vorteilhafte Heirat und glänzende Versorgung ausschlägt, weil es keine gemischte Ehe eingehen will, wird von der Welt verlacht, vor Gott aber handelt sie klug. Ein Dienstbote, der eine gute Stelle preisgibt, weil seinem Glauben oder seiner Tugend da Gefahren drohen, gilt als einfältig und handelt doch weise. Bei der Welt gilt nur der Erfolg, einerlei mit welchen Mitteln er erreicht wird; bei Gott gilt nur die rechte Absicht, einerlei was damit erzielt wird. Deshalb sagt der Apostel: "Wenn einer unter euch meint, er sei weise in dieser Welt, dann werde er töricht, um weise zu werden. Denn die Weisheit dieser Welt ist Torheit vor Gott." (1. Korinther 3,18-19) Die Kinder dieser Welt schauen hochmütig herab auf die "Frömmler", die ängstlichen Seelen. Einmal aber werden ihnen die Augen aufgehen; im Gericht Gottes, wenn sie die Verherrlichung der Kinder Gottes schauen müssen, werden sie ausrufen: Diese also sind es, die wir einst verlachten und mit schimpflichen Reden verhöhnten. Wir Toren hielten ihr Leben für Unsinn und ihr Ende für schimpflich; seht, wie sie nun den Kindern Gottes beigezählt sind und ihr Los unter den Heiligen ist! Wir aber gingen harte Wege und den Weg der Wahrheit kannten wir nicht. (nach Weisheit 5,1-9)

 

Von alters her hat als Grundsatz wahrer Weisheit die Regel gegolten: Bei allem, was du tust, denke an das Ende. Ja, der Tod ist der untrügliche Prüfstein der rechten Klugheit. Was uns im Schein der Sterbekerze noch wichtig und wertvoll vorkommt, das hat wahren Wert; was aber da verbleicht, das ist unnützer Flitter. Klug handeln wir dann, wenn wir einst in unserer letzten Stunde nicht anders gehandelt zu haben wünschen. Wollen wir uns also vor Torheit hüten, so beantworten wir uns vor jeder wichtigen Handlung die Frage: Wie werde ich in der Todesstunde wünschen gehandelt zu haben? Wird mir dann mein Tun Freude oder Schmerz bereiten? Wird mir diese Sache dann als wichtig oder nichtig erscheinen? - Was du auch tun magst, tue es klug und bedenke das Ende!

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Werkzeuge des Heils

 

9. Über die christliche Klugheit (1. Kardinaltugend)

 

Als wir getauft wurden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes, wurde uns mit dem übernatürlichen Gnadenleben und den göttlichen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und Liebe auch die Grundtugend der christlichen Klugheit eingegossen, die unter den christlichen Tugenden den ersten Platz einnimmt.

 

In einer großen Versammlung der Altväter in der Wüste kam einst die Frage zur Sprache, welche Tugend am notwendigsten sei, um auf dem Weg des Heils große Fortschritte zu machen. Der eine stimmte für Gebet und Fasten, der andere für Liebe zur Einsamkeit, andere bevorzugten Verachtung des Irdischen und Barmherzigkeit. Jede Tugend fand ihre Lobredner. Der heilige Abt Antonius aber sprach: "Es haben zwar alle diese Tugenden ihr Verdienst und Lob; ich aber habe aus den unzähligen Fehltritten, die so viele getan haben, die Erfahrung gemacht, dass die Klugheit die Tugend ist, nach der ihr fragt; denn sie erhält alle Tugenden, leitet sie und hilft zu ihnen." - Derselben Meinung ist der hl. Thomas von Aquin. "Die Klugheit", so sagt er, "ist unter allen Tugenden die vortrefflichste und weitaus vornehmste; denn sie ist die Lenkerin und Richterin aller; sie ist das Auge der Seele." Und der heilige Gregor erklärt: "Wenn die anderen Tugenden nicht das, was sie anstreben, mit Klugheit vollbringen, so sind sie keine Tugenden, sondern Fehler."

 

Die christliche Klugheit ist also die Wegweiserin aller sittlichen Tugenden und ihre Lenkerin auf ihrem Weg, die sie vor Abwegen bewahrt und verhütet, dass sie nicht in Fehler ausarten. Was das Auge für die Glieder des Leibes, das ist die Klugheit für die Bestrebungen der Seele: sie lenkt sie zum rechten Ziel und hält sie in den gehörigen Schranken. Eifer in der Religion ist gewiss etwas Vortreffliches; ist er aber nicht durch Klugheit erleuchtet, so ist er blind und stiftet mehr Schaden als Nutzen. Freigebigkeit ist eine hochgepriesene Tugend; wird sie aber nicht von Klugheit geleitet, so verschwendet sie ihre Gaben an Unwürdige. Geduld, Sanftmut, Nachgiebigkeit sind vortreffliche Tugenden; sie müssen jedoch mit Klugheit geübt werden, sonst arten sie aus in verderbliche Schwachheit und gewissenlose Fahrlässigkeit. So ist es mit allen Tugenden; werden sie nicht von der Klugheit geleitet, fehlt ihnen das rechte Maß und Ziel. Wie notwendig ist also diese erste Grund- und Kardinaltugend für das christliche Leben.

 

Nun ist sie uns zwar schon bei der Taufe verliehen; jedoch nur als Anlage und Fähigkeit. Unsere Aufgabe ist es, diese Anlage und Fähigkeit mit dem Wachstum in der Erkenntnis und im christlichen Leben zu entwickeln, damit auch sie wachse und erstarke. Das soll vornehmlich geschehen durch Gebet und sündenreinen Wandel. 

 

Die Klugheit, die nach ihren verschiedenen Äußerungen auch Weisheit, Verstand, Rat, Wissenschaft genannt wird, ist eine Gabe des Hl. Geistes; deshalb heißt es eifrig und anhaltend darum beten. Salomo, der weiseste der Menschen, gesteht, dass er sein Bestes durch inständiges Gebet erlangt hat: "Daher betete ich, und es wurde mir Klugheit gegeben; ich flehte, und der Geist der Weisheit kam zu mir." (Weisheit 7,7) Und der göttliche Heiland versichert: "Der Vater wird den Hl. Geist denen geben, die ihn bitten." (Lukas 11,13) Darum mahnt der Apostel Jakobus: "Fehlt es aber einem von euch an Weisheit, dann soll er sie von Gott erbitten; Gott wird sie ihm geben, denn er gibt allen gern und macht niemand einen Vorwurf." (Jakobus 1,5) Dieses Licht kommt von oben, vom Vater des Lichtes und wird uns mitgeteilt, wenn wir uns in Andacht zu ihm wenden. Wir mögen noch so eifrig lernen und noch so viel wissen, wahrhaft weise werden wir nur, wenn es uns von oben gegeben wird. Sonst, bloß auf uns selbst gestellt, geraten wir leicht in die Gesellschaft derer, von denen es heißt: "Je gelehrter, desto verkehrter." Wie viele hochgepriesene Weltmenschen - aber leider auch Theologen und Geistliche - sind Toren geworden vor Gott und blinde Führer, weil sie das Licht von oben nicht suchten. Wahrhaft große Gelehrte hingegen erhielten dies in der Demut, dass sie erkannten, ihr Bestes war mehr eine Frucht des Gebetes als der eigenen Arbeit. Der hl. Chrysostomus bekennt: "Oft bewirken wir durch Gebet, was wir durch alles Studieren nicht vermögen." Und der hl. Thomas von Aquin gestand oft, er habe seine Kenntnisse mehr vom Gebet als von seinem Fleiß, und einst gefragt, wo seine Bibliothek sei, zeigte er auf ein Kruzifix und sprach: "Aus diesem Buch habe ich mehr gelernt als aus allen übrigen Büchern."

