Maria, Zuflucht der Sünder

 

13. August

 

Es ist etwas Eigenartiges um das Verhältnis des Sünders zu Maria. Eigentlich müsste es ihn wegtreiben von ihr. Denn sie ist die Sündenlose, sie ist die Makellose, sie ist die Tugendreiche. Sie schwebt in Regionen, die dem Sünder ganz fern liegen. Sie ist der gültige Beweis dafür, dass mit der Gnade des Herrn ein Leben ohne Sünde keine bloße Wahnvorstellung ist. Sie weist ihn immer darauf hin, wie fruchtbar der Mensch mit Gottes Kraft in seinen Werken werden kann. Maria erscheint ihm doch als das heiligste der Geschöpfe, in dem Gottes Ganz-anders-Sein sein herrlichstes Widerleuchten gefunden hat. Ganze Welten sind es, ungeheure Abgründe, die den Sünder von Maria trennen. Und doch beweist es die Geschichte der Seelen, und doch bezeugt es jeder marianische Wallfahrtsort: Wie ein Magnet zieht die Jungfrau den Sünder an und gerade ihn. Wie hätte man ihr sonst als Ehrentitel verleihen können: Zuflucht der Sünder? Wie erklärt sich dies?

 

Gegensätze ziehen sich an, sagt der Volksmund. Das mag auch hier der Fall sein. Nur dann aber kann es so sein, wenn der negative Pol von Natur aus eine Richtung auf den positiven in sich trägt und wohl auch umgekehrt. Ob das nicht den Schleier von unserm Geheimnis lüftet? Was eben Maria in sich verkörpert, das ist es gerade, wozu der Sünder in seinem Herzen veranlagt ist. Nicht zum Bösen, sondern zum Guten geht des Menschen Herz, das vom Schein des Guten, der noch im Bösen aufleuchtet, so leicht getäuscht wird. Nicht nach unten strebt der Mensch, der in aufgerichteter Gestalt über dieser Erde wandelt, sondern nach oben, zum Vater der Lichter hin. Nicht bei Schmutz und Unrat fühlt er sich wohl, sondern dort ist sein Gefallen, wo Sauberkeit und Schmuck ihn erfreuen. Der sündige Mensch hat sich gleichsam nur vertan, fiel einem Irrtum anheim. Scheingold hielt er für Gold, äußeren Aufputz für inneren Wert. Darum zieht es ihn auch auf seinem Irrweg mit unheimlicher Macht, wenn er in Maria in stärkster Weise dem begegnet, wonach sein Herz begehrt.

 

Das allein täte es jedoch nicht, denn was nützte es dem Sünder, unfruchtbare Tränen zu vergießen über das, was nicht mehr zu ändern ist? Mariens Fürbitte aber verspricht ihm Vergebung, Mariens Huld führt ihn zur Änderung. Hoffnung regt sich in ihm bei der Mutter der Barmherzigkeit. Einer Mutter Herz zürnt nicht ewiglich. Einer Mutter Liebe versagt ja nie. Einer Mutter Mund entschuldigt gern. Die Mutter hilft gewiss. Der Mutter Hände pflegen sanft. Die Mutter schützt vor des Vaters Zorn. Wer der himmlischen Mutter Hand ergreift, gelangt zu Gott, wäre auch seine Seele schwarz wie die Nacht. Dafür sind unsere Marien-Wallfahrtsorte ein sehr deutlicher Beweis! Zuflucht der Sünder, des Heiles Port!

 

Wen dünkt es bei solcher Sicht nicht wahrscheinlich, dass ein Sünder, der aus Angst vor der Hoheit des Herrn nicht mehr glaubt wagen zu dürfen, wie der verlorene Sohn zum Vater des Erbarmens heimzukehren, dennoch mit seinen sündigen Lippen zu sprechen beginnt: Bitte für uns arme Sünder jetzt! Wer aber noch betet, erhält auch noch Gnaden. Wer beharrlich betet, wird erhört. Hier offenbart sich ein gar feiner Gottesplan, der tausendfach bestätigt ist: In letzter Stunde steht Maria dem Sünder bei, auf dessen Lippen das Ave nicht erstorben ist. Darum: Zuflucht der Sünder, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes!

 

Kirchengebet

 

Allmächtiger und barmherziger Gott: Du schenkst den Sündern in Maria, der seligen allzeit reinen Jungfrau, eine Zuflucht und Hilfe. Lass uns unter ihrem Schutz, von aller Schuld befreit, der seligen Wirkung Deiner Barmherzigkeit teilhaftig werden. Amen.

 

Zur Geschichte des Festes: Wir verstehen es aus Gesagtem sehr wohl, wenn an vielen Orten in vielen Diözesen Maria verehrt und ein eigenes Marienfest gefeiert wird unter dem Titel „Zuflucht der Sünder“.

 

Besonders der Redemptoristenorden eiferte für die Verehrung der Gottesmutter unter diesem Titel; ebenso auch die Missionare vom Unbefleckten Herzen Mariä. In Ekuador erfreut sich dieses Fest einer besonderen Beliebtheit. In den Jahren 1886 und 1909 schenkte die Ritenkongregation diesem Marienfest ein eigenes Messformular und eigene kirchliche Tagzeiten.

 

(Prof. Dr. Carl Feckes, "So feiert dich die Kirche", Maria im Kranz ihrer Feste, 1957, Steyler Verlagsbuchhandlung)