 

Wie notwendig ist also das eifrige und beharrliche Gebet, damit wir in allen Lagen des Lebens klug zu handeln wissen, tugendhaft leben und selig sterben können. Der hl. Ignatius von Loyola rät als Lebensregel an: "Schaue bei jedem Geschäft darauf, was es zur Ehre Gottes und deiner künftigen Seligkeit beiträgt. Wenn du über eine Sache im Zweifel bist, so sammle dein Gemüt, stelle dich in die Gegenwart Gottes, von dem jeder gute Rat kommt, bitte ihn um Erleuchtung und höre dann mit den Ohren des Geistes auf das, was er dir zu seiner Ehre und Wohlgefallen ins Herz gibt. Betrachte, was du selbst einem anderen in dieser Sache für einen Rat geben würdest, wenn er dich darum fragte. Beherzige, wie du in der Todesstunde wünschen wirst, dieses Geschäft verrichtet zu haben, und wie du einst vor Gottes Gericht stehen wirst, um das Urteil darüber zu hören."

 

Mit dem Gebet muss sich ein sündenreines Leben verbinden. "Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit." (Psalm 111,10) "Denen gibt der Herr Weisheit, die gottselig leben." (Sprichwörter) Jede Sünde trübt das Auge der Seele, verdunkelt den Verstand, schwächt die Einsicht; jede Leidenschaft macht ihren Sklaven zum Toren. "In eine Seele, die auf Böses sinnt, kehrt die Weisheit nicht ein, noch wohnt sie in einem Leib, der sich der Sünde hingibt." (Weisheit 1,4) Wer sich einer Leidenschaft überlässt, wird bald so verblendet, dass er nicht mehr erkennt, was ihm zum Heil dient. Selbst die natürliche Einsicht leidet Schaden. Lehrt das nicht die tägliche Erfahrung? Wie blind macht die unreine Liebe. Welche unglaubliche Torheiten begehen solche, die sich ihr hingeben; wie ruchlos freveln sie gegen ihr zeitliches und ewiges Glück. Und der Hochmutsnarr, wie lächerlich und verächtlich macht er sich ohne es zu merken. Jede verkehrte Neigung, der man sich hingibt, verkehrt Sinn und Verstand und macht aus Weisen Toren. Je entschiedener wir also ankämpfen gegen unsere verkehrten Neigungen, desto heller wird das Auge unserer Seele, desto besser werden wir unser Leben nach den Regeln der wahren Weisheit, der christlichen Klugheit einrichten können.

 

Das Gebet und ein gottesfürchtiges Leben, das sind also die Hauptmittel, um die erste Haupttugend zu erlangen. Diese Mittel stehen einem jeden zu Gebote, deshalb kann jeder die Tugend der Klugheit erwerben. Sie ist kein Vorrecht der Gelehrten oder besonders Begabten. Im Gegenteil, gerade solchen fehlt sie, die sich aufblasen im Wissensdünkel und verächtlich herabsehen auf die Ungebildeten. Hingegen findet sie sich oft in hohem Maße bei solchen, die von der Welt wegen ihrer Einfalt verachtet werden. Das liegt schon in der Mahnung des Herrn: "Seid klug wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben." (Matthäus 10,16) Die Einfältigen verstehen es besser als die Gelehrten, das Himmelreich an sich zu reißen, wie der heilige Thomas von Villanova sagt: "Die höchste Weisheit ist die Wissenschaft, recht zu leben; hast du diese Weisheit, so bist du der Weiseste, wenn du auch sonst nichts wüsstest; wer aber diese nicht hat, ist der Unwissendste, er mag wissen, was er will."

 

Wohl uns, wenn wir die christliche Klugheit höher schätzen als die Weisheit der Welt, nach der Mahnung der Schrift: "Sag zur Weisheit: Du bist meine Schwester!, und nenne die Klugheit deine Freundin!" (Sprichwörter 7,4) Nur unter ihrer Leitung gelangen wir glücklich an unser Ziel, wie die ewige Weisheit versichert: "Wer mich findet, findet Leben und erlangt das Heil vom Herrn." (Sprichwörter 8,35)

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10. Über die Gerechtigkeit (2. Kardinaltugend)

 

Die erste Kardinaltugend muss uns das Wahre und Rechte zeigen; die zweite muss uns antreiben, der erkannten Wahrheit zu folgen und in allem unser Verhalten danach einzurichten. Die Heilige Schrift kennt kein höheres Lob für einen Menschen, als wenn sie von ihm sagt: er war gerecht und lebte untadelhaft in allen Geboten des Herrn. Heilig und gerecht hat Gottes Gnade uns gemacht im Bad der Wiedergeburt. Gerecht vor Gott sind wir im Besitz der heiligmachenden Gnade. Die Gerechtigkeit aber, die die zweite Stelle unter den Grundtugenden einnimmt, hat eine besondere Bedeutung und Aufgabe. Sie bedeutet die beharrliche Geneigtheit des Willens, jedem zu gewähren, was ihm gebührt und überall unsere Schuldigkeit zu tun. 

 

Schuldner sind wir vor allem Gott gegenüber. Um Gerechtigkeit zu üben, müssen wir also das Wort des Herrn befolgen: "Gebt Gott, was Gottes ist." "Die Gerechtigkeit", so sagt der heilige Ambrosius, "bezieht sich zuerst auf Gott, dann auf das Vaterland, auf die Eltern und schließlich auf alle Menschen."

 

Wie viele gibt es, die sich für rechtschaffene Menschen halten, weil sie nach ihrer Ansicht jedem geben und lassen, was ihm gebührt, die aber sich um Gott nicht kümmern und um den Dienst, den sie ihm schuldig sind. Das wichtigste unter den zehn Geboten ist ihnen as siebte, sie kennen keine größere Schlechtigkeit als stehlen und betrügen. Die ersten Gebote hingegen, die unsere Pflichten Gott gegenüber enthalten, sind ihnen Nebensache. Wenn sie noch beten, und wenn sie Sonntags in die Kirche gehen, so geschieht es gedankenlos, gewohnheitsmäßig. Sie halten von den Übungen der Religion nicht viel und machen sich wenig daraus, sie zu versäumen. Manche können die Kirchenluft nicht vertragen, die aber den größten Strapazen trotzen, wenn Mode oder Vergnügen es fordern. Sie machen sich auch nichts daraus, die Tage des Herrn durch knechtliche Arbeit zu entheiligen oder ihre Dienstboten und Arbeitsleute zu solcher Entheiligung anzuhalten. Dass Gott sich diese Tage vorbehalten hat für seinen Dienst, dass ihr Betragen der Ehre Gottes und dem Ansehen der Religion Eintrag tut, ficht sie nicht an. Sie geben nicht Gott, was Gottes ist, üben nicht die erste und dringendste Pflicht der Gerechtigkeit. Ihnen gilt der Vorwurf Gottes an sein Volk: "Der Sohn ehrt seinen Vater und der Knecht seinen Herrn. Wenn ich der Vater bin - wo bleibt dann die Ehrerbietung? Wenn ich der Herr bin - wo bleibt dann die Furcht vor mir?" (Maleachi 1,6) 

 

Die Tugend der Gerechtigkeit erprobt sich ferner in dem Verhältnis der Untergebenen zu ihren Vorgesetzten und umgekehrt. Sie erfüllt die dreifache Pflicht der Ehre, Liebe und des Gehorsams gegenüber den geistlichen und weltlichen Obrigkeiten nach der Mahnung des Apostels: "Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt. Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen. Vor den Trägern der Macht hat sich nicht die Gute, sondern die böse Tat zu fürchten; willst du also ohne Furcht vor der staatlichen Gewalt leben, dann tue das Gute, so dass du ihre Anerkennung findest. Sie steht im Dienst Gottes und verlangt, dass du das Gute tust. Wenn du aber Böses tust, fürchte dich! Denn nicht ohne Grund trägt sie das Schwert. Sie steht im Dienst Gottes und vollstreckt das Urteil an dem, der Böses tut. Deshalb ist es notwendig, Gehorsam zu leisten, nicht allein aus Furcht vor der Strafe, sondern vor allem um des Gewissens willen. Das ist auch der Grund, weshalb ihr Steuern zahlt; denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Gebt allen, was ihr ihnen schuldig seid, sei es Steuer oder Zoll, sei es Furcht oder Ehre." (Römer 13,1-7)

 

Die Vorgesetzten hält die Gerechtigkeit an, dass sie nichts befehlen oder verbieten, wozu sie kein Recht haben, die Freiheit der Untergebenen nicht ungebührlich schmälern, für ihr Wohl Sorge tragen. 

 

Gerecht haben wir uns zu verhalten gegenüber allen Menschen, gerecht sollen wir sein im Urteilen, im Geben, im Fordern. Also vom Mitmenschen ohne guten Grund nichts Böses vermuten, vielmehr im Zweifel das Beste annehmen; niemanden ohne Fug und Recht verurteilen, keinen unbegründeten Verdacht aussprechen, keine schlimme Absichten unterstellen, geheime Fehler nicht an die große Glocke hängen oder Fehler vergrößern. Der Gerechte lässt jedem, was ihm gehört, erlaubt sich keinerlei Eingriff in fremdes Eigentum, maßt sich keine Rechte an, die ihm nicht zustehen, macht keine unnötigen Forderungen, gibt jedem, was er schuldig ist. Er tut ihm keinerlei Schaden, weder aus Mutwillen noch aus Fahrlässigkeit oder gar aus Bosheit, sucht seinen Vorteil nicht auf Kosten des Nächsten, wendet keine ungerechten oder auch nur unbilligen Mittel an, um gute Geschäfte zu machen, beutet die fremde Not nicht zu seinem Vorteil aus. Als Verkäufer liefert er gute Ware mit vollem Maß und Gewicht. Als Käufer bezahlt er richtig und rechtzeitig. Als Arbeiter will er kein Pfuscher und Tagedieb sein. Als Gläubiger fordert er keine zu hohen Zinsen und treibt seine Forderung nicht mit rücksichtsloser Härte ein. Als Schuldner sorgt er für rechtzeitige Berichtigung der Schuld. Als Richter urteilt er ohne Ansehen der Person. Als Zeuge sagt er die volle Wahrheit. Findet er fremdes Gut in seinem Besitz, so stellt er es ohne Zögern zurück und vergütet ebenso jeden Schaden, für den er aufzukommen hat. Dem Dürftigen teilt er mit von seiner Habe und betrachtet sich als Haushalter Gottes, der durch ihn dem Notleidenden helfen will. Einen solchen Rechtlichgesinnten preist der Psalmist mit den Worten: "Herr, wer darf Gast sein in deinem Zelt, wer darf weilen auf deinem heiligen Berg? Der makellos lebt und das Rechte tut; der von Herzen die Wahrheit sagt und mit seiner Zunge nicht verleumdet; der seinem Freund nichts Böses antut und seinen Nächsten nicht schmäht; der den Verworfenen verachtet, doch alle, die den Herrn fürchten, in Ehren hält; der sein Versprechen nicht ändert, das er seinem Nächsten geschworen hat; der sein Geld nicht auf Wucher ausleiht und nicht zum Nachteil des Schuldlosen Bestechung annimmt." (Psalm 15,1-5)

 

Die Gerechtigkeit ist das Fundament, auf dem alle gesellschaftliche Ordnung beruht; auf sie gründet sich das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen in Staat, Gemeinde, Familie. "Gerechtigkeit und Friede küssen sich", sagt der Psalmist. (Psalm 85,11) Wo sie verletzt wird, halten Unzufriedenheit, Misstrauen, Hass und Feindschaft, Zank und Streit ihren Einzug. Fast alle Streitigkeiten haben darin ihren Grund, dass dieser oder jener sich in seinem Recht gekränkt fühlt. Erlaubte sich niemand Übergriffe gegen seinen Nächsten, so wären alle Klagen, Feindschaften, Prozesse aus der Welt geschafft und würde Friede auf der Welt herrschen. Das Schwinden der Gerechtigkeit hingegen müsste den Krieg aller gegen alle entfachen und die Welt in eine Räuberhöhle, in eine Hölle verwandeln.

 

Was haben wir zu tun, wenn wir immer und unter allen Umständen auf dem schmalen Pfad der Gerechtigkeit gehen wollen? Wir müssen standhaft jene verkehrten Neigungen bekämpfen, aus denen alle Ungerechtigkeit entspringt. Das ist vor allem der Eigennutz, der überall seinen Vorteil sucht, ohne Rücksicht auf das Recht und Wohl des Nächsten. Dann der Neid, der anderen nichts gönnen mag, der Ehrgeiz, dem das Ansehen des Mitmenschen ein Dorn im Auge ist; endlich der Eigensinn, der stets Recht behalten, seinen Kopf durchsetzen und sich nicht unterordnen will. Da heißt es also auf sich acht geben und jede solcher verkehrten Regungen sogleich unterdrücken. Die Sünde lauert vor deiner Tür, sprach Gott zu dem missgünstigen Kain; du aber sollst über sie herrschen. "Was dir selbst verhasst ist", so sprach der alte Tobias zu seinem Sohn, "das mute auch einem anderen nicht zu!" (Tobit 4,15) Das bezeichnet auch der Heiland als christliche Lebensregel: "Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!" (Matthäus 7,12) Wir sind so empfindlich gegen jede Kränkung unserer Rechte; nun wohl, seien wir ebenso empfindlich, wenn es sich um Rechte anderer handelt. Wir sorgen so am besten für unseren eigenen Vorteil, indem wir unser Gewissen rein bewahren, uns das Vertrauen unserer Mitmenschen sichern und die Gnade Gottes verdienen: "Die Gerechten aber leben in Ewigkeit, der Herr belohnt sie, der Höchste sorgt für sie. Darum werden sie aus der Hand des Herrn das Reich der Herrlichkeit empfangen und die Krone der Schönheit. Denn er wird sie mit seiner Rechten behüten und mit seinem Arm beschützen." (Weisheit 5,15-16)

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Die Völlerei

 

11. Über die Mäßigung (3. Kardinaltugend)

 

In der Epistel mahnt der Apostel: "Seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann." (1. Petrus 5,8) - Zwar ist der Böse stark wie ein Löwe und voll unersättlicher Raubgier; er würde jedoch uns wenig anhaben können, wenn er in unserem Herzen nicht einen Bundesgenossen fände, die ungeordnete Begierlichkeit, die natürliche Neigung zum Verbotenen, das schlimme Erbteil unserer Stammeltern.

 

Die modernen Heiden wollen von Bezwingung und Überwindung der natürlichen Triebe nichts wissen und predigen das neue Evangelium vom Recht eines jeden, seine Neigungen zu befriedigen, oder wie sie sagen, sich "auszuleben". Da kannten doch die Heiden der alten Zeiten die Menschennatur besser. So erklärte der griechische Weltweise Epiktet als Hauptregel eines vernünftigen Lebens den Satz: "Entsage und ertrage!" Das ist auch die Grundlage eines christlichen Lebens. Nach dem Sündenfall gab Gott dem gefallenen Menschen als Heilmittel für die Unordnung in seinem Inneren das Gebot mit auf den Lebensweg: "Herrsche über deine Begierde!" Und der Erlöser verkündete als Grundsatz des Christentums: "Wer nicht jeden Tag sein Kreuz auf sich nimmt und sich selbst verleugnet, kann nicht mein Jünger sein." (Lukas 9,23) Sein Apostel erklärt dasselbe, wenn er sagt: "Daher soll die Sünde euren sterblichen Leib nicht mehr beherrschen, und seinen Begierden sollt ihr nicht gehorchen. . . Die Sünde soll nicht über euch herrschen. . ." (Römer 6,12+14a) Die Herrschaft aber über die sündhafte Begierde verschafft uns die dritte Kardinaltugend, die Mäßigung. 

 

Die Mäßigung ist die Tugend, die insbesondere die sinnlichen Neigungen der Natur im Zaum hält und unserem sittlichen Streben das rechte Ziel und Maß setzt.

 

Alle Neigungen und Triebe unserer Natur sind ihr vom Schöpfer eingepflanzt und deshalb etwas Gutes. Verkehrt und Verderblich werden sie jedoch, wenn wir ihren Zweck aus dem Auge verlieren und sie nicht zu zügeln wissen. Sie gleichen den Pferden am Wagen. Werden sie nicht von einem vernünftigen Führer geleitet und im Zaum gehalten, so werden sie bald vom rechten Weg abkommen und Unheil anrichten. Die Triebe und Neigungen der Natur sind ungestüm und blind; Vernunft und Gewissen müssen sie leiten und mäßigen, wenn sie nicht verderblich werden sollen.

 

Die Tugend der Mäßigung soll uns also helfen, dass wir in der Begierde nach Speise und Trank das rechtmäßige Bedürfnis befriedigen, nicht aber der Gaumenlust frönen, indem wir zur Unzeit, über Gebühr und gierig Speise und Trank genießen. So verhilft sie uns zur Tugend der Mäßigkeit. 

 

Sie soll ferner bewirken, dass wir der Geschlechtslust jede ungehörige Befriedigung in Gedanken, Worten und Werken versagen, Leib und Seele von jeder Unlauterkeit frei halten. So lehrt sie uns die Tugend der Keuschheit.

 

Sie muss uns weiter helfen, dass wir im Streben nach Erwerb irdischer Güter nicht der Habgier verfallen, unser Herz nicht an das Irdische hängen und seinetwegen nicht das Gewissen belasten, sondern der Mahnung des Apostels folgen: "Denn wir haben nichts in die Welt mitgebracht, und wir können auch nichts aus ihr mitnehmen. Wenn wir Nahrung und Kleidung haben, soll uns das genügen." (1. Timotheus 6,7-8) So verhilft sie zur Genügsamkeit.

 

Sie hält uns auch ab, dass wir durch unsere Gaben und Vorzüge uns nicht verleiten lassen, uns selbst zu überschätzen, Gott die Ehre zu rauben durch Hochmut und ungerechte Bevorzugung zu verlangen. Das ist die Tugend der Demut.

 

Sie bewahrt uns, dass wir uns nicht durch Widerstand gegen unsere Wünsche und Widerspruch erbittern lassen und macht uns sanftmütig.

 

Sie verhütet, dass unsere natürliche Wissbegierde nicht in Neugierde ausarte, die alles sehen, hören und erfahren will, mag es auch noch so gefährlich für Tugend und Seelenheil sein. So lehrt sie uns Eingezogenheit.

 

Sie zügelt den Drang, unsere Erfahrungen und Ansichten ohne Überlegung mitzuteilen und erwirbt so die Tugend der Schweigsamkeit. 

 

Sie stellt schließlich das Gleichgewicht her in den Regungen und Stimmungen der Seele, die sonst wie das Meer zwischen Ebbe und Flut, zwischen träger Ruhe und heftiger Aufregung, Mutlosigkeit und Übermut, Niedergeschlagenheit und Ausgelassenheit hin und her schwankt, und verhilft so zu der Tugend des Gleichmutes.

 

Die Mäßigung reguliert nicht nur die Regungen und Triebe der sinnlichen Natur, sie gibt auch unserem sittlichen Streben das rechte Maß und Ziel. Sie hält uns an, alles in der rechten Absicht nach Gottes Willen und Ordnung zu tun und die gottgewollten Schranken nicht zu überschreiten.

 

Mäßige also deine Triebe, Neigungen und Leidenschaften. Versage ihnen standhaft alles Unerlaubte und manchmal auch das Erlaubte. Das ist schon eine Forderung der Vernunft. Kein wildes Tier ist so unbändig wie sie, wenn sie nicht im Zaum gehalten werden. Ohne Selbstüberwindung ist nicht einmal ein vernünftiges, anständiges Leben und Betragen möglich. Der gesellige Verkehr unter den Menschen würde zur Qual ohne beständige Selbstüberwindung. Wer seinen Begierden die Zügel schießen lässt, wird sich bald schlimmer betragen wie das unvernünftige Tier. Von solch einem heißt es: "Der Mensch, da er in Ehren war, hat es nicht erkannt; er ist den unvernünftigen Tieren gleich geworden." (Psalm 49,13) 

 

Sobald sich also eine Leidenschaft regen will, sei sofort auf deiner Hut und halte sie im Zaum. Überlege erst, bevor du etwas redest oder tust; warte bis die erste Aufwallung vorüber ist. Vorher getan und nachher bedacht hat manchem schon viel Leid gebracht. Wie vielen Übereilungen, Sünden und Leiden könnte vorgebeugt werden, wenn man sich stets zu mäßigen wüsste.

 

Mäßige auch deinen Eifer zum Guten. Welches Herz hat jemals so von Eifer für Gottes Ehre und der Menschen Heil gebrannt wie das göttliche Herz Jesu. Und dennoch hat er diesen Eifer dreißig Jahre lang eingeschlossen in dem engen Raum der Werkstätte seines Nährvaters, weil er erkannte, dass es so der Wille des himmlischen Vaters war. Nicht jeder Einfall, nicht jede Anregung zum Guten ist eine Einsprechung von oben. Der Geist der Finsternis kleidet sich oft in die Gestalt eines Engels des Lichtes. Weshalb der Apostel warnt: "Traut nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind." (1. Johannes 4,1) Was dem Eigenwillen entspringt, ist gleich einer tauben Blüte. Fasten und Abtötungen des Leibes können durch Übermaß die Kräfte zu sehr schwächen und hinderlich werden für die Berufsarbeiten, wie der heilige Bernhard erfahren musste. Man darf die Tugendmittel, wie auch die Andachtsübungen, nicht verwechseln mit der Tugend selbst. Das Salz ist ein vortreffliches Gewürz; aber im Übermaß gebraucht verdirbt es die besten Speisen. So darf den christlichen Tugenden das Salz der Bescheidenheit nicht fehlen.

 

Halte Maß in der Sorge für den Leib und die anderen irdischen Güter. Man muss um die Gesundheit besorgt sein. Das ist Christenpflicht. Wer aber darin gar zu ängstlich und delikat ist und etwa wegen irgend eines Unwohlseins an verbotenen Tagen Fleisch ist oder den Gottesdienst versäumt, übertreibt diese Sorge. Der Körper kann vieles ertragen: durch Weichlichkeit wird er geschwächt, Entbehrungen und Anstrengungen stählen ihn. Am besten bekommt ihm auch recht mäßige und einfache Kost. Eine unvernünftige Erziehung legt oft schon bei den Kindern den Grund zu Fraß und Völlerei und bringt ihnen schon möglichst früh den Geschmack am Alkohol bei. - Das christliche Tugendstreben verträgt sich ferner nicht mit Weichlichkeit und übertriebenem Aufwand in der Kleidung. Ebensowenig mit der Vergnügungssucht, wie sie heutzutage sich überall breitmacht. Leib und Seele bedürfen von Zeit zu Zeit der Ruhe und Erholung. Anständige Vergnügungen sind nützlich und bisweilen notwendig. Doch sollen sie sein wie eine Arznei. Wer damit Missbrauch treibt, verdirbt seine Gesundheit; ebenso verdirbt die Vergnügungssucht die guten Sitten.

 

Mäßige endlich die Sorge um Geld und Gut. Auch sie ist Christenpflicht, artet aber nur zu leicht aus in übermäßige Anhänglichkeit an das Irdische und kleinmütige Sorge, die die Mahnung des Herrn vergisst: "Sucht zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, das übrige wird euch zugegeben werden.

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12. Und nochmals über die "Mäßigung"

 

Die dritte Kardinaltugend täte unserer Zeit bitter not. Es ist ein besonders Menschenkundiger, der darüber sagt: "Für die größere Zahl der gewöhnlich gestellten Menschen ist vielleicht das schwierigste die Überwindung der Genusssucht, der die Geringen oft noch weniger entgehen, als die Reichen und Vornehmen, die die Genüsse des materiellen Lebens in ihrem Wert und Unwert durch Erfahrung besser einzuschätzen gelernt haben mögen. Man findet oft, auch gerade gegenwärtig, in den unteren Klassen eine viel ungezügeltere Gier nach Lebensgenuss, die verbunden mit der dort absichtlich gepflegten gottlosen Gesinnung, mitunter in eine wahre Wildheit ausartet, die den Menschen dem Tier, und nicht einmal den edelsten Tieren, ähnlich macht."

 

Es ist ein gewöhnlicher Kunstgriff des Menschenfeindes, dass er die Frömmigkeit als trübselig und trostlos hinstellt. Gerade das Gegenteil ist wahr. Die Religion verschließt keineswegs die Quellen der Freude, die Gott aus dem Reichtum seiner Natur und seiner Geschöpfe uns zukommen lässt. Die Schrift selbst sagt: "Herzensfreude ist Leben für den Menschen, Frohsinn verlängert ihm die Tage." (Jesus Sirach 30,22) "Immer wenn Gott einem Menschen Reichtum und Wohlstand geschenkt und ihn ermächtigt hat, davon zu essen und seinen Anteil fortzutragen und durch seinen Besitz Freude zu gewinnen, ist es ein Geschenk Gottes." (Kohelet 5,18) Aber die christliche Tugend der Mäßigung muss die Freuden, die wir genießen, das Gewissen nicht verletzen und in den rechten Schranken bleiben..

 

Gott hat uns ein der Freude fähiges Herz gegeben; wir sollen uns seiner Gaben freuen, dabei aber den Geber nicht vergessen. Wer die Quellen der Freude vergiftet durch Sünde, dem gilt der Vorwurf des Apostels: "Verachtest du etwa den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, dass Gottes Güte dich zur Umkehr treibt?" (Römer 2,4) Die Vergnügen sollen uns Gott näher bringen durch dankbare Gesinnung, uns stärken und williger machen zur Erfüllung unserer Pflichten. Sie sollen sein wie eine Arznei und ein Salz, die zur Stärkung und Würze dienen: dienen sie aber zur Sünde, werden sie zu Gefahren für die Seele und zum Hindernis des Guten, so erfüllen sie nicht mehr ihren Zweck. 

 

Was ist der Zweck der Vergnügungssucht, von der die Welt voll ist? Nichts anderes als die Befriedigung der schlimmsten Leidenschaften. Man will sich austoben, das heißt all seinen verkehrten Begierden die Zügel schießen lassen. Da machen dann jene Vergnügungsanstalten die glänzendsten Geschäfte, die auf die Erregung der niedersten Triebe spekulieren. Lasterhöhle kann man solche Tempel des Vergnügens nennen. Da macht sich die Schamlosigkeit breit und wird die Schamhaftigkeit als Prüderie oder Heuchelei verlacht. Die Heiligkeit der Ehe wird zum Gespött gemacht, Treue und Glaube als Beschränktheit, die Religion als Aberglauben hingestellt. Es ist unglaublich, wie frech das Laster aufzutreten wagt, wo tausende Vergnügungssüchtiger zusammenströmen. Jedem Wohlgesinnten muss das Herz wehtun, wenn es das Verderben betrachtet, das da besonders die Jugend in seinen Strudel hinabzieht. Solche Lustbarkeiten hielt sogar der edelgesinnte Heide Seneca unter seiner Würde. "Ich denke viel zu groß von mir", sagte er, "und bin zu größeren Dingen geboren, als dass ich ein Sklave der Sinnenlust sein sollte." Solche Heiden werden dereinst die Richter solcher Christen sein. 

 

Soll ein Vergnügen erlaubt sein, so muss es ohne Sünde sein. Aber auch ohne die nächste Gelegenheit zur Sünde. Sehr verschieden sind die Menschen veranlagt. Was den einen nicht im mindesten anficht, lässt den anderen straucheln. Wer etwa bei Tanzvergnügen mehrfach in gefährliche Versuchungen geriet, soll die Gefahr fliehen. Wer beim Besuch des Wirtshauses oder in lustiger Gesellschaft leicht des Guten zu viel tut, soll die Gelegenheit meiden. Insbesondere von allen Unterhaltungen und Lustbarkeiten gilt das ernste Wort des Herrn: "Wenn dich deine Hand oder dein Fuß zum Bösen verführt, dann hau sie ab und wirf sie weg! Es ist besser für dich, verstümmelt oder lahm in das Leben zu gelangen, als mit zwei Händen und zwei Füßen in das ewige Feuer geworfen zu werden. Und wenn dich dein Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg! Es ist besser für dich einäugig in das Leben zu gelangen, als mit zwei Augen in das Feuer der Hölle geworfen zu werden." (Matthäus 18,8-9)  "Lasset uns dem schlüpfrigen Eis ausweichen", mahnt der heilige Hieronymus, " denn wir stehen auf trockenem Boden nicht sicher genug." 

 

Die Erholungen und Vergnügen dürfen endlich auch kein Hindernis der Tugend sein. Wenn dabei zwar sonst nichts Unrechtes vorkommt, aber Lust und Eifer im Guten erkalten, so sind sie gefährlich genug. Wie mancher junge Mensch verliert die Lust zum Gebet, zum Empfang der Sakramente, wenn er in ausgelassene Gesellschaft gerät. Die große heilige Theresia bekennt von sich, dass sie in ihrer Jugend allen Geschmack an göttlichen Dingen verloren habe und in die größte Gefahr geraten sei, ein oberflächliches eitles Weltkind zu werden, weil sie sich der Romanleserei hingegeben habe. Wie ernsthaft sollte sich also insbesondere die törichte Jugend die Mahnung der Schrift zu Herzen nehmen: "Freu dich, junger Mann, in deiner Jugend, sei heiteren Herzens in deinen frühen Jahren! Geh auf den Wegen, die dein Herz dir sagt, zu dem, was deine Augen vor sich sehen. Aber sei dir bewusst, dass Gott dich für all das vor Gericht ziehen wird." (Kohelet 11,9)

 

Das zweite Erfordernis erlaubter Vergnügen ist das rechte Maß halten. Sie müssen dem Stand und Vermögen entsprechen, das Wohl der Familie berücksichtigen und den Standespflichten nicht hinderlich sein.

 

Es ist ein verderblicher Wahnsinn des Hochmuts, wenn alles über seinen Stand hinaus will. Wieviel Unheil dieser Wahnsinn im Gefolge hat, lehrt die tägliche Erfahrung. Da vergreift sich einer an fremden Kassen, gerät ins Zuchthaus oder schießt sich eine Kugel in den Kopf; ein anderer täuscht das Vertrauen von Tausenden und macht schmählich Bankrott; wieder ein anderer, der für vermögend galt, hinterlässt beim Tod seiner Familie nichts als Elend, Kummer und Not. Und warum? Sie haben über ihre Verhältnisse gelebt. Der Mann wollte es Höhergestellten gleichtun, warf aus Protzerei das Geld mit vollen Händen um sich, geriet Wucherern in die Hände, verspielte Unsummen, verprasste sein und anderer Leute Vermögen mit liederlichen Personen, und die Folge seines wahnsinnigen Treibens war ein Ende voll Schrecken. Oder Frau und Kinder mussten alle Modenarrheiten mitmachen, ihre Hausbälle und Badereisen haben, und dazu reichte der Verdienst oder Gehalt nicht. - Wieviel Familienglück wird zerstört durch maßlose Vergnügungssucht! Ein Familienglied, das ein gewissenloser Selbstling ist und in Spiel, Sport, Putz und Wohlleben das Vermögen über Gebühr in Anspruch nimmt, macht sich zum Abscheu vor Gott und den Menschen.

 

Soll das Vergnügen eine Arznei und ein Salz sein, so darf es endlich die treue Erfüllung der Berufspflichten nicht hindern. Der Mensch ist zur Arbeit geboren und nicht zum Vergnügen. So dem Vergnügen nachgehen, dass man aus dem Taumel nicht herauskommt, kann nicht erlaubt sein. Die Vergnügen tagelang und Nächte hindurch fortsetzen, so dass man darauf unfähig zur Arbeit wird, heißt nicht mehr erlaubte Erholung. Wie manche Handwerker und Geschäftsleute klagen über schlechte Zeiten, während sie bei allen Lustbarkeiten zu finden sind und aus einem Ruhetag in der Woche deren gern mehrere machen.

 

Vernünftig und christlich handelt nur der, dem die Unterhaltungen und Zerstreuungen niemals die Hauptsache, stets nur Nebensache sind. Was sind das aber für Christen, die den Hauptzweck ihres Lebens in Vergnügungen suchen und sich am liebsten dort aufhalten, wo sie Zerstreuung finden, sich von Gauklern und Lustigmachern die Zeit vertreiben lassen, während sie die Orte der Erbauung und der Belehrung über ihre wichtigsten Angelegenheiten fliehen. Über solche klagt der heilige Augustinus: "Ich schäme mich, es zu sagen, aber ich will es doch sagen, ihr wisst es, wie wahr es ist, was ich sage: Der Gaukler gefällt mehr als Gott!" - Der Apostel fasst all das in die wenigen Worte zusammen: "Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! Eure Güte werde allen Menschen bekannt. Der Herr ist nahe." (Philipper 4,4-5)

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13. Über den Starkmut (4. Kardinaltugend)

 

Brüder, seid stark im Herrn und in der Macht seiner Kraft! So mahnt der Apostel die Streiter Christi, die angetan mit der Waffenrüstung Gottes, mit dem Harnisch der Gerechtigkeit, mit dem Schild des Glaubens, mit dem Helm des Heils, mit dem Schwert des Geistes zum Kampf stets bereitstehen sollen. (Epheser 6,10-20)

 

Der christliche Starkmut, die vierte Kardinaltugend, übt im Tugendstreben Mut und Stärke. Mut, die Beschwerden in der Übung des Guten zu ertragen, und Stärke, darin auszuhalten; Mut im Angesicht von Gefahren und Leiden, und Stärke, sie zu überwinden. Der starkmütige Christ folgt seinem Gewissen und kümmert sich nicht darum, was andere sagen oder tun. Er fürchtet Gott und sonst niemand. Er schreckt vor keiner Schwierigkeit zurück und ist unversöhnlich im Kampf gegen Lüge und Unrecht. Er ist tief durchdrungen von der Wahrheit: "Durch viele Drangsale müssen wir in das Reich Gottes gelangen." (Apostelgeschichte 14,22) Deshalb gehört er nicht zu den Klageweibern, die sich nie genug entrüsten können, wenn ihnen ein Unbill oder ein Unrecht geschieht und wehleidig über jedes Ungemach lamentieren. Er wundert sich nicht, wenn ihm etwas widerfährt, was zahllose andere ebenfalls zu ertragen haben. Sein Grundsatz lautet: Tue Recht und scheue niemand. Daher knickt er nicht zusammen beim Stirnrunzeln Mächtiger, spielt nicht den Liebediener gegenüber Hochgestellten, verachtet das törichte Geschwätz einfältiger, wie die Begeisterung boshafter Menschen. Kein Gewinn kann ihn verlocken, kein Schaden kann ihn schrecken, dass er nur einen Fingerbreit abweiche vom rechten Weg. Er zeigt sich unter allen Umständen charakterfest, indem er nach den Grundsätzen der Religion handelt und sich weder durch Schmeichelei noch durch Drohungen davon abbringen lässt. Es ist nicht Eigensinn, der ihn treibt und aufrechthält, sondern die Entschlossenheit, seine Pflicht gegenüber Gott und den Menschen zu erfüllen. Natürlicher Starrsinn stellt den Menschen auf sich selbst, und jedes Menschenherz ist schließlich doch ein verzagtes Ding. Der christliche Starkmut hingegen findet seine Stütze in Gott und vermag selbst aus schwachen Frauen und Kindern bewunderungswürdige Helden zu machen.

 

Wie heldenmütig zeigte sich der geduldige Ijob, da er sich von allen Schicksalsschlägen nicht niederbeugen ließ, sondern im tiefsten Elend, von allen verlassen, nur stets wiederholte: Der Herr hat`s gegeben, der Herr hat`s genommen, der Name des Herrn sei gepriesen.

 

Als Heldin zeigte sich die keusche Susanna, da sie in der höchsten Not nicht zagte und wankte und lieber den schimpflichen Tod leiden wollte, als in die Sünde einzuwilligen. 

 

Herrlich leuchtete der Starkmut in den Propheten des Alten Bundes, die dem Volk und den Königen ihre Sünden vorhielten und sich lieber martern ließen, als den Lastern ein Zugeständnis zu machen. 

 

Und als die Apostel des Neuen Bundes den Geist der Stärke empfangen hatten, wie erstaunlich war da nicht der Freimut und die Unerschrockenheit, womit sie das Evangelium verkündeten vor Völkern und Königen, Juden und Heiden.

 

Das glänzende Heer der Märtyrer dann, diese Millionen Blutzeugen aus allen Ländern und Nationen, unter ihnen zahlreiche Frauen und Kinder, sie trotzen der Verführung wie den grausamsten Verfolgungen und Martern; und zwar nicht nur in augenblicklicher Begeisterung, sondern oft genug in endlosen Kerkerqualen, in völliger Verlassenheit.

 

Ein unblutiges und lebenslängliches Martyrium bestanden die heiligen Bekenner und Jungfrauen, die im täglichen harten Kampf mit den Feinden ihres Heils, Welt, Fleisch und Satan, die Siegeskrone zu erringen wussten in herrlicher Bewährung der Tugend des christlichen Starkmutes.

 

Ein unblutiges Martyrium ist jedes wahre Christenleben, deshalb ist Starkmut unentbehrlich. Zwar prüft Gott unsere Treue im Glauben und in der Tugend gewöhnlich nicht so hart wie bei den Märtyrern und so vielen Heiligen. Die über die gewöhnlichen Prüfungen sich beklagen möchten, denen ruft der Apostel zu: "Ihr habt im Kampf gegen die Sünde noch nicht bis aufs Blut Widerstand geleistet." (Hebräer 12,4) Doch gilt für jeden ohne Ausnahme das Wort des Herrn: "Dem Himmelreich wird Gewalt angetan; die Gewalttätigen reißen es an sich." (Matthäus 11,12) Bei allen Tugenden gibt es Beschwernisse, in allen Lebenslagen gibt es Prüfungen, die nur durch Starkmut überwunden und ertragen werden können. "Die Klugheit", sagt der hl. Bernhard, "erleuchtet zwar unseren Verstand, die Gerechtigkeit leitet den Willen, die Mäßigkeit bestimmt den Gebrauch, der Starkmut aber muss alles vollbringen." Es nützt auch nichts, nur eine Zeitlang standhaft sein; wer die Krone des Lebens empfangen will, muss ausharren bis zum Ende.

 

Wie viel Standhaftigkeit erfordert da schon die gewöhnlichen Lebensumstände. Der Ehestand z.B. mag noch so glücklich sein, er hat seine stechenden Dornen unter den Rosen. Und wenn er erst ein unglücklicher ist, welch eine lebenslängliche Sklaverei bedeutet er dann. Wer kann das Martyrium einer Frau beschreiben, die an einen trunksüchtigen oder liederlichen Gatten gefesselt ist. Dann die Mühen und Sorgen des Hauswesens , die Plage um das tägliche Brot, die Schicksalsschläge durch Verarmung, langjährige Krankheiten, das Herzeleid wegen ungeratener Kinder. Wie mancher Dienstbote und Arbeiter seufzt seinerseits unter einem harten Joch, von dem ihn nur der bittere Tod erlösen kann. Ja wahrlich: jeder Mensch, von einer Frau geboren, lebt eine kurze Zeit und wird mit viel Elend erfüllt. (Ijob 14) Da ist wohl die Mahnung des Apostels am Platz: "Werdet stark durch die Kraft und Macht des Herrn!" (Epheser 6,10)

 

"Wach auf, zieh das Gewand deiner Macht an", mahnt auch der Prophet. (Jesaja 52,1) Und das gilt heutzutage mehr als je. Wie schwer wird es manchem studierenden Jüngling, fern vom frommen Elternhaus, treu zu bleiben den Grundsätzen des Glaubens, mitten unter verdorbenen Kameraden und vielleicht gar unter dem Spott seiner Lehrer. Wie schwer wird es manchem Dienstmädchen, in fremden Häusern seine Unschuld zu bewahren, sie vielleicht gar zu verteidigen gegen die eigene Herrschaft. Und in der verpesteten Luft der Werkstätte, der Fabrik, der Kaserne sich standhaft und charakterfest zeigen, dazu gehört wohl besonderer Starkmut, wie ihn nur die Religion verleihen kann. Der Mann in den Kämpfen des Lebens - wie wird er bestehen ohne die Tugend des Starkmuts? Im häuslichen, im öffentlichen, im gesellschaftlichen, im geschäftlichen Leben zeigt sich so viel Wankelmut, Charakterlosigkeit, Feigheit, Pflichtvergessenheit, weil es so sehr an dieser Tugend fehlt. Woher anders kommt es, dass Männer, die auf der Bierbank ein großes Wort haben, ihr Christentum verstecken aus Angst vor einem schiefen Blick, vor einem Spottwort. Dass so viele nicht nach ihrer Überzeugung zu wählen wagen aus Angst vor geschäftlichem Nachteil. Dass andere um keinen Preis mehr in der Kirche oder gar am Beichtstuhl gesehen werden möchten als durchaus sein muss. Dass gerade unter den gebildeten Katholiken die religiöse Lauheit immer mehr zur Regel wird und die meisten hohen Beamten, die in gemischter Ehe leben, Verrat an ihrer Religion und Nachkommenschaft üben, indem sie ihre Kinder protestantisch werden lassen.

 

Wie notwendig ist die vierte Kardinaltugend gerade in unseren Tagen, wo man so viele schöne Redensarten zu machen weiß vom Wert der Persönlichkeit und Wahrhaftigkeit, während die aufrechten Menschen immer seltener werden und der Herdentrieb sowie die erbärmlichste, selbstsüchtigste Berechnung alles bestimmt. Wenn je, so gilt also heutzutage die ernste Mahnung des Apostels: "Werdet stark durch die Kraft und Macht des Herrn! Zieht die Rüstung Gottes an, damit ihr den listigen Anschlägen des Teufels widerstehen könnt." (Epheser 6,10-11)

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14. Und nochmals über den "Starkmut"

 

"Brüder, seid stark im Herrn und in der Macht seiner Kraft!" Mit dieser Mahnung weist der Apostel darauf hin, dass wir die Quelle des Starkmutes nicht in uns selbst suchen sollen, sondern in Gott. Beim besten Willen finden wir in uns selbst immer die nötige Kraft, um die Hindernisse des Guten überwinden, den Reizen des Bösen widerstehen zu können. Unser Wille ist ja durch die Sünde geschwächt und zum Bösen geneigt von Jugend auf. Wie bitter beklagt selbst der Völkerapostel diese allgemeine menschliche Schwäche: "Ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt; das Wollen ist bei mir vorhanden, aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen." (Römer 7,18) Er hörte aber auf seine Klage die Antwort des Herrn: "Meine Gnade sei dir genug!" Das gab ihm dann Mut zu der frohen Versicherung: "Ich vermag alles in dem, der mich stärkt." (Philipper 4,13) "Sei stark, mein Sohn," so ermuntert er daher seine Jünger, "durch die Gnade, die in Jesus Christus ist." (2. Timotheus 2,1) 

 

Die Stärke ist eine der sieben Gaben des Heiligen Geistes. Seinen guten Geist gibt aber Gott nur denen, die ihn darum bitten. Deshalb heißt es beten, beten ohne Unterlass, beten um den Geist der Stärke und Standhaftigkeit, insbesondere bei Anfechtungen, Versuchungen und Leiden. Meine Hilfe ist im Namen des Herrn, sollen wir sprechen mit dem Psalmisten und fest vertrauen, dass der Herr uns nicht mehr auflegen wird als wir tragen können, und mit der frommen Judith in jeder Not und Gefahr bitten: Herr, stärke mich in dieser Stunde! Mit Hilfe der Gnade können wir jede Anfechtung überwinden; auf eigene Kraft angewiesen, unterliegen wir leicht der geringsten Versuchung. Halten wir uns also am Gebet, so halten wir uns an Gott, der da mächtig ist in den Schwachen.

 

Eine andere Quelle des Starkmutes ist die Furcht und Liebe Gottes. - In der Furcht des Herrn ist zuversichtlicher Starkmut, heißt es in den Sprichwörtern. Der heilige Gregor gibt den Grund dafür an: "Darum ist in der Furcht des Herrn zuversichtlicher Starkmut, weil unser Geist um so leichter sich darüber hinwegsetzt, womit uns die Welt zu schrecken sucht, je mehr er sich dem Schöpfer aller zeitlichen Dinge durch die Furcht unterwirft. Was wir nicht in der Furcht des Herrn gegründet finden, ist außer dem Bereich dessen, was wir fürchten; denn indem wir durch die rechte Furcht dem Schöpfer aller Dinge anhangen, werden wir gewissermaßen über alle Dinge erhoben." - Was sollen wir auch sonst fürchten, wenn wir den Herrn fürchten? Unter zwei drohenden Übeln wählt jeder Vernünftige das kleinere. Auf der einen Seite droht uns die Welt mit Ungnade, Spott, Verachtung, Verfolgung und zeitlichen Nachteilen: auf der anderen Seite droht Gottes Ungnade und Vergeltung. Wenn wir uns dieses recht vorstellen, werden wir in jeder Versuchung von Seiten der Welt mit der Heldin der Keuschheit sagen: "Bedrängnis ist rings um mich . . . doch besser ist es für mich, ohne Schuld in eure Hände zu fallen, als zu sündigen vor dem Angesicht des Herrn." (Daniel 13,22-23) "Fürchtet euch nicht vor denen," sagt der göttliche Heiland, "die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann." (Matthäus 10,28)

 

Je größer unsere Furcht vor dem allmächtigen Gott ist, desto weniger wird die Furcht vor armseligen Menschen über uns vermögen. Je mehr man aber Gott vergisst, desto mehr tritt die Rücksicht auf die Menschen an die Stelle der Religion; Menschenvergötterung an Stelle des Gottesdienstes; Knechtssinn an Stelle der Freiheit der Kinder Gottes. Üben wir uns also in der öfteren Erinnerung an Gottes Allgegenwart, damit wir lernen vor Gott wandeln und in der Gottesfurcht unsern Mut zum Kampf stärken. 

 

Die wahre Gottesfurcht ist keine knechtische, sondern eine kindliche, stets verbunden mit der Liebe Gottes. "Stark wie der Tod ist die Liebe." (Hohelied 8,6) Wie dem Tod nichts widersteht, so überwindet auch die Liebe alle Hindernisse, und das schwerste wird ihr leicht. "Um die Liebe" - so sagt der gottselige Thomas von Kempen - "ist es etwas Großes; denn sie macht alles Lästige leicht und alles Bittere schmackhaft; sie erträgt jede Bürde mit Freuden, sie spornt an, Großes zu wirken; sie scheut keine Mühe und achtet keine Anstrengung, sie kennt keine Unmöglichkeit, sie ist tüchtig zu allem." Wer hat mehr Hindernisse und Beschwerden in seinem Beruf zu überwinden gehabt als der Weltapostel Paulus; und was machte ihn stets bereit, frohen Mutes noch Größeres zu wirken und zu ertragen? Es war die Liebe Gottes, die mit so mächtiger Flamme in seinem Herzen brannte und die ihn ausrufen ließ: "Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? . . . Doch all das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat." (Römer 8,35+37) Suchen wir uns also täglich zu üben in der Liebe Gottes, so werden wir auch wachsen in der standhaften Treue gegen ihn, und wird uns nicht jede Beschwerde in seinem Dienst mutlos und verdrossen machen.

 

Zum Starkmut hilft uns endlich der Hinblick auf so viele ermunternde Vorbilder. - Vorbilder der Tapferkeit, des Heldenmutes spornen ja schon in irdischen Dingen zu großen Taten an. Wie der Heide Cicero bemerkt: "Es trägt nicht wenig bei, den Schmerz still und gelassen zu ertragen, wenn man so recht betrachtet, wie ehrenvoll es ist. Denn wir haben von Natur das heftigste und heißeste Verlangen nach Ehre; wenn man uns nur von ferne einige Hoffnung darauf gibt, so ist nichts, was wir nicht gern leiden, um sie zu erlangen. Durch dieses Verlangen nach Ruhm und Ehre wird man angetrieben, sich in die Gefahren der Schlachten zu stürzen. Die Tapferen fühlen nicht einmal die Wunden, die sie empfangen; oder empfinden sie, wollen aber lieber sterben, als die Gelegenheit fahren lassen, sich Ruhm zu erwerben." - Was ist aber alle irdische Ehre und was man sonst durch Ertragen von Mühen und Gefahren gewinnen kann, gegen die Ehre und Glückseligkeit, die uns in der anderen Welt winkt, wenn wir heldenmütig streiten? Damit ermunterte sich der Apostel: "Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll." (Römer 8,18) "Denn die kleine Last unserer gegenwärtigen Not schafft uns in maßlosem Übermaß ein ewiges Gewicht an Herrlichkeit." (2. Korinther 4,17) Die Apostel freuten sich deshalb, wenn sie gewürdigt wurden, um des Namens Jesu willen Schmach zu leiden. Und Jakobus schreibt: "Seid voll Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Versuchungen geratet." (Jakobus 1,2) 

 

Vorbilder des christlichen Tugendlebens sind Christus der Herr und seine Heiligen. Christus ist uns ein Vorbild geworden, in seine Fußtapfen sollen wir als Christen eintreten. Sie sind aber nur auf dem Kreuzweg zu finden. Er fordert uns auf, unser Kreuz alle Tage auf uns zu nehmen und ihm nachzufolgen. Unser Kreuz, das heißt unsern beschwerlichen, opfervollen Kampf um die Krone der Beharrlichkeit. Und sein Apostel ermuntert die Gläubigen: "Seid meine Nachfolger, wie ich ein Nachfolger Christi bin!" Das ist derselbe Apostel, von dem der Herr bei seinem Beruf gesagt hatte: "Ich will ihm zeigen, was er um meines Namens willen leiden soll." - Kreuz und Leid, Kampf und Mühsal sagte der Herr allen Aposteln, allen Jüngern, allen Christen voraus. Und unter den Heiligen findet sich kein einziger, der nicht auf dem Kreuzweg hat gehen müssen alle Tage seiner irdischen Pilgerfahrt. Blicken wir zu ihnen auf, lesen oft ihre Lebensschicksale, rufen beständig sie an um ihren Beistand, betrachten ihre Bildnisse im Gotteshaus und im Christenhaus, ausgestattet mit den Sinnbildern ihrer Leiden und Tugenden, und ermuntern uns dabei mit den Worten des hl. Augustinus: "Diese haben es gekonnt, jene haben es gekonnt, warum solltest du es nicht können?

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